Seitenwind Woche 5: Launisches Wetter

The answer, my friend, is blowin’ in the wind

Ich bin dein Freund. Ich bin die Luft zum Atmen, ich fülle deine Segel, ich bringe dir den Frühling. Ich bin dein Feind. Ich entwurzle deine Bäume, ich versenke deine Schiffe, ich bringe dir den Winter.

Ich bin geboren aus einer Brise und werde zum Orkan. Mich wird es immer geben. Ich bin ewig bei dir. Spürst du mich nicht, ruhe ich nur.

„Ist das zu viel? Ich meine, ich wollte nicht immer nur singen, sondern auch mal sowas wie Lyrik produzieren.“ Windy hielt die Luft an und wappnete sich für das geforderte Feedback.

„Ein bisschen dick aufgetragen ist es vielleicht schon, Windy … aber für den ersten Versuch.“ Wolky spielte gedankenverloren mit ein paar Abtrünnigen Fetzen, formte ein Schäfchen und fügte dann hinzu: „Aber fast hätte ich geweint.“

„Na ja, aber wann weinst du mal nicht? Du bist ja echt nah am Wasser gebaut, wenn wir mal ehrlich sind.“ Windy seufzte. Sie versuchte, dem Bauern da unten, der noch schnell seine Schäfchen ins Trockene bringen wollte, die von Wolky für okay befundenen Zeilen ins Ohr zu blasen.

Der Mann hörte aber nicht zu und Windy pfiff enttäuscht. „Kannst jetzt ruhig mal auf den Banausen draufregnen“, murmelte sie Wolky zu.

„Warum willst du den Menschen überhaupt Gedichte vortragen? Wir kümmern uns doch auch so schon genug um sie, ohne dass sie uns groß beachten“, wollte Wolky wissen.

„Also zu dir schauen sie doch ständig hin. Aber mich können sie nur spüren und manchmal hören. Aber sie so dermaßen aufs Sehen fixiert … ich muss mal was Neues bieten. Ich will ihnen einfach etwas zurückgeben.“

„Etwas zurückgeben?“

„Für die vielen geflüsterten Worte, die sie nur mir anvertrauen und die ich mit mir forttrage.“

Wolky betrachtete Windy einen Moment lang, bevor sie sich sanft um die eigene Achse drehte und die letzten Sonnenstrahlen einfing und wie ein Spinnennetz aus Licht und Schatten auf die Erde warf. „Du weißt, dass sie dich lieben, oder?“, murmelte Wolky schließlich, ihre Stimme so weich wie der Flaum einer Distel. „Jedes Mal, wenn sie den Wind in den Blättern hören oder die Drachen steigen lassen, ist das wie ein ungeschriebenes Gedicht für dich.“

Windy tröstete der Gedanke. „Vielleicht hast du recht. Aber ich will mehr. Ich will, dass sie meine Geschichten hören, nicht nur fühlen. Ich möchte, dass meine Worte sie berühren, so wie ich es tue.“

„Und wie willst du das anstellen?“, fragte Wolky, während sie den Blick auf einen purpurroten Sonnenuntergang freigab, so dass der Bauer auf dem Feld nach oben schaute, seine Schafe vergaß und eine Weile verharrte.

Windy fasst einen Entschluss. „Ich werde ihre Dichter umwehen, wenn sie am Schreibtisch sitzen, und meine Geschichten flüstern, während sie träumen. Dann werden meine Worte auf dem Papier stehen, in Liedern gesungen und in Herzen bewahrt.“ Sie seufzte sanft. „Und vielleicht werden sie dann verstehen, dass wir mehr sind als nur das Wetter – dass wir ihre Gefährten sind, Zeugen ihrer Geschichten, Teil ihres Lebens.“

Der Traumjob

Ich mag meinen Job. Es ist keine Tätigkeit mit Applaus, das muss man schon zugeben, aber ich bin eben nicht der Typ, der den ganzen Tag den dicken, strahlenden Bauch herausstreckt und Wolken wegbrennt, nur damit man den schmachtenden Blick der Blumenkelche genießen kann. »Ohne mich geht nichts!«, tönt die Sonne dann, und badet sich in ihrem gleißenden Ruf. Als ob niemand mitkriegen würde, dass sie sich nachts nach Feierabend heimlich mit Kumpel Gewitter trifft und sich mit ihm halb tot lacht, über die Dummköpfe, die sie selbst herausgelockt hat, damit er sie dann durchnässen kann, und mit Blitz und Donner zurück in ihren Unterschlupf jagt. So ist das eben mit den Berühmtheiten. Sie können sich einfach alles erlauben. Besonders wenn man ein hübsches Paar abgibt. »Ah, sieh nur wie wunderschön der aufgewirbelte Schnee in der Sonne funkelt! Wie Staub, der von einem Regenbogen fällt!« Das muss man erstmal schaffen: Da bringt man jemanden dazu, dass er ausrutscht und auf den Hintern plumpst, aber anstatt zu schimpfen, sitzt er in der Kälte und schwärmt auch noch! Ich höre solche Schmeicheleien nicht. »Schnell rein!«, höre ich, »Das ist ja grausig!«, oder »Hatschi!«. Dabei bin ich gar nicht sonderlich kalt, ich brauche keinen Wind zur Verstärkung und ich prassle nicht. Mit zarten Fingern krieche ich in Krägen hinein, durchfeuchte Schals, und scheuche die Menschen mit sanfter Hand in ihre Häuser. Die Straßen werden leer, Fenster flammen auf, Kamine husten Rauch in die Luft. Frieden breitet sich aus. Zärtlich hauche ich Tau auf die Blätter und beobachte die Schnecken, die davon trinken. Für die einen bin ich »schonwieder so ein Drecksnieselregen!«. Für die anderen bin ich ein sanftes Tuch der Stille. Ja. Ich mag meinen Job.

Sturmtief Renate

Unausgeglichen, stimmungslabil, schäle ich mich aus meinem Nordaltlantikbett. Meine Füße fühlen sich an wie von einer Polarfront heimgesucht und in meinem Kopf brummt der Kater von der tropischen Cocktailparty letzte Nacht. Jeah, war das ein Ritt. Dabei waren es nur Ausläufer eines tropischen Hurrikans. Attraktiv. „Unwetterwarnung“, wie schwach! Hier kommt die Diva des Tiefdrucktheathers. Mir dreht sich heute alles, ich hätte etwas Ruhe verdient, aber was solls, auf zum alten Kontinent, das Volk will unterhalten werden. Ich schlürfe noch reichlich herbstwarmes Nordatlantikwasser und setze mich in Richtung des alten Kontinents in Bewegung. Wird Zeit, dass ich meine Show starte. Ich zentriere mich. In meiner Mitte sinkt der Luftdruck auf 970 Kilopascal, ja, ich habe aufgepasst in der Wetterschmiede. Langsam beginne ich zu rotieren und nehme reichlich Wasser auf, sauge mich voll, schmücke mein Kleid mit tiefgrauen Wolken. Eispailletten funkeln wie Spitze an meinen Randzonen. Voller Energie lasse ich ein paar Probeblitze in die Wolken krachen, ja, Elektronenentladung, das knallt voll. Vorhang auf, jetzt wird getanzt. Immer schneller lasse ich mein Zentrum rotieren, jage die Wassermassen Richtung Nordseeküste. Wellen brechen, Wellenbrecher, lasse hinter mir die Deiche, die ich stehenlasse. Wie Türsteher wimmeln sie meine Sturmflut ab, dazugelernt in den letzten Jahrhunderten. Meine Wassermassen fliegen Richtung Kontinent, ich halte sie fest, solange ich kann, um die Spannung zu erhöhen. „Unwetterwarnung“, sagen sie. Verhöhnt ihr mich? „Was ist an mir ein Unwetter?“, wettere ich zurück. Ha! Jetzt entfessele ich mein Talent, der Wind heult durch alle Ritzen, wirft Türen, deckt Dächer ab, lässt Zelte wie Drachen über das Land fliegen. Was an Blättern noch an den Bäumen war, wird verwirbelt, fliegt bis in die Stratosphäre. Heute läute ich den Herbst ein. Fahrt die Autos in die Garagen, lasst eure Rollläden herunter, heute regiere ich das Land. Wie ich die entfesselte Naturgewalt liebe! Jetzt lasse ich es krachen, Blitze, Hagelkörner groß wie Pflaumen, Starkregen, ihr Weicheier, nennt mich nie wieder nur ein Unwetter. Ich bin schließlich Sturmtief Renate. Jetzt kann ich es auslaufen lassen, noch Dauerregen bis Mitternacht. Das mit den Überschwemmungen lasse ich heute, es war nicht mehr drin, mir steckt noch das Gestern in den Isobaren. Beaufort 9, immerhin, ich bin zufrieden. Gute Nacht, ihr wart ein wunderbares Publikum.

Eine kleine Freude

Ich kann es einfach nicht mehr mit ansehen. Das kleine Mädchen in diesem tristen und grauen Bergdorf spricht mit dem alten, griesgrämigen Mann seit einer verdammten Woche. Jeden Abend bittet sie ihn um einwenig Schnee.

Sie will einen Schneemann bauen für ihre kranke beste Freundin Lara, die gegenüber von ihr wohnt. Sie will ihr eine Freude machen und ihr damit zeigen, wie sehr sie an sie denkt. Wie sehr sie sie vermisst. Sogar mir einem drei Käsehoch treibt es die Tränen in die Augen. Ihr müsst wissen, ich habe erst diese Woche mit meiner Ausbildung zum Schneesturm angefangen. Bin also noch ziemlich grün hinter den Ohren.

Aber der alte Mann ist taub. Er ignoriert die herzergreifenden Bitten unserer kleinen Freundin. Als würden ihn ihre Tränen nicht berühren. Auch ich versuche ihn, um zu stimmen, indem ich ihm Wind in seinen weißen Bart puste, ihn mit Wassertropfen bespucke. Aber nichts! Keine Reaktion! Ein weiterer Abend vergeht und sie hockt schon bereit in ihrer Winterkleidung und weint, bittet und flucht.

Es reicht! Ich halte es nicht mehr aus. Und sauge jegliche Partikel in mir auf. Dann puste ich so stark, ich kann alles aus mir heraus. Die Temperaturen, die mich umgeben sind perfekt. Schöne frische minus 15 Grad Celsius. Im Bergdorf hingegen herrschen frostige minus 5 Grad Celsius für Menschen. Heute wird meine Kleine nicht mehr weinen. Heute wird sie ihrer Lara den schönsten und größten Schneemann bauen.

Ich drücke, puste, wehe alles auf das Bergdorf nieder, was ich kann. Fast löse ich mich dabei selbst in Luft auf. Aber das ist es mir wert. Als ich ihre strahlenden Kinderaugen sehe. Wenn sie die ersten Schneeflocken am Fenster rieseln sieht. Wenn sie die erste dezente weiße Schneedecke vor ihrem Fenster bemerkt. Sie kann es kaum glauben, freut, schreit und springt in ihrem Zimmer herum.

So gleich rennt sie in die Nacht hinaus und streckt freudig ihre Zunge heraus, um ein paar Schneeflocken aufzufangen. Sie singt und tanzt, dabei formt sie Kugeln aus dem Schnee, um Lara eine kleine Freude zu machen.

Es schneit und schneit, sodass sie einen riesigen Schneemann bauen kann. Nur habe ich leider dabei eine Sache nicht bedacht. Am nächsten Tag war unsere Kleine krank. Und ich wurde aus der Schule für Schneestürme rausgeschmissen. Ich wurde doch tatsächlich unehrbar entlassen. Aber wir hatten beide unseren Spaß.

„Komm, das wird bestimmt lustig.“
„Aber ich stehe gar nicht auf dem Wetterbericht. Wie sieht denn das aus?“
„Och komm schon, nur einmal, bitte.“
„Das geht wirklich nicht, Sonne, echt. Ich hab heute chilligen Tag über dem Meer vorgesehen.“
„Bitte, bitte, bitte.“
„Boah, du nervst.“
„Wenn du mitmachst, lass ich dich in Ruhe.“
„Ehrlich?“
„Ganz ehrlich.“
„Na gut, aber nur dieses eine Mal.“
„Juhuu, ich hab schon mal was vorbereitet. Siehst du?“
Ich warf einen Blick auf den Strand. Tatsächlich, der Sand waberte vor Hitze und die Menschen waren in verschiedenen Rotschattierungen gefärbt. Ich seufzte und schob mich vor die nervige Sonne.
„Ein richtiger Guss, bitte. Schnell und viel.“
Ich seufzte erneut. „Okay.“ Ich öffnete mein Regenventil und ließ in einem großen Schwall frei, was ich an Wasser gespeichert hatte.
Die Sonne lachte, die Menschen rannten vor den Wassermassen erschreckt durcheinander wie aufgeschreckte Schafe. „Jetzt fliegen wir rüber zur anderen Insel und machen da dasselbe.“
Als hätte ich es geahnt.

Erster Schnee

Abrupt sind sie verstummt. Knatternde Motoren, blechernes Hupen, ignorante Passanten- kein einziger Alarm summt. Mit großen Augen halten sie plötzlich inne. Für einen Augenblick achten selbst Menschen nur auf ihre Sinne. So viel Aufmerksamkeit für was genau?! Meinem Jüngsten, dem ersten Schneeflöckchen, ist schon ganz flau. Doch schwebt er brav auf eine Holzbank herab. Schon bald lasse ich seine Schwestern und Brüder folgen-erst eins, dann fünf, dann immer mehr bergab. Baumwipfel sind bald gezuckert, Dächer weiß überzogen und Wiesen in dicke Decken gehüllt. Einen Augenblick lächeln sich Fremde zu, die Luft ist von glücklichem Frieden erfüllt. Der erste Schnee, den ich euch bringe, ist endlich da! Eine Stimme zerreißt die Luft: „Ach-ich geh lieber nach Korsika!“

Allein

Als Frost war man einsam. Wie in den vergangenen Nächten zog ich heute wieder durch die dunklen Gassen. Sie lagen ruhig vor mir, nur hier und da sah ich eine Katze vorbeihuschen. Für einen Moment glaubte ich, eine von ihnen hätte mich vorwurfsvoll angeschielt. Doch das war unmöglich, denn niemand konnte mich sehen. Sichtbar waren nur meine Fingerabdrücke.

Am frühen Morgen, kurz nachdem die Rollläden an den Fenstern der Häuser hochgezogen worden waren, schlurften die ersten Menschen nach draußen. Dick eingepackt mit Jacke, Schal und Handschuhen versuchten sie, die Scheiben ihrer Autos freizukratzen. Manchmal lehnte ich mich an die Zäune der Vorgärten und sah ihnen bei ihrer Tätigkeit zu. Sie mochten sie offenkundig nicht und eilten so schnell wie möglich mit hochgezogenen Schultern zurück in ihre Häuser. Wenn ich dann durch die Fensterscheiben herein lugte, sah ich, wie sie sich ihre roten Hände rieben.

Kaum jemand wagte sich freiwillig nach draußen, weil ich unterwegs war. Allein glitt ich durch ein Wohnviertel und hing meinen Gedanken nach. Da hörte ich die Stimme eines Mädchens. Neugierig folgte ich den Geräuschen und entdeckte einen Vater mit seiner Tochter, beide mit Schlittschuhen in den Händen. Sie bogen gerade in den Stadtpark ab und steuerten auf den Teich zu. Meine Laune hob sich. Eine ganze Weile sah ich dabei zu, wie sie lachend über das Eis stoben. Ab und an mischte ich mich dazu und tanzte mit ihnen, ohne dass sie es bemerkten. Wir hatten Spaß und ich wünschte, es würde niemals enden. Als es dämmerte, traten sie den Heimweg an, und ich winkte ihnen nach.

Dann entdeckte ich im Laternenlicht einen zusammengekauerten Mann auf der Parkbank. Er hatte drei Decken um seine Schultern gelegt. Erschöpft ließ ich mich neben ihm nieder und erholte mich von dem ungestümen Treiben. „Ich kann dich sehen“, sagte der Mann plötzlich. Ich zuckte zusammen. Wie konnte das sein? „Er meint mich“, hörte ich zu meiner Linken eine vertraute Stimme. „Du bist es …“, seufzte ich. „Ja.“ „Muss es wirklich heute sein?“ „Ja.“ „Manchmal ist meine Aufgabe wirklich ätzend.“ „Ja, wem sagst du das.“

Ich legte meinen Arm um den bibbernden Mann und dann saßen wir lange Zeit einfach nur so zusammen da. Zwei Stunden später verließ ich den Park.

Jahreswechsel 1978/79

„Schneeflöckchen, Weißröckchen…“

„Chef, hörst du die Sehnsucht in den Kinderstimmen? Soll ich mal so richtiges Chaos verbreiten?“

„Ist dir langweilig oder was?“

„Wenn ich ehrlich bin, ja!“

„Leg mir erst das Konzept vor, danach entscheide ich.“

„Och Menno!“

„Nichts da! Ich weiß, was du anrichten kannst.“

„Ja, Schlittenfahrten, strahlende Kinderaugen, Schneemänner, verzauberte Landschaften…!“

„Das meine ich nicht und das weißt du auch! Ich sehe zusammenbrechenden Verkehr, überfüllte Krankenhäuser, erfrierende Menschen.“

„Ja, wenn die immer unterwegs sein müssen, sich nicht beherrschen können und einfach mal zuhause blieben, runterkämen.“

„Hast du denn schon mit Celsius gesprochen?“

„Der langweilt sich auch.“

„Okay, ich frag mal den Big Boss.Vielleicht brauchen die Menschen auch in Deutschland ja mal einen Dämpfer, damit sie kapieren, wie unwichtig sie im Grunde sind.“

„Geht klar, Petrus.“, strahle ich, denn jetzt hab ich ihn schon halb in der Tasche und warte ungeduldig auf die Entscheidung von ganz oben. Ich geselle mich wieder zu Celsius.

„Na, wie viel Grad sind es denn jetzt am Silvesternachmittag in Köln?“, frage ich ihn.

„Viel zu warm für einen Jahreswechsel, wenn du mich fragst. Der Regengott hat das schon mitbekommen und schickt riesige Schauer hinunter. Dann wird es kaum Feuerwerk geben. Und das sieht von hier oben doch so schön aus.“

„Ja, also, wie viel Grad sind es denn?“

„Plus 10°.“

„Dann wäre Schnee und Eis doch als Alternative ganz schön?“, zwinkere ich ihm zu und kitzele ihn mit einer Flocke an der Nase.

„Da sagst du was!“ In Celsius Stimme klingt Sehnsucht mit: „Durch hohen Schnee stapfende Familien, Jugendliche, die Schneeballschlachten machen. Kleinkinder, die Engel in den Schnee drücken. Schlitten, deren Kufen mit Speck wieder gängig gemacht, Schlittschuhe vom letzten Jahr, die anprobiert werden, um zu sehen, ob sie noch passen… Skibekleidung, die aus dem Keller geholt wird. Handschuhe, die paarweise gesucht und zurechtgelegt werden, die kratzenden Schals von Oma…“

„Du guckst zu oft in den Häusern der Menschen nach dem Rechten.“, frotzele ich und ein wenig Eifersucht schwingt mit. Ich muss ja immer draußen bleiben.

„Schnee und Eis, kommt ihr mal bitte wieder zu mir.“, höre ich Petrus Stimme.

„Ja, ich eile!“

„Also, Gott langweilt sich auch und er möchte gern nochmal überprüfen, ob die HeldInnen vom letzten Unwetter immer noch unverzagt alle Spuren beseitigen, Straßen wieder gängig machen, Schienen und Oberleitungen vom Eis befreien, Leben retten. Wer sich besonnen verhält, seine helfende Hand ausstreckt.“
„Prima, dann soll Celsius mal die Temperatur fallen lassen, ich gehe in Startposition!“, freue ich mich und der gefrorene Boden wird spiegelglatt. Die Feuchtigkeit in den Wolken wird zu Kristallen, fällt zunächst langsam, dann durch heftigen Wind angetrieben, immer schneller zu Boden.

Derweil in Köln:

„Sieh mal, wie es draußen schneit.“

„Ja, Wahnsinn, eben war es noch richtig warm und jetzt fallen nach den Regenschauern dicke Flocken vom Himmel!“

„Hoffentlich ist es nicht allzu glatt draußen; geschippt hat jedenfalls noch niemand draußen.“

„Hat ja auch wenig Zweck, es ist doch direkt wieder alles weiß.“

„Da hast du auch wieder Recht. Auf jeden Fall sollten wir einen Schirm mitnehmen, sonst sind wir klatschnass, bis wir bei meinem Bruder ankommen.“

„Den Nachtisch und den Sekt hast du schon eingepackt?“

„Ja.“

„Dann los.“

Das Paar kämpft sich durch das Schneetreiben bis zur Straßenbahn und versucht, nicht auszurutschen.
„Hoffentlich kommt die Bahn gleich. Mir ist schon richtig kalt. Der Wind ist aber auch fies.“

„Ich glaube, es kommt keine Bahn. Wir stehen hier schon 20 Minuten und sie hätte laut Fahrplan schon längst hier sein müssen.“

„Wir können ja bis zur nächsten Haltestelle laufen, dann werden unsere Füße wenigstens nicht zu kalt.“

„Ja, du hast Recht.“

So gehen sie Haltestelle um Haltestelle über den rutschigen Boden. Sie befragen andere Wartende, ob jemand etwas weiß. Ein Taxifahrer kommt schlingernd zum Stehen und verkündet, dass keine Straßenbahnen mehr fahren, weil die Oberleitungen durch das Blitzeis eingefroren, die Schienen mittlerweile unter dem Schnee begraben sind und er das Auto jetzt auch stehen lässt.

„Dann lass uns in der nächsten Telefonzelle meinen Bruder anrufen und wieder nach Hause gehen. Es hat ja offensichtlich keinen Sinn, wenn selbst die Taxifahrer ihren Dienst einstellen.“

So treten sie, die Mütze tief im Gesicht, ihren beschwerlichen Heimweg an, auf jeden Schritt achtend, sich von Laterne zu Laterne hangelnd, die Schirme längst zerlegt vom Wind. Sie halten sich aneinander fest, helfen anderen Ausgerutschten ironisch lachend mit einem „Guten Rutsch ins neue Jahr!“ wieder auf die Beine und kommen selbst irgendwie wieder zu Hause an.

Eine dicke Schneeflocke schaut vergnügt durch das Fenster der Haustüre und sieht ihnen beim Ablegen der vollgeschneiten Mäntel, Mützen und Schuhen zu, betrachtet die Pfützen, die sofort vor der Wohnungstür entstehen und sie nickt begeistert. „Genau so hab ich mir das vorgestellt.“

Das Pärchen reibt sich die kalten Hände, gießt sich einen Schnaps ein und packt anschließend die gut gekühlte Sektflasche wieder aus. Es wünscht einander ein frohes neues Jahr, denn Mitternacht ist überschritten. Gemeinsam schaut es aus dem warmen Zimmer nach draußen, doch kein Feuerwerk ist zu sehen, so dicht ist das Schneetreiben. Nachdenklich überlegt es:

„Was morgen wohl die Zeitungen für Schlagzeilen haben werden.“

Köln

Ein dramatischer Temperatursturz auf minus 10 Grad, klirrende Kälte, Blitzeis und Schneefall stürzen Köln Neujahr 1979 in ein Chaos. Auf den Straßen geht nichts mehr, Flughafen und Zoo bleiben gesperrt, es gibt reihenweise Glatteis-Unfälle.“

Brauhäuser und Kneipen bleiben wegen rutschiger Gehwege leer.“

Das Streusalz bleibt bei Temperaturen unter -6° wirkungslos. Die Bevölkerung wird gebeten, die Gehwege selbst von Schnee und Eis zu befreien, die Berge aber sollen in Gärten geschippt werden und sich nicht am Straßenrand auftürmen.“

Rettungskräfte sind pausenlos bei Unfällen, Frostschäden, Eiszapfen im Einsatz.“

Die Polizei verfolgt am Friesenplatz nachts einen Nackten im Schnee. Es ist ein Taxifahrer, der aus dem Bett gesprungen ist, um einen Autodieb zu jagen.“

65 „Entstörer“ der Gaswerke sind im Heizung-Dauereinsatz. Viele Kölner greifen wegen der Eiseskälte parallel zu elektrischen Geräten. Folge: Stromleitungen knallen durch. Der Nachschub mit Lebensmitteln stockt…“

Der 1.FC-Köln sagt die Rückrunden-Partie gegen Braunschweig ab. Das Müngersdorfer Stadion ist unbespielbar: 15 Zentimeter Neuschnee.“

Im Radio kommen auch auf türkisch und spanisch Durchsagen, ebenso an Haltestellen. Die Weihnachtsferien werden aufgrund mangelnder Transportmöglichkeiten kurzerhand um eine knappe Woche verlängert.“

Die Mediziner gipsen Verletzte ein:„Eine neue Art von Eisbein“, wird geschmunzelt.“

Und amüsiert intonieren Celsius und Schnee und Eis: „Komm, setz dich ans Fenster, du lieblicher Stern, malst Blumen und Blätter, wir haben dich gern.“

Schlagzeilen zitiert nach Philipp Meckert in: Express 14. Januar 2019. Quelle: Express vom 9. Januar 1979

Markierungsarbeiten

Ja, ich bin nur eine von vielen und ja, mein Mitspracherecht in dieser ganzen Sache ist gering bis kaum vorhanden. Dennoch wäre ich froh gewesen, man hätte mir dieses unwürdige Schicksal erspart.

Jetzt stehe ich hier, Rücken an Rücken mit meinen unglückseligen Kollegen. Nichts weiter als aneinandergepappte Kristallstrukturen deren Schönheit vollkommen von der Plumpheit überdeckt wird, die dieser Zweibeiner aus uns gemacht hat.

Ein Schneemann! Wie entwürdigend! Wir haben nicht einmal Beine! Und dann diese Hässlichkeit von Wurzelgemüse im runden Gesicht. Gar nicht zu sprechen von diesen biologisch abbaubaren Hänsel-und-Gretel Ärmchen.

Bitte Sonne, hab erbarmen und lass uns schmelzen! Ich ertrage es nicht… Jedes Jahr das gleiche Theater! Warum kann ich nicht wenigstens mal Teil einer wunderhübschen Eisprinzessin werden? Oder eines Winterpalastes? Aber nein, natürlich falle ich wieder einmal einem dieser vollkommen untalentierten Erdkinder zum Opfer.

Aber – was ist das? Es wird auf einmal so warm! Ist es denn möglich, hat die Sonne meine Bitte tatsächlich erhört?

Meine flockigen Glieder kribbeln und krabbeln in wahrer Vorfreude darauf, endlich diesem hässlichen Etwas zu entkommen. Doch Moment– warum ist diese Wärme so feucht?

»Pippo, komm her, du kannst doch nicht meinen schönen Schneemann kaputt machen!«

Mir wird heiß und kalt bei diesen Worten. Pippo, ein Vierbeiner der Gattung „Urinator des Todes“. Ich spüre, wie sich das Ammoniak in meine Kristallstruktur verbeißt. Nichts wird mich nun mehr retten…

Seufzend lasse ich meine verklumpten Eispartikel hängen und versuche optimistisch zu bleiben. Irgendwann muss es auch für mich ein Happy-End als Eisprinzessin geben! Doch für den Moment bleibt mir nichts anderes übrig, als mich in mein Schicksal als hochfrequentierte Vierbeinerbegegnungsstätte zu ergeben…

Herzverdreher

Aidan, der immer so tut, als hätte er alles im Griff, lief mir direkt in meine stürmischen Arme und ich wirbelte ein paar Blätter und eine alte Dose in sein Gesicht. „Das gibt’s doch nicht, jetzt greift mir das Wetter auch noch an die Mütze!“, rief er und versuchte das zerknorkelte Aluminumdings wegzuschubsen, das sich frech an seiner Kopfbedeckung verfangen hatte.

Ciara, gerade zurück vom Joggen gegen den Sturm, kam nur mühsam an der Ecke von Aidens Werkstatt vorbei. „Was zum…?“, stammelte sie, während ich ihr in die Haare blies und sie wild auf ihrem Kopf tanzen ließ. Sie machten einer explodierten Sofakissenfüllung alle Ehre. Gerade als sie versuchte, dem Sturm durch ihre Haarvorhänge einen wütenden Blick entgegenzudonnern, stolperte sie direkt in Aidans Arme.

„Entschuldigung!“,

„Äh, kein Problem…“

„Das war ja besser als geplant“, raunte ich mir selber zu. „Ein bisschen Wind hier, ein bisschen Chaos da, und schon haben wir eine Liebeskomödie.“

Mit einer kräftigen Böe schubste ich Ciara in die richtige Richtung. „Ab in Aidens Arme mit dir, du liebes-widerspenstiges Ding“, raunte ich. Ihre Arme ruderten wie eine verrückte Ente auf einem See. Aidan stand wie angewurzelt da. Noch jedenfalls. Ein kleiner Wirbel direkt unter seine Füße, und schon tanzte er auf einem Bein, als würde er einen irischen Jig aufführen.

Bevor sie verstanden, was los war, griff Aiden nach der Klinke seiner Werkstatttür und zog im windigen Durcheinander aus Versehen Ciara mit hinein. Mit einem weiteren kräftigen Hui knallte ich die Tür hinter ihnen zu. Umgeben von Holzspänen und dem Geruch von Leim sahen sie sich verdutzt an wie zwei nasse Katzen, die versuchten, sich anzuschreien. Aber meine Pfeifkonzerte übertönten alles. „Ich hoffe, dieser verrückte Sturm zieht bald weiter“, schimpfte Ciara, während Aidan mit den Augen rollte.

Dann kam mir die zündende Idee. Mit einem kräftigen Ruck zersprengte ich ein kleines Fenster – keine Sorge, die beiden bleiben unverletzt - und ließ sie erschreckt aneinanderstoßen – Lippen auf Lippen. „Ups“, lachte ich in mich hinein, „das war wohl ein Volltreffer.“

Als mir die Puste ausging und die Sonne wieder durch die Wolken blinzelte, wusste ich, meine Mission war erfüllt. Die beiden standen da, kicherten wie Schulkinder und schauten sich an, als hätten sie gerade den Jackpot geknackt.
Und ich? Ich zog weiter, bereit für mein nächstes Abenteuer als der windigste Kuppler weit und breit.“

DAS FEST DER LIEBE

Heiligabend. Endlich!
Mein großer Auftritt ist genau heute. Vorfreude schönste Freude…
Seit einer Ewigkeit beobachte ich diese beiden einsamen Geschöpfe der Erde.
Emma(78) und Fritz (82) leben fast Tür an Tür.
Nur ein Hausflur trennt ihre Leben.
Leben mit dunklen Stunden und einem eintönigen tristen Alltag ohne Momente der Freude…
Leben ohne das Lachen der Kinder und Enkelkinder…
Leben voll Verlust und Trauer…
Ich muss diesem Elend ein Ende bereiten. Genau heute!
Glocken läuten,die riesige Kirchentür wird geöffnet.
Der Kinderchor singt " Stille Nacht".
Mir wird warm ums Herz.
Erste Tränen fallen sanft auf den gefrorenen Boden.
Ich weine immer heftiger.Gut so,denn genau das ist meine Aufgabe. Ich öffne meine Schleusen und platsch,platsch…sende nun noch grössere Regentropfen.
Augenblicklich verwandelt sich der Boden in eine gefährliche Eisfläche.
Ich sehe Emma,wie sie langsam zu Boden fällt.
Fritz, der versucht ihr aufzuhelfen.
Ich sehe in Emmas schmerzverzerrtes Gesicht.
Ich weiß es tut weh.Noch.Nur ihr Knöchel ist verstaucht.Ein geringer Preis für all das, was sie bald Gutes dafür bekommen wird.
Fritz zieht sein Handy aus der Tasche.
Es geht alles ganz schnell. Der Krankenwagen kommt.
Emma wird hineingeschoben. Fritz setzt sich neben sie und streichelt ihr beruhigend übers Gesicht.
Bevor die Tür geschlossen wird, kann ich sehen, wie sie sich lächelnd und zuversichtlich an den Händen halten.
Nun kann ich beruhigt weiterziehen und Weihnachten kann kommen.
Weihnachten das Fest der Liebe…

Wir brüllen und heulen

Wir brüllen und heulen
über Kap Horn
wir blasen aus Westen die Segler nach vorn
wir toben und schieben das ganze Jahr
und weh’
einer schläft da
am Ruder.

Bei Weltumseglern sind wir bekannt
wir dreh’n um den Globus
nur Feuerland
stellt sich uns in den Weg.

Wir toben und schieben
das ganze Jahr
mit Kurs nach Osten
minimiert das die Kosten
für Diesel
und Flauten
die kannst du vergessen am schnellsten
vermessen sind wir mit dem Trimaran -
nach 40 Tagen kam der wieder an
zwotausendundsiebzehn gesegelt
im Team von Francis Royon
zurück nach Ouessant.

Seither trägt sein Team nun die Kron’
die vor ihm erkämpften einige schon
wo wir mit brechenden Wellen
so vielen schon halfen
am Kap zu zerschellen
oder unterzugehen
im tobenden
indischen
Ozean
drum weh’
einer schläft da
am Ruder.

Bei den Weltumseglern sind wir bekannt
wir werden die „Furious Fifties“ genannt,
wir brüllen und heulen
über Kap Horn
und toben und schieben das ganze Jahr
und weh’
einer schläft da
am Ruder.

In einer verschneiten Welt hoch oben am Himmel wurde ich als winzige Schneeflocke geboren. Ich halte mich fest und schaue neugierig auf die Welt hinab. Sie erscheint dunkel, kalt und geheimnisvoll. Ich spüre den Winterwind. Sanft streicht er über meine Eiskristalle.

„Wind! Nimm mich mit!“, rufe ich euphorisch, und wir beginnen unseren Tanz hoch über den Wolken. „Kleine Flocke“, flüstert der Wind liebevoll, „lass dich treiben, vertraue mir!“ Spielerisch wirbelt er mich zwischen den Wolken und wir reisen gemeinsam zur Erde. Ich streife sanft die Äste der Bäume, verliere mich in unserem Tanz.

„Schau nur, Wind“, rufe ich, während ich auf die funkelnden Felder zeige. „Sind sie nicht wunderschön? Doch dorthin möchte ich nicht!“ Der Wind trägt mich weiter und fragt, „Wohin möchtest du dann? Möchtest du die weiße Pracht auf den Straßen sein?“ Er lässt mich durch die Straßen tanzen, im Licht der Laternen. „Sie glänzt und glitzert!“, flüstere ich ehrfürchtig.

„Entscheide dich, kleine Flocke, entscheide dich“, mahnt der Wind, und wir schwingen noch einmal sanft in die Lüfte. „Nein“, sage ich bestimmt, „ich möchte die Menschen sehen! Bring mich zu den Menschen! Wo sind sie, wenn sie nicht hier draußen sind?“

Der Wind lacht, unser Tanz wird schneller, er dreht und wirbelt mich. Ich fühle mich frei. „Schau“, sagt er schließlich und setzt mich an ein Fenster. „Schau, kleine Flocke und lebe wohl“, höre ich ihn rufen, dann ist er fort.

Durch das Fenster sehe ich die Menschen, die behaglich um ein wärmendes Feuer sitzen. Ein kleines Mädchen bemerkt mich und tritt näher. „Es schneit!“, ruft es begeistert, und ich sehe die reine Freude in seinen Augen. Nur dafür will ich bleiben! Nur eine Weile noch will ich die leuchtenden Augen des Kindes sehen!

Die Nacht bricht herein, das Mondlicht spiegelt sich im Fenster. „Du musst gehen, kleine Flocke“, sagt der Mond, doch ich glaube ihm nicht. „Nein“, antworte ich entschlossen, „ich sehne mich nach dem strahlenden Gesicht! Weißt du denn nicht, welche Freude ich bringe?“ Der Mond lächelt mich traurig an und schweigt. Ich warte.

Doch es ist die Sonne, die warme Zauberin des Tages, die beginnt, mich mit ihren Strahlen zu streicheln. Ich beginne zu schmelzen, Tropfen für Tropfen verschwinde ich. „Wind“, hauche ich, „erzähle von mir!“ „Ich komme wieder“, denke ich, während ich schwinde. Der Wind trägt meine Geschichte weiter. Er erzählt von meiner Reise. Ich komme wieder, wenn der Winter seinen eisigen Mantel erneut über die Welt legt, bereit, erneut Freude und Schönheit zu bringen.

Achtung unter Feinden

Die meisten haben mich kommen sehen, doch dieses Schiff gehört mir. Ich schaukle es wild durcheinander, keine Macht dieser Erde kann mir Einhalt gebieten und diese Menschen sind schon viel zu lange überheblich. An diesem Schiff werde ich ein Exempel statuieren. Ja, ruft ruhig um Hilfe, mit eurem Funkgerät, wer sollte sich wagen, diesem mächtigen Sturm zu trotzen, nur um mit euch zu versinken?

“Haltet durch, wir laufen aus”, erschallt es aus den Boxen des Funkgerätes. Diese verrückten Seenotkreuzer wollen mir also tatsächlich die Stirn bieten? Sich mit ihrer lächerlichen Nussschale dem Zorn des Meeres ausliefern. Na los, zeigt was ihr könnt.

Verzweifelt sucht die Besatzung nach Halt, der Steuermann krallt sich mit aller Kraft am Ruder fest und doch, es nicht zu glauben. Egal was ich ihnen entgegen schleudere, egal wie hoch die Wellen steigen, egal wie sehr der Wind ihnen zusetzt, sie kommen beständig näher an ihr Ziel. Der Motor donnert, die Schrauben drehen mit aller Gewalt gegen den Strom an und obgleich das Deck ständig von eiskaltem Salzwasser überspült wird, sie brechen nicht ab.

Diese Entschlossenheit gewinnt zunehmend meinen Respekt, keiner dieser Helden kennt irgendwen an Bord meines Opfers, und doch riskieren sie für sie ihr Leben. Ich schaue der Crew direkt ins Gesicht, wir sind Feinde ja, und doch sehe ich Achtung in ihren Augen, sie respektieren meine Macht. Na schön, um ihretwillen werde ich die Rettung gelingen lassen, es wird noch viele Schiffe geben, die ich mir holen kann.

Hab Spass an mir

Heute Morgen war ich der Nebel, der dich schleichend auf dem Weg zur Arbeit begleitete.
Am Mittag umarmten dich meine Sonnenstrahlen beim Mittagessen auf einer Parkbank und wärmten dich liebevoll auf.
Am Nachmittag nach einem kleinen Gewitter schenkte ich dir von Herzen einen Regenbogen, der dir ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Am Abend auf dem Nachhauseweg pfiff ich dir sanft um die Ohren und schubste dich neckisch vor mich hin, weil ich dich mag.
Ich bin das April-Wetter und liebe es, meinen Facettenreichtum mit dir zu teilen.

Früher war alles besser.

Ich zum Beispiel. Früher gab’s mich viel öfter, mit einer Gewalt von der ich heute nur noch träumen kann. Also meistens. Auf den Bergen war ich schon immer. Zuckergetünchte Gipfel, die im Licht der Sonne glitzerten. Ein herrliches Bild. Zumindest das ist immer noch so. Aber meine Zeit ist kürzer geworden. Vor geraumer Zeit habe ich für Chaos auf den Straßen gesorgt. Ich habe Kindern schulfrei beschert, sodass sie stattdessen wunderbare Kunstwerke aus mir formen konnten. Gibt’s was Schöneres, als Kinderlachen? Als sich vor Lachen mit Bauchschmerzen im Schnee zu kringeln? Mir fällt nicht viel ein. Wenn meine dicken Flocken das erste Mal des Jahres bedächtig gegen die Fensterscheiben klopfen und sich alle geschwind erheben, um diesen einmaligen Moment nicht zu verpassen. Es ist mir jedes Jahr ein Fest. Mein Fest. Aber meine Kraft schwindet. Ich bin nicht mehr so stark, wie ich es einmal war. Es ist so heiß. Meine Energie nimmt mit jedem neuen Tag ab und irgendwann werde ich wohl ganz verschwinden. Hoffen wir auf das Beste. Aber bis es so weit ist und meine Zeit gekommen ist, werde ich so viele Kinderaugen zum Leuchten bringen, wie nur irgend möglich.

Luftpost an Ben – oder: Das Wetter und Herr Vogel

Als wir uns kennenlernten, warst du noch Schüler, hast fasziniert deinem Erdkundelehrer zugehört, wenn er über mich sprach und euch erklärte, was ich als Naturgewalt alles kann. Unsere spätere Beziehung, die alle verfolgen konnten, dauerte fast zehn Jahre, in denen du täglich Zeit mit mir verbracht hast. Meistens nur für zwei Minuten früh am Morgen, es war aber keine Kurzbeziehung, du weißt, was ich meine.

Ich konnte anstellen, was ich wollte, du hast mich immer ernst genommen und meine Kapriolen mit einem Lachen kommentiert. Wenn ich mies drauf war mit Blitz, Donner, Hagel und Regen, dann war dir das genauso lieb wie die Tage, an denen ich die Menschen mit Sonnenschein und warmen Temperaturen verwöhnt habe.

Ich vermisse die Tage, an denen du mich besucht hast, draußen im Garten, auf dem Schiff, am Strand oder auch hoch auf einem Windrad. Erinnerst du dich an die Rutsche auf dem Spielplatz, die du lachend runtergerutscht bist, während du über mich sprachst? Dein ganzes Leben war wie auf einer Rutsche, mal links, mal rechts, jedoch unaufhaltsam nach unten. Gelacht hast du dabei immer seltener. Mit mir warst du immer glücklich, ich bin mir sicher. Immerhin haben uns ja viele tausend Menschen zugesehen bei unseren – darf ich Rendezvous sagen?

An manchen Morgen war ich traurig und richtig eingeschnappt, wenn du über mich gesprochen hast. Wenn du sagtest, dass ich als Tief in den nächsten Tagen Ärger machen werde. Am schlimmsten war jedoch für mich, wenn ich am Wochenende mal wieder so richtig die Wettersau rauslassen wollte und dir nichts Besseres einfiel, als dies so darzustellen, dass ich allen das Wochenende versauen werde.

Ich will nicht nachtragend sein, ich weiß, dass du dich mit mir am wohlsten gefühlt hast. Als Beweis hast du sogar meinen Namen angenommen. ‚Der frühe Vogel fängt den Wurm‘ heißt es in einer alten Redewendung, bei uns haben sich das Wetter und der Vogel nicht nur gefangen, wir sind zum Wettervogel verschmolzen. Das war der Name, unter dem dich alle kannten.

Warum hast du mich dann verlassen nach all‘ den Jahren? Mit mir warst du glücklich, so wie tausende andere Menschen und ich mit dir. Deinen Freunden hast du nicht erzählt, dass du dich trennen möchtest. Musstest, sollte ich sagen, denn du hattest keine Wahl, als man dich von mir trennte, man wollte dich dort nicht mehr. Gewählt hast du aber dann, dich von allen anderen Dingen im Leben zu trennen. Die würdest du nicht mehr benötigen, hast du erklärend hinzugefügt, wenn du gefragt wurdest, weshalb du deinen Haushalt verschenkst.

Als Orkan habe ich es geschafft, aus einem Backsteinhaus wieder Backsteine für ein Haus zu machen. In deiner Wohnung hast du auf einer Matratze geschlafen, die auf Backsteinen lag. So wie man sich bettet, so liegt man, heißt es. Hattest Du bereits im Sinn, in Windeseile gehen zu können?

Als es dir immer schlechter ging, als du dich innerlich überflutet hast und nicht mehr klar denken konntest, habe ich versucht, dir zu helfen. Doch der Schnee, den ich in Millionen Schneeflocken rieseln ließ, hat nur alles um dich herum mit gleißendem Licht umgeben, die Dunkelheit in deinem Kopf konnte ich damit nicht erhellen.

Wenn du noch da wärst, dann könntest du ruhig weiter über mich wettern. Ein versautes Wochenende ist heute gar nichts mehr. Ich habe meine Fähigkeiten ausgebaut. Mit dieser Art Weiterentwicklung wärst du sicher nicht einverstanden. Wie gerne würde ich deine Stimme hören, die mich dafür kritisiert. Wahrscheinlich würdest du mich heute damit glücklich machen.

Ich zögere, ob ich meine Lungen füllen soll, um diese Luftpost zu dir zu wehen. Ich zweifele, ob meine Worte richtig bei dir ankommen würden? Du bist jetzt schon so lange nicht mehr da, aber du bist nicht gegangen. Der Wettervogel ist immer noch da.

Heute habe ich mir das Wetter passend gemacht. Dichter Nebel, der sich den ganzen Tag nicht auflösen wird. Schön düster, nass und kalt wird es bleiben.

Ich weiß, wie du diese Wetterlage den Zuschauern vermitteln würdest. Du öffnest die Studiotür nach draußen, schaust kurz raus, verziehst leicht angewidert dein Gesicht, drehst den Kopf in Richtung Kamera und sagst mit einem Anflug an Grinsen:

»Kein Wetter heute!«

(Der Hintergrund: Ben Vogel war fast 10 Jahre Moderator der Wettervorhersage im MOMA (ZDF). Er nannte sich Ben Wettervogel, die Zuschauer kannten ihn nur als immer lockeren, lustigen Moderator. Im wirklichen Leben ist er an privaten Problemen zerbrochen, nach und nach zum Alkoholiker geworden. Dann wurde ihm gekündigt und schließlich endete sein Leben mit Suizid)

Zu früh

Ich falle unter das Eis. Innerhalb weniger Sekunden entzieht mir das Wasser die Wärme und gibt sie nach unten ab. An die Fische, die nach oben schwimmen, als würde es Frühling. Einer wagt sich nah an mich heran. Glotzt aus lidlosen Augen. Ich kitzle ihn sanft, damit er näher kommt. Jetzt sperrt er sein Maul auf. Schnappt nach mir. Und obwohl ich stillhalte, entweicht ihm mein Licht und versinkt in der eisigen Schwärze. Unsere Sehnsucht wird zum Schmerz. Aber: Es ist noch früh am Tag. Zu früh für mich als erster Sonnenstrahl im Januar.

Caelofit, das Wetterchen

Ob sie es schaffen würde? Caelofit sorgte sich um die alte Dame. Sie war noch schwach von der gerade eben überstandenen Infektion. Und ein wenig halsstarrig war sie auch. Die Schornsteinfegerrechnung musste bezahlt werden. Der Überweisungszettel war ausgestellt und sollte jetzt bei der Bank in der Innenstadt abgegeben werden. Caelofit ärgert sich etwas über seine Dame, wie er sie seit Jahren nannte. Als käme es auf eine Mahnung an! Aber nein, sie musste unbedingt trotz aller Schwierigkeiten pünktlich sein. Selbstverständlich kam auch nicht in Frage, einen Nachbarn um Hilfe zu bitten!

Sie hatte den Wintermantel angezogen, den Hut aufgesetzt und humpelte am Gehstock den kleinen Hügel hinunter zur Bushaltestelle. Caelofit begleitete sie. Er war ihr Wetterchen und umsorgte sie so gut es ging. Gewiss, gegen die Unbillen des Novembers konnte er nicht viel ausrichten. Immerhin war er daran gewöhnt, die größten Regentropfen von ihr fortzublasen, den Wind daran zu hindern, ihren Hut fortzuwehen und sie mit etwas Pfeifen und Plätschern auf die gröbsten Pfützen hinzuweisen.

Mikroklima, nannten das die Menschen. Auch recht. Caelofit selbst zog den Namen Wetterchen vor.

Wie erhofft, schaffte sie den Weg zum Bus recht gut. Sie atmete zwar schwer, ließ sich jedoch zufrieden in den Sitz plumpsen und die fünf Kilometer in die Stadt fahren.

Fünf Kilometer, das war für Wetterchen entschieden zu viel. Auch fuhr der Bus zu schnell für ihn. Caelofit war unruhig. Er beschloss, an der Bushaltestelle auf sie zu warten. Immerhin vertrieb er sich die Zeit recht angenehm damit, ein Grüppchen Schulkinder zu unterhalten. Er wehte die eine oder andere Mütze fort, blies den Regen gegen die Hosenbeine und freute sich am Gemecker über das Sauwetter. Etwas gemein bin ich heute schon, dachte er, aber immer nur seinem Schützling zu helfen, war dann doch etwas wenig für ein richtiges Wetterchen.

Seine Dame sah erschöpft aus, als sie aus dem Bus kletterte. Unten am Hügel blieb sie eine Weile stehen und sah beklommen auf den Anstieg zu ihrem Haus; wenige hundert Meter nur, doch sie wusste, dass dies an ihre Grenzen gehen würde.

Zum Glück hatte der Regen nachgelassen, sodass Caelofit sich ganz und gar auf Hilfe beim Anstieg konzentrieren konnte. So gut es ging pustete er ihr in den Rücken, gerade so stark, dass sie es nicht merkte und doch so kräftig, dass der Anstieg leichter fiel. Endlos brauchte sie, fand Caelofit, er fand es jetzt selbst etwas anstrengend.

Irgendwann war es geschafft. Seine Dame schloss die Haustür auf, keuchend zwar und schwitzend, doch auch ein Lächeln stand auf ihrem Gesicht.

Wetterchen war auch zufrieden. Um sich Luft zu machen, veranstaltete er vor der Haustür einen klitzekleinen Wirbelsturm und freute sich über die wirbelnden Blätter des Wilden Weins.

Das Streichholzmädchen

Es saß einst ein kleines Mädchen am Straßenrand. Das war vor langer Zeit, doch scheint sie mir, wie ein Windhauch verflogen zu sein. Es war einer der kältesten Tage des Winters, jener Jahreszeit, in der ich aus meinem langen Schlummer erwache und neu auflebe. Das Kind hingegen wirkte wie ein Abbild des Todes. Die Haut war so fahl, dass sie mit dem umliegenden Schnee zu verschmelzen schien und die Lippen so blau, dass sie dem trüben Himmel glichen. Vor ihr lag ein leerer Spendenbecher und in ihren grauen Mantel gehüllt, hätte man die Gestalt beinahe übersehen können – so gut fügte sie sich ins trostlose Einerlei der Straßen. Für mich hingegen hob sie sich unverkennbar von der ganzen Szene ab, denn sie war warm und nichts zieht mich so sehr an, wie das warme.

Also wehte ich um sie und fröstelnd zog sie den Mantel fester um sich und zündete sich ein Streichholz an. Das Hölzchen leuchtete lieblich und warm und betört kreiste ich darum, doch in meinem Atem erlosch es und glomm nur mehr kläglich vor sich hin. Ich erwartete ein zweites Streichholz, doch Sie zündete kein zweites an. Ihre Augen blickten bloß verträumt in die Ferne und darin ließen sich Bilder aus vergangenen Zeiten lesen, die heller als das Streichholz im Dunkel der Pupille leuchteten. So saß sie unbewegt und kein Mensch hätte die Veränderung bemerken können. Doch ich bemerkte sie. Denn die wärme floss Stück für Stück aus dem Körper in mich über, bis nichts mehr übrig war.

Da lag die Gestalt unbemerkt am Straßenrand und ein vereistes Lächeln lag auf den blassen Lippen. Ich hatte nichts getan, als was ich eben tun muss – ich bin der Frost. Wollt ihr mich nun als den Mörder schelten, wobei ihr jene seid, die als einzige auf der Welt mich an Eiseskälte übertreffen? Oder erhebt sich überhaupt keine Klage? Ihr mögt reden oder schweigen – ich meine, vielleicht ist sie glücklicher jetzt.