Seitenwind Woche 5: Launisches Wetter

Zauberei

Hallo, mein Name ist Elsa und ich bin die wahre Schneekönigin schlecht hin. Ich bin die Queen der Naturgewalten. Weder Thor mit seinem Donner und Blitzen oder Rainy mit seinen Regentropfen, noch Stürmchen mit seinem Wind, können mir das Wasser reichen.
Denn ich, als Schneekönigin, bin etwas ganz besonderes.
Mich gibt es in verschiedenen Formen, aber lest es selbst…

„Es schneit! Sieh nur Max, es schneit wirklich!“
Völlig aufgeregt stand die kleine Lisa vorm Fenster und wedelte mit ihren Armen durch die Luft.
„Du Dummi“, seufzte Max genervt. „Wir sind hier in Miami, bei uns schneit es nicht.“
Genervt wendete sich Max wieder seinem Buch zu. Denn er hat schon so oft versucht, seiner kleinen Schwester klar zu machen, dass es im Winter in Miami nicht schneit.
Dabei vermisste er denn Schnee so sehr. Der Winter war in Deutschland seine liebste Jahreszeit. Aber seit dem seine Familie nach Amerika ausgewandert ist, schneit es nicht mehr.
„Max schaut doch endlich mal“, ruft Lisa, „Es schneit wirklich.“
„Sofort“, brummte Max. „Ich will nur noch meine Seite zu Ende lesen, es ist gerade so spannend.“
„Dein Buch über Jack Frost?“, fragte Lisa empört.
„Sieh doch nur, der Schneezauber ist viel spannender.“, kreischte Lisa nun.
„Schau es dir endlich an!“ Langsam wurde Lisa richtig wütend und stampfte mit ihren Füßen auf den Boden.
Als Max aus dem Fenster blickte, sah er nur die strahlende Sonne und den blauen Himmel. Von Schneeflocken war weit und breit nichts zu sehen.
„Lisa du nervst“, schimpfte Max frustriert. „Die Sonne scheint. Wie soll es da denn schneien, du Dummi.“
Lisa verdrehte die Augen und ging auf Max zu.
„Na, wenn du nicht zum Schnee kommen willst, dann bringe ich dir den Schnee eben zu dir“, murmelte Lisa.
Völlig gebannt schaute Lisa auf ihre kleine Schneekugel und brachte sie vorsichtig zu Max.
Die Fenster der klitzekleinen Schneekugelstadt waren alle hell erleuchtet und als Lisa die Schneekugel schüttelte, schneite es wirklich.
Ganz zart und leise fielen die Flocken auf die Stadt nieder.
„Sieh nur Max. Es schneit!“, sagte Lisa mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
„Ich weiß doch wie sehr du den Schnee vermisst. Mit meiner Schneekugel hast du zu jeder Zeit deinen Schnee bei dir“, erzählte Lisa und überreichte Max ihre Schneekugel.

Völlig begeistert vom Schneezauber, bemerkten die beiden Kindern nicht, dass es nun auch draußen vor ihrem Fenster die ersten leisen Schneeflocken ihren Weg nach Miami gefunden haben.

„Elsa!! Wach auf!!“, schrie Thor. „Du lässt es jetzt in Miami schneien. Du bist viel zu gefühlsduselig.“

Die Wette

Flach wie ein Handtuch breitet sich das Meer hin, ich räkle mich faul obendrauf und betrachte ein kleines Boot, das regungslos auf der spiegelglatten See ruht. Die Segel hängen herab wie ein alter Mantel. Drei Tage schaue ich mir das schon geduldig an, Menschenmann und Menschenfrau in ihrer Jolle. Es können auch fünf Tage werden oder sieben. Hauptsache, ich gewinne meine Wette. Nein, ihr Boot hat keinen Motor, die Menschlein sind mir ausgeliefert. In ihre Lungen ströme ich und lasse mich ausblasen. Das ist einzige Wind, der hier entsteht, ansonsten bin ich nur Luft, Pardon.

Er reckt verzweifelt den angeleckten Finger empor, sucht nach einer Brise. Schwester Sonne tupft ihm die Spucke von der Haut, ich halte mich da raus.

Die Frau seufzt mich aus ihrer trockenen Kehle. »Wir haben bald kein Wasser mehr.« Schwester Wasser rinnt zur Bestätigung als Träne über ihre Haut.

»Es war guter Wind vorhergesagt«, wiederholt er zum hundertsten Mal. Was kümmert mich das? Ich bin die Luft, ich bin der Wind, der Sturm. Ich bin die Herrscherin der Gezeiten, kleiner Mensch. Deine Wettervorhersage ist mir schnuppe.

»Wie lange willst du noch warten, bald sind sie vertrocknet«, gluckert Schwester Wasser.

»Du willst doch nur gewinnen«, säusle ich.

Ich merke auf, der Mann, er holt mich, er saugt mich tief in seine Lungen, nimmt die Hände der Frau.

Ich könnte mich selbst anhalten vor Aufregung. Es ist so weit.

Er hustet, er räuspert sich, sie fragt leise: »Was ist?«

Schwester Sonne kitzelt seine Wangen, will ihn zum Niesen bringen, unfair, doch dann fasst er sich.

»Wenn wir wieder an Land kommen. Ganz sicher kommen wir das. Heiraten wir dann?«

»Du wolltest doch nie …«

»Jetzt doch.«

Ich halte es nicht mehr aus. Gewonnen, gewonnen. Ich fahre in die Segel, blähe sie auf, das Boot ruckt und nimmt Fahrt auf. Ich pfeife übers Wasser, habe ich es nicht gesagt? Ich schaffe es, ich bringe ihn zum Fragen.

Über den Wolken

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“.

Irgendwann, als ich noch ganz klein war, habe ich dieses Menschenlied einmal gehört. Es gefiel mir sehr und hat mich nicht mehr losgelassen. Seit ich eine kleine Brise war, von den Menschen als sanft bezeichnet, pfeife ich es jeden Tag.

Ich wurde eine größere Brise, die Menschen nannten mich steif, obwohl ich gar keine Knochen habe, die wie bei den Menschen verkalken könnten. Einigen da unten wurde sogar kalt, wenn sie mich bemerkten. In meiner Jugend fühlte ich mich schon richtig stark. Das brauchte mir niemand mehr zu erklären; ich konnte es am Stolz meiner Eltern und auch an den vielen Bäumen erkennen, die sich vor mir verneigten. Ich fand das durchaus angemessen, schließlich half ich im Herbst den Obstbäumen ihre Last loszuwerden. Es waren aber nicht alle meiner Meinung, und das hat mich wütend gemacht. Ich wollte von dem Zeitpunkt an nur noch wachsen.

Gestern habe ich einen gewaltigen Entwicklungsschritt gemacht. Ich habe, wie immer mein Lieblingslied vor mich hin pfeifend, den Morgen als „Schwerer Sturm“ begonnen, bin über die Nordsee gezogen und habe als Orkan die Wellen an die Küste getrieben. Das hat einen richtig großen Lärm gemacht, einige Deiche sehen nicht mehr so aus, als könnten sie sich mir und dem Wasser noch einmal schadlos entgegenstellen.

Meine Eltern und alle Freunde sind jetzt sehr stolz auf mich. In den Menschenzeitungen haben sie die nächtliche Flut nach mir benannt. Jetzt bin ich nicht mehr wütend.

Sturmvater

„Warum bist Du so zornig?“, brüllt Malena dem Meer zugewandt. Sie kauert zusammen mit ihrer kleinen Tochter hinter einem Steinwall, hoch oben auf der Steilküste. „Hör auf damit! Lass uns in Ruhe!“, ihre Tränen entreiße ich ihrem Gesicht. Zehn Meter unter ihnen in Richtung des Dorfes wird der winzige Fischereihafen von riesigen Brechern überspült. Die Boote sind ein Spielball meiner verheerenden Wucht. Die Fischerhütten verteile ich in Einzelteilen im Hinterland.

„Die Menschheit bildet sich ein, diesen Planeten zu besitzen, ihn zu beherrschen“, grolle ich in ihrem Kopf. Sie scheint sich nicht zu fürchten. Nicht so, wie vor dem schrecklich heulenden Pfeifen, das entsteht, wenn ich an scharfen Kanten vorbeirase. „Bist Du der Sturmvater? Opa hat mir Geschichten von Dir erzählt.“, fragt die Frau. Sturmvater! Ich kenne die Legenden über das Wesen, das alles auf den Ozeanen und an der Küste heimsucht und Unheil anrichtet. So war es schon immer bei den Menschen. Stets erfinden sie jemanden, um einen Schuldigen für ihre eigenen Untaten zu haben.

„Warum machst Du alles kaputt? Es gehört Dir nicht.“, Malena reißt mich aus meinen Gedanken. „ICH mache alles kaputt?“, bricht es lachend aus mir heraus. Gewaltiger als gewollt. „Was gehört mir nicht? Der Wind, Blitz und Donner, die See oder das Land?“, antworte ich etwas bedachter. „Du hast Recht, sie gehören niemandem. Und doch allen. Niemand hat das Recht, alles zu zerstören. Und doch tut ihr es.“, bei der Gewissheit an all die Vernichtung auf diesem Planeten brause ich ungewollt wieder auf.

„Aber was haben wir Dir denn getan?“, ihr Blick wandert suchend über die Stelle, wo vorher die Boote lagen. „Ihr betrachtet stets nur die kleinen Dinge um Euch herum und lasst dabei die großen Zusammenhänge außer acht.“. Sie scheint mich nicht zu verstehen. „Nach vielen tausend Jahren der Entwicklung hat die Menschheit schließlich Wege gefunden uns Naturgewalten zu beeinflussen. Allerdings nicht in Eurem Sinne. Ihr könnt die Abläufe nicht derart steuern, um Eurer grenzenlosen Gier zu dienen. Seid unfähig einen Lebensraum zu schaffen oder zu erhalten, ohne einen anderen zu zerstören. Und dennoch wird es für einen kleinen Teil von sogenannten Privilegierten immer wieder gemacht. Das einzige Ergebnis Eures rücksichtslosen Wirkens ist, dass Ihr Euch selbst die Lebensgrundlage entzieht. In der Erkenntnis, dass es zu spät oder zu anstrengend ist, eine Kehrtwende der Zerstörung einzuleiten, forscht Ihr lieber an der Möglichkeit, den sterbenden Planeten zu verlassen.“, lache ich erneut.

„Obwohl Du mit Deinem Zorn alles niederreißt, belustigen Dich doch unsere Taten?“, Malena scheint irritiert. „Den Planeten werdet Ihr nicht zerstören können. Doch vernichtet ihr jegliches Leben auf dieser Welt und schont Euch selbst nicht dabei. Bis niemand mehr übrig sein wird. Und wenn Jahrtausende später Mutter Natur sich wieder in Balance gebracht hat und die Menschheit längst vergessen ist, dann ist es wieder so wie es sein soll.“, brumme ich sanftmütig.

„Wenn wir Euch Naturgewalten nicht beherrschen können, warum entfesselst Du dann selbst solche Zerstörung?“, fragend hat sie ihren Blick in den Himmel gerichtet. „Ich folge lediglich den Naturgesetzen. Wir alle müssen ihnen folgen. Versteht die Anzeichen überall auf der Welt als letzte Botschaft. Es darf nicht so weiter gehen. Sonst habt Ihr Euch bald selbst ausgetrickst, Ihr ach so einfallsreichen Menschen.“, warnend ziehe ich mich zurück in größere Höhen und lasse auf der Erde vorerst Ruhe einkehren.

Malena nimmt ihre Tochter an die Hand. „Komm schnell, wir müssen sofort handeln und alle anderen warnen“. Das kleine Mädchen nickt ihrer Mutter zu und schaut grimmig auf das tosende Meer. Greta hat verstanden!

Zwei Liebende

Unten fahren zwei Verliebte Schlittschuhe auf dem zugefrorenen Dorfsee.Zauberhaft lasse ich ein paar große weiche Flocken fallen. Zärtlich nimmt er sie jetzt in seine Arme. Vor lauter Rührung fängt mein Schnee langsam an zu schmelzen. Als profane Regenwolke möchte ich nicht enden, ich muß höher hinauf. Vorher lasse ich noch eine große Schneeflocke - die schönste die ich habe - auf ihrer bezaubernden Nasenspitze fallen, die er sofort zärtlich beiseite wischt. Mir wird ganz warm dabei. Ich muß noch höher hinauf. Schade, damit verliere ich die beiden aus meinem Blick. Jetzt möchte ich auch eine hübsche wunderbar weiße Schneewolke umarmen…

Monsterschiff am Horizont

»Passt alle auf, da kommt schon wieder eines!«
»Warum brüllst du so, kleine Welle?«, fragte der warme Südwind, gelassen über die Meeresoberfläche schlendernd.
»Da ist ein Schiff am Horizont!«
»Na, und?«
»Das verstehst du nicht.«
»Dann erzähle es mir, damit ich es verstehe«, säuselte der Wind und weil mir sonst doch niemand zuhörte, platzte das ganze Leid aus mir heraus:

»Warum? Weil diese Dinger Monster sind und keiner was dagegen tut. Bereits beim Anblick einer Mastspitze vor der Sonne oder eines Schornsteins, der zwischen Wolken über die Erdrundung schielt, glitzere ich nervös hin und her. Denn es ist mir früher bereits passiert. Dieser Schmerz, als einst ein scharfer Bug mich zerteilte! Meine andere Hälfte verschwand im panischen Gedränge, seitdem lebe ich ein halbiertes Dasein. Ob ich als Viertel meiner selbst auch noch existieren könnte? Ich will es nicht erfahren. Das hat keine von uns verdient. Wir müssen uns wehren!«

Meine Schwestern tänzelten, kräuselten, hüpften milliardenfach um mich herum, eine jede in ihrem eigenen Spiel, sahen sie die Gefahr nicht? Warum ignorierten sie mein warnendes Plätschern?
Ich drängte mich hektisch gegen die nächsten Nachbarinnen, dehnte mich aus, soweit meine Oberflächenspannung reichte, und rief dem Wind zu: »Ja, es gelingt, sie öffnen sich, wir verschmelzen!«

Zu dritt vereint bäumten wir uns auf, ein kleiner Gischtkamm entstand, kräuselte kurz planlos auf uns herum und brach in sich zusammen.
»Puh«, jammerte eine Schwester mit meiner Stimme, mitten aus mir heraus und ich spürte, wie ihre Tropfen sich von meinen lösten. Neben mich geflossen, erklärte sie wieder im eigenen Tonfall: »Mehr schaffen wir doch nicht.«
»Das ist mir auch zu anstrengend«, meinte die Zweite, dümpelte unauffällig seitlich aus mir heraus und davon.
Sie hinterließ eine tieftraurige Leere in meiner ohnehin schon halbierten Seele.

»Es gibt Gerüchte, anderen sei es gelungen. Sie sollen sogar, mit Millionen ihrer selbst verschmolzen, nicht nur Schiffe versenkt, sondern ganze Uferstädte verwüstet haben. Doch meine Schwestern verstehen nicht, dass wir gemeinsam stark sein könnten. Ich kriege nicht mal drei zusammen. Sie glauben, das sei Seemannsgarn«, erklärte ich.

Nachdenklich schüttelte der Südwind ein paar winzige Wolkenfetzen am strahlend blauen Himmel.
»Da kann ich dir heute leider nicht helfen. Ich bin viel zu nett. Aber ich werde meinen wilden Bruder fragen, den Nordweststurm. Wenn er deine Schwestern zusammentreibt, rennen sie gewiss begeistert ineinander und wachsen über sich selbst hinaus. Glaub mir, beim nächsten Schiff wird alles anders.«

Die Gefahr am Horizont hatte unbemerkt von uns beiden ihren Kurs geändert und war hinter irgendeinem Rand der Erdkugel verschwunden. Für diesmal ging es glimpflich aus. Erleichtert reihte ich mich in den Reigen der anderen ein und entspannte unter dem Streicheln des warmen Lufthauches.

Der Südwind hatte nicht zu viel versprochen. Zwei Tage später, pünktlich als der nächste Schiffsaufbau drohend über den Horizont kroch, kam eine steife Brise auf und verkündete den nahenden Auftritt des berüchtigten Sturmes aus Nordwest.
Mir wuchs vor Aufregung ein modisches Wellenkämmchen, kurz bewunderte ich mein ungewohntes Aussehen in der Wasserspiegelung und dann war er da.

Die aus dem Norden machen ja nie viele Worte, der Sturm erfasste uns ohne Gruß oder Fragen von einer Sekunde zur anderen. Meine unzähligen Schwestern hüpften begeistert auf und ab, drückten sich gegeneinander und flossen zusammen wie ein Bienenschwarm, der aus vielen Kleinen ein neues Ganzes formt. Meine Ohnmacht wandelte sich zu unbändiger Macht. Nähere und fernere Wellen gesellten sich von außen hinzu und pressten von unten herauf. Ich fühlte meine einzelnen Tropfen nicht mehr, wir wurden eins und wuchsen. Einen Meter. Acht Meter. Zehn Meter. Zwanzig Meter? Als Welle bin ich noch schlechter im Schätzen von Metern als so mancher Schiffer in seinen Anekdoten. Was jener unglückliche Kapitän, der geradewegs auf uns zusteuerte, wohl in diesem Moment schätzte?

Meine Schwestern hoben mich in den Himmel, fast zwischen die Wolken, ich konnte dem Nordwester direkt ins Sturmauge sehen und er zwinkerte mir zu. Ganz oben vom Kamm, just während wir donnernd und brausend über dem Schiff einbrachen um es zu verschlucken, jubelte mein leises Stimmchen: »Yeah! Ich bin die Monsterwelle!«

Dummerweise flutschte ich im Übereifer durch einen sich vom Druck schließenden Türspalt in die Schiffskabine und ging in jener Wassermasse auf, die auf ewig im Wrack herumwabern würde. Ich wurde nie wieder eine Welle. Nicht mal ein Viertel davon.
Der Südwind strich jahrhundertelang vergeblich freundlich suchend übers Meer, um mich zu fragen, ob alles geklappt hatte.

Zeus

Nachdenklich runzelt der Fulgurator seine Stirn. Rätselt, ob mein Verhalten Drohung – Verheißung oder Warnung ausdrückt.
Ha! Diese Menschen sind so unterhaltsam.
Einige besonders vorwitzige Exemplare kommentieren das rollende, rumpelnde Geräusch, das auf ihre sonst so tauben Ohren trifft: „Die Götter scheiben im Himmel ihre Kegel.“
Nein. Ein Spiel ist es nicht. Und die anderen sogenannten Götter haben mit meinem Wirken nicht das Geringste zu tun. Ich alleine bin dafür verantwortlich. Deshalb hütet euch davor, meinen Namen laut auszusprechen. Echte Krieger wissen, über welche Kraft ich verfüge. Ehrfürchtig entzünden sie vor dem Kampf ein Feuer. Laufen mit bloßen Füßen über die Glut.
„Macht mir keine Schande, nicht im Kampf und nicht im Leben“, will ich ihnen zurufen.
Virtuos schleudere ich mein denkendes Feuer durch die Luft. Erfreue mich am Anblick des gezackten Lichtstrahls. Meine Waffen sind viermal so heiß wie die Sonne. In einem Atemzug könnte ich sie einmal um die Erde rasen lassen. Selbst Sand schmilzt unter der Macht meiner Blitze. Schockiert explodiert die Luft ringsum in alle Richtungen und erzeugt eine enorme Druckwelle. Erst wenn sie die Schallmauer durchbricht, erreicht das laute Grollen das Gehör dieser kosmischen Flöhe.
Gekonnt richte ich es ein, dass einer von zehn Blitzen am Boden einschlägt. So verschafft man sich Ehrfurcht. Weicht den Eichen! Geht auf die Knie, versteckt euch in euren Häusern und Blechkisten.
Meine Macht ist grenzenlos. Nur ich verstehe, dass das Universum nie entstanden ist und niemals enden wird und was es zusammenhält. Niemand kann mir das Wasser reichen. Der Mensch ist wie das Universum eine Maschine. Und ich bin der allmächtige Herrscher.

Was mein ist, ist mein

Ich stehe an der großen Fensterfront in einem der oberen Stockwerke des Gebäudes und blicke nach unten. Eine Gruppe von Menschen verlässt das Safe-Haus, ich sehe sie genau, in wetterfeste Mäntel gehüllt und mit Sauerstoffmasken ausgestattet. Wut kocht in mir hoch. Eine Gluthitze schlägt ihnen entgegen, beißender Wüstenwind zerrt an ihrer Kleidung und beschlägt ihre Schutzbrillen mit Sandkörnern. Ich weiß, wer sich unter den Trenchcoats aus Gabardine verbirgt: Es ist mein Harem, der sich unerlaubt aus der Stadt zu schleichen versucht.
Ein lautes Donnergrollen und eine dunkle Wolkenfront kündigen meinen nahenden Zorn an. Ein Blitz schlägt in das Dach des Glockenturms ein, Ziegelsplitter krachen auf den Asphalt. Ich hatte meine Frauen für klüger gehalten. Ich bin zwar nur der Wettergott, aber meine Kräfte sind nicht zu unterschätzen. Ich drückte mit aller Gewalt eine Wüstendüne nach der anderen in die Stadt, um ihnen die Fluchtrouten zu versperren.
Meine Musen öffnen ein Tor, fahren ein Automobil heraus und quetschen sich hinein. Sie düsen los. Auf der Hauptstraße ist eine Woge aus sich näherndem Sand in Sichtweite. Die Frau am Steuer weicht auf eine Nebenstraße aus. Die Windschutzscheibe ist von den Körnern verklebt und sie streifen eine Laterne. Funken sprühen, aber der Karren schlingert um die nächste Kurve.
Es schmerzt mich, mit wie viel Mut sie mir zu entkommen versuchen und doch macht es mich ein wenig stolz. Es ist ein süffisanter Gedanke, dass sie mich so fürchten. Dennoch verschwimmt mein Blick vor Kummer und gleichsam mit mir fängt der Himmel an zu weinen. Regentropfen prasseln auf die sandigen Straßen nieder und verwandeln sie in ein schlammiges Gelände, in dem es für die Reifen bald kein vor oder zurück mehr gibt.
Blitze krachen wie ein Trommelfeuer auf die Dächer der Stadt nieder, sprengen ganze Hausfassaden in Stücke. Unmengen von Wasser fällt auf den Quadratmeter. Die Kanäle sind dem Andrang nicht gewachsen und schon bald sind die Straßen überflutet. Die Damen entkommen dem Wagen, bevor ihn die Flut davon spült, und retten sich durch die Fassade einer Ladenfront, die eine von ihnen beherzt mit einem der heruntergefallenen Dachziegel einschlägt.
Der Pegel in der Stadt steigt und erreicht das obere Stockwerk, doch sie geben nicht auf und schieben ein Schlauchboot durch die Ladenfront. Sie drängen sich hinein, lösen das strapazierte Tau und werden auf eine Wildwasserfahrt durch die Stadt geschickt. Ich sorge mich, dass eine von ihnen ertrinken könnte. Mir wird eiskalt bei dem Gedanken und schlagartig sinkt die Temperatur in der Umgebung. Die Regentropfen werden zu Schneeflocken, das Wasser in den Straßen erstarrt zu Eis. Im Nuh sitzen sie mit dem Boot fest.
Dichter Dunst wabert mit der Abenddämmerung auf, Ausdruck meines Zweifels. Taschenlampen leuchten durch den Nebel, eine leuchtet ungewöhnlich hell. Offenbar haben sie eine Sturmlaterne dabei. Sie sind vorbereitet, allesamt schlaue Biester, womöglich lassen sie ja doch mit sich reden. Es erscheint mir wie ein Hoffnungsschimmer. Das Licht erleichtert mir, ihre Position auszumachen und meine Entscheidung.
Ich schicke die vier Winde los: Oreas kommt von Norden, beißt die erste von ihnen in den Nacken und wirbelt sie haarscharf an der zerborstenen Laterne vorbei zurück zur Eingangstür des Safe-Hauses. Euros tritt rasch aus einer Gasse im Osten, schmiegt sich heiß und warm an die zweite, so dass sie von der Hitze ohnmächtig in seine Arme sinkt. Notos, schlüpft aus dem Süden geradewegs unter den Trenchcoat und in die Unterwäsche der dritten, feuchtwarm macht er es gemütlich und zwingt ihren Körper, sich heimwärts zu wenden. Zephyros, empfängt die letzte von ihnen im Westen, die den anderen resigniert folgt, und flüstert ihr milde und aufmunternde Worte ins Ohr.
Ich werde sie liebevoll empfangen.

Blättertanz

Jedes Jahr zur gleichen Zeit werde ich wehmütig. Wir klatschen uns ab, er und ich. Ich liebe meinen Job, er seinen nicht. Ich zupfe nur an Mützen, lupfe mal das ein oder andere Trampolin. Indian Summer nennt mich der eine, Herbststurm der andere. Dabei bin ich nur ein Lüftchen. Ein Lüftchen, das Blätter tanzen lässt. Aber er, er frostet ohne Rücksicht auf Verluste. Er raubt. Er tötet. Er beerdigt. Ohnmächtig stehe ich daneben und hoffe, dass er irgendwann begreift, dass Vertrauen auch nur ein Anagramm von Liebe ist.

Erlösung

Ich beobachte das gewaltige Musikfestival am Fuß des Berges. Die Sonne brennt erbarmungslos auf die Teilnehmer herunter. Nachdem schon einige Leute wegen der Hitze kollabiert sind, haben die Veranstalter begonnen, den Zuschauerraum zu beregnen - doch die mickrigen Gartenschläuche sind nicht genug. Ein leichter Wind kommt auf und schiebt mich in die richtige Richtung. Nach einer Weile bin ich angekommen, ich, die gewaltige Regenfront. Ich schaffe es, genau im richtigen Moment meine Schleusen zu öffnen. Eine Unmenge riesiger Regentropfen prasselt auf die Teilnehmer herab, die die ersehnte Abkühlung feiern …

Nur ein Tropfen

Ach, ist es nicht herrlich, eine Wolke zu sein? Ich ziehe durch die Luft, blicke nach unten auf die Erde. Und die Leute schauen zu mir auf.
Ohne mich wäre der Himmel am Sommertag durchgehend blau – und langweilig. Vielleicht braue ich mich mit meinen Freunden zu einem Gewittersturm zusammen? Dann ruiniere ich den Leuten ihr Grillfest oder den Kindergeburtstag im Garten. Mal sehen, worauf ich Lust habe.

„Heute wird unser Spatz schon 1 Jahr alt“, sagt die Mutter und wiegt das Kind in ihrem Arm. „Nachher kommen Oma und Opa zu deiner Geburtstagsfeier“, redet sie auf das Kind ein, das kein Wort versteht. Es lächelt trotzdem – kann ja nicht schaden.
Der Vater dreht unterdessen besorgte Kreise auf der Terrasse. „Regen zieht auf“, unkt er beim Blick gen Himmel.

„Da drüben ist eine Siedlung, da ziehe ich hin“, denke ich mir und mache mich auf den Weg. Aber der Wind lässt nach, der mich schiebt. Ich muss mich strecken, um voranzukommen.

„Tagchen, Kleiner!“, begrüßt der soeben eingetroffene Opa zusammen mit der Oma seinen Enkel. Der lacht. Opa hat keine Haare mehr. Das ist praktisch, dann muss er sich nicht kämmen. Immer dieses Ziepen, wenn Mama oder Papa morgens die Babyfrisur bändigen wollen.
Der Vater, der immer noch auf der Terrasse kreist, wendet kurz den Blick vom Himmel ab und setzt dann seinen Nachwuchs in den Kinderstuhl.
„So, jetzt kannst du deine Geburtstagstafel bestaunen“, frohlockt die Mutter und zieht zum dritten Mal die Tischdecke straff.
Der Tisch steht auf der Terrasse und ist reich gedeckt. In der Mitte thront ein Kuchen und darauf eine einzelne Kerze.
„Wollen wir nicht zur Sicherheit doch nach drinnen …?“, sorgt sich der Vater.
„Nein, wollen wir nicht!“, entscheidet die Mutter. Resolut sein verkürzt so manche Diskussion. Ehefrauen wissen das. Stattdessen zündet sie die Kerze an.
„Soll das Kind etwa die Kerze …?“, setzt die Oma zu einer Frage an.
„Ja, es wird sie ausblasen.“
„Kein 1-Jähriger kann das. Keiner auf der Welt“, urteilt der Opa ohne Haare, aber dafür mit viel Lebenserfahrung.

Gleich bin ich da! Dort unten auf diese kleine Terrasse mit Leuten, dort werde ich meine Regenlast abladen. Verdammt, ich bin von all dem Recken und Strecken schon ziemlich dünn. Ich presse, dann werden die Tropfen gleich zur Erde prasseln. Doch nichts passiert. Ich muss mich mehr anstrengen. Ich bin schon ganz dünn. Nur 1 Tropfen, bitte!
Geschafft! Eine klitzekleine, runde Wasserkugel macht sich auf den Weg gen Erde.

„Du darfst das Kind nicht überanstrengen!“, sorgt sich die Oma, als der Kopf des Babys sich schon vom Pusten rot verfärbt. Die Kerze leuchtet unbeirrt. „Weiter!“, feuert die Mutter ihren Spross an.

Da bricht sich er Tropfen seine Bahn. Er fliegt und trifft – unbemerkt von all den Menschen – die Kerze. Sie erlischt.
Stille. Keiner der verblüfften Erwachsenen bekommt ein Wort heraus.
Nur das langsam abebbende Keuchen des Kindes ist zu hören.
Danach schallt der kollektive Jubelschrei durch die Siedlung. All die Nachbarn, die wegen des drohenden Regens schon halb auf dem Weg nach drinnen waren, recken die Köpfe.
„Was für ein Pracht-Kind!“, jubelt der Opa. „Ich wusste es doch gleich: Wenn es jemals ein Einjähriger schafft, eine Kerze auszublasen, dann du!“

Ich ziehe am Himmel entlang und bin nur noch ein Schleier. Na wartet, zum zweiten Geburtstag komme ich wieder, dann könnt ihr was erleben!

Die Düsternis eines Sturms

Das Meer war des Nachts in Finsternis gehüllt, als ich erwachte. Ein Sturm, gewaltig und unbändig. Ich wuchs allmählich heran und meine tief schwarzen Wolken glitten über das Meer, während ich Blitze entzündete um meinem Zorn Ausdruck zu verleihen.
Am Horizont sah ich ihn. Einen ahnungslosen, alten Raddampfer, der über die Wellen schipperte und sich des Reisens freute.

Ich entfesselte meine Kräfte, machte mir die Wasser zu nutze und peitschte die Wellen höher und höher. Wie eine kleine Nussschale warf ich diesen zerbrechlichen, kleinen Raddampfer hin und her. Seine Bemühungen gegen mich anzukämpfen waren so lächerlich wie auch erfolglos. Er ist wie ein Spielzeug in meinen Händen.

Mit jeder Welle die ich ihm entgegenschleuderte, wurde die Verzweiflung und Angst an Bord immer größer. Ächzen und Knarzen des Holzes verband sich mit dem Heulen des Windes der über den Raddampfer hinwegtobte. Der Captain versuchte sich aus meinem Griff zu befreien und mir zu entkommen, doch ich hielt sein Schiff umso fester umschlossen.

Schlussendlich erstickte Finsternis das Schiff, als riesige Wellen über es hereinbrachen und das Meer in es hineindrang. Ich zerfetzte die Segel und das salzgetränkte Meerwasser erstickte die Motoren des Dampfers. Die Schreie der Menschen waren nicht zu vernehmen, da mein Donner sie übertönte.

Meine Wut, einst so unbändig, wurde gebändigt als der Raddampfer mitsamt Besatzung von der See in die Tiefe gezogen wurde. Das Meer beruhigte sich und meine dunklen Wolken zogen weiter auf der Suche nach weiteren Opfern die mir anheim fallen würden.

Mit ein wenig Hilfe

Dunkelheit hat sich über die Stadt gelegt, nur durchbrochen vom Schein der Straßenlaternen. Unbesorgt ziehen die kleinen Menschen ihrer Wege, unwissend des baldigen Spektakels.

Sanft lasse ich die ersten Brisen sich ihre Wege durch die Häuserschluchten bahnen. Ich beobachte das tanzende Laub und wie es wieder sanft zu Boden gleitet. Dann ein Tropfen hier und dort. Unbeeindruckt scheinen sie davon zu sein, nur wenige beschleunigen ihre Schritte.

Ich lasse meine Blicke schweifen. Mit Freude sehe ich sie. Zwei Menschen offensichtlich an einander interessiert, doch zu schüchtern es zu zeigen. Vor Freude entfährt mit ein Blitz. Erschrocken blicken Sie nach oben. Ein wenig mehr Tropfen lasse ich ihren Weg zur Erde finden. Sie spannen ihre Schirme auf und beschleunigen ihren Gang. Immer stärker lasse ich die Winde durch die Gassen brausen. Geschickt entreiße ich ihr den Schirm. Behutsam zwängt sie sich zu ihm. Ein weiterer Blitz entfährt mir vor Freude.

Langsam und geduldig wie in ein Musikstück lasse ich es auf den Höhepunkt zu laufen. Der Regen prasselt immer kräftiger auf sie herab. Mit einer Böe entreiße ich den zweiten Schirm. Sie fangen an zu Laufen. Jetzt ist der Moment gekommen. Sintflutartig lasse ich den Regen herabstürzen. Vollends entfessele ich den Sturm. Unzählige Blitzen durchschneiden den Himmel. Ängstlich suchen sie dicht aneinander gedrängt Schutz in einem Hauseingang. Tief blicken sie einander in die Augen.

Mein Werk ist getan…

Für manche war ich ein notwendiges Übel, für manche eine Erleichterung. Ich konnte Tod und Leben bringen. Ich bemühte mich um Zweiteres, denn Ersteres ließ Schmerz und Angst in den Lebewesen zurück, und das wollte ich nicht. Nicht immer konnte ich kontrollieren, wie ich auf die Geschöpfe der Welt traf, doch ich war bestrebt darin, auf sie zu achten.

Jetzt zog ich, schwer und voll und etwas zittrig vor Anspannung am Himmel entlang. Ich spürte den wachsenden Druck in mir und wusste, dass ich mich nicht mehr lange würde halten können. Die Erde unter mir strahlte eine trockene Hitze aus, sie rief durstig nach mir und es knisterte ein wenig um mich herum. Dann spürte ich ein wellenartiges Beben und Dröhnen, das zu mir hinaufschallte. Die Schwingungen kitzelten mich und ich ließ ein paar Wassertropfen fallen, die sofort gierig vom Boden aufgesogen wurden.

Das Beben und Wummern machte mich neugierig. Ich schleppte mich träge und schwer noch ein Stückchen weiter voran und ließ mir dabei von einer warmen Windbö helfen. Dann sah ich sie. Kleine Menschen, die sich rhythmisch auf einer weitläufigen Wiese zu vibrierenden Klängen bewegten. Die Klänge schienen aus großen schwarzen Kästen zu kommen, ich spürte die Schwingungen, die mich irgendwie ansteckten. Mein Körper begann im Takt zu vibrieren und ich beeilte mich, schnell näher zu kommen.

Mein vollgesogener Körper begann dabei gefährlich zu wippen und als ich näher kam, wehte ich die Haare der Menschen durcheinander und stippte einigen feucht auf die Haut. Einzelne Menschen drehten sich zu mir um und zeigten auf mich. Manche sahen ein bisschen beunruhigt aus, aber die meisten bewegten sich einfach weiter zu den Klängen. Ich kam näher, unterwegs hatte ich bereits eine feuchte Spur auf der trockenen Erde hinterlassen.

Dann, über den Menschen, erzitterte ich so sehr unter dem Dröhnen, dass ich vor Schreck und Vergnügen unzählige kleine Wassertropfen auf die Menschen fallen ließ, die ich so mühsam zurückgehalten hatte. Dazu entfuhr mir ein tiefes Grollen. Einigen Menschen entfuhr ein Kreischen, andere wurde ganz stumm. Scham durchzuckte mich.

Dann sprangen sie plötzlich kreischend auf und nieder, drehten sich, rissen ihre Arme hoch und hielten ihre nun feuchten Gesichter in meine warmen kleinen Tröpfchen. Oh, sie mochten es?! Dann musste ich mich nicht länger zurückhalten. Ich entspannte mich, ließ alles Wasser herausregnen, das ich hatte, drückte noch ein wenig nach und wirbelte meinen erfrischendsten Wind über den Platz. Ich genoss das Kreischen und Platschen und Vibrieren. Ich genoss es, heute für die Lebewesen eine Erleichterung zu sein.

Die achte Plage

Während sich Chester schwitzend den Damm hinauf quälte, schien die Kante der Böschung wie ein Vorhang auf ihn herabzugleiten und die Sicht auf etwas freizugeben, was sein Leben und das Millionen anderer grundlegend verändern sollte. Er redete sich ein, dass alles okay sein musste, aber sein Gewissen durchkreuzte diesen halbherzigen Versuch, indem es Unsicherheit, Zweifel und Misstrauen einstreute. Als er über den Rand der Böschung trat und realisierte, was seine Augen erblickten, weckte es eine Angst in ihm, wie er sie zuletzt als Kind verspürt hatte. Chester war durch und durch Amerikaner. Business, Money, Besitz, Familie, der American Way of Life eben, waren wie ein Naturgesetz für ihn. Amerika war die Welt und die Welt war Amerika. Das war bei seinem Großvater so gewesen, das war bei seinem Vater so und verdammt nochmal, so würde es auch bei ihm sein. Alles andere waren Fake News, die von irgendwelchen Spinnern in die Welt gesetzt wurden, um ihm und den Erfolgreichen den Tag zu vermiesen, den wohlverdienten Erfolg ihrer Arbeit streitig zu machen und Unfrieden zu stiften. Dieses tief verankerte und fest gebaute Haus aus Lebensprinzipien und unveränderlichen Wahrheiten, welches er errichtet hatte, um ihm ein Leben lang Sicherheit zu bieten, ächzte in allen Fugen und die Wände durchzogen tiefe Risse; über Jahrzehnte perfekt in Takt, jetzt in seinen Grundfesten erschüttert.

Sein Geist war noch immer damit beschäftigt zu verarbeiten, was seine Augen sahen, während sie wie gelähmt über die Landschaft krochen. Der Lake Oroville war der zweitgrößte Stausee in Kalifornien und er hatte damit gerechnet, dass der Wasserspiegel stark gesunken sein musste. Die Meldungen über Wasserknappheit, die Aufforderungen Wasser zu sparen, die Verbote den Rasen mehr als zweimal die Woche zu wässern, hatten sicher Gründe. Er hatte sich darauf eingestellt, dass er einige zig Meter, vielleicht sogar Hundert oder Zweihundert Meter laufen musste, um den Rand des Sees zu erreichen. Vielleicht würden einige Boote auf dem Trockenen liegen. Der Uferstreifen würde sicher deutlich grösser als gewohnt sein. Es war eben Trockenheit, sowas hatte es schon immer gegeben, kein Grund zur Panikmache. Mal ist der See voll, mal ist der See eben leerer, dann regnet es und alles ist wieder okay.

Was er aber jetzt sah und Stück für Stück begriff, war etwas völlig anderes. Der See war, ja, man konnte es nur so nennen, zu einer winzigen Pfütze zusammengeschrumpft, die weit unter ihm in der Talsohle in der Sonne glänzte. Der ehemals so große und herrliche See war verschwunden. Wo ihn sonst frische, feuchte Luft empfangen hatte, waberte ihm heute eine schwere heiße Dunstglocke entgegen, die faulig nach Algen und altem Fisch roch und Übelkeit verursachte. Er schluckte, verdrängte den Geruch und lief weiter in die Senke zum Wasser hinunter. Er hörte keine Vögel, keine Enten oder sonst irgendwelche Tiere, es war bedrückend still. Der Boden war sandig und gab unter seinen Schritten nach. Falls es hier Wasserpflanzen gegeben hatte, dann waren sie jetzt jedenfalls komplett verschwunden, keine verdorrten Reste, nichts. Während er in die Senke hinunterstieg, wurde der warme Wind schwächer und setzte dann komplett aus; in der Windstille begann er zu schwitzen und nach wenigen Minuten klebte sein Hemd wie eine zweite Haut an seinem Körper. Der Boden zeigte nun die typische Struktur ausgedörrter Wasserflächen, mit den ovalen, schindelförmigen Bruchstücken, die den gesamten Boden wie Narbengewebe überzogen. Er nahm die ersten Reste von Algen und abgestorbenen Wasserpflanzen wahr, fast völlig eingetrocknet; Fliegen summten um sie herum. Die Luft war wie in einer Sauna nach einem Aufguss, heiß, extrem schwül, stickig und nach Fisch und Algen stinkend. Ihm wurde übel und er rutschte auf den feuchter werdenden Bruchstücken des Bodens aus und stürzte. Er fluchte, stand wieder auf und versuchte sich keuchend und schwitzend vom Dreck an seiner Hose, seinen Armen und Händen zu befreien; vergeblich, das Zeug klebte an ihm wie Spachtelmasse. Er schlurfte schwitzend, entgeistert weiter dem Rand der Pfütze entgegen, während seine Energie, seine Motivation in Strömen aus seinem Körper flossen. Am Rand der muffigen, trüben Suppe angekommen, konnte er seinen Brechreiz nicht mehr bändigen und er übergab sich. Als er wieder zu Atem gekommen war und seinen Blick über die Naturruine schweifen lies, drängte sich ein schwelender Gedanke mehr und mehr in sein Bewusstsein und er begriff mit einem Schlag, dass dies das Ende seines bisherigen Lebens war und wahrscheinlich auch das von Millionen weiterer Menschen.

Damit hatte er Unrecht. Es war das Ende des bisherigen Lebens von Milliarden!

Der Sonnenschein trieb euch in den Schatten eurer Unsicherheit.
Ich ließ Regen über das Land gießen, doch ihr wart unter verschiedene Dächer geflüchtet.
Windstoß für Windstoß wollte ich euch gegenseitig in eure Arme treiben, aber ihr habt hinter massiven Mauern Schutz gesucht.
Ich dachte, würde es nur kalt genug, werdet ihr die Wärme des anderen endlich annehmen.
So bedeckte ich jedes Haus, und jede Baumkrone, mit einer dichten Schneedecke. So romantisch erstrahlte der kleine Ort, wie aus einem alten Gedicht entsprungen.
Gespannt wartete ich, jedoch wärmte jeder einzeln seine Hände am Kaminfeuer.
Es machte mich wütend, dass ihr es nicht sehen konntet, was doch so offensichtlich war.
Es brodelte in mir, der Donner grollte durchs Tal.
Diese Selbstsucht, die Uneinsichtigkeit, der Egoismus.
Mit geballten Kräften schlugen die Blitze nieder, der Schauer fiel schwer, bis sich Mulden im Schotter auftaten. Ohrenbetäubendes Rauschen schickte ich los und den Boden unter euren Füßen ließ ich erbeben.
Sie spürten, dass jenes Gewitter anders war, als jedes zuvor erlebte. Sie wussten, dass ich nicht Ruhe geben würde, bis sie sich wieder liebend in den Armen halten.
Nur sehr wenige Augenblicke später, trafen die ersten Sonnenstrahlen die Erde, auf welcher sie sich nach Monaten wieder umarmten.

„Heda, herbei meine Mächte und Gewalten. Her zu mir, es gibt zu tun!“. Wellen brachen sich mit einem donnernden Echo an der Küste. Der Meeresgott höchstselbst, umgeben von aufbrausender Gischt, mit einer Geste, die keinen Widerspruch duldete, beorderte uns zu sich. Mein Kollege, der Sturm brauste und rumpelte schon ungeduldig und bohrte sich als Wirbel in Poseidons Meerespalast. Sein Tosen drückte Poesie aus. Inmitten einer Identitätskrise gefangen, wollte er als der Poet der Zerstörung gelten, ein Schöpfer dramatischer Geschichten am Himmel, der mit Blitzen und Donner seine ungeschriebenen Gedichte rezitierte. Verzweifelt die Anerkennung als Künstler suchend, drohte seine Krise, ihn zu extremen Taten zu treiben, die uns alle gegen ihn aufbringen könnten.

Die Dürre schlich staubig und trocken herbei. Eine geduldige Lehrerin der Demut, mit einem Ultimatum als Dreingabe: Wenn Menschen weiterhin die Gaben der Erde missachten, würden sich ausgedörrte Risse wie gierige Finger über das Land strecken, jeden Halm und jede Blüte in ihrem knöchernen Griff ersticken. Dieser Anspruch lastete schwer auf unserem Gemüt. Ließe sich eine Lösung finden, bevor die Dürre nicht mehr zu besänftigen war? Ich hingegen, die Flut, plätscherte in dem mir eigenen Rhythmus heran. In mir trage ich die reiche Erfahrung einer Lehrmeisterin. Ich bin jederzeit bereit, den Menschen mit Geduld die Lektionen von Demut und Respekt vor der Natur zu erteilen. Wenn der Gott des Meeres es befiehlt.

Da stach der mächtige Hippios, der Zeusbruder Poseidon, mit seinem Dreizack in die Erde und das stürmische Grollen eines Seebebens folgte. Er empfand seine Missachtung als „abgelegte Gottheit der Antike“ für eine Demütigung, die den Tiefpunkt seines Abstiegs in den Rängen der Götter markierte. Sein Begehr war, dass wir, seine Naturgewalten, diese unehrerbietigen Menschen wieder aufrütteln und seinen Rang wiederherstellten. Unser Disput war so stürmisch wie das Keifen mittelalterlicher Scholastiker. So kollernd wie der Sturm, der mit seiner Sehnsucht nach Poesie den Himmel zu seinem Theater machte. So hart wie die Dürre, die in ihrer zehrenden Kargheit eine Lektion der Wertschätzung des wenigen erteilte. Und so unberechenbar wie ich, deren menschenmordende Kräfte schlummerten. Jeder von uns wollte die Aufgabe übernehmen, Poseidons Macht zu demonstrieren. Als wir zu keiner Einigung kamen, entschied Poseidon, dass ein Mensch – ein gewisser Bauer Jorgo aus Nauplia – über unseren Auftrag zu entscheiden hatte. Er hatte das „Glasauge des Polyphem“, das Sendzeichen an die Naturgewalt zu überreichen, die er für würdig hielt.

Stumm hörte Jorgo unsere Argumente. Der Sturm prahlte mit seiner Kraft und der Eleganz seiner Wirbel, die Dürre mit ihrer Ausdauer und der Stärke ihrer Lehren und dem drohenden Ultimatum. Und ich? Milde gestimmt erzählte ich von den sanften Wellen, die auf mein Geheiß das Land schmeicheln würden. Und den stillen Lektionen, die ich im Rhythmus des Wassers vermittelte, ohne das volle Ausmaß meiner Fähigkeiten zu offenbaren.

Und Jorgo wählte mich, die Flut. Er sah etwas in mir, das weder der Sturm noch die Dürre boten: die Macht, Leben zu bringen und zu nehmen, zu zerstören und doch zu nähren, aber auch die Geduld und Weisheit, die nötig sind, um die Menschheit zu lehren und zu führen. Mit einem tiefen Verständnis für die Bedeutung des natürlichen Gleichgewichts, die zu übermitteln ich auslobte, überreichte er mir das Glasauge, meine Legitimation, und ich schwor, es würdig zu tragen.

Als später meine Sendboten, die Wellen, in das Land eindrangen, gafften die Menschen zunächst bloß und zückten ihre Mobilphone. Sie sahen nicht den Zorn Poseidons, sondern eine Sensation für ihre „Selfies mit Flut“. Der willkommene Anlass eines heftigen Tweetsturms. Als ich mich zurückzog, blieb eine gewandelte Welt zurück, in der das einst wilde Land in sattem Grün strahlte und die Sonne sich in den sanft wogenden Wellen spiegelte. Die überfluteten Felder verwandelten sich in fruchtbare Ebenen. Kinder spielten erneut an den Ufern der Flüsse, die vormals begradigt, kanalisiert und gezähmt waren und von Neuem in geschwungenen Mäandern zum Meer strebten. Die Menschen, die sich zuvor hinter geschlossenen Türen zu verschanzen, mit zu ihrem letzten Damm aufgestapelten Sandsäcken sich zu erwehren suchten, standen zusammen. Sie verstanden die Lektionen, die ich zu lehren hatte. Sie pflanzten Blumen entlang der Flussufer zum Zeichen des Dankes – jede Blüte ein stilles Versprechen, die Natur zu ehren.

Jetzt sitze ich hier, eine alte, viel besungene Flut. Mich umgeben meine zahlreichen Enkel und lassen sich erzählen von jenem Tag, an dem ein Bauer den Gott Poseidon herausforderte und mich, das lebenspendende Wasser, wählte. Ich lehre die Bedeutung von Respekt vor dem, was wir nicht kontrollieren können – und die Achtung dessen, was natürlich gewachsen ist. An irgendeinem Strand dieser Welt spielen meine Wellen mit dem Auge Polyphems. Poseidon verlor das Interesse an Verehrung auf einer ihm fremden Erde ohne seine abgelegten Mitgötter. Letzte Tweets deuten an, dass er mal wieder versucht, seinem Neffen Minos einen Stier abzujagen.

Föhn

Es regnet südlich der Alpen. Schwere Regenwolke hängen über dem Land. Hier heisse ich Südwind und treibe sie unaufhörlich vor mir her, bergwärts. Und genau am höchsten Kamm bocken die Wolken, wollen nicht mehr weiter und bilden aus Wolkentürmen eine Föhnmauer. Mir wird so leicht, ich entfliehe den Begleiterinnen und stürze mich ins Tal hinunter. Immer schneller, immer heisser. Ich rüttle an Fensterladen und was nicht fixiert ist fliegt! Die Sicht ist hier klar, Berge zum Greifen nah. Die Leute klagen über Kopfweh, sind übel gelaunt oder gar depressiv. Von Holzherden oder verlassenen Feuerstellen habe ich schon oft Glutreste aufgewirbelt und weit herum getragen. So stehe ich im Rufe eines Brandstifters und früher mussten die Hausfrauen auf obrigkeitlichen Befehl hin Öfen und Herde löschen, wenn ich im Anzug war. Wenn ich gut drauf bin, so gelingt es mir, Bäume zu entwurzeln oder zumindest Äste herunterzubrechen. Gnad dem, der dann nicht rechtzeitig Schutz gefunden hat. Doch heute heule ich eher gemächlich durchs enge Alptal, hinaus auf den Urnersee, den ich zu Meterwellen aufwühle. Am Ufer blinken die orange-gelben Sturmwarnungen mit der grössten Frequenz. Einige unverdrossene Surfer jage ich trotzdem mit atemraubender Geschwindigkeit übers Wasser, hin und her, her und hin bis sie tauchen. Ich aber stürme weiter. Erst als ich den engen Talkessel verlasse, kann ich mich etwas beruhigen. Ganz verliere ich mich aber erst viel weiter weg, irgendwo jenseits des Rheins.

Ich bin die Sturmwind gewordene Apokalypse

In einem wütenden Tanz umwirbeln meine Wolken die belebte Stadt, ein gewaltiger Sog, der die Menschen in den Wahnsinn treibt. Bäume biegen sich vor meiner tobenden Macht, und meine Donnerschläge hallen wie finstere Prophezeiungen durch die Straßen. Ein Schurke lauert im Schatten meiner Blitze. Seine finsteren Pläne gedeihen im Chaos entfesselter Wut.

Ich bin die Sturmwind gewordene Apokalypse, der Donner, der das Universum erschüttert. Eure Stadt wird zum Schauplatz eines gigantischen Dramas werden, in welchem die Elemente zu den Antagonisten des Menschen werden. Ihr flüchtet in das Labyrinth eurer engen Gassen, getrieben von der vergeblichen Hoffnung auf Schutz. Eilt durch das höllische Inferno zu den Schutzräumen. Irre Schreie schrillen krasse Dissonanzen zu meinen krachenden Beats. Doch selbst noch in dieser elementaren Verzweiflung formiert ihr einen letzten Widerstand gegen mich und die Finsternis, die meinen Furor für ihre Ziele missbraucht.

Blitze erhellen für Sekunden eure entschlossenen Gesichter. Ihr wagt es meiner Raserei zu trotzen mit einem letzten Hauch von Mut? Doch ihr kämpft nicht nur gegen meine ungezügelte Natur, sondern auch gegen den das darunter verborgene Böse. Oh ja, erst einmal in die Enge getrieben, verbindet ihr euch zu einem zähen Widerstand aus gattungsgemäßer Solidarität und dem blinden Überlebenswillen des Individuums. Mit festen Griffen klammert ihr euch aneinander fest, als wäret ihr rattige Anker gegen meine ozeanisch zerrende Kraft. Gemeinsam errichtet ihr improvisierte Barrieren aus allem, was ich euch hasserfüllt entgegen schleudere: Mülltonnen, Autoreifen, leicht wie Federn herumfliegende Balken, tonnenschwere Baukräne, Barbiepuppen und schicke bajuwarische Teddybären.

Einige von euch ergreifen Zuflucht zu symbolischen Gesten, entfachen lodernde Feuer, um die ihr endzeitlich verzückt herumtanzt, als wolltet ihr mir damit eine gänzlich andere Energie entgegensetzen. Andere von euch versuchen mit lauten Rufen und Gesängen meine Donnerschläge zu übertönen, als könnten sie die Natur allein mit ihrer Entschlossenheit übertrotzen. Fensterläden werden verstärkt, Türen mit improvisierten Verstrebungen versehen. Hysterisch fuchtelnde Hände formen lächerliche Schilde aus Müllsäcken, Regenschirmen oder eisenbewehrten Mehrzweckplatten. So wird eure Stadt zum endzeitlichen Schauplatz einer kollektiven Verteidigung, in der ihr armen Menschlein eure Kreativität und Solidarität nutzt, um euch gegen meine empörte Natur und die darin verborgene Schurkerei der Dunkelheit zu behaupten.

Inmitten meines Rasens gelingt es euch dennoch, einen magischen Funken zu entzünden. Einige, von einer geheimnisvollen Energie durchdrungen, erheben ihre Hände und formen schimmernde Barrieren aus Licht, die meiner wilden Winde wehren. Ihre Augen leuchten im Einklang mit der Magie, die sie beschwören und ihre schwach scheinenden Gesten wirken wie ein choreographierter Titanentanz gegen meine alles zerstörende Kraft.

So erscheinen plötzlich leuchtende Symbole und Runen, gewoben von unsichtbaren Händen, auf den Flanken meiner alttestamentarisch erzürnten Wolkenberge. Auf einmal verschmilzt diese Magie mit anderen, hellen Elementen zu einem geheimnisvollen Bündnis, als hätte die Menschheit Kräfte der alten Lade entfesselt, die noch sehr viel älter sind, als die ältesten Stürme.

Der dunkle Schurke, der mich missbrauchen wollte, sieht sich nun einer unerwarteten Opposition der Helligkeit gegenüber. Die Lichtbarrieren potenzieren sich in ihrer Wirkung und schließlich scheint eine unsichtbare Hand weit höherer Macht mich gebieterisch zu zähmen. Meine wütenden Winde legen sich, der Donner verebbt, die Dunkelheit weicht einem sanften Glühen. – Es werde Licht!

Der Schurke, der in meinem Schatten lauerte, wird von der Entschlossenheit der Menschen überwältigt. Seine finsteren Pläne zersplittern wie Glas, und er verschwindet in den Wirbeln meines Rückzuges in die kalten Winterberge. Die Stadt, einst von Zerstörung bedroht, erhebt sich wie ein neu geborenes Atlantis österlich aus ihren Ruinen. Ein Ort vergessener Legenden, der durch die Magie und den Zusammenhalt der Menschen wieder aus den Tiefen der Geschichte emporstieg. Die Sonne wirft goldenen Strahlen auf ihre Türme und Zinnen, lässt Türkise im sanften Licht erstrahlen. Die Menschen, nun vereint in ihrem Triumph über die Naturgewalt und den darunter verborgenen, finsteren Absichten, treten aus ihren erbärmlichen Schutzräumen hervor. Ein Gefühl der Einigkeit durchzieht dennoch die zerstörten Straßen. Verborgene Blicke anerkennenden Respekts und der Dankbarkeit werden untereinander getauscht. Endlich bricht die Sonne durch die Wolken. Ihre Strahlen entwerfen ein altmeisterliches Bild der Hoffnung auf den regennassen Straßen. Der Himmel klart weiter auf und wird am Ende zum Symbol für die unbändige Kraft des Menschseins, dem Zauber und Fluch, der in ihrer unterschätzten Einigkeit liegen kann.

Perfektes Wetter für ein Spiel

Während ich alles aufbot, was mir zur Verfügung stand (peitschender Regen, tennisballgrosse Hagelkörner, Blitz, Donner, Sturmböen), standen der Held und der Schurke unglücklich im Hauseingang der Mietwohnung des Schurken in die der Held gerade eingedrungen war.
«So eine Gemeinheit.», schimpfte der Held, «Wir sollten doch jetzt den Endkampf mit Jetpacks über der Stadt führen.»
«Bei dem Wetter», antwortete der Schurke missmutig, «kannst du dir das in die Haare schmieren. So ein Kampf wäre unter diesen Bedingungen viel zu gefährlich. Jemand von uns könnte sich ja verletzten.»
«Ja aber was machen wir denn jetzt?», fragte der Held.
Der Schurke dachte kurz nach, zuckte mit den Schultern und sagte: «Ich schlage vor wir gehen wieder rein, bevor wir noch nass werden.»
Damit drehte er sich um und ging zurück zur Tür, die er öffnete und dann dem Helden mit einer Handbewegung bedeutet zuerst einzutreten.
Da der Held zögerte schickte ich eine kräftige Böe aus, die einen Schwall schwerer Regentropfen in den Hauseingang wehte und klatschend auf den Held traf.
Nun hatte es der Held plötzlich eilig ins Haus zu kommen. Als er hinter dem Schurken das Treppenhaus hinaufstieg zögerte er dann nochmals, obwohl er wegen seiner durchnässten Kleider bereits zitterte.
«Aber können wir später sagen, dass du mich entführt hast?», fragte er den Schurken.
Dieser drehte sich um, zog eine Augenbraue in die Höhe und nickte dann gleichmütig.
Kurze Zeit später sassen sie in der gemütlich eingerichteten Wohnung des Schurken in zwei Polstersessel, während ich in gemütlichem Takt mit grossen, fetten Regentropfen gegen die Fenster pochte und die Regenrinne füllte, so dass es darin lustig gluckerte.
Da sie die gleiche Grösse hatten, hatte der Schurke dem Helden einige seiner Anziehsachen geliehen, damit sich dieser in seinen nassen Kleidern keinen Schnupfen holte und seine nasse Kleidung im Badezimmer trocknen konnte.
Einige Minuten sassen der Schurke und der Held schweigend in ihren Sesseln und lauschten dem Geräusch der Regentropfen, beobachteten die Blitze, die ich in immer neuen, ausgefallenen Formen über den Himmel jagte und lauschte dem dunkel, grollenden Donner, den ich auf jeden Blitz folgen liess.
Lange hielt es aber der Schurke nicht auf seinem Sessel aus.
Schon bald stand er auf und verschwand in der Küche. Er kam mit einer Kanne heissem Kakao und zwei Tassen zurück.
Der Held starrte mit verkniffener Mine auf die Tassen und die Kanne, die der Schurke auf den niedrigen Tisch zwischen den Sesseln stellte.
«Als ob ich irgendetwas trinken würde, das du mir anbietest. Ich weiss doch, dass es vergiftet ist.», sagte er und spie die Wörter dabei aus, als wären sie selbst ein Gift, das er ausspeien müsse.
Der Schurke seufzte und erwiderte gleichgültig: «Tu was du nicht lassen kannst.»
Er nahm die Kanne, füllte eine der Tassen, setzte sie an die Lippen und trank sie langsam und genüsslich aus. Er zeigte dem Helden die leere Tasse und füllte sie sich erneut.
Der Held schaute nachdenklich auf die Kanne. Er roch wohl den leckeren Kakao.
Einen Moment rang er noch mit sich, dann goss auch er sich eine Tasse ein und nippte misstrauisch an dem Getränk. Offenbar war es so lecker, dass er den restlichen Inhalt seiner Tasse in einem Zug hinunterstürzte.
Wieder war es einen Moment still.
Dann sagte der Schurke: «Hättest du Lust ein Spiel zu spielen?»
«Wie bitte?», fragte der Held in einem Ton als hätte er sich verhört.
Der Schurke zuckte entschuldigend mit den Achseln und sagte: «Mir ist langweilig.»
«Vielleicht hört es ja bald auf…», begann der Held, aber in diesem Moment knallte ich mit einer besonders starken Böe eine besonders grosse Menge Regentropfen auf die Fensterscheibe und der Held wandte sich nun interessiert dem Schurken zu und fragte: «Was hast du denn für Spiele.»
Es stellte sich nun heraus, dass der Schurke obwohl ein Computernerd auch ein Liebhaber von Brettspielen war.
Der Held und der Schurke einigten sich schliesslich auf das Spiel «Wer wars» in dem die Spieler gemeinsam den Dieb eines mächtigen Zauberrings entlarven müssen.
Es dauerte zwar eine Weile, bis der Held begriff, dass er mit dem Schurken und nicht gegen ihn spielen musste, aber nachdem er das kapiert hatte, klappte es ganz wunderbar und sie waren ein perfektes Team.
Runde um Runde spielten sie, probierten auch andere Spiele aus, aber am Ende fanden sie immer wieder zu «Wer wars» zurück.
Sie waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie gar nicht bemerkten, wie ich allmählich an Kraft verlor. Der Regen wurde schwächer, zu Hagel, Blitz und Donner war ich schon länger nicht mehr in der Lage und die Sonne drückte immer energischer gegen die dichte Wolkendecke, bis sich diese schliesslich ebenfalls zerstreute und ich nur noch in einigen schwachen Windstössen präsent war.
Der Held und der Schurke bemerkten das schöne Wetter draussen, als sie gerade wieder eine Partie beendet hatten.
«Nun könnten wir unseren Kampf führen.», sage der Held.
«Es wären beste Bedingungen.», pflichtete ihm der Schurke bei.
Der Held wandte sich vom Fenster ab und dem Schurken zu: «Aber was hälst du von einer letzten Partie.»
Der Schurke lächelte, nickte erfreut und begann mit dem Aufbau einer neuen Runde «Wer wars».
Hab ich das nicht toll hingekriegt?