Die Wahrheit hat blaue Augen
Caroline überlegte fieberhaft, wie sie das Gespräch mit Konrad beginnen sollte. Ihr fiel nichts ein. Aber sie musste mit ihm reden! Dringend! Noch bevor Paula aus Hannover zurück sein würde. Unbedingt!
Als sie den Schlüssel im Haustürschloss hörte, zuckte sie unwillkürlich zusammen.
Sekunden später stand Konrad im Wohnzimmer, schüttelte sich ein paar Regentropfen aus dem immer noch dichten Haar und ließ sich in einen Sessel fallen.
„Mylady hat ihren Zug gerade noch erwischt. Wir haben unseren Spaziergang so weit ausgedehnt, dass es knapp wurde. Die alte Dame ist eben doch nicht mehr so gut zu Fuß“, plauderte Konrad drauflos, wie er es meistens tat, wenn er nach Hause kam.
„Worüber habt ihr gesprochen?“, quälte sich Caroline schließlich ab, nur um etwas zu sagen.
„Wir haben über unsere Töchter gesprochen. Stell dir vor, es ist bei Paula und Johanna ganz ähnlich wie bei meinem Bruder und mir damals – sagt Mama. Arnulf war fleißig, strebsam, ehrgeizig. Ich habe es lieber ruhiger angehen lassen, wie du ja weißt. Dafür hatte ich viele Freunde, habe Sport gemacht und alles ausprobiert, was mich interessierte. Das scheint bei unserer Kleinen ganz genauso zu sein, während Johanna nur Pflicht und Arbeit kennt. Aber etwas ordentlicher könnte Paula für meinen Geschmack sein. Das hat sie eindeutig von dir, nicht wahr, Engelchen?“ Jetzt grinste Konrad.
„Kann schon sein“, entgegnete Caroline hastig und strich sich mit beiden Händen die Haare aus dem glühenden Gesicht. Seinen Blicken wich sie aus, was er nicht zu bemerken schien.
„Mama hat sich übrigens wieder einmal über Paulas Augenfarbe gewundert, wo doch deine Augen braun, meine grün und Johannas bernsteinfarben sind. Ich habe nur gesagt, dass ich Paulas blaue Augen höchst attraktiv finde. Sie stehen in einem wunderbaren Kontrast zu ihrem dunklen Haar.“
Caroline schluckte. „Hast du das nicht immer für eine reizvolle Spielerei der Natur gehalten?“, presste sie mühsam hervor.
„Ja, schon. Aber wie sich das vererbt hat, wollte Mylady wissen. Ich konnte es ihr nicht erklären. In der Schule fand ich Genetik immer zu kniffelig. Engelchen, weißt du das nicht?“
Das war jetzt zu viel. Zwischen Fluchtreflexen und dem Wunsch, laut zu schreien, kam sich Caroline wie gelähmt vor.
Konrads erwartungsvolle Blicke brannten sich in ihr Gesicht. Als das Schweigen unerträglich wurde, nahm sie all ihren Mut zusammen und sagte: „Paula ist das Kind eines anderen Mannes“, wobei sie ihre eigene Stimme kaum wiedererkannte.
Konrad sah seine Frau ungläubig an. Allmählich zeigten sich Fältchen in seinen Augenwinkeln, und der Mund zog sich in die Breite. Dann lachte er laut und schlug sich mit den flachen Händen auf die Oberschenkel.
„Oh, das war der beste Gag seit Langem. Nein, wirklich. Dein Gesicht sah aus wie eine Maske, dass ich im ersten Moment dachte, du meinst es ernst. Großartig, Engelchen! Schade, dass Mylady das nicht gehört hat.“
Mühsam unterdrückte Caroline einen tiefen Seufzer und quälte sich ein schiefes Lächeln ab. Unglaublich, dass Konrad ihr Herz nicht schlagen hörte. Ein weiterer Aufschub. Ob sie darüber erleichtert sein sollte, wusste sie nicht.