Nicht vermischen.
Ich habe mich verflüchtigt!
Nein, nicht geflüchtet! – Verflüchtigt!
Rechtzeitig. Bevor sie mich mit Zusatzstoffen verfälscht hätten.
Ich bin perfekt, so wie ich bin. Natur vom Feinsten.
„Ein Aroma, bei dem Tote in Verzückung geraten würden“, sagte mein Lieblingschemiker, der junge, hübsche Dunkelhaarige. Und fiel selbst in Verzückung, als er meinen Duft einsog.
„Eine Jahrhundertkomposition“ jubelte er, „berauschend und süchtig machend!“ Voller Freude umnebelte ich ihn. Er verdrehte die Augen, schwankte wie ein Wüstenschiff hin und her und sank mit einem wohligen Seufzer zusammen.
Sein Kollege kam angerannt und rief: „Ich habe es dir gesagt! Der ist nicht ausgereift! Begreifst du nun? Natur alleine ist keine Lösung. Wir sollten etwas zusetzen, am besten …
Das will ich gar nicht wissen. Ich verdufte lieber. Ins Nachbargebäude. Ein Museum. Da kann ich gleich testen, ob das mit den Toten stimmt. Dort liegen und stehen Gerippe und Skelette herum. Keine Ahnung wozu.
Toter geht es nicht.
Kein Mensch zu sehen. Umso mehr bleichgebürstete Knochengerippe von Urviechern und neuzeitlichen Menschenskeletten.
Die Dinos lasse ich links liegen. Das wäre vergebliche Mühe. Sie stinken nach Jahrtausende altem Mief und Bleichmittel. Das fehlte noch, dass sich dieser Gestank mit meinem Duft vermischt. Schnell weg, rüber zur Skelettfraktion. Bevor einer kommt und glaubt, den Geruch der Zeit entdeckt zu haben. Kompatibilität nennt man das heute.
Der hier ist ein prächtiger Bursche. Groß, schlank, na ja, eher knochig, glatt, und auf weiß gebürstet. Alles dran. Sieht gut aus. Für ein Skelett.
Ich werde ihn mal umwabern.
Sanft streichle ich über seine harten Gesichtsknochen.
Was ist das?
Wird der rot? - Ein Skelett, welches errötet!
Wie schräg ist das denn?!
Oder bin ich das? Diese Rosafärbung? Habe ich den Schädel eingefärbt?
Ich dufte also nicht nur unvergleichlich, sondern bin von lieblicher Farbe, wenn ich auf weiße Knochen treffe.
Voller Stolz schicke ich eine Duftwolke in seine Nasenöffnung.
Oh Schreck! Der bewegt sich plötzlich!
Ich überlege, wohin ich mich flüchten soll.
Da stöhnt das Skelett: „Ahhhh, ahhhh“, und beugt den Kopf zurück.
„Ahhh… Was für ein unvergleichlicher Duft! Dieses Aroma!
Dunkle, reife Beeren, süsse Pflaume, mit einem Hauch Vanille!
Ahhh… Ahhh…! Mhmm…! Wann zuletzt streifte eine Köstlichkeit dieser Art meine Sinne? – Mehr, bitte gebt mir mehr!“
Der kann sich ja gar nicht mehr beruhigen. Und wieso redet der so komisch? Mit wem? Doch nicht mit mir?
Es geht wieder los: „Ahhhahh, süsser Duft…“
Es stimmt also. Das mit den Toten und der Verzückung! Ich bin wohl das großartigste Aroma weit und breit!
„Oh süßeste der Düfte, Königin der Aromen, bleibe bei mir! Aber sag an: Wo ist dein Wirt?“
Was für ein Wirt? Was meint der nur? Ich grüble so angestrengt, dass eine ganze Duftwolke davonstiebt und seinen Schädel einhüllt.
„Reicht mir ein Glas dieses Göttertranks! Einen Schluck! Nur einen gebt mir! Schmecken will ich dich! Und riechen! Nicht nur meine Nase betöre, auch meine Kehle!“
Jetzt begreife ich.
Den Duft selbst kann man nicht in ein Glas, eine Flasche, ein Gefäß füllen. Ebenso wenig wie Luft. Man braucht einen Körper, flüssig oder fest, einen Duftauslöser.
Das ist der Wirt. Der Host, wie man heute sagt.
Beispiel: Willst du Kuchenduft, musst du zuerst einen Kuchen backen.
»Von nichts kommt nichts.« Altes Aroma-Sprichwort.
Mein Host ist ein dunkler amo, ama, …im Glas. Wie sagten sie? Amoro …? Amara …? Oder amore? Nein! Das ist was anderes!
Das Klappergestell fängt wieder an zu jammern: „Nur einen Schluck von dem köstlichen … einen einzigen! Dieser Duft bringt mich um meinen Verstand.“
„Du hast keinen mehr. Bestehst nur aus Knochen.“
„Aber ich erinnere mich …!
„Ha, womit denn?“
„Alles, was ich jemals wusste, ist in meinen Knochen gespeichert. So auch dieses unvergleichliche, berauschende, verzückende Aroma! Dieser Duft nach dunklen, reifen Beeren, ein wenig Pflaume dabei, Vanille …
Allerdings …, etwas Störendes, Störendes vernehme ich. Spuren … von … Kuhstall?
„Spinnst du?! Ich, der köstlichste Jahrhundertgeruch soll nach Kuhstall…? Was meinst du damit, ob ich über den Hof geschwebt bin? Natürlich!“
„Aha.- deshalb.“
Ich verstehe nicht. Wieso …
„Die Kühe waren draußen, die Stalltüre offen, du hast dich vermischt…“
„Ach ja? Womit denn?“
„Stallgeruch!“
„Was? Unmöglich!“
„Wäre nicht weiter schlimm!“ Doziert der Schädel. „Aber nun spüre ich keinen Rausch mehr! Und das ist schlimm!“
Ich bin ratlos. Was habe ich denn getan?
Das Skelett zeigt mit seinem knochigen Finger anklagend in den Raum:
„Du hast dich mit der Luft eingelassen. Weißt du nicht, wie schnell du verblasst, wenn du dich mit ihr vermischt? Bald verschwindest du. Das ist das Schicksal der Düfte.“ Boshaft setzt es hinzu: „Ohne deinen Wirt bist du nichts.“
„Oh oh oh oh…Was soll ich machen?“
„Begib dich nach drüben zu deinesgleichen, solange es noch möglich ist. Umwedle deinen hübschen Chemiker. Er wird alles dransetzen, die Duftnoten erneut herzustellen und zu verstärken.
Dann komm wieder. Mit Wirt im Glas.
„Wie soll ich das anstellen?“
„Verflüssige dich. Dann bist du Wirt und Aroma in einem!“