Gerücheküche
In grauer Vorzeit, als man „dass“ noch mit „ß“ schrieb, soll angeblich in seinem Hinterhofe ein gewisser Jean P. aus L. eine Gerücheküche eröffnet haben. Diese unerhörte Neuigkeit verbreitete sich – hinter vorgehaltener Hand, versteht sich – wie ein Lauffeuer im ganzen Lande.
Und so kam’s, wie’s kommen mußte: Kaum war dies nämlich durch Hörensagen auch bei Hofe ruchbar geworden, schaute dem Vernehmen nach im Schutze der Abenddämmerung der König vorbei:
„Mein lieber Untertan, hör‘ mir zu!“ und über den Tresen gebeugt:
„Mir läuft ein schlechter Ruch voraus. Besorg‘ mir bitte einen neuen Ruch, daß ich mich wieder meinem Volke zeigen kann, ohne daß alle Welt die Nase rümpft! Dein Schade soll’s nicht sein!“
„Sehr wohl, meinb Könbig! Nbichts leichter als das!“ Der Gerüchekoch – sich verhohlen die Nase zuhaltend – eilte sich, einen wahrhaft königlichen Ruch zusammenzubrauen, denn er roch ein gutes Geschäft:
„Ich habe hier schonb einbmal etwas vorbereitet!“
Nachdem der König entschwunden, begann der Gerüchekocher die bereitliegenden Rohmaterialien zu zerkleinern, er destillierte und mazerierte, daß es eine Art hatte und eine helle Freude war’s, wie er enfleurierte, extrahierte und exprimierte. Und, siehe da, binnen Wochenfrist wurde durch stille Post dem Könige ein versiegelt Riechfläschchen zugespielt. Geich bei seiner nächsten Thronrede wollt‘ er’s ausprobieren und entsiegelte es.
Kaum aber ward das Duftwasserfläschlein geöffnet, schießt stichflammenartig ein Stank dermaßen vermaledeit widerwärtigster Art durch den Thronsaal, daß es den Umstehenden aufderstell den Atem raubt. Ein Miasma infernalischen Pestgestanks aus schweißiger Verderbnis und fauliger Zersetzung breitet sich blitzartig aus. So bestialisch und gottserbärmlich stinkt’s, als sei der ruchlose Höllenfürst unter Mitnahme sämtlicher Schwefelvorräte leibhaftig aus der Unterwelt heraufgefegt.
Die Motten fallen halsüberkopf aus den Kleidern, die Schaben flüchten in Scharen. Der Oberhofmarschall, mit einem Schlage völlig fahl, wankt, der Mundschenk, den gerade verkosteten Wein ausspeiend, ringt schmerzverzerrt um Fassung, der Seneschalk grotesk verzogenen Gesichts findet gerade noch Halt am Gobelin, bevor dieser mitsamt ihm aus der Wand reißt, während Kammerdiener und Zofen reihenweise aus ihren gülden bestickten Pantöffelchen kippen. Der König wendet sich verwundert an seine Gemahlin:
„Meine Königin, was haben nur die Leute all‘?“
„Ich … ich weiß nbicht recht, … meinb Könbig. Vielleicht … solltet Ihr einb Fenbster aufmachenb?!“ keucht die Königin und drückt ihren Schleier noch etwas fester in ihr königliches Antlitz, aus dem alle Farbe gewichen, bevor sie entseelt vom Throne sinkt und vom Oberhofmarschall aufgefangen und mit letzter Kraft davongetragen wird.
Und so kam’s, wie’s kommen mußte: Unser Gerüchekoch wurde angeklagt und vor Gericht gezerrt. Der Bescholtene brachte zu seiner Verteidigung vor, er habe unter großem Drucke gestanden, denn es sei ihm nur eine einzige Woche für seine Komposition gewährt worden. Und nun wisse doch ein jedes Kind, daß man innert sieben Tagen kaum etwas Gescheites komponieren könne. Außerdem sei es die Dosis, die die Gabe zum Gifte mache: Habe man auch das Süßeste im Sinne, könne doch das Sauerste daraus hervorgehen.
Allein alles Jammern half nicht: Das Gericht sah die Schuld als erwiesen, erkannte auf hinterhältigen ruchlosen Anschlag auf des Reiches Geruchswesen und verhängte das härteste, drakonischste zur Verfügung stehende Strafmaß: sieben Tage verschärften Stubenarrests, mit der Auflage, einen verbesserten neuen Ruch herzustellen.
Unser Gerüchekoch ließ dies sich nicht zweimal sagen und machte sich sofort an die Arbeit. Nachdem er allerlei Rohmaterialien zerkleinert hatte, destillierte er und mazerierte, daß es eine Art hatte und eine helle Freude war’s, wie er enfleurierte, extrahierte und exprimierte. Und, siehe da, binnen Wochenfrist wurde auf verschwiegenen Wegen dem Könige ein versiegelt Riechfläschchen zugespielt. Geich bei seiner übernächsten Thronrede wollt‘ er’s ausprobieren und entsiegelte es.
Kaum aber ward das Duftwasserfläschlein geöffnet, entfaltet sich zartester Duft aus Orangenblüte und Maiglöckchen. Zimt und Vanille schweben durch den Saal. So überirdisch frühlingsfrisch duftet es, daß ein jeder einen Blick ins Paradies zu erhaschen vermeint und beschwingt seine persönliche Himmelfahrt antreten möchte. Der Oberhofmarschall bittet galant die Königin zum Tanze und der gesamte Hofstaat reiht sich ein in den Reigen. Und mit einem Male wird der ganzen Höflingsschar bewußt, daß es auf Erden doch noch etwas Beßres gebe als das Hofschranzentum.
Und so kam’s, wie’s kommen mußte: Es verduftete nach und nach der gesamte Hofstaat und die Republik wurde ausgerufen. Der König aber sah sich infolge der Veilchenduftrevolution gezwungen, wie man hört, einen Minijob bei Kaiser’s anzunehmen. Und wenn er nicht erstunken ist, malocht er dort noch heute.
Die Gerücheküche aber wird dem Vernehmen nach – mittlerweile in soundsovielter Generation – weiterhin betrieben, denn es soll sie wohl immer noch geben, die Nachfrage nach riechtig guten Gerüchen …