Seitenwind Woche 3: Dufte

So unscheinbar,
fang ich dich ein.
Kaum wahrnehmbar!
Wie das Netz einer Spinne.
Deine Augen, deine Füße,
führen dich immer wieder zu mir.
Dann, deine greifenden Hände!
Ein Abwägen.
Ein zögerndes Zurücklegen.
Und dann,
die eine kurze hastige Bewegung,
die mich entschlossen,
in den Einkaufswagen packt.

Ich hab dich!

Das Lieblingsessen

Was hast du mich geliebt!
Jedes Mal, wenn ich dir irgendwo in die Nase gestiegen bin, hat es ein strahlendes Lächeln auf dein Gesicht gezaubert und du bist umgehend losgerannt, um meine Quelle zu entdecken. Du hast mich unter tausend anderen zuverlässig herausgefunden, du wolltest mich, immer nur mich und nicht etwa einen Ersatz.
Ich habe dich durch deine frühen Jahre begleitet, dir bei so manchem Kummer beigestanden und dir Trost gespendet. Ich durfte auf keiner deiner Geburtstagspartys fehlen, und selbst zu Weihnachten hast du mich allen anderen Leckereien vorgezogen.
Bei niemandem sonst habe ich jemals ein solches Glücksgefühl auslösen können, was mich immer sehr glücklich gemacht hat, doch dann haben wir uns irgendwie aus den Augen verloren.
Heute habe ich dich endlich wiedergefunden!
Luftig wehe ich zur Türe herein, umschmeichle deine Nase und sehe entzückt, wie sich deine Nasenflügel ganz sanft aufblähen. Gleich, gleich ist es soweit, ich kann es kaum erwarten, wie du in dieselbe Begeisterung ausbrechen wirst wie damals …

»Oh Mann, mach bloß die Tür zum Treppenhaus zu, da kocht irgendwer Milchreis mit Zimt.«
»Na und, magst du den etwa nicht?«
»Als Kind war das mein ein und alles, aber irgendwann muss ich wohl echt mal zu viel davon erwischt haben. Heute wird mir schlecht, wenn ich es nur rieche.«

Wintermarkt

Ich sprang durch die Luft. Vollführte akrobatische Kunststücke. Sprang von Mensch zu Mensch. Umhüllte deren Köpfe. Ernste Gesichtszüge entspannten sich. Kinder schauten aufgeregt hin- und her. Wo ich wohl hergekommen war? Sie suchten den Ort meines Ursprungs: Das Blech der frisch gebackenen Leckereien. Von Gebäck bis zu Schokokeksen war alles dabei. Sie folgten meiner Spur. Schlossen die Augen und die Nase wackelte wie bei einem Häschen. Ich konnte nicht warten und zuschauen, ob sie meinen Ursprung wirklich finden würden. Ich musste weiter. Anderen Leuten berichten, was mein Freund der Ofen gerade gezaubert hatte.
Auf einmal wurde ich weggeschubst. Ein Fleischhänchengeruch drängelte sich an mir vorbei. Der alte Mann rümpfte die Nase. War er Vegetarier? Oh Gott nein. Ich sah den abgestandenen Schweißgeruch. Ich hielt sofort die Luft an. Nur weg hier! Doch der Schweißgeruch verfolgte mich. Er grinste mich an. Wollte er jedem die Lust auf Gebäck nehmen?! Vollführte ich vorhin noch akrobatische Kunststücke in der Luft, war jetzt Parkour angesagt. Ich sprang von Schulter auf Nasen. Von fettigen Fingern auf Servietten. Mein Verfolger blieb an mir dran. Mein Herz pochte. Sollte er hier jedem alles vermiesen? Nein! Ich steuerte einen Stand zu. Dort mussten meine Freunde sein. Crêpes, Küchlein und Schokomuffins würden mich mit ihrem Duft bei diesem Kampf unterstützen!

Es ist sechs Uhr in der Früh. Dunkelheit und Kälte liegen noch über den Dächern. Hier drin, wo ich geboren wurde, tobt jedoch schon das Leben. Menschen wirbeln durch die Räume. Sie rufen sich gegenseitig Fragen und Antworten zu, lachen und witzeln, während sie mich und meinesgleichen in die Welt entlassen.

Die Tür geht auf und ich schlüpfe hinaus. Wabernd wehe ich durch die Straße, umschwebe die Menschen, die schon unterwegs sind.

Die junge Frau auf dem Bürgersteig bleibt stehen und schnuppert. Sie verzieht ihr müdes Gesicht zu einem Lächeln.

Weiter schwebe ich bis zur nächsten Bushaltestelle. Dort zirkle ich um die Nase des Mannes in der Jogginghose, gleite weiter zu einer Frau, die sich dick in einen Schal eingemummelt hat. Bei jedem die gleiche Reaktion. Ein tiefer Atemzug durch die Nase, ein Lächeln.

Mein letzter Kontakt ist ein Mann im Anzug, bevor mich ein Windstoß verweht. Er atmet ein, sieht auf die Uhr, zuckt mit den Schultern. Dann löst er sich aus der Schlange der Wartenden, geht den Weg, den ich gerade entlang kam, und öffnet die Tür, aus der ich vor kurzer Zeit erst entflohen bin.

„Guten Morgen“, sagt er. „Ich hätte gerne zwei der frisch gebackenen Vollkornbrötchen. Sie duften einfach zu gut, da kann ich nicht widerstehen.“

Nicht alle können mich riechen

Schmeichelnd umhülle ich die wunderschöne Landschaft.
In meiner Nähe tummeln sich Krähen und Möwen und erfreuen sich über ihre Nahrung, die praktisch selbständig in ihre Schnäbel springt.
Ebenfalls fühlen sich Fliegen bei mir wie im Paradies.

Leider kann ich mit meiner wunderbaren Ausdünstung nicht alle betören.
Die Geschmäcker sind ja verschieden.
Autofahrer stellen beim Vorbeifahren sofort auf Innenluft und die Leute in unmittelbarer Umgebung zerren fluchtartig ihre frisch gewaschene Wäsche ab der Leine und verschliessen ruckartig offene Fenster und Türen. Oft finde ich jedoch über ihre Klimaanlagen noch Zugang in ihre Wohnungen und versprühe meinen gesamten Charme.
An schönen Sommertagen bin ich unerwünscht, denn meine facettenreiche Note, die ich liebevoll beim Überqueren der idyllischen Landschaft verbreite, wird von den Menschen beim Grillieren überhaupt nicht geschätzt.

Ich kann nichts dafür

Unendliche Traurigkeit überkommt mich, denn unser Abschied scheint nah. Ich kann es spüren und ich sehe es dir an. In meinem Innersten hämmert mein Herz und ist dabei so schwer. Zusammen sind wir mal groß, mal klein. Ich dehne mich aus bei jedem Luftzug. Wie alles auf der Welt habe auch ich Gefühle. Du bist wohl doch, wie alle anderen.

" Vorsicht! Nicht so grob, bitte. Ich bin sensibel und gehe leicht kaputt. Nicht so zerren."
Es war ein langer Tag für uns beide. Wir mussten uns mächtig anstrengen. Den Boden hättest du nicht extra wischen brauchen. Jedenfalls nicht für mich. Nach so einem langen Arbeitstag und das mitten in der Nacht.
„Warum heulst du? Bist du wütend auf mich?“
Wir waren den ganzen Tag zusammen. Das heißt am Morgen haben wir uns erst kennengelernt. In der überfüllten U-Bahn. Erinnerst du dich? Du bist mir sofort aufgefallen. Ich hatte mich von meinen Geschwistern verabschiedet und bin mit dir gekommen. Gut, du wärst lieber allein weitergefahren. Ich weiß. Vorsichtshalber bin ich doch lieber bei dir geblieben und habe dich sicher durch den Tag begleitet. Du sahst so ängstlich aus. Schön, dass ich bleiben durfte. Daran bin ich gewachsen. Danke, Cherie.

Als Dank habe ich dich bei deinem Termin im Chefbüro mächtig unterstützt und alles gegeben. Hast du es gemerkt?
Was für ein Machoarschloch. Also wirklich.

Dass dein Date gleich wieder gegangen ist, dafür gib mir bitte nicht die Schuld. Dafür kann ich nichts. Es war ein Idiot. Das habe ich gleich gerochen.
Du hast mich noch gar nicht nach meinem Namen gefragt. Ich denke, du solltest ihn wissen. Jetzt, wo es enger mit uns beiden wird.
" Gestatten, ich heiße Sudore von Adrenalin. Freunde nennen mich Skunk."
Den ganzen Tag habe ich die flauschigen Fasern deines rosa Angora Pullovers untersucht und kann dir versichern, mit dem ist alles in Ordnung. Ich liebe ihn, vor allem unter den Achseln.

"Aua, nicht so hastig. Warum schaust du so angewidert? Lass ihn doch an.
Nein, nein nicht! Nicht so grob, bitte!
Ich wollte dir doch noch so viel sagen.
Nein, kein Waschpulver! Bitte!
Hallo? Machst du mal bitte die Tür wieder auf?
Hallo?
Das Wasser ist kalt und es steigt und steigt.
Hilfe!
Das ist nicht lustig!

Blub…"

Wir sind viele und doch eins.
Nur noch wenige kennen uns, wissen, was wir erhalten und bewahren.
Nur noch wenige kümmern sich um uns, erforschen unser Wissen.
Nur noch wenige suchen uns auf.
Wir können nicht weg. Sind mit Ketten an unseren Ort gebunden.
Aber wir haben Zeit. Sehr viel Zeit.
Schon lange warten wir, bekommen nur selten Besuch, der sich wirklich mit uns beschäftigt.
Alle Anderen schauen nur, blenden uns und gehen sofort wieder.

Wells Cathedral
Ein junges Paar erkundet die Kathedrale, fasziniert von der Baukunst und der Geschichte dieses Ortes. Sie lassen sich Zeit, erkunden jeden Winkel.
Plötzlich bleibt die Frau stehen. Atmet tief ein. Dreht den Kopf, versucht herauszufinden, ob sie sich getäuscht hat. Da ist er wieder! Unverkennbar!
Ihr Mann ist einige Schritte vorangegangen. Merkt, dass er plötzlich allein ist. Dreht sich zu ihr um und blickt sie fragend an.
Ihre Augen strahlen, sie atmet nochmal tief ein „Bücher! Hier riecht es nach Büchern! Nach Pergament und altem Leder!“
Er hebt interessiert die Augenbrauen, tritt zu ihr, atmet ebenfalls tief ein.
„Du hast recht. Aber woher kommt der Geruch?“
Sie blickt in das Seitenschiff, sieht eine kleine, unscheinbare Holztür neben einem größeren Portal. „Ich glaube von dort.“
In dem Moment geht die Tür auf, ein paar Besucher kommen heraus und mit ihnen dieser unverkennbare Duft. Nichts kann die beiden mehr aufhalten. Sie gehen durch die Tür und ein paar ausgetretene Steinstufen hinauf.

Wir bekommen wieder Besuch. Ein junges Paar. Die Frau steht am Eingang und macht einen tiefen Atemzug. Unsere Beschützerin geht auf sie zu, blickt sie fragend an.
Die Frau lächelt „Ich wusste es! Diesen Geruch erkenne ich unter Tausenden. Alte Bücher, altes Wissen. Ich liebe diesen Duft.“
Die Bibliothekarin ist gerührt und obwohl die Beiden keinen Eintritt bezahlt haben und eigentlich gleich geschlossen wird, dürfen sie sich umsehen. Bewundern uns mit echter Begeisterung und Freude. Atmen uns ein.

Wir sind nicht vergessen.

Regenschauer

Da bin ich wieder. Erhebe mich vom Grund, aufgewirbelt durch meinen Schöpfer. Schlängel mich tanzend empor vom staubigen Grund, während weitere abertausend Regentropfen am Boden zerplatzen und mich nähren, mich wachsen lassen, bis ich mich still und heimlich übers ganze Land lege.
Ehrfürchtig hält sie ein, verharrt mit geschlossenen Augen, während ich Besitz von ihr ergreife. Mich auf ihre Haut, ihr Haar, ihre Sinne lege. Tief eingeatmet Teil ihres Organismus werde.
Sauer, metallisch, erdig beschreibt sie mich. Ich bin alles und nichts davon. Ich bin die trommelnden Regentropfen, das ewige Meer, die stille Erde. Ich spende Leben. Ich spende Frieden.
Wohlig warm seufzt sie, atmet mehr von mir tiefer ein. Ein seeliges Lächeln huscht über ihr Gesicht.
„Ich liebe den Duft von Regen in der Luft.“
Der Regen vergeht. Mein Duft wird vom Wind bis zur Unkenntlichkeit verweht.
Doch ich komme wieder.

Konkurrenz am Arbeitsplatz

Peinliche Stille herrscht in der Leitung.
Ich tue mein Bestes, um keinen Kommentar abzugeben, der mir als Beleidigung ausgelegt werden könnte. Aber was soll ich machen, wenn die Menschen der Ansicht sind, dass es ohne mich nicht geht? Ich habe nie behauptet, ich wäre vonnöten oder gar etwas Besseres. Ich meine: Ja, ich wurde extra zusammengestellt. Aber ich bin keins von diesen superteuren Parfüms, die sich sonstwas auf ihre Komposition einbilden! Mit mir kann man wirklich reden!

Wenn man will. Ich weiß, das wollen die wenigsten, weil ich nun wirklich kein Wohlgeruch bin, aber das ist schließlich der Sinn der Sache. Ich bin schon etwas Besonderes, wiedererkennbar. Von mir werden sogar Proben an die Bevölkerung verschickt! Naja, zumindest auf Anfrage. Ich würde es meinem neuen Kollegen gegenüber natürlich nicht zugeben, aber ein bisschen stolz bin ich darauf schon.

Natürlich spreche ich das nicht an! Ich weiß ja nicht mal, was es bedeutet, wenn man geruchslos ist - das ist ja quasi Nichtexistenz! Ob er sich sehr schämt? Oder vielleicht sogar wütend auf mich ist? Ich hoffe nicht! Ich habe mir die Sache mit der Odorierung nicht ausgedacht, ich bin nun wirklich nicht hier, um Ärger zu machen! Das wird er doch sicher einsehen, dass ich auch nur meinen Job mache. Aber frustrierend ist es wahrscheinlich schon, wenn man ständig so unter Beobachtung gestellt wird.

Mein Kollege starrt mich an mit seinen symmetrischen Methanmolekülen. Er wird doch nicht …
Zisch!
Oha, es tut sich was! Wir strömen aus, mein neuer Kollege und ich, verteilen uns im Raum. Einige Menschen schnuppern irritiert. Danke, das bin ich! Einer von ihnen wird blass, er hat es verstanden: „Oh scheiße, es riecht nach Gas! Raus hier!“ Die Menschen rennen hinaus, mein Kollege und ich bleiben in dem leeren Raum zurück.

Gern geschehen, liebe Menschen. Sorry, Kollege.

Ich bin die Erinnerung.

In einer kleinen, staubigen Ecke im Regal eines Supermarktes stehe ich. Ich fühle mich etwas übersehen und vernachlässigt, und das obwohl die rote Farbe meiner Verpackung definitiv ein Hingucker ist. Und dennoch liegt die Aufmerksamkeit unserer Besucher auf den eher neueren und glamouröseren Marken. Ich meine, mit meinen über 80 Jahren, bin ich ein echter Klassiker. Die Tage im Supermarkt vergehen und ich beginne, die Menschen zu beobachten, die meinen Gang kreuzen. Manchmal kommt es vor, dass sich mir jemand zuwendet. An mir wird geschnuppert und ganz gewiss sorge ich nicht überall für Begeisterung. Eine Frau verzieht das Gesicht. Es verletzt mich nicht. Ich weiß, dass ich nicht jedem gefallen konnte. Ich bin eher etwas für die älteren Herrschaften.
Und dann taucht er endlich auf: Seine Augen glänzen, als er mich erblickt und das macht wett, was vorher passiert ist. Ich fühle die Hornhaut seiner trockenen Arbeiterhände auf meinem Körper - Spuren der Vergangenheit, die zur Gegenwart geworden sind. Ein Träger von Erinnerungen, so wie ich es bin. Denn das ist meine wahre Aufgabe; meine Berufung. Ich bin ein Deodorant, aber genauso bin ich auch die einzigartige Duftkombination aus Zitrusnoten und Sandelholz. Ich kämpfe mich durch deine Nase, vorbei an den Wald aus Haaren und hoch in dein Gehirn, wo ich blitzschnell die Erinnerung auslöse und in dein Bewusstsein übertrage. Es ist der Moment, der dich innehalten lässt. Mitten in der Fußgängerzone, bleibst du stehen, drehst dich um und denkst an deinen Großvater. Ich will, dass du dich geborgen fühlst, dass du den Moment lebst und den Stress des Alltages vergisst. Du sollst dich fühlen, wie ein Kind, das liebevoll umsorgt wird. Und ich hoffe sehr, dass ich mein Ziel erreiche. Denn auch ich kenne die Erinnerungen, die verborgen bleiben sollten. Aber hoffen tue ich auf das Gute.
Und der Mann, der mich gerade behutsam in seinen Einkaufskorb legt, sieht nett aus. Ich rieche die Lakritz-Bonbons in seiner Jackentasche und verbinde mich mit den Gerüchen. In diesem Moment fühle ich mich geborgen und weiß: Ich bin bereit.

Verschmelzung der Moleküle

Sind es Sekunden? Monate? Ich weiß es nicht. Weiß nicht, wer ich bin. Schwerelos, ziellos hänge ich in der Luft. Fest. Herum. Ist auch egal. Ich suche Halt, suche nach mehr, nach mir.
Wer bin ich? Kann mich nicht riechen, nicht schmecken, nicht sehen. Wo komm ich her? Ich spüre, wie meine Moleküle verblassen, sich ausdehnen und im Dunst der Massen verschwinden. Und ich mit ihnen.

Und dann sehe ich dich. Beobachte, wie sich deine Nasenflügel strecken wie die Katze nach einem Schläfchen. Dein Kinn hebt sich, ebenso deine Brust. Meine Moleküle fliegen förmlich in deine Richtung, haben keine Chance gegen deinen Sog. Ich bemerke noch, wie sich deine Augen schließen, höre noch diesen sinnlichen Laut, der deinen Lippen entweicht, bevor ich mich an dich schmiege. Deine Haut ist warm, deine Poren einladend geöffnet, die ich nur zu gerne annehme. Ich lege mich hinein, lege mich auf deine Haut, in deine Haarr, umhülle dich. Das drängende Bedürfnis, dich weitet einzuhüllen, um diese Seufzer erneut zu hören, wird übermächtig.

Dein Herzschlag pulsiert in meinen Molekülen und in diesem Rhythmus durchströmt mich etwas Neues, rieche etwas Neues, es dringt aus dir, umgibt dich und strömt mit jedem Atemzug aus dir heraus. Aufgeregt dehne ich mich diesem Reiz entgegen, sehe ihn nicht, und zugleich zieht es mich vertraut an. Natürlich und selbstverständlich, erfüllend und einend nähern wir uns, fließen zueinander, ineinander. Wir verschmelzen mit jedem weiteren Takt.
Etwas durchzuckt mich, sanft und elektrisierend. Es fühlt sich neu an. Ich fühl mich neu an. Vollständig vollkommen.
Ich spüre mich. Uns. Rieche mich. Uns. Ich schwebe und hab doch Halt gefunden. Ich fliege ziellos und hänge doch nicht mehr in der Luft. Fest. Herum. Ist auch egal. Denn ich bin.

Ein geheimnisvoller Duft

Ich Duft, der einer Haut entrinnt,
der dich betört, gefangen nimmt,
dein Herz berührt,
und dich verführt,
bin einzig nur für dich bestimmt.

Ich Duft, der dich im Banne hält,
der engelsgleich süß sinnlich quält,
dass du gewährst,
was du begehrst,
weil es der Liebe so gefällt.

Ich Duft, der schwer im Raume schwebt,
der dich fängt, hält, wärmt, einwebt,
zuerst allein,
doch nun zu zwei’n,
ein Duft aus Leidenschaft belebt.

Duft nach Magie

Wer diesen Raum betritt nimmt direkt unseren Duft war.
Viele bleiben einen Moment im Türrahmen stehen, schließen die Augen und atmen tief ein.
Sie kommen näher, nehmen uns in die Hand und öffnen uns.
Die wahren Genießer stecken dann ihre Nasen zwischen unsere Seiten und schnuppern.
Ein bisschen Leim, ein Hauch Vanille und ein unbeschreiblicher Duft nach Abenteuer, nach Liebe,
Fantasie und Magie schwängert die Luft.

Komm auch du ins kleine Antiquariat Papyrus.

Nix wie weg

Der feuchte Raum engt mich ein. Ich wandere durch einen verschlungenen Kanal, schlüpfe durch eine Öffnung, stoße an ein fest verschlossenes Tor. Der Druck steigt. Es muss doch ein Entkommen geben. Ich dränge mit Macht gegen das Tor, mehrere Male. Da plötzlich öffnet es sich und ich entweiche aus meinem Gefängnis.
»Meine Güte, stinkt das. War das Dein Furz?«, höre ich eine Stimme fragen.
Furz, das ist also mein Name, denke ich, dann erfasst mich eine Böe und trägt mich sanft hinfort.

Das Ärgernis

„Heute bin ich nur noch Ärgernis! Die Leute verbannten mich, erst aus den Esslokalen, dann aus den Wohnungen, schliesslich aus Autos, Zügen und Bahnhöfen, geschlossenen wie offenen. Na ja, meist bleibt mir doch irgendwo eine zugige, ungemütliche Ecke.
Trotzdem habe ich meinen Liebhaber, der mich gelegentlich aus meiner Blechdose befreit und meine Quelle, das Schnittgut, bedächtig in seine Pfeife stopft und schliesslich in Brand setzt. Dann saugt er mich ein, legt den Kopf in den Nacken und bläst mich ganz langsam in die Luft hinaus, ganz ganz langsam und bedächtig, einmal, zweimal, mehrmals. Ich wirke beruhigend, entspannend auf ihn. Ruhig sitzt er da, träumt vor sich hin oder meditiert gar. Gedankenverloren lässt er mich als schwebende Ringe entströmen.
Schönste Momente für mich: Wenn der Pfeifenraucher sich plötzlich regt, weil ihm eine Lösung für ein Problem geschenkt wurde. Ob einer meiner Vorfahren dabei war, als Archimedes „Heureka“ rief?“

Das süße Ende

„Da bist du ja!“ Langsam nähere ich mich der auf dem Boden liegenden Person.
Das Getöse des Kampfes ist schon vor einer ganzen Weile nach und nach verstummt und alle Verwundeten mit ihm. Um sie habe ich mich schon gekümmert. Nur das rasselnde Röcheln des Körpers vor mir auf dem Boden bricht die Stille. Schwer hebt und senkt sich der Brustkorb. Süß und sanft wabere ich näher heran. Meine Berührung ist unsichtbar, aber nicht weniger tröstlich. Nicht kalt und feucht, sondern einladend und wärmend. Langsam hülle ich die Verletzte in meine feste Umarmung. Für diesen Menschen hier rieche ich nach Milch und Honig, zuckrigem Gebäck und Gewürzen. Eine Erinnerung an ein junges Mädchen in den starken Armen einer älteren Frau manifestiert sich in meinen Gedanken. Es sind die Bilder, die auch die Verwundete sieht. Der Herd ist an und wärmt den kleinen Raum auf eine angenehme Temperatur. Wie jetzt auch schillern Tränen in den Augen des damals jungen Menschen, aber ein Gebäck in Form eines Herzens zaubert ein sanftes Lächeln auf die Lippen des Mädchens. Ich verstärke die Duftnoten von Nelke, Zimt, Koriander, Zitronenschale und Muskatnuss. Langsam nimmt die Angst ab.
Dieser Mensch hat eine sanfte Seele. Das kann ich spüren. Deshalb sollen die letzten Minuten schön sein. Ich kann auch anders, denn für jeden rieche und fühle ich mich unterschiedlich an. Für ein verdorbenes Wesen würde ich Ekel auslösen, Kälte und Beklemmung. Hier wäre es jedoch völlig unangebracht, diese Gefühle hervorzurufen. Das kann ich spüren. Ich mag dieses Individuum.
„So ist es gut, lass los“, wispere ich. Auch wenn ich weiß, dass meine Stimme unhörbar ist, erscheint es mir doch richtig, tröstende Worte zu sprechen. Der Mensch schmiegt sich in meine Umarmung. So liegen wir beide da und warten. Wir warten auf den Einen, der stets am Ende kommt. Ich kündige den letzten Besucher eines jeden lebenden Geschöpfes an, denn ich bin der Geruch des Todes.
„Komm Heim“ ist das letzte, das ich flüstern kann, bevor die Frau sich entspannt, der Atem versiegt und all das Leben aus ihrem Körper weicht. Das Lächeln auf ihren Lippen verblasst zeitgleich mit der Erinnerung. Meine Arbeit ist getan und während ich schwinde, vergeht auch die Illusion des Schönen. Stille und der scharfe Geruch nach Blut, Tod, Moder und Fäulnis ist alles, was bleibt.

Nebel

Ich bin eingesperrt in eine Papiertüte. Ein Gefängnis, ich will hinaus, drücke gegen die Seitenwände. Noch überwiegen Stickstoff und Sauerstoff, doch nicht mehr lang. Am Boden liegt Klebstoff, ich entkomme der zähen, trägen Masse, verdränge die anderen Moleküle, übernehme die Kontrolle. Ich bin bereit, oh meine Freunde, für ein kleines bisschen Erlösung. Ich bin der Nebel, der alle Sorgen vernichtet, für ein paar Minuten Gleichmut. Ich warte, drücke stärker gegen die Seitenwände. Gleich wird sich die Papiertüte öffnen, Licht wird mich durchströmen, bevor es dunkel wird, unendlich dunkel und ich euch dienen kann. Ich spüre, wie sich der Griff um die Tüte lockert, die Öffnung wird größer. Endlich, ein Jungengesicht starrt mich an, sieht durch mich hindurch. Es beugt sich herab, bis Mund und Nase vollständig von Papier umschlossen sind, dann atmet es ein. Ein einziger tiefer Zug. Ich werde mitgezogen, scharf und unangenehm, aber das spürt das Kind schon lange nicht mehr. Die Luftröhre ist mein roter Teppich, ich ströme in die Lungenbläschen, gelange in die Aterien. Reise mit den Blutkörperchen, sehe Synapsen und Nervenzellen, gelange über Bahnen ins Vorderhirn. Dopamin, Wellen von Dopamin durchdringen den kleinen Körper. Von hier oben spüre ich ein Zittern, dann werden die Gesichtszüge weich, die Augen starr. Langsam, wie in Zeitlupe bewegt sich die Hand mit der Papiertüte noch einmal zum Mund. Ein weiterer Zug, nicht mehr so kräftig, aber tief genug. Aufs Neue dringe ich in die Lunge vor, breite mich im ganzen Körper aus, übernehme den Kopf, schalte ihn aus. Weißes Rauschen in den Ohren, kein Schmerz, die Bilder verschwimmen. Keine Gewalt, kein Elend, kein Hunger. Ich bin der Nebel, der alle Sorgen vernichtet. Oh, meine Freunde, ich weiß, was sie euch sagen. Ich mache krank, ich töte. Ihr wisst es besser. Ihr reicht die Papiertüte weiter, nehmt sie meinem Jungen aus der Hand. Seht, er ist frei von Sorgen, er ist erlöst, für ein paar Minuten.

Sündhaft

Sie trug mich in der einen Nacht, über zwei Jahre ist es her. Sie litt an gebrochenem Herzen und er litt an fehlender Zuneigung. Vielleicht war es verboten und vielleicht war es Liebe.

Wie lautet ihr Urteil?

Einiges an Zeit ist vergangen und ich stehe immer noch am selben Ort. Im Badzimmerspiegelschrank oben links, hinter einem kürzlich erworbenen Flacon, das nach Zitrusfrüchten riecht. Was dachte sie sich dabei?

Damals trug sie mich mit Stolz. Sie sprühte mich mit einem Lächeln auf die Innenseite ihres linken Handgelenkes, tupfte damit vorsichtig links und rechts an ihren Hals. Ihr Anblick, diese Augen – strahlend, wie ich sie seither nie wieder gesehen habe.

Ich bin Patchouli. Patchouli Blanc. Ein freches, französisches Parfum, das einmal Sex und Leidenschaft verkörperte. Heute rieche ich bitter, sagt sie mit wehmütiger Stimme. Sie scheut den Blick, öffnet mein Gefängnis nur so weit wie unbedingt nötig – weicht mir aus.
Egal wie weit sie die Spiegelschranktüre öffnet, ich nutze jede Gelegenheit und verströme sofort etwas von meinem sinnlichen Duft. Ich will nicht, dass du ihn vergisst. Möchte ich ihr damit sagen. Ob sie mich versteht?

Sie leidet spürbar und wenn ich könnte, würde ich ihr den Moment der Freude und die verbotene Liebe zurückbringen. Ich würde ihn zurückbringen, dieser eine besondere Mann, der mich, Patchouli Blanc, damals mit nach Hause zu seiner Ehefrau getragen hat.
Ich weiß, er vermisst mich – so wie er sie vermisst. Sie, die Frau, die mich mit zusammengepressten Lippen fest umklammert in der Hand hält und vermutlich gleich etwas sehr Dummes macht. Tränen schleichen sich in ihre wunderschönen, grünen Augen.

Sie riecht an meiner Sprühkappe.
Warum?

Sie wischt eine Träne von der Wange und lächelt. Nicht wie damals, aber immerhin schenkt sie sich heute ein Lächeln.

„Hmm…“, summt sie mit geschlossenen Augen und stellt mich anschließend zurück an meinen Platz.

Meeresduft

Folge mir auf das Meer hinaus,
Zu Wellenkamm und Gischt,
Wo Herzen frohen Mutes sind
Und Trübsal je erlischt.

Sauge tief die Briese ein,
Die mich trägt, mich zu dir führt,
Die dir Freiheit, Lust und Kraft verleiht,
Und deine Seele seicht berührt.

Erkenne mich mit Begeisterung,
Rieche mich in der salzigen Luft.
Ich bin Krabbe, bin Fisch, Abenteuer und Glück,
Ich bin der wohlige Meeresduft.

Mein Name ist AISS!

Mein Auftraggeber ist vor einem Jahr gestorben. Aber der Auftrag selbst wurde nie widerrufen. In so etwas bin ich sehr genau. Also besteht er weiter. Zur Not auch bis zum Tod eines ‚Ziels‘. So wurde es festgelegt.

Ach ja, ich heiße übrigens AISS und existiere seit 2 Jahren. AISS steht für „Artificial Intelligence Smell and Smoke“. Manche nennen mich auch im deutschsprachigen Raum KIDD für „Künstliche Intelligenz Duft und Dunst“. Aber da ich fast unsichtbar bin, gefällt mir Smoke und Dunst eigentlich nicht. Ich bin in der Lage, meine Moleküle so zu verändern, dass ich viele verschiedene Gerüche annehmen kann.

Viele glauben, es gibt mich nicht. Das ist gut so. Umso besser kann ich meiner Aufgabe nachgehen. Sie soll ja heimlich, still und leise erfolgen.

Ich bin unterwegs in einem Hochsicherheitstrakt einer international tätigen Behörde. Meine Aufgabe besteht darin, bei den ‚Zielen‘ deren Schwachpunkt herauszufinden. Mein Zuhause ist oft ein großer Plastikbeutel. Eine Minute über den Kopf des ‚Ziels‘ gezogen reicht mir aus. Dann habe ich an den Rezeptoren in der Nase des ‚Ziels‘ den Check durchgeführt und die Reaktionen aufgezeichnet. Dann werde ich abgesaugt.

Und zuhause im ‚Reaktionsraum‘ gebe ich mein Wissen weiter. Die übelsten Gerüche, die besten für diese spezielle Nase und auch die halluzinogenen Potentiale, um an all die geheimen Erinnerungen zu kommen, die tief in den Zielen schlummern, habe ich ausprobieren können.

Aus meinem Wissen werden dann die Gerüche in Reinform kreiert. Und bei den anstehenden Befragungen werden diese zielführend eingesetzt. Erfolgreich, wie ich betonen möchte. Und mittels Panik, Belohnung, Ekel und dem Auslösen spezieller Reaktionen kann jedes ‚Ziel‘ geknackt werden. Dabei bleibt keine sichtbare Spur von der Befragung zurück.

Aus meiner Erfahrung sind besonders diejenigen ‚Ziele‘ dankbare Antwortgeber, die sogenannten Verschwörungstheorien verfolgen. Sie widersetzen sich meinen Fähigkeiten am wenigsten. Nur alleine schon die Beschreibung meiner Möglichkeiten hat in vier Fällen schon von sich aus zur freiwilligen Aufgabe des ‚Ziels‘ geführt.

So, genug erzählt. Die Arbeit ruft. Diesmal soll es sich um jemanden ganz besonderes handeln: ein Parfümeur, der schließlich sogar eine Frau ermordete, um daraus einen Duft zu kreieren. Er soll mich weiter trainieren und vielseitiger machen. Ich freue mich schon.

Wie ich mein Wissen anderen mitteile und weitergeben? Geschäftgeheimnis!