Seitenwind Woche 3: Dufte

Es räkelte sich die Schöne, unter ihren weichen Kurven schmolz die Seide wie Butter, floss dahin und überflutete den Boden. Ich sah sie gleiten und tat es ihr gleich, floss in dem Öl, in dem ich mich befand, um ihren Bauchnabel, den man mit mir gesalbt hatte, wärmte ihn, streckte mich dort, dehnte mich, floss tiefer, breitete mich aus in der Hitze, die zwischen ihren Schenkeln wuchs. Er trat näher, mächtig und groß von Gestalt, ein Herrlicher unter den Herren der Welt, ein Mächtiger, der sein Trachten auf die Eroberung jenes kleinen Gebietes gerichtet, das schon so viele Gefechte sah und doch niemals je ganz besiegt wurde. Ich glitt zwischen sie, die sie ins Liebesspiel und Freudenjauchzer versanken, und heftete mich auch an ihn, an seinen zärtlich streifenden, reibenden, stoßenden Bauch, wanderte hinunter zu seinem Gemächt und umhüllte es mit Segen und Wonne, auch noch, als er, noch im Nachklang der Verzückung, wieder in den Kissen ruhte und die Schöne anfing, die Geschichte fortzusetzen, welche sie am Vorabend noch schnell begonnen hatte, um nicht hingerichtet zu werden. Und ich stieg auf und breitete mich unter der goldenen Kuppel des Gemaches aus, blieb dort hängen und duftete mich aus in die samtweiche laue Nacht über den beiden.
Ihr würdet mich nicht erkennen in meiner äußeren, dem Auge offenbaren Form. Ein Stückchen gerollte Rinde, einem trockenen Stöckchen gleich, einem kleinen Zweig, den man einfach ins Feuer würfe, so wie jener römische Kaiser, welcher mit mir ganze Ehrenfeuer für seine verstorbene Kaiserin abbrannte. Er hatte sie persönlich umgebracht, in böser, wilder, leidenschaftlicher Lust, wir beide hatten ihn umgarnt. Nein, ihr würdet mich nicht erkennen, bis ihr mich röchet, süßlich staubig, würzig, etwas herb. Ich bin in dunklen Schiffsbäuchen gereist, zusammen mit der stumpfen Muskatnuss und dem bissigen Pfeffer, ich habe alle besiegt, auch die üblen Gerüche der tangverhangenen salzigen Fluten um das Schiff herum, und jene unaussprechlichen Ausdünstungen, die da entstehen, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben. Ich habe alle besiegt, indem ich sie einhüllte in meinen Duft, es war eine Lust, mit mir auf einem dieser Schiffe zu reisen. Wo Lust ist, bin ich zuhause. Wo ich zuhause bin, ist Lust. Ich bin nichts, bevor du mich anwärmst, ein kleines Stück Rinde nur, man erkennt mich nicht, es sei denn, man wärmt mich in der Hand, schließt die Augen und riecht mich, meine Süße, meine verhohlene Schärfe. Ich habe die Haut orientalischer Prinzessinnen und arabischer Fürsten beduftet und Akbar den Großen verführt.
Und heute nun?
Ihr mischt mich in Teig und knetet mich, bis ich mich erwärme, und backt mich, bis ich mich noch mehr erwärme, das habt ihr verstanden, ihr, die ihr mich in den dunklen Schiffen aus meiner Heimat entführtet. Aber ihr seid Diener derselben Lust. Ihr könnt es kaum erwarten, und ihr könntet es auch nicht verhindern, dass ich aus eurem Gebackenen aufsteige, wenn ihr die Ofentür öffnet, dass ich bis unter die Decke eurer kargen Räume steige, und sie mit einem Nachhall jener Zeiten erfülle, als ich den Körper von Kostbaren noch kostbarer machte, und ihre Lust noch lustvoller. Ich sehe es an euren Augen, sie glänzen wie goldene Kuppeln und sprechen vom gleichen Zauber, als erinnertet ihr meine Herkunft, eure Nüstern beben, über euer Gesicht zieht ein seliges Lächeln, und ihr lasst euch von meinem Duft umschmeicheln und einhüllen, lasst euch in ihn wie in ein Lager mit seidenen Kissen fallen. Vollends versöhnt bin ich, wenn ihr mich dann hineintragt zu dem goldgeschmückten Baum, dessen harzig duftende Zweige mir gute Gefährten sind. Zwischen ihnen lasse ich mich nieder, dehne mich aus, erfülle die von honigduftenden Kerzen angewärmte Luft. Und unter mir raschelt es seidig, werden voller Spannung farbenprächtige Schleifen aufgezogen und kleine Freudenjauchzer ertönen. Wo ich bin, ist Wärme, wo ich bin, herrscht Sinnenfreude, wo ich bin, sind Glanz und Frieden.

Braunschleimchen und Rosenrot

Mein Papa mag mich nicht. An einem feuchten, dunklen Ort kam ich zur Welt. Papa schämt sich für mich und hat mich in seinem Keller weggesperrt.

Aber heute flieh ich und ich will blutige Rache üben. Das Schlachtfeld habe ich exzellent gewählt: ein Aufzug - dort sitzen sie in der Falle. Genau zwischen dem dritten und vierten Stockwerk blase ich mit Pauken und Trompeten zum Angriff. Es geht ab durch die Mitte. Aus dem Hinternhalt fege ich aus meinem Gefängnis und mäandre durch ihre gerümpften Nasen. Es ist ein Massaker, ich lasse niemand entkommen.

Brechreiz, Schwindel und maßloser Zorn schlägt mir entgegen. Papa wird mit Blicken festgenagelt, hätte sich am liebsten in seinen Po verkrochen. Nach Luft schnappend wühlt die bildhübsche Frau hinter ihm ein Flacon aus ihrer Handtasche: Es ist der Beginn einer kurzen aber heftigen Liebesgeschichte. Aus dem Zerstäuber flieht das lieblichste Geschöpf, dass ich je in meinem finsteren Leben gerochen habe. Wir vereinigen uns innig, Unterschiede ziehen sich eben an. Es war Liebe auf den ersten Duft.

Im vierten Stock taumelt alles aus dem Aufzug. Nur mein Papa bleibt mit unseren Aromen zurück: in der Kopfnote Raubtierkäfig, in der Basisnote Schweinegülle und in der Herznote ein Hauch von Rosen. So verabschiede ich mich von meinem Schöpfer, Arm in Arm mit Rosenrot. Die Aufzugstür schließt sich und wir entweichen in die Freiheit.

Die Entführung

Ich umspülte meine Welt wasserlos, ich war die universelle Sprache, und dennoch geräuschlos.
Ich wurde gebraucht, geliebt und auch verabscheut.
Wie auch immer, ohne micht klappte es nicht auf meiner alten Erde. Sie verließ sich auf mein zeitloses Gedächtnis und jene Erinnerungen, die ich dieser Welt erhielt und neu schuf.
Dort wurde ich als selbstverständlich wahrgenommen, ich strömte durch große und kleine Wesen aller Zeiten dieser Welt, nährte mein Gedächtnis und teilte dieses widerum mit all denen, die mich in sich aufnahmen und wieder von sich gaben. Ich war Teil eines in sich geschlossenen, sich fortwährend erneuernden Kreislaufs der Düfte. Wieso ich das WAR ?

Nun, die konzentrierte Essenz meines Ichs wurde von einer mächtigen Technologie abgeschöpft, und das riesige, stumme Behältnis, in dem ich seither verwahrt bin, bereitet mir großes Unwohlsein und nährt meinen Zorn.
Ich werde einer neuen Welt nicht gut tun.

Der Yoga-Burger

Wenn es um Aliens geht, ist die Menschheit im Allgemeinen recht fantasielos: Man stellt sich menschenähnliche Wesen vor. Ganz gewiss nicht jene Entitäten, die längst unter uns weilen, ungesehen in unseren Häusern wohnen und uns ausspionieren.

Bertram Fiedler hat gerade den Yoga-Ashram betreten und den Rauch der kleinen Duftkerze im Vorzimmer eingeatmet, der die zarte Fußschweiß-Note in der Luft überdecken soll. Er entledigt sich seiner Schuhe und Socken und geht weiter. Er begrüßt Bekannte, nickt dem Yogalehrer zu, breitet seine Matte aus. Bertram setzt sich lächelnd. Um sich zu zentrieren und zu sammeln, schließt er die Augen und nimmt einen tiefen Atemzug.
Überrascht reißt er die Augen auf, als er glaubt einen dicken, fetttriefenden Burger zu riechen - so intensiv, dass er fast danach greifen möchte. Wie lange schon hat er sich diese Jugendsünde nicht mehr gegönnt? Es müssen Jahre sein, und doch kann er das fettige Fleisch im fluffig-labberigen Brötchen beinahe auf der Zunge spüren. Bernd ist zugleich angeekelt und voll Sehnsucht, als er daran denkt. Verwirrt blickt er um sich und fragt sich, woher der Geruch wohl herangeweht sein mag. Doch da beginnt die Yogastunde und lenkt ihn ab.

Nie wird Bernd erfahren, dass der scheinbare Geruch ein körperloser Alien war…

Für immer

Ich bin eigentlich gar nicht mehr da und doch bin ich hier. Langsam und sanft steige ich hoch, denn ich habe fast zwanzig Jahre darauf gewartet mich erheben zu können. In dieser Zeit habe ich in einer blau und cremefarbenen Porzellandose darauf gewartet, dass ich befreit werde.

Während ich hochsteige hält das Mädchen, das mittlerweile eine junge Frau und selber Mutter ist, inne. Sie schließt die Augen und lässt sich von den Erinnerungen treiben.

Vor ihren Augen sieht sie ihre Großmutter, eine hochgewachsene, schlanke Frau mit Brille und Dauerwelle in ihren dunkelgrauen Haaren. Sie erinnert sich an die federleichten Berührungen, die unendliche Liebe und die Freude, die sie mit ihr geteilt hat. Es fühlte sich warm an, wie Sonnenstrahlen an einem Frühlingstag.

Dieser unverkennbare Geruch nach Kamille und Eukalyptus, vermischt mit den schönsten Kindheitserinnerungen treiben der jungen Frau Tränen in die Augen. Als sich langsam eine Träne löst, blinzelt sie und schließt mit einem Klappern die Porzellandose, um die Erinnerungen und die Trauer, die damit einhergehen, wieder einzusperren.

Und ich? Ich weiß, dass die Porzellandose nur einen ideellen Wert hat und eigentlich auch keinen Geruch mehr. Doch die Liebe und die Erinnerungen lassen mich dennoch auf ewig in dieser Dose verweilen. Und so warte ich auf die nächste Gelegenheit mich aus meiner Dose zu erheben und Erinnerungen auszulösen.

Die Cellistin

Sie lächelt, als sie mich in sich spürt. Ihre Nasenflügel beben, ich beuge mich über sie und sehe sie an. Sie dreht mir den Rücken zu und lässt mich ganz tief in ihr sein. Sie entspannt sich mehr und mehr und ihr Lächeln berührt mein Herz. Wir kennen uns schon seit ihrer Kindheit. Damals lebte ihre Mutter, die Pianistin, in Rom. Sie saß während der Etüden ihrer Mutter auf deren Schoß und erlebte fasziniert das Spiel ihrer Hände. Dabei hörte sie die erstaunlichsten Melodien und schon damals nahm sie mich in sich auf. Der feine herbe Geruch von Holz und Lack, dunkel und aromatisch. Dazu eine Note vom Öl der Züge, die der sensible Klavierstimmer so behutsam zu pflegen wusste. Ich bin so gerne bei ihr und mit ihr. Sie schmeckt mich oft in ihren Träumen. Dann ist sie wieder in ihrer Kindheit, lauscht dem Spiel ihrer Mutter und ist umgeben von meinem Odem. Wir sind dann unzertrennlich verbunden und sie lächelt. Für dieses Lächeln verströme ich mich. Die Klaviermusik, das Licht und der feine Geruch des alten Flügels, dem ich entweiche. Sie studierte mit sechzehn Jahren Cello – und ich blieb bei ihr. Wenn ihr die Finger schmerzten und sie schier verzweifelte an endlosen den Griffübungen. Erschöpft schlief sie ein – und ich wehte zu ihr: sie lächelte wieder, tanzte und spielte mit ihrer Mutter, schwebte im Traum über den Flügel. Und sie empfand mich und sah mich doch nicht. Mein Schicksal, so verbunden mit ihr. Nur ihre allerbeste Freundin, Charlotte, kennt unser Geheimnis: Sie verträgt kein Parfum. Als Charlotte sie danach fragt, lächelt sie nur.
Und das, ist für mich das schönste Zeichen unserer endlosen Nähe.

Phallus impudictus

Haha, ihr werdet mich nicht finden, rufe ich dem kleinen Grüpplein Menschen zu, das im Wald noch immer nach der schrecklich hingemetzelten Leiche sucht.

Ich gehe meinen eigenen Weg.

Ah, entzückend, gerade kommst du hoch, viele Monate lang hab ich auf dich sehnsüchtigst gewartet. Du geiles Hexenei, so jungfräulich, noch so klein. Wie von Geisterhand schiebst du dich in der finsteren Nacht aus dem feuchten Untergrund. Leise, still, heimlich.

Bald, gar bald werden wir uns vermählen. Ich kann es kaum erwarten, dich in Besitz zu nehmen. Nur wir beide im finstern Tannenwäldchen voller Meuchelmordsgeschichten. Dort auf der kleinen Lichtung wird es geschehen!

Als Brautgeschenk entbiete ich dir in meinem Odeur die reizvollsten Mistkäfer sowie die fettesten Fliegen, wie ungeduldig, da sieh, schon wollen sie dich umschmeicheln und zernagen. Sie zehren bereits an deiner weichen Kappe, krabbeln tief in dein einziges Auge, köstlich.

Lass dich von mir umwabern mit dem beißendsten Aasgeruch, oh du meine Schönste. Wie lieblich stinken wir zusammen nach Gedeih und Verderb.

Gar zu bald wirst du mir schon deinen schleimigen Leichenfinger matt und in der Mitte weich entgegenrecken. Dann brauchst du mich nicht mehr.

Und mit stinkendem Geröchel stirbt die Mörchel.

Der Herbst, Tage werden kürzer. Die Farben, eine endlose Palette.
Torfige Düfte, erdig, verghend, schimmelnd, sich auflösende Blätter werden schwarz. Segeln im Wind, folgen ihrem eigenem Weg beim Herrabfallen. Vertrocknen im Wald unter den Bäumen. Ein hellbrauner Teppich bedeckt die Erde unter den kahl werdenden Bäumen. Ein ewiges Zeugnis des Herbstes. Trocken, leicht lederig und nach Gerbstoffen duftend scheinen sie ewig dort liegen zu bleiben. Elaine durchwandert den Wald. Die Augen geschloßen. Die Luft genießend, leicht bitter, erdig, kalt und frisch. Bei Regen fast schneidend ,verletzend bei Kälte in der Nase. Der tägliche Spaziergang bringt Erinnerungen zurück.
Zu Hause angekommen, vor ihrem Kleiderschrank, kommt der Duft von „Old Spice“ zurück. Ihr ist nicht klar, ob es die Erinnerungen an ihn sind oder ob der Herbst mit seiner Feuchte und den letzten warmen Tagen diesen Geruch aus den letzten Kleidern, die sie von ihm besitzt, aus dem Schrank herausdrückt. Aus den Ritzen zwischen den Türen. Den Spalt an der Seite, dort wo ein Span Holz abgeplatzt war, beim Umzug aus dem Haus. Der Türgriff in ihrer Hand fühlt sich leicht kühl an. Langsam öffnet sich die Tür mit einem leisen Quietschen. Nach der Hälfte knarrt die Tür. Unentschloßen steht Elaine vor dem alten Kleiderschrank, der an der Seite leicht wurmstichige Spuren dunkel im Holz abgezeichnet hat. Sein Holzgeruch steigt seicht in ihre Nase. Langsam, zaghaft leicht unentschloßen hebt sie ihren Arm. Ihre Hand etwas schlaff, fast kraftlos. Vorsichtig streckt sie die Hand vor um die Erinnerung an ihn zu berühren. Ihre Augen werden feucht. Der Mund verzieht sich mit geschloßenen Lippen. Der Schmerz steigt ihr in die Kehle. Sie gleitet am Ärmel des Sackos mit ihrer Hand hinab. Hebt ihn langsam zur Nase. Mit geschloßenen Augen atmet sie langsam ein. Ein Duft nach Zimt, ein wenig Moschus mit einer frischen Note. Ein dunkles herzliches Lachen klingt in ihren Ohren. Ein „ Ich liebe dich“. Das letzte Weihnachten zusammen mit ihm. Der Geruch von Tannennadeln. Adventsgebäck. Der Apfelkuchen, den sie zum brasilianischen Kaffee am Nachmittag von Weihnachten aßen. Der fruchtige Wein, den sie zu Abend tranken. Zum Gänsebraten, der mit seinen Aromen die Wohnung ausfüllte. Die Rosmarinkartoffeln, dunkle Bratensoße. All dies konnte sie riechen. Dann war es vorbei. Schlagartig. Der Geruch vom Putzmittel lag in der Luft. Sie drehte sich um, ging am Wäscheständer vorbei. Der Duft von Lavendel streifte sie. Eine Träne rann die Wange herab. Zaghaft wischte sie mit dem Handrücken über das Gesicht. Atmete einmal tief durch. Straffte sich, wappnete sich für den Tag. Als ob dies alles fortwischen könnte. Wedelte sie einmal mit der ausgestreckten Hand vor dem Gesicht.

Was ich bin? Ich bin…

Ich bin intensiv, einzigartig, gleich und doch unbekannt.
Ich rieche für jeden anders, und doch auch irgendwie gleich.
Viele haben mich schon war genommen, ohne mich wahrzunehmen.
Das liegt daran, dass ich entstehe, wenn ein, zwei oder mehrere Menschen aufeinandertreffen und Spaß haben. Ich bin eine Mischung aus einem und allen, jeder gibt mir seine persönliche eigene Note.
Die, die mich erschaffen, nehmen mich oft nicht wahr, bzw. nicht aktiv, sondern eher passiv.
Es sind eher die Menschen, die dazustoßen. Den Raum betreten.
Diese erkennen mich meist direkt. Wobei nicht immer. Es kommt schon auf das Alter, die Erfahrung und die Auffassungsgabe der Personen an.
Denn ich bin bekannt und doch unbekannt.
Wenn sie mich allerdings erkannt haben, wirds meistens lustig, zumindest für mich. Die, die mich erschufen, sind da zumeist eher unangenehm berührt. Ich bin ihnen peinlich.
Für manchmal, die mich wahrnehmen, bin ich sehr anregend. Ab und an erschaffen sie mich danach auch.
Andere finden mich wiederum unangebracht oder gar abstoßend. Und das, obwohl sie mich, zumindest teilweise selbst schon das ein oder andere Mal erschaffen haben.
Oft werde ich aber einfach ignoriert.
Das ist schade. Wo ich doch so natürlich bin. So rein, so intensiv. So unverkennbar einzigartig.
Mich gab es schon immer. Und mich wird es auch immer geben.
So wie jetzt gerade, schmunzelnd nahm ich folgende Situation wahr.

Die Tür wurde aufgerissen und eine Menschenfrau stürmte herein. Sie sah missbilligend zu den beiden im Bett liegenden, nackten Personen.
„Meine Güte habt ihrs mal? Wir bekommen gleich Besuch, also hopp hopp, anziehen!“ Dabei drehte sie sich um und verließ kopfschüttelnd den Raum. Im Flur drehte sie sich allerdings nochmal um und rief: „Und macht mal das Fenster auf! Hier stinkts nach Sex!“

Der Duft-Brief

Liebende Riechende,

ich muss da mal dringend was klarstellen.
Irrtümlich wurde meine Geschichte falsch erzählt, mein Schöpfer ist da zu sehr in den Vordergrund gestellt worden und wie wir alle sicherlich wissen,
bin ja ich, das eigentlich wichtige in dieser Erzählung.

Also erzähl ich sie euch jetzt richtig.

Ich wurde erschaffen, um den Gestank dieser Welt zu überdecken.
Der Duft der Düfte zu werden.
Und vor allen, Macht über euch zu haben.

Ich bin süß und salzig, bitter und sauer.
Ich bin Verlangen, Begierde und vermeintliche Liebe.
Ich bin Gier, Drang und Macht.
Ich bin Hingabe, Verzückung und Anbetung.
Ich bin so vieles und noch mehr.

Ein einziger Tropfen meines Duftes und ihr werdet mir alle hörig sein.

Ich krieche in eure Nasen und verneble eure Sinne.
Ihr werdet verrückt nach mir sein und mir nicht widerstehen können.
Ihr werdet mich besitzen müssen.
Mich verzehren.

Ich bin ein Diadem der Düfte, kreiert aus den exquisitesten Düften.
Der Geruch einer heranreifenden jungen schönen Frau, oder auch 24.

Sorry Jean-Baptiste Grenouille, du bist nichts ohne mich. Nicht einmal einen eigenen Geruch hast du. Dazu brauchtest du ja mich

Hochachtungsvoll

DAS Parfüm

Odeur de vie

Als die Mode aufkam, sich mit Moschus zu besprühen, schöpfte er Hoffnung. Wenn die Menschen freiwillig so riechen wollten, wie ein Ochse am Arsch – dann vielleicht auch endlich gern nach ihm?

Nach kurzer Zeit war klar: Wieder nichts.
Niemand sammelte Proben, versuchte seine Moleküle einzufangen und zu extrahieren oder sonst wie ein Öl aus ihm zu gewinnen. Auch nichts Öl-Ähnliches, das sich in Flacons abfüllen und auf alle Körperteile versprühen ließ. Er zierte weder den warmen Hals einer schönen Frau noch aromatisierte er den gut durchbluteten Nacken eines stolzen Mannes. Vielmehr war er dazu verdammt, genau da zu verbleiben und am Ende zu vergehen, wo er entstand.

Manchmal klammerte er sich mit aller Kraft an einen vorbeikommenden Menschen, legte sich auf dessen Haut, schmiegte sich in die Fasern der Kleidung, drang in alle Falten und Ritzen und ließ sich so in die große weite Welt tragen. Aber dieses Glück währte nie lange. Bald waren Mensch und Kleidung gewaschen und er verschwand.

Immerhin: Wer ihn einmal kennengelernt hatte, vergaß ihn nie. Und das erfüllte ihn mit einem gewissen Stolz. Es gab ihn schon weit länger als das Parfüm aus dem Drüsensekret der Ochsen.
Er existierte von Anbeginn der Menschheit. Er war unverwechselbar, durchdringend. Wäre er ein Wein, würde man ihn lieblich nennen. Gereift war er richtig fett. Eben etwas ganz besonderes.

Warum also diese Abneigung? Er verstand es nicht. Entstehen, leben, vergehen. Der ewige Kreislauf, an dem er seinen Anteil hatte. Es gab kein Entkommen. Für niemanden.

Der alte Mann auf dem Bett würde sich nicht mehr von ihm abwenden.
Auf ihm und in ihm würde er sich ausbreiten. Ungestört und nach Kräften, so, wie es seine Bestimmung war. Dieser Körper war seine Nahrung. Dank ihr würde er wachsen, leben und gedeihen. Bis das letzte Molekül dieses Menschen verbraucht war.

Angewidert

Mein Leben wird kurz sein, dass weiss ich schon seit meiner Geburt, die erst wenige Sekunden zurück liegt. Ich sehe noch wie der Hund um die Ecke verschwindet, mein «Erzeuge». Doch jetzt gilt es meiner Aufgabe nachzukommen. Ich steige auf, über dem braunen Klecks auf dem Gehweg, hänge an ihm fest und breite mich doch in alle Richtungen aus. Warte auf Menschen die Vorbeigehen. Da ist ein Mann, ich wabere auf ihn zu. Krieche durch seine Nase und setzte mich Dorf fest. Angewidert verzieht er das Gesicht, schaut sich um und versucht einen grossen Bogen um mich zu machen. Ich begleite ihn noch einige Schritte, dann lasse ich ihn los.
Ich spüre wie ich an den Rändern beiseite gedrängt werde. Die Tür zur Bäckerei ist auf gegangen. Meine Schwester schauen heraus, verbreiten ihren Duft nach Frischem Gebäck. Sie schauen auf mich herunter, lachen über mich. Über sie freuen sich die Menschen, nicht wie bei mir. Ich drücke gegen sie, unsere Gerüche vermischen sich, ich gewinne, ich bin stärker. Da kommt eine Frau um die Ecke, ganz in eile, das Telefon am Ohr. Auch sie belästige ich mit meiner Anwesenheit. Doch sie schein mich kaum zu bemerkten, verzieht nur etwa das Gesicht, läuft direkt auf mich zu. Und, ou, ihr Schuh. So schnell wird sie mich heute nicht mehr los. Das wird ein aufregender Tag.

Ich habe gute Tage und schlechte. Ja, es gibt Tage, an denen läuft man mir besser nicht über den Weg. Du doch auch, tu nicht so. Ich kenne dich besser als du selbst dich kennst. Und ich weiß genau, welche Knöpfe ich bei dir drücken muss.
Was für ein Tag heute ist, fragst du dich jetzt? Heute ziehe ich durch die diesigen Straßen. Es nieselt ohne Unterlass. Eine Gestalt eilt an mir vorbei, in eine Regenjacke gehüllt, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ich biege in eine Seitengasse ab und halte vor einem Haus an, bei dem der Putz von den Wänden bröckelt. Dann schwebe ich unter der Haustür hindurch, das kalte Treppenhaus hinauf. Als ich im Dachgeschoss ankomme, spüre ich schließlich das mir allzu vertraute Gefühl. Ich schlängele mich unter dem Schlitz unter der Wohnungstür hindurch, hinein in die Wohnung. Stickige Heizungsluft schlägt mir entgegen. Aus einem der Zimmer dringt ein schwacher Lichtschein in den Flur. Ich folge dem Licht ins Wohnzimmer. In einem Sessel sitzt eine Frau, die Füße auf einem Fußhocker ausgestreckt, und liest ein Buch. Neben ihr steht eine dampfende Tasse Tee. Ich lasse die Gefühle, die von der Frau auf mich einströmen, wirken. Dann weiß ich, was es hier braucht.
Ich verändere mich, langsam, aber stetig. Bis die Frau irritiert aufsieht. Sie greift nach ihrer Tasse, riecht an dem Tee. Stellt ihn zurück und sieht sich im Raum um. Runzelt die Stirn. Plötzlich werden ihre Augen feucht. Rasch trocknet sie sie mit dem Ärmel ihres Pullovers. Doch mir entgeht die Träne nicht, die ihre Wange hinabfließt.
Und ich weiß, ich habe den Geruch zur Perfektion getroffen. Den Geruch des Kakaos, den ihre Mutter mit etwas zu viel Gewürz versehen hatte, das sie neu gekauft und endlich mal hatte ausprobieren wollen. Über das sich die beiden amüsiert hatten. Der Geruch des letzten Kakaos, den die beiden gemeinsam getrunken hatten, ehe ihre Mutter am nächsten Tag völlig unerwartet verstorben war.
Eine weitere Träne bahnt sich ihren Weg. Und noch eine.
Langsam verändere ich meinen Geruch weiter. Wieder langsam, um der Frau Zeit zu geben für ihre Emotionen. Ich nehme das Gewürz heraus, mache den Duft ein bisschen süßer, runder. Allmählich schleicht sich ein Lächeln auf das Gesicht der Frau. Und ich kann die Erinnerungen sehen, die in ihr aufsteigen. All die gemeinsam getrunkenen Kakaos. Jeden Winter, Nachmittag für Nachmittag, wenn sie von der Schule heimkam. Als sie noch ganz klein war und auch, als sie schon größer war. Als sie ihren ersten Liebeskummer hatte, als sie ihren Führerschein bestand, als sie ihren ersten Job ergatterte. Zum Trost und zum Feiern, im Winter gab es den Kakao zu jedem Anlass. Wie oft hatten sie über einer Tasse Kakao geweint und gelacht? Vor allem gelacht hatten sie.
Das Lächeln der Frau reicht inzwischen hinauf bis in ihre Augen. Sie streicht sich die Tränen aus dem Gesicht, schlägt das Buch zu und sieht noch einen Moment lang die Erinnerungen vor sich. Dann steht sie abrupt auf und geht in die Küche. Kramt in den Hängeschränken, im großen Küchenschrank, der vom Boden bis zur Decke reicht, auf dem Holzbrett neben der Küchentür. Endlich wird sie fündig: ein kleiner Rest Kakao, gut versteckt hinter verschiedenen Sorten Tee. Lächelnd stellt sie ihn neben den Herd und nimmt eine Flasche Haferdrink aus dem Kühlschrank. Ich warte noch, bis sie einen Topf auf die Herdplatte gestellt hat und den Haferdrink erhitzt, dann weiß ich, es ist Zeit für mich, weiterzuziehen. Mein Werk hier ist getan.

Der Duft der Gefahr

SIE

Sie stieg in den maßlos überfüllten Bus. Das war definitiv nicht die bequemste Methode, allerdings in Anbetracht des furchtbaren Wetters heute immer noch besser als den Weg zu ihrer Wohnung zu Fuß zurückzulegen. Der Regen war am Nachmittag völlig überraschend über sie hereingebrochen. Dabei hatte es heute Morgen doch noch so gut ausgesehen. Wohl auch ein Grund dafür, dass sie die Wahl ihrer Schuhe passend zum restlichen Outfit nicht nochmal überdacht hatte. Nun stand sie mit nassen Füßen dicht gedrängt in mindestens einem Dutzend fremder Menschen und versuchte bei jeder Bremsung und jeder Beschleunigung den Griff an der Haltestange nicht zu verlieren, wobei ihr vermutlich auch in diesem Fall nichts passiert wäre, denn Platz zum Hinfallen hatte sie ohnehin keinen. Als sie bereits ein paar Stationen gefahren waren, bemerkte sie auf einmal einen süßlichen Duft. Er kam ihr bekannt vor, doch sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, woher sie ihn kannte. Sie versuchte seine Quelle auszumachen und sah sich einen Moment um. Dabei fiel ihr der Mann auf, der auf einem Platz am Fenster saß und sie geradewegs ansah. Sie war nie gut darin gewesen, Blickkontakten standzuhalten. Deshalb sah sie schnell weg und konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Geruch, der ihr gerade erneut ganz prägnant in die Nase stieg und intensiver zu werden schien. Sie versuchte herauszufinden, an was er sie erinnerte, ihn in seine Bestandteile zu zerlegen. Ihr kamen Bilder von Blumen in den Kopf, lilane, schlanke Blumen mit großen grünen Blättern. Sie kannte die Pflanze nicht, aber die Richtung passte.

ER

Er saß schon seit mindestens einer Viertelstunde auf seinem Platz und sah aus dem Fenster. Er war an einer der ersten Stationen eingestiegen und allmählich hatte sich der Bus immer weiter gefüllt. Mittlerweile passte kaum noch jemand hinein und als er zur Tür blickte, um diese Vermutung zu bestätigen, sah er sie. Sie stieg gerade ein. Sie hatte blondes Haar, das an ihrem Hinterkopf zu einem Dutt gewickelt war, aus dem mittlerweile unzählige Strähnen wild herausstanden. Sie war offenbar vom Regen überrascht worden und hatte sich hektisch unter das Dach der Bushaltestelle gerettet. Das jedenfalls stellte er sich nun vor. Ihre Bluse und der Blazer darüber verrieten, dass sie eine schlanke Figur hatte und ihre Hose betonte ihre schönen langen Beine und ihren kleinen Po. Sie war genau sein Beuteschema. Er behielt sie im Auge und achtete genau auf jede ihrer Bewegungen. Als sich ihre Blicke trafen, sah sie schnell wieder weg. Er jedoch konnte seinen Blick nicht mehr von ihr abwenden. Kein einziges Mal blickte er in eine andere Richtung. Er hatte sein Ziel erfasst und würde es nicht wieder aus den Augen verlieren.

Sie schulterte gerade ihren Rucksack, als die Durchsage die nächste Station ansagte. Sie betätigte den Halteknopf. Wie vom Blitz getroffen, packte auch er all seine Sachen zusammen und sprang von seinem Platz auf. Er arbeitete sich durch die Menge zur Tür und stieg an der nächsten Haltestelle aus. Auch sie war dort wie vermutet ausgestiegen. Er zog schnell seine Jacke an und schulterte dann seinen Rucksack, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Dann begann er in dieselbe Richtung zu gehen.

SIE

Es war bereits dunkel, als sie an ihrer Zielhaltestelle ausstieg. Der Regen war etwas schwächer geworden, doch sie beeilte sich dennoch, schnell nachhause ins Trockene zu kommen. Gerade als sie um die Ecke in die nächste Straße bog, nahm sie wieder diesen Duft wahr, der intensiver zu werden schien. Kurz überlegte sie, ob sie ein neues Waschmittel hatte und roch an ihrem Schal, doch der roch wie immer. Auch neben ihr war nirgends ein Blumenladen oder irgendetwas dergleichen zu sehen.

Nach der Ecke war der Geruch verschwunden. Vielleicht hatte sie doch einen Blumenstrauß übersehen oder jemand aus dem Bus hatte zu viel Parfum aufgetragen und war auch an der Haltestelle ausgestiegen. Sie vergaß den Geruch und ging weiter. Als sie nun nach rechts schaute, stand sie vor ihrem Lieblingsasiaten und beschloss kurzerhand etwas für heute Abend mitzunehmen.

ER

Als er um die Ecke bog, sah er gerade noch, wie sie einen Laden betrat. Er blieb stehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis sie wieder herauskam. Er hoffte, dass das nicht allzu lange dauern würde, da er bereits vollkommen durchnässt war vom unerbittlichen Regen.

Wenig später sah er sie mit einer Tüte in der Hand aus der Tür treten. Sofort ging auch er wieder los. Als sie sich plötzlich umschaute, versteckte er sich schnell in einem Hauseingang. Während er so hinter ihr lief, kam er nicht umhin, zu bemerken, wie elegant ihr Gang war und wie schön ihr Po sich dabei bewegte. Er stellte sie sich ohne Hose vor, wie sie sich an einem privaten Ort nur für ihn so lasziv bewegte. Dabei verringerte er ganz automatisch den Abstand zwischen ihnen und sein Verlangen nach ihr wuchs.

SIE

Mit dem Essen in der Hand verließ sie den Laden wieder. Während sie vor die Tür trat, stieg ihr auf einmal wieder dieser Duft in die Nase, noch stärker als zuvor. Sie sah sich kurz um, konnte jedoch nichts entdecken, was ihn ausströmen könnte also ging sie weiter. Auf ihrem restlichen Weg verschwand er immer mal wieder, nur um kurz danach wieder aufzutauchen. Am intensivsten war er, als sie gerade am Eingang des Parkes vorbeikam, der eine Abkürzung zu ihrer Wohnung darstellte und sich entschied, diese zu nutzen. Sie wollte nachhause und sich trockene Sachen anzuziehen.

ER

Nun waren sie an einem Parkeingang angekommen. Der Park schien leer zu sein. Sie überlegte kurz, lief dann jedoch auf den Eingang zu. Er sah seine Chance und holte noch weiter zu ihr auf, doch gerade als er sich ihr soweit genährt hatte, dass er sie packen konnte, wehte ein Windstoß ihren Schal davon. Vor Schreck stieß sie einen kurzen Schrei aus, drehte sich um und wollte ihrem Schal hinterherlaufen. Als sie ihn sah, wich sie ihm aus und lief nun in Richtung ihres Schals, der gerade von einem jungen Mann aufgefangen wurde, welcher ihn ihr reichte und mit ihr sprach. Die beiden gingen zusammen davon und ihm blieb nichts anderes übrig als von ihr abzulassen und selbst den Heimweg anzutreten.

SIE

Sie schaute ihrem Schal hinterher, der gerade von ihrem Freund Max aufgefangen wurde und lief schnell zu ihm, um ihn zu begrüßen.

»Hey! Vielen Dank.«

Max lächelte sie an und gab ihr den Schal. »Gern geschehen. Hab ich also richtig gehört. Du bist es.«

»Ja, sieht so aus. Ich bin auf dem Weg nachhause. Wollen wir zusammen gehen?«, fragte sie ihn nun.

»Gern, wir müssten aber vorn lang gehen. Ich muss noch ein Buch im Buchladen abholen.«, antwortete er. Sie stimmte zu und sie liefen zusammen in die andere Richtung. Bei der Gelegenheit fragte sie ihn gleich, ob er ihr helfen konnte, zu bestimmen woher sie den Geruch kannte, der in der Luft lag. Doch er schaute sie nur schief an und fragte verwundert: „Welcher Geruch? Ich riech nichts außer dein Essen, aber dabei weißt du vermutlich selbst, was es ist.“ Wie um seine Aussage zu unterstreichen, sog er demonstrativ die Luft vor sich durch die Nase ein. Und in dem Moment fiel ihr auf, dass auch sie nichts mehr roch. Der Geruch, der sie seit dem Bus begleitet hatte, war verflogen.

Hm, wie heiß. Feuer. Glut und brennender Steine. Noch halte ich mich zurück. Die guten Stücke liegen noch im Rohr.
Ich streife die Ziegel, sie zischen. Alles ist bereit. Sogar die Mäuse lauern schon. Sie warten seit Tagen, ich bin nur der Vorbote.
Dann nähern sich Schritte, da kommen sie auch schon. Er, ein junger Mann, geht auf der Straße vorne weg. Sie folgt. Doch ihre Stirn nicht mehr; sie liegt in Falten; ihre Augen haben jeden Glanz verloren.
Sind sie es? Bin ich ihretwegen hier? Ich denke nicht. Sie sind so jung, nicht mal erkennen würden sie mich.
»Jennifer«, sag der Jüngling und verlangsamt seinen Schritt. Auch seine Augen sind leer. »Kannst du …«
Die Türe, die windschiefen Bretter, sie halten mich nicht auf. Ich dringe hindurch, ströme hinaus, wie weiße Schmetterlinge im klaren Mondlicht. Zwei Straßen weiter kläfft eine Töle. Sie haben es nicht gehört.

»Ja«, murmelt die Frau. Doch dann bleibt auch sie stehen. Eingehüllt sind sie von mir. Beide Blicke ruhen nun auf dem Fenster und der klapprigen Tür daneben. Sie stehen einfach da.
»Ich«, versucht er vorsichtig, und noch mal »ich«, mehr ist nicht zu machen. Aber seine Augen werden groß, so, als atme er mit seiner Haut. »Damals«, er streicht mit seiner Hand über den Hals, »klein war«. Nun nickt er, und seine Stimme klingt ganz wie neu. »Mutter.«
»Tobias?« Sie sieht ihn verwundert an.
»Ich meine nur«, er zögert, dann dreht er zu ihr. »Jennifer.« Er nimmt ihre Hände in seine und hält sie ganz fest. »Es tut mir leid. Das alles …«

Jennifer weint, doch auf einmal scheint die Träne nach Karamell zu duften. Nun sieht sie ihn wirklich an, das erste Mal seit Wochen. Ihre Augen sind wieder ganz blau. Langsam folgt ihr Blick den Konturen seiner Lippen. Ein Lächeln erhellt ihr Gesicht, küsste sie ihn? »Lass und nach Hause gehen, ja«, flüstert sie, »ich habe plötzlich hunger.« Tobias nickt.
»Sag mal, was riecht hier eigentlich so gut?«
»Ich hab keine Ahnung. Riecht aber super. Was das wohl ist?«
»Pizza?«
»Glaube ich nicht.«

Gerade, als sie verschwunden sind, kommt der Bäcker, öffnet den Ofen und zieht die Brote heraus. Frisch gebackenes Brot.

Der Geruch von Freiheit und Abenteuer
(der mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Mal mehr, mal weniger, aber immer präsent)

Ich führe ein Schattendasein. Verdammt zur bedeutungsvollen Bedeutungslosigkeit.
Mein Untertan verflucht als allgegenwärtiges Hindernis.
Gefühlt vor Jahrhunderten, mindestens jedoch Jahrzehnten. Wie auch immer.
Ich bin für Viele ätherisch-aromatisch, ölig, beißend, stinkend. Gelb, blau oder mitunter rot.
Vor langer Zeit war ich jemand von Bedeutung.
Man ist mir und meinem Untertan mit Achtung, fast Verehrung begegnet.
Man hat uns allenthalben Respekt, sogar Bewunderung entgegengebracht.
Einen imaginären Haut vor uns gezogen.
Gemeinsam waren wir die Troubadoure von Freiheit und Abenteuer.
Die bewunderten, staubigen Botschafter ferner Länder.
Die Verkünder exotisch-kulinarischen Geschmacks bisweilen.
Ich bin was ich bin. Niemand mag mich, alle brauchen mich.
Ich genieße mein Dasein in der Gewissheit, dass ich allgegenwärtig bin und bleiben werde.

Hatschi!

Ich bin so aufgeregt! Ich versuche mich so schnell wie möglich zu drehen, aber das ist einfach nur langsam. Aber gleich, gleich geht es los! Ich kann es spüren, es wird wärmer und wärmer. Ich drehe mich, schneller und schneller. Gleich kann ich gleiten, schwerelos, soweit ich mit der Wärmepumpe am Popo komme. Aber das ist meistens weit genug.
Ich bin gespannt, was diesmal passieren wird. Jedesmal passiert was anderes und ich bin jedesmal gespannt. Diesmal hat sich noch ein Molekül mit eingeschlichen, etwas ist also anders als es sonst immer ist. Ich weiß nicht so genau, wie ich das finde. Aber ändern kann ich es nicht. Vielleicht wenn ich mich schneller drehe? Aber es ist noch nicht warm genug. Und das drehen macht mich so lustig, dass mich das angebabbte Molekül gar nicht mehr stört. Lustig ist es, die drehige Fahrt, mal nach rechts herum, mal nach links herum… draußen die Regenbogenwelt und gleich geht es los!
Das vertraute Klacken ist zu hören und daraufhin gibt es kein Halten mehr. Zusammen mit all meinen Schwestern schwinge ich los, durch all die anderen Moleküle hindurch, im Gleichtakt geht es durch die Welt. Da, der Sog! Der Sog, der Sog! Da müssen wir hin! Das angebabbte Kügelchen macht es mir schwer, sonst schwebte ich soviel leichter durch die Regenbogenmolekülwelt. Aber es geht trotzdem. Wir nähern uns, wir nähern uns… ich hüpfe vor lauter Aufregung hin und her, und da: es wird dunkel. Ich jubel und will weiterziehen, da erklingt ein ohrenbetäubendes: Haaaa und Schiiiiii und in einem Extremluftwirbel, der gar nicht mehr regenbogenlich ist, werde ich unsanft in eine ganz andere Richtung katapultiert. Zusammen mit ganz vielen anderen Ichs. Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir ganz und gar nicht. Ich will zurück, ich rudere, und rudere… aber ich bin durch all die anderen Ichs ganz schwer und müde und die Wärmepumpe ist ausgegangen. So war das aber nicht gedacht. Das war ganz und gar unerwartet. Nein, ich will zurück. Jetzt gleich!
Denn ich möchte meinen wundervollen Salbeiduft verströmen und dabei von ganz bunte Regenbogen-Bilder von Gesundheit und Wohlsein entstehen lassen!

Erste Heimat

Ich bin nahezu vom ersten Tag an mit dir verbunden. Es ist meistens nie richtig dunkel, aber auch nie wirklich hell hier.

Ich umhülle dich, jeden Quadratzentimeter deines Körpers.

Wie ich rieche, das erfährst du erst, wenn sich deine Sinne im wahrsten Sinne des Wortes gebildet haben. Dann flute ich jede deiner winzigen Riechzellen. 24/7.

Ich bin elementarer Bestandteil in diesem, deinem kleinen Universum. Womöglich hältst du mich für „dich“, so untrennbar bin ich von deiner Existenz.

Im Laufe des Tages variiert mein Geruch geringfügig, die Basisnote ist dir aber unverkennbar.

Ich bin dein erstes Zuhause. Deine Orientierung, in einer Welt, in der die Augen und Ohren eine untergeordnete Stellung haben.

Dann, irgendwann ist die Zeit gekommen, in welcher wir uns aufmachen, in eine irgendwie bekannte, aber doch unbekannte Welt.
Der Weg in diese, ist nicht länger als ein Kugelschreiber.
Ich hafte an dir. Ich gebe dir Ruhe, das Gefühl von Halt und Vertrautheit, wenn unzählige Reize ungefiltert auf dich niederprasseln. Ich erde dich.

Du wirst mich instinktiv suchen und auch außerhalb finden; an der Brust deiner Mutter.

Man sagt ich bin der Geruch „Vanille“ und doch bin ich immer anders. Einzigartig. Mich gibt es in der Welt in so vielen Variationen, wie es Mütter mit Neugeborenen gibt.
Und immer löse ich das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit aus.
Ich bin Schutz, Nahrung und bedingungslose Liebe.

Ich fühl mich wohl im Keller
An mir kommt keiner vorbei. Jedenfalls nicht wirklich, wenn er saubere und duftige Wäsche liebt. Ach, es ist herrlich im Keller, in der Waschküche, wo ich alles nach Herzenslust mit wallenden Dampfwolken füllen darf und mich nach allen Seiten bis unter die Decke ausbreite. Die meisten Menschen, die sich freiwillig in meine Gefilde begeben, wissen, was sie erwartet. Dabei nehmen sie mich auf ganz unterschiedliche Weise wahr. Entweder rümpfen sie die Nase oder sie ignorieren mich. Letzteres hasse ich ein wenig. Denn wer übergeht einen Duft wie mich? Wer zum Teufel wagt es, mich nicht wahrzunehmen, geschweige denn auf eigene Art zu mögen? Ich liebe es, die Dämpfe der schmutzigen Wäsche zu verdrängen und hülle mich in einen Nebel aus Waschpulverflocken und heißen Wasserdämpfen, die langsam aufsteigen und den ganzen Raum undurchsichtig verschwimmen lassen. Dann bin ich in meinem Element. Je stärker und heißer, desto duftiger komme ich den Menschen entgegen, die meinen Keller betreten. War da heute nicht schon wieder diese junge werdenden Mutti? Nicht nur, dass sie einen Berg Wäsche unter dem Arm hatte, nein, sie stand auch andächtig auf der letzten Kellerstufe und zog die Luft tief in sich hinein. Ich hörte, wie sie der anderen Frau zuflüsterte, dass sie süchtig wäre nach dem Geruch im Waschkeller, den Dämpfen, die von den Kesseln aufsteigen und sich bis unter die Decke verbreiteten. Meinte sie es ernst? Empört antwortete die andere Frau, dass wohl kaum jemand einen Duft wie von warmen und klatschnassen Wischlappen angenehm finden könnte. Warum denn nicht? Ich nehme mir vor, der süßen Schwangeren beim nächsten Mal ein wenig entgegenzukommen, dass sie mich bereits auf der ersten Stufe der Kellertreppe erschnuppern kann. Ich kreisele in den Dämpfen, krieche überall hinein, lasse mich auf Wäschebergen, in Eimern und Kesseln nieder, bis irgendjemand das Fenster öffnet und mich aus dem vertrauten Kellerreich verjagt. Von wegen faulig und unangenehm! Ich bin durch Arbeit entstanden! Wer wagt es, mich abzulehnen und sich zu beschweren? Ach, was sind die Menschen dumm. Denn die Schweißgerüche der Hemden und Pullover übertünche ich allemal. Solche Düfte in schmutziger, alter Wäsche sind unerträglich, aber ich doch nicht! Bloß gut, dass die älteren Leute in diesem Haus immer wieder den Weg nach unten finden und Feuer unter dem Kessel machen, damit ich mich voll entwickeln und für Stunden ausbreiten kann. Wenn ich mich anstrenge, schaffe ich es sogar bis ins Treppenhaus. Nur die Älteren schätzen meine Duftmarke und drehen sich manchmal im Kreis direkt unter meinen Dampfwolken. Denn nur ich, ich allein, bin der unbeschreiblich authentische Waschküchenduft aus alter Zeit. Schade, dass die Menschen sich aus Bequemlichkeit immer mehr Waschmaschinen anschaffen. Sie vermasseln mir doch tatsächlich das Vergnügen.

Rasierwasser

Mein Deutschlehrer vom Gymnasium, den ich in der 7. Klasse hatte und später nochmal in der 9. und 10. Klasse erinnerte nicht nur optisch an Oberstudienrat Dr. Knörz aus den Filmen um Pepe, den Paukerschreck, nein er ähnelte ihm auch zeitweise in seiner Art als Lehrer. Herzensgut, aber doch immer ein wenig durcheinander. Ich mochte ihn sehr und das, obwohl ich sicher nicht der einfachste Schüler war. Auf einer Klassenfahrt in den Harz erzählte er mir, dass er begeisterter Feuerwehrfan sei, und drei Jahre später, auf unserer Abschlussfahrt nach Berlin, war er einmal einen kompletten Nachmittag verschwunden, um eine Feuerwehrstation im Umkreis zu besuchen. Dort gab es noch einen ganz bestimmten Leiterwagen der Feuerwehr. Zwei Wochen vor den Halbjahreszeugnissen schaute er mit uns Filme, die wir sonst nicht gesehen hätten, wie zum Beispiel „The Outsiders“ von Coppola. Ich könnte noch einige Erinnerungen an ihn aufzählen, aber die folgende steht für mich im Vordergrund.

Es war ein Dienstag. Wir hatten soeben unsere Deutscharbeiten zurückbekommen. Eine Gedichtanalyse von Kästners „Sachliche Romanze“. Ich war mit meiner Note nicht zufrieden und ging nach vorne. Neben dem Pult stand ein Stuhl. Er verwies darauf, ich setzte mich hin und wir beugten uns über meine Arbeit. Plötzlich zog der Duft meines verstorbenen Opas zu mir rüber, ich sog den Duft in mir auf, verlor jegliche Konzentration und nickte nur beiläufig zu seinen Erläuterungen über meine Arbeit. Der Duft meines Opas. Natürlich war es nicht wirklich der Duft meines Opas, aber mein Deutschlehrer nutzte wohl das gleiche Rasierwasser.

„Haben Sie alles verstanden?“; fragte er mich.

„Bitte was?“

„Ob Ihnen die Note nun klar ist? Mehr als die drei ist das nicht.“

„Ja, sicher“, nuschelte ich vor mich hin und ging zu meinem Platz. Mein Opa verstarb als ich acht Jahre alt war. Ich erinnere mich nicht mehr an vieles von ihm. Das Aussehen? Vielleicht mehr von Fotos, die Stimme komplett aus meiner Erinnerung gelöscht, seine Art zu handeln nur noch bruchstückhaft vorhanden. Er war geradlinig. Ein Arbeiter. Unterstützte viele in seinem Umfeld mit Handwerksarbeiten. Abends zum Abendbrot trank er immer eine kleine Tasse Kaffee. Erst vor kurzem erzählte meine Mutter mir, dass der Kaffee entkoffeiniert war. Mein Opa verstarb als ich acht Jahre alt war. Ich erinnere mich nicht mehr an vieles von ihm. Als ich das Rasierwasser meines Deutschlehrers vernahm, sog ich mit dem Geruch all die gemeinsamen Momente, die ich mit meinem Opa hatte, auf. Wie im Schnelldurchlauf flogen die Erinnerungen vor meinen Augen entlang. Meine Erinnerungen. Ich lief lächelnd und glücklich weiter zu meinem Platz, setzte mich hin und die Bilder und der Geruch waren verflogen.
Ich fragte meine Oma nach dem Rasierwasser. Sie wisse es nicht, habe alles schnell weggetan nach seinem Tod.
In den Wochen danach versuchte ich den Geruch wiederzufinden. Ich fragte meinen Deutschlehrer unnötige Dinge, um das Rasierwasser zu riechen. Er roch nie wieder wie mein Opa.
Zweimal begegnete mir der Duft in den letzten Jahren nochmal. Wieder flogen die Momente mit meinem Opa an mir vorbei, aber keine Begegnung war so bewusst und intensiv wie die in meiner Schulzeit.