Seitenwind Woche 3: Dufte

Trigger …

Ihr eilt mt angehaltenem Atem hinauf in die beletage - ihr wollt uns nicht wahrhaben. Wir sind über hundert Jahre alt. Wir kriechen aus den Kellern der alten Zinskasernen in die Stiegenhäuser und sickern durch die Wohnungstüren im Souterrain. Wir riechen nach feuchtem Holz, nach Koks, Moder und kaltem gekochten Kohl, alles vermischt mit dem Odeur der Gangtoiletten. Das Mauerwerk hat uns aufgesogen. Wir sind die Ausdünstungen der Armut.

Ihr könnt uns nicht entkommen - wir sind die Beherrscher der Erde. Wir sind stark, wir riechen süß nach heißem Metall, nach Sprengstoff und Waffenöl, sind ein Gemisch aus Blut, aus Kloake und aus verbranntem Fleisch. Wir wabern aus den aufgebrochenen Eingeweiden, die aus den Körpern der Toten quellen, schweben über den Reihen der Leichen und verbreiten uns im beißenden Rauch über den Schlachtfelder dieser Welt. Wer uns gerochen hat, wird uns nie wieder vergessen. Wir sind der Gestank des Krieges.

Kennt Ihr mich? Ich bin nicht aufregend und nichts Besonderes - in mir, da sind bloß die grünen Äpfel, die langsam heranreifen, die Blüten, aus deren Süße die Bienen ihre Nahrung sammeln, da ist nur das Brot im Backofen, das sich langsam mit malziger Kruste bedeckt, das Wasser des hurtigen Bachlaufs, der über die bemoosten Steine kapriolt und die dunkle schwere Erde, die Leben verströmt … ich bin der Duft der Sehnsucht nach Frieden …

ALIENS VS. MONKS

»Es riecht nach Tod.« Diesen und ähnliche unsinnige Sätze hatte er schon zuhauf gehört, seit seine Heiligkeit ihn zur Inquisition berufen hatte. »Ich habe das Tier gesehen.« »Lucifer stand direkt vor mir und sein fauliger Atem brannte mir in den Augen.« »Es war das Tier, es roch nach Pest und Cholera.«

Luigi hatte dann stets eine betroffene Mine aufgesetzt, obgleich es ihn innerlich geschüttelt hatte, sein Mitgefühl und sein Entsetzen ausgedrückt. Wie soll das gehen, hatte er sich stets gefragt. Wie bitteschön soll denn der Tod riechen? Es waren Bakterien, die einen Leichnam zersetzten und ihm damit einen Geruch von Unrat gaben. Staub und Feuchtigkeit ließ einen Raum modrig riechen. Meist stieg ihm auch noch der Duft von Kräutern in die Nase, wenn er die Kammer eines Besessenen betrat. Rosmarin, Majoran und Salbei schwängerten die Luft und Knoblauch. Vor allem Knoblauch, den sie über die Pforte hingen, vor die Fenster, an den Kaminschacht. Als ob so ein bisschen Grünzeug das Böse in Schach halten könnte, wenn es von einer abtrünnigen Seele Besitz ergriffen hätte.

Hätte, wohlgemerkt. Bisher hatte er noch jeden Exorzismus als Schauspiel veranstaltet. Sie wollten es ja nicht anders und waren glücklich, wenn er rasch einige Zeilen der Bibel zitierte. Wenn er lateinische Verse brabbelte, die sie ohnehin nicht verstanden. Sie waren allesamt ungebildet diese Bauern und selten auch nur einer unter ihnen, der Lesen und Schreiben gelernt hatte. Latein, die heilige Sprache der Kirche, beherrschte freilich niemand.
Und doch war dieser Fall hier anders als die Bisherigen. Sie hatten von einem glühenden Felsen gesprochen, der vom Himmel gefallen sei. Er habe Felder und Wälder in Brand gesteckt und einen tiefen schwarzen Krater in die Erde gerissen. Verfluchte Erde, auf der nichts und niemand mehr würde existieren können. Und dann sei Satan dem Felsen entsprungen und in die nahegelegenen Höhlen geflüchtet.

Luigi hatte die Augen geschlossen und den Herrn um Kraft gebeten. Kraft für sich selbst, um dieses Geschwätz zu ertragen, und Christus um Geduld mit seinen Geschöpfen. Sie wussten es halt nicht besser.
Luigi steckte eine Fackel in Brand und leuchtet in die Dunkelheit. Niemand hatte ihn begleiten wollen, also hatte er sich alleine auf den Weg gemacht. Am Eingang der Höhle war ihm der Abdruck eines riesigen Hufes aufgefallen, sowie Spuren von Krallen, wenn man sie denn so deuten wollte. Luigi wusste, nicht welches Tier ihn hinterlassen haben könnte. Doch gewiss gab es noch viele Geschöpfe auf Erden, denen er noch nicht begegnet war.

Dann erspähte er eine Flüssigkeit zu seinen Füssen. Luigi ging in Hocke und schärfte seine Sinne. Roch es nach Eisen? Dann könnte es Blut sein. Nein, niemals, dachte er. Es war auch nicht von roter Farbe, was da am Felsen klebte. Eher grünlich. Ja es schimmerte tatsächlich Grün, wenn er die Fackel daneben hielt. Was in Gottes Namen war das?
Ein Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Luigi fuhr herum, hielt die Fackel in die Dunkelheit und erstarrte.
So ein Geschöpf hatte er noch nie zuvor gesehen und doch war er sich sicher, dass es nicht von dieser Welt war. Es schien verletzt und kauerte am Boden. Schwarz war es wie ein Skorpion. Überhaupt hatte es sehr viel Ähnlichkeit mit diesen teuflischen Kreaturen, doch war es um ein Vielfaches größer. Ja größer als er selbst. Es fauchte und stieß einen Schrei aus, der ihn erzittern ließ. Grüner Speichel tropfte aus seinem Maul, der den Felsen zu seinen Füssen zersetzte, sobald er auf ihn herabtropfte. Es roch nach Schwefel. Es roch nach Tod. Es roch nach dem jüngsten Gericht.

Luigi ließ die Fackel fallen und rannte. Er rannte um sein Leben und hatte doch keine Chance. Der Leibhaftige hatte ihn bereits eingeholt und rammte ihm seinen tödlichen Stachel in die Brust.

Memento Mori
Süß, klebrig, kupfrig steige ich empor. Kopf-, Brust- und Bauchhöhle, ja, das muss sein. Ich bin kein schöner Vertreter meiner Zunft. Wer bei Trost ist, hat Angst vor mir, und die, die mich mögen, vor denen sollte man Angst haben. Während meine salzige Schärfe meine Herznote ankündigt, und der Obduzent die Säge zur Seite legt, schaue ich durch die Plexiglasscheibe. Ich bin neugierig, wer uns heute besuchen wird. Und wann mein alter, stechender Freund sich sehen lässt. Denn die meisten Besucher übergeben sich, wenn sie mich kennenlernen, und dann lachen wir zusammen. Es ist immer dasselbe. Keiner ist der, der er war, wenn er mir begegnet ist. Und diese Macht - sie ist wahrhaft berauschend. Ich kann Menschen Schrecken zufügen, ohne dass man mich sehen und anfassen kann. Und ich bin sogar ein Guter, denn hier muss ich sein. Ich assistiere bei der Lösung von Verbrechen oder helfe, sie auszuschließen. Und ich erinnere Euch daran, dass ihr sterblich seid. Euer Verstand weiß das. Dass es von einem auf den anderen Moment vorbei sein kann, wie bei dem armen Tropf hier auf dem Tisch. Jung, dynamisch und frisch verliebt. Auf dem Weg zum Rendezvous. Leider schlug das kranke Herz zu hoch. Und selbst wenn er es gewusst hätte, niemand hätte es heilen können. Alles hat seine Zeit. Jeder auch.
Vor der Scheibe steht nun unser heutiger Besuch. Jung, dynamisch – verliebt? Vielleicht. Im Hintergrund freuen sich Pathologe und Staatsanwältin über den Besuch. Sie wollen uns gerne bekannt machen. In meinem Angesicht bedeutet jeder Lebende ein Stück mehr Sicherheit, egal, wie gut ihr mich schon kennt.

Nachdem der Besuch mit Bravour die Lunge vom Herzen unterschied, während blutrot gefärbtes Wasser über den Tisch rauschte, gibt es nebenan eine Tüte schreiend süßer Waffelkekse. Ich sitze in ihrer Kleidung, ich sitze auf ihrer Haut und mit am Tisch. Ich höre ihre Gedanken.

„Natürliche Todesursache. Zum Glück. Ein Fall weniger auf dem Schreibtisch.“

„Organraten ist auch nicht mehr, was es mal war. Normalerweise rennt der Besuch dabei spätestens raus.“

„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so ekelhafte Kekse verschlingen würde. Wenn ich in diesem Alter umkippe, komm ich auf auf den Tisch. Hoffentlich sterbe ich später, denn wenn man mich jetzt aufschneiden würde, sähe jeder meine Fettschicht. Obwohl mir das ja dann auch egal sein könnte, denn – dann - dann wäre ich – tot !? Was tu ich hier eigentlich? Will ich das??“

Ja, genau. Memento mori. Ist es nicht spannend, wie meine Anwesenheit Euch verändert? Wie Euch bewusst wird, wie wertvoll Eure Zeit hier ist?

Ich begleite sie alle nach Haus. Bevor ich unter der Dusche in den Abfluss gespült werde, treffe ich noch schnell mein Rendezvous. Da, wo ich auftauche, ist auch sie präsenter als anderswo. Und sie ist besonders, denn sie riecht für jeden anders.

Unser heutiger Besuch wirft den Schlüssel in die Schale, die Jacke landet auf dem Sofa. Sowie sie ihren Kopf auf den ihrer Katze schmiegt und ihren Duft einsaugt, erscheint mein Rendezvous.

Pudrig, vanillig und zart. Derselbe Duft, der aufsteigen wird, wenn unser Besuch das Kind, von dem sie selbst heute noch nichts ahnt, eines Tages umarmen wird. Weil unsere Begegnung sie verändert hat. Mein Rendezvous lächelt zufrieden. Seit Anbeginn der Zeit ist sie das schönste Geheimnis, dem ich machtlos gegenüberstehe. Der Duft von Liebe. :heartpulse:

Bittersüß

Aus der Stille der Nacht und dem Tau des Morgens geboren, tanze ich leise im Wind. Ich bin ein Duft, ein subtiles Aroma, ohne physische Form, Stimme oder Bewusstsein. Der blumige Atem der sich langsam öffnenden weißen Kelche des Jasmins, bereit, den Morgen eines einsamen alten Mannes zu versüßen. Die Sonne kriecht langsam über den Horizont und wirft ihre wärmenden Strahlen in sein Schlafzimmer.

Er liegt allein in seinem Bett, den Blick ins Leere gerichtet, während er durch das offene Fenster auf seinen Garten schaut. Mein Duft, den seine Frau einst so sehr liebte, erfüllt den Raum. Seine zittrige Hand streicht sanft über das leere Laken an ihrer Seite des Bettes. Tränen sammeln sich in seinen Augen und seine Gedanken tauchen in eine längst vergangene Zeit ein, als sie noch gemeinsam in diesem Bett lagen und die stillen Morgenstunden miteinander teilten. Die Erinnerungen, die ich in ihm geweckt habe, sind bittersüß. Ich bin wie ein Geist aus der Vergangenheit, der ihn heimsucht und ihn gleichzeitig tröstet.

Die Erinnerungen an die glücklichen Momente und die Liebe, die sie einst teilten, sind jetzt stärker als die Realität seines einsamen Lebens. Er lächelt, während ihm Tränen über die Wangen rollen. Seine Hand, die eben noch das leere Bett streichelte, sinkt langsam herab. Mit einem Seufzen schließt er die Augen. Die Welt draußen erwacht zu einem neuen Tag voller Leben und Bewegung, während der alte Mann in seinem Bett in einem tiefen, friedlichen Schlaf versinkt. Und wie ein Seidenfaden, der vom Webstuhl der Zeit gelöst wird, gleitet sein Geist in die Ewigkeit. In der Stille seines Schlafzimmers verlässt seine Seele diese Welt, getragen von Erinnerungen.

Ich ziehe mich zurück, verschwinde in der Morgenluft und lasse seine leere Hülle im zarten Licht der aufgehenden Sonne allein zurück. Ein Duft, unsichtbar und flüchtig wie ein Traum.

Die Windfee

Oh, Ihr Menschen! Früher habt ihr noch an allerlei geglaubt. An Kobolde und Hexen. Daran das jedem Element ein Geist inne wohnt und euch wohlgesonnen sein kann… Jemanden den man nicht verärgern sollte. Heute glaubt ihr dergleichen nicht mehr. Stattdessen vergiftet ihr die Luft, die ihr atmet. MEINE LUFT.

Ich habe kaum ein Auge zugemacht. Keine 200 Jahre. Und schon lasst ihr alles vor die Hunde gehen. Es wird Zeit es euch heimzuzahlen.

Ich suche mir mein erstes Opfer. Da! Ein Bauarbeiter. Er fällt gerade einen der letzten Bäume in dieser Betonwüste, die ihr Städte nennt. Ich werde es ihm gehörig geben.

ORKAN!

Ehem… Ich sagte: ORKAN!

Warum tut sich nichts? Bin ich so eingerostet?

Viel…Vielleicht sollte ich kleiner anfangen. Ein starker Windstoß vielleicht? Nichts. Ein Lufthauch? Doch da! Seine Haare bewegen sich.

Das geht so nicht! Wie soll ich die Menschheit strafen, wenn ich kaum einen Luftzug zustande bringe?

Der Bauarbeiter niest wegen all der herumfliegenden Späne des malträtierten Baumes. Das ist es! Seine Nase ist empfindlich genug… und mir Schutzlos ausgeliefert. HINEIN!

„Igitt, was stinkt hier den so? Hans, riechst du das auch?“

„Äh?“

„Es stinkt, wie in der Kloake.“

„Wir sind in der Hauptstadt. Hier riecht’s immer so.“

„Ja, aber… stimmt wahrscheinlich. Na, ist ja nicht mehr lang, dann sind wir hier fertig. Nur noch die Straße dahinten.“

Ich habe ihm die schlimmsten Pestilenzen gezeigt, die es nur gibt. Und sie tun so, als wäre es Alltag. Die Menschen haben sich von allem abgewandt, was gut ist und schön. Ich hätte direkt Mitleid mit ihnen… wären sie gerade nicht im Begriff die letzte Natur auch noch zu zerstören!

Vielleicht brauche ich eine andere Taktik. Wenn ich sie nicht mit Gewalt aufhalten kann, dann vielleicht indem ich ihnen zeige, was sie verloren haben.

Der liebliche Duft von Rosen. Warme Erde die an einem Sommertag vom Regen benetzt wird. Frisch gebackenes Brot, dass im Fenster steht und die gesamte Nachbarschaft anlockt. Ein harziger Baum im Wald, der auch im Winter nicht aufgibt. Ein Duft frei von gift, von Schmutz, von der grauen Monotonie von Hochhäusern, verunreinigten Parkhäusern und betrunkener Menschen im Rinnstein. Der Duft von Freiheit.

„Ey! Warum heulst du denn.“

„Ich weiß auch nicht. Ich… auf einmal sind da so Erinnerungen. Früher als ich mit meiner Nana noch draußen auf dem Land gelebt hab. Ich hab sie am Ende ins Heim abgeschoben. Sie ist gestorben und ich hab’s erst eine Woche später erfahren. Ich bin nicht mal zur Beerdigung gegangen.“

„Mann, Ich will Feierabend. Ich hab keine Lust… sag mal, riecht’s du das auch?“

Mein Duft breitet sich aus. Und bald schon habe ich die ganze Stadt in meiner Gewalt. Die schlimmste Strafe, stellt sich heraus, war es den Menschen bewusst zu machen, was sie getan hatten.

Gloria Canis

Hunde schnüffeln gerne an mir herum. De facto an mir als Duft der Drüsen und nicht am Anus selbst, gleichwohl die Kombination mit olfaktorischen Kollegen die individuelle Visitenkarte eines jeden Wesens ausmacht.

Ach, die Extase!

All die stillen Worte – einem duftenden Blumenstrauß analer Farben gleich – ein Kompliment an die canine Schnüffelfertigkeit; unvergleichlich in dieser Welt und doch so oft unberochen beiseite geschoben.

Welch Ignoranz!

Was wäre es wohl für eine Welt, wenn alle glorios hundegleich schnuppern könnten?

Oh, ihr Kurznasen der Welt, ihr seid zu bedauern, denn der Friede auf Erden liegt am Arsch und nicht vorbei.

Duft und Verhängnis

Ein Büro: Ein Chefsessel, ein Schreibtisch, ein Ficus. Vor dem Schreibtisch ein unbequemer Stuhl für Bewerberinnen, auf dem Chefsessel der strenge Personaler. Auf dem Stuhl eine Frau mit Zukunftsangst, die dringend eine Stelle braucht. Ihr Lebenslauf auf dem Tisch: gefälscht von hinten bis vorne, komplett erlogen, aber in sich stimmig.
Herr König, der Personalchef lächelte breit. Er fuhr mit einer beinahe liebevollen Geste über das Papier. Die Bewerberin knetete nervös ihre Ledertasche.
„Ich weiß, dass ich lange nicht gearbeitet habe. Seit mein Mann verstorben ist …“ Er unterbrach sie mit einer ruckartigen Bewegung des Kinns. „Keine Sorge. Sie sind zwar nicht qualifiziert und auch nicht jung, aber Sie haben, äh, Erfahrung … und so.“
Sogar der Ficus verstand, dass er es nicht ehrlich meinte. Die Tür ging auf und ein junger Mann brachte zwei Tassen Kaffee. Der Personalchef nahm ihm eine ab, drehte sich kurz mit dem Rücken zu ihnen, wie um aus dem Fenster zu sehen, und reichte die Tasse dann der Bewerberin.

Hier komme ich ins Spiel. Ich bin ein Geruch, der nicht jedem geläufig ist. Die meisten würden mich nicht wahrnehmen, dazu muss man geschult sein. Außerdem sprechen menschliche Nasen nur bedingt auf mich an. Als die Flüssigkeit aus ihrer kleinen Ampulle in den Kaffee gegossen wird, trifft körperwarme Essenz auf brühendheißes Gebräu. Ich erhebe mich in einem dünnen Schwaden, durchziehe den erdigen Kaffeedunst um mich, ringle mich nach oben und schraube mich direkt in die Nasenlöcher der Frau, die die Tasse hält. In dem borstigen Wald aus Nasenhaaren liebkose ich Duftrezeptoren und löse ein Feuerwerk der Erinnerung in ihr aus. In meiner Vorstellung erfreut sie sich an meinem Schmelz und schwelgt in einem Rausch der Erinnerung.

Sie stellte die Tasse ab, ohne daran genippt zu haben.
Die Mundwinkel des Personalchefs fielen aus ihrer Rolle im Angesicht ihres humorlosen Starrens. Der junge Mann hatte das Büro wieder verlassen. Einzig der Ficus war Zeuge dessen, was nun geschah:
„Wollen Sie allen Ernstes, dass ich mir in die Hose mache?“ Als hätte sie ihm selbige runtergezogen, starrte Herr König sie aus hervorquellenden Augen an. „Denken Sie, ich merke nicht, was Sie mir hier reingepanscht haben?“
Er grinste, wie man den Fahrer eines nahenden Zuges angrinst, wenn einem das Auto auf den Schienen verreckt ist. „Das können Sie mit einer anderen machen, aber mit mir nicht.“ Sie stand auf. Als sie ihre Hexenkraft darauf konzentrierte, es ihm heimzuzahlen, entkräftete sie für einen Moment den Glanz, mit dem sie ihr Äußeres geschönt hatte. Das Visual bügelte ihn in seinen Sessel. Mit einer Drehung ihres Handgelenks führte sie einen simplen Karma-Ausgleich durch. Nichts Kompliziertes. Das Ergebnis jedoch überraschte sie durch seine Unverhältnismäßigkeit. Sie ging dann lieber.
Das Büro: Ein Chefsessel, ein Schreibtisch, ein Ficus. Vor dem Schreibtisch ein noch warmer Stuhl für Bewerberinnen, auf dem Chefsessel ein zukunftsbanger Frosch.

Einfach mal treiben lassen…

Mal ist es sanft, mal ist es wild - mein Spiel mit den Lüften. Ganz gebe ich mich hin, lasse mich treiben, verwirbeln, mich tragen, mich fein verteilen – bis zu ihr.

Ihr gilt mein Interesse, für sie bin ich geboren, einzig ihr Sinn macht mich froh.

Wird sie mich mögen und meinem Weg folgen? Erkennen, woher es mich weht?

Sie beginnt, mich wahrzunehmen, mir zu folgen, meinen Ursprung zu suchen.

Ich bin so glücklich. Wir haben uns gefunden, gleich ist sie da, erreicht meinen Ursprung – sieht und berührt ihn.

Vorsichtig, fast zärtlich, bewegen sich die Blätter – umschließen sie sanft und pressen sie an sich.
Für immer.

Die Fliege.

Heute

Ganz sanft, ganz zart, wie ein sanfter Hauch der Vergänglichkeit schmiege ich mich an dich.

Warm pulsierende ich, während ich auf dir liege. Du steckst deine Nase in meine flauschigen Haare, atmest ganz tief ein, den Duft, den ich verströme. So leicht, dass er kaum wahrnehmbar ist. Du hältst meine kleinen Hände, während ich mich an dich kuschel, genüsslich trinke. Ich sehe dich an, mit großen Augen, staunend.
Du versuchst, alles in dir aufzusaugen. Den Moment für immer festzuhalten. Doch schon morgen bin ich einen Schritt weiter von dir entfernt.

Warme Milch, reine Baumwolle, gemischt mit einem klitzekleinen bisschen Puder. Und ein Duft, der schöner nicht sein könnte. Das bin ich. Dein Baby.

Ich Mag Nicht Mehr!

Viel zu lang hab ich mich abgemüht, viel zu lang schon bin ich mal hier, dann wieder drüben am Meer.

Das Feuer macht mir Angst. Kinderaugen starren mich an und doch schauen sie durch mich hindurch. Das Paar, wahrscheinlich die Eltern, sie haben keine Worte für mich, nur Tränen. Die Alten, sie schaffen es nicht oder nehmen ihre Enkel in den Arm, wenn sie alles sehen, sobald ich ein paar Stunden, manchmal Tage weg bin.

Warum darf ich eigentlich nicht selbst entscheiden, ob ich das alles überhaupt noch will? Zu viele Gedanken, zu viele Bilder, zu viele Eindrücke, die mich belasten und mein Gemüt in einer dunklen Schwere allein zurücklassen.

Ich hab mich gewehrt. Einmal, zweimal, ja unzählbar sind diese Momente geworden. Und doch werde ich ständig manipuliert und gezwungen, diesen blutigen hasserfüllten Weg mitzugehen, der niemandem etwas nützt.

Das Leid kann ich nicht mehr ertragen, den fahlen Geruch nicht mehr riechen, das Blut nicht mehr schmecken. Ich kann nicht mehr, habt doch Erbarmen mit mir und all den Menschen, die mich ertragen müssen.

Es sind wohl die Macht, der Egoismus, der Hass, Durst nach Tod, Gewalt und Schrecken und vor allem die Angst vor dem wie es ist und was nicht bleiben soll oder warum muß die Menschheit mich überall wiedersehen?

So machte sich der Duft des Krieges wieder einmal daran, trotz seiner Gedanken und Wehmut, erst auf der einen Seite seine Todesangst zu versprühen und dann ging er wieder drüben ans Meer

Ein Atemzug reicht

Lass mich dich testen
Ich weiß, wer ich bin.
Doch wer bin ich für dich?

Ich ströme durch Städte, Straßen und Häuser auf der Suche nach Emotionen.
Ich rufe sie hervor.
Ein Atemzug reicht.

Dort! Eine Frau.
Sanft schleiche ich mich an ihre Nase heran.
Sie schließt die Augen, atmet ein.
Ich dringe in ihren Kopf.
Bilder ihrer vergangenen Tage rauschen an mir vorbei.
Ein kleines Mädchen, einsam und allein vor dem leuchtenden Baum.
„Mein einziger Wunsch“, flüstert sie, „eine Pflegefamilie.“
Auf jedem Bild erscheint das Mädchen vor dem Baum. Sie verändert sich, wird älter, doch die Worte bleiben gleich.
Gemeinsam mit einer Träne verlasse ich ihren Körper.

Ich ziehe weiter, die Straße entlang.
Ein Windstoß erfasst mich. Er wirbelt mich direkt auf einen Mann zu.
Ein Atemzug reicht. Er zieht mich durch seine grauen Nasenhaare.
In seinem Kopf setze ich mich fest und beobachte die Bilder, die ich hervorrufe.
Drei singende Kinder neben einem Klavier, eine Frau an der Tastatur.
Das Lied endet mit strahlenden Gesichtern.
Im Hintergrund tanzende Flammen auf dunkelgrünen Nadeln.
Ich quetsche mich an den Nasenhaaren vorbei, zurück auf die Straße.
Lächelnd schüttelt der Mann seinen Kopf.

Unter einer Tür schlüpfe ich hindurch, waber die Stufen nach oben bis zur nächsten Tür.
Durch das Schlüsselloch betrete ich die kleine Wohnung.
Ich wehe von Raum zu Raum. In der Wanne entdecke ich eine Frau. Schaum umhüllt ihren Körper.
Ein Atemzug reicht - durch die Nase in den Kopf.
Tannen, unzählige Tannen, dazwischen ein Zelt. Ein Feuer erhellt die Dunkelheit. Vier Leute sitzen darum und erzählen sich Geschichten. Ein Knacken ertönt, dann kreischen. Sie blicken sich um. Ein Mann schlendert mit breiten Grinsen auf sie zu: „Ihr Angsthasen!“
Lachend stößt mich die Frau in der Wanne aus.

Ich trete den Rückweg an.
Für heute weiß ich genug.
Ich bin nur ein Duft nach dunkelgrünen Nadeln an einem Zweig.
Doch für euch bin ich die vergangene Zeit.
Bin Trauer und Freude.
Doch bin ich noch mehr?

Odor?

„Hättest Du wohl besser den Teufel gefragt, kleines Menschlein."
Eine hämische Stimme hallt in meinem Kopf.
„Weißt wohl keine Antwort, kleines Menschlein?“
Da ist niemand, nur diese Stimme in mir.

„Lass mich Dir helfen: Ich backe nicht und braue nicht, will auch nicht der Königin ihr erstes Kind!“ Die Stimme überschlägt sich, schäumt voller Boshaftigkeit.
Ich weigere mich, mit der Stimme zu reden.
„Wäre zu einfach.“ Die Worte verlieren sich im gellenden Gelächter. „Wäre auch zu einfach, zu leicht für Dich, kleines Menschlein.“
Obwohl ich mit beiden Händen meine Ohren fest verschlossen halte, höre ich immer noch diese widerliche Stimme.

„Noch einmal, kleines Menschlein?“
Noch einmal wundere ich mich und bereue den Gedanken sofort; schaurig läuft es mir den Rücken herunter, es kriecht in jede Faser meines Körpers, dringt tief ins Mark.
„Jetzt habe ich Dich, kleines Menschlein,“ entgegnet mir die hässliche Stimme. „Erfreut Deine Bekanntschaft zu machen, kleines Menschlein.“
Konzentration. Ich muss mich nur konzentrieren, die Stimme zu ignorieren. Was ich nicht höre, kann nicht sein.

Die Stimme ist jetzt sehr leise, flüstert eher verführend: „Wie heiße ich wohl, wie ist mein Name?“ Meine Gedanken werden von der feinen Stimme angezogen, wie kleine Fliegen von der betörenden Süße einer überreifen Frucht.

„Geboren bin ich in Hitze und kühle alle Wärme,
gleiche nicht einem Strom, sondern vielen Flüssen.
Ich hafte am Menschen, an einem und an allen,
klebe zwischen zweien, schweiße sie zusammen.
Mich kann niemand verlieren, ich kehre immer wieder.
Ich kenne keinen Willen, forme aber viele Taten.“

Jedem Wort lausche ich jetzt gierig, meine Gedanken werden förmlich angezogen, aufgesogen von der Stimme; im Klang so lieblich, so sirenengleich.
„Also Menschlein,“ säuselt die feine Stimme, „wie lautet mein Name?“

Ich versuche angestrengt zu denken, aber meine Gedanken sind wie verklebt, von der zärtlichen Stimme verführt; fühle mich wie im Rausch gefangen.
„Lass Dir ruhig Zeit, kleines Menschlein,“ höre ich die goldene Stimme fröhlich sagen, „Und wähle weise. Ein Versuch für Dich, Deine süße Seele für mich.“

Verzweifelt versuche ich meine rasenden Gedanken festzuhalten, das Donnern meines Herzens in der Brust zu überhören, das tosende Rauschen im Kopf zu ignorieren, meinen peitschenden Atem einzufangen. Ich will der herrlichen Stimme gefallen, richtig antworten, sie nicht enttäuschen und verjagen, ihr alles richtig machen, ihr gefallen, für immer, wieder und wieder.

Kein Wort kann ich aber sagen, meine Kehle ist trocken, von Erregung verschnürt, muss die Antwort denken, klar denken, das feine Netz von Lug und Trug abschütteln, halte meinen Kopf jetzt zwischen den Händen, rucke ihn hin und her, ziehe an meinen Haaren, suche die Schärfe des Schmerzes, bin in Not eines reinen Gedankens.

„So höre, Du feine Nebelstimme,“ denke ich mit fester Stimme, „Dein Name lautet weder Erlenkönig noch Odor.“ Mit jedem Wort gewinne ich an Sicherheit, an Kraft zurück, bin jetzt ruhig und entschlossen. „Ich kenne Dich zu gut,“ fahre ich fort, „bist mir vertraut, alter Feind, alter Freund.“
Ich warte, setze eine Pause; kann die Anspannung der Stimme spüren, will ihr etwas Qual in der Neugier bereiten. „Dein Name lautet Angst, `bist von üblem Geruch. Mein Wille ist Dein Bangen, Deine Angst, ist… Süßes, ist Saures.“

„SÜSSES oder SAURES!!“ Das laute Geschrei der verkleideten Kinderschar an der Tür reißt mich in die Wirklichkeit zurück. „SÜSSES oder SAURES!!!“ ertönt es wieder von den kleinen Geistern.
„Ich glaube, der alte Mann ist eingeschlafen,“ sagt das vorderste Kind zu den anderen. „Aber er steht doch in der Tür,“ höre ich ein anderes Kind fragend sagen. „Aus dem Haus des Mannes riecht es auch so komisch.“

Bevor die kleinen Teufel weiter ins Reden geraten, verteile ich mechanisch saure Süßigkeiten. „Euch Kinderlein ein frohes Gruselfest, voller Bangen und Schauer. Es fürchtet sich ja so schön.“

P.S.: Danke fürs Lesen. Allen ein schaurig-schönes Kürbisfest. :wink:

Ich brauche einen Wirt.

Einen, der mich aufnimmt und mit sich trägt, bevor sich keiner mehr an mich erinnert.

Ich bin so individuell, dass es mich nur ein Mal gibt. Nicht so wie bei den Blumen, die in Hülle und Fülle, Jahr um Jahr, immer den gleichen Duft verströmen.

Ich dufte ein wenig nach dem Seetang, mit dem die Matratzen gefüllt sind. Ein wenig nach den Daunenfedern in der Bettdecke.

Der Duft der Lupinen, die vor dem offenen Fenster wachsen ist so schwach, dass mein zukünftiger Wirt diesen wohl nicht wahrnimmt.

Die salzige Seeluft, die darf sich mir anschließen. Auch das Kaffeearoma aus der Stube möchte dabei sein. Selbst die alten Holzdielen tragen dazu bei.

Ich bin so gespannt, wer mein Wirt sein wird.

Ein kleines Mädchen ist es! Müde vom Spielen wird es ins Bett gebracht. In dem Augenblick, in dem es einschläft umhülle ich es.

Es wird sich sein ganzes Leben lang an diesen wundervollen Moment, im Urlaub bei ihrer Oma, erinnern.

Wer bin ich?

Ich bin es. Alle besitzen mich. Doch keiner liebt mich so recht. Es ist zum Verzweifeln. Gestern erst im Fahrstuhl, der nur bis ganz nach oben fährt, geschah es. War’s die Geschwindigkeit, die mich hinauszog. Sehr leise und ausgesprochen lange. In den Gesichtern konnte ich die verschiedenen Auffassungen ablesen. Ein Gesicht war besonders rot. Es schaute jedoch unbeteiligt an die Decke. Mit dem Öffnen der Tür setzte ein Drängeln ein. Ein jeder konnte nicht schnell genug aus der Kabine entweichen.
Manchmal ist es nicht einfach, über all die Hindernisse hinwegzukommen, die einem in den Weg gelegt werden. Ich muss mich dann gegen Wände stemmen. Mein Wirt hält sich dann gekrümmt den Bauch und möchte fast die Decke hochlaufen. Wellenartig strenge ich mich an, um endlich in die Freiheit zu gelangen. Bin ich erst einmal draußen, sehe ich demjenigen die Freude an, dass ich ihn verlassen habe.
Was soll’s. Es gibt auch andere, die sich ein Vergnügen daraus machen, mich laut und deutlich zu vernehmen. Vorher nehmen sie ein Blähmittel ein und wetteifern um die Wette. Einer kam sogar auf die Idee, mich anzuzünden. Es sollte im nicht recht bekommen sein. Schließlich bin ich ein Gas.

Wer bin ich?

Ich bin da. Angst und Unsicherheit lassen mich erstarren. Ich wirbele umher und suche, nur weiß ich nicht wonach. Plötzlich ist sie da, die Wärme, die Vertrautheit, die Geborgenheit. Ich strecke mich ihr entgegen und suche Schutz. Sanft umschließt sie mich. Das Zentrum meines Daseins. Ich spüre das Glück des Menschen, der seine Arme um mich legt, während der Klang seines Herzens mich umhüllt.

Ich wachse und lerne, dass es andere wie mich gibt. Sie sind anders. Manchmal stärker und mutiger, manchmal ängstlicher und zaghafter. Manchmal übertünchen sie mich, sodass man mich kaum wahrnimmt. Ob süß oder herb, sie alle sind aufregend und neu, jedoch nur flüchtig. Dann ist er da. Unerwartet und fremd, so gar nicht wie ich und doch berauschend. Erst vorsichtig, dann mit Inbrunst greife ich nach dem unbekannten und lasse mich von ihm mitziehen. Wir tanzen eng umschlungen im Wind und lassen uns träge in weicher Baumwolle nieder und schlafen engumschlungen ein. Irgendwann verblassen wir, doch was bleibt ist die Geborgenheit. Die Erinnerungen lassen nach, verschwinden aber niemals vollständig, denn ich hege sie.

Ich bin wieder allein, habe viel gesehen und erlebt, vermisse und trauere und bin dennoch von Glück erfüllt. Ich bin schwach, kaum noch da, auch wenn sich irgendwann niemand mehr an mich erinnert. Ich habe gelebt und geliebt.

Wer bin ich? Ich bin DU!

Der Duft in der Küche

Als ich den Mann sah, der sich vorsichtig und unsicher dem Haus näherte, überschlugen sich meine Empfindungen. Ich war mir sofort sicher, jetzt kommt der Richtige.

Trotz der vielen Jahre, in denen sich niemand um das Haus kümmerte, waren die Scheiben in den Fenstern nicht blind. Meine Sicht war gut genug, dass ich nicht fürchten musste, mich zu täuschen. Aber ich wollte mich auch nicht täuschen. Ich wollte vom ersten Augenblick, in dem ich ihn sah, dass es wahr ist.

Sein Gesicht, die Form seines Kopfes und die Art, wie er sich bewegte, genau wie er. Da gab es keinen Zweifel.

Mehr als siebzig Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet. So viele Jahre, in denen ich hoffte, dass sie doch noch zurückkommen würden. Aber sie kamen nicht.

Es kamen lediglich hin und wieder ein paar Leute, die ich nicht kannte. Meistens kamen sie nur einmal. Sie stahlen sich ein paar Gegenstände aus den vielen Zimmern, die das Haus hat, und verschwanden wieder. Zu mir in die Küche war aber nie jemand gekommen. Hoffentlich wird sich das gleich ändern.

Die Scheune gegenüber wird seit vielen Jahren von einem Bauern genutzt, der seinen Hof wohl in der Nähe hat. So gibt es ab und zu etwas Abwechslung für mich und den Rußgeruch, wenn das Heu eingefahren oder etwas davon abgeholt wird. Zum Glück war wenigstens er mir immer treu geblieben, der Rußgeruch. Er drang aus dem alten Herd und war mir über all die Jahre ein vertrauter und angenehmer Freund.

Die Gerüche der Kräuter waren anfangs so intensiv, dass nur der Ruß mit ihnen gleichziehen konnte. Mich nahm man dagegen kaum wahr. Doch schon bald nahm die Kraft der Kräuter ab und ihr Duft wurde weniger, bis er ganz verschwand. Dabei hätten der Ruß und ich sie doch so gerne behalten. Wenn man in einem Raum eingeschlossen ist, wenn niemand kommt, niemand den Raum mit Leben füllt, dann wird die Einsamkeit, für die, die bleiben, größer, mit jemand der geht.

Lange Zeit hegte ich die Befürchtung, dass mich auch der Geruch des Rußes verlassen könnte, weil er ebenfalls viel an Kraft verlor, aber dann stellte sich ein Zustand ein, in dem er verharrte. Zum Glück, denn ganz allein, hätte ich die Hoffnung auf einen Tag wie heute vielleicht längst verloren.

Ich schüttelte mich und versuchte, meine Gedanken in den Griff zu bekommen. Ich wollte nicht abschweifen, mich nicht verzetteln in Dingen, die jetzt nicht wichtig waren. Ich wollte ihn ansehen, seinen Anblick genießen. Doch seine Ähnlichkeit mit Reinhold führten meine Gedanken zurück in die Vergangenheit.

Ich sehe sie noch, wie sie am Tisch in meiner Küche standen und das Essen in die schon prallen Rucksäcke stopften. Die Mädchen hatten sich ihre wärmsten Sachen angezogen, in mehreren Lagen, sodass sie mollig aussahen, obwohl sie alle gertenschlank waren.

Reinhold war der Letzte, der die Küche verließ und draußen auf den Pferdewagen stieg. Vorher hatte er noch im Herd nachgeschaut, ob die Glut wirklich erloschen war, hatte die Fenster geschlossen und die Klappe des Brotfachs im Schrank zugedrückt. Als er die schwere Küchentür von außen zuzog, schloss er sie ordentlich ab. Als wolle er den Raum, in dem sich über Jahrzehnte das Leben der Familie abspielte, vor dem bewahren, was kommen würde.

Dann sah ich sie nur noch von hinten, wie sie, auf dem Fuhrwerk sitzend den Hof verließen. Alle sechs. Ihre Rucksäcke hielten sie fest umklammert. Das war jetzt alles, was sie noch hatten. Reinhold hatte schützend einen Arm um die Kleinste gelegt, während er mit dem anderen das Gefährt lenkte. Dann verschwanden sie aus meinem Blick.

Wenn ich es könnte, ich würde die Fenster aufreißen, nur, um ihn noch besser sehen zu können. Er ist jetzt schon nahe am Haus und wie es aussieht, hat er die Haustür ausgespäht, die irgendwann einmal aufgebrochen wurde. Ich sehe, wie er sie aufzieht, abwartet und sich dann doch hineintraut.

Ich warte und hoffe. Wird er den Weg zu mir finden? Wenn ich richtig damit liege, wer er ist, und ich bin mir sicher, dann wird er wissen, wie er die Tür zur Küche aufbekommt. Schließlich ist er ein Teil von Reinhold, meinem geliebten Reinhold.

Dann höre ich Geräusche vor der Tür, ein Schlüssel, der ins Schloss gesteckt und umgedreht wird. Er hat das Versteck des Schlüssels also tatsächlich gefunden. Und so schnell. Wahrscheinlich ist die Diele über die Jahre morsch geworden, sodass er es leicht hatte ihn zu finden.

Ich zittere vor Aufregung.

Dann schwingt die Tür langsam auf und er steht im Türrahmen. Direkt vor mir. Spätestens ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Ich sehe ihn an. Und ich rieche ihn.

„Reinhold “, denke ich, „Du hast mich nicht vergessen.“

Ich bin glücklich.

Er betritt jetzt die Küche, schaut sich um, orientiert sich. Sein Blick bleibt auf dem alten verrosteten Herd hängen. Er geht zu ihm hinüber, berührt ihn mit den Fingerspitzen, vorsichtig, als fürchte er, ihm wehtun zu können. Genauso macht er es bei dem Schrank aus grobem Holz, der sich in den vielen Jahren eine ansehnliche Staubschicht zugelegt hat. Er zieht die Klappe des Brotfachs auf, schaut kurz hinein und drückt sie dann wieder zu.

Dann geht er zu dem großen Esstisch, wisch in einem kleinen Bereich die Platte frei und zieht den massiven Stuhl davor etwas in den Raum hinein. Die Sitzfläche säubert er gründlicher, bevor er sich darauf niederlässt. Der Staub oben auf der Rückenlehne scheint ihn nicht zu stören.
Er sitzt mit geradem Rücken da und hat seine Hände auf die Tischplatte gelegt. So, wie Reinhold immer dort gesessen hat. Auf demselben Stuhl.

Er schließt die Augen, atmet flach, so, als wolle er die Luft nicht verwirbeln. Vielleicht lauscht er, aber es ist still im Raum. Selbst die Fenster, die sonst bei jedem Windhauch klappern, verhalten sich ruhig.

Und dann passiert, was ich niemals für möglich gehalten hätte. Er saugt die Luft in der Küche mit einem tiefen Atemzug ein und – stutzt. Wie von der Tarantel gestochen springt er auf, schaut sich um, geht in jeden Winkel des Raumes und schnuppert. Er riecht etwas, das ihm vertraut ist.

Er hat mich entdeckt.

„Oma“, sagt er mit zittriger Stimme „ich rieche deinen Geruch. Das ist ja Wahnsinn. Ich bin hier in deiner alten Küche und kann dich riechen.“

Er muss schluchzen, setzt sich zurück auf den Stuhl und hat Tränen in den Augen. Dann weint er wie ein kleiner Junge.

Es sind die Erinnerungen, die ihn überwältigt haben. Dann sagt er endlich wieder etwas. Ich höre ihm zu und sauge jedes Wort auf.

„Ich hätte nie gedacht, Oma, dass ich den Duft deiner Haut noch einmal riechen würde.“

Er schweigt für einen Augenblick, zieht wieder prüfend die Luft durch seine Nase, während seine Gedanken in eine längst vergangene Zeit reisen.

„Ich war sechs Jahre alt, als du gestorben bist. In der Nacht, bevor ich eingeschult wurde. Bis kurz davor warst du es, die immer für mich da war. Ich erinnere mich noch gut, dass mich der Duft deiner Haut noch lange begleitet hat. In Träumen, aber auch, wenn ich wach war. Er war für mich ein Wohlgeruch, ein Aroma, auf das meine Schleimhäute reagierten. Doch als ich erwachsen wurde, verlor sich dieses Empfinden. Ich habe oft nach ihm gesucht, hätte es gerne noch einmal erlebt, ihn aber nicht mehr gefunden. Dass ich ihn jetzt, so unerwartet doch noch fand, ist für mich wie ein Wunder, das mich mehr als glücklich macht.“

Er hält inne, sitzt mit feuchten Augen da und genießt die Erinnerungen an seine geliebte Oma.

An Selma.

Und an mich.

Denn ich bin der Duft ihrer Haut, eine unaufdringliche Mischung aus Schweiß, Seife und ein wenig Parfüm.

Reinhold hat mich geliebt, wie sein Enkel auch, dessen Namen ich noch nicht einmal kenne, aber der mir so vertraut ist.

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Ich bin der Duft

Ich bin immer da

Ich provoziere

Ich errege

Ich beruhige

Und manchmal töte ich

Ich bin der Duft

Ich bin immer da

Zwischen wenig und nichts, so viel

Riechst Du mich? Ein Hauch von mir, gerade so viel, dass Du meinst etwas zu erkennen, aber zu wenig, um mich zu bestimmen erreiche ich Dich wie einen Traum an den Du Dich erinnern willst, es aber nicht kannst weil die jeder Gedanke zerfällt, bevor er sich vollends zeigt.

Meine Artgenossen sind da nicht so sensibel, der Schweiß, die Säure, das Feuer. Sie dringen ungefragt in Dich ein, wollen Dich vertreiben, in die Flucht schlagen, an einen Ort wo sie selbst nicht sind.

Ich bin die Sonne, der Regen, die Nacht. Bei mir kannst Du verharren. Du musst nicht vor mir fliehen, da wo ich bin, kannst auch Du sein.

Suche einen Ort, an dem es leise ist, schließe Deine Augen, tanze und atme. Dann riechst Du mich!

Die Besucherin

Da ist er wieder.
Endlich.
Wie lange habe ich auf ihn warten müssen.

Ich rappelte mich hoch, noch halb zwischen Traum und Wirklichkeit. Dann setzte ich mich auf seine Spur. Es war nicht weit. Die dritte Türe auf der linken Seite musste es sein. Als ich durch den Türspalt schlüpfte, hüpfte mein Herz. Hier war ich richtig, ohne Zweifel! Voller Vorfreude sog ich den köstlichen Duft, der mir entgegen waberte, in meine Nase. Den Duft des Lebens.

Der alte Mann auf dem Bett hatte die Augen nur halb geöffnet. Ich bin nicht sicher, ob er mich sah. Und ob er etwas dagegen hatte, dass ich ihn besuchte. Aber das war mir auch egal.

Mit einem Satz war ich auf dem Bett und kletterte auf seine Brust. Der Duft war nun so stark und erregend, dass ich es kaum erwarten konnte, ihn restlos in mich aufzunehmen.
Plötzlich spürte ich, wie eine matte, kalte Hand nach mir griff. Versuchte, mich wegzuschieben. Doch jeder Atemzug ließ mich stärker werden. Mühelos widerstand ich den schwachen Abwehrversuchen.

Nach ein oder zwei Minuten der Herrlichkeit ließ der Duft nach. Es machte aber nichts, denn ich war vollkommen gesättigt. Fühlte mich energiegeladen wie in jungen Jahren.
Ohnehin würden sie gleich hereinkommen und mich vertreiben.
Ich täuschte mich nicht. Als ich vom Flur her Schritte und Stimmen hörte, sprang ich vom Bett und kauerte mich zusammen. Die Türe ging auf und zwei Frauen in hellblauen Kitteln kamen herein.

Die Ältere, die anderen nannten sie Schwester Lisa, fühlte den Puls des alten Mannes auf dem Bett.
„Er ist tot“, sagte sie nachdenklich.
„Habe ich es Dir nicht gesagt?“ sagte die andere Frau und zeigte auf mich.
"Immer kurz bevor einer unserer Sterbekandidaten uns verlässt, treibt diese Katze sich in seinem Zimmer herum.“

„Vermutlich spürt sie einfach, wenn es mit einem Patienten zu Ende geht“, sagte Schwester Lisa.
„Sie will nicht, dass jemand einsam stirbt! Tiere sind doch so einfühlsam!“
Jetzt richteten beide ihren Blick auf mich und musterten mich nachdenklich, aber nicht ohne Wohlwollen. Doch ihre Aufmerksamkeit interessierte mich nicht. Ich war völlig entspannt. Fühlte mich wie das junge Leben, obwohl ich für eine Katze schon ein beachtliches Alter erreicht habe.

Nun werde ich mich wieder in meine warme Ecke neben der Heizung im Schwesternstützpunkt zurückziehen. Und warten. Warten, bis mir erneut der Duft des Lebens in die Nase zieht und mich zu einer stärkenden Mahlzeit einlädt.

Es duftet

Es riecht. Es betört. Ganz bezaubernd. Tief einatmen. Die Vorfreude steigt. Süßer Apfel, brauner Zucker, Zimt, Karamell. Wie fantastisch es doch riecht. Der Geruch aus der Küche. Nicht Zitronenfrische, nicht Antikalk oder Spülmittel. Es ist etwas Essbares, dass sich ankündigt und frohlockt. Noch eine Nase nehmen. Ich stehe in der Küchentür. Der Geruch wird stärker. Die Augen sind geschlossen. Ich sehe sie vor mir. Groß und rund, rotbäckig und saftig. Bratäpfel. Sie schworen in ihrem eigenen Saft. Wie lange es wohl noch dauert. Das Wasser läuft mir im Munde zusammen. Tief einatmen. Doch ich merke, ich bin nicht allein. Der Geruch hat meine Kinder herbeigelockt. Ich bremse sie an der Tür. „Was riecht hier so gut?“ Ein Fingerzeig auf den Ofen. Ein Grinsen in ihren Gesichtern ist die Antwort. „Wie lange noch?“ Ich weiß es nicht. Der Blick zu meiner Frau, die am Küchentisch sieht und uns mit einem Schmunzeln beobachtet. „15 Minuten.“ So lange. Denke ich die Kinder sprechen aus. „Och, Mann.“ Ich streiche ihnen über den Kopf. „Ich rufe euch, wenn es so weit ist.“ Damit sind sie auch schon wieder verschwunden. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich meine Frau ansehe. Ich atme den Duft immer noch tief ein. „Willst du in der Tür stehen bleiben.“ Scherzt sie. „Nur noch einen Moment.“ Die Süße, die Wärme, ihr Lächeln. Ich bin in meiner Kindheit. Nur einen Augenblick. Meine Großmutter bäckt ihre leckeren Bratäpfel. Es ist das gleich Rezept. Ich muss lächeln. Grinsen. Und es ist ansteckend. Ein kleines Stückchen Glück in Form eines Apfels.