Odor?
„Hättest Du wohl besser den Teufel gefragt, kleines Menschlein."
Eine hämische Stimme hallt in meinem Kopf.
„Weißt wohl keine Antwort, kleines Menschlein?“
Da ist niemand, nur diese Stimme in mir.
„Lass mich Dir helfen: Ich backe nicht und braue nicht, will auch nicht der Königin ihr erstes Kind!“ Die Stimme überschlägt sich, schäumt voller Boshaftigkeit.
Ich weigere mich, mit der Stimme zu reden.
„Wäre zu einfach.“ Die Worte verlieren sich im gellenden Gelächter. „Wäre auch zu einfach, zu leicht für Dich, kleines Menschlein.“
Obwohl ich mit beiden Händen meine Ohren fest verschlossen halte, höre ich immer noch diese widerliche Stimme.
„Noch einmal, kleines Menschlein?“
Noch einmal wundere ich mich und bereue den Gedanken sofort; schaurig läuft es mir den Rücken herunter, es kriecht in jede Faser meines Körpers, dringt tief ins Mark.
„Jetzt habe ich Dich, kleines Menschlein,“ entgegnet mir die hässliche Stimme. „Erfreut Deine Bekanntschaft zu machen, kleines Menschlein.“
Konzentration. Ich muss mich nur konzentrieren, die Stimme zu ignorieren. Was ich nicht höre, kann nicht sein.
Die Stimme ist jetzt sehr leise, flüstert eher verführend: „Wie heiße ich wohl, wie ist mein Name?“ Meine Gedanken werden von der feinen Stimme angezogen, wie kleine Fliegen von der betörenden Süße einer überreifen Frucht.
„Geboren bin ich in Hitze und kühle alle Wärme,
gleiche nicht einem Strom, sondern vielen Flüssen.
Ich hafte am Menschen, an einem und an allen,
klebe zwischen zweien, schweiße sie zusammen.
Mich kann niemand verlieren, ich kehre immer wieder.
Ich kenne keinen Willen, forme aber viele Taten.“
Jedem Wort lausche ich jetzt gierig, meine Gedanken werden förmlich angezogen, aufgesogen von der Stimme; im Klang so lieblich, so sirenengleich.
„Also Menschlein,“ säuselt die feine Stimme, „wie lautet mein Name?“
Ich versuche angestrengt zu denken, aber meine Gedanken sind wie verklebt, von der zärtlichen Stimme verführt; fühle mich wie im Rausch gefangen.
„Lass Dir ruhig Zeit, kleines Menschlein,“ höre ich die goldene Stimme fröhlich sagen, „Und wähle weise. Ein Versuch für Dich, Deine süße Seele für mich.“
Verzweifelt versuche ich meine rasenden Gedanken festzuhalten, das Donnern meines Herzens in der Brust zu überhören, das tosende Rauschen im Kopf zu ignorieren, meinen peitschenden Atem einzufangen. Ich will der herrlichen Stimme gefallen, richtig antworten, sie nicht enttäuschen und verjagen, ihr alles richtig machen, ihr gefallen, für immer, wieder und wieder.
Kein Wort kann ich aber sagen, meine Kehle ist trocken, von Erregung verschnürt, muss die Antwort denken, klar denken, das feine Netz von Lug und Trug abschütteln, halte meinen Kopf jetzt zwischen den Händen, rucke ihn hin und her, ziehe an meinen Haaren, suche die Schärfe des Schmerzes, bin in Not eines reinen Gedankens.
„So höre, Du feine Nebelstimme,“ denke ich mit fester Stimme, „Dein Name lautet weder Erlenkönig noch Odor.“ Mit jedem Wort gewinne ich an Sicherheit, an Kraft zurück, bin jetzt ruhig und entschlossen. „Ich kenne Dich zu gut,“ fahre ich fort, „bist mir vertraut, alter Feind, alter Freund.“
Ich warte, setze eine Pause; kann die Anspannung der Stimme spüren, will ihr etwas Qual in der Neugier bereiten. „Dein Name lautet Angst, `bist von üblem Geruch. Mein Wille ist Dein Bangen, Deine Angst, ist… Süßes, ist Saures.“
„SÜSSES oder SAURES!!“ Das laute Geschrei der verkleideten Kinderschar an der Tür reißt mich in die Wirklichkeit zurück. „SÜSSES oder SAURES!!!“ ertönt es wieder von den kleinen Geistern.
„Ich glaube, der alte Mann ist eingeschlafen,“ sagt das vorderste Kind zu den anderen. „Aber er steht doch in der Tür,“ höre ich ein anderes Kind fragend sagen. „Aus dem Haus des Mannes riecht es auch so komisch.“
Bevor die kleinen Teufel weiter ins Reden geraten, verteile ich mechanisch saure Süßigkeiten. „Euch Kinderlein ein frohes Gruselfest, voller Bangen und Schauer. Es fürchtet sich ja so schön.“
P.S.: Danke fürs Lesen. Allen ein schaurig-schönes Kürbisfest. 