Wo kämen wir hin
„Aber es kitzelt in meinem Ohr, weil er mir dauernd Redewendungen hinein flüstert.“, beschwerte sich Klont.
„Welche denn?“ Diese durchaus interessierte Frage kam von der Vorsitzenden des Heimkehrerverbandes.
„Naja, wartet, ich stelle mal laut: ‘ 𝓔:spoon: 𝓔 𝓔…‘. Tchuldigung, ich hab das Übersetzungstool ausgeschaltet.“ Einschaltgeräusch mittels Fingerknick. „Aber jetzt:
‚Wo kämen wir denn da hin,wenn…?!‘“ Ausschaltgeräusch. „…ist eine rein rhetorische Frage und bedeutet Empörung und Ablehnung ungewohnter Ideen, also keine tatsächliche Wegbeschreibung.“ Klont verdreht eines seiner 6 Augen. „Darauf können auch nur Menschlinge kommen.“ Zustimmendes Nicken bei den anderen Kjfdsa.
„Gschert‘ wird noch heute in einer deutschen Provinz abfällig für einen anderen Menschen gebraucht, der eigentlich an den Pranger gehöre, denn Haare Geschorene waren bis vor noch nicht allzu langer Zeit Entehrte… Und jemanden an die Kandare nehmen… “
„Ist gut, ist gut. Aber wieso sitzt er in deinem Ohr?“ „Die Menschlinge sind nicht wirklich großgewachsen, der größte je gemessene Mann ist gerade mal mit ihrem Maß gemessen 2 Meter 51. Der Mann im Ohr ist gerade mal 1 Meter 80. Ich dachte, es ist der richtige Ort für einen sicheren Transport durch Raum und Zeit. Außerdem konnte er mir unterwegs weitere Informationen einflüstern, denn ich arbeite an einer vollständigen Auflistung von menschlichen Redewendungen. Moment, ich hol ihn mal raus.“ Klont griff mit einem seiner 7 Armen an seinen Kopf und pulte mit dem längsten Finger seiner äußersten Hand in seinem vorderen linken Ohr. Dann bestaunten alle den Fremden. Einige rollten heftig mit ihren roten Augen, die rundum an ihren Köpfen angebracht waren und abhängig vom Alter in der Anzahl variierten. Der Mensch starrte zurück, musste er doch eine solche Häufung Außerirdischer mit äußerster Skepsis beäugen. Allein die Anzahl aller baumelnden Arme machten ihm neben ihrer enormen Größe Angst, und wenn sich nicht mit Klont über die Wochen eine Art Freundschaft entwickelt hätte, so wusste er ja nicht, wie die anderen Kjfdsa sich ihm gegenüber verhielten.
Auf der Erde, 3 Monate zuvor.
Sam hatte sich am frühen Abend mit seiner Frau Luise zerstritten und war zum Luft schnappen und Dampf ablassen in den nahegelegenen Wald gelaufen. Dort verirrte er sich nach einer Weile vollends, weil er mit seinen Gedanken bei dem Streitgespräch mit seiner Frau war. Im Grunde genommen war der Auslöser eine Lappalie, denn es ging um die Maßnahmen, die ergriffen werden sollten, um die Erde noch zu retten, stand sie doch kurz vor dem Kipppunkt, an dem die Atmosphäre und die Meere sich so sehr erhitzten, dass die Pole unwiederbringlich zu schmelzen begannen und sie stritten sich nur darüber, was jeder Einzelne tun könne, um dies aufzuhalten. Luise war in ihrem persönlichen Maßnahmenpaket radikaler als er, denn er wollte auf einige umweltschädliche Dinge nicht verzichten, während sie nur noch mit dem Rad fuhr, ihren Wasserverbrauch senkte, nur noch regional einkaufte, nicht fliegen wollte. Auch Ökoprodukte bei Kleidung, Nachhaltigkeit bei Anschaffungen und ausgewogenes frisches Essen standen nunmehr auf ihrer Liste und sie unterstützte Organisationen mit den entsprechenden Labels. Onlinebestellungen kamen nur in frage, wenn sie vollständig Klimaneutral waren. Sie baute Gemüse und Obst selbst an und auch Kräuter kamen nun ungespritzt auf ihre Speiseteller. Dies alles beachtete er nur halbherzig, verstand aber ihre Beweggründe. Er selbst war einfach zu bequem geworden, um ernsthaft etwas an seinem Verhalten zu ändern.
Jedenfalls stolperte er so in Gedanken versunken über eine Baumwurzel und landete auf etwas, was sich weich anfühlte und durchsichtig schimmerte, einer Qualle nicht unähnlich, aber in ihren Abmessungen übermäßig groß. Erschrocken sprang er auf, denn es pulsierte unter ihm. Rückwärts bewegend, umrundete er das DING und konnte trotz einbrechender Dunkelheit in das Wesen HINEINgucken. Er sah innere Organe, den unseren nicht unähnlich. Da war so was wie die Lunge, das Herz, der Darm und weitere, die er nicht benennen konnte. Vielleicht ein Magen, eine Leber, Nieren…
Durch die vielen Seitenteile, die sich später als Arme und Hände entpuppen sollten, dauerte es eine ganze Weile, bis er ganz herum war. Dann sah er mittig eine Bewegung und er starrte in eins von 6 roten Augen. Und es starrte zurück. Beiden entfuhr ein Schrei, der unähnlicher nicht sein konnte. Jetzt konnte Sam auch das Organ erkennen, aus dem dieses grollende Geräusch kam; das schien also der Mund zu sein. Sam rieb sich seine Augen und glaubte zu träumen. Aber alles war real und er musste ein heftiges Zittern unterdrücken. Vorsichtig schlich er sich rückwärts weg, denn er konnte nicht einschätzen, ob es ihm gefährlich werden konnte oder nicht. Da bewegte sich der Mund erneut und es formte irgendwelche sanft klingenden Laute, die eindeutig freundlich gemeint waren. Sam blieb in sicherer Entfernung stehen und hörte zu. Nach einer Weile konnte er verstehen, was das Wesen sprach und das erschreckte ihn fast noch mehr. Wenn es menschliche Sprache beherrschte und sogar die seines Heimatlandes, was zum Teufel war das dann? Eine unentdeckte Papageienart oder gar ein Außerirdischer? Wieder rieb sich Sam die Augen, kniff sich in den Oberarm. Da begann es zu lachen und wieder klang es wie ein Donnergrollen, allerdings ein Heiteres. Es schwoll ganz langsam an, näherte sich Sam, streichelte ihn und zog sich dann wieder zurück.
Sam fand seine Sprache wieder und redete es an: „Wer oder was bist du? Wo kommst du her und was willst du von mir?“
Der AI knickte einen seiner unzähligen Finger um und sprach: „Ich heiße Klont und komme aus einer anderen Galaxie, bin mit meinem Raumschiff verunglückt, das in eurer Atmosphäre verglühte, aber ich habe es durch Umstieg in ein anderes Fahrzeug überlebt. Bin dann hier in den Wald gekrochen und jetzt muss ich auf meine Kjfdsa warten, damit sie mich wieder abholen. Zuvor aber erhielt ich den Auftrag, dass ich die Menschheit studieren und anhand ihrer Reden und Gebräuche feststellen soll, ob sie es noch Wert sind, gerettet zu werden. Denn es steht sehr schlecht um euren Planeten. Dabei ist er so schön…“
Sam schwieg betreten, denn er konnte diesen Thesen nichts entgegensetzen. Dann sagte er zögerlich:
„Wenn du nichts dagegen hast, helfe ich dabei gern, denn auch in sehe, dass es sehr schlecht um die Erde steht. Eigentlich wissen wir es alle. Nur die Korrupten, die Lobbyisten…“
„Du brauchst nicht weiterreden, wir als gesamtes Volk haben die Menschheitsentwicklung der letzten 20000 Jahre im Blick und jetzt müssen wir so oder so eingreifen, denn wir sind die Hüter des Weltalls! Eure Erde ist zwar nur ein winziger Planet im weiten All, aber ihr Untergang und letztlich ihre Unbewohnbarkeit hat weitreichende Konsequenzen bis tief hinein.“
Dieses sachliche Geständnis erschütterte Sam und er war bereit, auf diese außergewöhnliche Beziehung einzugehen. Beide hatten schon nach einer Weile das Gefühl, von dieser Zusammenarbeit zu profitieren.
Um möglichst wenig die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, blieb Klont im Wald und kam nur in den frühen Morgenstunden heraus, um sich mit Sam zu treffen. Dieser zeigte ihm Filme von verstopften Straßen und das Verhalten von Autofahrenden, die aus Bequemlichkeit nicht auf andere Transportmittel umstiegen, die sich den vermeintlichen Luxus meinten, leisten zu können, die großen Industrieanlagen, Schweine- und Kuhställe und Schlachthöfe, die Methoden der Werbung des immer höher, weiter, schneller, der zunehmende Egoismus, die Steigerung des Konsums aus Unzufriedenheit, die Beeinflussung großer Konzerne auf PolitkerInnen weltweit und der unermüdliche Kampf von Umweltverbänden, auf Missstände hinzuweisen oder aufzudecken. Dies alles saugte Klont in sich auf wie ein Schwamm und in vielen Gesprächen bewies er, dass er alles in richtige Zusammenhänge brachte. Er stellte eine Liste von Ursache und Wirkung auf, die selbst Sam so nicht bewusst war. Noch deutlicher wurde ihm dies, als er Luise in sein Geheimnis einweihte, weil sie ihn eines nachts erwischte, wir er, bewaffnet mit seinem Tablet und einem Schlafsack, das Haus verließ. Sie war sofort Feuer und Flamme, diesen Außerirdischen von der unbedingten Politikänderung und dem Sinneswandel vieler Menschen, der einsetzen musste, zu überzeugen. In der nächsten Nacht begleitete sie Sam bei seinem Nachtspaziergang zum stillgelegten Steinbruch in der Nähe, der der neue Treffpunkt war, da er nahe genug an ihrem Haus lag und auch ein unbemerktes Verschwinden von Klont in ein Waldstück ermöglichte.
Luise war auf das Äußere von Klont durch Sams Schilderungen einigermaßen vorbereitet, doch immer wieder glitt ihr Blick über diesen durchsichtigen Körper, blieben an den vielen Armen hängen, wusste nicht, in welches der Augen sie eigentlich gucken sollte. Doch sobald Klont zu reden anfing, war das ungewöhnliche Äußere nebensächlich. Er stellte die richtige Kausalität her, die Luise noch durch den ein oder anderen Einwurf verfeinerte. So kamen sie zu dem Schluss, dass beide Menschen, mit Aufnahmegeräten ausgerüstet, ihren Alltag dokumentieren, sich in der nahegelegenen Metropole in alle möglichen Situationen begeben sollten. Diese Aufnahmen stellten sie neben den Nachrichtensendungen und den Medienberichten jede Nacht Klont zur Verfügung, sodass er Zeit hatte, diese Informationen zu verarbeiten und zu analysieren. Immer wieder stieß er dabei auf Verhaltensweisen oder Formulierungen, auf die er sich keinen Reim machen konnte. Und er wollte alles 100%-ig verstehen, damit sein Volk keine falschen Schlüsse zöge, denn diese hielten ja die Zukunft der Erde in der Hand. Dies wurde nach und nach auch den beiden Menschen immer klarer und sie taten alles, damit Klont als Botschafter der Menschlichkeit zu seiner Galaxie zurückkehrte. So begannen sie, alles Unverstandene zu erklären, menschliche Unzulänglichkeiten zu entschuldigen, Redewendungen auf ihren Ursprung zurückzuführen.
Dann kam der Tag des Abschieds, denn Klonts Volk der Kjfdsa war bereit und in der Lage, ihn zurückzuholen. Doch jetzt war Klonts Ehrgeiz geweckt, denn wenn er vielleicht nicht sein Volk von der Notwendigkeit einer Erdrettung überzeugen konnte, so wollte er doch seine gesammelten, aber noch unvollständigen Informationen über die Erdlinge in ihrem Archiv einlagern. So schlug er Sam vor, dass er die Möglichkeit erhielte, ihn zu seinem Heimatstern zu begleiten, um persönlich als Fürsprecher der Menschheit aufzutreten. Sam protestierte, obwohl er durchaus als Abenteurer galt. Doch ohne Luise wollte er dieses Risiko einer eventuellen Reise ohne Wiederkehr nicht eingehen.
„Sie hat den klareren Blick, die schärfere Sprache, sie ist zudem willensstark und“, hier warf er einen liebevollen Blick auf Luise, „euer Planet könnte zur Arche Noah der neuen Menschheit werden, denn wie planen die Gründung einer Familie, trotz allem.“
Klont wiegte nachdenklich seinen riesigen Kopf, denn seine Skepsis gegenüber der Friedfertigkeit des menschlichen Geschlechts war noch nicht vollständig ausgeräumt. Ohne eine Chance auf Besserung waren allerdings vielleicht alle verloren.
„Nun gut, es werden sowieso noch weitere Besuche von uns auf der Erde folgen, um“, ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund, „um ähnlich wie Noah so viele Paare von allen Lebewesen einzusammeln und auf einem erdähnlichen Planeten wieder auszusetzen. Das könnte zu einer neuen Zeitrechnung für euer Geschlecht führen.“
Und so kam es, dass beide Menschenkinder in den Ohren von Klont die Reise ins Ungewisse antraten und dort mit viel Wärme für den Erhalt ihres Planeten kämpften. Ob es gelang? Wir werden sehen, wenn es soweit ist.
„Klare Kante zeigen… – 𝓔:business_suit_levitating:𝓔 𝓔 𝓔 𝓔:whale2:𝓔:spoon: 𝓔 𝓔:seedling:𝓔:mushroom:𝓔:spoon: 𝓔 𝓔:seedling: 𝓔:pisces:𝓔 𝓔:seedling:𝓔“