Forschungsreise mit Hindernissen
„So langsam solltest du dich mal entscheiden, wo ich dich rauslassen soll. Wir waren jetzt über diesem großen Torbogen der Hauptstadt, dem riesigen Dom einer anderen großen Stadt, einer alten Brücke mit nahe gelegenem Schloss… Da vorne kommt die Stadt im Süden mit dem Münster und danach das Nachbarland. Es ist ganz egal, wofür du dich entscheidest, sie sind überall gleich…“
„Flieg doch mal weiter runter, damit ich besser sehen kann. Schau, da sind wieder welche. Menschen heißen sie, das hab ich mir gemerkt. Und die Ansiedlungen heißen Berlin, Köln, Heidelberg und jetzt Freiburg. Da kannst du mich rauslassen.“
„Gut, dann landen wir, mach dich bereit.“
Unser Raumgleiter nahm Kurs auf das Münster. Ich drückte den Unsichtbarkeitshebel.
„Hast du alles? Den Speakinator nicht vergessen…“
„Ok, Chief. Ich melde mich, sobald ich meine Forschungen abgeschlossen habe.“
Da tauchte auch schon die Spitze des Münsters vor uns auf, und der Raumgleiter ankerte kurz. Sogleich nahm ich Menschengestalt an, bekleidete mich und steckte Proviant und Speakinator ein. Dann beamte ich mich raus. Schwupps die Treppe runter – huii, war das hoch! – und, atmen nicht vergessen! Ich hatte ein spezielles Atemseminar belegt, um für meinen Einsatz auf der Erde optimal vorbereitet zu sein. Doch was ich jetzt erlebte, übertraf meine Erwartungen. Denn jetzt strömte doch tatsächlich Luft durch mich hindurch. Draußen hatten wir nur Trockenübungen gemacht.
„Viel Erfolg!“, hörte ich noch die Stimme des Chiefs in mir hallen. Dann war ich allein.
Doch nicht lange. Unten im Münster fand eine Versammlung statt. Die Menschen bewegten ihre Münder auf und zu, und es kamen Klänge heraus. Wie nannte man das? Rap? Funky? Oper? Musical? Irgendsowas war es gewesen. Ach, hätte ich doch besser aufgepasst.
Es waren zu viele auf einmal. Ich bekam Panik und stürzte ins Freie. Atmen!
Ich lief einige Zeit durch die Straßen. Dann stieg ich in einen Straßenzug ein mit der Aufschrift „Schokolade macht müde Geister munter.“ Der Zug setzte sich in Bewegung, und ich ergatterte einen Platz neben der Scheibe, durch die man nach draußen sah. So viele Eindrücke! Ich war überwältigt. Und wie schön sie waren, diese Menschen! Nicht umsonst hatte ich mich für dieses Projekt eingetragen.
Endlich konnte ich sie aus der Nähe betrachten. Sie jedoch schienen mich nicht wahrzunehmen, denn sie schauten fortwährend auf diese kleinen Geräte, die sie fest mit beiden Händen umklammert hielten. Das war etwas Neues! Das stand in keinem unserer Werke über fremde Spezies und Subkulturen. Neugierig schaute ich meinem Nebenmann über die Schulter und stellte fest, dass es sich um einen tragbaren Bildschirm handelte, mit dem man sprechen konnte.
Auch eine junge Frau, die an einer Haltestelle saß, fiel mir auf. Sie hielt den Bildschirm weit von sich gestreckt in der Linken, verzog urplötzlich die Lippen zu einem Lächeln und sackte dann wieder in sich zusammen. Welch seltsames Gebaren!
Dann waren wir schon wieder weiter und hielten an einer Ampel! Ich wusste das Wort noch! Jetzt endlich sah ich eine mit eigenen Augen. Fasziniert beobachtete ich, wie der Verkehr geregelt wurde. Erst die Autos von der einen Seite, dann die von der anderen Seite, dann wir und, ich blickte zurück, dann die Läufer und die mit den Zweirädern.
In den Chroniken hatte auch etwas von Dreirädern gestanden. Ich hielt danach Ausschau, sah aber keines.
Dann hörte ich eine Stimme. Sie war recht laut. Zum Glück hatte ich meinen Speakinator eingeschaltet und konnte verstehen, was sie sagte. „Endhaltestelle“, übersetzte mir das Gerät.
Jetzt war es an der Zeit, mir einen Menschen zu suchen, bei dem ich bleiben konnte. Ich versuchte, Kontakt aufzunehmen, aber alle hatten es sehr eilig oder schauten in ihre Geräte. So schwierig hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich stieg aus. Mühsam entzifferte ich einige Straßennamen. „Hornusstraße“, „Stuttgarter Straße“, las ich, und als ich etwa 500 Schritte gegangen war, „Tullastraße“.
Da traf ich sie. Es war ein Weibchen, und sie hatte dieses Haustier an der langen Schnur dabei. Ich blickte ihr fest in die Augen, bis sie bereit war, mich mitzunehmen. Das Tier kläffte, aber das war mir egal.
Sie wohnte nicht alleine. Ein zweites Weibchen hatte es sich bei ihr eingerichtet. Komisch, dabei dachte ich immer, dass Männchen und Weibchen zusammen wohnen mussten, zwecks Aufzucht des Nachwuchses. So hatte ich es gelernt. Aber unsere Lehrbücher waren wohl doch veraltet und vieles hatte sich geändert. Das war schwer für mich zu begreifen, doch würde ich immerhin etwas haben, worüber ich texten konnte.
Ich durfte ihre Toilette benutzen. Menschen setzen sich dazu hin, und so probierte ich es auch. Es war gar nicht schwer. Im Bad standen ganz viele Fläschchen, Dosen und Tuben aus unterschiedlichen Materialien und in verschiedenen Größen. Für was die wohl gut waren? Ich öffnete spaßeshalber eine der Tuben und drückte darauf, und ein Streifen gestreifte Paste flutschte mir aufs Jackett. Ich roch daran. Klebrige Minze! Für was die wohl gut war?
Dann ließ ich mir den Balkon zeigen und machte es mir in einer Liege gemütlich. Während mein Weibchen für die Bereitung der Nahrungszufuhr in die Küche verschwand, sah ich mich um. Das Tier kläffte, als ich mir die abgestreifte Kleidung meines Weibchens, die auf einem Ständer hing, genauer ansah. „Unterhose, Büstenhalter, T-Shirt, Kleid, Rock, Jeans!“, wiederholte ich die Vokabeln, die ich vor kurzem erst gelernt hatte und freute mich, endlich mein Wissen anzuwenden.
Plötzlich stieg mir ein beißender Geruch in die Nase. „Was ist das?“, rief ich nach drinnen, und der Speakinator übersetzte.
„Die Nachbarn kiffen wieder“, sagte das Weibchen, „ich muss unbedingt schnell die Wäsche wieder reinstellen!“
Schon machte sie sich am Wäscheständer zu schaffen.
Kiffen! Davon hatte ich gehört. Das musste ich unbedingt auch probieren!
„Bring mich zu den Nachbarn!“, befahl ich ihr, und kurz darauf klingelten wir bei Frau Hahn im Erdgeschoss.
„Ich will kiffen!“, sagte ich zur Begrüßung, starrte Frau Hahn mit durchdringenden Augen an, und sie führte mich durch die ungeputzte Wohnung auf den Balkon.
Als ich mir das Mundstück der Wasserpfeife zwischen die Lippen klemmte, wusste ich, dass es ein Fehler war. „Atmen!“, sagte Frau Hahn, und in Erinnerung an meine Atemübungen draußen atmete ich. Es genügte ein einziger Atemzug. Ich hustete, würgte und kotzte den gesamten Inhalt meiner beiden Mägen auf den Boden.
So die Kontrolle zu verlieren, ist gefährlich, davor hatte mich mein Chief gewarnt. Doch zu spät.
„Nach einem Zug schon high?“, witzelte Frau Hahn und gab mir ein Glas Wasser.
Ich fühlte mich sterbenselend, doch konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Wenn ich mich nicht schnell wieder in den Griff bekam, würden sie mich fesseln und am Bett festbinden. Weibchen waren dazu fähig, das hatte ich in diesen Internetvideos gesehen.
Schnell stürzte ich aus der Wohnung heraus und aus dem Haus auf die Straße. Ich wollte nur noch weg. Eilig kontaktierte ich per Gedanken die Zentrale, wo meine Verlobte stationiert war.
„Kommt mich holen, die haben mir ein lebensgefährliches Zeug verabreicht!“
„Hast du geraucht? Gesoffen oder etwa gekifft?“
„Wasserpfeife.“
„Also gekifft. Du hast mal wieder die Gebrauchsanweisung zur Spezies nicht bis zum Ende gelesen? Selbst Schuld!“
„Ich hab genug gesehen, ihr könnt mich wieder abholen!“
„Nix da, du ziehst das jetzt durch.“
„Die werden mich umbringen. Wir werden uns nie wiedersehen!“
„Schisser. Ok, ich bin gleich bei dir. Wo bist du genau?“
„Tullastraße vermutlich. In der Stadt mit dem Münster. Rosa Haus mit blauem Eingangsloch.
„Bin gleich bei dir.“
„Dem großen Chief sei Dank! Wie lange brauchst du?“
„5 Momente.“
„Ich fühle dich schon! Sei vorsichtig und mach das Unsichtbarkeitsfeature rechtzeitig an!“
Wenig später: „Komm rein. Ich schlage vor, wir parken irgendwo und gehen essen? Wo wir schonmal hier sind? Du hast die menschliche Küche ja noch gar nicht probiert! Wie wär’s diesmal mit Italien? Der Lago Maggiore ist nur 10 Augenblicke von hier entfernt.“
„Mit dir um den Rest der Welt, Liebste!“ Mein Herz schlug schneller, diesmal jedoch vor Freude.
„Na also, geht doch.“
Ich stieg ein und weiter ging`s zur Erforschung der italienischen Kultur. Krodullia hatte mir mal wieder aus der Patsche geholfen und meinen Forschungsauftrag gerettet, denn sobald wir in Bella Italia waren und uns eine Pizza Funghi teilten, wusste ich, worauf ich meinen Forschungsschwerpunkt legen wollte: Italien!