Seitenwind Woche 2: Außerirdischer Aufbruch

Willkommen zur zweiten Perspektive von Seitenwind.

Deine Perspektive

Ein Außerirdischer auf der Erde, der heimlich Menschen beobachtet. Du versuchst, so unerklärliche Dinge wie „Dabbing“ oder „Selfies machen“ zu verstehen, die Erdlinge gerne praktizieren.

Deine Aufgabe

Jetzt ist es soweit: Du hast das perfekte menschliche Exemplar identifiziert. Du beschließt, dich zu nähern und alles „Gelernte“ für den Erstkontakt anzuwenden. Wie reagiert der Mensch? Welche irdischen Rituale werden missverstanden? Und vor allem: Schließt du eine neue menschliche Freundschaft oder schmiedest du doch eher einen Weltzerstörungsplan?

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Ausgerechnet auf der Erde!

„Fröhliche Weihnachten!“

Verwundert wurde Manfred angestarrt. Natürlich war sein Name nicht Manfred und natürlich war er in Wirklichkeit nicht so braungebrannt, naturblond und menschenförmig, aber das musste die kleine Gruppe an Erdlingen vor ihm nicht wissen.

„Es ist April“, erwiderte eine von ihnen schließlich, ein braunhaariges Exemplar, mit einem seltsamen Metallgestell vor den Augen.

„Oh“, Manfred lief rot an, so wie er es geübt hatte, sollte er bei Fehlern ertappt werden. Hatte er die Feiertage durcheinander gebracht? In „Einleitung des Menschentums“ wurde darauf bestanden, dass stets eine Brüßungsformel ausgesprochen werden musste.

„Fröhliche Ostern?“, versuchte er, aber die Erdlinge schienen weiterhin unbegeistert.

„Die Ausnüchterungszelle der Bullen ist gleich auf der anderen Straßenseite“, sagte ein anderer lachend, woraufhin alle kicherten.

Mit Ausnahme von Manfred, der sich mit einem Seufzen umdrehte. Wenn er doch nur bessere Noten bekommen hätte, dann hätte er ein Auslandssemester in Astraria machen können, so wie seine anderen Freunde. Aber nein, er musste ja in Xenolinguistik durchfallen und war jetzt ausgerechnet auf der Erde gelandet.

Niedergeschlagen, ließ er sich an einem anderen Tisch in der Mensa nieder. Er stocherte auf seinen Teller herum, nicht ahnend worum es sich bei der grünen Masse handelte. Das Kapitel über die Erklärung von Nahrungsaufnahme hatte er bisher übersprungen, zu angewidert, dass Menschen diese durch den Mund aufnahmen! Urgh.

„Fröhliche Weihnachten!“

Vor ihm stand eine junge Frau in schreiend gelben Overalls, einem Metalgestell vor Augen und etwas, was Manfred als freundliches Gesicht identifizieren konnte.

„Ist hier noch frei?“

Er deutete auf den Platz gegenüber.

„Gesundheit“, antwortete die Frau und setzte sich hin. Manfred starrte sie an.

„Auch nicht die Noten gehabt für Astraria?“

Mit einem Schnauben ließ die Frau das Metall in ihren Händen fallen. Erzürnt rief sie:

„Und dann landet man auch noch ausgerechnet auf der Erde!“

Vorsichtig ging ich auf das Wesen zu. Es schien ein Weibchen der einheimischen Spezies zu sein. Neben ihr lief ständig eines dieser unfertigen Menschendinger her, dem ununterbrochen Schleim aus der Nase sickerte. Nach meinen Informationen über die menschliche Spezies waren sie aber nicht mit diesen kleinen Tieren verwandt, die Schleimbildung zur Fortbewegung nutzten. Und Schnecken hatten ja auch keine Beine wie dieser Unfertige. Wofür also die Schleimbildung?
Ein Schrei riss mich aus meinem Gedanken. Das Weibchen hatte neben ihrem fahrbaren Drahtwagen, in den sie ständig Dinge aus den Regalen warf, einen zweiten dabei. Der war luxuriöser, aber von einem noch kleineren Unfertigen besetzt, den sie damit herumschob.
Auf meinem Planeten musste man nach der Geburt laufen oder sterben.
Ich warf einen Blick an mir herunter und betrachtete meine Füße, die in der Haut toter Lebewesen steckten. Nur zwei. Wie bei dem Weibchen. Mit vieren geht es einfacher.
Ich verzog meine Gesichtsmuskeln, um ein Lächeln zu produzieren. Dieses Verziehen der Muskeln sollte immer vor einer Kontaktaufnahme stattfinden.
»Hallo«, sagte ich und warf einen Blick in ihren zweiten Wagen, mit dem schreienden Unfertigen. Menschliche Weibchen freuten sich immer, wenn man sie dafür lobte, dass sie sich fortpflanzten.
»Hallo«, antwortete sie vorsichtig, während sie einen Blick in meinen Drahtwagen warf. Einkaufswagen, fiel es mir wieder ein. So nannte man die Dinger. Ich hatte bereits eine Menge Einkäufe eingeladen. Anpassung war alles.
»Ist das ihr Baby?«, versuchte ich das Eis zu brechen. Ich sah aus wie einer von ihnen, aber bisher hatte ich noch nie den Mut gehabt, mit einem Menschen zu sprechen.
»Nein, das habe ich mir da hinten am Tresen geholt«, antwortete sie und blickte mich eigenartig an.
»Haben die noch welche?«, vertiefte ich unsere Unterhaltung. Mein Blick wanderte durch meinen Einkaufswagen und blieb auf einer Flasche Öl hängen. Ich griff danach und hielt sie freudig hoch, so dass sie die Flasche sehen konnte. »Dann kann ich mir selbst etwas machen und muss nicht das fertige Zeug nehmen. Wissen sie, wie viel man aus einem rausbekommt?«
Als hätte ich sie beleidigt, packte sie den größeren Unfertigen am Arm, dann den Wagen mit dem Baby und starrte mich aus geweiteten Augen an. »Arschloch«, schimpfte sie und verschwand.
Offenbar war mein Handbuch doch nicht so gut. Immer, wenn ich mit einem Menschen reden wollte, taten die so, als wäre ich verrückt.
Ich blickte auf die Flasche Babyöl in meiner Hand. Werden die eigentlich kalt gepresst?

Unheimliche Begegnung

„Hallo schönes Fräulein, darf…“

Oh echt jetzt, woher kommst Du denn?“

„Ähm, von weiter weg, … möchten Sie vielleicht… „

„Ja, hinterm Mond anscheinend, mach nen Abgang Alter!“

„Woher wissen Sie denn, ähm, … hallo?“

„Xyryll an Basis. Wir sind enttarnt, die wissen alles, schnell weg!“

»Hey Bestie, wie geht’s wie stehts?«, etwas ungelenk halte ich ihm meine Hand zu einem lässigen Gruß hin.

Erwin, ein etwas untersetzter Mitvierziger mit Halbglatze und Brillengläsern so dick wie mein kleiner Finger, starrt mich nur verständnislos an. Seinen Aktenkoffer fest vor die Brust gepresst stammelt er wild drauf los. Eine Eigenschaft die ich in den letzten Wochen auch schon bei vielen anderen Erdlingen beobachten konnte. Ich scheine also genau auf dem richtigen Kurs zu sein.

»W-w-wie bitte?«

»War ich zu cringe?«, fragte ich ihn irritiert.

»Cringe?« Die steile Falte auf der Erwins Stirn wurde von Sekunde zu Sekunde tiefer. Nicht mehr lange und es wäre ohne Probleme möglich, mein Blitzdings darin festzuklemmen. Aber das brauchte ich ja vielleicht noch.

»Na das sagt man doch so, oder nicht?«, erwiderte ich gelassen und klopfte ihm fest auf die Schulter. Seine Knie sackten unter ihm weg und prallten mit einem leisen plonk auf den Asphalt. Gut, das sollte ich vielleicht noch einmal üben.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte Erwin und rappelte sich panisch auf. Ich zog einen Schokoriegel aus der Tasche. Wie ich gelernt hatte, half Schokolade gegen alles.

»Bitteschön«

»Sind Sie so eine Art Staubsaugerverkäufer für Schokoladenriegel?«, quiekte der Mann und machte einen Schritt rückwärts. »Halten sie sich gefälligst von mir fern, ich kaufe nichts!«

»Du siehst mir wie ein Snackosaurus aus, da wollte ich mit meinem Schokoriegel punkten«, erwiderte ich gelassen und legte ihm den halb geschmolzenen Riegel auf seinen Aktenkoffer.

»Ist das eine Art schlechter Scherz? Versteckte Kamera oder sowas?« Erwin schien mein Freundschaftsangebot nicht besonders prickelnd zu finden. Schritt für Schritt wich er vor mir zurück.

Ich seufzte. »Ach Erwin, wir hätten so gute Buddies werden können.« Dann zog ich meinen Dematerialisator aus der Hosentasche und ließ ihn einmal aufschnappen. Einen Augenblick später blickte mir ein kleiner Dackel entgegen, der auf einem aufgeklappten Aktenkoffer thronte und sich verwirrt nach allen Richtungen umblickte.

»Komm mit Erwin, als Hund bist du mir sowieso viel lieber«, sagte ich beschwingt, griff mir den verwirrten Dackel und machte mich auf den Rückweg zu meinem Raumschiff. Das mit den Menschen musste ich wohl noch üben aber wenigstens hundisch konnte ich schon einmal, dachte ich zufrieden und strich dem kleinen Erwin über seinen haarigen Dackelkopf.

Im Auftrag

Du brauchst eine gute Tarnung, haben sie gesagt, ehe sie mich zur Erde schickten.
Etwas, in dem du einen unbegrenzten Zugang in alle Bereiche des Menschen hast.
Aber jetzt mal ehrlich: „So!“ Entsetzt schaue ich an mir runter.

„Der ist ja süß!. Schatz genau den will ich!“
Sie zeigt auf mich.
Und ich kann nichts dafür, doch das Ding an meinem Rücken wackelt hin und her.
„Siehst du wie er sich freut!“, sagt sie und tätschelt meinen Kopf.

Sie nimmt mich hoch und reibt ihre Nase an meine.
Hui wie sie duftet. Ihr Lachen klingt in meinen Ohren wie Sphärenmusik.
Sie ist so schön. Vergessen, zu was ihr mich gemacht habt. Ich will sie! Nur Sie!

Nun soll ich Kommandos lernen. Sitz!, Bleib!, Dreh dich!, Hol das Stöckchen und so einen Blödsinn, und dann bekomme ich zu Belohnung einen Krümel gepresstes Fleisch. Leckerchen nennen sie es. Die spinnen doch die Menschen.
Aber ich mag es in ihrer Nähe zu sein, liebe es, wenn sie mir den Kopf streichelt.
Für sie würde ich einfach alles tun. Alles!

Heute treffen wir uns mit ein paar Spielkameraden, sagt sie.
Tarnung ist einfach alles, denke ich, als ich das Rudel Marsianer sehe.

Solo für QtL9=m’‘

Ich betrachte den Auftrag. Ochnö, nicht schon wieder die Erde. Da war ich doch erst letztes Mal.
Diese Betaversion, die wir da gestartet haben, zeigt keinerlei Fortschritt. Laaaaangweilig.
Obwohl, dass sie uns für Götter halten, ist ja wiederum irgendwie niedlich. Wir sind ja empfänglich für ihre Emotionen. Muss an unserem Erbmaterial liegen, das wir den Probanden damals implementiert haben.

Sei’s drum. Rausschieben machts auch nicht besser. Also Navi auf Erde und ab ins nächste Wurmloch.
Hat was, die blaue Kugel. Echt Vintage.
Landung diesmal, ohne dass der Glider rumkugelt. Sogar ich lerne dazu. Hidemodus an.

Heller ist es geworden, seit ich zuletzt hier war. Anscheinend betreiben sie mittlerweile auch eine rudimentäre Art von Terraforming. Und wie die sich vermehr haben, erstaunlich. Riesige Nester haben sie sich da zusammengebaut. Sieht aber nicht wirklich gesund aus. Offenbar haben sie den Begrenzungsfaktor zu hoch angesetzt. Ich nehme schon mal ein paar Materialproben.

Umschalten auf auditiv. Ihre Sprache scheint differenzierter geworden zu sein. Immerhin, vielleicht wird ja noch was draus. Da sind doch einige Lautfolgen dazugekommen. Mal eben durch den Semantilex jagen.

Okaaaay, das Fell hat sich sehr verändert. Und sie können es nach Belieben abwerfen und wieder überstreifen? Das hatten wir so noch nicht. Keine Ahnung, wozu das gut sein soll, aber ich notiere es.

Nächster Punkt. Lebendes Objekt. Hereinspaziert, meine Herrschaften. Ich ziele mitten ins Nest und hole mir ein besonders auffälliges Weibchen. Vitalfunktionen prüfen und Memofunktion pausieren. Der Semantilex ist fertig und ich starte das Kommunikationsprogramm.

Na, dann wollen wir mal.

„Voll slay, wie du auf Lock bist, ist dein Rizz schon geflext? Wie gehts deinem Digga, du Opfer?“
Das Weibchen schaut irgendwie stumpf. Wahrscheinlich hat sie noch Nachwirkungen vom deporten. Also einfach weiter.

„Bist du Yolo oder chillt dein fame in your face?“
Der Ausdruck ändert sich nicht wirklich.

Haben sich die motorischen Einheiten nicht entwickelt? Ich check das mal eben mit dem Infiltrator. Irgendwo wird sie ja eine passende Einführöffnung haben. Ah, da. Wie praktisch, direkt in der Mitte. Also hinein damit.

Was denn jetzt schon wieder. Warum zuckt sie denn so spastisch? Und was läuft da raus? Sie wird doch nicht…

Oh…kaputt.

Das Virus

Was bei sämtlichen Isotopen des Wasserstoffs treiben die da bloß?

‚Erforschung einer neuen Spezies‘, hat es geheißen. ‚Vielseitig, interessant und außergewöhnlich‘, soweit klang es ja nicht schlecht. ‚Extrem hilfreich zum Erreichen des Mastergrades in Xenobiologie.‘ Gut, zugegeben, das hat für mich den Ausschlag gegeben. Meine Noten waren bisher eher durchschnittlich, aber so eine außergewöhnliche Feldforschung würde meinen Schnitt erheblich aufpolieren.
Erstaunlicherweise hat sich kaum einer meiner Kommilitonen für diesen Posten interessiert, also habe ich die Stelle bekommen. Und jetzt sitze ich hier in meiner Standard Interstellarkapsel, eine Zumutung, da drin seine zwölf Beine bequem unterzubringen. Ich schwebe im Schutz eines Deflektorfeldes über dieser Welt, die von ihren Bewohnern angeblich ‚Erde‘ genannt wird, ich beobachte – und ich verstehe nichts.

Zuerst habe ich mich über ihre Fressgewohnheiten gewundert, wie sie mit riesigen Schaufeln ihren eigenen Erdboden ausheben und offenbar vertilgen. ok, mein Fehler, das waren vielmehr ihre Arbeitsgeräte, um größere Areale auszuheben, zu planieren und dann irgendwelche Aufbauten in möglichst engen Abständen draufzusetzen. Die vorhandenen Grünpflanzen werden dabei eliminiert, seltsam, aber vielleicht sind die ja eh nicht von Nutzen.
Schon klar, andere Welten, andere Sitten, aber bei dieser Enge würde ich Atembeschwerden bekommen. A propos Enge, sobald ich verinnerlicht hatte, dass eben diese herumwuselnde Masse von sauerstoffatmenden Zweibeinern die höchstentwickelte Art auf diesem Planeten darstellte, begriff ich gar nichts mehr. Es waren schon jetzt viel zu viele, sahen die denn nicht, dass das die Rohstoffe ihrer Welt rettungslos überfordern musste? Und wie bei Cassiopeias heiligen drei Monden wollten sie sämtliche Individuen satt bekommen? Fragen über Fragen, aber ich beobachtete weiter.
Noch kryptischer wurde es, als ich weitere Daten zur Auswertung bekam. Diese Wesen waren hoch empfindliche Organismen, die eine ganz bestimmte Zusammensetzung ihrer Atemluft benötigten. Da sollte man doch meinen, dass sie alles taten, um dieses für unsereins völlig ungenießbare Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch so verträglich wie nur möglich zu halten. Aber nein, diese dummen Geschöpfe taten offenbar alles, damit ihnen in absehbarer Zeit die Luft ausgehen würde. Und nicht nur das, mit ihren Gewässern, ihren Landmassen und sogar ihrer für sie lebenswichtigen Ozonschicht trieben sie ein genauso übles Schindluder.

Ich verstand es einfach nicht, welches vernunftbegabte Wesen benahm sich denn so?
Doch dann kam mir die Erleuchtung. Es gibt im Universum tatsächlich eine Lebensform, die ihren Wirtskörper so lange überschwemmt und zerstört, bis er abstirbt: Ein Virus.
Ja, genau, das war hier zweifellos der Fall. Die ursprünglichen Bewohner waren längst ausgestorben und das Virus übriggeblieben, das sich nun rasant weiter vermehrte und diesen Planeten sehr bald unwiederbringlich ruiniert haben würde.

Zufrieden schalte ich meine Beobachtungssensoren ab und programmiere den Kurs für meinen Heimflug. Es würde ein exzellenter Forschungsbericht werden, der meine Noten an die Spitze katapultieren würde. Und selbstverständlich würde ich mit der Empfehlung abschließen, diese Welt möglichst schnell zu liquidieren, nicht, dass sich dieses Virus weiter ausbreitet und am Ende noch bei uns landet.

Ganz durchschnittlich

Das lächerliche Internet der Menschen aufs persönliche Alldevice heruntergeladen, um fit für Small-Talk zu sein? Check! Outfit dem neuesten Firlefanz Modetrend angepasst? Check! Haustier dabei, um Vertrauen aufzubauen? Check! Ok, es kann losgehen.

Gestern konnte ich den Statistik Algorithmus endlich erfolgreich durchlaufen lassen. Das Programm, das mir den durchschnittlichsten aller durchschnittlichen Menschen in dieser Stadt benennt. Und seien wir ehrlich – da gab es eine große Auswahl. Egal. Jedenfalls, wenn der mich akzeptiert, dann müssen es ja wohl alle tun, oder? Gut, wir wollen die erste Begegnung und so habe ich mein Schiff, die Jkgalfyzuu, zwischen ein paar Bäumen gestellt und die Tarnvorrichtung aktiviert.

Bong!

Was? Oh nein, ich hätte weniger faul sein und das Schiff weiter weg parken sollen. Ist da doch so einer von der seltsamen Sorte, die Räder als Beine verwenden glatt dagegen gefahren. Scheiß auf die Statistik, jetzt nehm‘ ich halt den. Wahrscheinlich werd‘ ich den sowieso nicht so schnell los. Immerhin hat er einen dieser Hunde dabei – perfekt für den geplanten Gesprächseinstieg.

„Hallo Erdling!“

„Hallo …“, er wendet den Blick vom Schiff ab, das er ohnehin nicht sehen kann und zu mir. „Was!?“, sein zweites Wort geht in einem Gurgeln unter. Mag sein, dass er von seinem Zusammenprall mit dem unsichtbaren Schiff noch etwas daneben ist. Er sitzt einfach im Sand rum, statt das Standardprotoll für die Begrüßung auszuführen, das ich trainiert habe.

Erdling sagte ich. Kannst du mich nicht verstehen?“ Ich schnippe leicht gegen den Translatorchip hinter meinem Luftkiemen – als ob das jemals etwas geholfen hätte. Der Mensch hat aber wohl nicht nur Hörprobleme, seine Augen sind auch viel stärker geweitet, als es der Fall sein sollte. Ich reiche ihm erst einmal zur Beruhigung ein Tentakel. Er schreckt zurück. Das fängt ja gut an.

„Was?“ Er wiederholt sich. Oder hat der Translator einen Bug? Ich unterdrücke einen nervösen Schluckauf, der aus meinem zweiten Submagen heraufzieht.

„Schau, du kannst mir vertrauen, ich habe sogar ein Haustier dabei.“ Ich zeige mit dem zweiten Tentakel auf Knarr den Brazosaurier hinter mir. Der Mensch fängt an zu strampeln und drückt sich nur rückwärts weiter in den Dreck. Sein Hund knurrt, schnüffelt aber in Richtung Knarr. Der schleckt freundlich zurück und benutzt dabei seine zwei Meter lange Zunge äußerst behutsam. Braver Knarr!

Der Hund jault und versteckt sich hinter seinem Menschen. Ich seufze. Das gibt dem Typen den Rest. Er springt auf und läuft davon. Sein Hund hinterher. Das Rad lassen sie einfach liegen. Kein Problem, ich bringe es zu … check … zum Fundbüro. Langsam, extra langsam, um niemanden zu beunruhigen, gleite ich auf freundlichem grünen Schleim – Menschen finden diese Farbe beruhigend, habe ich gelernt – aus dem Park hinaus auf die Hauptstraße. So schlecht war’s jetzt auch nicht für den Anfang, sage ich mir. Das wird schon.

Diese Menschen

Jetzt ist es schon wieder passiert. Der nächste Erdling ist tot. Wie soll ich das nur dem Captain erklären? Hat er doch all seine Hoffnung, auf eine Verbrüderung mit den Erdlingen, in mich gesetzt.
Aber sie scheinen Angst vor mir zu haben, denn sobald sie mich sehen bitten sie mich um SeL-Fi und als Untertan seiner königlichen Hoheit CaNQuiy bin ich dazu verpflichtet jedem der den Todeswunsch äußert, diesen zu erfüllen.
Es ist erstaunlich wie viele es doch sind.
Oh, da vorne steht einer der beide Seiten seiner Gesichtsöffnung nach oben gezogen hat. Er sieht zufrieden aus, ich hoffe wirklich dass er nicht auch sterben möchte.
Ich winke ihm, denn auf Ansprache reagieren sie doch immer mit dem Wunsch zu sterben.
„Ick fass et nich - en Außerirdischer.“
Ich renne. Was zu viel ist - ist zu viel. Seine königliche Hoheit kann nicht von mir erwarten, dass ich mich mit diesem Erdling paare.

„Frohlocke!“ Das Wort konnte ich mir merken. Heute würde ich Kontakt aufnehmen. Zum ersten Mal mit einem Erdling! Die Dame, mit den kleinen braunen Tupfen im Gesicht, sah mich seltsam an, als ich so begrüßte. „Heute schon dem Herrn gedient oder ein Opfer gebracht?“, versuchte ich es weiter. „Oder Almosen verteilt?“ Ich legte mein schönstes grinsen auf. Zeigte eine Reihe weißer spitzer Zähne, an denen noch Reste von Ketchup klebten. Meine letzte Mahlzeit war erst einige Minuten her. Ein leckerer Burger, gut durch. Ihre dunklen Augen wurden groß. Hektisch blickte sie sich um und zog ihre rote Tasche enger an ihre Brust. „Schäfchen! Ich will nur dein bestes! Deine Seele retten!“ Den Ausspruch fand ich besonders toll, als ich einen älteren Mann, der von einer Kanzel predigte, genau studiert hatte. Er trug allerdings einen tollen Umhang und einen ausgefallenen Hut.
Die Dame atmete schwer. Schweiß perlte von ihrer Stirn und ihre Hände zitterten. " Möchtest du lieber ans Kreuz genagelt werden?„, fragte ich höflich. Irgendwie schien sie von mir nicht begeistert zu sein. Dabei hatte ich so lange geübt. „Oder in die eiserne Jungfrau, um den Teufel auszutreiben?“, schob ich sanft nach. Die Dame schrie. Sie packte ihre Tasche und schlug sie mit voller Wucht quer über mein Gesicht. " Hilfe ein Irrer! Polizei! So helfen sie mir doch!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Aber ich wollte doch nur mit ihnen lieb sein, ihre Seele retten!“, erwiderte ich irritiert. " Mit mir lieb sein?„, brüllte sie empört und trat mit ihren spitzen Schuhen in mein Gemächt. Keuchend brach ich zusammen. „Ich wollte mit ihnen den Leib teilen!“, flüsterte ich. " Perversling! So etwas wie sie gehört eingesperrt!“, brüllte sie und rannte davon. „Schätze, ich hätte nach Wein und Oblaten fragen sollen!“

Wenn sie Nachbildungen von sich selbst erzeugen, freuen die sich wie Planetoiden, die zum ersten Mal um die Sonne kreisen. Nein, sie produzieren keine Klone, bloß flache Kopien. Die schicken sie durchs All. Teilen nennen sie das. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, dass sie dabei nichts durch zwei dividieren. Überhaupt würde ich sie mathematisch weit hinter dem Mond einordnen. Dennoch scheint Mensch keine uninteressante Spezies zu sein. Wenn sie nur nicht so langsam wäre. Andererseits wird uns dadurch vermutlich endlich ein entspanntes Leben möglich sein. Je unauffälliger die Vermischung gelingt, desto schneller profitieren wir von Mensch und seiner Leichtigkeit, mit der er die Lebenszeit vertrödelt. Ich sollte meine Studien beenden und einen ersten Test wagen. Die anderen drängen mich schon.
Ich versuche es mit dem weiblichen Wesen da drüben. Jetzt keinen Fehler machen. Vorsicht ist das oberste Gebot. Ein letztes Mal durchwühle ich die Favoritenliste im internen Sprachprogramm, versuche zu lächeln, wie ich es unzählige Male geprobt habe und frage höflich. «Hi, sollen wir uns fortpflanzen? Du bist ein heißes Geschoss.» Das weibliche Wesen verzieht seinen Mund. Erstkontakt erfolgreich? Ihr Knie trifft mein Aggregat, kurzzeitiger Stromausfall, automatische Notaufladung. Ich bin wieder bei mir. Sie stehen um mich herum, alle Sorten von Wesen aus der Spezies Mensch. Mein Versuchssubjekt hat offenbar um Hilfe gerufen. Doch wieso? Ich hatte eine korrekte Frage formuliert. Daher starte ich einen weiteren Versuch mit einer beliebten Form der Kommunikation, einer Entschuldigung. Das sollte klappen. «Verzeihung. Mir war nicht klar, dass Sie derzeit nicht paarungsbereit sind.» In letzter Sekunde beame ich mich weg, verhindere einen massiven Zerstörungsanfall von Mensch. Ich hatte mir das einfacher vorgestellt, muss meine Studien wohl intensivieren. Die anderen sind enttäuscht. Das nächste Mal wollen wir gemeinsam vorgehen. Notfalls mit weniger Höflichkeit.

Hannelore

Funken, Flammen, ich fiel und fiel. Dann wurde alles schwarz. Und als ich aufwachte, war alles rosa. Boden, Wände, die Deckchen auf den fremdartigen Möbelstücken und das fremdartige, runde Gesicht des Wesens, das sich über mich beugte. Es wurde von kleinen weißen Löckchen eingerahmt und sah harmlos genug aus. Den Sternen sei Dank.
„Wer bin ich? Und wo?“, fragte ich ängstlich. Das Löckchenwesen verstand mich. Das lag an meinem Sprachchip, soviel wusste ich noch. Vage erinnerte ich mich auch an irgendeinen Auftrag. Nur welchen? Mit einem Schrei sprang ich auf eine höher gelegene Fläche, als ein wahrhaft widerliches Ungeziefer meinen Fuß streifte.
„Kommst du wohl sofort von der Biedermeierkommode runter!“, befahl das Löckchenwesen. „Das ist doch nur eine Katze. Daran musst du dich gewöhnen, ich habe zwölf Stück davon. Hier nimm eine Zimtschnecke, das beruhigt die Nerven.“

Jetzt wohne ich schon lange beim Löckchenwesen, das Hannelore heißt. Sie hat mich darüber aufgeklärt, wie gefährlich ihr Planet ist. Wäre ich woanders abgestürzt als auf ihrem abgelegenen Grundstück, dann wäre ich bereits tot. Gefressen von Ungeheuern oder ermordet von Wegelagerern. Das Grundstück darf man nie verlassen. Unser Überleben wird von einer tapferen Eliteeinheit gesichert, die uns Essen und Katzenstreu bringt. Man nennt sie Paketboten und sie sind die einzigen, die sich in die freie Wildbahn wagen. Es gibt wohl noch eine Einheit namens Enkel, doch die hat sich hier seit Ewigkeiten nicht mehr blicken lassen.
„Nicht träumen!“, ruft Hannelore zum Küchenfenster hinaus. „Du musst dich mit dem Rasenmähen beeilen, heute Nachmittag wird es regnen. Warum hast du nicht früher angefangen?“
„Tut mir leid.“ Zerknirscht senke ich den Kopf. „Ich kam heute Morgen mit dem Bügeln nicht so gut voran und ich wollte den Abwasch erledigen, ehe alles eintrocknet.“
Sie nickt wohlwollend. „Du bist ein braves…Ding. Wenn du fertig bist, darfst du dir einen Schokoladenkeks nehmen.“
Mich überkommt ein zufriedenes Gefühl und ich mache mich fleißig ans Werk. Ich habe wirklich großes Glück gehabt, ausgerechnet an Hannelore geraten zu sein.

Ach, so still

Am Vierzehnten Juni war Einzugstag für die Familie Hansen. Moselstraße 45. Einfamilienhaus. Drei Jahre Bauzeit, gute Vertragsbedingungen, wunderschöne ländliche Gegend. Was will man mehr?

Drei Wochen später luden die Hansens viele ihrer neuen Nachbarn zu einer Einweihungsfeier im Garten ein. Grillen, umso mehr Getränke, ausgelassene Stimmung, Tanzmusik.

Toll.

Das änderte sich um Punkt 22 Uhr.

Susanne Frerichs, vierundsechzig Jahre jung, verwitwet, Wutbürgerin aus Leidenschaft, öffnete vehement ihr Wohnzimmerfenster und ließ ihre befehlsgewohnte Stimme erschallen:
»RRRRUUUUUUUHHHEEEEE!«
Die Musik wurde leisergedreht, die Party nach drinnen verlagert. Ordnung muss sein.
Das Fenster gegenüber schloss sich ebenso laut, wie es geöffnet wurde. Zugezogene Vorhänge beendeten die Szene. Danach war Stille.

Das wäre alles kaum erwähnenswert gewesen, wenn nicht zur selben Zeit ganz zufällig eine unsichtbare Sonde lautlos durch die Moselstraße geflogen wäre, um die Eigenarten der Menschen zu erkunden. Ziel war es, die gesamte Menschheit mit der Erfüllung ihres größten gemeinsamen Wunsches zu beglücken.
Es hatte Jahrhunderte gedauert, bis die Erbauer der Sonde, Forscher eine anorganischen Lebenform, so extrem anders, als das Leben wie wir es kennen, endlich soweit waren.
Erst seit kurzer Zeit sahen sie sich in der Lage, organisches Leben zu entschlüsseln und die Menschen als mehr oder minder intelligente Lebensform zu erkennen. Ja, sogar die Sprachen und Eigenschaften der Menschen konnten übersetzt werden.
Die Begegnung der dritten Art stand kurz bevor. Eben dafür wurde nach diesem einen übergreifenden Wunsch gesucht, der erfüllt werden sollte.

Dann kam Susanne Frerichs.

Die Sonde zeichnete alles auf.

Das gerufene Wort Ruhe wurde als intensivster Wunsch aller Menschen identifiziert. Ein übergeordneter Begriff, der so vieles auszusagen schien, so viele Dinge vereinte. Nun wußten die fremden Wesen, was für eine Freude sie den Menschen machen konnten.

Fünf Jahre später war es soweit. Ein gigantisches Raumschiff erschien. Es sauge die gesamte Atmosphäre der Erde ab.

Danach war Ruhe.

Für alle.

Für immer.

Toll.

Eine unerwartete Hürde

„Ziehen Sie eine Nummer!“, beharrt der Beamte hinter der Glaswand.
Dabei meine ich es doch nur gut. Ich bin ausgesandt, die Menschheit zu warnen und ihr zu verkünden, dass eine Flotte bereitsteht, hinter der Venus, technisch hoch überlegen und unsichtbar gegenüber allem, was diese Erdlinge an Sensoren auffahren können.
Wenn wir diese Macht ungezügelt auf den blauen Planeten loslassen, dann gibt es Chaos, Hysterie, Opfer, Zerstörung. Dabei soll es eine friedliche Unterwerfung werden.
Und die muss man ordentlich ankündigen, so sagt es die Bryg’ena-Konvention. Alles soll seine Ordnung haben. Und deshalb werde ich hier in dieser Behörde vorstellig, um mich behutsam an einen unteren Vertreter des hiesigen Apparates heranzutasten, um ihm zu verklickern, was ihn und seine Spezies erwartet.
„Hören Sie schwer? Ziehen Sie eine Nummer!“, herrscht mich der Dienstling an. Hinter mir im Wartesaal räuspert sich der eine oder andere.
Etwas tippt mich von hinten an. Ich schaue mich um. Eine ältere Repräsentantin der Menschheit greift mit ihren knochigen Fingern nach meinem Arm. „Nun komm schon, mein Junge. Die Leute haben wenig Zeit und es muss effizient zugehen.“
Ich war auf Widerstand, blank gezogen Waffen, offene Feindschaft eingerichtet. Aber nicht auf den sanft ordnenden Griff einer Großmutter. Sie zieht mich zum Wartebereich. Zwischendurch reißt sie einen Papierschnipsel von einer Rolle ab und drückt ihn mir in die Hand. „Deine Nummer“, sagt sie. Wir erreichen die Sitzbänke. Ächzend fällt sie in ihren Stuhl.
„Bist du zum ersten Mal hier?“, fragt sie.
Ich nicke vorsichtig. Nur nicht auffallen! In der Vorbereitung haben wir gelernt, dass ältere Damen zur Hysterie neigen. Diese hier scheinbar nicht, aber wer weiß?
„Mit der Bürokratie kennst du dich nicht so richtig aus, was?“
Ich schüttele den Kopf.
„Ach Junge, was lernt ihr nur in der Schule? Aber das hat man davon, wenn man den ganzen Tag auf sein Mobiltelefon starrt, so wie das heutzutage alle machen.“ Sie seufzt und streckt ihre Beine aus, es scheint sie zu schmerzen.
„Was ist das, Bürokratie?“, wage ich zu fragen. Sicher ist es unauffälliger, wenn man den Redefluss beibehält.
„Das ist, wenn Dinge lange dauern. Es gibt ein Formular und dann noch eins und dann noch eins. Am Ende gibt es ein Ergebnis, manchmal.“
Ich schiele auf meinen Zettel. Die Zahl darauf ist weit größer als die auf dem Display über uns.
Wir unterhalten uns. Langsam ticken die Zahlen auf der Anzeige nach oben. Meine ist immer noch weit entfernt.
Ich muss das hier beschleunigen! „Ich komme von weit hier!“, sage ich eindringlich, lüfte unauffällig die Maske und zeige ihr für einen Moment mein wahres Gesicht.
Die Dame blinzelt. „Junge, ich habe meine Brille nicht dabei, aber mit diesem Sonnenbrand lassen sie dich hier gar nicht vor. Da musst du eine Bescheinigung von der Gesundheitsbehörde vorweisen, dass du keine ansteckende Krankheit hast.“
„Muss man dort ebenfalls Nummern ziehen?“
„Ganz gewiss!“, sagt sie und verschränkt die Arme im wohligen Wissen, dass ich langsam verstehe.
Ich überlege.
Dann wird meine Nummer aufgerufen. Aber in dem Moment sitze ich schon nicht mehr im Wartesaal. Ich habe das Gebäude verlassen und setze eine Nachricht an die wartende Angriffsflotte ab: „Invasion abbrechen! Ich bin auf eine Komplikation gestoßen. Die Erdlinge besitzen eine unüberwindliche Waffe gegen jede Form von Veränderung, jeden Angriff auf ihr Wesen und ihre Welt. Sie nennen sie ‚Bürokratie‘.“

Rettung

Ich betrete ein Restaurant, sitze am Tisch, bestelle ein Glas Wasser. Unterhalte mich mit der jungen Frau, sehe ihr nach, höre das Quietschen der Reifen, den Aufprall. Stehe vor ihrem toten Körper. Ich betrete das Restaurant, sehe sie vor mir am Tisch, stehe vor dem Restaurant, zögere.
“Versuche es”, sagt meine Mentorin. Ich sitze am Tisch, bestelle das Wasser. Die junge Frau fragt, ob noch ein Platz frei ist. Stellt ihren orangen Rucksack ab, setzt sich, ich stehe vor ihrem Leichnam. Ich muss es verhindern und betrete das Restaurant.

“Sie erinnern sich an die Zukunft?”, fragt sie und lächelt. Ein ungläubiges Lächeln, dennoch amüsiert.
“In etwa”, antworte ich. Greife zu meinem Glas, sehe meine schlanken Finger. Seltsam filigran diese Menschen. Waren sie. Sind sie.
“Wie funktioniert das?”, will sie wissen.
Ich überlege einen Augenblick, muss sie davon abhalten, aufzustehen und zu gehen. “Stellen Sie sich zwei Bilder vor. Mein Glas Wasser auf dem Tisch. Und mein Glas Wasser auf dem Boden, ausgelaufen und zerbrochen. Welches Bild ist das erste Bild, welches das zweite?"
Sie zögert. “Bevor sie ihr Glas Wasser absichtlich ausschütten, geben Sie es mir. Ich verdurste, die Bedienung hier ist lausig.”
“Welches ist das erste, welches das zweite Bild?”, wiederhole ich und hoffe, dass sie versteht. Oder wenigstens lange genug zuhört. Sie verlässt das Restaurant, das Auto bremst, erfasst sie. Sie betritt das Restaurant, setzt sich zu mir. Stellt ihren orangen Rucksack ab. Ich sperre die Bilder aus, konzentriere mich auf einen Zeitpunkt. Jetzt. Sie sitzt vor mir.
“Das Wasser auf dem Tisch muss das erste Bild sein. Das Glas kann nur auf dem Boden zerbrechen, wenn es vorher auf dem Tisch gestanden hat.” Sie klingt ungeduldig, das ist schlecht.
“Für euch Menschen gibt es eine Zeitrichtung“, sage ich. “Das eine folgt dem anderen.”
“Kausalität”, sagt sie. Sie ist intelligent, intelligenter als die meisten ihrer Spezies. Deshalb will ich sie retten.
“Kausalität ist zwangsläufig”, sage ich. “Zeitrichtungen sind es nicht. Für mich und meine Art gibt es keine. Das Glas liegt zerbrochen am Boden und steht auf dem Tisch. Für mich gibt es keinen Unterschied.”
“Das”, sagt sie langsam, doch sie beendet den Satz nicht. Der Kellner kommt zu unserem Tisch, stolpert, stößt das Glas an. Ich fange es nicht auf, es fällt hinunter. Zerbricht, das Wasser spritzt auf den Boden.
Der Kellner entschuldigt sich, selbst für meine Wahrnehmung ungelenk. Die junge Frau blickt erst ungläubig drein, dann verärgert.
“Das ist ein Trick. Oder Zufall.” Sie sieht sich um. Der ungeschickte Kellner ist verschwunden. Es wird zehn Minuten dauern, bis er zurückkommt. Zu einem leeren Tisch. Sie greift nach ihrem orangen Rucksack. “Sieht nicht so aus als würde ich hier bedient. Es war”, sie zögert, sucht nach höflichen Worten, “interessant mit ihnen zu plaudern.” Dann steht sie auf und will gehen.
“Vor dem Restaurant wird ein Metallgefährt die roten Lichter übersehen und Sie töten.” Ich bin gleichfalls aufgestanden, will sie festhalten, kriege sie nicht zu fassen. Die Maske fällt, sie hat Angst, Angst vor mir, stürmt hinaus. Ich höre das Quietschen der Reifen, den Aufprall. Stehe vor ihrem toten Körper, der orange Rucksack liegt daneben.

“Versuche es”, sagt meine Mentorin neben mir. Wir stehen vor dem Restaurant.
“Ich scheitere. Das verstehe ich nicht. Ich sage ihr, was geschehen wird. Trotzdem geht sie.”
Meine Mentorin nickt. Sie ist schon lange unter den Menschen, hat ihre Eigenarten studiert.
“Sie lassen sich nicht retten”, sagt sie. “Nicht vor ihrem eigenen Untergang.”
Wir stehen am Rand der Unfallstelle. “Ich werde es trotzdem versuchen.” Sage ich, gehe ins Restaurant, setze mich an den Tisch und bestelle ein Glas Wasser.

Der letzte Abend

Heute gilt`s. Ich muss sie finden. Morgen ist Abreise, wenn ich den Termin verpasse, sitze ich weitere drei Jahrzehnte hier fest. Ich lasse mein Blick schweifen.
Da, die sieht doch gut aus. Mit wiegenden Hüften steuere ich auf sie zu. „Na, auch hier?“ frage ich mit fester Stimme, die alles an Selbstbewusstsein ausstrahlt, das mir zur Verfügung steht.
Sie lächelt mich an. „Ähm, nein“, gibt sie zurück und dreht sich um.
„Na dann, da lässt sich wohl nichts machen.“ Ich will mich zurückziehen, erst als ich mich umgedreht habe, wird mir klar, dass das nicht stimmen kann, was sie gesagt hat. Mein Übersetzungsprogramm scheint nicht richtig zu funktionieren.
Ich bleibe stehen, klopfe leicht gegen mein Ohr. Ich höre von den Frauen hinter mir Begriffe wie „Vokuhila“ und „aus den 80ern übrig geblieben“, die sie unter großem Gekicher von sich geben.
Seufzend suche ich mir ein neues Ziel, dass ich kurze Zeit später auch entdecke. Abermals schlendere ich zu ihr. „Hallo, ich habe gerade einen Anruf von Gott bekommen, ihm fehlt ein Engel und ich glaube, ich hab ihn gerade gefunden.“
Die betreffende Dame dreht sich um und ich zucke zurück. Sie trägt mehr Metall im Gesicht, als ich in meiner Steuerkonsole verarbeitet habe. Und dazu einen dichten, dunklen Vollbart. „Wie bitte?“ erkundigt sie sich mit tiefer Stimme.
„Ähm, eine Verwechslung.“ Schnell mache ich mich davon.
Ich gehe an die Bar und bestelle einen Cocktail. Das muss man den Menschen schon lassen, leckere Getränke können sie.
Deprimiert lasse ich den Kopf hängen. Was habe ich bloß falsch gemacht? Ich hab doch alles so gemacht, wie in den Filmen. Eigentlich hätte die Damen willig mitkommen müssen, und dann … Naja, diese menschliche Sitte hab ich bis heute nicht verstanden …
„Hallo.“ Ich blicke nach rechts. Da steht sie. Die Haare hochtoupiert mit einem kleinen rosa Schleifchen verziert, ein enges, kurzes rosa Kleidchen. Das Gesicht war vielleicht etwas übertrieben geschminkt, aber das störte mich nicht. Zwei meiner Herzen begannen zu rasen, das dritte machte langsame Hüpfer. „Hallo“, antwortete ich heiser.
„Du gefällst mir. Wollen wir woanders hingehen? Hier ist es so laut.“ Sie lächelte mich an. Endlich, dachte ich, endlich. Ich nahm noch einen Schluck von meinem Drink und …

Mein Kopf dröhnte, als ich erwachte. „Wo … wo bin ich?“ Ich sah mich um, mein Bewegungsradius war stark eingeschränkt. Das sah fast aus wie ein Raumschiff, aber nicht meins.
Dort vorne stand sie. Und durch den Wandschirm konnte ich die Erde erkennen, wie sie immer kleiner wurde.
„Mission erfüllt“, hörte ich sie zwitschern. „Ich bringe einen männlichen Humanoiden mit.“

Alles außer irdisch

Also…

Der Typ dort drüben…ja genau, der von dem schreienden Mob fackeltragender und mistgabelschwingender Menschlingen quer durch die Stadt gejagt wird…das bin ich.

Vielleicht fragen Sie sich, wie ich hier gelandet bin, vielleicht aber auch nicht. Ist mir gleich, ich werde es Ihnen trotzdem erzählen. Lassen Sie mich jedoch eine Sache klarstellen: Ich bin von…sagen wir…etwas weiter her.

Alles begann mit einer falschen Ausfahrt. Ich war gerade auf dem Starway 87 Richtung Beta Centauri unterwegs, als vor mir irgendein Vollidiot in seiner ach-so-teuren Kutsche plötzlich die Umlaufbahn gewechselt hat. Zum Glück konnte ich noch rechtzeitig ausweichen und bin nicht in den Asteroidengürtel geraten. Tja und jetzt raten Sie mal, wo ich rausgekommen bin: auf der Erde. Wusste nicht mal, dass es diesen Fleck gibt. Hier ist alles so…rückschrittlich. Die dominante Spezies, Menschlinge oder wie die heißen, zeichnet sich vor allem durch ihr ständiges rummeckern aus. Wissen Sie, da wo ich herkomme, gibt es so was nicht.

Ich dachte mir, wenn ich schon mal hier bin, kann ich mich auch etwas umsehen. Ich machte mich ein wenig mit ihrer „Kultur“ vertraut und mir fiel sofort auf, dass sie hier wohl gerne Porträts von ihren, überwiegend alten, Anführern an die Wegbeleuchtung hängen. Irgendwas mit Wahlen…waren das nicht diese Fische?

Eines dieser Bilder ist mir sofort ins Auge gefallen. Es war ein junger Menschling, der mit zwei Fingern ein Zeichen formte, das wie ein V aussah. Darunter stand „Frieden für alle!“

Unter einem besonders großen Bild, eines besonders alten Menschlings, mit der Aufschrift „Bürgerinitiative – Stoppt die Masseneinwanderung!“ wurde eine Versammlung abgehalten.

„Und deshalb sage ich: Stimmt für Artikel 17, damit der Zustrom von außen endlich gestoppt wird!“, sagte der Redner, der zufälligerweise der Menschling auf dem Bild war.

„Hehe, da sind diese Trottel ja wohl zu spät dran, jetzt bin ich schon hier – oh…“

Alle waren verstummt und hatten ihre Blicke auf mich gerichtet.

„Ich…komme in Frieden!“

Ich versuchte mich an die Geste von vorher zu erinnern. Welche Finger waren das noch mal? Ich entschied mich für Daumen und Mittelfinger – falsche Entscheidung.

Ich rate Ihnen also: Sollten Sie also jemals an einem Planeten namens Erde vorbeifliegen…drehen Sie am besten gleich wieder um. Die spinnen, diese Menschlinge.

Frieda. So heißt die Menschenfrau, die ich seit 7 Monden beobachte. Ein komischer Name. Der Mann, der ihre Hand hält, betont das so merkwürdig. Friiiiiiiiiiiiiiiiieda. Nun gut. Ich muss den Moment abpassen, wenn er gerade nicht da ist. Heute ist Montag. Die Erdbewohner haben ein seltsames Ding mit Rhythmen, Wochentagen, Monaten. Auf dem Mars gibt es sowas nicht. Unsere Zeiterfassung richtet sich in ein davor - bevor wir erstmalig auf die Erde gekommen sind und ein danach - die Jetztzeit. Ich mag es hier. Auch wenn die Menschen, oder wie wir sie nennen - Erdwesen - eine eigenartige Spezies sind. Ach ich schweife ab! Ich muss doch Frieda im Auge behalten. Hand in Hand läuft sie da mit dem Mann und wirft ihm alberne Blicke zu. Jetzt streichelt sie auch noch seine Hand. Vielleicht zum letzten Mal. Da, da ist meine Chance! Das männliche Erdwesen, sie nennt ihn Jens, ist in den Buchladen abgebogen. Frieda wartet draußen. Natürlich. Das wusste ich. Denn Frieda liest nicht viel. Und damit ist sie mein perfektes Opfer. Ohne etwaige Kenntnis über mich oder meine Spezies. Wobei das, was die Erdwesen glauben zu wissen, eh totaler Quatsch ist. Ich renne zu ihr. Es ist viel mehr fliegen, aber das wäre zu komplex, um es euch Erdwesen jetzt zu erklären. Zack, jetzt bin ich neben ihr. Sie kann mich nicht sehen, so vertieft wie sie in ihr Smartphone ist. Eine Pest ist das. Zumindest für euch - ich weiß dank dieses kleinen Zaubergeräts alles über euch, was ich je wissen wollte. Behutsam tippe ich Friiiiiiiieda an die Schulter. Sie lässt vor Schreck das Smartphone fallen und setzt zu einem Schrei an. Niemand hört den Schrei. Sie ist schon jetzt eine von uns. Schon morgen wird sie vergessen haben, dass es je einen Jens gegeben hat oder sie einst ein Erdwesen war. Bis zum nächsten Mal, liebe Erde. Bis zum nächsten Mal, wenn ich einen neuen Rekruten suche.

Flieg dorthin, sagten sie, und lerne auf Erden,
damit auch wir eines Tages wie die Menschen werden.

Nun bin ich hier, zwischen Menschen und Staub,
höre wütendes Brüllen und fühle mich taub.
Ich bin hier, sehe Trauer, Tränen und Hass,
spüre Schmerzen und Kummer – meine Wangen sind nass.

Flieg dorthin, sagten sie, und lerne auf Erden,
damit auch wir eines Tages wie die Menschen werden.

Nun bin ich hier, sehe Kriege und schreckliche Pein,
höre Schuldzuweisungen, und fühle mich klein.
Ich bin hier, mittendrin, hilflos und allein,
und frage mich langsam, soll das wirklich sein?

Flieg dorthin, sagten sie, und lerne auf Erden,
damit auch wir eines Tages wie die Menschen werden.

Ich will nichts mehr lernen, hab genügend gesehn,
doch als ich mich wende, um nach Hause zu gehn,
spür ich sie, klitzeklein – eine Hand, zart und rein,
hör die wispernde Stimme »Wolln wir Freude sein?«

Flieg dorthin, sagten sie, und lerne auf Erden,
damit auch wir eines Tages wie die Menschen werden.

Ich betrachte das Kind, nichts als Liebe zu sehen,
und ich lächle zurück, fange an, zu verstehen.