Einen Schnaps?
„Hey, pass auf“, ruft eine Stimme von der Seite. Im gleichen Moment hupt etwas, jemand packt mich am Arm und zieht mich nach hinten. Dann rauscht es vor meinem Gesicht. Wusch. Dort, wo der Mensch mich berührt hat, brennt meine Haut, aber das kenne ich schon.
„Man, der hätte dich fast erwischt“. Verständnislos sehe ich nach oben, in das Gesicht eines erwachsenen aber noch jungen Exemplars. Ende zwanzig möglicherweise. Er ist groß und hat viele Haare im Gesicht. Seine Augenbrauen sind zusammengezogen, die Stirn gerunzelt. Ich aktiviere die Analyse, um herauszufinden, was das nochmal bedeutet.
Nachdenklich, ist der erste Vorschlag. Doch als das Gesicht meines Gegenübers gründlicher gescannt wird, beginnt das Wort vor meinen Augen langsam rot zu leuchten. Versonnen. Träumerisch. Erstaunt. Besorgt. Da! Das Wort blinkt dreimal zur Bestätigung. Das ist es also, denke ich.
Es wundert mich kurz, dass dieser Mensch besorgt ist. Das Wusch hätte mir schließlich nichts anhaben können, ist doch nur ein Geräusch. Aber Menschen sind seltsam, das weiß ich mittlerweile. Faszinierend allerdings ist ihre Fantasie. Ich bin geschickt worden, um sie zu erforschen und nicht schlecht haben wir zuhause gestaunt, als wir herausgefunden haben, welche Bilder die Menschen sich von uns machen. Grüne, haarlose Gestalten mit riesigen Augen und breiter Stirn oder formlose, schleimige Substanzen, die in ihre Körper eindringen können. Sie haben sich unser Erscheinen so anders, so fremd wie möglich erdacht und machen genau dort den Fehler.
Ich höre auf mich zu wundern und ergreife stattdessen die Chance, die sich mir bietet.
„Hoppla“, antworte ich. Menschen sagen das, wenn ihnen ein Missgeschick passiert.
Das Stirnrunzeln mir gegenüber wird tiefer und die Analyse beginnt zu zittern. Kann nichts Gutes bedeuten, also sage ich noch schnell: „Danke“. Menschen mögen dieses Wort.
Die Stirn glättet sich etwas. „Alles easy. Aber pass mal lieber mehr auf, sonst war’s das bald mit dir“.
Er wendet sich zum Gehen. Das irritiert mich, schließlich führen wir doch eine Unterhaltung.
Schnell frage ich: „Wie geht es Ihnen?“. Diese Interaktion muss funktionieren. Der Druck ist hoch. Zuhause wollen sie das ich endlich Kontakt aufnehme.
Der Mensch dreht sich zu mir um, jetzt sind seine Augenbrauen leicht hochgezogen. Überrascht, blinkt die Analyse auf.
„Äh… gut?“
„Schön, das macht mich froh. Wollen Sie einen Schnaps mit mir trinken?“.
Schnaps trinken kenne ich seit gestern Abend. Auf einer Wiese im Park tummelten sich allerhand Menschen. Buden waren aufgebaut, eine Bühne auf der Musik gespielt wurde. Menschen prosteten sich mit kleinen Gläsern zu und nach dem Trinken waren aus Fremden plötzlich Freunde geworden. Als ich das auch versuchen wollte, hatten sie mich weggeschickt.
Die Augenbrauen gegenüber gehen noch weiter hoch. Jetzt hat der Mensch fast keine Stirn mehr. Verwundert, blinkt es.
„Hä? Was? Einen Schnaps?“, fragt der Mensch.
Die erste Frage versteh ich nicht so richtig. Ich fange also mal bei der Letzten an, denn die ist noch am einfachsten: „Ein Schnaps ist ein hochprozentiges alkoholisches Getränk…“
Der Mensch unterbricht mich: „Ich weiß, was ein Schnaps ist“, sagt er. Gereizt.
Gereizt ist nicht gut, glaub ich. Am besten sagt man jetzt was Nettes. „Du bist intelligent“.
Das hat scheinbar nicht geholfen. Wütend, blinkt es jetzt.
Vielleicht versteht er das Wort nicht? „Intelligent ist ein Synonym für klug, schlau…“
Der Mensch mir gegenüber schüttelt plötzlich den Kopf. Zornig. „Sag mal, willst du mich verarschen?"
Den Ausdruck hab ich schon mal gehört, kann ihn aber nicht zuordnen. Ich merke, dass das alles ganz schief geht. Zuhause werden sie das gar nicht gut finden.
Lieber schnell noch ein Wort, das Menschen mögen: „Entschuldigung“. Ob das hilft?
Scheinbar ja, denn immerhin das zornig verschwindet langsam aus dem Menschengesicht. Dafür blinkt verwirrt. Das ist schon besser, glaube ich und versuche es darum nochmal: „Ich habe gefragt, ob Sie einen Schnaps mit mir trinken möchten? Ich zahle auch.“ Auf den letzten Satz bin ich besonders stolz, den mögen sie nämlich auch.
Aber da fängt der Mensch plötzlich an zu lachen. Richtig laut, japsend. Hält sich eine Hand in die Seite. Seine Haare im Gesicht wippen auf und ab. Ich kann die Reaktion nicht einordnen, weiß aber das Lachen gut ist, wenn man es zusammen macht. Ich ziehe also meine Mundwinkel nach oben, halte mir auch eine Hand in die Seite und mache dieselben Geräusche wie der Mensch.
Immer noch glucksend sagt er dann: „Jetzt check ich’s, der war gut“, dann wuschelt er mir mit einer Hand durch die Haare. „Kinder gehören um diese Zeit in die Schule, nicht in Bars. Aber nächstes Mal vielleicht“, er zwinkert mir zu. Scherzhaft. Dann dreht er sich wirklich um und geht davon, immer noch leise kichernd.
Ich dagegen höre sofort mit dem Lachen auf. Was ist eine Schule?