Heute schon gedabbt?
Was für eine Frage! Würde ich sonst hier rumstehen? Natürlich nicht! Ungläubig schaue ich den Pinguin an.
»Geiles Kostüm! Gehst als Außerirdischer! Sieht echt aus.«
»Danke! Habe mir Mühe gegeben.«
»Jo, das sieht man. Schließlich ist heute Halloween.«
»Was du nicht sagst. Kanns endlich losgehen?«
»Nicht so schnell, wir warten auf Pit und Patte. Die haben das Zeug.«
»Verstehe!«
»Dein erstes Mal, oder?«
»Kann schon sein.« Langsam werde ich ungeduldig. Ich stehe am berühmten Pier 54, in New York am Hafen, dazu mitten in der Nacht, und habe das Gefühl, die Zeit würde mir unter meinen Tentakeln davon rennen. Warum dauert das nur so lange? Müssen sie das Zeug erst noch extrahieren?
»Deine Freunde lassen sich aber Zeit.«
»Nur Geduld, die kommen schon.«
Genau in diesem Augenblick biegen zwei schräge Gestalten um die Hausecke, der eine im Matrosenkostüm, der andere als Pirat verkleidet und steuern auf uns zu.
»He, Pingu! Ist das der Typ? Wow! Wahnsinns Kostüm!« Der Pirat lässt einen Goldzahn blitzen und grinst über beide Backen.
»Dann lasst uns loslegen.« Der Pinguin dreht sich um und watschelt vor mir her.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erkenne ich eine düstere, abgewrackte Spelunke. Quietschend öffnet der Matrose uns die Tür und mit einer tiefen Verbeugung wie bei Hofe, bittet er uns hinein.
Erdiger Krautgeruch von Cannabis schlägt mir entgegen und vermischt sich mit den schweißigen Ausdünstungen der Menschen. Der schummrige Raum ist mit Kostümen jeglicher Couleur gut gefüllt. Ich staune! Wer kommt bloß auf die närrische Idee, sich als William Howard Taft zu verkleiden? Ich starre den Typen an, der an einer Wasserpfeife zieht und anschließend den Rauch von sich genüsslich wegbläst. Sofort fühle ich mich zurückversetzt ins Jahr 1912, der Tag, als die Carpathia am 18. April mit den Überlebenden der Titanic hier am Pier 54 einlief. Damals war ich schon einmal hier. Es war reiner Zufall. Das Sternentor hatte sich zu schnell geschlossen und so musste ich auf eine andere Gelegenheit warten, die Erde wieder zu verlassen. Um die Zeit zu überbrücken, bummelte ich durch die Gassen der Hafenanlage. Hunderte Menschen säumten Pier 54 und warteten auf die Ankömmlinge. Darunter auch der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, William Howard Taft.
Schon irgendwie verrückt, den damaligen Präsidenten, nach über hundert Jahren hier wiederzutreffen.
Wir wählen eine Nische aus und fläzen uns in die Polster.
Der Pirat beginnt, ein Ledertuch vor sich auszuwickeln. Darin, ein bernsteinfarbener geschieferter Stein.
»Das hier nennt sich Shatter! Du kannst kleine Stücke herausbrechen.«
Jetzt zieht der Matrose eine abgegriffene Schatulle aus seiner Jacke und öffnet sie.
»Das ist Live Resin. Es ist cool im Geschmack. Zur Extraktion wird nur frisches Cannabis verwendet.«
»Aber jetzt kommt das Beste!« Pingu lächelt verschmitzt, und so langsam fühle ich mich wie auf einem Basar. Dabei rennt mir wirklich die Zeit davon, denn die Botschaft, die mich heute Morgen erreichte, war eindeutig und unmissverständlich: »Cannabis ausgegangen! Brauchen dringend Ersatz! Haben keine Energie mehr! Benötigen deine Hilfe!«
Cannabis ist auf meinem Planeten eine normale Nahrung, so wie Salat und Gemüse hier auf der Erde. Für uns ist es lebenswichtig.
Pingu präsentiert auf seiner Hand weiße Kandisstücke.
»Das sind Crystalline. Es ist das reinste Extrakt und es besitzt den höchsten THC – Gehalt. Ein Zug davon und ich verspreche dir einen Flug durch das Universum und noch weiter hinaus.«
Ich muss grinsen. Was weiß Pingu schon vom Universum. Netter Versuch!
Während ich überlege, für welche Probe ich mich entscheiden soll, baut der Pirat die Wasserpfeife zusammen. Es zischt, als er die Flamme des Brenners entfacht und damit beginnt, den Nagel zu erhitzen. Kurz darauf glüht das Metall feuerrot auf. Dann bricht er ein kleines Stück vom Shatter ab, wartet ein paar Sekunden bis der Nagel die richtige Dabbing – Temperatur erreicht hat und platziert das abgebrochene Konzentrat geschickt auf dem Nagel.
Tief inhalierend nickt er zufrieden. Dann reicht er die Pfeife an mich weiter. Ich nehme einen tiefen Atemzug von dem konzentrierten Dampf. Schlagartig fühle ich mich wohler, ausgeglichener und entspannter. Gutes Zeug!
»Was brauchst du für den Anfang?«, fragt Pingu und reibt sich die Hände.
»Alles was hier auf dem Tisch liegt und einiges mehr.«
»Guter Witz!«
»Sehe ich so aus, als würde ich Witze machen? Kommt, erzählt es mir. Wo habt ihr den Rest von dem Zeug versteckt?«
»Das ist alles, mehr haben wir nicht.« Ich fixiere ihn mit starrem Blick. Pingu ist verunsichert. »Ehrlich, du musst uns glauben.«
»Euch glauben? Warum soll ich ein paar Nieten wie euch glauben? Gebt mir den gesamten Stoff, dann bin ich sofort verschwunden.«
»He Mann, das kostet dich aber ´was! Der Tod ist auch nicht umsonst.«
»Doch, für euch schon!« Blitzartig schießen meine Tentakeln vor. Bohren sich metallisch glühend in die Leiber der drei Männer. Kein Schrei ist zu vernehmen, nur blankes Erstaunen spiegelt sich in ihren Gesichtern wider.
Ich schaue mich um. Niemand hat von der Aktion etwas mitbekommen. Alle sind zugedröhnt und träumen von einer besseren Welt dort draußen, die nicht existiert. Ich lache in mich hinein. Wie naiv die Menschen doch sind. Sie kiffen sich den letzten Verstand weg.
Rasch taste ich ihre Körper nach weiterem Stoff ab. Unter der Mütze des Matrosen, in der Weste des Piraten und unter dem Frack des Pinguins werde ich fündig.
Dann entschwinde ich, unbeachtet und unerkannt.
Es ist Halloween …