Henson McDowell -Verrückte Verbrechen brauchen verrückte Kommissare
„Dem ist wohl bei der Schweinerei, die er angerichtet hat, selber übel geworden ?“
Chief Inspector McDowell schüttelte den Kopf, als er die zugekotzte Leiche ansah.
„Na, vielleicht kann unser Labor mit diesem Zeug ja was anfangen.“
Er wandte sich an den, hinter ihm stehenden, Sergeanten. „Was meinen Sie, Sergeant Piper ?“
Der Angesprochene senkte verlegen den Kopf.
„Ich fürchte Sir, ich muss sie enttäuschen. Das Zeug stammt nicht vom Täter. Der Constable, der den Toten gefunden hat …“ er ließ den Satz unvollendet.
„Wollen sie damit andeuten, dass einer unserer, meiner Männer …?“
McDowell schnappte nach Luft und er bemühte sich seine Augen zu schmalen, gefährlich aussehenden Schlitzen zusammenzupressen, was ihm nicht wirklich gelang. Er sah jetzt aus wie Woody Allen, dem man die Brille weggenommen hatte. Aber für Sergeant Piper reichte es. Er duckte sich tief in die Aufschläge seiner Uniform und piepste: „Sir, nicht einer ihrer Männer, ein Constable vom hiesigen Revier. Sie wissen ja, lasches Personal, keine Härte.“
HeMac, wie McDowell von Kollegen und „Kunden“ oft genannt wurde, spürte wie ihm das Blut in den Kopf stieg, und er wusste, wenn er erstmal dieses leuchtende Purpurrot erreicht hatte (meist geschah das ungefähr 20 Sekunden nach Eintritt eines Wutanfalles), das ihn aussehen ließ wie einen Kardinal mit Kapuze, würde er den Sergeanten ermorden. Also drehte er auf dem Absatz um, und polterte so schnell er konnte, zu seinem Dienstwagen.
Er riss die Tür zuerst auf - dann ab.
Die 20 Sekunden waren vorbei und in unbändigem Zorn schmiss er die Wagentür auf die Straße und quetschte sich in das Auto. Der Anprall fiel etwas zu heftig aus, und die Vorderachse des Polizeiwagens barst mit einem satten Knacken.
Sergeant Piper wollte HeMac zu Hilfe eilen, übersah dabei jedoch den abgerissenen Arm des Toten. Er verhedderte sich in den verkrümmten Fingern und flog, zusammen mit dem Arm, aber ohne jegliche Eleganz in Richtung Dienstwagen, um dort auf der nunmehr schräg stehenden Motorhaube zu landen. Die Vorderachse knackste erneut und endgültig.
Mittlerweile hatte McDowell das Lenkrad abgerissen und biss kleine Stücke davon ab, die er anschließend ins Wageninnere spuckte.
„Liegen sie hier nicht blödsinnig rum?“ brüllte er den Sergeanten in einer Beißpause an, und schob sich schließlich wieder aus dem Ex-Auto. Seine Gesichtsfarbe war mittlerweile zart lila geworden, was für gewöhnlich bedeutete, dass er sich zusehends beruhigt. In diesem Zustand konnte man sich bereits in einem Abstand von zwei Metern gefahrlos neben ihm aufhalten.
HeMac bückte sich, um den Arm aufzuheben, der mit dem Sergeanten beim Auto gelandet war. Er betrachtete ihn von allen Seiten und fragte schließlich:
"Ist das ihrer Piper ?
Der Sergeant hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und versuchte seine Uniform in Ordnung zu bringen. „Nein Sir, vermutlich gehört der Arm zu der Leiche, Sir !“
„Welcher Leiche?“ HeMac schaute ihn fragend an, aber gleich darauf blitzte Erkennen in seinen Augen auf.
„Ach ja, die Leiche. Dann werde ich den Arm am Besten an den Tatort zurückbringen, bevor die Kollegen von der Spurensuche Probleme bekommen.“
Er hatte sich jetzt wieder völlig in der Gewalt und ging - nein er schritt -zum Fundort des Mordopfers zurück.
„Gut, dass sie kommen Sir !“ rief ihm der Polizeiarzt, der sich langsam aber sicher eingefunden hatte, zu.
„Ich kann ihnen schon jetzt eine äußerst interessante Mitteilung machen.“
„So ?“ McDowell kam neugierig näher „Was haben sie rausgefunden Doc ?“
„Also, der Tod ist vor ca. 30 Minuten eingetreten, das Opfer, männlich, wurde erwürgt, erschlagen, erstochen und ein bisschen zurechtgeschnitzt. Außerdem fehlt ein Arm, der Täter muss ihn wohl mitgenommen haben.“
HeMac versteckte den Arm des Toten geschickt hinter seinem Rücken und räusperte sich: „Hmm, glaub ich nicht Doc, vielleicht liegt er ja noch irgendwo rum.“
Mit diesen Worten ließ er den Arm fallen und schob ihn mit dem Fuß beiseite, um dann so zu tun, als ob er die Umgebung absuchen würde.
„Ahhh !“ rief er schließlich aus, als er angemessen lange gesucht hatte „Da ist er ja !“. Er hob den Arm auf und schwenkte ihn triumphierend durch die Luft. „Bei meinen Leichen kommt nichts weg.“
„Nicht anfassen, Sir !“ rief der Arzt entsetzt. Erschreckt schmiss McDowell das Körperteil von sich. Klatschend landete der Arm in einer Pfütze.
„Sauerei !“ HeMac begann schon wieder sich zu ärgern. Der Arzt barg den, nun schon etwas mitgenommen aussehenden, Arm und packte ihn wieder zu der Leiche, die ihn offensichtlich noch nicht vermisst hatte.
„Kann mir sonst irgendeiner hier Angaben zum vermutlichen Tathergang machen ?“ brüllte McDowell nun in die Horde der Spurensicherer, Constables und Passanten.
Betretenes Schweigen, dann ein erfreuter Ausruf eines Mannes, der auf Knien rutschend die nähere Umgebung des Tatortes absuchte: „Sir, hier sind Fußspuren im Blut zu sehen, ganz deutlich. Kommen sie doch mal her und sehen sie selbst.“
Flink wie ein Wiesel huschte HeMac zu dem Mann.
Zu flink. Er konnte nicht rechtzeitig abbremsen und stolperte über den am Boden Knienden. Mit einem unfeinen Aufschrei stürzte McDowell über den Rücken des Mannes direkt in das, was der Constable auf und um die Leiche hinterlassen hatte.
McDowell hätte sicher geflucht, wenn er nicht den Mund voll gehabt hätte. So aber, spuckte und würgte er erstmal ein paar Sekunden, um dann in eine gnädige, aber ganz und gar unmännliche, Ohnmacht zu fallen.
Er wachte eine Stunde später im Hospital auf. Er war zu lange bewusstlos gewesen, um noch wütend zu sein. Außerdem konnte er sich im ersten Moment ohnehin an nichts erinnern. Dann sah er Sergeant Piper neben seinem Bett stehen, und langsam kehrte die Erinnerung zurück. Eine zerfetzte Leiche, ein demoliertes Auto, ein blamierter Inspector.
„Sir“ Piper sah ihn besorgt an „Alles in Ordnung, Sir ?“
McDowell nickte schwach, er brauchte seine ganze Kraft, um nicht wegzulaufen.
„Sergeant?“
„Wir haben den Mörder gefasst, Sir !“ Piper stand nun wieder stramm.
Ungläubig blinzelte HeMac ihn an:
„Den Mörder gefasst ?“
„Ja Sir !“ der Sergeant stand noch etwas strammer.
„Er wurde unter unserem Dienstwagen gestellt.“
McDowell schwieg, stierte aber noch eine Spur ungläubiger als vor einer Minute.
„Der Täter hatte sich auf der Flucht unter unserem Wagen versteckt Sir, und dank ihres heldenhaften Einsatzes - ich werde noch lange das Bild vor Augen haben, als sie in den Wagen gesprungen sind - wurde er unter dem Fahrzeug festgehalten. Sie versuchten ihn dann aus seinem Versteck, das mittlerweile ja zur Falle geworden war, zu holen, wobei sie jedoch, durch den heftigen Widerstand des Täters provoziert, stürzten und mit dem Kopf aufschlugen. Deshalb mussten wir sie auch ins Hospital bringen.“
Gewohnt, blitzschnell zu analysieren und Zusammenhänge zu begreifen, lächelte HeMac wohlwollend: „Ja, es war schon eine harte Sache Sergeant. Dieser Mistkerl hat alles versucht zu entkommen, aber er hatte nicht damit gerechnet es mit mir zu tun zu bekommen. Ich kann mich selbstverständlich an alle Details erinnern, ihr Bericht war absolut korrekt.
Bravo Sergeant ! Ich werde das in ihrer Personalakte erwähnen. Hat unser Mörder übrigens gestanden wieso er den Mord begangen hat ?“.
„Sir, er war leider tot, als wir ihn unter dem Wagen hervor holten.“
„Tot ? Aber wieso, er hatte mich doch noch angegriffen - sagten sie nicht, er hätte mich noch angegriffen ?“.
„Jawohl Sir, aber er muss aus Angst vor ihnen wohl einen Herzinfarkt erlitten haben. Der Arzt meint, dass er sich das Rückgrat gebrochen hat, als der Wagen über ihm zusammenbrach könne unmöglich die alleinige Todesursache sein.“
„Das glaub ich auch Sergeant. Ein kompetenter Mann wie unser Polizeiarzt irrt sich nie. Wegen eines angeknacksten Knochens stirbt man schließlich nicht.“
Piper deutete ein Nicken an, schlug dann die Hacken zusammen und salutiert: „Darf ich ihnen zur überaus schnellen Klärung dieses Falles gratulieren, Sir ?“
„Danke Piper, danke, aber darf ich sie jetzt bitten mich allein zu lassen, es war ein überaus anstrengender Abend.“
Er grinste gönnerhaft und schloss dann die Augen, wissend, dass das Gute wieder einmal gesiegt hatte.
Der Sergeant drehte sie um, wischte sich den Schweiß von der Stirn und war froh, dass er den Polizeiarzt und vor allem den Vorgesetzten der Constables überzeugen konnte den Bericht genau so zu unterschreiben.
Der Polizeiarzt kannte McDowell und wusste, dass es in vielen Fällen einfach besser war die Wahrheit in Richtung des Inspectors zu drehen, da man sonst wochenlang mit einem unberechenbaren Irren zusammen arbeiten musste. Den Chief Constable konnte er mit der Aussicht auf Nichterwähnung des kleinen Kotzunfalles dazu bringen zu unterschreiben. Das warf schließlich kein gutes Licht auf seine Truppe.
Und so hatte sich alles auch offiziell so abgespielt, wie er es HeMac berichtet hatte. Der Inspector selbst würde die Geschichte keinesfalls korrigieren. Er korrigierte niemals Geschichten, in denen er der Held war und Pipers einziges Interesse war ein ruhiger, entspannter McDowell.
Außerdem war ja nicht alles gelogen. Es lag tatsächlich ein Toter unter dem demolierten Dienstwagen, und da kein Polizist fehlte, konnte es genau so gut der gesuchte Mörder sein, oder?
Piper spitzte zufrieden die Lippen, und der Refrain der englischen Nationalhymne tanzte durch die Luft.