Gescholten!
„Menschen!“, jubelte ich.
Vor 200 Jahren konnte ich diese Begeisterung nicht für Sterbliche aufbringen. Früher, als die Nächte und Schatten noch viel länger waren – jedenfalls kam es mir so vor – war dieses Anwesen alles, wovon ich jemals geträumt hatte. Mehr noch als der Beischlaf und das muss etwas heißen.
Die Dame, die mir einst versprochen war, eine liebliche Blume namens Eliza, hatte die Dunkelheit in ihrem Herzen verborgen. Oh, hätte ich nur geahnt, dass dieses Miststück eine Hexe war …
In jenen fernen Tagen, als meine Habsucht noch die Oberhand gewann, hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass mich die Liebe, die ich für meine Eliza opferte, in ein verdammtes Haus verwandeln würde. Jede Stunde, jeder Atemzug, den ich dem Reichtum gewidmet hatte, war ein weiterer Nagel in meinen eigenen Sarg.
Doch nun, nach zwei Jahrhunderten, war die Zeit eine weise Lehrerin. Sie hatte mir die Augen geöffnet, auf dass ich die Tiefe meiner Torheit erkennen konnte. Eliza, die Hexe, war längst der Zeit zum Opfer gefallen, aber ihr Fluch, ein Gefängnis aus Steinen und Mörteln, hatte sich auf mich gelegt und ließ mich keinen Frieden finden.
Während der langen Jahrzehnte, die zwischen den Zeiten verstrichen waren, fand ich ein düsteres Vergnügen darin, die Lebenden zu erschrecken und ihre Ängste zu schüren. Doch in der Kälte der Nächte sehnte ich mich nach Gesellschaft.
Und siehe da, abermals geschah es. Eine Schar von jungen Seelen hatte sich im Dickicht verloren, eine Begebenheit, die zuweilen eintrat. Insbesondere wenn die Bewohner des Rabenweges Kürbisse vor ihren Heimen aufstellten.
„Justus“, schrie eine der Damen. „Jetzt pack mal dein verkacktes Handy weg!“
Es war Zeit für die Vorbereitungen. Der Kamin, dessen Flammen seit Äonen erloschen waren, erwachte zum Leben, und die Schwärze des Hauses wurde von zarten Kerzen erhellt.
„Ben“, quietschte die andere der beiden Damen. „Hast du das hier alles vorbereitet?“
„Ähm“, antwortete Ben eloquent. „Sicher.“
Später am Abend fand sich die Gruppe der jungen Seelen im Salon wieder. Doch einer von ihnen, Justus, zog sich still und heimlich in sein Zimmer zurück, wo er ein neuartiges Gerät in Beschlag nahm. Ein wundersames Glas, das in den finsteren Stunden leuchtete und dessen Oberfläche von vielen kleinen Tasten bedeckt war. Dies Gerät konnte er auf seinen Schoß legen und in dessen Geheimnisse eintauchen.
„Nur noch diese eine Nachricht“, sprach er zu sich selbst und dies nicht nur einmal.
Als ich Justus sah, erkannte ich mich in ihm wieder. Es überkam mich der Drang, ihm zu helfen, ihm den Weg zu zeigen. Ich ließ seine Zimmertüre aufschwingen.
„Sehr witzig!“, sagte er und stand auf.
An der Türe angekommen, wollte er sie wieder schließen, doch ich ließ es nicht zu. Die Kerzen im Gang flammten eine nach der anderen auf.
„Witzig!“
Justus, das neugierige Herz, folgte den Kerzen, bis er zur Kellertüre gelangte. Seine neumodische Maschine hielt er natürlich fest in Händen.
„Da soll ich jetzt runter gehen, was?“
Was er nicht wusste, seine Freunde saßen im Salon und ich war es, der ihm die Türe öffnete.
„Ich grusel mich schon richtig!“
Schritt für Schritt bahnte er sich seinen Weg in den feuchten Keller. Bis tief in sein innerstes, wo der letzte verbleibende Spiegel in diesem Haus hing. Der einzige Spiegel, den dieses Miststück nicht zertrümmert hatte.
„Gegrüßt seist du“, sagte ich und meine Stimme hallte von allen Wänden wieder.
„Ihr seid witzig“, spottete er. „Wuhu ein Gei …“
Als ich mich jedoch im Spiegel materialisierte, hielt er endlich den Atem an.
„Ein Geist? So könnte man es sagen“, antwortete ich, „du sprichst mit einer verfluchten Seele, dem einstigen Besitzer dieses Anwesens.“
Ich streckte meine Hand aus und bot ihm meine Hilfe an. „Junge Seele“, sprach ich zu ihm, „wenn du den Mut aufbringst, den Spiegel zu küssen, sollst du einen weisen Rat für dein Leben erhalten.“ Seine Augen schimmerten von Verwirrung und einem Funken Neugierde.
Zögernd, Schritt für Schritt trat Justus näher an den Spiegel heran, seine Lippen zitterten, als er sie auf die kühle Oberfläche senkte. Ein flüchtiger Kuss, der eine Verbindung zwischen unserer Welt und der seinen schuf.
In diesem Augenblick verließ ich den Spiegel, mein erstauntes Wesen aus der jenseitigen Dunkelheit. Als meine Präsenz sich in seiner Welt manifestierte, schlug ich mit leichter Entschlossenheit sein neues Gerät aus seiner Hand. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung und Entsetzen.
Mit einer ernsten Miene sprach ich zu ihm, die Worte geflüstert von den Schatten der Vergangenheit: „Vergiss diese Maschine, junger Mann. Konzentriere dich auf die lebendigen Seelen um dich herum. Das Leben ist mehr als bloße Bilder auf einem glänzenden Glas, es ist die Wärme der Freundschaft und die Weisheit, die in den Herzen der Menschen wohnt.“
„Fuck you!“, schrie er aus voller Kehle.
Wohl ein neuartiger Dankesgruß.
„Nichts zu danken!“, erwiderte ich.
Er zückte eine andere Apparatur und richtete sie auf mich. Dasselbe leuchtende Glas. Wollte er, dass ich ihn auch von seinen restlichen Fesseln befreite?