Der Plan
Der Sturm wehte um meine alten Gemäuer und wieder einmal flog krachend eine der Dachschindeln davon. So langsam verfiel ich. Wir mussten etwas unternehmen. Dringend!
„Hui Buh!“, rief ich. „Komm her, du alter Handtuchhalter.“
„Nenn mich nicht so und schrei nicht so. Ich bin Graf von Zappenduster und nicht so ein billiges Fernsehgespenst. Und das ist kein Handtuch, sondern ein Bettlaken. Ein so blödes Haus wie dich habe ich noch nie betreten."
„Jaja, du kommst auch nicht davon“, murmelte ich. „Du bist an mich gebunden, verfalle ich weiter, bist du bald so mausetot, wie ich. Die Stadt will mich eh bald abreißen.“
„Woher willst du das wissen?“, fragte Zappenduster, der sich gerne als Schlossgespenst bezeichnete. Allerdings war ich eher eine gräfliche Stadtvilla gewesen und Zappenduster war hier dummerweise gestorben. Seitdem ging er mir auf die Nerven. Okay, er war da und das machte mich weniger einsam. Eigentlich mochte ich den alten Knaben recht gerne, aber wir kabbelten ständig miteinander. Irgendwie mussten wir ja unsere Zeit vertreiben.
„Weil ein Stadtheini mit gelber Warnweste einen Aufkleber an die Eingangstür geklebt hat. Wenn sich der Besitzer dieser Bruchbude nicht bis zum 30.12.2023 bei der Stadt meldet, dann werden Grund und Boden beschlagnahmt und die olle Kiste wird dem Erdboden gleichgemacht. Das haben die geschrieben.“
„Das haben die geschrieben? Nie und nimmer,“ sagte Zappenduster.
„Ich habe es dir übersetzt, den Behördenquatsch versteht ja kein Stadtvillengespenst.“
„Jaja“, winkte Zappenduster ab. „Wir haben ein Problem.“
„Yes! Wir haben ein riesiges Problem.“
„Welches Datum haben wir?“
„Keine Ahnung“, antwortete ich. „Der einzige Kalender, den wir haben, ist zwanzig Jahre alt. Du hättest ruhig ein paar Jahrhunderte vorausdenken und auch zukünftige Kalender kaufen können.“
„Ja ja, mach mir nur Vorwürfe, weil ich viel zu früh abgenippelt bin. Ich war erst neunundsiebzig“, beschwerte sich Zappenduster, der sich damals gegen das obere Treppengeländer gelehnt hatte. Ein Fehler, wie sich nach vier Sekunden Fall bewahrheitet hatte.
„Peace!“, ging ich dazwischen. „Wir müssen dieses Problem jetzt gemeinsam meistern.“
„Und wie?“
„Wir brauchen neue Bewohner, die mich renovie … ich befürchte fast, dass sie mich sanieren müssen. Dann verjagen wir sie.“
Zappenduster dachte nach. Angestrengt und konzentriert. Es dauerte eine Nacht und einen Tag, bevor er „Is ja geil!“, sagte. „So machen wir es. Und wie machen wir es?“
In diesem Augenblick spürte ich etwas … Im Flur vielleicht? Ich hatte so viele Beschädigungen, dass ich mir keine weiteren Gedanken machte.
„Erst einmal: Wir müssen ab sofort zusammenarbeiten. Keine dummen Worte mehr Hui …“
„Wag es nicht, mich so zu nennen“, brüllte Zappenduster.
„War nur ein Scherz“, sagte ich. „Peace?“
„Peace!“
„Und wie machen wir es?“, wiederholte Zappenduster seine Frage.
„Hast du Ideen, Hasi?“
„Da gab es doch dieses neumodische inter … Dingsda.“
„Internet“, half ich ihm weiter. „Geht nicht, die Telefonleitung ist schon letztes Jahr abgefallen.“
„Was bist du denn für einer?“, fragte plötzlich jemand. Zappenduster erschrak so sehr, dass er fast an die Decke sprang. Mir fiel ein Bild von der Wand. Ausgerechnet der Picasso, den ich so liebte. Sein Rahmen zersprang und das Blatt wurde durch den Windzug der offenen Tür in die Ecke geweht.
In der Tür stand eine junge Frau.
„Wer bist du? Was machst du hier? Wie kommst du hier rein? Was soll das? Wie kannst du es wagen? Warum bist du hier? Wieso …“
„Zappi, wer soll sich denn diese ganzen unnützen Fragen merken? Sie ist hier und hat dich gesehen“, sagte ich.
„Und dich gehört, du verblödeter Schweinekoben.“
Autsch! So hatte er mich noch nie bezeichnet. Dummerweise hatte Zappenduster recht. Das war sehr dumm von mir gewesen. Wir waren den Umgang mit Menschen einfach nicht mehr gewohnt.
„Ich bin Elvira“, sagte die nicht allzu adrett gekleidete junge Dame. „Ich habe mir einen Unterschlupf für die Nacht gesucht. Ich habe eine kleine Scheibe der Haustür eingeschmissen und die Tür von innen geöffnet. Ich weiß jetzt nicht, wie ich die Frage beantworten soll, was das soll, aber … naja … die Polizei sucht uns. So mussten wir es wagen, hier einzubrechen und uns zu verstecken. Warum ich hier bin, habe ich ja schon erklärt. Wieso, auch. Jetzt bin ich mit der Fragerei dran, bist du so was wie ein Schlossgespenst in einer heruntergekommenen Ruine? Ein Ruinengespenst?“
„Ha!“, rief ich. „Das gefällt mir. Ein Ruinengespenst.“ Ich stutzte. „He? Meinst du mich, mit der Ruine?“
„Ich rede also mit einer Ruine und einem Ruinengespenst? Sachen gibt´s.“
Elvira schien ziemlich cool zu sein. „Ja, genau das machst du. Mein Name ist Villa Rabenweg und das ist mein ehemaliger und eigentlich noch immer anwesende Bewohner Graf Zappenduster“, stellte ich uns vor. „Seit seinem viel zu frühen Ableben, geistert er hier herum und nervt mich. Nein, eigentlich sind wir gute Kumpels, aber manchmal nervt er.“
Zappenduster mischte sich ein. „Beeindruckt dich das eigentlich gar nicht, Elvira?“, fragte er ein wenig zu drohend.
„Nein, eigentlich nicht. Ich komme gerade von einer Reise zurück, die mich mehr beeindruckt hat“, antwortete sie und zuckte mit den Schultern.
„So?“, fragte ich. „Ich liebe Geschichten.“
„Wir waren …“
„Wer ist wir, ich sehe nur dich“, fragte Zappi noch düsterer.
„Meine Freundin und ich natürlich. Also wir waren in Manjajoto und …“
„Wo ist das? In Japan?“, fuhr Zappi dazwischen. Er wollte die junge Dame sicher mit seinen Spukereien verängstigen. Aber Elvira zeigte sich weiter unbeeindruckt.
„Nein, Manjajoto ist ein Land, das noch kein Mensch entdeckt hat. Ein Zauberreich sozusagen. Es ist für fast alle Menschen unsichtbar. Außer für mich.“
„Haha! So ein Unsinn!“, lachte Zappenduster.
„Nein, Herr Graf, das ist kein Unsinn“, fuhr Elvira auf.
„Er ist eigentlich kein Herr Graf, seit seinem Ableben ist das Graf sozusagen divers. Irgendwann ist nämlich sein kleiner Pimmel abgefallen.“
Zappenduster blickte mich bösartig an. „Das geht niemanden etwas an“, fauchte er. Fauchen konnte er, das muss man ihm lassen.
„Deswegen heißt es ja auch das Gespenst und nicht die oder der Gespenst“, fand ich ein paar erklärende Worte. „Wie war das denn jetzt in Manjadingsda?“
Elvira blickte auf Zappenduster herab und kicherte leise. „Tut mir leid, gräfliches diverses Gespenst. Ich war mit Susi dort und sie hat an der jährlichen Olympiade teilgenommen. Platz zwei im Feuerspucken, Platz vier im Rolle rückwärts fliegen, nur beim Hundert-Meter-Spurt ging es daneben. Susi ist gegen eine Palme geflogen. Pech. Ansonsten ist Susi fast schon auf Malaika-Mihambo-Niveau. Nächstes Jahr räumt sie in allen Disziplinen ab.“
„Susi kann also fliegen. Sie ist deine Freundin, die allerdings nicht auf der Flucht vor der Polizei ist?“, fragte ich interessiert.
„Ja doch, also eigentlich sucht die Polizei nach Susi. Sie hat einem Polizisten in den Hintern gebissen. Als der sie erschießen wollte, prallten natürlich alle Kugeln an ihrem Panzer ab. Das hat den Polizisten ziemlich gedemütigt. Seitdem läuft eine Großfahndung.“
„Susi hat also einen Panzer. Wo ist sie eigentlich?“
„Hier in meiner Tasche“ Elvira zeigte uns ihr kleines Handtäschchen.
„Zeig sie uns mal, ich bin neugierig“, sagte ich neugierig.
„Das geht hier nicht. Gibt es einen größeren Raum?“, fragte Elvira.
„Meinen Festsaal“, riefen Zappenduster und ich gleichzeitig. „Komm mit, ich zeige ihn dir.“ Dieses Mal hatte nur Zappi gesprochen, mir war es nur schwer möglich, jemanden in einen meiner Räume zu bringen.
Kaum angekommen, öffnete Elvira ihre Tasche. „Susi, komm mal raus, ich möchte dir jemanden vorstellen.“ Ein kleines rotes Köpfchen erschien aus dem Inneren. Es blickte sich um und sah dann Elvira fragend an. „Soll ich den Schuppen niederbrennen?“
„Nein, denn wir haben hier ein Versteck gefunden. Das brauchen wir, weil du keine Polizisten magst.“
Zwei kleine Pfötchen mit Krällchen kamen aus der Tasche, dann zwei Flügel und plötzlich schwirrte Susi durch den Festsaal.
„Och wie süß“, rief Zappenduster begeistert. „Das ist ja ein Minilindwurm!“
„Seh ich etwa aus, wie ein Lindwurm, du wanderndes Bettlaken? Ich kann dir mal zeigen, was ein dämlicher Lindwurm nicht kann. Nämlich Feuer spucken.“
„Sie ist ein Drache!“, flüsterte Elvira uns zu. „Sagt niemals Lindwurm zu ihr. Lindwürmer hasst sie, wie die Pest. Noch mehr als Polizisten. Komm Süße, mach dich mal groß.“
Susi sog Luft ein und wuchs und wuchs.
„Halt!“, schrie ich. „Die sprengt ja den Saal!“
„Keine Angst“, meinte Elvira. Sie ist gleich ausgewachsen. „Sie ist ein Minimaxidrache, das ist sehr selten.“
„Ach so“, sagte ich wenig beruhigt. Als Susi etwa auf die halbe Saalgröße angewachsen war, hörte ihre Maxi-Phase endlich auf.
Der Panzer glänzte rot schimmernd und Susi drehte sich einmal im Kreis. Aus ihren Krällchen waren Riesenkrallen geworden und ihr Köpfchen war in etwa so groß, wie ein Schaufelbagger. In ihrer Schnauze blinkten Riesenhauer. „Diese Bude könnte mal eine Renovierung vertragen. Soll ich?“
„Nein, ja. Also nicht durch Abbrennen“, antwortete ich schnell. Und dann hatte ich die Idee. Ich war so begeistert, dass ich – wenn ich welche gehabt hätte – in die Hände geklatscht hätte. So ließ ich lediglich die Wandleuchter gegeneinander schlagen. „Elvira, wir geben euch Unterschlupf. Es wäre furchtbar nett, wenn ihr uns bei etwas helfen könntet.“
Elvira lächelte Susi an. „Herzlichen Dank, Villa Rabenweg. Das machen wir gerne, nicht wahr, Susi?“
Wenn ich hätte lächeln können, hätte ich es getan. „Elvira, Susi“, sagte ich und stellte ihnen meinen Plan vor. „Habt ihr Internet?“
„Klar, habe ich“, sagte Elvira und zeigte uns ihr Smartphone.
„Genial!“, sagte Zappenduster. „Das hätte von mir stammen können.“
„Nein, Hui Buh, das glaube …“
„Nenn mich nie wieder Hui Buh! Sonst brenne ich dich nieder.“
„Uns“, sagte ich. „Außerdem kannst du nichts niederbrennen. Du kannst nämlich kein Feuerzeug anzünden.“
„Kann ich doch.“
Elvira zündete sich eine Zigarette an.
„Gib mir mal das Feuerzeug“, sagte Zappenduster genüsslich. Es fiel ihm durch die Geisterhand.
„Ach Sven-Nils, endlich sind wir fertig geworden. Das waren zwei anstrengende Monate, nicht wahr?“
„Ja Beatrice-Bernadette, die Sanierung hat zwar eine Stange Geld und jede Menge Arbeit gekostet. Aber morgen können wir einziehen.“
Könnt ihr nicht, wetten?, dachte ich und weckte Zappenduster. Der begann sofort mit seinen Spukereien und erschreckte Beatrice-Bernadette so sehr, dass sie hysterisch aufschrie. Dann flog Susi ein paar Runden durch die Küche und landete auf Sven-Nils´Wurstbrot.
„Igitt! Was ist denn das für eine eklige Fliege?“ Er griff nach der Zeitung, die auf dem Tisch lag, rollte sie zusammen und schlug nach Susi. Die verbrannte die Gazette und sog Luft ein.
Unsere beiden Retter waren etwas zu geschockt, um sofort zu fliehen. Dann watschelte Elvira in die Küche. Sie hatte Gesicht und Hände weiß geschminkt, sich ein paar blutrote Narben auf die Stirn gemalt und hielt die Arme von sich gestreckt. „Hu … uhunger!“, knurrte sie.
Hysterisch schreiend rannten unsere Retter aus mir raus.
„Das war vielleicht nicht besonders fair von uns“, meinte Elvira und holte eine Zigarette aus ihrer Schachtel. „Aber jetzt haben wir es doch verdammt gemütlich, oder?“
Susi gab ihr Feuer und ich fühlte mich stolz wie Bolle.