Seitenwind Woche 1: Gäste im Geisterhaus

Mythos der Unendlichkeit

Mein Name ist Antonia. Ich, das Haus voller Geister, bin alt und weise. Meine Geschichten, die ich erzählen darf, prägen mich auch heute noch. Es knarrt an allen Ecken. Das Holz ist morsch, aber nicht brüchig. Fühlen sich alle Dämonen vor allem jetzt, zur Zeit des Halloweens, besonders wohl in meinem Kellergewölbe? Warum ziehe ich Unheil an, das sich in Heil verwandelt?
In meinen Gemäuern habe ich Morde erlebt, die mich geprägt haben. Ist Gewalt das, was ich heute weitergeben möchte? Habe ich mich dem Guten zugewendet und, wenn ja, warum?
Meine Facetten sind voller Geheimnisse. Ich durfte Menschen beobachten, die einen Zaubertrunk gemixt haben – warum aber ließ dessen Wirkung viel zu lange auf sich warten? Kinder haben sich an ihren Eltern gerächt! Mit Wonne konnte ich beobachten, wie das Böse besiegt wurde. Ist mir aber wirklich, bis tief in alle Poren meiner Mauern, klar, was gut und was böse ist? Meine prägende Legende, die ich jetzt an Dich weitergeben werde, lässt Dich eintauchen in eine mythische Welt, die sich mit der Realität durchaus verweben lässt.
Zurück in das Jahr 1911:
Manja, die behinderte Tochter eines einstigen Heilers, besaß übersinnliche Kräfte. Diese zeigten sich….

Das Knarren der alten Nussholztür weckt mich aus meinem Halbschlaf. Sie sind da.

Es so weit. Vorsichtig, geradezu zaghaft fühle ich, wie die Vordertür ins Schloss fällt. Jetzt kann der Spaß also losgehen. Ein wenig ärgere ich mich, dass ich ihr Kommen nicht früher bemerkt habe. Der Wind pfeift jedoch schon den ganzen Tag die Straße hinab. Durch die beiden alten Linden – deren geschundene Körper von den Jahrhunderten berichteten, die sie schon vor mir an diesem Ort verbracht haben – ebenso, wie durch die zerstörten Scheiben meiner Fenster. Es ist einfach ermüdend. Ich habe ihr Kommen erwartet, seit es mir wenige Nächte zuvor angekündigt worden war. Zischend verbreitet sich ihr Flüstern in meinem Inneren. Soso, ein wenig mehr Selbstvertrauen würde ihnen guttun. Die Sonne ist doch gerade erst hinter den Gebäuden am anderen Ende des Rabenweges verschwunden. Die Nacht ist noch lang.

Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?!

„Jetzt stell dich nicht so an, du beschwerst dich doch ständig, dass wir nie irgendwas zusammen unternehmen**.**“

Ich glaube kaum, dass sie sowas damit gemeint hat.

Was machst du überhaupt hier?

Mir war langweilig und ich hatte noch nichts vor.

Ich schwöre dir, wenn du dich nicht benimmst…

Mein dumpfes Lachen fährt als Knarren durch die geschwungenen Holzstufen des Treppenhauses und lässt die Unterhaltung verstummen. Kinder, es sind kaum mehr als Kinder.

Was war das?

Bestimmt nur der Wind. Hast du nicht die ganzen kaputten Fenster gesehen?

Aber…

„Ach komm, jetzt stell dich nicht so an.“

Die Stufen knarren erneut, als sie sie erklimmen. Wie schade, ich hatte wirklich gehofft, sie würden etwas mehr Zeit im Erdgeschoss verbringen. Wenigstens ist hier oben leicht, mit dem Wind zu spielen. Wie auf mein Wort wirbelt eine Brise den Staub und die alten Unterlagen im Büro auf und sorgt dafür, dass sich die Tür in einem lauten Kreischen öffnet. Das Mädchen kann ein erstes Wimmern nicht länger unterdrücken.

Ich fühl mich nicht wohl bei der Sache.

„Darum geht es ja gerade.“

Hier gibt es eigentlich nur einen einzigen Ort, an dem ich sie gebrauchen kann. Ein Ort, der ihnen die Geschichte näher bringen und erklären würde, weshalb ich es nicht zulassen werde, dass sie mich wieder verlassen.

Die letzte Tür auf der linken Seite des Ganges öffnet sich leise, nur um einen Spalt. Eine plumpe Einladung. Sie gehen langsam, schauen sich nur kurz im Büro um. Versuchen, die anderen Türen zu öffnen. Verschlossen. Vorerst.

Kommt, lasst uns uns hier etwas genauer umschauen.

Er ergreift den Türknauf, ein Knauf, keine Klinke. Ich warte, bis sie sich alle in den Raum hineingewagt haben.

Ist das?!

Die Tür fällt ins Schloss. Der unisone, spitze Schrei erfüllt mich mit Wohlbehagen. Sie haben es begriffen.

Es langweilte sich. Es war lange her, dass sich jemand in seine Mauern verirrt hatte. Mauern, die so viel zu verbergen hatten. Im Laufe der Jahrhunderte hatten sich Sinneseindrücke in seine steinerne Haut eingegraben, Gefühle, die es in sich hatten. Trauer wie Glück, Bosheit wie Liebe, nichts war ausgelassen worden, allem war er hilflos ausgesetzt gewesen, bis eben … Ja, was genau war es, wie hatte es sein Bewusstsein erlangt, wem verdankte es seine subtilen Fähigkeiten? War es der Pilzbefall? Hatte es dank der Pilzmizellen etwas über die Außenwelt und sich selbst erfahren? Auf jeden Fall hatte das Halluzinogen, das der Pilz produzierte, etwas an sich. Anfänglich hatte es sie für sich selbst genutzt, mit der Zeit hatte es erkannt, wie es damit auch auf die Empfindungen der Menschen Einfluss nehmen konnte, die sich in seine Räume wagten. Und das hatte es weidlich ausgenutzt, um die Spektakel in seinem Innern auf die Spitze zu treiben. Als Zuschauer war es ihm gelungen, im richtigen Moment die Emotionen hochkochen zu lassen, bis die Gäste in einem Zustand der Auflösung aufeinander losgingen.
Doch irgendwann war es damit vorbei, die Menschen mieden es und beinahe wäre das auch das Ende seiner Existenz gewesen. Wären da nicht die Denkmalschützer gewesen, die in ihm einen charakteristischen Zeitzeugen für die Glanzzeit der Belle Époque sahen. Von da an wurde ihm ein gewisses Maß an Pflege zuteil, gerade so viel, dass es nicht dem völligen Verfall preisgegeben wurde. Wenn die wüssten. Vor lauter Belustigung klapperte es mit den Fensterläden. Ja, Zeuge war es geworden, aber schön waren die Charaktere nicht, die in seinen Räumen aufeinanderprallten. Dafür hatte es gesorgt, schließlich waren ihm die hochkochenden Emotionen ein Labsal sondergleichen. Diese körperlichen oder seelischen Qualen, diese Schreie, einfach köstlich. Liebesgeplänkel dagegen ödeten es an, da ging es immer nur um das Eine.
Und Schutz! Eigentlich hätten seine Gäste ihn gebraucht. Aber es beklagte sich nicht, einzig darüber, dass die Gäste ausblieben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als in der Vergangenheit zu schwelgen. Es besuchte die Räume, in denen es die vielen menschlichen Regungen fein säuberlich verstaut hatte. Längst reichten ihm die vorhandenen Räume dafür nicht mehr aus, es hatte imaginäre Räume hinzugefügt. Durch diese wanderte es und suchte sich Ablenkung von der Stille, die in seine Räume eingekehrt war. Leider reichte das bei weitem nicht aus, es kam sich dabei vor wie ein Wiederkäuer. Seinen Hunger nach menschlichen Abgründen vermochten die alten Geschichten nicht mehr zu stillen. Es wollte neue, echte Gefühle.
Es stellte sich die Frage, wie es wieder Leute anlocken konnte. Die Erzählung eines Zoologen kam ihm in den Sinn. Es soll Anglerfische geben, die in der Tiefsee auf der Lauer lägen und mit einem körpereigenen Köder unvorsichtige Opfer anlockten. Auf der Lauer liegen, das tat es schon lange. Doch die einzige, die sich ihm auslieferte, war eine hungrige Katze. Deren Erinnerungen gaben nicht viel her. Wegen einer Maus stundenlang vor einem Loch zu sitzen, war so was von geisttötend. Immerhin, wie sie mit ihrer Beute spielte, bevor sie sie verspeiste, war dann doch noch unterhaltsam.
Aber es wollte mehr! Passiv Abwarten, war keine Option mehr, es musste proaktiv werden. Es sann lange darüber nach, wie es die Menschen wieder für sich gewinnen könnte. Viel hatte es nicht mehr zu bieten, so heruntergekommen, wie es war. Aber wenn es schon von zweifelhaftem Ruf war, warum dann nicht aufs Ganze gehen und sich als Spukschloss sich zu präsentieren? Schiefe Fensterläden, die klapperten, eine halboffene Tür, die auf- und zuschlug, Treppenstufen, die knarrten, all das und noch viel mehr konnte es bieten.
Bei der nächsten windigen Nacht ertönte seine schaurige Musik. Ab und zu erhellten sich die Fenster, dazu hatte es sich eigens fluoreszierende Pilze zunutze gemacht. Und tatsächlich, erstmals warfen Jugendliche einen Blick in sein Inneres. Aber sie blieben nicht lange genug, damit es sie beeinflussen konnte. Enttäuscht brütete es vor sich hin und versuchte, andere Pläne auszuhecken.
Unverhofft bekam es dann eines Nachts doch noch Besuch. Es rieb sich die Balken, die waren ein gefundenes Fressen. Sie schleppten einen ganzen Koffer voll Geld an, für das sie ein vorübergehendes Versteck suchten. Bald lärmten sie in seinem Innern, stiegen die Treppe hinauf und hinunter, bis in den letzten Winkel. Behutsam schlich es sich in ihre Köpfe und förderte hier und da ihre niederen Triebe, vernebelte ihr Bewusstsein, schürte Misstrauen und Gier. Dieses Gift fiel auf fruchtbaren Boden, und so war es ihm ein Leichtes, ihnen Gefahren vorzugaukeln, die ihnen von ihren Kumpanen drohten. Es ließ sie Verstecke suchen und die Orientierung verlieren. Die psychedelischen Sporen der Pilze taten ihr Übriges: Gefangen in ihren Halluzinationen sanken sie erschöpft und deprimiert zu Boden. Hoffnungslosigkeit machte sich breit. Der Nährboden für ihre Heimsuchung war bereitet. Sie fielen in eine Art von Halbschlaf und wurden von Ausgeburten ihrer schlimmsten Alpträume heimgesucht. Sie konnten den Träumen nicht entkommen und waren den geisterhaften Gestalten, die sich um sie herum manifestierten, hilflos ausgeliefert. Diese suchten sie nicht nur in ihren Träumen heim, sondern zehrten auch auf absonderliche Art von ihrer geistigen Substanz:
Die eine lebte von Hoffnungen und ließ sie hoffnungslos zurück.
Die andere labte sich an ihren Gedanken und ließ sie gedankenlos zurück.
Ein Sadist zog sie ins Leiden hinein und suhlte sich in ihrem Schmerz.
Ein Melancholiker führte ihnen das ganze Elend der Welt vor Augen, im Austausch für Schwermut, Trübsinn und Traurigkeit stahl er ihnen das Glück.
Eine war voll Skrupel, sie verteilte ihnen ein stechendes Gefühl der Angst, Unruhe und Selbstzweifel.

Diese Suggestion wirkte auf unheimliche Weise. Wer sich am anderen Morgen erheben konnte, schlich nur noch, schüttelte ständig den Kopf und versuchte, wieder zu sich zu kommen. Geistesabwesend standen sie da, und waren nur noch ein Schatten ihrer selbst. Andere hatten sich in eine innere Welt verzogen und wollten der Wirklichkeit entsagen. Haltlos klagend lagen sie herum und waren kaum ansprechbar. Schließlich kamen sie auf die Beine, aber ihr Verhalten glich dem von Geistesgestörten. Sie hatten keine Ahnung mehr, wo ihre Beute abgeblieben war, und verliessen fluchtartig die Stätte des Grauens.

Zufrieden mit seinen Manipulationen verstaute es alle seelischen Empfindungen in neuen Räumen. Auf die zurückgelassene Beute der Diebe ließ es Schmutz fallen und Schimmel wuchern, damit künftige Besucher sich angewidert von diesem Ort abwenden würden. Die Türe verschloss es, jetzt wollte es zunächst einmal die neu erworbenen Schätze so richtig auskosten.

Die Mutprobe

                                     Sicht des Hauses

Ihr glaubt, ihr seid tapfer genug hier zu sein? Ihr glaubt, ihr könntet meine Geheimnisse aufdecken?
Oh, ich bitte euch, ihr seid einfache Amateure, die noch nicht einmal 20 sind. Ich hingegen bin ein jahrhunderte altes Haus, dass seine Hoffnung auf Ruhe, nie aufgibt.
Doch jedes Jahr kommen Neue von euch und jedes Jahr sterben sie erneut.
Aber wenn ihr mit eurem Leben spielen wollt, spiele ich mit euch. Kommt heute Nacht und wir werden sehen, was die Nacht so mit sich bringt.

                                          Sicht der Jugendlichen

Die Straße, in der das Haus steht, ist verdammt gruselig. Kein normaler Mensch kommt hier freiwillig her. Entweder wirst du von komischen Omas oder geistesgestörten Personen begrüßt. Die Gegend wird nicht ohne Grund „Scary Town“ genannt.
Die Häuser sind Jahrhunderte alt und alles ist dunkel.
Kein freies Stück Land. Alles bebaut oder bepflanzt. Keine Straßenlaternen. Wie überleben es die Leute hier?
„Sam da drüben ist der Eingang. Beeil dich mal!“, fordert mich Rocky auf.
„Wieso baut man ein Haus in den Wald rein? Wer kommt auf so eine hirnverbrannte Idee?“, sage ich mit Ehrfurcht.
Wir gehen durch das große Eingangstor. Der Putz blätter ab, die Dielen hängen durch und meine Angstskala ist gerade von 50 auf 100 gestiegen. Ich will da nicht rein! Aber ich muss, scheiß Mutprobe.
Der Eingangsbereich ist groß. Zu groß.
Debby geht zu einer Vitrine und tritt dagegen.
„Nah, was machst du jetzt du dummes Haus, hä? Du bist nur halb so gruselig wie alle immer sagen.“ Kaum sagt sie diese Worte, zerspringt die Vitrine in tausend Teile.
Das Haus erzittert, als hätte es Schüttelfrost. Die Temperatur sinkt noch tiefer, als ich je dachte, dass es gehen würde.
Als ich ausatme, sehe ich meinen eigenen Atem vor mir her schweben.
„Lass wieder raus gehen“, meine ich, doch alle schauen mich nur an, als wäre ich ein Wesen, das sie verachten.
Ein paar Sekunden lang starren sie mich nur an, dann lachen sie. Sie lachen. Meine Freunde LACHEN MICH AUS!
„Los hoch jetzt. Als ob uns ein Haus weh tun könnte.“ Wenn ich Adam nur glauben könnte.
Wir gehen langsam die knarzenden Treppen rauf, die sich unter meinem Gewicht anfühlen, als ob sie gleich einbrechen würden.
Oben angekommen verdunkelt sich der Raum. Geheule hallt von den Wänden und Gegenstände fliegen durch den Raum. Wenn ich bis eben dachte, es wäre schon gruselig, ist das hier mein persönlicher Horrorfilm.
Ich hasse Horror. Ich hasse dieses Haus.
Ein Windstoß wirft mich unsanft auf den Boden. Meine Arme und Beine sind von mir weggestreckt, während ein eiskalter Schauer über mein Körper fährt. Es fühlt sich an, als ob jemand mit eiskalten Händen meine Klamotten nach irgendwas durchsucht. Ich versuche mich um zu schauen. Die anderen liegen entweder blutverschmiert am Boden oder schweben in der Luft. Mir entweicht die Luft. Wie kann ich ihnen helfen?
Etwas Helles, Grelles tritt in meine Sicht und plötzlich ist mir scheiß egal, was die anderen machen. Das Einzige, was ich tue, ist aufstehen und so schnell es geht die Treppen runter rennen. Kurz vor dem Eingangstor schlägt dieses zu und das Haus samt Anlage fängt um mich herum an zu brennen.
Was soll ich jetzt nur tun? Wie komme ich hier wieder raus? Was wird meine Familie sagen, wenn berichtet wird, dass vier Jugendliche in dieser Nacht umgekommen sind?
Meine Gedanken überschlagen sich, doch auf einmal kann ich nicht mehr denken. Auf einmal kann ich gar nichts mehr. Ich falle nur noch. Falle, falle und falle ins Nichts.

                               Sicht des Hauses

Und wieder gewonnen. Bis zum nächsten Jahr, ich erwarte euch schon sehnsüchtig.

Seltene Begierde

Zaghafte Schritte kitzelten auf meinen Dielen. Kein unangenehmes Kitzeln – viel mehr ein wohliges, welches mich vom First bis zur Kellertreppe durchfuhr. Es war so wunderschön, diese von nächtlichen Pfützen getränkten Sohlen zu spüren.
Lange hatte ich dies nicht mehr fühlen dürfen. Jeder Schritt dieser Gruppe von vier Erbauern war mir ein Genuss. Ja, so nannte ich sie - Erbauer. Dünne Wesen mit noch dünneren Verzweigungen immer unruhig und bestrebt, etwas zu erledigen.
Sanft stießen sie meine Pforte auf und tauchten ein in die Dunkelheit. Seit den tragischen Unfällen der letzten Besucher will ich es dieses Mal anders angehen.
Das Licht ihrer Taschenlampen wärmte meine Seele. Ihr glaubt nicht, dass ich eine Seele habe? Nun, ich sage euch: Alles hat eine Seele. Ihr könnte es leugnen oder glauben – mir ist es gleich, wie ihr darüber denkt.
Die Gruppe blieb stehen und leuchtete mit ihren Lampen an den rotfleckigen Anstrich am Treppenaufgang. Die angenehme Wärme wandelte sich in ein feuriges Brennen. „Nun leuchtet doch bitte woanders hin. Es wird langsam unangenehm“, versuchte ich den neugierigen Nasen ins Ohr zu flüstern.

Die Erbauer schreckten zusammen und richteten ihre Lichter die Treppe hinauf.
„Hast du das gehört?“, fragten sie sich in alle Richtungen umschauend. „Gibt es hier doch Geister?“
Einer stieg die Stufen ins Obergeschoss hinauf. Seine Hand strich mein Geländer so rührend, als hätte sie nie etwas anderes getan. Pure Ekstase ließ mich die Eingangstür zuschlagen. Ups. Ich hoffe, ich habe ihnen keinen allzu großen Schrecken eingejagt.
Ich hatte Glück. Sie setzten ihre Erkundungstour durch mein Inneres fort. Sie durchkämmten sämtliche Zimmer. Es kribbelte immer mehr. Als sie die Leiter zum Dachboden griffen, war die Freude zu groß, um sie noch verbergen zu können. Ich ließ die Luke zum Dachboden herunterstürzen. Ein lauter Schrei ertönte und es waren nur noch drei Erbauer. Natürlich tat mir dies Leid, doch ihr wildes Getrappel und Geflitze, ihre raschen umherschnellenden Lichter ließen mich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sicher, wollte ich es dieses Mal anders angehen. Doch das war, bevor ich so intensiv fühlte. Unkontrolliert schlugen mir die Türen und Fenster auf und zu. Schränke rutschten über die Dielen und Besteckkästen versprühten ihr Innerstes. Ich wollte nicht, dass es aufhört. Wie von Sinnen rannten die Erbauer von Raum zu Raum. Ihre zarten Fingerchen klemmten saftend in meinen Türrahmen, während ihre Glieder einem Sofa, der Kommode oder dem Küchentisch zum Opfer fielen. Schließlich erreichten wir den Höhepunkt, als sie meinen vor langer Zeit begonnenen roten Anstrich auf der Tapete fortführten. Danach wurde es still. Ein letztes zuckendes Getrappel, eine die Wand entlang rutschende sanfte Armbewegung in Richtung Fußboden, dann nichts mehr.
Jetzt kann ich in Ruhe schlafen und darauf warten, dass wieder jemand kommt.

Hier kommt dein Titel hin (lösch die Zeile, wenn du keinen hast)

Erlösung

Ich erinnere mich an glückliche Zeiten. An Kinder, die beim Spielen fröhlich lachend durch meine endlos lange Flure huschten. Auch an Menschen, die oft musizierten und anregende Gespräche führten. Die harmonischen Melodien und sanften Stimmen, kitzelten meine mächtigen Mauern, wie die Lichtstrahlen der Sonne. Ich bedankte mich oft mit einem sanften Knirschen der edlen Mahagoniböden, sobald die Bewohner beim Tanzen, leichtfüßig über die Dielen schritten oder die Angestellten den Staub von ihnen wischten. Mir gefielen die kunstvoll gewebten Teppiche, die verspielten Holzschnitzereien der erlesenen Möbel und Wände. Mein Geist liebte die zahlreichen Bilder, die stets den Hauch von Leinöl verströmten und deren kräftige Farben im warmen Licht der vergoldeten, kristallbehangenen Kandelaber erstrahlten. Ganz besonders liebte ich die klaren Fenster, mit ihren bunten Bleiverglasungen, welche verspielt das Licht von Sonne und Mond brachen und mein Sein durchfluteten. Selbst der gewaltige Keller, der von meinem mächtigen Fundament umschlossen wurde und unzählige Schätze und Vorräte beherbergte, atmete durch meine Seele. In mir fanden die Besitzer Schutz und ich gewährte ihn gerne.

Aber Zeiten ändern sich. Ich vernahm beunruhigendes Gewehrfeuer, peitschende Pistolenschüsse und das dunkle, mächtige Grollen von schweren Geschützen. Eiserne Kugel und Granatsplitter rissen tiefer Löcher in meine ehrwürdigen Mauern. Laute Schreie und bitterliches Weinen erschütterten mich. All jene, die einst Glück und Frieden in mir fanden, wurden vertrieben oder getötet. Ich bewahre immer noch den Geschmack von ihrem warmen Blut, ihrer panischen Angst, der unaussprechlichen Verzweiflung und das höhnische Lachen ihrer Peiniger. Dann wurde ich selbst geschändet und ausgeweidet. Zurück blieben nur die Erinnerungen an glanzvolle Zeiten und die Geister der Verstorbenen, die ich nicht zu trösten vermag. Mäuse, Schimmel, Insekten und Verfall krochen durch die punktierten Mauern, den zerbrochenen Fenstern und durch die immer noch stattliche Eingangstür, die nun schief in ihren geborstenen Angeln hing. Viel Zeit ist vergangen und nur der kalte Wind, stets mit trockenen Blättern im Gepäck, spielte als einziger Freund seine einsame und eintönige Melodie in den dunklen Zimmern.

Dann kamen sie. Mitten in der Nacht, wie die Diebe und Mörder, vor langer Zeit. Ich kannte nicht ihre Absichten, aber ich spürte eine Ausstrahlung, wie lange nicht mehr. Sie betraten schon fast andächtig jedes Zimmer und flüsterten mit verhaltenen Stimmen. Sie schienen sich nicht zu fürchten und die gleißenden Bahnen ihrer Taschenlampen strichen über die zerfetzten Reste, meiner ehemaligen Schönheit. Sie berieten sich, wie mir erschien und ich konnte nur einen Teil ihrer Gespräche verstehen. Ihre Sprache war irgendwie vertraut und doch ganz anders. Es herrschte Uneinigkeit zwischen ihnen, doch eine der Frauen, erhob ihre Stimme und setzte sich durch. Sie löste eine vergrabene Erinnerung an die stolze Hausdame von damals in mir aus. Ich hatte nur Abriss verstanden. Sie verstauten all ihre Papiere und Notizen, brachen auf, um schließlich einen letzten Blick durch die Tür in meine geschundene Empfangshalle zu werfen, in der sich immer noch, die kunstvoll gewundene Treppe mit dem verblassten Marmorstufen bis zur Galerie erstreckte. Dann war ich wieder allein und manchmal kamen ein paar Menschen ohne Obdach, denen ich ein wenig Schutz gewähren konnte. Doch weder konnten sie mich trösten, noch wirklich erfreuen, denn sie waren in demselben Schmutz erstarrt wie ich und ihren Seelen ebenso verblasst wie die meine. So träumte ich meine einsamen Träume nach Frieden und einstiger Stärke. Ich war müde geworden und sehnte mich nach Erlösung von meinem Leid. Ich hatte mich meinem Schicksal ergeben.

Die Vögel zwitscherten fröhliche Lieder, der Morgen erstrahlte unter einem blauen Himmel, als Männer und Frauen, den mit Kraut überwucherten Boden betraten. Sie führten seltsame Maschinen und Werkzeuge mit sich und ich dachte, dass dies ein schöner Tag sein würde, um in die Unendlichkeit zurückzukehren. Ich beobachte, wie sie den Boden von den wuchernden Ranken, Dornen und Sträuchern befreiten. Wie die Ameisen wuselten sie durch mich hindurch und um mich herum. Die energische Frau stand plötzlich in der Eingangshalle und ließ ihre Blicke schweifen. Ich sah ihr aristokratisches Gesicht, das vor Freude und Stolz förmlich glühte. Und erst jetzt begriff ich, dass die Männer und Frauen, alles ersetzt, repariert und in die ursprüngliche Form zurückversetzt hatten. Alles glänzte und strahlte und sogar einige der alten Bilder, hingen wieder an meinen Wänden. Ich atmete tief ein und aus und entließ alle Energien, die mich belasteten. Mit alter und mit neugeborener Stärke hieß ich die Nachfahren, meiner ehemaligen Besitzer willkommen, die mich unter Denkmalschutz stellten. Voller Stolz und Demut präsentiere ich ein goldenes Schild an meiner Eingangstür.

Die Seele eines Haus ist Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Drum bewahret die Geschichte und das Vermächtnis eurer Ahnen und ehret was sie erschaffen. Trete ein, wer reinen Herzens ist und sei Willkommen.

Taschenlampen haben mich schon immer gestört. Glücklicherweise kann ich etwas dagegen unternehmen. Auch diese Menschen werden in wenigen Minuten durch tiefste Dunkelheit irren, sobald sie ein paar Schritte weiter in mein Labyrinth aus Türen und Gängen gewagt haben. Ich höre vier, nein, fünf menschliche Wesen und ein Tier. Es wird ein Hund sein. Bislang war es nie etwas anderes. Ich würde mich mal über eine Katze freuen oder etwas exotisches, wie etwa eine Schlange. Aber sie alle bringen immer nur ihre Hunde mit. Er hechelt unangenehm laut. Sollte er gegen eine Wand pinkeln, wird er als Erster verschwinden. Verschluckt von Schwärze.
„Dexter?“ Ich lausche weiter. Dexter ist ein schrecklicher Name. Zu meiner Zeit hießen die Leute noch William, Elizabeth oder Hugo. Als ich ein Bellen vernehme, ordne ich den Namen allerdings schnell dem Hund zu. Na gut. Dexter also. Das wird meinen Bewohnern von Nutzen sein, wenn sie ihn rufen, anlocken mit leisen Stimmen und in die Tiefe führen. Der Hund läuft zu einem der Menschen mit Taschenlampe und bleibt bei ihm. Sie betreten gerade den Korridor im ersten Stock. Noch lasse ich ihnen ihr Licht. Zeige ihnen die dunklen Wände von denen die Farbe blättert, den moosbedeckten Teppich und die eingeschlagenen Lampen.
Nachdem mich ein reicher Pinkel zum Hotel umbauen ließ, ging alles den Bach runter. Davor war ich glücklich, hatte Charakter, meinen eigenen Stil, wenn man so will. Ich liege mitten in einem Wald, direkt am schönsten See der Gegend. Eine Traumlage, sagte der Markler damals. Dass ich jeden verschwinden lasse, der glaubt mich besitzen zu können, hat er natürlich verschwiegen. Besser so, denn er wusste, dass er sonst der Nächste gewesen wäre. Seine Frisur hat mir nie sonderlich zugesagt. Er roch scheußlich nach Pomade und billigem Parfum.
Eine Taschenlampe leuchtet über den Fluchtwegplan für die erste Etage. „Das Zimmer soll dorthinten sein“, sagt eine weibliche Stimme in die Stille meines Skeletts hinein. Ah, das Zimmer. Sie alle kommen nur deswegen. Nicht etwa, weil ich einst das schönste Herrenhaus in ganz New England war. Preisgekrönt! Aber für meine so gut erhaltene Fassade interessiert sich niemand mehr. Auch den Garten mit Pavillion will keiner mehr sehen. Nicht einmal die liebevoll gestalteten Ärker und Fenstergläser locken Neugierige an. Nein, sie alle kommen nur wegen des Zimmers.
Das ehemalige Master-Schlafzimmer in welchem mein Erbauer, Reginald Griffith III., mit seiner Ehefrau schlief – und oft genug mit Angestellten jeden Geschlechts – liegt am Ende des Korridors auf der linken Seite. Die Tür ist die einzige in der ganzen Etage, die nicht beschmiert worden ist. An anderen prangern Hakenkreuze, Pentagramme, irgendwelche Liebesbekundungen oder Sprüche, die ich nicht verstehe. Aber diese Tür ist verschont geblieben. Nicht nur, weil jeder, der sie beschmutzen will in die ewige Verdammnis gezogen wird, sondern vielmehr, weil sie das Tor zur Hölle selbst ist. Jedenfalls beanspruche ich diesen schönen Titel für das dahinterliegende Zimmer. Das Master-Schlafzimmer ist groß, hat wunderschönen Parkettboden und eine traumhafte Tapete, die der letzte Besitzer leider überstreichen ließ. Nicht nur deswegen ist er im Kamin verschwunden. Auch, weil er Reginalds Bett verschieben ließ. Ein Fehler. Denn unter diesem rustikalen Konstrukt lag mein kleiner Schatz: Reginalds Ehefrau. Sie hatte den Fehler begangen und ihn gestört, während er sich gerade mit dem Sohn des Gärtners vergnügt hatte. Nur ihren Kopf hatte er nicht unter das Bett geschoben. Der lag in einem Koffer. Und als auch Reginald diese Welt verließ, landete sein Kopf gleich neben ihrem. Der Gärtner wars natürlich.
Der letzte Besitzer jedenfalls verschob das Bett, fand die Überreste einer vor vielen Jahren wohl verstorbenen Person, drehte durch und brachte seine Angstellten um die Ecke. Und später sich selbst. Seitdem ist hier niemand mehr eingezogen. Allerdings zog auch niemand aus. Die Angestellten sind alle hier, gehen ihrer Arbeit nach, versuchen dem Hotelbesitzer aus dem Weg zu gehen, der gänzlich ohne Verstand sein Unwesen in meinen vier Wänden treibt und dafür sorgt, dass hier keiner mehr Geld hineinstecken will. Damit bin ich zufrieden. Mir reichen die neugierigen jungen Leute, die den Abdruck der Leiche sehen wollen.
Sie sind schon ganz nahe und ich lösche ihre Lichter. Der leise Panikschrei jagt mir immer wieder eine Gänsehaut über die Kacheln. Ich liebe es. Der Hund winselt leise, weigert sich über die Schwelle zum Master-Schlafzimmer zu gehen und weiß wohl, was ihm blüht. Sobald der letzte Füß das Zimmer betritt, werde ich die Tür schließen und zeige ihnen meinen allergrößten Schatz. Den Abgrund in die Höhle, den puren Wahnsinn, die Essenz der Qualen. Ihre jungen Seelen werden mich ein paar weitere Monate nähren. Bis die nächsten kommen und die Geschichten nicht glauben wollen, die ihnen erzählt werden.

Das Haus in der Rabengasse

Still! Ich höre etwas. Gesang. Was singen sie?

„Was müssen das für Bäume sein, wo die großen

Elefanten spazieren gehen,

ohne sich zu stoßen. „

Kinder. Es sind Kinder.

Kinder habe ich hier schon lange keine mehr gesehen.

Was wollen die hier?

„Hier können wir vielleicht übernachten.“

„Aber das Haus ist dunkel!“

„Nun, vielleicht schlafen die Leute schon, oder es ist leer, dann finden wir einen Weg hinein. Auf jeden Fall haben wir für die Nacht einen trockenen Platz!“

„Ich habe aber Angst!“

Das ist gut! Es ist sogar sehr gut. Denn wer Angst hat, dem erscheint alles gefährlich. Ich werde Euch Dinge zeigen, die ihr nie gesehen habt. Das wird ein Vergnügen.

He, was rüttelt ihr an meiner Tür?

Macht sie doch einfach auf. Ach ja, ich vergaß, sie klemmt. Wir hatten schon lange keinen Besuch mehr. Nun, ich komme Euch ein wenig entgegen.

„Was ist das? Das Haus neigt sich!“

„Nein, was redest Du da! Es steht genauso da wie zuvor!“

„Aber ich hab es genau gesehen!“

„Schau doch, es hat sich nicht geändert!“

„Komisch, ich war mir ganz sicher!“

„Kommt, lasst uns reingehen. Die Tür ist offen. Vielleicht finden wir auch einen Lichtschalter!“

Licht! Oh ja. Wir haben Licht.

Nun, ihr Lieben, kommt nur, kommt. Seht diese große Tür! Öffnet sie, macht sie auf!

„Hilfe, macht die Tür zu. Der Raum ist voller Vögel!“

„Es sind Raben. Ein ganzer Raum voller Raben. Was hat das zu bedeuten?“

„Auf dem Straßenschild stand Rabengasse.“

„Ja, aber, deswegen ist es doch noch lange kein Haus für Raben!“

„Vielleicht sind sie nur in dem einen Raum, dann könnten wir in einem anderen die Nacht verbringen!“

Nun, wir werden sehen.

Hier können wir bleiben. Gemütlich ist anders, hier gibt´s keine Möbel, nicht einmal eine Sitzgelegenheit. Aber wir können unsere Rucksäcke auf den Boden legen und sie als Sitzkissen benutzen. Nehmt zuvor Eure Getränke und Speisen heraus.“

„Ich habe nichts mehr zu trinken, aber ich habe solchen Durst!“

Ach ja, nun wird es lustig. Findet das Wasser.

„Hier ist ein Wasserhahn. Ach verdammt, es kommt kein Wasser heraus.“

„In dieser Ecke ist noch einer. Pfui Teufel, was ist das?“

„Es sind Kaulquappen. Igitt. Das Wasser kann man nicht trinken! Was ist das nur für ein merkwürdiges Haus.“

Hach, nun weint er. Ja wein Du nur. Ich werde Euch alle zum Weinen bringen. Du willst nicht hierbleiben? Gehen kannst Du aber auch nicht. Hui, so viel Spaß habe ich schon lange nicht mehr gehabt.

„Komm her, wir rücken alle zusammen und teilen unser Essen und unsere Getränke gleichmäßig auf.“

Schlaues Kerlchen. Ich nehme mal an, das ist der Lehrer, und die Kleinen sind seine Schüler. Haben sich wohl verlaufen. Vielleicht kann ich ihm auch mal Beine machen. Schau nur, wie sie alle ängstlich auf den Lehrer blicken. Wetten, der hat ebenfalls Angst. Darf er natürlich nicht zeigen.

„Warum kommst Du nicht zu uns?“ „Ich kann nicht!“ „Was soll das heißen, Du kannst nicht? Kannst Du nicht oder willst Du nicht?“ „Ich kann meine Beine nicht bewegen!“ „Was redest Du da? Du bist wohl einfach nur müde. Warte, ich hole Dich!“

Tja, Mach mal. Wirst schon sehen. Jaaa, jetzt kommt das große Heulen und Zähneklappern. Jetzt merkt ihr, dass ihr festsitzt­. Auch Du, lieber Herr Lehrer. Jau, ich werde noch ein wenig stärker wackeln, mal sehen, ob sie noch lauter schreien können. Jaa, herrlich. Noch ein wenig Wind durchs offene Fenster hereinlassen. Wundervoll. Das ist großartig. Mehr davon, viel mehr.

Was ist los? Wieso hört der Sturm auf? Warum rüttelt er nicht mehr an den Mauern? Wo ist meine Zauberkraft geblieben? Oh nein, ich bin so ein Idiot. Ich habe mich selbst ausgetrickst. Ich darf doch nur von außen nass werden, nicht von innen, sonst ist es mit meiner Zauberkraft vorbei. Ich habe zu viel Sturm gemacht. Alle Fenster sind kaputtgegangen und die Dachziegel ebenfalls. Halt, bleibt hier. Ihr könnt doch nicht……Meine Raben, bleibt bei mir. Ihr könnt doch nicht einfach davonfliegen. Ihr könnt mich doch nicht alleinlassen. Bitte, ich brauche Euch doch. Mein Leben ist sonst so langweilig!

„Wollen wir versuchen, noch einen Bus nach Hause zu finden? Das Unwetter ist vorbei!“

Nein, nicht ihr auch noch. Dann habe ich gar nichts mehr.

„Schnell hinaus. Seht nur die Risse. Das Haus bricht auseinander! Oh, das war knapp. Es ist nur noch ein Trümmerhaufen!“

Mutprobe

„Lass uns wieder abhauen.“
„Damit die anderen sagen, dass wir zu feige waren? Vergiss es. Die Tür ist offen, die Fensterläden stehen sperrangelweit auf, quasi ne Einladung.“ „Na gut, aber nur kurz.“ „Hmm, nichts als Staub und Spinneweben. Mal sehen, was da oben ist.“ „Es reicht jetzt, komm da runter! Ich will hier weg.“ „Is ja gut, leuchte mal eben mit deiner Taschenlampe. Meine hat den Geist aufgegeben.“
„Mist, meine auch.“
„Hast du die Tür zugemacht?“
„Nee, ich stand doch die ganze Zeit hier.“
„Die Fensterläden scheinen auch plötzlich verrammelt zu sein. Das waren bestimmt die anderen, um uns zu ärgern.“
„Hey, Ihr da draußen! Ihr hattet euren Spaß! Macht sofort die Tür wieder auf!!“
„Den Triumpf gönnen wir denen nicht. Komm, wir gehen hoch und klettern übers Dach raus. Die werden sich wundern.“
„Ich will nicht da hoch, schon gar nicht im Dunkeln.“
„Memme. Ah, sieh mal, meine funktioniert wieder. Gehen wir.“
„Und wie kommen wir jetzt von dieser Etage aufs Dach, Sherlock? Wollen wir nicht doch lieber versuchen, die Haustür aufzubrechen?“
„Dazu müssten wir erst einmal wieder runterkommen. Die Stufen sind verschwunden.“
„HILFE!!! Ich hab` gleich gesagt, dass das eine bescheuerte Idee ist! HILFE!!“
„Jetzt beruhig dich wieder. Bestimmt nur ein Trick. Ist doch lustig, wie in einer Geisterbahn. Da hinten ist noch eine Tür, komm.“
„Ich hasse dich, ich hasse dich, ich hasse dich.“
„Wenn du unbedingt hier bleiben willst, bitte sehr. Dann gehe ich eben allein.“
„Warte! Ich würde lieber sterben, als hier zu bleiben.“

Hinter der Tür befanden sich fünf Stühle, drei davon bereits umgekippt. Über den anderen beiden baumelten perfekt geknotete Seile – noch unbemannt. Die Tür war verschwunden.

Willkommen in Nefarious Nook.

Die Nacht ist wunderschön. Kalt, oben sternenklar und unten um mich herum webt sich sanft der Nebel. Ich genieße diese Ruhe, bevor sich in den Tiefen meinen Mauern die dunklen Wesen erheben. Lausche den wehenden Ästen der um mich herumstehenden Bäume und das rege treiben der Fledermäuse. Ein sanften Beben lass ich durch meine Mauern wandern, welches die Dielen sanft zum knarzen bringt und ein erstes Treiben im inneren spürbar wird. Seit Jahren bin ich der Zufluchtsort für die Wesen der Nacht, sie kamen und versorgten meine Wunden so gut es ging. Aus meinen einst maroden Zustand, voller Schmerz durch Risse im Mauerwerk, abgerissene Fensterläden und Löcher in meinem prächtigen Dächerhaupt. Sie machten aus mir eine wunderschöne Festung der Finsternis und als Dank bin ich der Rückzugsort den sie brauchen, das Zuhause mit den Spezialeffekten.
Meine friedliches in Erinnerung schwelgen, wird je gestört als ich aus dem Wald Stimmengewirr vernahm. Fünf Menschen traten aus dem Schatten heraus und steuerten mit Entschlossener Miene auf meine prachtvolle Eingangstür zu, diese ich nur zu gern für Sie öffnete. Ihr ahnt sicher schon, dass sie einfach hineintraten. Nagut, sie wollten meine Geheimnisse ergründen? Mal sehn wie lange sie durchhielten.
Ich schlug meine Tür zu und ließ gleichzeitig die mächtige Standuhr im großen Saal ertönen. Ach, endlich eine Regung dieser Narren, wenn auch nur ein kurzes zucken. Sie schritten weiter den Flur entlang und erklommen die Treppe in das Obergeschoss, Richtung Ostflüge. Dort zierten prunkvolle Ritterrüstungen und alte Gemälde die Wände, diese nun meine Gäste beobachteten. Meine Lichter ließ ich flackern, die Dielen knarzen und den Boden beben, ein Gemälde rutschte von der Wand. Ich hörte sie flüstern, gleich kommt das Finale. Werden sie weiter gehen oder die Flucht ergreifen?
Als die eins der Bäder erreichten ließ ich die Wasserspiele beginnen, über Ihnen hörten sie Ketten über den Boden scharren und ein Schrei ertönte. Es folgte das erwünschte trampeln Ihrer Schritte die den Rückzug antraten und kurz darauf im Wald wieder verschwanden.
Meine Mauern bebten, was einem Lachen gleich kam. Eigentlich schade, dass auch diese „Abenteurer“ wieder nicht länger durchhielten, aber ich werde noch viele Nächte hier sein. Und die nächsten Neugierigen Narren mit Vergnügen Willkommen heißen.

Du bleibst HIER

Es ist tiefe Nacht, eine kleine Gruppe nähert sich dem alten verlassenden Anwesen,
auf dessen Ziegel und Dielen zwei Jahrhunderte tragische Geschichten lasten.
Quietschend öffnen sie das alte Eisentor.
Der Vollmond wirft ein schwaches Licht auf den sich auftuenden Weg,
der sich durch dichte, alte Bäume schlängelt, deren Äste wie knöcherne Finger wirken.
Das Knirschen von trockenem Laub unter ihren Schritten dringt durch die Stille.

Sie kommen. Ein erneuter Versuch dich zu finden.
Doch ich werde dich nicht preisgeben.
Sie werden scheitern, wie auch alle anderen, die es versucht haben.
Nie wieder werde ich die Qual der Einsamkeit in meinem alten Gemäuer ertragen.
Du bleibst HIER!“

Sechs Monate zuvor:

Es ist ein sonniger Herbsttag, die mächtigen Bäume des Rabenwegs haben die Straße mit bunten Blättern bedeckt. Ein Mädchen das fröhlich mit rutschenden Schritten das Laub vor sich herschiebt, nähert sich dem alten Anwesen.
Begleitet wird sie von einem kleinen Hund,
der freudig springend und bellend neben ihr herläuft.

„Lauf nicht so weit vor, Lea!“ ruft die Mutter,
die Hand in Hand mit Paul, ihrem Mann, folgt.
Lea bleibt direkt vor dem Tor des verlassenen Anwesens stehen, um zu warten.

"Franzi sitz“ fordert Lea ihren Hund auf, doch der denkt gar nicht daran.
Franzi zwängt sich durch die verschnörkelten Gitter des alten Eisentores und läuft bellend den verwilderten Pfad zum Anwesen hinauf, außer Sichtweite von Lea.

„Franzi, F r a n z i!“ ruft Lea, doch der Hund bleibt verschwunden.
Mit aller Kraft schiebt Lea das schwere Tor einen Spalt auf und läuft Franzi hinterher.
"Lea, warte“, ruft Paul, „ich hole nur Franzi“, antwortete Lea und läuft weiter.
Paul wollte Lea folgen, aber Fenja, hält seine Hand fest und zieht ihn zu sich herüber.
„Hey, vertrau ihr“, sagt sie,
zieht ihn noch näher an sich ran und gibt ihm einen langen Kuss.

  • Mein inneres bebt vor Vorfreude, als ich das ahnungslose Mädchen näherkommen sehe. Ich öffne die Eingangstür nur einen Spalt. Ich kann die Neugierde in den Augen sehen, als sie langsam nähertritt und vorsichtig die Tür weiter aufstößt. „Franzi….?“

Geheimnis

Die Luft riecht nach Zuckerrüben, Tag und Nacht. Tagsüber sieht man die Bäume kaum, der Nebel hüllt alles in sein Gewand. Das ist die Zeit, in der sie wieder kommen, Jahr für Jahr, seit dem neunzehnten Jahrhundert. Meistens Jugendliche, die den Reiz des Dunklen suchen. Diese Menschen bekommen immer im Herbst so eine Sehnsucht nach Nervenkitzel. Liegt es an den kürzer werdenden Tagen, oder an den Mythen, die sich rumsprechen. Seit vielen Jahren halten sich die Gerüchte, dass auf meinem Grundstück Unheimliches passiert, doch ich sorge dafür, dass nie einer erfahren wird, was hier los ist.
Dieses Mal sind es fünf junge Erwachsene mit verschiedenen Rucksäcken. Mit dieser Ausstattung stellen sie klar, dass sie bleiben, bis sie Klarheit haben. Doch bisher konnte ich jeden in die Flucht schlagen, bevor er die Wahrheit erfährt.
Das Grundstück ist angelegt, wie ein imposanter Friedhof, mit einem weitläufigen und zu meist zugewachsenen Vorgarten und sieben Gruften. Auf meiner Rückseite findet sich ein großer Steinbogen, tritt man durch diesen, ist der Garten von diversen Wegen gesäumt, welche durch Rosenspaliere getrennt werden. Doch da sind keine Blüten, nur unzählige Dornen und graugrüne Blätter. Sie scheinen nie zu blühen oder zu welken.
Die fünf Leute laufen langsam durch den Vorgarten, sie kommen direkt auf mich zu, sie haben sich abgesprochen, wie sie vorgehen werden, das sieht man ihnen an. Sie waren aber noch nie hier, ich vergesse keine Gesichter. Doch in der heutigen Zeit nutzen sie ja gerne die Medien zur Vorbereitung von ihren Expeditionen. Eine seltsame Epoche, in der man Ortsbegehungen plant, ohne diese Orte zu kennen. Nervös schauen sie sich um. Welche der Geschichten sie wohl gehört haben? Sind sie hier, um deren Echtheit zu beweisen? Es sind tragische, unheimliche und absolut verstörende Begebenheiten, die sich die Menschen über diesen Ort erzählen. Doch die Wahrheit hüte ich wie ein Schatz, mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Bis heute hat noch keiner tatsächlich herausgefunden, was ich verberge.
Die Türen sind verschlossen, für jeden Schlüssel, jedes Brecheisen, jeden Rammbock. Ich halte sie so fest geschlossen, dass niemand sie öffnen wird, wenn es nicht gewünscht wird, von meinem Herren, denn ihm gilt mein ewiger Schutz. Sogar die Fensterläden sind so sicher verriegelt. Eine Abrissfirma hat versucht, eine Abrisskugel gegen mich zu verwenden, danach mussten sie den Kran mit einem Spezialfahrzeug abfahren, der Arm ist gebrochen, die Kugel wurde in Einzelteile zerlegt. Auch diese fünf Leute werden unverrichteter Dinge wieder gehen, versprochen.

Ein Euro - Haus

Die Treppe knirschte. Die Türzarge auch.
– Hallo, altes Haus! – rief Snježana in das leere Haus.
Aus dem Haus kam ein leises Quietschen.
– Ja, ich kenne dieses Geräusch, der Wind hat eine Tür bewegt. – sagte Snježana halblaut.
Die Eingangstür quietschte noch mal und ging zu.
– Wie immer! – lachte Snježana.
– Du warst lange nicht hier. Erzähl mal, was ist passiert? Haben die Kinder in der Schule dich wieder geärgert und dich Schneewittchen genannt? Nein? Hast du die Hausaufgabe nicht geschrieben und Ärger bekommen, von der Lehrerin und danach von deiner Mutter? Auch nicht? Warte mal, ich bin in der falschen Zeit geblieben. Hat diese Kuh, Lena, versucht deinen Freund, Nico, zu erobern? Auch nicht?

Snježana schüttelte ihr Kopf.

– Hast du eine gute oder eine schlechte Nachricht für mich? Hat mich wieder jemand gekauft, den wir heraus spuken müssen?

-– Nein! – lachte Snježana – bis heute hast du immer mir geholfen, wenn ich mich über etwas geärgert habe, wenn mir jemand weh getan hat, oder ich mich einsam fühlte. Ich bin zu dir gekommen, habe mich hier auf diese Schwelle zur Küche hingesetzt und es ging mir gleich besser. Und jetzt möchte ich, dass es auch dir gut geht. Ich werde deine Fenster und Türen reparieren und streichen, deine Böden schrubben, deine Wände in Weiß malern. Ab jetzt soll es dir auch gut gehen. Es soll uns beiden gut gehen, ab jetzt.

– Wie bist du auf die Idee gekommen, dass es mir nicht gut geht?
– Ich habe im Stadtarchiv auf den Fotos gesehen, wie du früher ausgesehen hast.
– Das war mal.
– Ich werde dich wieder so schön machen, wie damals, einverstanden? Und ich werde hier einziehen und hier wohnen, was sagst du dazu?
– Wenn es dir dabei gut geht, wieso nicht? Die Farbe an den Wänden aufzufrischen, die Last des alten Staubes loszuwerden, tut mir bestimmt gut. Schaffst du es, diese hässlichen Graffitis zu beseitigen, diese Tattoos, die der Regen nicht abwaschen kann?
– Na klar, warte mal ab. Wo soll ich anfangen?


– Da wohnt doch jemand?
– Hast du das nicht mitbekommen, dass Snježana aus dem Stadtarchiv, die Schneewittchen, das Haus von Martin für einen Euro abgekauft hat? Letzten Herbst.
– Nein, das wusste ich nicht. Das Haus sieht jetzt gut aus, sehr gut sogar! Es gefällt mir!
– Nico, hast du dir damals die Geister ausgedacht?
– Hör endlich damit auf, Lena!

Das alte Haus

Die letzten Sonnenstrahlen sind hinterm Horizont verschwunden und die Dunkelheit der Nacht bricht herein. Der kalte Wind pfeift in dieser Herbstnacht über mein altes löchriges Dach und klappert dabei an meinen teilweisenden schiefhängenden Fensterläden. Doch was sehe ich am Eingangstor, Menschen. Hier waren schon lange keine Menschen mehr gewesen. Was wollen sie hier? Ich sehe das sie langsam im Licht ihrer Taschenlampen in Richtung Haustür gehen. Es quietscht und die Gruppe, von den Schuhen her würde ich sagen junge Leute, betreten meinen Flur. Es fühlt sich gut an, ungewohnt aber gut, dass hier wieder jemand über meine alten Holzdielen läuft. Sind dies Geisterjäger? Oder wollen sie mir schmerzen zufügen? Ich hoffe so, dass sie nichts kaputt machen. Und plötzlich ist es geschehen, die untere Stufe der Treppe ist gebrochen. Aua das tut weh. Bitte fügt mir nicht noch mehr Schmerzen zu. Ich merke ein Kitzeln auf der Treppe zum Obergeschoss, sie laufen hoch. Ich bin gespannt was sie dort wollen. Sie reden leise miteinander, wenn ich sie nur hören könnte was sie sagen. Ach was bin ich aufgeregt. Sie kitzeln mich an Türen, schauen aus den alten dreckigen Fenstern und tuscheln die ganze Zeit miteinander. Plötzlich höre ich ein jubeln gefolgt von klatschen meiner Gäste. Was ist passiert? Warum jubeln sie so? Was ist nun? Zwei von Ihnen Unterschreiben einen Zettel, welcher der alte Mann ihnen hinhält. Ich sehe ihn ihren Gesichtern Freude und Erleichterung. Mit strahlenden Augen verlassen sie mich.

DIe TÜR in mir

Erwachen! Endlich Erwachen! Gefühlt habe ich Jahrhunderte geschlafen, habe die Zeit in einem Dämmerzustand verbracht. Ich öffne mich und lausche mit allen Sinnen in die Nacht, denn noch ist mir nicht ganz klar was mich aus meinem Schlaf gerissen hat. Doch da ist es wieder, leise höre ich die mir wohlbekannte, aber schon fast vergessene Melodie. Erst einzelne Laute aus der Ferne und dann, beim Näherkommen den vertrauten, aber langvermissten Singsang von Stimmen, menschlichen Stimmen. Schnell, schnell ich muss mich vorbereiten. Es ist an der Zeit die Gäste standesgemäß willkommen zu heißen, ihnen ein wohlgediegenes Nachtlager zu bereiten. Ich muss mich noch herausputzen, um in meinem alten Glanz zu erstrahlen.
Die Uhr in meinem Wohnzimmer zeigt fünf vor zwölf. Ich frage mich was die Gruppe wohl um diese Zeit hierher führt. Aber mir kann es egal sein. Schnell gebe ich den Spinnen die Anweisung ihre Netze kunstvoller zu spinnen, den Mardern auf dem Speicher den Befehl mit allen Kräften für ihre Schau zu proben. Mäuse und Ratten versetze ich in Bereitschaft, damit der Empfang den neuen Gästen würdig ist. Immerhin sind sie dafür verantwortlich, diese sicher durch mich zu führen und ihnen alle in mir wohnenden Annehmlichkeiten zu offerieren. Tausende Glühwürmchen kreisen leuchtend auf meinem Geheiß um mich und die Irrlichter im nahegelegenen Sumpf glühen und tauchen die Umgebung in einen zwielichtigen Schein. Dann richte ich schnell noch meine Efeuranken und wilden Rosen. Ich bin bereit.
Halt, aber da ist ja noch die TÜR. Diese darf von den neuen Besuchern nicht entdeckt werden, denn dunkel schwant mir, dass ihr Öffnen bei den letzten Besuchen alles veränderte. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern warum. Was der Grund war und was geschehen ist. Darum ihr Mäuse schnell einen Wandbehang darüber. Geschafft, gerade noch rechtzeitig, denn die Melodie der Stimmen wird lauter. Mittlerweile kann ich einzelne Laute heraushören. Ah, die Frau heißt wohl Tina. Schön sieht diese Tina aus. Lange dunkle Haare umspielen ein ebenes aber interessantes Gesicht. Ihre Begleiter, zwei an der Zahl unterhalten sich gedämpft. Worte wie ‚gruselig‘, ‚lang verlassen‘ und ‚geheimnisvoll‘ treffen mich. Ich frage mich worüber sie sich wohl unterhalten.
Tina dagegen schaut sich wachsam um. Ihr scheint nichts zu entgehen. Sie deutet auf meine Glühwürmchenparade. Ich fühle mich sehr geehrt, dass sie jetzt auch die anderen darauf aufmerksam macht. Nur ihren Gesichtsaudruck kann ich nicht richtig deuten. Warum schaut sie jetzt so nervös, als ob sie auf irgendetwas wartet, was plötzlich geschehen könnte? Was soll schon passieren? Eure Betten sind gerichtet. Das Essen steht bereit. Die Mäuse und Ratten warten auf ihren Einsatz. Ich weiß nicht was sie so auf der Hut sein lässt.
Egal die Gruppe steht jetzt vor meiner Eingangsür. Diese habe ich wohlweislich weit geöffnet. Die Mäuse haben rechtzeitig den großen Kerzenleuchter entzündet und das Kaminfeuer entfacht. Ja, muss ich wieder Mal feststellen, trotz meiner über zweihundert Jahre, sehe ich auch innen noch sehr manierlich aus. Doch halt was ist das. Die Gruppe weicht ein paar Meter zurück. Es sieht aus, als ob sie vorhaben mich allein zu lassen. Hät ich mich doch nur auf ihre Stimmen konzentriert, anstatt meinen Gedanken nachzuhängen. Es darf nicht sein , dass sie gehen. Was mach ich nur. Ah, die Fledermäuse. Das hat bis dato jeder Gruppe gefallen. Mit einem lautem Schrei stürmt die Gruppe in mich hinein und füllt meinen Raum. Schnell schließe ich den Eingang. Tina fährt entsetzt herum und ruft irgendetwas wie ‚wir sind gefangen‘. Nein Tina ein Mißverständnis, nicht wegen euch, aber hast Du schonmal eine Horde Fledermäuse in Dir gehabt? Den Dreck bekommst Du nicht so schnell wieder weg, auch wenn sie wahrhaftig süß aussehen.
Langsam bewegen sie sich nun in mir. Die Mäuse und Ratten begleiten sie auf Schritt und Tritt. Leider werden sie von der Gruppe nicht als ehrvolle Begleitung angesehen, schade. Nach mehreren ‚Ahs und Ohs‘, ‚seid vorsichtig‘ und ‚bleibt zusammen‘ stehen sie jetzt im Eßzimmer. Auch ihr haben die kleinen Nager für Wohlfühlatmosphäre gesorgt. Der Tisch ist liebevoll gedeckt, die Kerzen brennen, das Feuer lodert.
Warum wendet sich Tina aber jetzt plötzlich ab vom Tisch. Sie zeigt den anderen etwas auf diesem. Noch kann ich es nicht genau erkennen. Sie sagt etwas wie, ‚alles verschimmelt‘, ‚liegt schon länger‘, ‚ungenießbar‘ und sie wolle schnellstmöglich aus mir raus. Tina, sage ich zu mir, nein das geht nicht. Euer Lager ist gerichtet und draußen ist es Nacht. Ihr müsst unbedingt bleiben. Und die Speißen, na sie waren beim letzten Besuch auch so ansehnlich wie jetzt und haben wohl allen gemundet, glaube ich zu noch wissen. Ganz sicher bin ich mir nicht, da mein Erinnerungsvermögen nicht das Beste ist.
Jetzt versucht Tina die Eingangstür zu öffnen. Ich darf mich wirklich nicht zu sehr selbst ablenken. Wie sind sie nur so schnell wieder in das Vestibül gelangt. Nager, ihr müsst eure Aufgaben gewissenhafter erfüllen, die Gruppe solltet ihr zu den Nachtgemächern führen.
Tina rüttelt immer noch an der Tür. Bis sie einer ihrer Begleiter wegzieht. Worte wie ‚anderen Ausgang suchen‘, ‚Gefahr‘ und ‚schnelles Verlassen‘ fallen. Die Gruppe macht sich in mir wieder auf den Weg und scheint etwas zu suchen. Dabei habe ich doch alles verschlossen. Einer rüttelt an einem Fensterladen, der andere sucht die Wände ab. Aber nein, nicht die Wände. Da ist SIE, die TÜR. Es darf nicht sein dass ihr diese findet, Unheil verheißt sie. Ich weiß zwar immer noch nicht was sie verbirgt. Aber langsam habe ich eine Ahnung. Die Erinnerungslücken füllen sich. Dunkelheit, sehe ich, Blitze und Schreie hallen in mir wieder. Aber warum? Halt weg von dem Wandbehang. Hebt ihn nicht an. Wieder habe ich mich ablenken lassen. Jetzt steht die Gruppe genau vor der verdeckten TÜR. Einer von Tinas Begleitern streckt schon die Hand nach dem Behang aus. Schnell lasse ich die Marder ihr Schau aufführen. Das lenkt die Gruppe ab. Erschrocken drehen sie sich um und versuchen die Ursache zu finden. Die Marder leisten ganze Arbeit. Tina schaut zur Decke und sagt etwas. Daraufhin begeben sie sich zur Speichertür. Sanft lasse ich sie aufschwingen, nur weg mit ihnen von der TÜR. Doch auch hier scheine ich mich verrechnet zu haben. Gerade die einladende Geste, scheint auf sie nicht als solche zu wirken. Sie weichen eher erschrocken zurück. Wenn sie aber wüßten wie schön die Schau der Marder ist, würden sie gewiß die schmale Treppe hinaufstürmen. Auch die Vorhänge, gewebt von meinen Spinnen, sehen sehr kunstvoll aus. Aber nein, die Gruppe weicht zurück und sucht weiter einen Weg aus mir heraus. Enttäuscht schließe ich die Speichertür mit einem Ruck. Erschrocken drehen sich die drei um. Jetzt sehe ich etwas wie Panik in ihren Gesichtern aufsteigen. Und wieder füllt sich eine Lücke in mir. Diese Ausdrücke habe ich schon einmal, oder mehrmals, ich weiß es nicht mehr genau, wahrgenommen. Ich kann es jetzt schon spüren, was sich wandelte, nach dem öffnen der TÜR. Noch ist es nicht richtig greifbar, aber auch in mir breitet sich ein Unbehagen aus.
Mittlerweile stehen sie wieder vor diesem Wandbehang. Ich frage mich langsam warum gerade dieser. In mir gibt es viele von ihnen, denn fast alle Wände sind mit ihnen verziert. Ich muss diesen mir mal näher anschauen. Oh nein, auf dem Wandbehang ist eine geöffnete Tür abgebildet. Sie scheint ins Leere zu führen. Was haben die Mäuse sich dabei gedacht gearde diesen über SIE zu hängen? Später werde ich die Mäuse zur Rede stellen müssen. Wichtig ist erstmal ein neues Ablenkungsmanöver, denn irgendetwas in mir schreit, dass sie die TÜR nicht finden dürfen.
Pah,ich war zu lang in meinen Gedanken. Tina hat den Behang beiseite geschoben und weißt die anderen auf die TÜR hin. Bitte nicht öffnen Tina, bitte nicht. Flehe ich sie stumm an. Ich muss noch ein Ablenkunsmanöver inszinieren, bloß was? Jetzt habe auch ich ein Gefühl von Herzensangst. Was soll ich tun? Da fällt mir etwas ein. Schnell lasse ich meine Spinnen ein enges Netz spinnen. Die Mäuse werfen es über die Gruppe, gerettet! Schreie tönen durch mich. Ja Tina tut mir leid, aber es musste sein, aber die TÜR ist kein Weg für euch. Es dient nur zu eurem Schutz. Oh, da habe ich wieder vergessen, dass mich keiner aus der Gruppe hören kann und meine Gedanken ohne Widerhall verloren gehen. Und ich muss wirklich im Hier sein. Unterdessen hat einer der Begleiter mit einem Taschenmesser ein Loch in das Netz geschnitten. Dies gelang ihm zu schnell, denn die Nager waren noch nicht dazu gekommen das Netz samt des zappelenden Inhaltes in die Schlafgemächer zu bringen. Schon schaut eine Hand hervor und nach und nach kriecht die Gruppe erschöpft heraus. Auch dieses Manöver war also nicht von langer Dauer. Mit ängstlichen, aber auch entschlossenen Gesichtern steht die Gruppe wieder vor dem Behang. Tina hebt ihre Hand und mit einem Ruck reißt sie den Behang hinunter.
Nein, nein tu es nicht. Doch zu spät. Tina flüstert etwas wie ‚ein Ausgang‘, einer ruft ‚schnell raus hier‘. Weiter kann ich nicht folgen. Die Woge meiner Erinnerung schlägt mit geballter Kraft über mir zusammen. Und plötzlich sehe ich alles wieder vor mir. Die TÜR öffnet sich und die Menschen gehen hinein. Manche mit freudigen Gesichtern, manche haben entstellte und wutverzerrte. Einige laufen schnell durch die TÜR, andere setzen zögernd erst einen Schritt und dann den nächsten durch SIE hindurch. Einige schrein und toben, versuchen sich gegen etwas zu wehren, andere ziehen singend und lachend. Oh, wie viele es waren in den letzten zweihundert Jahren, zu viele. Und keiner kam je zurück.
Ein dumpfer Knall weckt mich aus meinen Erinnerungen. Erschrocken sehe ich mich um, die Gruppe ist verschwunden und ich bin wieder allein. Die TÜR geschlossen. Der Wandbehang liegt auf dem Boden. Die Mäuse und Ratten versuchen ihn wieder an Ort und Stelle zu hieven. Auch diese Gruppe ist den Weg durch SIE gegangen. Ich bin sehr trauig. Ich befehle den Nager den Tisch abzuräumen und die Kerzen zu löschen. Glühwürmchen und Spinnen schicke ich nach Hause. Die Irrlichter verlöschen und auch die Marder begeben sich zur Ruhe.
Der Dämmerzustand umfängt mich wieder. Nun heißt es für mich wieder warten, endloses einsames warten, bis ich wieder die vertraute Melodie höre und mir eine neue Chance aufgetan wird.

Fia

Ich bin ein Haus, ein Geisterhaus!
Vor langer Zeit lebte eine Frau in mir. Damals war ich ein Teil von einem Dorf. Viele Familien wohnten dort und obwohl ich äußerst groß und geräumig bin, residierte nur diese Dame in mir.
Sie liebte Kinder, doch hatte nie eigene. Deshalb machte sie es sich zur Aufgabe, die Kleinen aus dem Ort zu beschützen. Alle Mittel waren ihr recht. Alle!
In nur einem Jahr wurde sie zu einer Serienmörderin.
Eltern, die ihre Nachkommen misshandelten, wurden nie wieder gesehen und ich fand heraus, dass Leichen im Stande sind zu brennen.
Ihre Morde kamen ans Tageslicht und sie bezahlte mit ihrem Leben. Nun ist sie dazu verdammt in mir zu spuken.
Sie darf erst in das Jenseits gehen, nachdem sie einem Menschen geholfen hat.
In den Jahren hat sie vieles versucht, um ins Reich der Toten zu kommen, doch nichts hat funktioniert. Nur eine Möglichkeit bleibt: Sie muss jemandem das Leben retten und ich werde ihr dabei helfen!

Wie so oft sitzt meine Besitzerin auf meinem Dach und sieht in den Wald, der uns umgibt. Erahnen tut sie nichts, doch ich kann es spüren, bald wird sie ins Jenseits übergehen können.
Vorsichtig schwebt die Dame zurück in ihr Zimmer.
Ich fühle, wie das Tor zu meinen Garten geöffnet wird. Durch ein Fenster sehe ich, dass drei Jugendliche unerlaubt eindringen, zwei Kerle und ein Mädchen.
Der kleine Junge mit den rotgefärbten Haaren fragt: „Meint ihr, das ist wirklich eine gute Idee? Was, wenn etwas passiert?“
Das große, brünette Mädchen kichert und sagt: „Seit wann bist du denn ein Angsthase, Leon?“
Leon wirft ihr einen bösen Blick zu: „Ich habe keine Angst wegen den Gerüchten, aber guck dir das Haus doch mal an. Es ist so alt! Was ist, wenn etwas einbricht und wir dann Hilfe brauchen? Hier draußen ist kein Empfang, Marie!“
Während des Gesprächs öffnen sie die große Eingangstür und treten ein. „Das Haus wird so schnell nicht einbrechen, macht euch da mal keine Sorgen!“
Die drei zucken zusammen, als sie meine Besitzerin auf den Treppen in der Eingangshalle sehen. Ihre bleiche Haut wirkt wie aus einem Horrorfilm geschnitten.
„Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“, der blonde Junge spricht, seine Stimme voller Müdigkeit. Es ist offensichtlich, dass er Aufpasser für die beiden spielte.
„Paul! Du kannst das doch nicht einfach so fragen!“, zischte Marie.
„Keine Sorge ich bin nicht beleidigt oder so. Mein Name ist Fia und ich bin schon eine Weile hier.“
Sie lächelt und begibt sich die Treppenstufen hinunter. „Das Haus ist in gutem Zustand, es wird nicht zusammenbrechen. Allerdings können sich manche Sachen lockern, also seid vorsichtig.“
„Wie alt sind Sie denn?“, fragt Marie.
„Duze mich ruhig. Ich bin 21 Jahre alt.“
„Cool wir sind 17.“, Paul klingt gelassen und aufgeweckter als vorhin.
„Ich bin Marie und das sind Paul und Leon! Hast du das ganze Haus schon erkundet, Fia?“, fragt sie neugierig.
Anscheinend ist sie die Mutigste der Truppe.
„Nein, warum?“
„Willst du mit uns das Ganze hier erkunden?“, Leon schien zu wissen, was Marie sagen wollte.
„Klar! Ich habe sowieso nichts besseres zu tun.“
Die drei Jugendlichen sind die perfekten Helfer! Jung und naiv, es wird nicht schwer sein, sie in Lebensgefahr zu bringen und meine schwarzhaarige Besitzerin zu erlösen.

Nachdem sie die Treppe hochgestiegen sind, öffnet Paul eine Tür und alle gehen hindurch. Es ist der Spiegelsaal. Er ist rund und der Boden kann sich bewegen.
Ich stelle die Musik für den Raum an und lasse die Scheibe drehen. Die Jugendlichen erschrecken und fangen an, herum zu rufen.
Paul und Marie gucken durch die Spiegel nach Fia. Sie erkennen Fia, blutunterlaufen mit einem Messer in der Hand und dem gruseligsten Lächeln, das sie je gesehen haben. Geister sehen in Spiegeln immer wie eine ihrer Erinnerungen aus.
Ich sorge dafür, dass der Boden sich schneller dreht, während Marie und Paul einen erschrockenen Schrei rauslassen. Leon und Marie werden gegen die Spiegel geschleudert, nur Paul und Fia können sich halten.
Zwei meiner wunderschönen Spiegel brechen und das Glas fliegt durch den Saal.
Die Splitter fliegen auf Paul zu und schneiden ihn, während sie durch Fia durchfliegen. Ein schmerzerfüllter Schrei erfüllt die Halle und alle drei Jugendlichen sind schockiert.
Ich stoppe die Drehung und Marie übergibt sich. Nur Leon und Fia sind in Ordnung. Als Fia versucht, die Scherben aus Pauls Haut zu zupfen, rennt Leon zur Tür und öffnet diese. Doch sie führt nur tiefer in mich hinein.
Sie haben keine andere Wahl: Wenn sie einen Ausgang finden wollen, müssen sie weitergehen.
Nach einer Weile, in meinen Fluren, fängt Marie an zu reden: „Ich kann nicht mehr! Sobald wir einen Ausgang finden, geh ich nach Hause und nehme Schlaftabletten!“
Mittlerweile ist sie leicht grün im Gesicht und sie kamen immer näher an den Hinterausgang.
„Keine Sorge Marie! Wir gehen so schnell wie möglich zu unserer WG und verbarrikadieren uns!“, sagt Leon.
Ungefähr zehn Minuten später befinden sie sich in meiner Bibliothek. Der Hinterausgang ist auf der anderen Seite des Raumes.

Sie bewegen sich langsam zwischen den Schränken hindurch. Der Abstand zwischen ihnen ist so klein, dass sie hintereinanderlaufen müssen.
Paul und Marie sind schon draußen, als ich eines der Regale ins Schwanken bringe.
Fia merkt dies und schubst Leon nach vorne. Gerade noch rechtzeitig, sonst hätte ihn der Schrank erschlagen.
Fia ist nun frei.
Die drei Jugendliche rufen noch für eine Weile nach ihr, bis sie die Angst überkommt und sie nach Hause rennen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Fias Ketten sind gelöst und sie ist nicht länger an mich und die Welt der Lebenden gebunden. Warum sie den anderen zusieht und nicht verschwindet, ist nicht mehr meine Sache.

Das Haus am Rabenweg

Das Haus am Rabenweg

Müde bin ich, hier am Ende des Rabenweges. Meine Steine schmerzen und oft ist mir so kalt, wenn der Wind durch mein altes Gemäuer zieht. Meine Zimmer und Flure sind mit Laub bedeckt. Und dann all das Krabbelgetier, und manchmal, wenn ich niese, fallen ein paar Steine aus mir. Der Dachstuhl wird von meinen Freunden den Fledermäusen beherbergt. So wie ich lieben sie die Dunkelheit und die Stille.

Nur den Grafen und die Gräfin lasse ich des Nachts in meinen Räumen herumgeistern. Und dann ist da noch der knirschende Paternoster mit seinem maserigen dunklen Holz und der unverwüstlichen Mechanik. Er macht so herrliche Klänge, wenn er den rauen Schacht entlangfährt und dabei sein altes Holz an meinem Gemäuer reibt.

Das Problem mit den Besuchern konnte ich bisher nicht lösen. Einerseits bereiten sie mir Vergnügen, andererseits stören sie mich oft.

Wenn man vom Teufel spricht, da kommen doch wieder ein paar Menschlein.

„Helmut schau doch mal, das hier könnte es sein!“ „Ja schon, aber auf der Karte sind nur Grundmauern eingezeichnet und nicht ein ganzes Gehöft“. „Ist doch supi“, lacht der Dritte im Bunde, er heißt Peter, ist sehr muskulös, hat rote Pausbacken und einen Schalk in den Augen. Er scheint der Trainierteste von ihnen zu sein. Die Frau, Claudia, ähnelt meiner verstorbenen Gräfin, sie hat auch diese Figur, nach der sich die Männer umdrehen und dann ist da ihr Freund Helmut , der so seriös gekleidet ist und so intellektuell in die Welt schaut. Ja, Helmut hat etwas vom seligen Grafen, ein bisschen spröde und weltfremd, aber belesen. Na, mal sehen …

Während Helmut seine Karte studiert, ist Peter an meinem Tor und rüttelt an der Klinke. Zack, da hält er sie in der Hand und schaut verwundert, dann fängt er unbändig an zu lachen. Helmut ist sofort irritiert „Wie kommen wir da jetzt hinein?“. Nichts leichter als das, ich lasse das Tor aufschwingen, Blätter und ein kalter Hauch aus dem großen Flur bekommen die drei gratis von mir. Sie sehen sich an und sind einen Augenblick wie gelähmt, dann treten sie ein. Ja, es ist hier kalt und dunkel, Helmut hat sofort seine Taschenlampe in der Hand und leuchtet die alte morsche Treppe hinauf, die sich in einer eleganten bequemen Wendel in den ersten und zweiten Stock schraubt. „Hui, das ist hier drinnen ja wesentlich größer, als es von außen scheint“, Claudia ist beeindruckt, als Innenarchitektin hat sie einen professionellen Blick für Gebäude und Innenräume. Peter steht schon an der Treppe, doch Helmut hält ihn zurück: „Warte, das scheint mir alles völlig brüchig zu sein“. Peter sieht sich um und entdeckt den Paternoster: „Das glaub ich jetzt nicht“. Claudia runzelt die Stirn „der passt doch gar nicht in die Zeit dieses Anwesens“. Dann entdeckt Helmut den Knopf in der Wand und drückt ihn. Und sofort lasse ich meinen alten Freund den Paternoster mit einem Stöhnen und Knirschen sich langsam in Bewegung setzen. Den dreien wird sichtlich unheimlich und sie sparen sich endlich ihre schlauen Kommentare. „Ich weiß nicht, sollen wir einsteigen?“, Peter zögert und sieht die beiden an. Claudia und Helmut sind unentschlossen. Ich merke, wie es in ihnen kämpft, aber dann siegt die Neugier und sie springen nacheinander in den Paternoster. Und damit habe ich sie! Ich lasse sie in der vermeintlichen dritten Etage aussteigen und dann erleben sie ihr blaues Wunder: Sie stehen oben auf der Dachbalustrade und sehen in eine tiefe Schlucht, die sie bei ihrer Ankunft nicht bemerkt hatten. Da existierte sie auch noch gar nicht … Den dreien stellen sich die Nackenhaare auf. Plötzlich wird Peter übel und er erbricht sich über die Balustrade. Claudia klappert so laut mit den Zähnen, dass Helmut seinen Arm um sie legt. Er selbst sieht reichlich blass aus aber hält sich tapfer. Vor lauter Freude über die blöden Gesichter lasse ich den Paternoster rückwärts fahren und meine Wände entlang schraben, was einen herrlich entsetzten Ausdruck auf die Gesichter der drei zaubert.

„Wir müssen hier weg“ flüstert Peter, nachdem er sich den Mund abgewischt hat. „Ach, hat der Herr jetzt Angst bekommen“ fragt Claudia schnippisch. Peter grummelt irgendetwas in seinen Bart. Helmut schüttelt den Kopf: „ Ich will wissen, was hier los ist“ Claudia lächelt „ich bin dabei!“. Peter hat sich wieder ein gekriegt und überspielt sein mulmiges Gefühl: „OK wir lassen uns doch nicht von diesem Häuschen ins Boxhorn jagen!“. Damit haben sie sich entschlossen, bei mir zu bleiben, das verspricht einen aufregenden Abend. Ich lasse ein kleines Stöhnen durch meine Mauern schallen. Da zucken die drei schon wieder zusammen. „So ganz geheuer ist es mir hier nicht. Aber los, wir nehmen das Haus jetzt genauer unter die Lupe“ meint Helmut. Peter ist voll in seinem Element: „Ihr könnt ja die Treppe testen, ich schaue mir noch mal den Paternoster an“. Damit springt er schon hinein und verschwindet.

Ich lasse ihn ohne Zwischenfälle wieder ins Erdgeschoss fahren. Er sieht sich um und entdeckt den Kamin. Ja, Peter da liegt Brennholz. Als er in den Rauchfang hoch blickt, empfängt ihn meine Freundin die Eule und zerkratzt ihm das Gesicht. Peter schleudert die Eule von sich. Er blutet und schreit, doch die Eule hat sich schnell in Sicherheit gebracht. Ach, armer Peter. Er rennt auf den Hof, um sich am Brunnen zu waschen. Doch in seiner Hast verheddert er sich in der Eimerkette und so habe ich leichtes Spiel mit ihm. Hoppla, da war ja tiefes Wasser im Brunnen …

Helmut und Claudia haben inzwischen die Schlafgemächer entdeckt. Ich habe mir erlaubt, die muffigen Betten durch frische Decken zu ersetzten. „Wow, hier könnten wir übernachten“, ruft Claudia, als sie sich probeweise auf das Himmelbett fallen lässt. Helmut steht etwas ratlos vor dem Bett, doch dann setzt er sich. „Und wo wird Peter schlafen?“ Claudia lächelt „ das Bett ist doch groß genug für drei. …“. „Das ist nicht Dein Ernst“, Helmut ist irritiert. „Du Spießer, es ist doch nur für eine Nacht“, sagt Claudia und steht wieder auf. „Außerdem sind wir alle in unsere Schlafsäcke eingepackt“. „Hattest Du mal etwas mit ihm?“. Das scheint eine Frage zu sein, die Helmut schon lange mit sich herumträgt. „Und wenn?!? “, antwortet Claudia lapidar. „Komm, wir gucken mal, wo er steckt“.

Ich lasse sie ein bisschen herumirren, dann entdecken sie den Speisesaal.

Sie wissen nicht, wie sie hierher gekommen sind. Alle beide tragen plötzlich Kleidung aus dem Rokoko. Claudia im blau schimmernden Reifrock mit filigranen weißen Netzhandschuhen die ihr bis über die Ellenbogen reichen und einer zart gelben Rüschenbluse. Helmut in einer Art Knickerbocker aus roter Seide, ein leuchtend smaragdgrünes Hemd, dazu weiße Strumpfhosen, einen breiten pompösen Rüschenkragen und ein dunkles Wams mit Puffärmeln, dazu ein Hut mit einer grünlich schillernden Feder.

Sie sehen sich an und prusten unbändig los. Doch da sie sehr hungrig sind, greifen sie wie auf Kommando zu. Sie bemerken nicht den alten Grafen und die Gräfin, die mit am Tisch sitzen. Plötzlich spricht Helmut mit einer tiefen fremden Stimme: „Wo kommt Ihr her und was sucht Ihr hier in meinem Hause?“ Claudia zuckt zusammen.„Hat es Euch die Sprache verschlagen? Antwortet!“ Helmuts Gesichtsausdruck passt überhaupt nicht zu dem, was er sagt. Er guckt völlig panisch in die Runde, obwohl seine Stimme so herrisch klingt, wie die vom alten Grafen. Oh, was für ein Spaß!!! Plötzlich blutet Helmut aus der Stirn. Es tropft ihm in die Suppe. Claudia bekommt einen Würgereiz und ringt nach Luft. Das alles dauert nur wenige Sekunden, dann ist mein kleiner Spuk schon wieder vorüber. Sie sehen sich an, stehen auf und verlassen den Raum wie in Trance.

So, und jetzt raus mit Euch. Ein herrlicher Wind braust durch die Hallen, das Tor öffnet sich. Die beiden schauen sich völlig verwirrt an. Um ihnen auf die Sprünge zu helfen, lasse ich meine Fledermäuse einfliegen, was für ein Geschwirre und Gefiepe. Der Paternoster kratzt im Schacht, das zarte Stöhnen der Wände, in denen der Graf und die Gräfin sich Liebesworte zu säuseln gibt den beiden den Rest.

„Wo ist Peter?“ ruft Claudia noch, dann laufen die beiden zur Eingangstür. Das herannahende Gewitter lässt meine Mauern erzittern, Blitze leuchten durch die Fenster. Ich muss lachen. So laut lachen, dass einige Schindeln vom Dach kullern und auf der Erde in tausend Splitter zerbröseln. Ich reiße die Pforten auf und entlasse Claudia und Helmut in die Nacht.

Das Spukhaus am Rabenweg

Am Ende des Rabenwegs thronte ich, das verlassene Anwesen, ein düsteres Relikt vergangener Zeiten. Ein alter Schlossbau, wie man damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, zu sagen pflegte.

Die Bäume rauschten melancholisch im Wind, während der Vollmond meine verwitterten Mauern in ein gespenstisches Silberlicht tauchte. Mein von Säulen getragener Eingangsbereich erschien im Mondlicht wie ein dunkler Schlund, der nur darauf wartete, dass jemand eintrat und verschluckt werden würde.
Die Äste und Blätter der zwei alten, mächtigen Eichen, die mein damaliger Hauseigentümer, ein reich gewordener Unternehmer aus der Textilindustrie, zusammen mit seinen Kindern, nachdem seine Frau gestorben war, gepflanzt hatte, rauschten und knarzten im Wind.
Die Eichen waren mittlerweile stark und groß. Ihre Schatten erzeugten ein makabres Lichterspiel auf meinen Mauern und den kaputten Fensterrahmen, in denen nur noch jämmerliche Fragmente einzelner Scheiben steckten.
Ihre mächtigen Wurzeln hatten sich teilweise in meinem Kellergewölbe, zwischen Kellerdecke und Fundament, breitgemacht und hoben mich Jahr für Jahr ein paar Zentimeter an. Risse durchzogen mein Gemäuer, überall war Feuchtigkeit und Schimmel.

Mit jedem Windstoß zitterten meine Fensterläden, als könnten sie die aufkommende, vermeintliche Bedrohung in der Dunkelheit spüren. Oder war es nur Einbildung? Das Gewicht von zwei Jahrhunderten tragischer Geschichten lastete schwer auf meinen Ziegeln und Dielen. Mittlerweile fiel es mir schwer, Realität und Fiktion zu unterscheiden, seit das Haus vor über 90 Jahren verlassen wurde. Einsamkeit hatte sich in meinen Gemäuern breitgemacht. Ich begann immer mehr daran zu zweifeln, welche Daseinsberechtigung ich noch hatte und sehnte mich danach, wieder bewohnt zu werden. Meine Hoffnung aber schwand von Jahr zu Jahr.

Mit Einbruch der Dunkelheit konnte ich sie spüren. Wirklich spüren. Das war real. Ich versuchte nachzurechnen, wann das letzte Mal jemand das Gelände betreten hatte, auf dem ich gebaut wurde. Es musste viele Jahre her sein, denn die Efeuhecken waren um das Eingangstor zum Grundstück vollkommen zugewachsen.
Die Erdbeer- und Brombeerbüsche wucherten um mich herum und Maulwürfe, Mäuse und Ratten hatten sich um und in meinen Gemäuern breitgemacht. Auf dem Dachboden wohnten Eichhörnchen, Spatzen und Fledermäuse. Irgendwann vor zig Jahren war noch jemand regelmäßig gekommen und hatte die Pflanzen und Hecken gepflegt, doch dann war plötzlich Schluss.

Ich spürte sie - eine Gruppe Abenteurer, angezogen von den Gerüchten und alten Erzählungen, die sich um meine Hallen rankten. Ihr Herzschlag war ein Trommelwirbel, der sich durch meine verfallenen Korridore zog, ein Zeichen der Angst und Neugier, die sie hierher geführt hatten. Als das Haus selbst, das mit den Seelen der Verstorbenen gefüllt war, war es meine Entscheidung, wie ich ihre Neugier behandeln sollte.

Vor 60 Jahren kam regelmäßig ein Jahr lang ein Pärchen, das sich im alten Schlafzimmer meiner letzten Besitzer zum Schäferstündchen getroffen hatte. Es endete tragisch, nachdem den beiden ein Unbekannter aufgelauert hatte, der zuerst den Mann erstach. Die Frau konnte kurzzeitig fliehen und schrie fürchterlich. Es wurden Nachbarn aufmerksam, die die Polizei riefen. Ich war außer mir vor Wut und Trauer. Die Polizei kam, aber es war zu spät. Sie fanden nur noch die Leichen der beiden, aber keine Spur vom Täter. Ich wusste, in welche Richtung er gegangen war, wo er wohnte. Nicht weit, doch ich war machtlos. Seitdem rankten sich um mich Geschichten, dass es in mir spuken sollte, dass die Frau nach ihrem Liebsten suchen würde und umgekehrt. Mit der Zeit veränderte sich die Geschichte stetig.

Die Gruppe zitterte, als sie vorsichtig durch meine knarrenden Eingang trat. Ihre Taschenlampen schnitten durch die Dunkelheit, enthüllten verblasste Tapeten und verrottete Möbel meiner längst verstorbenen Bewohner. Mit jedem Schritt in meinen Eingeweiden spürte ich ihre Absichten, ihre Hoffnungen und Ängste.

Ich spürte, dass sie nicht böswillig waren. Ihr Herz schlug vor Aufregung und dem Wunsch nach Wahrheit, nicht nach Schatzsuche oder Zerstörung. So begann ich, wie bei all den anderen zuvor, mit ihnen zu kommunizieren. Ich ließ leises Flüstern durch die kalten Gänge wehen und leitete sie zur verborgenen Kammer meiner tragischen Vergangenheit.

Als sie das Schlafzimmer entdeckten, in dem die Spuren der Ereignisse noch vorhanden, aber mittlerweile verblasst waren, versuchten sie, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Doch auch sie konnten nur spekulieren.

Die Dunkelheit wich dem Morgengrauen, und die Gruppe verließ mich, angeregt miteinander streitend, welcher von ihnen wohl den wahren Ablauf der Ereignisse herausgefunden hatte. Jede ihrer Vermutungen und Spekulationen war falsch.

Ich wusste, es würde wieder einige Zeit dauern, bis neue Besucher kommen würden. Bis dahin und für alle Ewigkeit würde ich wohl mit der Wahrheit leben müssen.
Mit dem, was wirklich in jener Nacht geschehen war.

Raven Hill 223

Schreie der Verzweiflung und Angst hollerten durch die leeren heruntergekommenen Korridore, die von Feuchtigkeit und Schimmel befallen waren. Panik und Entsetzen stiegen in die Augen der Besucher, die sich trotz dutzender Warnungen illegal Zutritt verschafften, um ihre jährlichen Mutproben in der Halloween Nacht zu absolvieren. Literweise Blut, das durch die Deckentäfelung über die Wände auf den Boden vor sich hin tropfte, war nur der Anfang dessen, was noch auf sie wartete. Es wurde von Stunde zu Stunde immer bizarrer und an Grauenhaftigkeit kaum zu überbieten. Zurecht, denn ich war das letzte Haus oben am Hügel der Raven Hill 223. Das Anwesen, dass gerade in der Morgendämmerung von einem Nebelschleier umhüllt war, und durch die letzten Strahlen des diesjährigen Blutmondes, dass vielleicht zweimal im Jahr vorkam, mir einen noch düsteren Anblick verschaffte, was vermutlich die Neugier an mir weckte.
Schiefe Backsteinwände, kahle Bäume deren Äste wie Arme aussahen, ungepflegte verwachsene Gärten die kaum jemand jemals betreten hatte, ein Spitzdach und ein Turm der nach Osten zum alten Familiengrab zeigte, waren schon einige Warnungen, mich nicht zu betreten. Wenn man die schmalen rost zerfressenen Stufen zum Eingang nahm, wurde man hinter der massiven verwitterten Holztür von einer alten aus Eichenholz gefertigten Standuhr begrüßt, deren laute tick tack Geräusche einen in den Wahnsinn trieben. So klischeehaft das klingen mochte, doch die Uhr bewegte ihre Zeiger bis zum heutigen Tag. Das Familiengrab dass mittlerweile nicht nur die hunderten Familienmitglieder, sondern alle Besucher dieses Hauses beherbergte, was mittlerweile über zweihundert Gräber verzeichnete, die im Hinterhof am Waldrand in die Höhe ragen, war somit das Highlight meines Anwesens, und gilt bis zum heutigen Tage als unbetreten. Denn niemand, der ihn betrat, kam jemals wieder raus. Noch heute vermutet man, dass um Mitternacht Stimmen aus den Gräbern zu hören sind, die bis ins Dorf um Hilfe schreien.
Der Graf, der mich damals im siebzehnten Jahrhundert im viktorianischen Stil erbauen ließ, starb kurze Zeit darauf eines unerklärlichen Todes. Wie auch seine Frau und die Kinder. Niemand, der über ein Jahr hinter diesen Mauern verbrachte, starb eines natürlichen Todes. So entstand die sagenhafte Legende um den Fluch, der an mir haftete, die all die Jahre überdauerte und dutzende Opfer forderte. Und noch heute redet man über mich, und verbreitet Gerüchte, dass man den Erbauer meiner Wenigkeit Nachts um drei Uhr bei Vollmond am Fenster sehen würde, wenn man aus dem Wald, an dem der Friedhof liegt, nach oben zum Giebelfenster aufblickt, dass durch den Mondschein moosgrün schimmerte.

ALLEIN

Die lang ersehnte, lauwarme Nacht bricht an. Ja, die Nacht ist mir am liebsten, denn sie allein lässt mich nochmal in meiner Pracht erstrahlen. Sie mag verbergen was nun nicht mehr prachtvoll ist.

Bald sieht man nur noch meine Konturen. Die des ehemals auch bei Tageslicht so schönen „Crowhill“ Anwesens. Meine Herrin, Madame Elisabeth hat mir den Namen gegeben. Sie fand es klingt einfach erhabener als „Krähenhügel“.

„Da klingt so, als hätte jemand hingemacht.“

Sagte sie immer und lachte dann fröhlich. Und mein Herr und Erbauer, Master Justin stimmte dann mit einem ebenso fröhlichen:

„Ja, Liebes. Du hast natürlich wie immer recht.“

in ihr Gelächter mit ein.

Aber nun wieder zu mir. Zum einen ist da die einladende, breite Eingangstreppe, deren Dach mit den ehemals scharlachroten Dachziegeln geschmückt auf zwei, dekorativ verzierten Säulen gestützt wird. Er ist über und über mit Blauregen bewachsen, der im Sommer so wundervoll duftet.
Dann auch noch die schwere, halbrunde Eingangstür mit dem großen verzierten Türklopfer mit dem früher sich die Gäste angekündigt haben. Viele Gäste. Die so vielen schönen Fenster mit ihren verzierten Rundbögen in den zwei Stockwerken. Alle mit roten Fensterläden versehen und natürlich nicht zu vergessen mein Turm, dessen Spitzdach nur leicht über das Haus hinausragt und mit denselben Dachziegeln fein beschlagen wurde. Der Turm, mein ganzer Stolz der die zwei schönsten halbrunden Zimmer in jedem meiner Stockwerke in sich birgt. Unten das Musikzimmer und oben das Atelier. Lichtdurchflutet, da jedes davon mit drei, großen Fenstern, die bis zum Boden reichen versehen worden ist. Meine Herrin macht das Licht. All das und noch viel mehr erstrahlte mal, sorgfältig gepflegt und ließ jeden Besucher staunen.

Ja, eins war ich schön, denke ich. Ich lausche dem Rascheln der Bäume, die summend auch die Geschichten aus guten Zeiten erzählen. Mich überkommt ein wohliger Schauer, die Fensterläden klappern leise und ich flüchte mich wieder in die Vergangenheit.

Noch kann ich mich an die ersten Jahre erinnern. So viel schlimmes ist seither passiert. So viel Zeit vergangen und trotzdem fühlt es sich manchmal wie gestern an, wenn ich an den Anfang denke. Damals waren die liebevoll eingerichteten Räume am Tage von den Sonnenstrahlen durchflutet und am Abend von hunderten warmen Kerzenlichtern erleuchtet. Ich war erfüllt von Kinderlachen, Gesang, glücklichen Menschen, Kunst, Musik und Besuchern. Besuchern, die gerne kamen, Feste feierten und die vielen liebevoll gearbeiteten Details aussen und innen genauso wie die Lichtdurchfluteten Räume innerhalb meiner Mauern bewunderten.
Ich vermissen sie so sehr. Meine erste Familie die mich zu etwas ganz Besonderen machte. Sie saßen, plauderten, lachten, musizierten, die Kinder spielten. Sie füllten mich mit Leben und so viel Liebe. Ich war glücklich. Zumindest eine Zeitlang.

Und so schwelge ich in meinen Erinnerungen als plötzlich ein Geräusch mich daraus reißt.

Ah, Besucher.

Noch ist es zu dunkel und sie noch zu weit auf dem langen, Rabenweg, auf dem schon seit Jahrzehnten die alten Laternen niemandem mehr den Weg erleuchten entfernt, als das ich erkennen könnte wer da auf mich zukommt. Noch haben die beiden anderen sie auch nicht gehört.

Das ist gut! Seid bitte, bitte leise, dann werden sie euch womöglich nicht bemerken.

Langsam werden ihre Silhouetten deutlicher. Eine zierliche, kleine Frau mit langem, lockigem Haar begleitet von zwei Männern. Der eine ein sehr großer, stämmiger Kerl mit Glatze der mindestens eineinhalb Köpfe größer ist als die Frau und noch ein zweiter gutgebauter, nur noch halben Kopf größer Mann, mit braunem, kurzem Haar. Jetzt sind sie gleich an der Haustür. Der große Kerl hat sich an eine der Säulen angelehnt.

„Oh man, meint ihr wirklich, dass sich diese riesige Tür, einfach so, nur für euch öffnen läßt?“

Fragt er eindeutig gelangweilt und viel zu laut.

„Mal sehen.“

Flüstert der kleinere Mann.

„Musst du so laut sein?“

Fragt leise die kleine Frau, die sich vor der Tür stehend nun zu dem großen Mann an der Säule gewandt hat.

„Ah was, wer soll uns denn schon hier hören. Das Haus ist doch schon seit Ewigkeiten leer.“

Erwidert der große Mann zurück und winkt ab.

Seid doch mal leise, bitte.

Denke ich, kann aber nichts anderes tun als die Eingangstür für sie zu öffnen, damit sie nicht noch mehr Krach machen.

Sie können euch hören!

Will ich sie warnen, aber noch sind Kristin oder Tobi nicht aufgetaucht und ich will die Hoffnung einfach nicht aufgeben mich von meiner besten Seite zu zeigen.

„Eh, na das war ja einfach, Leute. Die Tür ist schon einfach offen.“

Sagt der kleinere Mann, der auch offensichtlich der jüngere von den beiden ist, voller staunen. Die kleine Frau fährt um und steht nun vor der offenen Eingangstür, dessen Flügel der kleinere Mann zu beiden Seiten aufgestoßen hatte. Die alten, nicht geölten Türscharnieren geben knatschende Geräusche von sich, die in der goßen Eingangshalle widerhallenden. Die einziehende Luft wirbelt ein paar auf den Marmorboden liegende Blätter und Staub auf, der durch das Mondlicht bestrahlt sich ganz langsam, wie ein Schleier wieder auf allem niederlegt.

„Du mal wieder, mit deinem unverschämten Glück.“

Faucht der große Mann und setzt sich nun auch in Bewegung.

Ja, kommt ruhig rein. Ich freu mich so, dass ihr hier seid!

Will ich ihnen sagen, aber ich weiss sie werden mich nicht hören.

Die drei betreten ganz langsam, meine große, hohe Eingangshalle mit der Wendeltreppe mit ihrem schönen Gusseisernen Geländer. Ich kann ihr Unbehagen spüren. Die kleine Frau rückt immer näher an die beiden Männer heran, während sie sich neugierig in der Halle umsieht. Einige vernachlässigte Einrichtungsgegenstände zeugen von einst schönen Zeiten. Ihr Blick bleibt an der kunstvoll bemalten Decke haften.

„Ich glaube da hing mal ein Kronleuchter. WOW! Das muss aber mal sehr schön ausgesehen haben.“

Ja, das hat es mal.

Ich muss tief Luft holen und ein langer Seufzer ist die Folge. Aber sie merken nur einen Luftzug.

„Das zieht ganz schön.“

Sagt die kleine Frau, fröstelt und ihr Blick fällt auf das große Gemälde an der Wand zu ihrer linken. Sie geht zwei Schritte näher ran, denn das scheint ihr Interesse besonders geweckt zu haben. Der kleine Mann folgt ihr.

„Oh ja, das denke ich auch, Meli. Es muss mal wirklich sehr einladend gewesen sein.“

Stimmt dieser ihr zu. Sie greift nach seiner Hand, deutet auf das Gemälde und fragt:

„Wer ist das Joe? Weißt du das?“

„Wen interessiert das denn schon?“

Wirft der grosse Kerl ungefragt und schroff ein und stampft Richtung Treppe, die in das obere Stockwerk führt.

„Mit dem Riesenteil können wir doch eh nichts anfangen.“

Also dieser Kerl gefällt mir irgendwie gar nicht. Was meint er damit, frage ich mich.
„Nichts mit anfangen können“, puh, wieso sagt er sowas. Das ist so ein schönes Bild von meiner Familie. Der Typ ist unhöflich und seine Ausstrahlung sehr unangenehm. Ganz anders die beiden anderen. Melanie und Joe, also. So, so jetzt weiss ich wie die beiden, die ich im Gegensatz zu ihm sehr sympathisch finde heißen. Aber weshalb sind die denn hier?

„Das ist, soweit ich das rausfinden konnte ein Bild der Adelsfamilie, die dieses Haus hat bauen lassen. Das ist schon ewig her. Danach war das Haus in vielen Händen, aber niemand blieb lange. Es haben sich immer wieder böse Unfälle und merkwürdige Ereignisse wohl hier zugetragen und so haben alle nach kürzester Zeit das Haus verlassen.“

Antwortet Joe leise.

Ja, genau

Stimme ich zu.

Aber hey ihr beiden, genau das wünsche ich mir wieder und ihr gefällt mir sehr. Ihr seid bis jetzt die ersten, die nicht nur das Dunkel sehen. Wollt ihr nicht bleiben?
„Und seitdem hängt es hier? Immer noch? Du hast doch gesagt, dass das Haus schon viele Eigentümer hatte.“

Fragt Melanie weiter.

„Na ja, die Leute erzählen, dass man es ganz oft schon abgenommen hatte, aber es auf wundersame Weise immer wieder den Weg an seinen Platz zurückfand, also hat man es schliesslich einfach dort hängen lassen.“

„Na und? Niemand interessiert das heute mehr.“

Unterbricht ihn der grosse Mann auf einmal und stellt den Fuß auf die erste Stufe der fein gearbeiteten, eins weissen Rundtreppe hin.

Oh, man, der ist so laut. Wenn er so weiter macht, dann wird dieser Besuch wieder sehr kurz werden.

„Mich schon, Ben. Mich interessiert das sehr. Die sehen alle vier wirklich sehr glücklich aus.“

Sagt Mel, diesmal ziemlich schroff.

„Das waren sie wohl auch. Sehr sogar, den Sagen nach, scheint es. Bis dieses Unglück geschah.“

Ergänzt Joe einfach ohne auch nur eine Sekunde auf Ben einzugehen, dann wenden sie sich der Treppe zu und während Joe Melanie langsam zu Treppe führt, nutze ich meine Chance und lasse sie alle einen kurzen Blick, wie durch einen Schleier auf die wunderschön erleuchtete und mit Blumen geschmückte Eingangshalle, mit dem glänzenden, kunstvoll gestalteten Marmorboden, die sich an einem Ballabend mit schönen Damen und eleganten Herren füllt werfen. Ganz kurz kann ich diese Illusion aufrechterhalten und dann zerfällt sie auch schon und wird zu Staub, wie fast alles langsam hier.

Joe sieht Melanie an und dann zu Ben rüber, aber keiner sagt auch nur ein Wort. Vermutlich wollen sie nicht für verrückt gehalten werden, denke ich bei mir.
Melanies Blick schweift im Gehen in das zu ihrer Rechten liegende halbrunde Zimmer, in dem immer noch der alte, nun nicht mehr so weiße Flügel steht, auf dem früher so viel gespielt worden ist.
Und mit dem letzen Vorrat an positiver Energie, denn die brauche ich, um diese Bilder erscheinen zu lassen, lasse ich den Raum für ihre Augen in seiner früheren Pracht erstrahlen.

Die Sonnenstrahlen fallen durchs Fenster, und lassen den frisch polierten Marmorboden schimmern. Mehrere helle Teppiche, Sitzkissen, Sofas und Stuhle mit hohen Lehnen und gemütlich mit rotem Samt beschlagenen Sitzflächen, die im Halbkreis entlang der Raumhohen Fenster aufgestellt sind, laden zum Ausruhen und Zuhören ein. Und in der Mitte, am schneeweißen Flügel, auf einem kleinen goldenen Hocker sitzt die schöne Elizabeth, ihre Augen genussvoll geschlossen, ein Lächeln auf ihren Lippen und sie spielt. Am Flügel angelehnt ihr geliebter Justin der sie liebevoll betrachtet.

Melanie kann ihre Augen nicht loslösen, aber da zerfällt auch diese Illusion schon.

Schade noch ein bisschen länger wäre besser gewesen. Ob, das ausgereicht hat?

Melanie sieht Joe an.

„Meinst du man kann noch drauf spielen?“

Fragt sie und zeigt mit dem Finger auf den Flügel.

„Wie schon gesagt: interessiert doch keinen mehr.“

Antwortet Ben grimmig, obwohl sie die Frage gar nicht an ihn gerichtet hat und fängt an die Treppe hinaufzugehen.

Oh nein, Vorsicht! Die vierte Stufe!

Aber noch bevor ich mir auch nur überlegen kann, wie ich ihn dazu kriegen könnte auf die ganz äussere Seite diese Stufe zu treten ist er schon, mit seinem ganzen Gewicht darauf gestampft.

Kann diese mensch sich nicht leise bewegen?

Das Geräusch ist so schrill und laut, dass Melanies Augen ganz groß werden, und im selben Augenblick ertönen einige wenige Noten einer Melanie auf dem Klavier.

„Habt ihr das gehört?“

Fragt sie die beiden Männer erschrocken. Aber die Geräusche haben sich überlagert und so antwortet ihr Ben, wieder mal, in diesem gelangweilten Ton.

„Was denn? Ich habe gar nichts gehört ausser dieser dämlichen Treppe. Die fällt ja bald auseinander.“

Sagt er, nachdem er sich in ihre Richtung gewandt hat und Joe fügt hinzu:

„Nein, ich habe auch nichts gehört Meli. Was meinst du denn?“

„Ach nichts.“

winkt sie ab,

„dann habe ich mich vielleicht verhört.“

Sagt Melanie ganz tapfer, aber ich ich fühle ihr wachsendes Unbehagen.

Oh nein, liebe Melanie du hast dich nicht verhört. Ihr habt die Zwillinge auf euch aufmerksam gemacht. Ich habe so gehofft, dass das nicht geschieht.

„Halt dich aber bitte lieber am Gelände fest Meli. Diese Treppe scheint mir tatsächlich ganz schön morsch zu sein. Ich will nicht, dass dir was passiert.“

Fügt Joe ganz ernst hinzu.

„Ja, das mache ich, Joe.“

Erwidert Melanie und schenkt ihm ein einwenig verlegenes Lächeln.

„Könntest du bitte mit diesem ständigen „Meli“ aufhören. Davon wird ja einem schlecht.“

Sagt Ben ganz langsam in einem echt wiederlieben Ton und verdreht dabei die Augen.

„Ich mag das aber, wenn er mich so nennt.“

Wirft Melanie, nun ganz verlegen ein und Joe wirft Ben einen wirklich bösen Blick zu.

Oh nein, es fängt schon an zu wirken. Kaum sind die Zwillinge in der Nähe werden die Menschen angriffslustiger und ihre schlimmste Seite kommt zum Vorschein.
Jetzt ist auch mir klar, warum Ben hier ist. Nicht nur wegen mir, oh nein. Es ist auch Melanie auf die er abgesehen hat. Vielleicht wollte er sie beeindrucken. Das schein aber nicht wirklich zu klappen. Eifersucht ist eben ein schlechter Nährboden, denke ich bei mir und gar nicht gut, wenn die Zwillinge in der Nähe sind.

„Master Tobi hört auf damit. Ihr machst ihnen Angst!“

Sage ich mit Nachdruck zu dem kleinen Master, der am Klavier sitzt. Der wie ein Abbild des Jungen vom Gemälde ist bei den sich lediglich die Gesichtszüge von freundlich zu bösartig gewandelt haben. Er lächelt hämisch.

„Und wenn ich nicht will? Was willst du dann machen du altes Haus, das keiner mehr haben will.“

Antwortet er frech.

Aua, das hat weh getan. Aber das ist ja auch Masters Absicht gewesen.

„Du kannst doch rein gar nichts machen. Außer ein paar Türen und Fenster öffnen oder schließen, mit den Fensterläden zu klappern oder ein paar Bildchen entstehen lassen. Zu was Anderem bist du doch nicht zu gebrauchen. Aber wir, wir können viel, viel mehr.“

Er lacht ein unnatürliches und völlig überzogenes Lachen.

„Hör auf, ich mag die beiden. Ich will das sie bleiben.“

Versuche ich ihn zu beschwichtigen.

„Ja, das kann sein, aber wir mögen sie nicht.“

Höre ich Kerstin, seine Zwillingsschwester vom Rand der Treppen im zweiten Stock stehend rufen. Dieses früher liebliche kleine Mädchen vom Bild hat nun einen sehr ernsten, ja unnachgiebigen Gesichtsausdruck angenommen.

Na toll, jetzt sind beide wieder da. Mein Seufzen lässt einen kalten Luftzug durch alle Zimmer Fegen, sich in der Halle versammeln und dann die Blätter die Treppe hinauf wirbeln. Wunderbar, jetzt trage ich selber auch schon dazu bei die drei zu erschrecken, denn alle drei fahren nun zusammen.

Kerstin lacht laut auf.

„Danke, altes Haus für die Untermalung!“

Bringt sie immer noch lachenderweise heraus.

„Bitte tut ihnen nichts!“

Flehe ich nun die beiden jungen Herrschaften an.

„Wir tun doch gar nichts.“

Erwidert Tobi und lässt die Finger, in wilden Bewegungen kurz über den Tasten schweben.“

„Nein, Master Tobi, bitte nicht.“

Da schlägt er aber schon wieder in die Klaviertasten und lacht erneut.

„Ja, genau wir sind doch ganz brav. Wir mögen nun mal keine Besucher. Wir wollen sie hier nicht haben. Das ist unser Haus. Basta.“

Stimmt Kerstin ihren Bruder zu.

Diesmal haben alle drei auf der Treppe das Klavier gehört und bleiben in der Bewegung wie eingefroren.

„Was zum Teufel war das denn?!“

Ruft Ben herunter, der inzwischen nur noch eine Stufe vor sich hat, um das weitere Stockwerk zu erreichen. Leiser sieht er die direkt vor ihm am Treppenrand stehende Kerstin, die ihm fast Nase an Nase ins Gesicht sieht nicht. Was für ein bizarres Bild.
Joe und Melanie, die einige Stufen weiter unten entfernt sind sehen sich gegenseitig an. Melanie greift wieder nach der Hand von Joe, die sie zwischenzeitlich losgelassen hatte, um sich am Geländer festzuhalten, wie er es ihr geraten hat. Ihre Hand zittert und Joe greift stärker zu, um ihr die Angst zu nehmen.

„Joe, was ist hier, in diesem Haus damals denn eigentlich passiert?“

Fragt sie nun ganz leise, fast so als ob sie die beiden Kinder sehen könnte. Kerstins Blick geht nun von Ben auf Melanie rüber und wechselt dann zu Joe, der ihr antwortet:

„Eines Tages tobten die beiden Zwillinge, die du auf dem Bild gesehen hast, rum. Sie sind auf die Idee gekommen, durch eine ganz kleine Lücke, die fast nicht zu sehen und nur für die Reinigung der Dachziegel eingebaut worden ist auf den Turm zu klettern.“

Melanie schlägt sich die Hand vor dem Mund.

„Oh nein.“

Sagt sie ganz leise hinter vorgehaltener Hand.

„Niemand weiss wer von den beiden als erster oben war, oder wie genau das passiert ist, aber…“

Er spricht nicht weiter und das muss er auch nicht, Melanie und Ben haben es schon verstanden.

„Oh man, dass wußte ich nicht. Hättest du das nicht schon früher sagen können?“

Sagt Ben als erster mit echtem Mitgefühl in der Stimme.

Hmm, vielleicht ist dieser Kerl doch nicht ganz so falsch, denke ich.

Melanie schaut wieder zum Gemälde, auf dem man die beiden Geschwister zu Füßen ihrer Eltern spielen sehen kann.

„Die armen Eltern.“

„Es heißt, dass die Mutter gerade am Klavier saß…“

Fügt Joe hinzu.

Und dieser Satz ist wie ein Auftakt für Master Tobi.

„Nein, tut das bitte nicht, kleiner Master. Bitte nicht.“

Rufe ich ihm zu, aber da spielt er schon die ersten Akkorde, die sie, meine Herrin, Liz seine Mama so gerne gespielt hat und lacht. Nochmal und nochmal. Immer lauter und lauter.

Nun ist es zu viel. Jetzt wollen Ben, Melanie und Joe so schnell es geht raus hier. Ben dreht sich als erster auf der Treppe um.

„Mir reichst! Ich weiss ja nicht, wie ihr beiden das sieht, aber ich für meinen Teil bin nun raus.“

„Es ist doch deine Idee gewesen!“

Ruft Melanie.

„Wir wollten nicht unbedingt nachsehen, ob es sich noch lohnt hier einzubrechen Ben. Ich fand nur das Haus einfach an sich so schön, dass ich es mir ansehen wollte.“

Ja, also war mein Gefühl genau richtig was die beiden, Melanie und Joe angeht. Wie schade, dass sie Ben mitgebracht haben.

„Und ich bin ihr nur, wegen der Sicherheit gefolgt.“

Fügt Joe hinzu.

„Ja, ja, ist mir schon klar. Das ist ja nicht auszuhalten mit euch beiden.“

Und während er noch spricht, nimmt Ben Schwung und macht einen Schritt nach vorn, um die Treppe runterzulaufen. Ich sehe das kleine, mal so liebliche und freundliche Mädchen an und ihre Bewegung.

„Nein, nein Miss Kerstin!“

Rufe ich. Da sieht sie noch einmal hoch.

„Oh doch.“

Antwortet sie und lächelt bevor sie auf die Knie geht und die erste Treppenstufe, die aus dem ersten Stock nach unten führt mit ihrer Hand nur leicht berührt.
Bens rechtes Bein bricht, beim Versuch den Fuß aufzusetzen durch die Treppe durch. Durch den Schwung, den er genommen hatte, wirbelt er herum und verliert die Balance. Er schreit auf und im selben Moment läßt Kerstin ihre Konturen aufblitzen. Bens Augen werden noch größer. Joe, der nur zwei Stufen entfernt ist lässt Melanie los, greift mit der linken Hand nach dem Geländer und versucht mit der rechten Hand Bens rechte zu greifen. Vergeblich. Noch bevor er es schafft, die wild in der Luft fuchtelnde Hand zu ergreifen, grinst Kerstin Ben nochmal an, schüttelt den Kopf und schlägt mit der Faust auf die Treppenstufe, die ganze Treppe bebt, ihr Bruder schlägt ein paar schräg wilde Töne auf dem Klavier als Untermalung dazu und die beiden Stufen auf denen Ben zu stehen hätte kommen können brechen gleichzeitig ein. Ben fällt. Fällt in die Tiefe. Noch ein lautes:

„Hilfe!!!“

und dann abrupt Stille. Absolute Stille.

Joe konnte gerade so noch das Gleichgewicht halten und schaut nun in die Tiefe des Kellers, in dem auf den Boden Bens toter Körper im Schein der durch die Kellerfenster fallenden Mondlichtstrahlen zu sehen ist.

Eine Wolke aus Schutt und Staub erhebt sich in die Luft und Joe schaut zu Melanie rüber, die sich völlig verängstig, nachdem sie Kerstin ebenfalls gesehen hatte am Treppengeländer, das das einzige zu sein scheint, das noch halt auf dieser Treppe bieten kann zusammen gekauert hat. Sie sieht ihn nur mit weit aufgerissenen Augen an. Die sich langsam mit Tränen füllen. Nur noch ein Fragezeichen darin. Joe schüttelt langsam den Kopf.

„Laßt die beiden bitte gehen. Bitte, ja? Ich werde auch besser aufpassen, versprochen!“

Flehe ich die Kinder an.

„Versprochen?“

Fragt Kerstin.

„Ja, ja und die hier, die kommen doch bestimmt jetzt nicht mehr wieder.“

Die Zwillinge stehen nun an der Eingangstür.

„Nein, das werden sie sicher nicht.“

Sagt Kerstin zufrieden und sie lassen die völlig verstörte, weinende Melanie die sich auf Joe stützt, ahnungslos an ihnen vorbeiziehen.

„Jetzt!“

Ruft Master Tobi seiner Schwester zu und sie werfen die grossen Flügel der Eingangstür hinter ihnen zu. Hand in Hand stehen sie nun vor den Turmzimmer Fenstern und mit einem verstörend zufriedenen Lächeln auf den Lippen sehen sie den beiden nach, wie sie eifrig zum Tor eilen.

Zum aller letzten Mal dreht sich Melanie mit ihren immer noch weit aufgerissenen Augen um und jetzt kann sie beide Kinder winken sehen.

Die beiden lachen schallend und die Bäume summen nun ein trauriges Lied.

Und ich? Ich wünschte sie wären geblieben. Nun bin ich wieder allein!

Bis zum nächsten Mal…