Seitenwind Woche 1: Gäste im Geisterhaus

Eine Schar Raben flog über das Dorf Morah zum Schloss am Waldrand. Sie saßen drei Tage auf der Turmspitze des Schlosses, bis es erwachte. Bis ich erwachte. Wieder erwachte aus dem trüben Schlaf. Wieder in dieser Welt und doch unendlich von ihr getrennt. Kaum hatte ich mich gestreckt, dass die Balken und Dielen knartschten, flogen sie in schnurgerader Reihe hinunter nach Morah. Hielten eine Linie und wie in einem Moment fielen alle tot vom Himmel. Markierten mit ihren ausgestreckten Beinen den Weg für die, die kommen sollten. Als der letzte Rabe vor dem Tor des Schlosses seine Flügel streckte, öffnete ich meine Spiegelaugen und sah in die Welt. Suchte den Ostwind. Wird er dieses Mal sieben Recken finden? Sieben mutige Recken, die ins Schloss kommen, um mich zu erlösen?

Durch den Spiegel in der riesigen Eingangshalle sah ich hinunter ins Dorf. In die Kaschemme, deren Tische mit Landfahrern, Gewährsmännern, einer Halbadeligen mit Zofe und Lehnsmännern voll besetzt waren. Die dicke Wirtin tänzelt durch die Reihen und schenkte Wein nach. Auch dem Ostwind, der in Gestalt eines Bettlers am Langtisch saß und den anderen zuprostete.

„Habt ihr gehört“, rief ein Barde, „oben im Schloss gibt es einen Schatz!“
„Habt ihr gehört“, äffte die Wirtin ihn nach, „oben im Schloss gibt es einen nackten Hintern!“
Die Menge lachte.
„Ja, habt ihr gehört“, der Barde stand auf, „wenn ihr euch den Schatz holt, werdet ihr mehrere hundert Jahre alt!“
„Dann hole dir den Schatz, dann hast dann genug Zeit zu üben!“
Selbst die Fremden lachten
„Oben im Schloss“, sagte die dicke Wirtin, fixierte den Barden und trat gegen ein Tischbein, „wenn du dich traust.“

Es wurde still. Ich zitterte.

„Ich mich nicht trauen?“, der Barde nahm seine Laute und spielte, „damit verjagt man alle bösen Geister.“
„Damit verjagt Ihr alles “, sagte die Wirtin und schenkte ihm Wein nach.
„Fremde“, der Ostwind stand auf, „in der heutigen Nacht ist Herbstmond. Oben auf dem Schlosse wartet ein Goldschatz. Es braucht sieben von euch mit Mut, Geschicklichkeit und Tapferkeit, um diesen zu befreien.“
„Er wird gefangen gehalten?“, der Barde stimmte ein Kummerlied an.
„Man sagt“, die Wirtin polterte mit ihren klobigen Holzschuhen, „er würde euch reich machen und alle Generationen nach euch. Aber ihr müßt dafür all euren Mut beweisen, bis in eure Eingeweide! Manchem hat es schon Arme und Beine zerrissen.“
Der Ostwind lächelte gequält. „Gibt es sieben von euch?“
Keiner rührte sich.

Wieder. Ich seufzte, so dass das Schloss in allen Balken und Decken, bis unters Dach ächzte. Wird der Herbstmond verblassen und ich noch ein Jahr in diesen Mauern, als diese Mauern sein? Ich schloss die Spieglaugen und versuchte in den Schlaf zurück zu kehren, der mich vergessen ließ, auch wenn ich nie vergaß. Der mich den Fluch ertragen ließ. Aber die Kraft des Herbstmondes war stärker. Zerrte an mir, bis ich wieder in jedem Stein, in jeder Bohle und jedem Vorhang war. Vom vermoderten Keller über die Küche, dem Kaminzimmer und den Dienstbotenkammern hinauf in das erste Stockwerk, in dem es ein verschlossenes Gemach gab.

„Sie kommen“, der Ostwind strich über mein Dach. „Ich habe sieben Recken auf den Rabenweg geschickt. Der erste sammelt die toten Raben und macht mit ihnen am Hang ein Feuer. Der zweite wird dazu lustige Lieder spielen. Der dritte hält Wache.“
Ich öffnete meine Spiegelaugen, um mir die Recken auf dem Weg anzusehen.
Die drei, die voran ritten sahen aus wie lausige Banditen.
Die vier in kurzem Abstand dahinter wie übellaunige Banditen.

„Ostwind“, flüsterte ich, „was sind das für Gesellen?“
„Es sind sieben“, der Ostwind strich an meinen Mauern entlang „und sie haben das Versprechen gegeben!“
„Ich danke dir, mein Freund.“
„Bereite dich vor, sie werden bei Anbruch der Nacht ans Tor klopfen.“

Vor zweihundert Jahren hatten die letzten sieben Recken ans Tor geklopft. Furchtlos hatten sie sich genannt. Fünf von ihnen hatten sich nicht hindurch getraut. Und ich blieb. Zweihundert Jahre, in denen ich hörte und sah. Lüsternes Geturtel hinter angelehnten Türen. Vier Männer, die an der Langtafel geköpft wurden. Ihre abgetrennten Schädel fielen zwischen Rehrücken und Weinkrüge. Einer mit langen dünnen Fingern kratzte ihre Augen aus den Köpfen und aß sie. Tagelange Verhandlungen, denen ich gelauscht hatte, die über Krieg, Frieden und Grenzen der Ländereien entschieden. Und Stille. Seit fast einhundert Jahren Stille, die noch schwerer zu ertragen war als jedes lüsterne Morden.

Hat das alles endlich ein Ende? Gibt es die sieben Recken, die den Bann brechen? Die mich zurückschicken in mein Leben?

„Sie können es schaffen“, sagte der Ostwind, „siehst du den in der Mitte, sie nennen ihn Owin. Seine Kraft ist größer, als die der anderen sechs zusammen.“

Wir sahen den Sieben zu, wie sie mühelos und ohne jede Furcht durch das Tor ritten. Kehlon legte die Raben an den Hang und entzündete mit ihnen ein Feuer. Der Barde krächzte heitere Lieder und Niroh stellte sich als Wache an die Schlosstür.

„Sie müssen nur daran glauben“, sagte ich leise und zog mich aus der Eingangshalle zurück, um ihrem schweren Tritt zu entgehen.

Owin und seine drei Gefährten, der achte Hehl, Langus und Womich traten in die Vorhalle.

„Sieht hier gar nicht vermodert aus“, Womich sah sich um, „aber auch nicht wie ein freundlicher Empfang.“
„Willst du zur Vorspeise Fasan?“, sagte der achte Hehl und grinste. „Ich hätte gerne eine Dirne.“
„Lasst uns nach einem Zeichen suchen“, Owin befühlte die Stühle an der Langtafel, „wo immer dieses versteckt sein mag.“

Sie sind bereit! Mein Herz klopfte so wild, daß etwas Tünche von der Decke rieselte.

„Das ist doch mal ein Empfang!“, der achte Hehl streckte die Hände aus, „es schneit!“

Ich entzündete die Kerzen, auf den Stufen der Treppe nach oben.

„Das ist es!“
Alle sahen Langus an, der nie sprach.
„Folgen wir dem Licht“, Owin schritt voran.
„Aber“, Womich zuckte die Schultern als sie im oberen Flur standen, „welche Tür ist es? Sie sehen alle gleich aus.“
„Mach doch“, der achte Hehl trat mit Wucht gegen die erste, zweite und dritte Tür, „einfach alle auf und sieh nach! Oh, leer.“
„Die nicht“, Owin hielt den achten Hehl mit einer energischen Geste auf, „die ist zu kostbar für deine Stiefel.“
„Was hat er gegen meine Stiefel?“
„Und verschlossen“, Owin sah seine Gefährten an, „wir kommen alle nicht aus bestem Hause.“ Womich holte Luft, wollte protestierten und winkte ab. „Wem von euch ist die Kunst des unliebsamen Öffnens bekannt? Ich meine, wem musste es Essen und Trinken bescheren?“
Langus trat hervor und nickte. Er zog einen Metallstab aus dem weiten Ärmel der an mehreren Stellen kleine Stifte hatte.
„Damit will er also die Tür öffnen“, der achte Hehl tippte nach Langus, der ihm auswich.

Nach vier Versuchen trat Langus zurück. „Es ist Magie im Spiel. Immer wenn ich die Stifte in der richtigen Position habe, werden sie verschoben.“
„Durch dich, du Tatterer!“
„Lasst ihn in Ruhe“, Owin beugte sich zu Langus, „hattest du so eine Tür schon einmal?“
„Ich hatte kleine Türen, riesige Schlösser und winzige an Truhen, aber so etwas“, er schüttelte den Kopf.

Kehlon und der Barde kamen nach oben und sahen von der Tür zu den anderen.
„Ist dort unser Schatz?“
„Dahinter, wohl gemerkt!“
„Und damit wollt ihr sie öffnen?“ der Barde tippte auf den federnen Metallstab und stimmte ein Lied vom Verlorensein an.
„Es ist ein magisches Schloss!“, rief Owin. Die anderen wurden still.
„Mit Magie“, Womich schüttelte den Kopf, „meine geliebte Schwester hatte da einmal und. Damit will ich nichts zu tun haben.“
„Kennt denn keiner von euch einen Zauber?“ Owin sah die anderen an.
„Kennst du keinen?“
„Ich wurde in diesen Dingen nicht unterrichtet.“
„Oh ja, der Herr kann lesen und schreiben, nicht wahr. Aber eine schnöde Tür öffnen“, der Barde stimmt eine Melodie an, „war einmal ein holder Herr, hatte nicht viel Gescherr, hatte nicht viel dabei, ei, ei, ei!“
„Geh doch und bereite uns eine Speise“, der achte Hehl zeigte nach unten, „ich bin mir sicher, die Speisekammer ist mit viel Ei, Ei, Ei, gefüllt.“
„Habe schon nachgesehen“.
„Dann mach es noch einmal!“
„Ist ja schon gut, schon gut.“

Ich sah dem Barden nach, spürte seine leichten Schritte auf dem alten Teppich. Er war froh zu entkommen, seine Erleichterung ließ mich meine Sehnsucht spüren. Tränen liefen die Mauern herab. Ist der Bann nicht zu brechen? Nicht mit Diebeswerkzeug oder Tritten? Braucht es eine List, sonst bin ich für immer in diesen Mauern gefangen? Muss bis in alle Ewigkeit als Stein spüren, hören und sehen. Riechen, vom moderigen Keller bis hinauf ins Dach?

„Vielleicht gibt es in den angrenzenden Zimmern eine Zwischentür?“

Ich schreckte auf. Alle Zwischentüren, es gab derer sechs, führten ins Bodenlose! Ich musste sie sofort ablenken und entzündete im Gemach hinter der Eichentür die Kerze, die der König nie wieder hatte leuchten lassen, nachdem ich vor seinen Augen im Mauerwerk verschwunden war.

Ich ließ die Kerze flackern.

„Da! Da ist ein Licht hinter der Türe!“ der achte Hehl entdeckte es, alle beugten sich mit ihm herab.
„Noch mehr Zauber?“ Womich kam hoch und ging bis zur Wand zurück.
„Es ist die Fortführung der Zeichen“, Owin strich über die Tür, „sie scheint wie ein Fenster zu sein.“
„Ihr meint, wie Glas?“
„Wir müssen sie genau untersuchen. Sie ist so glatt“, sagte er, „viel zu glatt für behauenes Eichenholz.“
„Glas hat einen Schwachpunkt an dem man es brechen kann“, Kehlon sah Owin an, „ihr sucht nach diesem Punkt? Er ist meistens an den Rändern und gibt nach wie Haut.“
„Der Junge hat schon einmal Haut berührt?“ der achte Hehl lachte, „wohl nur seine eigene!“
Owin strich über die Ränder der Tür bis zum Mauerwerk. „Ich kann es nicht finden. Die Tür ragt zu weiter hinter die Mauer.“
„Soll der Barde doch wieder heraufkommen und singen, ich habe gehört“, Kehlon streckte sich, „dass es einen Minnesänger gab, der so hoch singen konnte, dass Glas zersprang!“
„Er kann doch nur die Laute spielen, Kehlon. Ihr seid neu bei uns. Sagt ihm nie, dass er nicht singen kann. Er trifft nicht einen Ton und hoch singen könnte er wohl nur, wenn man ihm gehörig auf den Zeh tritt.“ Womich verschränkte seine kurzen Arme.
„Vielleicht sollte man dir gehörig auf den Fuß treten!“, der achte Hehl holte mit seinem Stiefel aus.
„Wenn es ein Zauber ist, dann soll das Glas täuschen“, Owin blinzelte, „dann soll hier alles täuschen.“
„Dann ist es wohl auch kein Schloss? Sitzen wir in einem Tümpel und merken es nicht?“
„Gab es in der Halle einen Kamin mit allerlei Geschirr?“
„Ich sehe gleich nach“, der achte Hehl war schon auf dem Weg zur Treppe.
„Sucht nach Eisen, dann heben wir die Tür an und einer von uns kann hindurchkriechen!“
„Einer von uns“, Langus sah die anderen an, „ihr meint wohl den Kleinsten, Dünnsten, aber nicht Dümmsten!“ Er lief den Flur herunter, weg von den anderen und riß die Tür am Ende des Flures auf. Er schrie, flatterte. Owin war mit zwei mächtigen Schritten bei ihm, packte Langus und starrte kurz in die Tiefe.
„Wir müssen vorsichtig sein, geht nie alleine. Ruft die anderen herbei.“

Bevor der achte Hehl die Halle erreichte, ließ ich alles Eisen verschwinden. Zog es aus dem ganzen Schloss und warf es in die angrenzenden Wälder.

Niroh, der Wache gehalten hatte, kam eilig ins Schloss gelaufen, rannte den achten Hehl fast um. „In den Wäldern kracht und wummert es ganz unsäglich.“
„Die wollen auch an den Schatz!“, der achte Hehl jagte nach oben, Niroh und der Barde folgten ihm.
„Es gibt in der Halle kein Eisen“, der achte Hehl streckte seine leeren Hände vor.
„Dann müssen wir es mit unserer eigenen Kraft schaffen“, Owin nickte allen zu, „wir sind sieben! Brechen wir diese elende Tür endlich auf!“
„Aufbrechen!“ rief der achte Hehl und klatschte in die Hände.
„Ihm fehlt nur der Wein“, Womich sah den Barden an, „habt ihr denn gar nichts in den Küchen gefunden?“
„Weder Küche noch Keller noch Kammer.“
„Wir brauchen einen Pflock“, Owin sah sich um, „etwas wo wir alle unsere Kraft einsetzen können. Nehmen wir einen Teil der Langtafel.“
„Oder wir nehmen dieses hier“, der Barde zog eine Axt aus der Laute. „Es ist“, er zuckte die Schultern, „eben ein besonderes Instrument.“

Jetzt endlich wird der Bann gebrochen! Ich konnte mich kaum ruhig halten.

Der Barde trat an die Tür und stach mit der Axt nach ihr, die kam ihm flugs entgegen und teilte sein langes Haar.

„Damit habe ich nichts zu tun“, sagte er schnell.
„Wir sind sieben“, Owin sah die anderen an, „vielleicht müssen wir die Axt zusammen führen.“
„Sieben auf einmal?“, der achte Hehl schüttelte den Kopf.
„Lasst es uns probieren“, Owin schnappte sich die Axt und hielt den anderen den Schaft hin.
Sie bekamen alle einen Teil zu fassen, traten sich vor der Eichentür auf die Füße und riefen trotzdem, „zugleich! Zugleich! Zugleich!“

Sie versuchten es zehn, elf mal. Die Tür rührte sich nicht.
„Das muss ein unendlich starker Zauber sein“, der achte Hehl setzte sich auf den Boden und ließ den Kopf hängen.
„Er kann nicht stärker sein als wir“, sagte Owin, „warum sind wir denn sieben? Vielleicht muss jeder Stiefel diese Tür berühren und beim letzten Hacken springt sie auf?“
„Ich glaube er hat zu viel Wein getrunken!“
„Fangen wir an. Du, Barde, du zuerst.“

Der Barde taperte zur Tür, baute sich vor ihr auf und schrie, „ich will, dass du dich öffnest!“ Er trat halbherzig dagegen, aber die Tür ächzte.
„Der Sänger, der nicht singen kann!“, der achte Hehl sprang auf und tanzte, „er hat es gefunden!“ Der achte Hehl stellte sich vor die Tür. „Ich will, dass du dich öffnest!“ und trat mit voller Wucht dagegen, so dass sie in den Angeln zitterte.
Womich machte es ihm nach. Langus, Niroh der Wächter und Kehlon.
„Jetzt seid Ihr dran“, sagte der achte Hehl und sah Owin an.

Und ich sah Owin an. Sah ihn an und betete, dass der Ostwind Recht hatte.

„Ich will“, Owin trat näher an die Tür, „mein Versprechen einlösen. Jetzt! Ich will“, er ging einen Schritt zurück, „dass du dich öffnest!“ Er trat mit voller Wucht gegen die Eichentür, die krachte aus den Angeln, flog durch das Bettgemach bis in die gegenüberliegenden Wand.

Ein Applaus donnerte, die Männer stürmten das Gemach und erstarrten, als sie sahen, wie ich aus den Mauern entwich. Erst nur ein durchsichtiges Ding, dann nahm ich Gestalt an, bis ich wieder die Frau war, die in diesem Gemach den König geliebt hatte. Die ihm in diesen Mauern nah und doch nie mehr nah gewesen war.

Ich breitete meine Arme aus. Spürte meinen Körper bis in die Zehenspitzen und konnte die Welt wieder mit meinen Augen sehen. „Ihr habt mich befreit, dafür möchte ich euch danken!“
„Ja, so ein bisschen Dank hat wohl noch niemandem geschadet.“ Sie sahen mich erwartungsvoll an.
„Im Keller ist ein Verlies, wer sich hineintraut wird reich belohnt. Seine Erben werden für immer reich belohnt.“ Alle bis auf Owin rannten nach unten. „Ihr interessiert euch nicht für Gold?“
„Wer hat euch das angetan? Gebannt in die Mauern eines Schlosses?“
„Seid ihr daran interessiert?“
Er sah mich kurz an, „wie lange wart ihr Stein und Holz?“
„Mehr als dreihundert Jahre“, ich streckte mich, drehte mich, ging auf die Zehenspitzen.
„Vor etwa 165 Jahren gab es eine Verhandlung in der mein Urahn, Freiherr von Ortwin, um seine Ländereien betrogen wurde. Ich habe alle befragt und alles nachverfolgt, konnte aber nie feststellen, wer ihn damals mit falschen Versprechen in die Falle gelockt hat.“
„Geht nach unten, dort wartet ein Mahl auf euch. Ich muss einer Königin etwas zurückgeben“, ich hielt ihm den Ring hin, mit dem sie mich damals in einen nebeligen Schlaf versetzt hatte. „Danach komme ich hierher zurück und berichte jede Einzelheit aus der damaligen Verhandlung. Ich kann mich gut an sie erinnern und meine die Gesichtszüge eures Onkels in euch zu erkennen.“

Ich ließ die Sieben zurück an der Langtafel, die sie in den nächsten 137 Tage bewirten würde, mit gebratenem Fasan, saftigem Rehrücken und Wachteleiern, dazu herrlich süße, starke Soßen und Wein soviel sie trinken konnten. 137 Tage blieben mir, um die Königin in ihrer neuen Gestalt zu finden und ihr den Ring zu geben. Unter einem Vorwand, mit einem Lächeln. Wer auch immer am 137. Tag den Ring trug, würde sterben und nur auf ihren oder meinen Finger passte dieser. Und an einem dieser Finger musste er sein, sonst würde die Welt sich teilen.

In der Dunkelheit der Nacht stand ich verlassen und vergessen.
Einst ein stolzes Zuhause, in dem fröhliche Lebendigkeit ständig und täglich umherschwirrte, die Luft erfüllte und ein sonniges Licht entstehen ließ. Doch ich lernte mit der Zeit, dass nichts von Dauer ist. Alles Lebendige wich einer traurigen Einsamkeit. Menschen verschwanden, Hochgefühle wurden seltener, bis eines Tages die dunklen Schatten die Oberhand gewonnen hatten. Es schien als hätte das Glück einen aussichtslosen Kampf geführt. Niemand wußte, dass ich alle Geschehnisse der letzten Jahre aufbewahrt hatte. Wer hätte mich auch entrümpeln sollen. Am Ende war niemand mehr da, nur eine schwere, ewige Last.

Dielenknarren, schwere Schritte kamen näher. Ich spürte wie die Blicke von Unbekannten durch meine leeren Zimmer schweiften. Das war der Moment!
Leises Flüstern erfüllte die Luft, und die düsteren Erinnerungen, die in meinen Wänden gefangen waren, begannen lebendig zu werden.
Plötzlich hörte ich ein leises Lachen, das hell aus dem muffigen Keller zu dringen schien. Ein Schatten bewegte sich in den tiefen Dunkelheiten, begleitet von einem herbstlichen Windstoß, der sich durch meine Gänge schlängelte. Es roch vermodert und doch frisch. Ich konnte spüren wie die Anwesenheit näher kam, sich leichtfüßig auf die alten staubigen Stufen zu bewegte.
In dieser einsamen Nacht wurden meine Gebete erhört. Meine dunkle Geschichte wurde Vergangenheit. Trotz der letzten verzweifelten Schreie vergangener Bewohner, die in der feuchten Luft zu hängen schienen, verschwanden diese Zeugen vergangener Geschichten und die Sehnsucht nach einem Ort der Liebe und Erfüllung nahm wieder ihren Platz ein.

So war der Plan. Er funktionierte immer, weil die Vorstellung eines nostalgischen Ortes mit einer unerklärlichen Sehnsucht nach etwas göttlichem verbunden werden wollte.
Ich sehnte mich so sehr danach eine neue schaurige Geschichte voller dunkler Schatten zu erleben, dass ich meine Türen nicht mehr schließen wollte.
Ich wollte weiter als verfluchtes, verlassenes Haus in der Dunkelheit stehen.
Als Mahnmal der Vergänglichkeit.

Die Herrscherin

Der Dielenboden knarrte. Das Holz was bei meiner Errichtung verwendet worden war, arbeitete wie gewöhnlich. Jetzt, da es abends früher dunkel wurde und die Temperaturen sich merklich abgekühlt hatten, war es kein Wunder, dass er sich wieder mehr verzog. Wäre jemand hier gewesen, der die Fenster öffnete, würde er seine ganze Kraft brauchen, da die alten Holzrahmen klemmten und bei jeder Tür, die er aufstieß oder hinter sich schloss, würde ein unheimliches Schleifen erklingen. Ja ich war alt. So alt wie die Eiche, die bei meiner Errichtung im Vorgarten gepflanzt worden war. Mochten es zweihundert Jahre sein, vielleicht etwas mehr oder weniger, wer zählte nach so langer Zeit schon genau.
So viele Generationen von Menschen waren in mir ein und ausgegangen. Sie hatten hier genächtigt, gelebt, hatten ihr Wissen weiter gegeben und waren gestorben. Sie hatten gelacht und geweint und rauschende Bälle gegeben, aber das war lange vorbei. Bereits vor Jahrzehnten waren die Letzten ausgezogen, mit der Hoffnung, ihr Glück anderswo in der Fremde aufzufinden. Es wurde gemunkelt, dass ein dunkler Zauber auf mir lang, Unheil in meinen Mauern hauste. Wer wusste schon, ob das stimmte? In meinen Mauerwerken, in jedem dieser einst prachtvollen Zimmer war so viel passiert. So vieles, was nie an die Oberfläche geraten war. Einzig ich könnte die Wahrheit berichten, die die Menschen in den Jahrzehnten in Gerüchte verwandelt hatten. Ihre Fantasie war dabei grenzenlos. Mal lag ein dunkler Fluch auf mir, der seinen Bewohnern nur Pech brachte, ein anderes Mal lebten in meinem Keller die fürchterlichsten Gestalten, alles von Vampiren über Werwölfe, Geister und Hexen. Manchmal behauptete man, es würde spuken. Was davon der Realität entsprach, nun ewig hatte sich niemand getraut, dem auf dem Grund zu gehen. Ich hatte schon ganz vergessen, wie es war, wenn menschliche Füße über meinen Boden trippelten, ihre Abdrücke hinterließen und durch die Zimmer fröhliches Gelächter erklang. Deswegen bemerkte ich auch erst im letzten Moment, wie der Boden der Veranda besonders laut ächzte. Das Holz des Geländers zitterte, als ein kühler Hauch über ihn strich. Eine eindeutig weibliche Stimme fluchte leise.
„Autsch! Ich hab euch doch gesagt, dass hier ist nichts weiter mehr als morsch. Die Stadtverwaltung sollte es abreisen lassen und dann kann man hier endlich etwas hinpflanzen, was diese Stadt aufwertet.“ Ich richtete nun all meine Sinne auf die Gruppe direkt vor mir. Beinah hatten sie mich bereits betreten und ich hatte es, ohne es zu ahnen, auf die alten Dielen geschoben. Zwei kräftige Jungen, mit Schultern beinah so breit wie die Tür selbst, standen direkt unter dem Vordach, meiner einst imposanten Aufmachung. Das Mädchen, welches gerade gesprochen hatte, befand sich noch immer auf der Treppe und untersuchte ihren Finger nach Splittern. Unten auf dem Rasen stand noch eine. Sie war brünett und hatte sich an einen eher schmächtigen Kerl geklammert. Einer der Jungen mit schwarzen Haaren wandte sich nun der Rothaarigen auf den Stufen zu.
„Sei nicht so zickig Jenny. Du hättest ja zuhause bleiben können. Und du Tessa, zeig endlich mal ein bisschen Mumm und lass dich nicht ständig von deinem Bruder beschützen“, rief er spöttisch und ließ seinen Blick über den die beiden auf dem Rasen wandern. Er hatte hier eindeutig das Sagen. Blitzschnell ging ich meine Möglichkeiten durch, wie ich die Fünf wieder loswerden könnte. Was immer sie auch zwischen meinen Mauern entdeckten, es würde ihre kühnsten Vorstellungen sprengen und die gesamte Stadt in Aufruhr versetzen. Niemand durfte mein Geheimnis je lüften, genauso wenig wie ich jemals jemanden so nah an mich heranlassen würde, dass sie aus mir ein Einkaufszentrum oder was auch immer machen konnten. Meine Mysterien würden die gesamte Stadt in Schutt und Asche legen, sobald jemand mich vernichtete, und wo bliebe dann der Spaß, die Bürger dieser Stadt zu erschrecken und verängstigen. Nur die hier, denen musste ich noch Respekt beibringen oder sie direkt in die Hölle schicken. Der Schwarzhaarige war zurück zu seinem Komplizen gegangen und schubste ihn nun zur Seite.
„Wir wollen die Rätsel um das Haus heute noch lüften, Robert“, knurrte er und griff nach dem Türgriff. Hinter ihm lächelte die Rothaarige boshaft. Für eine Sekunde schien es mir, als wollte sie genau das erreichen. Ihn so provozieren, dass er auf jeden Fall ins Haus ging. Ich verstand das nicht, aber das war auch nicht wichtig. Einzig und allein entscheidend war, dass ich diese neunmalklugen, neugierigen Rotznasen von mir fernhielt.
Zunächst ließ ich ein tiefes Stöhnen aus meinen Tiefen hinaufhallen. Bei fünfzehn Prozent der Besucher reichten ein paar Geräusche meist aus, um sie zu vertreiben, aber ich befürchtete, dass es bei denen hier bis zum äußersten gehen würde. Das Mädchen auf dem Rasen zitterte.
„Bitte lass uns gehen, Timothy“, rief sie. Ihr Bruder nickte.
„Weicheier“, murmelte er, drückte die Tür auf und wandte sie kurz um. „Entweder ihr kommt jetzt endlich oder ich erzähle allen, wie mutig ihr wart.“ Er grinste, als er über die Schwelle trat. Ich holte tief Luft und blies ihm meinen staubigen Atem ins Gesicht, sodass er taumelte. Jenny stieg die letzten Stufen hoch. Ihre mörderisch hohen Stiefelabsätze bohrten sich dabei in meine Dielen.
„Jetzt mach schon, damit wir das endlich hinter uns haben.“ Ungeduldig trat sie an ihm vorbei ins Innere, dicht gefolgt von Robert. Ich unterbrach mein Tun für einige Sekunden. Sie hatte eine Aura an sich, wie ich seit Jahrzehnten nicht gespürt hatte, das konnte nicht sein. Irgendwas an diesem Mädchen war anders, ja vielleicht auch besonders, aber das würde ich herausfinden.
Nachdem alle den Raum betreten hatten, ließ ich mit einem lauten Knall die Haustür ins Schloss fallen. Sie fuhren herum und Tessa atmete hektisch, während sie ihre Fingernägel in das Fleisch ihres Bruders bohrte. Die beiden würden wahrscheinlich mit einem Schrecken davon kommen. Wenn sie clever waren.
Nun fuhr ich mein Programm langsam hoch. Ich ließ Türen knarzen und schleifen, im oberen Stock ein Fenster zuknallen und weckte die Ratten auf. Ihre Augen glühten in der Dunkelheit. Sehr schnell wurde mir bewusst, dass heute eine ganz besondere Nacht war. Die eine Nacht im Jahr, die mir ein paar mehr Kräfte verlieh, mit diesen Kindern zu spielen. Dennoch waren sie mutiger, als ich dachte. Sie bewegten sich langsam verteilt durch den Raum. Tessa und ihr Bruder gingen auf die Tür zum hinteren Bereich zu. Während die anderen die Treppe ansteuerten. Das würde ein Spaß. Zunächst ließ ich die beiden im Untergeschoss ihrer Wege gehen und konzentrierte mich auf die anderen drei. Ich ließ die Treppenstufen besonders knarren und etwas nachgeben. Der blonde Junge, ich glaubte, mich zu erinnern, dass sein Name Robert war, kam ganz schön ins Schwitzen und wollte zweimal umdrehen, aber sein Kumpel zog ihn mit sich nach oben. Als sie den Treppenabsatz erreichten, sah Timothy sich um. Schaurig ließ ich den Wind durch den Flur heulen und bewegte die Gardinen.
„Wo ist jetzt dein Geist?“, fragte Jenny genervt. Ich habe noch keinen gesehen.
„Was glaubst du? Dass er direkt im Eingang steht und uns zum Tee einlädt? Es gibt einen Grund, warum alle vor diesem Haus Angst haben.“ Er schüttelte den Kopf und ging tiefer in die Finsternis des Korridors hinein. Ich ließ die Türen aufspringen, um sie dann bedrohlich zufallen zu lassen. Als Erster war Robert dran. Er hatte sich etwas von der Gruppe entfernt und war zwei Schritte in ein Arbeitszimmer getreten. Gerade bestaunte der den antiken Schreibtisch, da ließ ich die Tür ins Schloss fallen und verriegelte sie. Wenig später hörte ich den herrlichen Klang seiner Schreie und Hilferufe durch meine Mauern wehen. Jenny und Timothy drehten sich um. Sie standen im Schlafzimmer und eilten hinaus, sahen aber nicht so aus, als wollten sie nun aufgeben. Sehr schade. Timothy fand tatsächlich das Buch, welches vor Ewigkeiten hier oben versteckt worden war. Er griff danach und versuchte, es zu öffnen, das musste ich verhindern. Niemand würde meine Geheimnisse in die Welt tragen. Als er sich am Türrahmen abstützte, warf ich die Tür mit aller Macht ins Schloss und hörte wie seine Finger brachen. Der Schrei, voller Schmerz und Qual, der noch im gleichen Augenblick erfolgte, war reinste Musik in meinen Ohren, die ich mit einem lauten Tosen begleitete. Es war perfekt, denn so konnte niemand hören, was Jenny als Nächstes sagte.
„Er gehört mir. Noch ist es nicht so weit!“, brüllte sie mich an und lief dann zu der Tür, hinter der sich Robert befand.

Zur gleichen Zeit hatten Tessa und ihr Bruder die Küche gefunden. Sie blickten sich ängstlich um.
„Komm schon Cem, lass uns einfach wieder gehen.“ Sie blickte ihn flehend an.
„Du hast gehört, was Timothy gesagt hat. Ich will nicht für den Rest meines Lebens ausgelacht werden.“
„Mach doch einfach ein Foto von uns hier drin, dann kann er behaupten, was er will. Wir waren hier.“ Er dachte einen Moment nach, bevor er sein Handy zog. Oh nein! Diese beiden würden gehen, aber nicht mit Beweisen. Noch bevor sie sich in Position bringen konnten, ließ ich einen heftigen Wind durch die große Küche wehen, die Töpfe klapperten und einige Teller fielen von den Regalen. Die beiden fuhren zusammen, das Handy landete auf dem Boden. Mit einem weiteren unheimlichen Geräusch entzündete sich das Feuer im Ofen und kurze Zeit ließ ich ein Gesicht darin aufblitzen. Tessa hatte es gesehen, denn sie schrie wie am Spieß.
„Cem, lass uns hier verschwinden, sonst sind wie die nächsten, über die man Horrorgeschichten erzählt. Es ist mir egal, was Timothy sagt.“ Er jedoch war näher an das Feuer herangetreten und beobachtete es. „Das ist sicher nur ein Trick“, murmelte er zittrig. Er glaubte selbst kaum, was er sagte. „Es geht bestimmt mit Bewegungsmeldern oder anderem schnick Schnack. Der wirkliche Besitzer will uns nur von hier fernhalten.“ Der Junge hatte gar nicht mal so Unrecht, nur wusste er nicht, wer dieser Besitzer war und das mein Feuer keines Wegs ein Trick war. Als er nahe genug herangetreten war, ließ ich eine Feuersbrunst nach vorn schnellen, die seine Hand versenkte. Sein Schrei mischte sie mit dem von Timothy ein Stockwerk höher und ich erschauderte wohlig.
„Ein verdammt guter“, keuchte Cem jedoch einige Augenblicke später. Er war zur Spüle gelaufen und versuchte, das Wasser anzustellen, was schon seit Jahren nicht mehr funktionierte. Tessa probierte es mit dem Lichtschalter, aber der Strom war tot.
„Wenn es das wäre, müsste es hier im Haus aber Strom geben.“ So ein kluges Mädchen. Ich ließ das Feuer über seine Grenzen des Ofens hinaus schnellen, direkt in Tessas Richtung. Sie kreischte auf, rannte auf die nächste Tür in ihrer Nähe zu und riss sie auf. Cem folgte ihr etwas langsamer.
„Wir sollten verschwinden, komm schon Cem.“ Sie waren jetzt im angrenzenden Lagerraum der alten Küche gelandet und Tessa steuerte auf eine Tür zu. Diese beiden hatten ihre Lektion gelernt. Ich würde sie gehen lassen. Aber ein bisschen Spaß musste noch sein. Mit all der Macht, die ich aufbringen konnte, ließ ich ein paar Messer und Gabeln in die Luft steigen und zielte auf die beiden. Cem warf sich zu Boden und konnte der Attacke entgehen, aber Tessa hatte nicht so viel Glück. Das Messer blieb seitlich in ihrem Unterschenkel stecken und ließ sie zu Boden taumeln. Mit dem Kopf schlug sie an eine Kiste und verlor für einen Moment das Bewusstsein. Ich ließ das ganze Gebäude durch mein Lachen vibrieren. Herrlich.

Während die beiden also im Kartoffelkeller lagen, und Cem versuchte seine Schwester vor fliegenden Messern zu beschützen, setzte ich auch oben zu einem Finale an. Jenny hatte Robert mittlerweile aus dem Zimmer befreit und auch Timothys Finger steckten nicht mehr in der Tür. Aber anstatt das Weite zu suchen, öffnete er mein Buch. Er und Robert begannen es zu lesen. Die Furcht verzerrte ihre Gesichter und es dauerte nur Sekunden, bis Robert aufsprang und zur Treppe rannte.
„Wir müssen hier aus. Unten scheint sowieso der Teufel los zu sein und heute Nacht wird es noch schlimmer!“, rief er mit vor Panik bebender Stimme. Er rannte immer schneller und hatte bald die ersten Stufen hinter sich gelassen. Nur konnte ich ihn nicht mehr gehen lassen. Sie hatten meine Warnungen ignoriert und würden dafür bezahlen müssen. Die Treppenstufen knarrten und ächzten und dann ließ ich eine unter Robert einbrechen. Mit einem panikerfüllten Schrei fiel er in die Tiefe, brach durch den Holzboden im Erdgeschoss und landete seltsam verdreht und verrenkt auf dem Betonboden des Kellers. Bult bildete sich unter seinem Kopf. Robert gehörte mir.
Oben konnte ich Jenny kreischen hören, aber ihr Gesichtsausdruck passte so gar nicht zu diesem angsterfüllenden Schrei. Etwas sagte mir, dass sie genauso viel Freude an diesem Spuk hatte wie ich. Timothy war hinter sie getreten, konnte einen Augenblick lang vor Schock weder sprechen noch sich bewegen. Dann blickte er sich um.
„Wenn wir die morsche Treppenstufe umgehen, kommen wir wieder nach unten. Und dann nichts wie weg hier.“
„Wir sind doch noch gar nicht fertig“, antwortete Jenny.
„Tessa hatte aber recht. Das hier ist gefährlich. Also los. Ich bin fertig hiermit.“
„Irrtum. Es fängt gerade erst an.“ Die Rothaarige lächelte ihn durchtrieben an und hob ihre Hände. Mittlerweile konnte sie selbst von dort oben, das Leuchten aus der Küche ausmachen. Es hatte sich im Haus verteilt, überall brannten kleine Feuer.
„Keine Sorge, es geht schnell“, sagte Jenny beruhigend zu ihrem Freund. Sie trat hinter ihn und strich ihm über die Wange. Einen Augenblick starrte sie in das Loch, wo Robert bewegungslos lag, mittlerweile eine riesige Blutlache unter seinem Kopf. Ihr Fingernagel hinterließ einen Kratzer auf seiner Wange.
„Du warst das?“, keuchte der Schwarzhaarige. „Die Infos über die Villa. Deine Widerspenstigkeit hier her zu gelangen. Du wolltest von Anfang an, dass ich hier reingehe. Aber warum?“
„Weil irgendjemand mein Preis sein musste“, flüsterte sie leise. „Keine Sorge, ich werde sie in der Stadt um dich trauern lassen. Sie werden um uns alle trauern.“ Sie nahm ihre Hände, und mit einem kräftigen Schubs flog Timothy die Treppe hinunter. Man hörte das sich wiederholende Aufschlagen seines Körpers auf einigen der Stufen. Es knirschte und knackte, als die meisten seiner Knochen brachen. Jenny lachte und sah genau zu, wie er unten aufkam. Wieder hob sie die Hände zum Himmel und das Feuer im Erdgeschoss explodierte förmlich. Es verschlang Timothy mit einem Wimpernschlag. Ein Feuerball schoss nach oben, ein Gesicht bildete sich. Ein Kopf mit Hörnern, vollkommen glutrot. Der Mann war nur einen Augenblick zu sehen. Er verneigte sich vor Jenny und sagte: „Willkommen zurück, Herrscherin.“
Das war selbst für mich zu viel. In den Jahrhunderten hatte ich einiges erlebt und erfahren, viele Kreaturen waren hier ein und ausgegangen, aber ein Mädchen, vor dem sich selbst der Teufel verbeugte, war sogar für mich eine Überraschung.
Während das Erdgeschoss in Flammen explodierte, hatte ich die beiden anderen im Kartoffelkeller ganz vergessen. Tessa war mittlerweile wieder aufgewacht und die beiden waren durch die Hintertür in den Garten gelangt. Nun standen sie auf dem Rasen und beobachteten mit Faszination, Panik, Angst und Schmerz das Inferno im Innern. Sie wussten, dass sie ihre Freunde in dieser Nacht verloren hatten. Sie beide waren die Einzigen, die in die Stadt zurückkehren würden. Sie würden von der Geistervilla und dem Verlust ihrer Freunde berichten und niemand würde in den nächsten Jahrzehnten auch nur einen Fuß auf das Gelände setzen. Die beiden jedoch würden jeden Tag daran erinnert werden, was in dieser Halloweennacht geschehen war. Cems Hand würde bis an sein Lebensende eine schmerzende Erinnerung bleiben, die Narben aufwies, genauso wie Tessas Unterschenkel. Und der Schmerz über den Verlust würde nie vergehen.
Jenny hingegen trat nun elegant die Treppe hinab und es war so, als würde sie mich direkt ansehen.
„Nach dem ganzen Chaos hier müssen wir aber dringend aufräumen und umdekorieren. Ich wollte die nächsten Jahrzehnte nicht in einer Bruchbude wohnen“, sagte sie, als sie unten angekommen war, und diesmal war ich sicher, dass sie mich und meine Macht kannte.

Das Haus
von Josianne Niggemeier

Ich bin das Haus,
ich sah viele kommen und viele gehen.
Doch am Ende war ich immer alleine, dies wird sich jetzt ändern.
Ich werde niemanden mehr gehen lassen, ich werde ihre Seelen an mich ketten und ich werde es sein, der, der niemals mehr alleine sein muss.

Meine Geschichte begann früh, ich wurde als eines der ersten Häuser im Rabenweg errichtet, genau genommen, bin ich das erste Haus im Rabenweg, doch nun stehe ich an dessen Ende.
Ich wurde als Herrenhaus angedacht und habe viele Zimmer und auch 5 Saale.
Mein Erbauer war ein sehr reicher und gütiger Mann, er lud immer gerne viele Gäste zu sich und mich ein, ich habe viele Menschen kommen und gehen gesehen, viele Feste wurde in mir gefeiert, alles glitzerte und glänzte vor Glamour, die Luft vibrierte in mir vor Energie, ich habe diese Zeiten geliebt. Doch irgendwann stab mein Erbauer, es kamen neue Menschen zu mir, doch auch diese starben, dann kam eine neue wohlhabende Familie, freudige Kinderstimmen hallten durch mein Gemäuer und ich sah denen gerne zu wie sie spielten und sich ihres Lebens erfreuten. Ich liebte die damaligen Feiern genauso gerne wie die Kinder jetzt, doch eines Nachts betrat ein Einbrecher meinen Grund und brachte eines der Kinder um und die Familie zog weg, sie ließen einfach alles stehen und liegen.
Seitdem bin ich alleine, es kam niemand mehr, kein Fest wurde mehr in mir gefeiert. Ich bin ganz alleine. Niemand wollte in einem Haus wohnen, in welchem ein Kind ermordet wurde. Manchmal, ganz selten hatte ich das Gefühl, sein lachen hören zu können und manchmal sein weinen, das Kind ist in mir gefangen als Geist, doch wir beide sind trotzdem alleine. Es ist am falschen Ort gestorben, ich kann mit ihm nicht interagieren und er mit mir nicht, wir wissen nur, dass der jeweils andere existiert und doch sind wir alleine.

Der Geist des Jungen, hat alles verloren, seine Familie, seine Freunde, sein Leben, ich möchte für ihn, das er jemanden hat. Ich selber habe auch so viel verloren, der Rausch der Feste ist verschwunden, das Lachen der Kinder ist verstummt. Es gibt keinen Glamour mehr, keine Feste, keine Familien. Keiner besucht mehr das Haus, außer übereifrige Jugendliche und die nächsten werden meine sein.
Die Farbe blättert von meinen Wänden, das Holz knarzt unentwegt, der Wind pfeift durch mich durch.
Ich bin dunkel geworden, ich habe eigene Gedanken, ich habe Macht über mich, ich kann mich bewegen, ich bin lebendig.

Es war eine dunkle und regnerische Nacht, der Wind peitschte das Wasser durch meine Fenster und die Flure füllten sich, ich ließ es in den Keller laufen, den dort, dort würde es geschehen, dort würde ich ihre Seelen nehmen.

Stimmen, ich horchte auf. Licht erschien auf meiner Balustrade, da waren sie, meine Opfer.
Es war eine Gruppe von 4 Personen, langsam stiegen sie meine Treppen zur Haustür hoch und ich ließ sie ins Haus eintreten, nun war es an mir.
Sie gingen durch meine Eingangshalle, kicherten und scherzten, sagten etwas über ein Geisterhaus, pah, wenn die wüssten. Erst als sie in den nächsten Flur gingen, ließ ich meine Eingangstür laut zu krachen.
Einer von ihnen schrie auf und rannte zur Tür, doch diese war zu. Er ging zu den Fenstern, doch diese hatte ich auch bereits verschlossen, keiner wird mir entkommen.
Er wollte zurück zu seiner Gruppe, doch ich veränderte meine Gestalt, ich ließ ihn glauben, dass er den richtigen Gang langlief, doch dann stürzte er, ohne es zu sehen, in ein Loch, welches durch ein Stück Teppich abgedeckt war in den Keller. Mein erstes Opfer, ich musste sie nur versammeln.

Die Gruppe fragte sich bereits, wo ihr Freund war und ich musste in mich hineinlachen, meine Wände ächzten und die Bohlen knarzten, sie wollten zurück, drehten sich um, doch da war eine Wand. Ich spürte, wie in ihnen die Unruhe aufstieg. Sie fingen an zu laufen, ich musste nichts weiter tun, als sie wie die Raten durch das Labyrinth zum Käse zu führen.

Der Weg gabelte sich und sie waren so dumm sich aufzuteilen, was für ein Spaß. Zwei liefen, in den Saal wo früher die schönsten Feste gefeiert wurden und einer in die Richtung, wo früher der Junge ermordet wurde. Der war bereits Geschichte, um ihn musste ich mich nicht mehr kümmern, der Junge, dessen Seele bereits verdorben war, würde ihn in Stücke reißen und sich die Seele selbst holen. Oder aber seinen Körper versuchen als Hülle zu benutzen. Ich sperrte ihn aber sicherheitshalber ein, er würde dem Geist nicht mehr entkommen können. Das war das zweite Opfer.

Die beiden im Saal, sahen sich ängstlich um. Ihre Taschenlampenkegel waren auf meine Wände gerichtet, ich ließ vor und hinter ihnen zwei Kronleuchter runterfallen, das Kristall splitterte und die Scherben bohrten sich tief in das Fleisch von der kleineren Person. Ich konnte ihr weinen hören, scheinbar war es eine Frau, ich spürte die Wärme ihres Blutes, welches sich auf meinem Boden sammelte.
Ich schlug meine Fenster auf und zu, nun ergriff beide die blinde Panik.
Er hob sie hoch und versuchte sie so schnell wie möglich weg zu tragen, doch ich hatte andere Pläne, als sie an der Tür ankamen, riss ich mir selbst den Boden auf und beide fielen wie der erste in den Keller.

Ihre Schreie waren zu hören, bis sie im Keller waren und dann verstummt, scheinbar hatte sie es nicht überlebt. Er schrie und rief ihren Namen, doch das änderte nichts mehr, ich ließ Steine meiner Decke runterfallen, sie schlugen auf ihre Körper ein wie Hagelkörner auf ein Auto, das Wasser, in dem sie standen, färbte sich rot vor Blut, ich musste schnell sein.

Ich ließ Öl aus meiner Heizung ins Wasser fließen, ich konnte es kontrollieren, ich konnte alles kontrollieren. Ich gab den entscheidenden Funken und alles erstrahlte wieder, die Wärme in meinem tiefen Gemäuer stimmte mich zufrieden, ich würde selber keinen Schaden nehmen, denn ich war es, der es beherrschte.

Er schrie und von einer anderen Stelle, konnte ich seinen Freund schreien hören. Ihre Körper brannten, ich ließ die Hitze ansteigen, die Haut von ihnen warf Blasen und wurde immer mehr durch. Wären die Körper Schweine gewesen, dann wäre ihr Fleisch nach kürzester Zeit durch gewesen.
Ich spürte, wie auch die beiden am Sterben waren, der Mann mit den Verletzungen und seiner Toten Freundin im Arm wehrte sich, er hatte einen starken Willen und doch würde er mir gehören. Sie gehörte mir bereits, denn das Geheimnis war, sie musste durch mich sterben, durch meinen Willen, durch meine Taten und schon waren ihre Seelen meins.
Ich würde sie nicht trennen wollen, sie gehörte zusammen und bald auch alle zu mir.
Ich ließ nochmal Steine fallen und einer traf ihn am Kopf, da hatte ich ihn.
Jetzt gehörte auch er mir.
Das Fleisch ihrer Körper, fing bereits an sich von den Knochen zu lösen und ich löschte das Feuer wieder. Ihre toten und zerstörten Gebeine, würde ich in mein Gemäuer einschließen, niemand würde sie jemals finden.

Der Geist des Jungen, hatte auch bereits sein Werk getan und auch diesen Körper, würde ich gut verstecken.
Kein Mensch, kein lebender Mensch, würde diese jemals finden.

Und da war ich nun, in einer regnerischen Nacht.
Vier Personen kamen zu mir und vier Personen blieben.
Ich hoffte sehr, dass sie den Geist des Jungen wieder zum Guten bekehren können. Und ich selber konnte die Geister der vier sehen, sie waren verstört, sich ihrer Existenz noch nicht bewusst, doch das würden sie bald werden.

Ich bin das alte Herrenhaus am Rabenweg, ich war viel zu lange alleine, doch nun, nun werde ich niemals mehr alleine sein. Stimmen werden durch meine Fluren zu hören sein und die vier werden immer an meinem Grund gefesselt sein.
Die Einsamkeit wird vergessen sein, ich bin nie wieder alleine.
Ich, ich bin das Haus.

Das Rabenhaus

Zärtlich streichelt Elisa über die verhängten Möbel. Jahr für Jahr lebt sie einen Sommer lang im Haus ihrer Familie versorgt das Anwesen. Das Haus am Ende des Rabenwegs ist aus rotem Backstein, robust gebaut, mit zwei spitzen schwarzen Türmen. Die lange Auffahrt an der Vorderseite sieht aus wie die Beine eines Raben. Wenn Eis und Schnee hereinbrechen, muss sie ihr Sommerdomizil verlassen.

Ihre Sachen sind gepackt und stehen vor dem Haus. Gleich kommt der Wagen, um sie abzuholen. Elisa schließt die Wohnzimmertür. Das Fenster klappert und die Schaufel des Kaminbestecks fällt um.

„Du reißt dich zusammen“, hört sie sich sagen und hebt die Schüppe wieder auf. Sie tritt auf den düsteren Flur hinaus. Die Deckenlampe flackert. Der ausgestreckte Arm, einer in der Ecke stehenden Ritterrüstung, versperrt ihr den Weg.

„Lass mich sofort durch“, schimpft Elisa, „oder ich helfe nach“. Der Arm senkt sich und das Licht geht aus. Liebevoll streicht sie über die Flurwand.

„Im Frühjahr komme ich ja wieder“.

Elisa tritt aus dem Haus und verschließt die Tür. Eine Schaar Raben fliegt über das Anwesen in Richtung Wald. Ein Dachstein löst sich und fällt laut krachend auf den Weg.

„Ich werde dich auch vermissen. Das mir ja keine Klagen kommen“.

Lächelnd steigt sie ins Auto und sieht, wie eine Eule den Platz im Rabenturm einnimmt. Das Auto fährt los. Ein Mann wandert den Rabenweg entlang.

Der Parasitenflüsterer

Kapitel 1 : Das Haus am Ende des Rabenwegs

Suuuper, das war es mit meinem Frieden, grummel. Verd… warum gehört das Tor nicht zu mir?

Jetzt steigen die auch noch aus. Sag nicht, dass die zu mir rein wollen. Doch, die wollen, grrrr. Das können die sich abschminken, mein Türschloss bleibt geschlossen. Jep Kraushaar, kannst so viel an meinem Türknauf drehen, wie du willst. Die Tür bleibt zu. Was? Was hast du Stelze da gesagt? Du willst einen Bohrer in mich jagen? Du dreckiger Bas…

Komm, du nur mit deinem Giftstachel, aber dreh vorher an meinem Knauf. Nun ist das Schloss geöffnet.
Hahahaha, jep, der war gut Stelze – zu blöd, um eine Tür zu öffnen – hahaha – Hast vielleicht versucht den Türknauf runter zu drücken – hahaha.
Aber bilde dir nicht ein, dass ich dich dadurch mag, weil du so abfällig mit dem Kraushaar umgehst. Ah, ich sehe, Blondi ist deine Freundin. Die Brünette ist dann die Freundin vom – nee, Kraushaar ist der Verlierer, der Punchingball, der Kofferkuli, das Mädchen für alles.

Das war klar, ohne die Schuhe abzuputzen, meine Eingangshalle betreten. Wofür hab ich denn den Schuhabtreter im kleinen Flur davor? Jep, danke schön, für die Büchse Bier. Die macht sich auf dem Fußboden gut. Vor allem, wenn sie noch ausläuft. Das Zeug fließt auch noch unter den Schrank. Igitt, der Filz des Möbelgleiters saugt einen Teil auf. Das bekomme ich dort nie heraus. Und da gluckert noch mehr auf meine Steinplatten. Hört das mal auf? Nein? War die komplett voll? So kann man auch angeben, man könne 100 Dosen leeren, ohne besoffen zu werden.

Jep, du Stelze, ruf ruhig deine Freundin hier rein. Ihr Schicksal kommt auf deine Rechnung.
Wusste ich’s doch. Die Brünette folgt Blondi und Kraushaar holt das ganze Gerümpel aus dem Auto.

Mann, pass doch auf! Schon wieder eine Macke mehr im Türrahmen. Warum zwei Mal laufen? Mit einem Mal erweitert der Schrott den Eingang.

Verd… der holt noch mehr.

Hey Blödmann! Das, wo nun der zweite Splitter absteht, ist eine Doppeltür. Wenn man die oben und unten entriegelt, dann lässt sie sich aufklappen. So haut man auch keine Macken in mich!

Was gibt das? Ach ja, der dicke Metallkoffer schützt die Kameras darin, fügt mir aber Splitterwunden in Rahmen und Türblatt zu.

Toll! Grummel. Kraushaar baut die Stative auf. Was für ein Mädchen. Die beiden Weibchen belustigen sich über die verdreckte Einrichtung. Die Bierdose von Stelze ignorieren sie. Sie würden ja sonst auf die Idee kommen, dass ich nicht freiwillig so schmutzig bin. Nein, das bin natürlich nur ich in Schuld.
Wo will Stelze hin? Warum geht er schon die Treppe hoch? Ach zur Toilette will er. Genau, lass die Tür auf stehen, damit alle deinen Strahl hör… Mann, wie bescheuert bist du? Bist zu blöd die Schüssel zu treffen? Und nun, ohne die Hände zu waschen, den Raum verlassen. Zum Glück hast du die Türklinke nicht besudelt. Verd… fass sie nicht an! Fass sie nicht … bahhhh igitt! Das tropft ja auf meinen Fußboden.
Was? Was hast du da gesagt? Jemand? Nicht jemand hat! Du hast auf die Klobrille gepisst! Nur du! Niemand anderes!
Jetzt wischt du den restlichen Urin an deiner Hose ab? Jetzt erst? Hast nichts Besseres gefunden? Zum Glück hab ich hier keine Wandteppiche. – Alles voll pissen; alles wie ein Köter markieren; alles «Taggen» oder wie ihr das heute nennt. Und wenn der Schniedel dazu nicht mehr taugt, setzt ihr die Gaskanister mit der Farbe darin ein. Aber so weit lass ich es nicht kommen.
Mal sehen, ob die mein Telefon im zweiten Stock hören. Hören ihr das? Nein, sie bauen seelenruhig ihre Geräte auf. Besser gesagt, das Mädchen baut auf. Die anderen schauen zu.
AB-Nadine Müller: «Hier ist der telefonische AB von Nadine Müller …» Jaaa, ich weiß, komm schon zum Piep!
AB-Nadine: «… nach dem Signalton – Piep!»
Jetzt schnell Pause drücken. Ha, das klappt noch wie immer. Oder wie damals? Das letzte Mal ist schon einige Winter her. So, nun noch der AB-Martina, der AB-Klaus und der digitale AB-Familie. … fertig! Klappt das noch mit dem Blockieren der Leitungen? Magnetfelder oder so, muss ich aufbauen. Nein, die heißen elektrische Felder oder so. Jep, das klappt. Ich hab nichts verlernt.

Nun wird es Zeit! Zeit euch los zu werden! Einmal die interne Nummer für das Telefon auf dem oberen Treppenabsatz wählen. Und? – Los, geh schon an das Telefon! Ich lass es nicht umsonst bimmeln. Ha, er nimmt ab. Aufnahme am AB-Nadine fortsetzen!
Stelze:«Ja, hallo? – Hallo, ist da wer?»
Sprich weiter, ich brauche noch Text auf meinem Anrufbeantworter, hahahaha. Was für ein langes Wort. Ich glaube, die Menschen kürzen es mit AB ab. Ha, deswegen heißen die ja AB-Nadine und so. Das mir das erst nach so vielen Wintern auffällt, hahahaha.
Nicht auflegen! Dann halt noch einmal. Hört schön mein Gebimmel, hahahaha.
Stelze: «Hallo? Wer ist denn da?»
Blondi: «Und, wer ist es?»
Stelze: «Niemand!»
Brünette: «Bestimmt ein Geist, hahahaha.»
Blondi: «Hahahaha, dann leg doch wieder auf.»
Was sollte das? Stelze lässt sich von Blondi was sagen? Nein, seine miese Persönlichkeit spricht dagegen. Er wollte vermutlich selber auflegen. Na ja, ich lass es einfach erneut bimmeln.
Stelze: «Verdammte Scheiße, wer ist da?»
Die Toilette! Du hast die Klobrille nicht sauber hinterlassen!
Brünette: «Immer noch niemand dran? Lass mich mal. – Hallo? Ist da wer? Hey, du kleiner Perverser, ich höre dich atmen?»
Der lang behaarte Mensch hat wohl eher ein Ohrensausen. Da ist nichts zu höhren, nicht einmal das Tonbandgerät des ABs.
Stelze: «Und, ist er noch rattig auf dich?»
Brünette: «Nee, da ist nichts. Da ist niemand rattig auf mich, außer vielleicht du?»
Sie ist vermutlich rattig auf ihn, so wie sie ihn anlacht. Das war bestimmt eine Kontrollfrage. Sie schaute ihm schließlich in seine Augen, um seine Reaktion zu bewerten.
Blondi: «Ohhhhhhh, niemand steht auf dich?»
Eifersüchtig? So dumm, wie man es den blonden Menschen nachsagt, scheint sie nicht zu sein. Sie hat die Anmache bemerkt.
Brünette: «Doch, mindestens der Patrick steht auf mich. Aber den Versager würde ich nie ran lassen.»
Kraushaar schaut auf. Interessant. Das Mädchen hört anscheinend auf den Namen Patrick.
Brünette: «Soll ich nun auflegen?»
Stelze: «Damit es wieder bimmelt? Wo führt denn die Leitung hin? Scheiße, der Anschluss ist noch ohne Stecker. Soll ich das Kabel abreißen?»
Lass die Finger von mir du Vandale! Saboteur! Perverser! Daneben-Pisser! Mensch! Drecksack!
Kraushaar: «Nein, das gibt sonst noch ärger. Nachher bezahlen die uns nicht.»
Stelze: «Dann dreh ich hier am Rad. Ich such doch nicht nach einem Gluckern in der Heizungsanlage oder in der Toilette, damit die uns nicht bezahlen.»
Kraushaar: «Du? Bislang musste ich immer die Gespenster suchen und beseitigen.»
Stelze: «’ne Heizung entlüften kann doch jeder.»
Kraushaar: «Und warum machst du das dann nicht?»
Stelze: «Ich kann das alles schon. Du Pfeife musst das noch richtig lernen. Zudem bin ich das Gehirn, dass den Doofmännern das Entlüften als Geistervertreibung verkauft.»
Kraushaar: «Du meinst, du bist skrupellos genug, um die Leute zu betrügen.»
Stelze: «Ich bin skrupellos genug, dir in den Arsch zu treten, wenn du nicht weiter aufbaust.»
Brünette: «Was soll ich nun mit dem Hörer machen?»
Blondi: «Leg ihn doch einfach daneben.»
Brünette: «Auch nicht schlecht.»
Sehr schön. So will ich das haben. So kann ich meinen Sprachwortschatz erweitern. Wenn ihr schon zu sonst nichts nütze seid, dann wenigstens für das.
Blondi: «Hier mein Hengst, hast noch ein Bier.»
Stelze: «Klasse! Arrrrrg!»
Das war klar! Aus so einer geringen Höhe das Bier hinunter gluckern lassen und dann nicht einmal das eigene Maul richtig treffen. Was soll denn das? Die Büchse ist noch voll. Ich hab mitgezählt, nur drei Schlucke und zwei weitere auf das T-Shirt. Halt sie auf! Halt sie auf! Wenn sie tiefer meine Treppe hinab kullert, versaut sie den gesamten Läufer bis zum unteren Treppenabsatz. Dann hab ich nur auf der anderen Seite eine, klebefreien Aufgang. Bah, das gibt bestimmt Schimmelpilze.

Stelze: «Lass uns mal hier oben die Zimmer durchgehen. Hat das Haus einen zweiten Stock?»
Brünette: «Ja.»
Stelze: «Was für ein Scheiß.»
Wo willst du hin? Ins Schlafzimmer der Eltern? Na dann viel Spaß mit dem Telefon. Das lass ich nun für ein Gruppengespräch bimmeln.
Stelze: «Hallo, wer ist da? – Schon wieder niemand dran. Ich leg den scheiß Hörer auch daneben.»
Brünette: «Hallo? Wer ist da? Hier drüben ist noch so ein Bimmeltelefon. Soll ich den Hörer daneben legen?»
Stelze: «Wo bist du?»
Brünette: «Hörst du mich nicht? Gegenüber von deinem Zimmer.»
Stelze: «Was ist das hier? Ein Kinderzimmer?»
Brünette: «Ich glaube eher, vom Kindermädchen, Köchin oder so. – Was ist nun mit dem Hörer? Hinlegen oder auflegen?»
Stelze: «Alle, die Bimmeln, daneben legen!»
Genau, betretet ruhig alle Zimmer und nehmt alle am Gruppengespräch teil, Hahahaha.
Blondi: «Willst du noch ein Bier?»
Stelze: «Nein aber was anderes. Willst mal das Zimmermädchen spielen?»
Blondi: «Was?»
Stelze: «Dein Herr und Meister will dir eine nächtliche Sondervergütung zukommen lassen.»
Brünette: «Igitt, ich schau mal in die anderen Zimmer rein. Macht ihr mal, was ihr machen wollt, ohne mich.»
Stelze: «Dann gibt es für dich keine Prämie, hahahaha.»
Blondi: «Du stehst doch nicht auf sie?»
Stelze: «Eifersüchtig? Dreh dich mal um und ich zeig dir, wie sehr ich auf dich stehe.»
Blondi: «Mach vorher die Tür zu.»
Stelze: «Nur, wenn du dafür was runter lässt.»
Blondi: «Mach schon. Ich mach dann auch.»

Blondi: «Was hinten rein? Da hab ich ja gar nichts …»
Stelze: «Du stehst doch darauf. Du hast mir doch nicht was vorgetäuscht?»
Ui, schaut der nun grimmig.
Blondi: «Nein, ich würde dir doch nie was vortäuschen. Du bist so klasse. Du würdest auch nie auf so etwas reinfallen. Schließlich bist du unser Gehirn. Hier!»

Stelze: «Gefällt dir der Bonus? Der ist dafür, dass du die Zimmer schön aufräumst.»
Blondi: «Ja, mein Hengst, zeig es mir. Ja, ja, mach weiter, Ja – ja – ja, ja, jajajajaja, du bist der beste.»
Stelze: «Nenn mich Herr oder Master. Schließlich bist du nur das Zimmermädchen.»
Blondi: «Ja, mein Herr, belohne mich. Ja – ja – ja – ja, ja, ja, jaaaa

Was machen die da? Nein die wollen sich doch nicht vermehren, oder? Ein Nest, von denen, bedeutet mein Untergang. Igitt, da kann ich gar nicht hinschauen.

Kraushaar kommt hier rauf. Will der dem ein Ende setzen? Er bleibt vor dem Zimmer der Köchin stehen und hört den beiden zu. Oh, nein, er geht doch weiter und schreitet auf den nächsten Raum zu. Als Letztes hatte darin ein Kindermädchen gewohnt. Ob die Brünette hier auf den Kraushaar wartet? Hoffentlich wollen die zwei sich nicht auch vermehren. Hoffentlich nimmt sie nur den bimmelnden Hörer ab. Wunderbar, sie legt ihn daneben. Braves Menschlein. Das Telefon verbinde ich mit dem AB-Martina. So, dann nimm mal alles auf!
Kraushaar: «Warum schaut ihr hier oben nach. Sollten wir nicht zuerst das Erdgeschoss und dann den Keller durchsuchen? Unten werden die meisten Geräusche verursacht und nach oben über die Leitungen übertragen.»
Brünette: «Mann hast du mich erschreckt. Dann guck doch. Ich will mit dir nicht in einem Zimmer sein.»
Kraushaar: «Hast du Angst vor mir?»
Brünette: «Nein, ich ekel mich vor dir!»
Kraushaar: «Aber nur, weil dir das dein Hengst befohlen hat.»
Brünette: «Hengst? Welcher Hengst? Ich bin solo!»
Kraushaar: «Das hat mit deinem miesen Charakter zu tun. Aber jeder sieht doch, wie du auf Markus abfährst. Du bist doch total eifersüchtig auf Sabine.»
Brünette: «Eifersüchtig? Auf das blonde Dummchen? Sabine kann mir doch nicht das Wasser reichen. Wenn ich Markus haben wollte, dann hätte ich ihn schon. Und jetzt zisch ab, du Ekel.»
Kraushaar: «Hörst du das? So gut kannst du bestimmt nicht deine Geilheit vortäuschen.»
Brünette: «Ach ja, wie ist denn das hier. Oh, jaa gibs mir du Hengst. Oh, oh, ah, ah, ah, ja, ja, ja, ja, ja, jaaaa!»
Kraushaar: «Für Telefonsex ist das ausreichend, aber ich fall auf so etwas nicht rein.»
Brünette: «Ach ja, wie willst du das unterscheiden, du bist doch noch Jungfrau.»
Kraushaar: «Denk das mal weiter.»
Brünette: «Du sprichst nie über eine Freundin und du erzählst nie darüber.»
Kraushaar: «Nicht mehr! Ich erzähle nicht mehr darüber. Das ist der Unterschied.»
Brünette: «Was für ein Unterschied?»
Kraushaar: «Schlampen wie du bleiben blöd. Andere Menschen lernen.»
Brünette: «Du meinst Männer.»
Kraushaar: «Kotz, Gendern. Rassenknüppel, Genderknüppel was auch immer Knüppel nutzt ihr doch nur, weil ihr euren eigenen Müll nicht Begründen könnt.»
Brünette: «Ich gender gar nichts.»
Kraushaar: «Klar, du hast aus meinem Menschen, Männer gemacht.»
Brünette: «Das hast du auch gemeint.»
Kraushaar: «Jetzt bestimmst du, was ich meine!? Das ist eins der großen Probleme in diesem Land. Andere bestimmen, was man gesagt und gemeint hat. Vor allem Menschen wie du, die denken, sie hätten ihren G-Punkt im Arsch. Deswegen zieht es so scheiß Typen, wie den Markus genau da rein. Ihr müsst es überall öffentlich treiben, damit niemand sieht, wie sexuell frustriert ihr tatsächlich seid. Und dann zwingt ihr mich, für eure Dummheit zu büßen. Ich darf keinen Spaß haben. Ihr erlaubt es mir nicht. Dieses asoziale Verhalten sorgt dafür, dass ich nichts mehr von mir erzähle. Ihr ändert alles ab, zieht alles ins Lächerliche und sucht sogar meine Bekanntschaften auf, um ihnen zu erzählen was für ein Versager ich angeblich bin. Die übliche Scheißisolationstaktik. Aber hier der Newsflash: Das hier ist mein letzter Auftrag!»
Brünette: «Ach ja, dann wirft dich Markus Dad aus der Firma. – Was ist? Willst du nichts sagen? – Was grinst du so?»
Kraushaar: «Ich brauche nichts mehr zu dem Thema zu sagen. Ich geh und guck mal im Erdgeschoss nach. Und du lausch bei Sabine, wie man Markus vortäuscht, er wäre der Superhengst.»
Brünette: «Verdammt! So einen Scheiß hab ich nicht nötig!»
Kraushaar schreitet nun ziemlich zügig zur Eingangshalle. Er grinst noch immer. Er scheint sich vom Mädchen weiter zu entwickeln. Wachsen die dann körperlich? Ich hoffe nicht. Ich will nicht, dass er sich in mir festklemmt und dort vergammelt.
Brünette: «Warte, ich komme mit!»
Vorhin fand sie ihn mindestens so eklig, wie ich sie alle finde. Warum verfolgt sie ihn? Will sie sich doch mit ihm paaren?
Kraushaar: «Pass auf, dass du nicht auf Markus Bier ausrutscht. Er hat es schon wieder nicht geschafft und fast voll hingeworfen.»
Brünette: «Ich geh die andere Treppe runter. – Hier bimmelt noch ein Telefon? – Scheiße!»
Kraushaar: «Ja, da unten, neben dem Eingang. Ich häng das eben ab.»

Brünette: «Gerade aus geht es in die Küche und rechts unter der Treppe – hier ist eine Abstellkammer. Was ist links?»
Kraushaar: «Hier geht es in den Keller.»
Brünette: «Hast du da Licht?»
Kraushaar: «Ja. Moment – ’ne Taschenlampe ist hier in der Werkzeugtasche drin. Brauchst du was, sonst nehme ich die gleich mit runter. Ich will die Heizung einschalten.»
Brünette: «Was sollte ich davon brauchen? Ich mach mir doch nicht meine Fingernägel kaputt.»
Kraushaar: «So siehst du auch aus.»
Brünette: «Warte, geh da nicht alleine runter. Ich komme mit.»
Warum biedert sie sich nun an ihn an? Hat das mit seiner Rede zu tun? Hält sie ihn nicht mehr für ein Mädchen? War er noch eins? Gewachsen ist er nicht.

Soll ich das Licht ausmachen? Nein, nachts vermehren sich die meisten Tiere. Ich schau mal, was die mit meiner Heizung vor haben.

Ui, er kennt sich aus. Einer kleinen Wartung widersetze ich mich nicht. Ahhh, das wird mein Durst stillen. Wie viele Winter sind nun vorbei gezogen, seit mein Vorratsbehälter das letzte Mal Rand voll mit Heizungswasser gefüllt wurde?
Er ist bestimmt ein Fachmann, so wie der mein Ventil reinigt. Von ihm lass ich mir gerne die Zündflamme einstellen.

Aha, er ist fertig. Dann will ich mal ein wenig Wasser aufheizen, während die zwei die Treppe hinauf steigen.
Wie oft hab ich mir hier unten ein Telefon gewünscht und nun zeigte es sich, dass ich dort keins benötige. Die beiden hatten doch tatsächlich nicht ein einziges Wort miteinander gewechselt. Vielleicht ist das auch so eine Regel. Man sagt kaum etwas, zittert und reibt sich die Oberarme. Das machen fast alle langhaarigen Menschen in meinem Keller.

So, sie treten unter der Treppe hinaus. Zeit, das Telefon in der Küche bimmeln zu lassen.
Brünette: «Ich mach das schon aus.»
Jep, sie konnte wieder reden. Das hat anscheinend was mit dem Keller zu tun. Wenn das ein Zauber ist, dann brauche ich den für all meine anderen Stockwerke auch.
Kraushaar: «Hörst du ein Gluckern oder so?»
Brünette: «Warte, meine Ohren müssen sich erst einstellen. Das Bimmeln war so laut. – nein, ich höre nichts.»
Kraushaar: «Ich entlüfte sie trotz dem mal.»
Heizung: «Pfffffrlrlrlllrl!»
Ups, ’tschuldigung für das Bäuerchen, hehe.
Brünette: «Hast du das mit allen Heizungen vor?»
Kraushaar: «Ja. Ich mach diesen Job noch ordentlich und dann war es das für mich.»
Brünette: «Ich muss doch nicht dabei helfen?»
Kraushaar: «Und deine Fingernägel beschädigen? Zudem würde Markus ja dann meckern, dass mir jemand hilft. An deiner Stelle würde ich mich ins Auto setzen und warten.»
Brünette: «Sagst du den anderen Bescheid, wo ich bin?»
Kraushaar: «Mach ich.»

Sollte ich nun tätig werden oder eher warten, bis die ganze schlechte Luft aus mir raus ist? Hmmm, ach irgend wann muss die Arbeit gemacht werden und ich hab keine Lust, es selber zu machen. Einige Ventile sind beim letzten Mal zu fest zu gedreht worden.

Igitt, hätt ich mal nicht oben geguckt. Die hat doch den Dreck runter gelutscht. Sie sollte lieber das Bier aus meinem Läufer auf der Treppen zuzeln, bevor sich dort Pilze ansiedeln.
Was mach ich so lange? Hm, ich könnte mein Sprachwortschatz im digitalen AB erweitern. Alle Wörter auf den Bändern, die ich noch nicht habe, übertrage ich mal.

So, fertig. Dann kann ich die Kassetten löschen, oder? Nein! Die hören sich besser an als die digitalen Aufnahmen. Für meinen Plan sind die analogen Aufnahmen geeigneter.

Stelze verlässt das Zimmer und läuft Kraushaar beinahe in die Arme, hehe. Schade, dass sie nicht mit ihren Köpfen aneinander gedonnert sind.
Stelze: «Und hast uns gut zugehört? Dann kannst es beim Handbetrieb nachmachen hahahaha.»
Witzig, er dreht sich zu Blondi um, die hat aber seinen flachen Spruch nicht mitbekommen.
Stelze: «Hey, Bine. Patrick hat uns zugehört.»
Blondi: «Ja Patrick? Und wie war Markus? Oder kannst du das als Versager nicht beurteilen?»
Kraushaar: «Nein, ich hab hier oben die Heizungen entlüftet. Jetzt will ich noch ins nächste Stockwerk.»
Stelze: «Unten hast du schon?»
Kraushaar: «Ja.»
Stelze: «Wo ist Nadia?»
Kraushaar: «Im Auto oder dachtest du, die bleibt hier als Publikum?»
Stelze: «Da hätte sie noch was lernen können. Oder mitmachen können.»
Blondi trat ihn und schaute ihn böse an. Na ja, er sah es nicht, da er sich nicht einmal umdrehte.
Stelze: «Sie hätte dir auch helfen können.»
Kraushaar: «Um dann deinen Groll abzubekommen?»
Stelze: «Wieso das?»
Kraushaar: «Du stänkerst ständig gegen mich und verbietest allen, mit mir zusammen zu arbeiten oder mir zu helfen.»
Stelze: «Du stinkst, deshalb will dir niemand helfen. – Und du bist zu blöd Hilfe zu erkennen.»
Kraushaar: «Welche Hilfe?»
Stelze: «Wir helfen dir alle. Ich helfe dir, indem ich ein Bier trinke und darüber nachdenke, was wir den Kunden erzählen. Damit bekommst du auch deine Kohle.»
Kraushaar: «Welche Kohle? Bei den zwei Aufträgen, die wir bisher hatten, hast du alles als Unkosten für die Ausrüstung behalten.»
Stelze: «Das ist nötig. Wir müssen uns erst aufbauen. Zudem war das nicht das Thema!»
Kraushaar: «Ok, dann zurück zum Thema. Was machen die anderen beiden?»
Stelze: «Sabine hilft dir, indem sie mir das Bier zum Denken holt. Und Nadia hilft dir, indem sie dich auf ihren tiefen Ausschnitt schauen lässt. Tiefer wirst du nie gucken dürfen, hahahahaha.»
Kraushaar: «Eifersüchtig oder gar angst, weil du noch nie in ihre Hose durftest?»
Stelze: «Als ob du schon mal ran durftest. Du dürftest ihre Hose nicht einmal anfassen, wenn sie über einem Stuhl hängt.»
Kraushaar: «Stimmt, aber das brauche ich auch nicht.»
Jetzt guckt die Stelze aber verwirrt auf das breite Grinsen von Kraushaar, hehe.
Stelze: «Los, entlüfte die Heizungen!»
Kraushaar: «Warum machst du das nicht?»
Stelze: «Weil ich es anordne, bestimme und dir auftrage. Hast du verstanden? Ich bin hier dein Chef!»
Kraushaar: «Ich sehe, du bist zu blöd dazu. Und dein Vater ist dein Chef.»
Hehe, der Tritt von Stelze ging daneben. Da war Kraushaar zu schnell weg.

Stelze: «Komm, lass uns runter gehen.»

Stelze: «Bahh, der Teppich klebt.»
Blondi: «Der klebt von deinem Bier.»
Stelze: «Geh zum Auto und hol Neues! – und hol Nadia!»

So lange Stelze wartet und Blondi zum Auto ist, schneide ich schnell meine Sätze auf dem AB-Martina zusammen. Das ‹Ohhhhhhh› mach ich mal etwas leiser, dort das ‹ja› etwas lauter, damit man die Schnittstelle nicht so wahrnimmt …

Was ist, willst du das Zeug spülen oder warum wirfst du mein Besteck aus meiner Schublade auf den Boden?
Blondi: «Was suchst du?»
Stelze: «Ein scharfes Messer. Ich will den losen Faden hier abschneiden. Das T-Shirt war teuer.»
Blondi: «Da drüben ist ein Messerblock. Nimm doch da eins weg.»
Aua, Stichwunde! Du Drecksack! Mein Oberschrank ist keine Dartscheibe für Messer. Das gehört zurück in den Block. Der macht mich immer mehr kaputt. Der Drecksack muss hier raus.
Blondi: «Willst du das da stecken lassen?»
Stelze: «Warum nicht. Gib mir das Bier!»
Brünette: «Was sollen wir noch machen? Ich höre kein Knacken, kein Gluckern oder was auch immer. Du hattest doch nachgehakt, oder? Über was haben die Kunden sich denn beschwert?»
Stelze: «Über unheimliche Vorkommnisse. Die haben nichts Genaues gesagt. Die wollen für den Kasten nichts bezahlen. Daher suchen die nur nach Mängeln oder einem schlechten Ruf und so.»
Blondi: «Langweilig!»
Stelze: «Dann geh doch hoch und schau, wie weit Patrick ist. Vielleicht können wir dann schneller weg.»
Blondi: «Das sind zwei Stockwerke.»
Stelze: «Die Bewegung kann dir nicht schaden. Vorhin im Bett war mir das zu wenig.»
Nach ihrem Blick wirkte der Spruch bei ihr übel. Zudem passte aber sein widerliches Grinsen. Blondi sagt allerdings kein Wort und verschwindet, hm. Was passiert nun? Die Brünette lehnt an der Spüle und die Stelze grinst sie von gegenüber an. Will er sich nun mit ihr vermehren? Nein! Du Drecksack! Jetzt läuft das Zeug unter der Tür durch, in den Vorratsraum. Wie kann man nur so sch… sein und fast volle Dosen überall gegen Wände, Schränke und Türen werfen? Wie kann man nur so rücksichtslos den Inhalt überall hinfließen lassen?
Brünette: «Meisterleistung! Wieder eine fast volle Büchse auf dem Boden.»
Stelze: «Das törnt dich doch an.»
Brünette: «Bestimmt nicht!»
Stelze: «Was hast du? Vorhin hast du mich noch angeflirtet.»
Brünette: «Wann soll denn das gewesen sein? In deinen Träumen?»
Stelze: «Auf der Treppe – oben – wo das Telefon genervt hat.»
Brünette: «Da hab ich dich doch nicht angeflirtet. Da war ich nur nett.»
Stelze: «Hast du was mit Patrick?»
Brünette: «Bist du bescheuert? Die sechs Schluck auf zwei Stunden sind dir wohl in die Birne geschossen.»
Stelze: «Was hat er erzählt? Hat er mich schlecht gemacht? Glaubst du den Scheiß, den er erzählt?»
Brünette: «Was für ein Scheiß? Was soll er mir denn über dich erzählen? Er arbeitet doch für dich und deinen Vater. Weiß der was Besonderes? Vielleicht sollte ich ihn anflirten. Dann erzählt er mir vielleicht ein paar Geheimnisse.»
Stelze: «Da gibt es nichts zu erzählen. Weißt du, was er mir erzählt hat?»
Brünette: «Nein.»
Stelze: «Das er es mit dir getrieben hätte.»
Brünette: «Du spinnst doch!»
Stelze: «Doch, hier in der Küche hätte er dich genommen. Er wäre zu dir in die Hose gekommen.»
Brünette: «In die pass nur ich rein.»
Stelze: «Ich meine er hätte dich da befingert. Er sagte das! Nicht ich!»
Brünette: «Weißt du was? Auf deine scheiß Spiele hab ich kein Bock mehr. Das ganze gegeneinander aufhetzen kotzt mich mittlerweile an.»
Stelze: «Was? Du Schlampe bist doch nur auf Sabine eifersüchtig. Du bist neidisch, dass ich dich nicht ran lasse.»
Brünette: «Mit der Taktik kannst du bei Minderjährigen landen, aber nicht bei mir.»
Stelze: «Ach ja? Die sind nicht so Schlampen wie du.»
Brünette: «’ne Schlampe wäre ich nur, wenn ich mich dir, wie Sabine, anbieten würde.»
Stelze: «’ne Schlampe bist du auch so.»
Brünette: «Du bist doch zu dumm, um zu wissen, was eine Schlampe ist.»
Stelze: «Nein, du bist zu dumm dazu.»
Brünette: «Ja, genau wie im Kindergarten. Neiiin selber doof. Nur damit du nicht dumm stirbst: Eine Schlampe stellt Scheiß Typen all ihre Löcher zur Verfügung. Damit bin ich keine.»
Stelze: «Du hast recht. Nicht mit den Scheiß Typen. Damit dass du keine Schlampe bist. Du bist eine Hure. Eine Schlampe ist cool. So wie im Lied: I’m a Bitch, I’m a mother …»
Brünette: «Hure ist höher als Schlampe. Die Hure bekommt Geld. Die Zwangsprostituierte ist darunter, da sie das Geld abgeben muss. Und die Schlampe ist ganz unten, da sie zu blöd ist Geld von scheiß Typen wie dir zu verlangen.»

Aha, Blondi ist oben angekommen. Hmm, soll ich noch warten oder nun meinen Plan umsetzen? In drei Zimmern war Kraushaar noch nicht gewesen. Da hab ich auch meine ABs drin. Soll ich ihn überhaupt da rein lassen? Ach was, Blondi betritt gleich den Raum und Stelze ist nun so schön in Rage. Ich starte durch. Je schneller die weg sind, desto besser für mich und weniger Schäden.
Sie tritt ein, hahahaha. Nun ganz langsam die Tür schließen, so als ob die Luftströmungen sie zufallen lässt.
Blondi: «Patrick, wie lange brauchst du noch?»
Kraushaar: «Auf dieser Seite bin ich fast fertig. Die Zimmer gegenüber vom Gang muss ich noch alle machen. Aber die sind abgeschlossen. – Und ich weiß nicht, ob auf den Dachböden noch Heizkörper sind. In manchen Häusern gibt es sowas.»
Blondi: «Na gut, ich sag – was ist das? Warum geht die Tür nicht auf?»
Kraushaar: «Lass mich mal. – Verdammt. – Die ist verschlossen.»
Blondi: «Kannst du die mit Gewalt öffnen?»
Kraushaar: «Nein, das sind massive Holztüren. Nicht der Pressspanmüll, den es heute zu kaufen gibt.»
Blondi: «Hast du da kein Werkzeug dafür drin?»
Kraushaar: «Nein, Stemmeisen nutze ich nur, wenn ich Wände aufreiße. Das war nicht geplant. Scheiße, die Bohrmaschine liegt noch draußen vor dem Eingang.»
Blondi: «Kannst du nicht in die Wand schlagen?»
Kraushaar: «Wenn es sich um Gipswände handeln würde ja. Das hier ist richtiges altes Mauerwerk. Da kommen wir nicht durch. Hämmere hiermit gegen die Tür und hoff mal das Markus uns hört. Ansonsten müssen wir warten. Der wird schon irgend wann kommen.»
Blondi: «Guck mal, ob du vielleicht Empfang hast. Ich bekomme nur den Notruf rein.»
Kraushaar: «Nein, selbst hier oben ist nichts. Hier, der Schraubendreher!»
Blondi: «Mit dem kleinen Ding?»
Kraushaar: «Nicht mit der Seite. Da hältst du fest und den Griff hämmerst du gegen das Türblatt.»
Blondi: «Gib mir lieber die Wasserpumpenzange.»
Kraushaar: «Klar, greif dir das Teil und wir schauen mal, wie lange du das schwere Ding halten kannst. Der Lärm wir dadurch nicht deutlich lauter. Probier es aus.»
Nein, nein! Probier es nicht aus! – Du bist so blöd, wie du Blond bist. Und, war es lauter? Hey, warum nimmst du nun den Schraubendreher? Die Zange ist doch besser und macht auch tolle Macken ins Holz, Blondine. Nein, nicht Blondine, Blödine!

Stelze: «Hörst du das?»
Brünette: «Ja, was ist das?»
Ui, die hören das Klopfen. Dann will ich sie mal in die Irre führen. Sämtliche Fensterläden auf der anderen Seite schließen und nun damit gegen den Rahmen klappern. Nein, du nicht, du auch nicht und du erst recht nicht. Ihr verliert schon Lack. Das brauch ich nicht zu beschleunigen. Jep, kommt in die Eingangshalle. Klappern dort und dort überall einstellen. Aber am Eingang rappel ich an der äußeren Tür.
Stelze: «Geh mal raus und guck, woher das kommt!»
Brünette: «Geh du doch!»
Stelze: «Ich hab hier das Sagen! – Geh!»
Brünette: «Ist ja gut.»
Sehr gut, folge dem Geklapper. – Nun klappert es hier drüben. – jep, genau, du guckst schon in die richtige Richtung. Komm an meine Seite. Nicht an der Ecke stehen bleiben. Folge dem Geklapper. Es wandert immer weiter. – Jep, folge mir hinter das Haus.

Ein bisschen schneller wäre auch nicht verkehrt gewesen. Nicht weg gehen! Es klappert wieder! Hier, hahahaha. Und da sagen welche, nur Blondinen wären blöd. Brünette sind es auch. Ich hab ihre Aufmerksamkeit und sie sucht nun meinen gesamten Rücken nach einem Klappern ab, hahahaha.

Ups, Stelze geht die Treppe rauf. Hahahaha, er ist in sein eigenes Bier getreten und verdreht seine Augen wegen der nun klebenden Sohlen.
Drecksack! Der Schuhabtreter ist im kleinen Flur vor der Eingangshalle. Das ist ein Teppich, an dem du dein Bier abschmierst. Hör auf! Hör auf! Dann nicht. Aber du bekommst deine Packung gleich. Komm nur näher ans Telefon. Nicht vorbei laufen.
AB-Familie: «Hallo!»
Stelze: «Was?»
Ah, er hat mich gehört und ist stehen geblieben. Nun sollte ein Flüstern reichen.
AB-Familie: «Hallo?»
Komm nur. Trau dich ans Telefon am Treppenabsatz. Noch ein wenig näher!
AB-Martina: «Ohhhhhhh, ja, mach weiter Patrick! Ohhhhhhh, bist du klasse! Nicht so wie Markus, Ohhhhhhh, der Versager. Ja, weiter, ja, ja, ja jaaaa!»
Ups, renn doch nicht weg. Das Band geht noch weiter. Reicht dir das etwa? Er nähert sich dem zweiten Stock. Auf der linken Seite alle Schlösser öffnen. Bis auf eine Tür, alle im zweiten Stock ein wenig auf ziehen – und zu knallen. Auf ziehen – und zuknallen … Noch acht Treppenstufen, bis zum obersten Treppenabsatz. Sechs – vier – zwei – bis auf eine Tür alle langsam aufschwingen lassen. Er soll seine Zeit nicht mit Suchen verschwenden. Jetzt rhythmisch zum Poltern durch Blondi, den AB-Martina durch den Höhrer sprechen lassen, hahahaha.
AB-Martina: «Ja – ja – ja – ja – …»
Will er zuhören oder warum bleibt er stehen? Nein, er lässt den Hörer hängen und holt nur Atem. Genug geatmet? Das sind ja lange Schritte, die du da machst.
Den Ab-Martina schalte ich mal ab. Dafür schalte ich im Kinderzimmer und auf dem Treppenabsatz die Aufnahme von AB-Klaus ein.

Aua, nicht so grob gegen meine Tür schlagen!
Ich hab gehört, dass Kameras heutzutage genutzt werden. So etwas könnte ich hierfür gebrauchen.
Blondi: «Bist du das Markus?»
Stelze: «Mach sofort auf!»
Blondi: «Das kann ich nicht. Des…»
Stelze: «Weil du noch dein Höschen hoch ziehen musst?»
Blondi: «Spinnst du?»
Na ja, nun wird es eine Radiomoderation. Stelze tritt gegen meine Tür.
Aua, das ist eine Fraktur am Rahmen neben dem Schließblech.
Eröffnen wir den Ring. Schloss auf und Tür leicht aufschwingen lassen.
Stelze dringt in den Ring ein und stößt die Tür auf. Er greift mit seiner Linken in Blondis Haare und klatscht sie mit einer Ohrfeige an die Wand. Er rennt mit einer Morddrohung um das Bett herum auf Kraushaar zu. Dieser hüpft auf die Matratze und krabbelt auf die andere Seite. Nein, was ist das? Er rutscht ab und fällt hinab. Gekonnt rollt er sich über seine linke Schulter ab, springt auf und hechtet aus dem Raum. Er knallt gegen die von mir mittlerweile geschlossene Tür gegenüber. Mit beiden Händen drückt er sich davon ab und hastet über den Läufer zur Eingangshalle hin. Hinter ihm stürmt Stelze aus dem Raum und bumst gegen dieselbe Tür. Auch er drückt sich davon ab und prescht Kraushaar hinterher. Kraushaar erreicht das Ende des Gangs und startet das Bremsmanöver zum Abbiegen. Stelze holt ihn ein und rammt ihn. Gemeinsam prallen sie gegen mein steiniges Treppengeländer. Stelze grabscht in Kraushaars Schritt. Haben wir hier einen Tiefschlag? Kraushaars Augen füllen sich mit Tränen. Stelze hievt mit seiner Rechten Kraushaars rechtes Bein an und Kraushaar flieg über das Geländer. – nein, er fällt kopfüber hinab. Seine Augen sind mit Wasser gefüllt, so dass er das untere Ende nicht sehen mag. Doch er sieht es, nimmt seine Hände nach vorne und kracht mit seinem Gesicht auf meine Steinplatten in der Eingangshalle. Wir hören ein Knacken? Mehreres Knacken? Ein Chor von Knacken? Oder gar ein Canon von Knacken? Egal, sein Körper fällt auf seinen Rücken um und Kraushaar regt sich nicht mehr. Irgendetwas scheint in ihm kaputt gegangen zu sein. Ein technischer Fehler? Eine falsche Konstruktion? Oder vielleicht gar minderwertiges Material? Ob es normal ist, dass ein Mensch nach einem Fall aus solch einer Höhe seine Funktion einstellt, wissen wir nicht. Da bedarf es mehrerer Fallstudien.
Gehen wir an den Startpunkt zurück. Blondi befindet sich nicht mehr dort. Sie kreischt und schreit Stelze an, ob er sie nicht mehr alle hat. Was ihm alles fehlt, wird uns nicht klar. Es könnte an den hellen, doch sehr hohen Tönen liegen. Stelze greift mit seiner Linken in ihre Mähne und klatscht mit seiner Rechten gegen den Kopf von Blondi. Ihre lauten Geräusche hören auf und weichen einem Stöhnen.
Ui, stellte das Kreischen eine Funktionsstörung dar? Ich hatte es in diesem Fernsehdingens mal mitbekommen, dass Störungen an Maschinen und Geräte durch harte Schläge oder Tritte dagegen behoben werden. Bei Menschen funktioniert es also auch.
Ich sehe, Stelze vergräbt die Finger seiner beiden Hände in die Mähne von Blondi. Sie strampelt und schlägt um sich. Er donnert ihren Kopf gegen mein Geländer. Vermutlich will er einer weiteren kreischenden Funktionsstörung vorbeugen.
Ui, das sehe ich erst jetzt. Drecksack! Da klebt nun Blut. Das lockt Fliegen an.
Stelze packt Blondis Oberkörper auf mein Geländer.
Jep, schieb sie ein paarmal hin und her, damit ihre Bluse ihr Blut wegwischt.
Nein, Stelze hebt ihre Beine hoch und sie fällt kopfüber hinab. Am ersten Stockwerk setzt ihr Kreischen ein und endet abrupt mit dem Aufsetzen ihres Gesichts neben dem von Kraushaar. Auch hier vernahmen wir viele knackende Geräusche. Auch sie regt sich nicht mehr. Es handelte sich bei Kraushaar damit nicht um einen Materialfehler, sondern nur um eine falsche Handhabung. Man sollte Menschen nicht aus zwei Stockwerken Höhe hinabfallen lassen. Es sei denn, ihr kaputt gehen, ist beabsichtigt.

Ups, Telefon, für mich! Soll ich dran gehen oder muss ich auf Stelze aufpassen? Er schreitet grimmig langsam die Treppe hinab. Ich geh mal ran. Moment! Erst einmal den AB-Familie vom Gruppengespräch trennen. Nun Anruf annehmen und horchen, wer das ist.
AB-Familie: «Hallo, hier ist der automatische Anrufbeantworter der Familie Müller. Wir sind zurzeit nicht erreichbar. Bei dringlichen Angelegenheiten, sprechen Sie bitte nach dem Signalton. – Piep!»
Weibliche Stimme: «Hallo, hier spricht …»
Andere weibliche Stimme: «… Rabenweg 1.»
Unterschiedliche Stimmen, aneinandergereiht aus dem AB-Familie: « – bist du das Schiefer?»
Unterschiedliche Stimmen aus dem AB-Schiefer: «Ja, wer sollte es sonst sein?»
… AB-Familie: «Oh Haus, erschreck mich nicht so.»
… AB-Schiefer: «Erschrecken?»
… AB-Familie: «Jep! Erst bekomme ich Parasiten und dann verwendest du ganz andere Stimmen zur Begrüßung.»
… AB-Schiefer: «Ui, hab ich ganz vergessen. Die klingen doch gut, oder? Egal, wichtiger ist: Was hast du denn? Termiten, Holzwürmer, Schimmelpilze, Ratten, Marder, Mäuse?»
… AB-Familie: «Viel schlimmer, Menschen!»
… AB-Schiefer: «Igitt! Sauen die alles voll?»
… AB-Familie: «Jep. Zwei liegen nun platt in meiner Eingangshalle und fangen an zu schimmeln. Ich hoffe, die stehen nicht wieder auf. Zwei Weitere plagen mich.»
… AB-Schiefer: «Meinst du, du wirst krank, von denen?»
… AB-Familie: «Die Stich- und Splitterwunden bleiben. Genau so die Fraktur neben dem Schließblech. Die Biervergiftung, in der unteren Eingangshalle, werde ich nur zum Teil los. Eventuell kann ich durch geschicktes Öffnen von Fenstern und Türen, das Gift mit Staubwolken einpudern. Der Flurschaden am Teppich ist vermutlich irreparabel. Wenn sich dort der Alkohol verflüchtigt, kommen Bakterien und Schimmelpilze. Oben hab ich eine Blutung. Da hilft auch kein Einpudern. Die Schmeißfliegen graben sich da durch und werden ihren ekligen Kot hinterlassen. Davor graust es mir am meisten. Ach ja, da ist auch noch eine große Lache in der Küche. Etwas davon klebt von unten an meine Tür zum Vorratsraum.»
… AB-Schiefer: «Au Backstein, das hört sich schlimm an.»
… AB-Familie: «Lass mich mal Schluss machen …»
… AB-Schiefer: «Warte, das ist wichtig. Manch einer von uns hat den Denkmalschutz verloren. Für Holzi soll es sich nicht lohnen, da er Termiten haben soll und für …»
… AB-Familie: «Stopp! Das, steht bei mir in einem anderen Kapitel. Jetzt erst muss…»
… AB-Schiefer: «Was? Wenn die dich so oder so abreißen werden, dann können dir die Parasiten egal sein. Also in was für einem Kapitel soll das stehen und in welchem befindest du dich momentan? Du erkennst anscheinend nicht den Ernst der Lage!»
… AB-Familie: «Ist ja gut. Ich sag mal, die Parasiten sind Kapitel eins und das nächste Kapitel heißt dann, ‹der Denkmalschutz›. Zufrieden? Ich habs nun eilig. Mir wird gerade schlecht. Die langhaarige Brünette betritt mich gerade, rennt auf die Kaputten zu und schreit. Nicht, dass sie die repariert.»
… AB-Schiefer: «Au, so schlimm? ’tschuldigung. Ich wusste nicht, dass es sooo haarig in dir abläuft. Fundament- und Schornsteinbruch, bei deinen Parasiten!»
… AB-Familie: «Danke!»
Schiefer, das geschieferte Haus an der Ecke, mit ihm hatte ich gar nicht gerechnet.

Jetzt schnell noch die Polizei rufen. Den letzten Teil will ich ihnen abspielen. Erst einmal den AB-Klaus aus dem Gruppengespräch trennen. Nun einen Gruppenanruf zwischen Ab-Klaus, AB-Familie und der Polizei.
Polizei: «Notruf der Polizei!»
AB-Klaus: «Bist du das Markus? / Mach sofort auf! / Das kann ich nicht. Des…/ Weil du noch dein Höschen hoch ziehen musst? / Spinnst du? / ich bring dich um! / – / ich krieg dich! / – / Bist du total wahnsinnig geworden? Mörder! Du Mörder! / Halts Maul Schlampe! / Ohhh / Aaaaaaaaaaaaa!»
Polizei: «Hallo? Geben Sie mir Ihre Adresse durch. Hallo, sind Sie noch dran?»
Neugierig sind die nun. Ich leg nicht auf, damit sie meinen Standort ermitteln.

Die Brünette heult. Warum? Kann sie die beiden doch nicht reparieren oder braucht sie die Tränen dazu? Ich schalte mal den AB-Nadine dazu. Stelze ist gleich unten.

Brünette: «Mörder! Du hast sie runter geworfen!»
Stelze: «Nein, Patrick hat Sabine angegriffen. Ich bin hoch gerannt und da sind sie runtergefallen. Das muss während des Kampfes geschehen sein.»
Brünette: «Und warum weinst du nicht?»
Stelze: «Ich bin ein Mann!»
Brünette: «Ob du ein Mann oder ein Mörder bist, wird das Video zeigen.»
Stelze: «Warte!»
Er rennt und greift in die Haare der Brünetten. Ist das eine Art Griff, so wie bei Kaninchen und Katzen die Haut am Nacken? Die Tiere schreien aber nicht so wie die Menschen. Aber daran kann man gut jemanden in die Küche schleifen. Ihre Hände liegen an ihrem Kopf und rudern dadurch nicht unkontrolliert herum. Das erleichtert den Durchgang durch die Tür.
Ach, zieht er doch endlich das Messer aus dem Holz meines Schrankes. Ich hoffe, da dringt keine Feuchtigkeit ein. Oder auch schlimm wäre es, wenn Insekten dort einziehen.
Brünette: «Die Polizei wird dich kriegen!»
Stelze: «Ich hol eure Leichen in den nächsten Tagen ab und verscharre euch.»
Brünette: «Die wissen, dass wir gemeinsam hier waren.»
Stelze: «Niemand weiß das. Deswegen hast ja du den Auftrag erhalten. Es sollte nichts auf mich oder mein Vater fallen. Daher musste ich auch keine Erkundigungen einholen, hahahaha.»
Brünette: «Die werden hier DNA finden. Auch deine.»
Stelze: «Mein Vater verkauft die Bude und der neue Besitzer lässt den Tatort abreißen. Das geschieht in den nächsten Wochen. Niemand wir mich mit eurem Verschwinden in Verbindung bringen. Ihr sollt sowieso als Grund gelten, warum der Heizkessel explodiert und der Denkmalschutz verschwindet. Als Stadtrat kann er die Ermittlungen schnell beenden lassen. Schließlich bestimmt der Bürgermeister den Polizeipräsidenten, hahahaha. Eigentlich wollte ich, dass der Patrick im Knast landet, wegen Sabotage oder grob fahrlässigen Handeln. Aber so wird auch ein Schuh draus.»
Ui, hört der sich gerne Reden. Einen unschuldig in den Knast bringen ist ein Zeugnis sadistischer Freuden. Vielleicht will er die Brünette auch in Angst versetzen? Vielleicht will er in ihren Augen die Angst sehen und sich daran befriedigen?
Brünette: «Du Verräter! Du Betrüger!»
Stelze: «Noch etwas, was du mit ins Grab nehmen willst? – Ahh, …»
Das nenn ich mal eine Retourkutsche!
Brünette: «Ahhrglglgllglgl!»
Stelze: «… mein Auge!»
Sie hatte die Angst in den nun glasigen Augen und er erhielt ihren Finger in seins. Bahh, kommt da viel Blut aus ihrem Hals. Das ist ja noch schlimmer als die Lache durch die Büchse Bier. Jetzt sticht er auch noch mehrfach in sie hinein, der Wahnsinnige. Hör endlich auf! Mehr Löcher, mehr Sauereien! Dem muss ich ein Ende setzen.
AB-Famile geflüstert aus dem Telefon in der Küche: «Hallo? – Hallo?»
Was sieht mein Giebel da, die Polizei kommt.
Reichte das Hallo, damit er nun innehält? Ui, er nimmt den Hörer. Soll ich ihm noch eine geben?
Die Polizisten – öh, sind das welche? Das steht auf deren Fahrzeug, aber die sind ja gar nicht grün?! Sind die schwarz? Das Auto hat blaue Streifen. Die Anzüge könnten vielleicht blau sein. Dann aber ein sehr dunkles Blau. Sie steigen aus. Die sind bestimmt gefärbt.
Stelze: «Hallo?»
Endlich hast du den Höhrer aufgenommen.
Unterschiedliche Stimmen aus dem AB-Familie: «Wenn jemand das tropfende Messer nun in deiner Hand sieht, dann weiß er, was du getan hast.»
Es fällt hinab und – keine Macken auf meinen Küchenfliesen. Ohne Messer in der Hand, lässt sich die Leitung zum Hörer nicht abschneiden, hehe. Jetzt bringe ich ihn zur Weißglut, passend zu seiner Verhaftung. Ich hoffe, es läuft so ab, wie ich es vor etlichen Wintern immer in der Flimmerkiste gesehen habe.
Stelze: «Wer ist da?»
… AB-Familie: «Wem habt ihr Frakturen, Splitter- und Stichwunden zugefügt?»
Stelze: «Was?»
… AB-Familie: «Wem hast du dein Bier aufgezwungen, es verächtlich auf ihm ausgegossen und tief in die Fasern eingetrieben?»
Stelze: «Welcher Spinner ist da? Zeig dich du Feigling.»
… AB-Familie: «Feigling? Das von jemandem, der gleich zwei von euch meine Eingangshalle hinab gestoßen hat? Feigling, von jemandem, der einer von Euch die Kehle aufgeschnitten hat und meine Küche mit dessen Blut ertränkt?»
Stelze: «Was? Welcher Spinner ist da?»
… AB-Familie: «Na ja, wer ist hier wirklich der Spinner? Jemand, der eine Aufnahme zusammenschneidet oder jemand, der alle tötet, wenn er sie hört, anstelle das Haus zu verlassen?»
Stelze: «Was?»
… AB-Familie: «Schon wieder ein ‹was›. Da ist ja mein Sprachwortschatz besser. Kennst du das hier? ‹Ohhhhhhh, ja, mach weiter Patrick! Ohhhhhhh, bist du klasse! Nicht so wie Markus, Ohhhhhhh, der Versager. Ja, weiter, ja, ja, ja jaaaa!› – das ist von mir zusammengeschnitten. Mir, das Haus und ich behalte meinen Denkmalschutz. Das wirst du nicht mehr erleben. Du hast deine Menschen wegen deiner Überheblichkeit, Selbstsucht, Habsucht und Dummheit ermordet. Du minderwertiges Etwas. Muhahahahahahah!»
Stelze: «Ich bring dich um! Ich bring dich …»
Polizist eins: «Polizei! Hände hoch, sofort!»
Stelze: «Ich hab nichts gemacht! Das war das Haus! Es hat alle umgebracht! Gehen Sie an den Hörer!»
Polizist eins: «Hände hoch hab ich gesagt! Erwin, legst du ihm die Handschellen an?»
Stelze: «Ich hab die Hände oben. Aber gehen sie an den Hörer! Das Haus, es spricht mit Ihnen! Gehen Sie an den Hörer dran! Jeder weis, dass das hier ein Gespensterhaus ist! Gehen Sie an den Hörer dran!»
Ein wenig Zeit hab ich, so lange Erwin der Stelze die Handschellen anlegt. AB-Klaus mit in den Gruppenanruf nehmen und Leitung frei zur Dienststelle!
Stelze: «Nehmen sie doch endlich den Hörer, der da runter baumelt.»
Polizist eins: «Tu ihm den Gefallen, dann kann er vor Gericht seine Spinnereien nicht weiter behaupten.»
Polizist zwei: «Hallo?»
Polizei: «Ist bei Ihnen alles in Ordnung?»
Polizist zwei: «Bist du das Karl?»
Polizei: «Erwin! Bei euch alles in Ordnung?»
Polizist zwei: «Wir haben einen Tatverdächtigen festgenommen. Hier liegen drei Personen. Zwei weibliche und eine männliche. Schick uns die SpuSi und den Notarzt. Aber ich denke, alle drei benötigen den Coroner.»
Polizei: «Mach ich, ich leg dann hier auf. Bis gleich.»
Polizist zwei: «Bis gleich!»
Polizist eins: «Lass uns den Drecksack raus bringen!»
Danke, mein Reden!
Polizist zwei: «Der Tatortreiniger wird hier auch seinen Spaß haben. Obwohl die Fliesen hier nicht so schlimm sind.»
Ihr schickt mir einen Reiniger? Dankeschön, das höre ich gerne. Ich hoffe, der macht alles sauber und nicht nur dort, wo die Kaputten liegen.
Polizist eins: «Du weiß doch nicht, ob da noch mehr Tote in den Zimmern verteilt sind. Der schieb das doch auf das Haus.»
Stelze: «Es war das Haus! Mein Vater ist im Stadtrat …»
Schade, seine Drohung hab ich durch die verschlossene Autotür nicht vernommen.

Die Aufzeichnung von AB-Nadine behalte ich. Die hilft mir bestimmt im nächsten Kapitel.

2. Kapitel: Der Denkmalschutz!

Schön geschrieben ein einsame G eist der sich Auf Besucher freut

Schade um Maria

Draußen stürmt es und meine Fensterläden klappern wie Pferdehufe. Da ist noch ein anderes Geräusch. Drei Männer und zwei Frauen stehen laut lachend direkt vor mir.

Ich lasse die Tür mit einem Knall auffliegen und muss kichern, als die beiden Frauen aufschreien. Der große, muskelbepackte scheint das Sagen zu haben, er kommt herein und drückt auf den Lichtschalter. Hihi, das hätte ich ihm sagen können, bei mir gibt es kein Licht. Er fuchtelt mit seiner Taschenlampe herum, findet das Holz neben dem Kamin und macht Feuer.

Ich gebe es nicht gern zu, aber der Kamin bringt wohlige Wärme. Ich habe nicht mal gemerkt, wie durchgefroren ich bin. Der Große hat das Wort und er plappert wie ein Waschweib. Interessant, was er da über mich erzählt. Ich soll verwunschen sein und Menschen in den Wahnsinn treiben. Ich unterdrücke ein Kichern. Wenn die wüssten. „Schaurige Geschichte, sagt die zierlichere der beiden Frauen. Haben wir hier eigentlich Empfang?“ Und hält ihr Handy in die Höhe. Da muss ich wieder grinsen. „Kein Netz, Maria, lass uns morgen nachsehen“ Meint Plaudertasche. Hmm, Maria heißt sie also. Mir gefällt nicht nur ihr Name. Die Männer plündern nun ungeniert meinen Keller. Mit Dosenravioli und Wein bewaffnet kommen sie zurück und die Truppe macht es sich gemütlich. Ich lasse sie gewähren.

Die Standuhr im Kaminzimmer schlägt Mitternacht. Plaudertasche gurgelt unverständliche Laute, als die Wand der Mansarde auf ihn zukommt. Instinktiv hält er dagegen und zuckt zurück, als die Wand sich plötzlich in weiches Gewebe verwandelt. Schwarze Würmer, dick wie Mäuse kommen zu hunderten aus der weichen Masse gekrabbelt. Ich kichere, als ich seine entsetzte Miene sehe. Er stürzt aus seinem Zimmer und flüchtet nach draußen. Das nächste Gästezimmer. Ein Kinderspiel. Wie die immer gucken, wenn die Würmer rauskommen. Köstlich! Die beiden Männer folgen Plaudertasche nach draußen. Die Frau quiekt wie ein Ferkel. Wild um sich schlagend, stolpert sie zu ihren Gefährten. Meine Maria schläft tief und fest. Niemand hat gemerkt, dass ich ihr Pulver in den Wein getan habe. Ich male mir aus, wie Maria mich putzt, heizt und abends Geschichten vorliest. Es wäre so schön, endlich wieder Gesellschaft zu haben!

Die drei Typen und die Frau stehen draußen und sehen mich entsetzt an. Die Frau übergibt sich. „Pfui Teufel, was war das? Wie ekelhaft.“ Sie schaut angewidert auf die dicken Würmer, die sich auf dem Boden tummeln. „Wo ist eigentlich Maria? Ist sie da noch drin?“ Plaudertasche will zurück ins Haus, doch ich lasse meine Wände wackeln. Ich schwanke wie ein Schiff bei Sturmstärke zwölf. Plaudertasche sieht ein, dass ich etwas dagegen habe und die vier verkrümeln sich flüsternd und gestikulierend in Richtung Wald. Gut so!

Maria streckt sich und fühlt sich wunderbar. So gut hat sie schon lange nicht mehr geschlafen. Nanu, noch keiner wach? Sie schaut in die anderen Zimmer. Komisch. Sie läuft ins Erdgeschoss. Totenstille. Was ist denn hier los? Wo sind die alle? Sie reißt die Eingangstür auf und läuft hinaus. „Mark! Mia! Wo seid ihr? Udo? Thomas? Ihr könnt aufhören mit Euren Spielchen! Ich finde das nicht lustig“. Ich auch nicht. Maria, komm wieder herein. Zu mir. Ich lasse meine Lieblingsplatte abspielen. Zarte, wunderbare Klaviertöne. Das muss ihr doch gefallen! Da sehe ich plötzlich Plaudertasche. Er winkt Maria zu. Was haben die zu bequatschen? Endlich! Maria kommt zurück und sie lächelt. Ein wenig blass um die Nase, wie mir scheint. Ich bin im Glück. Meine Maria! Doch was ist das? Was macht sie da? Sie wird doch nicht?..Neiiiiiiiin!

Forschende Blicke

Manche sagen, ein Geisterhaus wäre nur ein altes Haus, verlassen, vergessen, von den Eigentümern aufgegeben und vom Ordnungsamt aus den Augen verloren. Wer so denkt, der muss sich keine Sorgen machen, was in einem solchen Haus auf ihn wartet.
Manche jedoch ahnen, dass mehr dahinter steckt, als das Auge sieht. Zumindest das Auge des Normalbürgers, denn manch einer besitzt die Gabe, seine Augen zu verändern, einen neuen Blick aufzusetzen und hinter das zu schauen, was sich ihm bereitwillig im Tageslicht enthüllt.

Ich habe lange darauf gewartet, dass mir wieder jemand begegnet, der den rechten Blick besitzt. Selbst wenn man ein altes Haus ist wie ich und ein Tag einem nicht dasselbe Zeitempfinden abringt wie den Menschen - wenn sie meinen, die Stunden schöben sich voran wie der Schlamm an der Seite eines abschüssigen Weges an einem regnerischen Tag - so sind einzelne Gestalten in Jahrzehnten und Jahrhunderten doch etwas, das einen dazu bringt, sich tiefer mit der Frage zu befassen, ob es sich noch lohnt, auf ein Erkanntwerden zu warten.

Zu hoffen? Ich weiß nicht, ob ich noch von Hoffnung sprechen würde. Was in mir ist, ist in mir, ich habe schon begonnen zu vergessen, wie es war, bevor die Schatten sich in meinen Winkeln eingenistet haben.

Und doch, an manchen Tagen, wenn die Sonne zärtlich über die Giebel der Nachbarhäuser streicht, wenn ein Vogel zwitschernd über die Gärten segelt und an der Grenze zu meinem Grundstück mitten im Flug die Richtung wechselt, verstört sein Lied abbrechend, dann verzieht sich mir unwillkürlich mein innerstes Gebälk zu einem leisen Knarzen, wie ein verzweifeltes Seufzen, das mir selbst ganz fremd erscheint.

Sie kommt. Zögerlich blickt sie durch das gebrochene Gartentörchen, während ihre Freunde bereits lachend den Weg hinauf kommen, gespannte Plastiktüten mit Dosen darin an ihren Handgelenken schlenkernd. Sie spürt es. Die Präsenz der Gefahr, vielleicht auch meine Gedanken - wer weiß, wie weit ihre Kräfte reichen?

Ihre Freunde kümmern sich nicht um ihre Zögerlichkeit - doch, der eine dreht sich um und ruft ihr etwas zu. Der neben ihm lacht. Sie senkt den Kopf und tritt herein, noch einen letzten Blick auf den Weg, der sie her führte, werfend. Dann beeilt sie sich, um ihren Kameraden nach zu kommen.

Sie sind zu viert, zwei Mädchen und zwei Jungen. Der erste schiebt meine Eingangstür auf. Ich entscheide mich zu spät dafür, es ihm zu verwehren, und frage mich im nächsten Moment, ob mir sein Schicksal irgendetwas bedeutet. Wohl wenig im Verhältnis zu der Chance, die sich mir bietet. Wenn die Schatten ihn zu sich rufen, hat die Sehende Gelegenheit, sie zu erkennen. Sein Leben ist ein geringer Preis dafür.

Das Scharren ihrer Füße im Staub auf meinen Stufen ruft mir in Erinnerung, wie lange sich niemand um mich gekümmert hat. Ich bin nicht eitel, noch werde ich leicht sentimental, doch auch ich kannte einst die pflegenden Hände wohlwollender Bewohner. Ihre Sorgfalt wurde zu meinem Geschenk an sie, ihnen eine Heimat zu sein, ein Zufluchtsort vor den Gefahren der Außenwelt. Zumindest bis das Außen durch menschliche Niedertracht nach Innen getragen wurde, die friedvolle Einheit des Raumes an sich reißend. Wo Glück aus den pflegenden Händen gerissen wurde, blieben sie leer und verkrampft zurück, und aus sterbenden Händen wurden die Klauen der Schatten, die seither meine Wände entlang kratzen, auch meine Erinnerungen an bessere Zeiten verschleißend.

Es sind nun alle vier im Haus. Die Sehende nähert sich den Türen der Zimmer, die Geheimnisse, die dahinter auf den Aufmerksamen warten, erahnend. Die anderen tuscheln über sie, stoßen sich an, einer schleicht sich hinter sie, um sie zu erschrecken. Ich lasse ein Bodenbrett ein wenig hochstehen und er stolpert gegen die Wand. Sie erschrickt ein wenig, doch sein Plan ist gescheitert, er nun das Ziel des Gespötts der anderen. Die Sehende lacht nicht. Aber sie wirkt ruhiger, lässt sich mehr auf die Situation ein. Gut.

Ich fühle, wie die Schatten sich regen. Sie haben das neue Leben in meinen Fluren entdeckt, und gleiten heran, um das Ihrige beizutragen. Die Gruppe hat sich einen Raum für ihre Eskapaden erwählt, das Zimmer oberhalb des Eingangsbereiches. Nicht weit von der Treppe, keine gute Wahl. Sie machen es sich bequem, die Sehende sitzt in Richtung des alten Spiegels. Wenn sie dort bleibt, wird sie die Schatten früher oder später wahrnehmen. Es ist eine Frage der Zeit, aber es scheint, als hätten wir zu wenig davon. Sie sind hier.

Genüsslich kriechen sie näher, fließen durch die Plastiktüten in die Bierdosen und weiter zu den Beinen der auf dem Boden Sitzenden. Der eine verkündet, er suche sich jetzt einen Platz zum Pinkeln. Ich bezweifle, dass er sich die Mühe machen wird, das Badezimmer ausfindig zu machen. Interessant, was einem auch nach langer Zeit, nach Staub, Spinnweben und Rattenkot noch zu denken gibt. Vielleicht, weil es Menschen sind. Sie könnten es besser wissen, mehr Wert legen auf ihre Umgebung. Aber dann wären sie womöglich auch nicht so leicht zu beeinflussen.

Der erste geht hinaus, der zweite steht auf. Für die Gruppe mag es scheinen, als hätte er dasselbe Problem, doch ich weiß es besser: Die Schatten sind bereits an seinem Rücken emporgekrochen und wispern ihm ins Ohr, und tiefer hinein in die Windungen seines Willens.

Er geht am Spiegel vorbei - da, sie blickt auf, runzelt die Stirn. Setzt an, etwas zu sagen, verstummt. Er geht weiter, der erste steht unschlüssig draußen auf dem Treppenabsatz. Nur noch ein paar Schritte, dann steht der zweite hinter ihm. Ein dummer Scherz, ein kleiner Schreck, nur ein Schubs, es war doch alles nur Spaß - doch dann wird sie davonlaufen und nicht wiederkehren. Ich muss etwas tun, sonst ist sie fort!

Mit einem Knall schlägt das Fenster im Raum zu. Ein spitzer Schrei, die beiden auf dem Treppenabsatz fahren herum, der Schreck ist stärker als das Flüstern, zumindest für den Moment. Die Sehende steht auf, ihre Freundin will sie zurückhalten, doch ihre Neugier ist stärker. Ich lasse den Vorhang zur Seite wehen - sie merkt, dass sich der schwere Stoff so nicht bewegen kann, selbst wenn es einen Luftzug gäbe, der für das Schlagen des Fensters verantwortlich war. Die Jungen kommen herein, fragen, was los ist. Das andere Mädchen wiegelt ab, aber sie spüren nun alle, dass etwas nicht stimmt. Die Sehende folgt meinem Wink, nähert sich dem Schreibtisch, den Dokumenten, die darin vergessen wurden.

Die Schatten schlüpfen in den Spiegel und bringen ihn zu Fall. Ich reagiere zu langsam, er zerbirst mit einem Schlag, schrecklich laut in der Stille des Abends. Der Mut der Menschen verflüchtigt sich wie der Rauch eines sterbenden Kaminfeuers an einem windigen Abend. Das Mädchen springt auf, klammert sich an den Arm des einen Jungen, die Sehende ist herumgefahren, als der Schlag ertönte, sie hat die Dokumente vergessen. Ein schaler Witz wird gerissen, aber sie sind alle blass, die Lust auf den geselligen Abend in gruseliger Atmosphäre ist ihnen vergangen. Sie eilen nach draußen, langsam genug, um ihr Gesicht zu wahren, unbewusst spürend, dass keiner der anderen es ihnen anlasten wird, weil alle dasselbe empfinden. Die Schatten wollen ihnen noch eine Stolperfalle stellen, aber dieses Mal bin ich schneller. Das Brett knarzt bedrohlich, aber es bricht nicht, der Fuß eilt ungehalten darüber. Sie sind draußen.

Ist es zu Ende? Die Chance vertan? Nein, erneut zögert die Sehende am Gartentor, dieses Mal, bevor sie den anderen auf die sichere Straße folgt. Sie wirft einen Blick zurück. Die letzten Sonnenstrahlen verfangen sich im gekippten Dachfenster, ein Blitzen reflektiert in den Geheimnissen auf meinem Speicher. Ein Versprechen, dass dieser Ort mehr für sie birgt als den Schrecken, wenn sie es nur wagt, zurück zu kehren. Ihr Blick ist geweitet - von der Angst, aber auch zum Teil bereits von der Wahrheit, die aus den Tiefen ihres Gefängnisses nach oben gegriffen hat, um ihre Neugierde festzuhalten. Das Tor schließt sich, doch ich glaube, dass unsere Begegnung genügt hat, in ihr den Wunsch zu erwecken, meine Geheimnisse zu ergründen. Und das nächste Mal ist sie vorbereitet.

Hilfeschrei

„Bitte helft mir. Bitte brecht den Fluch. Oder stirbt elend in eurer Gier.“ Flüstern die Wände als die Eindringlinge, den Eingang ins Haus, auf eigener Gefahr betreten.
„Habt ihr die Stimme gehört?“ Flüstert Lexi ihren vier Freunden zu. „Ja.“ Sie halten den Atem an. Übelkeit überflutet sie. Mit einem würgen kämpfen sie sich durch den plötzlichen Windstoß in den Korridor hinein. Es riecht nach Verwesung. Sie sehen menschliche Trophäen an den Wänden. Maden knabbern an den teils vorhandenen Gehirnen. „Oh mein Gott, schnell raus hier.“ Schreit Max und versucht, vergebens die Tür hinter sich zu öffnen.
„Bitte helft mir. Bitte brecht den Fluch. Oder stirbt elend in eurer Gier.“ Ertönt die Stimme in den Wänden erneut.
„Ich will hier raus.“ Wimmert Nina und umklammert sich bei Luca. „Was für ein Fluch soll das sein?“ Fragt John.
Ein herzerschütternder Schrei, der das Haus beben lässt ertönt. Sie drücken sich die Ohren mit den Händen zu und ersticken beinah am eigenen Herzschlag. Sie hören die Stimme wieder.
„Bitte befreit mich, aus den Mauern der ewigen Gewalt und des Egos. Oder ihr werdet sterben.“
Panisch versuchen die Jungs, die Tür aufzubrechen. Die Mädels klammern sich zitternd fest. Betäubt vom vorherigen Schmerz in den Ohren. Mit der ganzen Kraft aus dem Körper, die John und Max haben, schlagen sie mit den Schultern gegen die Tür. Max schreit auf. Blut läuft Max die Schulter hinunter. „Was zum Teufel ist hier los?“ Ruft Luca und haltet John ab, nochmals in die Tür einzutreten. Mit blassem Licht, erkennt er, dass aus der Tür tausende Dornen hervorstechen. „Verfluchte Scheiße. Das ist nicht ein Gruselhaus. Sondern ein Alptraum.“ „Ich will hier raus.“ Kreischt Lexi. „Wir müssen den Fluch brechen, wir haben keine andere Wahl, sie aus der Mauer zu befreien.“ stellt Luca fest. „Aber wie?“ Möchte Lexi in ihrer Angst wissen. „Keine Ahnung.“ Antwortet er. „Max, geht es mit deinem Arm?“ Max beißt sich auf die Zähne und stöhnend antwortet er, „es geht.“
Sie beschließen, der Stimme zu folgen, als sie, sie erneut ihre Rufe wahrnehmen. Plötzlich wird John der als letzter durch den knirschenden, klebenden Korridor entlang läuft. Von Pranken, die jetzt aus den Wänden heraus ragen gepackt. „Hilfe!“ Schreit er. Lexi und Luca versuchen ihn zu befreien und werden dabei mit scharfen Krallen zerkratzt und einschneidend festgehalten. „Lauft davon und rettet euch!“ Schreit John, bevor ihm die Pranke den Mund hält und mit einer anderen gewürgt wird.
Max sieht eine Axt an der Wand. Ergreift sie und schlägt mit ihr drauf los, um seine Freunde zu befreien. Qualvolles Gekreische ertönt und die Pranken ziehen sich zurück. Mit klaffenden Wunden hilft Nina und Max den anderen aufzustehen. Die zu Kugeln aus Angst und Schmerz verzerrt, am Boden liegen. „Kommt wir müssen weiter.“
Gemeinsam gehen sie zum nächsten Korridor und ein weinendes Mädchen nehmen sie wahr. Max nimmt das Mädchen in die Arme und sie rennen, mit letzter Kraft, aus dem einstürzendem Haus hinaus.

Das Rabenstein-Anwesen

Die Dunkelheit ist mein Verbündeter und die Stille mein Lied. Am Ende des Rabenwegs trage ich die Last der Jahrhunderte. Jeder Ziegel, jeder Balken und jede verrottete Diele sind Zeugen des Leids, das meine Mauern durchtränkt hat. Der Wind, der durch die knorrigen Äste der alten Bäume rauscht, erfüllt mich mit einer wohligen Vorahnung, sodass meine Fensterläden erwartungsvoll zu klappern beginnen.

Ich bin ein altes, morsches Anwesen, ein Zeuge der Vergangenheit, ein Hüter düsterer Geheimnisse.

In meinem Hof wurden einst Hexen verbrannt, in meinem Saal schmiedeten Adelige finstere Kriegspläne, und an meinem Herdfeuer verlor die ein oder andere Seele ihre Unschuld und fiel der Sünde anheim.

Und weil dies schon einmal geschah, wird es erneut geschehen. Gerade jetzt ist ein altes Auto vorgefahren, und drei Jugendliche sind ausgestiegen. Sieh nur, das Mädchen und der Junge dort drüben, wie sie Händchen halten. Und der andere? Wir werden noch sehen, wie wir sie trennen können. Mit Taschenlampen bewaffnet, kommen sie näher.

Schnell, Tür, öffne dich. Wir hatten seit Ewigkeiten keinen Besuch.

»Rafael, meinst du wirklich, es ist eine gute Idee, dort hineinzugehen? Schau nur, wie morsch alles wirkt. Meinst du nicht, es könnte gefährlich sein?« Fast schon unmerklich scheint sie ihren Freund wieder zum Auto ziehen zu wollen. Aber sie ahnt noch nicht, wie sehr ich ihn und seine Freunde anziehe.

»Ach was, Marie. Nur weil die alte Frau meinte, die Geister der vorherigen Besitzer hätten das Haus verflucht? Ich bitte dich. Es ist nur ein Haus … Jack, schau doch mal, ob du irgendwo draußen einen Stromkasten findest. Wir schauen uns schon mal drinnen um.«

Oh, Übernachtungsbesuch, wie entzückend. Doch was den Fluch angeht, nun, verflucht bin ich schon, aber nicht wegen der Sünden meiner Bewohner.

»Ich glaube nicht, dass Haus Rabenstein ans Stromnetz angeschlossen ist, Rafael. Sieh nur, wie alt es ist. Und es steht seit Generationen leer. Gerüchten zufolge war Herr von Rabenstein der letzte Eigentümer. Das war vor… nun ja, vor der Stadtsanierung 1920.«

Herr von Rabenstein… Es ist schon viel zu lange her. Ich erinnere mich noch, wie er seinen Titel erlangte, als er eines Nachts kam und die damalige Herrin niederstreckte. Es war eine denkwürdige Nacht, vor allem wenn man bedenkt, dass er dies ausschließlich für seine Mechthild, die Stieftochter der Herrin, tat. Wie sie ihm und seinen Männern bei Neumond die Türen öffnete, sodass sie die Wachen der Herrin niederstrecken konnten. Ein wunderbarer und gleichzeitig verräterischer Akt.

»Wie du meinst. Schau dich trotzdem einmal um. Vielleicht findest du ja was Interessantes.«

Herrlich, dieses genervte Seufzen von diesem Jack. Was für Geheimnisse wollen wir ihm offenbaren? Ob die Weide hinten am Weiher wohl immer noch die Gebeine der Hexe versteckt?

Gut, mein Junge. Immer weiter. Durch das düstre Gras im Garten, welches deine Schritte verschluckt. Geh nur weiter in die Dunkelheit, du bist gewappnet mit deiner Lampe, die nur teilweise die Finsternis durchbricht. Aber gehe und enthülle all die kahlen Bäume mit ihren Schatten.

Jetzt nach links, los, weiter. Sieh doch nur die alte Weide. Ihre Äste, die sich woben und zum dichten Netz ausbreiten. Da am Boden steht es noch. Geh nur weiter in das Dickicht, schau dir die Weide nur genauer an.

»Ehm… Leute? Ich hab hier was gefunden!« Ruf nur, Jack, so laut du kannst. Doch sie haben bereits meine Schwelle betreten. Du bist allein hier draußen. Schau es dir genauer an. Deine Hände gleiten langsam über den vermoosten Stein. Siehst du schon ihren Namen? Oder gar das Ornament? Los, Jack! Sag es, was du siehst! Ich will hören, wie deine Stimme zittert! 5 Zacken eines Sterns, umschlossen von einem Kreis! Du weißt doch, was es bedeutet! Dazu die Himmelszeichen an den Ecken!

»Sibylla Hartwig…«

Ja! Genau so hieß sie doch. Ihrer Tochter wurde der Prozess gemacht. Wie sie beide nachts die Sterne anbeteten und sonntags nie zur Kirche gingen. Wie die Mutter ohne Vater ein Kind zur Welt brachte! Sie war nicht Herrin dieses Hauses, aber der Herr war ihr erlegen. Und als Dank für ihre Dienste nahm er ihre Tochter. Diese hat im Hofe gebrannt. Und Sibylla schaute zu! Überleg nur, was für ein Vergnügen es ist, das eigene Fleisch und Blut so zu verlieren. Sibyllas Zorn, ihre Wut und ihr Hass, sie haben über den Herrn gerichtet! Doch nicht indem sie ihn erdolchte. Nein. Ganz langsam nahm sie den Platz seiner eigentlichen Frau ein. Als Magd getarnt tröpfelte sie ihr jeden Abend ein paar Tropfen Fingerhut in den Tee, so lange bis sie nach sieben Tagen nicht mehr lebte. Sie nahm dem Herren als Dank für seine Taten seine Frau. Und nur kurze Zeit später auch seine gebrochene Seele.

Doch was geschieht im Inneren? Marie, mein Kind, geh nur weiter. Schau dich um in diesem Heim. Warte nur, ich helfe dir. Leg ein wenig Zunder in den Kamin, als dass ich dir das Feuer entfache. Ein wenig Wärme kann nicht schaden. Ich will dich ja nicht sofort verlieren. Sieh nur, Marie, da drüben auf dem Tisch. Da liegt noch eine alte Zeitung, gut getrocknet und verblichen. Ich bin mir sicher, sie wird genügen.
»21. Februarii 1647… Die Zeitung ist ja schon verdammt alt. Hier steht ein Artikel über dieses Haus.«
»Was steht denn drin?«
»Es ist schwer, zu lesen, fast wie eine andere Sprache. Irgendwas mit einem tragischen Vorfall und angeblichen dunklen Mächten würd ich schätzen.«
Ach Kindchen, ist es denn so schwer? Bedenke, mit welcher Dauer das Gemäuer hier bereits steht. Aber lies doch nicht so viel in Texten vergangener Zeit. Nimm das Papier und etwas Reisig. Schmeiß es endlich in die Öffnung! Nimm noch etwas Reisig hinzu. Hier, ich schenke dir den Funken! Das Feuer wird dich wohlig wärmen. Und nun schau dich um, denn auch du verfällst mir hier.
Sieh nur, all diese Gemälde. Und keines zeigt die Wahrheit hier. All diese Leute, die hier lebten. Und all ihre Begierden, die ich weckte.
Sag mir Marie, was wünschst du dir am meisten? Macht? Einfluss? Oder doch einfach nur entdeckt zu werden?

Booh! Und nochmal Booh!

Blut spritzte auf meine Tapeten, dessen Muster längst verblichen war. Mein morsches Holz ächzte, als drei jungen Männer sich zur Treppe begaben. Der Fluch hielt mich davon ab, zusammenzuklappen und allem jetzt schon ein Ende zu setzen.

„Halt, wartet!“ Rief der Blondschopf. Seine Begleiter drehten sich zu ihm. Er hatte sich selbst verletzt, um sich Zutritt zum zweiten Stockwerk zu verschaffen. Das war der Preis, der von jedem verlangt wurde. Wer ihn nicht bezahlte, starb. So einfach war das. Sein dunkelhaariger Begleiter blickte auf das Messer, welches ihm der Blondschopf hinhielt.

Es brauchte keine weiteren Worte, denn die beiden folgten dem Beispiel ihres Freundes.

Ich sah zu, wie sie unversehrt die Räumlichkeiten betraten, welche gesäumt mit Leichen war. Und hier kam die eigentliche Bewährungsprobe für das Trio.

„Die sehen noch recht saftig aus!“ Bemerkte der Kleinste von ihnen.

„Trägt der Typ da Rüschen?“ Der Dunkelhaarige zeigte auf einen der Toten.

„Naja, bei einem 900 Jahre altes Haus, können hier schon einige Epochen vertreten sein.“

Ich war älter, aber wer zählte schon mit?

„Mir macht mehr Sorge, dass die hier alle so lebendig aussehen, als wäre die Zeit stehen geblieben“, fügte der Blondschopf hinzu.

Der Kleinste unter ihnen stellte seinen Rucksack auf den Boden und begann elektronische Sachen herauszuholen.

„Liam, die Karte sagt, dass wir erst den Goldschatz finden müssen, bevor das Haus seine Dämonen loslässt“, bemerkte der Dunkelhaarige. Doch Liam zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Ich hab kein Bock auf Leichen einzustechen, die nicht sterben können, weil sie schon Tod sind. Wir sind nicht die Ersten, die das Schriftstück in den Händen halten. Und wenn mich unser Job etwas gelehrt hat, dann, dass man sich auf sein Bauchgefühl verlassen muss.“ Die kleine Rede veranlasste den Blondschopf dazu, ebenfalls seine Tasche auszupacken. Sie klickten Kabel zusammen, während der Dunkelhaarige mit einem Messgerät die Umgebung erforschte, jedoch nie über die Linie stolperte, die mich dazu veranlasste, einen Balken auf seinen Kopf zu werfen.

„Ben, das Gerät schlägt nicht aus. Es sind nur leichte Schwingungen, weil wir hier sind.“ Der Blondschopf hielt in seinem Tun inne und sah auf das Display des Dunkelhaarigen.

„Du solltest die Frequenz ändern, Idiot!“ Damit legte Ben einen Schalter auf dem Gerät um.

Der Idiot grummelte vor sich hin, als die Nadel ausschlug.

„Scheiße“, rief dieser. „Wir sind mitten drin“, redete er weiter. Seine Stimme zitterte.

Ben und Liam sahen sich um. Wenn Angst ins Spiel kam, passierten Fehler.

Eine Eile überkam sie, als sie sich weiter an das Aufbauen ihrer Geräte machten. Diesmal half ihnen der Idiot. Ich spürte, wie unsichtbare Finger nach mir tastete, so, als würden sie einschätzen wollen, mit wem sie es zu tun hatten. Meine Neugierde überschatte den Fluch. Denn wie bei einem Spinnennetz war ich gezwungen, meine Beute immer mehr ins Verderben zu verwickeln.

Das helle Leuchten, welches das Gerät des Trios auf einmal von sich gab, blendete mich. Ein Sog drohte mir die Leichen zu entreißen, die mir halfen, Eindringlinge zu töten. Ich verstärkte meinen Griff an sie, musste dafür aber meine Energie aus meinem Holz ziehen, was dazu führte, dass die jungen Männer ohne Konsequenzen die Linie zur Schatzkammer überqueren konnten. Mein Fluch bestrafte mich augenblicklich für mein Versagen. Die Wände bluteten das Blut, welches bereits vergossen war und mir die Energie gab, weiter zu bestehen.

„Es ist bereits am Anschlag“, erwiderte dieser und sah sich nach einer Waffe um. Er sprintete zu einem aus der Wand herausragenden Rohr, welches schon lange kein Wasser mehr gesehen hatte. Oh nein, dachte ich nur, als er mit dem Rohr an meinem Fundament rüttelte. Da ich keine Energie für dieses mehr aufbringen konnte, weil alles davon in die stehenden Leichen gesteckt wurde, fiel alles in sich zusammen. Balken und Zement, die Last zwei weiterer Stockwerke brach über dem Trio ein. Blut verteilte sich, nährte den Fluch und der Wiederaufbau konnte beginnen. Ich musste nur warten, bis die drei im ersten Stockwerk vom wiederkehrenden Fluch regeneriert wurden und das ganze Schauspiel von vorn begann. Vielleicht würde ich das nächste Mal den Namen des Idioten erfahren. Immerhin hatten sie es diesmal in den zweiten Stock geschafft.