Seitenwind Woche 1: Gäste im Geisterhaus

Follow the Light

Nach und nach schwindet die Wärme aus meinem Gemäuer. Seit mich Lord Charles allein zurückließ und auch die Bediensteten mich nicht mehr umsorgen, fühlen sich meine Innereien so schäbig leer an. Alle Zimmer sind mit Leinentüchern verschleiert worden, als ob die trostlose Einsamkeit mich nicht schon mürbe genug macht. Kein Feuer brennt mehr in meinem Kamin und niemand entzündet mehr die Lampen meiner prunkvollen Hallen. Master Edward wird wohl keinen Fuß mehr über meine Türschwelle setzen. Sein verhasster und verbitterter Blick, als er das Porträt von Lord Charles über dem Kamin an der Totenfeier anstarrte, ließ mein Fundament erzittern.

Doch vielleicht kommen Master Henry und Master Adam noch einmal zurück. Master Henry sieht seinem Großvater so ähnlich, dass mir das Wasser im Springbrunnen ins Schlucken geriet, als ich ihn damals aus der Kutsche steigen sah. Oh, was würde ich darum geben, sie wiederzusehen.

Haha, …Hahaha. Nein nicht! Das kitzelt doch! Wer macht sich denn da, bei so später Stunde an meiner Eingangstür zu schaffen? Nein wie schön! Die jungen Herren sind zurückgekehrt. Aber was machen sie da an meinem Schließzylinder! Nein, so was gehört sich doch nicht.

Als ich ihnen meine Tür langsam knarzend öffne, starren sich Master Henry und Master Adam unsicher an.

<Sei leise Henry!>

<Aber, das war ich nicht!?>

<Wenn Vater wüsste, dass wir hier sind, er würde uns umbringen!>

<Ja, aber er wird nichts davon erfahren. Wir nehmen uns ein paar Wertgegenstände, bringen sie morgen früh zum Pfandleiher und haben dann hoffentlich genug Geld zusammen, um über die Runden zu kommen.>

<Was, wenn er frägt woher wir das ganze Geld haben?>

<Wir werden uns irgendetwas einfallen lassen. Nun komm, sei kein Frosch!>

Als die beiden jungen Herren in mein stockfinsteres Foyer treten, lasse ich den Kronleuchter nach und nach erleuchten, damit sie besser sehen können. Als sie einige Sekunden erstarrt zum Kronleuchter blicken und dann aber erschrocken die Flucht zur Tür ergreifen, lasse ich die Tür ins Schloss fallen und verriegele sie mit einem lauten Klacken. Tut mir leid meine jungen Herren, aber ihr könnt noch nicht gehen. Nicht bevor ihr gesehen habt, was ich gesehen habe.

Angstzerfressen und verzweifelt an meiner Tür schabend, flehen die jungen Herren mich an, sie gehen zu lassen. Als ich das Licht des Kronleuchters lösche, meine ich Master Adam einen Schrei zu entlocken. Langsam entzünde ich die Lichter im Seitengang. Eins nach dem anderen und die jungen Herren starren verwirrt den flackernden Lichtern nach.

<Was ist hier los, Henry?>

<Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, das wir ihm folgen sollen.>

<Wem Henry? Wer oder was ist da?>

<Ich glaube Großvater Charles will uns etwas zeigen.>

Verzeiht mir Lord Charles, dass ich euch für diese Zwecke missbrauche, aber mir scheint, dies ist der einzig mögliche Weg, euren Enkeln den Weg zu weisen.

<Komm schon Adam, lass uns gehen.>

So ist es gut junger Herr. Hier entlang.

Gäste im Geisterhaus

Das Schicksal der verschollenen Seele…
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Die düsteren Wolken hingen tief über dem alten Anwesen am Ende des Rabenwegs. Ein Jahrhunderte altes Gewicht lastete auf den Ziegeln und Dielen, als würden sie die Geschichten vergangener Tragödien in ihren Mauern tragen. Der Wind raschelte durch die Bäume, und ein wohliger Schauer durchfuhr das Gemäuer. In dieser Nacht sollte das Anwesen sein Schicksal selbst bestimmen. Die Dunkelheit brach ein, und eine Gruppe tollkühner, jugendlicher Kameraden betraten das Anwesen, von Gerüchten und alten Erzählungen angezogen. Doch ihre anfängliche Faszination verwandelte sich schnell in beunruhigende Angst und betrückender Gefühle, als die Flure widerhallten und es so schien, als ob das Haus ihre wahren Absichten spürte. Malice, die Anführerin der Gruppe, schluckte schwer und flüsterte: „Irgendetwas stimmt hier nicht. Dieser Ort trieft förmlich von Unheil…“. Alex, der eigentliche Optimist der Gruppe, bekommt ebenfalls schon wacklige Beine: „Wir sollten umkehren Leute. Das hier ist nicht normal alter…“ Doch bevor sie einen Schritt zurücktreten konnten, sperrten sich die Türe hinter ihnen und knallte mit einem ohrenbetäubenden Lärm zu. Die wenigen Kerzen im Anwesen, zündeten sich auf Kommando an, woraufhin die Flammenspitzen nur Anfingen wild rum zu flackern. Plötzlich stärkte sich das Gefühl von Unheil und einer eisigen Präsenz. Malice stieß einen leisen Schrei aus, als sie ein Blick auf eine unheimliche, und große Gestalt erhaschen konnte, die aus dem nichts kam und sich sogar mit den Kerzenlichtern nur schemenhaft abzeichnete. „W-Wer bist du?“, flüsterte Malice ängstlich und stotternd. Die Gestalt, die sich als ein Geist herausgestellte, begann zu flüstern, ihre Worte erfüllt von Hass und bösen. „Ihr werdet meine Qual teilen, doch es wird nur eine Seele verschwinden.“ Gab die Gestalt abrupt von sich. Dieser weibliche und schon erwachsene Geist, trug ein weißes lockeres Kleid mit kleinen Rüschen verziert, an den Enden war es zerrissen und verfranzt, mit Schmutz überall auf dem Gewand verseht. Ihr Haar war lang und tief schwarz, das Gesicht nicht zu erkennen, und die Haut grau wie die Gewitterwolken. Die Spannung in der Gruppe stieg ins Unermessliche, als plötzlich die Wände zu knarren begannen und unheilvolle Schatten sich näherten. Mehrere verstorbene Seelen die nach Rache aus waren, traten aus dem Dunklen hervor, diesmal waren ihre Gesichter zu erkennen… dabei konnte man ihre von Hass und Qual entstellten Masken sichten, was die Gruppe nicht gerade Erleichtert Ausatmen lassen könne. Es hörte sich so an als ob sie Drohungen flüsterten und nach Vergeltung oder ähnliches riefen, doch leider taten sie dies in einer Sprache die sie nur verstehen würden, weswegen diese Kameraden nur erahnen konnten was für Absichten sie hatten… es waren dabei mit Sicherheit keine guten. Kalte Hände des Grauens legten sich um die Herzen der Jugendlichen Besucher. Währenddessen sie gegen die Geister ankämpften, wurde der vor Angst starre Alex von einer beharrlichen und sturen Macht ergriffen, es war so als hätten sie ihn auserwählt, da seine Seele am jüngsten war.“L-Leute Bitte hilft mir!! ahhhh!“ Die Geister zogen ihn in die Dunkelheit, während er nach Hilfe rief mit einem Tränen überlaufendem Gesicht und mit seinen stumpfen Nägeln lauter panische kratz spuren am Boden hinterließ, mit der Hoffnung es würde ihn von seinem schrecklichen Schicksal retten. Plötzlich wurde es still und man hörte die Türe sich öffnen. Alle anderen Kameraden und auch Malice konnten nach diesem Abend fast nichts mehr hören und verschlossen sich immer mehr, ab und zu hörten sie noch die qualvollen Hilfe schreie von Alex an diesem Abend, der immer noch vermisst bleibt und niemand weiß ob er noch lebt oder womöglich sogar besessen wurde von einen Geist der nichts gutes im Sinne trug.

Schlaf

Ich habe geschlafen.

Ein tiefer, morastiger Schlaf, der erste seit Jahrhunderten. Endlich ein wenig Frieden, der kurzzeitig sogar den Erinnerungen zu trotzen vermochte. Erinnerung in Form gedämpfter Klänge von Furcht und Tod, die im morschen Gebälk meiner Knochen widerhallen und mein altes, müdes Gerüst hörbar ächzen und stöhnen lassen. Nicht einmal Termiten haben sich hierher verirrt. Ihre Sinne sind fein genug, die Drohung in jedem noch so winzigen Splitter Holz zu erkennen. Sie riechen den Wahnsinn, der sich all meiner Dielen und Schindeln bemächtigt hat.

Kluge Tiere.

Und jetzt Stimmen und Tritte auf knarzigem Parkett, unachtsam und grob. Mein Messingknauf, der so viele Hände, so viel Blut gesehen hat, erzittert leicht unter der menschlichen Hand. Vielleicht ist da ein kurzes Zögern, ein Innehalten. Vielleicht wünsche ich mir das auch nur. Ein Ende des Irrsinns, des Sterbens. Mein Ende, irgendwann. Doch es sind Menschen und Menschen haben wenig Sinn für meine Welt. Wenig Sinn für irgendetwas außerhalb ihres eigenen Getöses. Mein müder, nur unwillig erwachender Geist sieht all die Seelen vorüberziehen, die ihren Weg hier für immer beendet haben. Nur ich höre ihre Geschichten erneut, die ewige Ignoranz, dann Erkenntnis, Entsetzen und schließlich das Ende. Messer in Fleisch, Hände, die kein Erbarmen mehr kennen. Am Ende wussten sie alle, wer ich bin. Ein langer Weg, für sie, wie für mich. Heute sind sie zu dritt. Sie wollen bleiben, legen ihre Zollstöcke an, planen, als hätten sie nicht in dem Moment die Kontrolle verloren, als sie meine Schwelle überschritten. Wir teilen von heute an ein Schicksal. Der Wahnsinn, der sich meiner bemächtigt hat, wird mit jeder Stunde in meinen Mauern in ihre Seelen und ihren Verstand sickern. Ihre Zeit ist knapp geworden. Ich kenne ihre Geschichte schon jetzt. Es ist meine Geschichte. Und ich sehne den Tag herbei, an dem ich endlich wieder schlafen darf.

Endlich schlafen.

Die Angst der Menschen

Menschen und Häuser gehören seit Urzeiten zusammen. Wir bieten Schutz, doch der Mensch hat Angst. Warum, wovor? Eine Frage führt zu Antworten, die zu neuen Fragen führen, aber irgendwo muss es ja anfangen:
Warum hat der Mensch Angst? Er hat Angst, weil er sein Leben zu schützen will, so wie alle anderen Tiere. Nur besitzt er neben diesem Instinkt auch noch Phantasie und damit die Gabe Freude, Begeisterung oder Furcht ganz aus sich selber hervorzurufen.
Wovor hat der Mensch Angst? Zu aller erst vor den Fleischfressern. Ängstlich hockt er unter seinem Baum und hört in der Nacht die Geräusche der katzen- und der wolfsartigen Jäger und die meist kurzen Todesschreie ihrer Opfer. Die Augen weiten sich nochmals, um den Schatten mehr Gestalt zu geben. Die Ohren hören nicht nur, sie orten und ordnen die Laute im 360 Grad Umkreis. Die Haare stellen sich auf und spüren hauchfeine Bewegungen der Luft. Alle Muskeln sind bereit für die Flucht aber der Verstand soll sagen wohin.
Was schützt den Menschen vor der Angst? Die Gemeinschaft der Menschen, die Tötung oder die Zähmung der Jäger, die Höhle, deren Eingang man bewachen kann, die Erfindung von Geschichten, die immer gut ausgehen. Und so bilden sie einen Stamm und bauen Städte (check), aus der Höhle werden Häuser mit einer stabilen Eingangstür (check), Katze und Hund holen sie sich als Kuscheltiere und Diener ins Haus (check) und schauen abends auf dem Sofa Krimis (check).
Warum haben sie nach all diesen Absicherungen dann immer noch Angst? Weil sie bald feststellen mussten, dass die schlimmsten Fleischfresser kein Fell haben, im Guten wie im Schlechten sehr Phantasie begabt sind, und manchmal nebenan wohnen oder schlimmer noch mit ihnen unter einem Dach.
Woher ein altes Haus wie ich, dass alles weiß? Von den Menschen, aus den Geschichten meiner Bewohner und , ich gebe es zu, aus ihren vielen, vielen Filme. (Nun stellen Sie vielleicht die Frage, „Ach ja wie macht ein Haus das denn? Hat es etwa Augen und Ohren?“ Aber wenn Sie bereit sind zu akzeptieren, dass Ihnen ein Haus gerade etwas erzählt und Sie zuhören, dann sollten Sie auch hinnehmen, das ein Haus etwas wahrnehmen kann, was über Ihre Sinne geht.)
Wir Häuser sollten euch schützen und das tun wir, vor den Fleischfressern, vor den Unwettern, vor der Kälte. Wir lassen das Böse draußen und halten euch warm. Aber dann sei eine letzte Frage an euch erlaubt: Warum erfindet ihr Menschen Geschichten über Geisterhäuser, wann hätten wir euch jemals etwas Böses getan? Menschen machen Menschen Angst, mit uns Häusern hat das nichts zu tun.

Der Andere
Etwas an diesen beiden Eindringlingen beunruhigt mich. Das Porzellangeschirr in der Zedernholzvitrine setzt die Schwingungen meiner erregt bebenden Mauern in ein jammerndes Klirren um. Verschreckt huscht eine Ratte aus ihrem Nest und rettet sich raschelnd in Laub und Schmutz hinter einen Stapel ineinander zusammengefallener Kisten. Ist es das grelle Licht ihrer Stirnlampen? Sind es die Leuchtstreifen an den Schuhen des vorderen der zwei jungen Männer, die ihn in den dunklen Räumen wie einen Geist erscheinen lassen? Ich kann die Aufregung nicht mehr unter Kontrolle bringen. Die zunehmende Frequenz meiner schlotternden Wände lässt die Beiden angespannt lauschend im großen Saal erstarren. Ein Ziegel löst sich und rutscht wie ein schleifender Schlitten vom Dach, um wenige Sekunden später am Boden in tausend Stücke zu zerspringen. Der Mann mit den leuchtenden Schuhen springt erschrocken zurück und gleitet auf einem alten Zeitungsblatt aus. Ein lautes höhnisches mir sehr bekanntes Lachen ertönt. Es durchdringt jeden einzelnen Ziegel meiner Mauern und setzt sich bis in den letzten Winkel fort. Er ist wieder da. Nach so vielen Jahrzehnten. Wie eine Kopie kann ich das Bild von damals über die Ereignisse vor mir legen: Der Lachende hält ein Messer in der Hand, der andere auf den Knien verharrend fragt den Messerträger, was er denn vorhabe. Ich spreche die Antwort mit: „Um die Geister zu vertreiben!“ Und wieder ertönt das hämische Gegröle, mit dem er sich schon damals an der Todesangst seiner Opfer weidete, bevor er sie niederstach und schrecklich belustigt dem Todeskampf zusah. Ich werde diese Grausamkeiten und das Blut an meinen Wänden kein zweites Mal ertragen können. Ich hatte gehofft, dass das Böse in der Vergangenheit versunken war. Diese Menschen sehen jetzt so entwickelt aus mit ihren Geräten und der Kleidung. Trügt der Schein und die Welt dreht sich doch nur im Kreis? Ich würde am liebsten zusammenstürzen und diese beiden Exemplare unter mir begraben. Ich schaue zu dem jungen Mann, der nicht wie damals durch das Messer, sondern meine Steine sterben würde. Wird sich etwas ändern, wenn er diesmal überlebt? Dieser winzige Hoffnungsschimmer gibt mir Kraft, ich spanne mich an und das Haus gerät ins Schwanken. Der Boden schwimmt wie bei einem Erdbeben hin und her und zwingt den Messerträger auf die Knie, er krabbelt wie ein Tier entschlossen mit seiner Waffe in der Hand in Richtung seines Opfers. „Die Geister wollen Menschenblut!“ , schreit er enthemmt. Der Blick des anderen ist kurz zur schwankenden Vitrine gerichtet. Er zieht sich ein Stück zurück, der Angreifer hinter ihm her. Ich gebe alle Energie in diesen Moment und mit lautem Krachen fällt der alte schwere Schrank um. Die Hand, die unter dem zerborstenen Holzhaufen hervorschaut, öffnet sich und das Messer rutscht heraus. Der andere holt sein Handy aus dem dunkelblauen Trekkingrucksack, steckt es wieder ein, tastet flüchtig den Puls am Handgelenk seines Begleiters und bahnt sich einen Weg durch herunterfallenden Putz und Steine aus meine Gemäuer. Auf der letzten Stufe der ausladenden Außentreppe dreht er sich um, und wir blicken uns lange an, bevor er geht.

Geschichte

Ich weiß, sie werden kommen. Das alte Haus muss weg. Und sie werden alles finden.
Zuerst den einarmigen Künstler, der heimlich hier gelebt hat und den noch niemand vermisst. Vor drei Tagen hat er an einer Wand das übergroße Bild eines Clowns mit Zylinder fertig gemalt. In der nächsten Nacht hat er sich erhängt. Sein Zylinder liegt jetzt neben dem umgestürzten Stuhl.
Dann die jüdische Familie, versteckt in dem extra geschaffenen, stets verschlossenem Geheimzimmer. Man hatte sie nicht gefunden. Man hatte sie vergessen nachdem die Bewohner des Hauses selbst verhaftet und ermordet waren.
Dann im Keller den Hund, vergraben von der Dienerschaft, nach dem sein Herr ihn erschlagen hatte. Er hatte einmal nicht pariert.
Und zu guter Letzt im Fundament das Neugeborene, das man lebendig beim Bau eingemauert hatte, und das mir bis heute so viel Glück gebracht hat.

Schmerz zerrt mich aus dem Schlaf. Bevor ich voll bei Sinnen bin durchzuckt mich abermals ein scharfes Reißen. Die Katze auf der Terrasse kreischt. Jemand hackt mit einer Machete durch meinen Efeu. MIT EINER MACHETE! Die Benommenheit fällt von mir ab, wie mit dem Einsetzen eines Gewitters.

Sechs Füße zertreten das Gras vor meinem Eingang. Zwei Hände rütteln an meiner Eingangspforte und zerhacken den Efeu, der sie fest an ihrem Platz hält. Wer wagt es, mich derart zu beleidigen! Ich lasse den Efeu in Windeseile verwelken und die Pforte springt auf. Eine Ratte kriecht auf meinen Befehl aus ihrem Loch in der Wand und klettert auf den oberen Absatz der Treppe, sodass ich mir durch ihre Augen die Eindringlinge ansehen kann.

Zwei breit gebaute Männer mit grimmigen Mienen und vernarbten Gesichtern betreten das Foyer, in den Händen dieses schmerzbringende Stück Eisen. Wenn ich mit ihnen fertig bin, werden sie selbst wissen, was Schmerz ist. Die Eiche vor der Tür peitscht ihre Äste. Weitere Ratten kriechen aus ihren Löchern und tapsen auf leisen Pfoten den Störenfrieden entgegen. Fliegen, Spinnen und anderes Geschmeiß bevölkert die Luft, aufgetrieben durch meine Wut.

Eine Frau schiebt sich an den Männern vorbei, um einen besseren Überblick über das Foyer zu erhaschen. Sie reicht den Männern bis zur Brust und ihre schmächtigen Gliedmaßen sind von einem wallenden blauen Umhang umgeben. Auf dem Rücken trägt sie ein in Leder geschnürtes Bündel.
„Ihr dürft gehen“, bedeutet die Frau den Männern. Sie greift in die Tasche ihres Umhangs und zieht einen faustgroßen Beutel heraus. Diesen wirft sie dem Mann neben ihr zu. Die Münzen klirren als seine Hand sich darum schließt.

Die Männer werfen sich einen kurzen Blick zu und bleiben zurück als die Frau den Griff der Tür vor sich herunterdrückt. Mit einem schaurigen Knarzen schwingt die Tür nach innen auf und gibt den Blick auf das Herrenzimmer frei. Sie schreitet zur Mitte des Raumes und dreht sich mit geschlossenen Augen im Kreis. Ich lasse eine meiner Spinnen sich auf ihr Haupt herabseilen, die Ratten schnüffeln an ihren Schuhen.

Da kann ich es spüren. Nein, was haben mir meine schlaftrunkenen Sinne da vorenthalten. Der Wind legt sich, die Insekten und die Ratten nehmen Abstand. Sie ist eine Magi! Welch herrliche Wendung. Welch lohnenswerte Belohnung für dieses unsanfte Erwachen!

Es muss nun schon viele Jahrzehnte zurückliegen, dass mich das letzte Mal Magi in meinem Haus besuchten. Wie schade, wo ich ihnen doch so viel verdanke. Diese magischen Wesen sind mit inneren Kräften erfüllt, die sie ermächtigen die Welt um sie herum, zu steuern und zu manipulieren und das nur mit der schieren Kraft ihres Geistes. Und je mächtiger ihre Geister, desto mehr neigten sie dazu, nach immer mehr Macht zu gieren und dafür immer abscheulichere Rituale durchzuführen. Oh, was haben meine Mauern und mein Gebälk an Opferritualen und Dämonenanbetungen gesehen! Und mit jeder Ausübung ihrer Macht, sickerte ein Teil davon in meine Dielen, triefte in mein Gestein und sammelte sich dort an. Schreie. Blut. Grenzenlose Macht. Bis zu dem Tag, an dem ich meinen ersten Gedanken vernahm. Bis zu dem Tag, an dem mein Geist selbst mächtig wurde.

Und je mehr Macht sie mir schenkten, desto öfter kamen sie. Denn die Magi konnten sie fühlen, die Taten ihrer Vorgänger, und sie wollten einen Teil davon abhaben. Sie schwelgten in der Energie meiner Gemäuer und vollbrachten neue Rituale. Und ich kehrte ihr Geschenk gegen sie und nahm von ihnen besitz, überwältigte sie und ernährte mich von ihnen.

Jetzt endlich war wieder eine von ihnen in mir. Und so werde ich die Kontrolle auch über diese Magi übernehmen. Welch lohnenswerter Tag so aus dem Schlaf gerissen zu werden. Eine wohlige Brise fährt durch die zerbrochenen Fensterscheiben, begleitet vom Zittern der Blätter und dem Vibrieren der Flügelschläge der Insekten.

Die Magi verscheucht mit einem Fußtritt die Ratten, die sich um sie versammelt hatten. Sie setzt sich auf den Fußboden und nimmt das lederne Bündel von ihrem Rücken. Ich kann es kaum erwarten, dass sie ihr Ritual beginnt. Die Spinne auf ihrer Schulter schaut darauf herunter, als die Magi es ausbreitet und zeigt mir den Inhalt.

Die Katze kreischt vor der Tür, die Ratten fiepen, die Insekten stoben auf und erfüllen die Luft mit summen. Da vor mir auf den Dielen liegt ein silbernes Kreuz! Diese missratene Kreatur kommt nicht, um mich zu füttern. Sie kommt, um mich auszutreiben! Die Türen schlagen im tosenden Wind. Eine Vase fällt von der Kommode und trifft die Magi an der Schulter. Die Ratten klettern an ihr empor und nagen sich durch den Stoff.

Doch die Magi lässt sich nicht beirren. Sie hebt ihre Hände über das Kreuz und ich spüre, wie sich ihr Geist und ihre Macht entfalten. Erst leise und dann immer lauter, beginnt sie zu rezitieren:

„Magistra rezentii salerem ordeiin … Magistra rezentii salerem ordeiin …“

WIE KANN SIE ES WAGEN! Die Decke über ihr beginnt zu vibrieren. Jahrhunderte alter Staub und Schimmel rieselt auf sie herab und färbt ihren Umhang grau. Die Ratten haben sich schon fast durch den Stoff gebissen und ihre Zähne schlagen sich in das weiche Fleisch der Frau.

Die Magi wischt die grauen Biester zur Seite und spricht: „Magistra rezentii salerem ordein … Magistra rezentii salerem ordein.“

Sie spricht weiter, immer lauter, bis nur noch ihre Stimme zu hören ist.

Dann verstummt sie.

Und die folgende Stille wird nur unterbrochen vom leisen Tapsen der Rattenfüße, die langsam auseinandergehen.

Die Dunkelheit legt sich wie eine warme Decke um mich und der Wind umschmeichelt mich wie eine liebeshungrige Katze. Noch ist er ein leichtes Lüftchen, aber ich spüre, wie er immer mehr Schwung holt, um im Laufe der Nacht stärker zu werden. Spukhaus werde ich genannt, aber das trifft es nicht wirklich, denn um mich herum befindet sich auch noch ein großes Stück Land, auf dem es ebenfalls spukt. Mit den Jahren bin ich immer mehr verfallen und die Natur hat sich einen großen Teil meines Seins einverleibt. Dicke Staubschichten bedecken meine mittlerweile verfallene Einrichtung und wo es möglich ist, und das ist an vielen Stellen, sprießen immer mehr Bäume, Gestrüpp und Unkraut aus dem Boden oder anderen Lücken, die sich im Laufe der Jahre in meinem Gemäuer aufgetan haben. Mittlerweile mag ich dieses Gefühl, es wärmt mich von innen, der Wind wird von den lebenden Pflanzen gestoppt und füllt mich nicht mehr komplett mit seiner Kälte aus. Meistens ist mir langweilig, denn ich stehe ja den lieben langen Tag und die ganze Nacht hier herum und habe keinerlei Abwechslung. Die Geister der vergangenen Bewohner erzählen seit Jahrzehnten das Gleiche, so dass ich meine Ohren vor ihrem Gejammer und Geheule verschließe und in regelmäßigen Abständen zustimmend oder besänftigend brumme. Wenn ich es vor Langeweile nicht mehr aushalten kann, bewege ich beispielsweise mal eine Stufe und rufe damit dieses unheimliche Knarren hervor, das den meisten Menschen so viel Angst macht. Mein Dachgebälk knarren lassen kommt auch immer besonders gut an. Die Geister, die sich mit mir das Anwesen teilen, sind ausnahmslos meine ehemaligen Bewohner. Sie gehörten zu einer Familie, deren Existenz sich über Jahrhunderte zurückverfolgen lässt. Keiner von ihnen hatte ein schönes oder sorgloses Leben, eher eins, dass sie dazu veranlasst hat, sich entweder selbst zu richten oder sie wurden ermordet, beides natürlich immer hier auf dem Grundstück am Rabenweg. Einige von ihnen sind noch heute irgendwo hier verscharrt und wurden nie gefunden. Deren Heulen und Jammern hört man bis weit übers Grundstück hinaus, daher meiden die Lebenden dieses Umfeld, zumindest sobald es dunkel wird. Ich habe keine Aussichten darauf jemals Frieden durch Abbruch oder Sanierung zu finden, denn es fühlt sich niemand für mich zuständig. Ich werde sogar als gruseligster Ort Deutschlands geführt und ziehe, natürlich nur tagsüber, viele Touristen an, die sich das Spuckhaus ansehen möchten. Diejenigen der Menschen, die ein Faible für Häuser haben, meinen, dass ich freundlich aussehe, was wahrscheinlich daran liegt, dass meine Fenster und die Türen so angelegt wurden, dass sie wie ein freundliches Gesicht wirken. Das war meinen Erbauern sehr wichtig, denn hier sollte sich die Tochter des Grafen von Metzmeister nach ihrer Eheschließung wohl und geborgen fühlen. Wir wissen alle, dass diese Ehe letztendlich der Grundstein meiner gruseligen Geschichte wurde. Falls du nicht von hier kommst und dich diese Geschichte interessiert, findest du in meinem Keller einen Schrank, in dem alle Tagebücher der Bewohner aufbewahrt werden. Geh ruhig hinunter, wenn du dich traust.

Was ist das? Durch das Wispern der Bäume kann ich noch andere Geräusche hören. Das Rascheln von Blättern, nervöses Kichern und leises Flüstern. Sehen kann ich aber noch nichts. Ich lausche in die Nacht, aber es ist nicht so einfach inmitten des mittlerweile angewachsenen Getöses des Windes noch andere Geräusche auszumachen. Da, ein kleines Licht hüpft zwischen den Bäumen hindurch und noch eins. Als die Lichter und die Geräusche näherkommen, sehe ich vier Gestalten, dunkel angezogen, die sich mir vorsichtig nähern. Zwei Frauen sehen mich mit großen Augen an und ich bemerke, dass sie schwer atmen, als würden sie eher die Luft anhalten als sie durch ihre Lungen strömen zu lassen. Im fahlen Licht des Mondes sehen sie beide ziemlich blass aus. Die beiden Männer, die sie begleiten, schreiten mit forschen Schritten voran und in ihren Augen sehe ich Vorfreude auf das, was sie hier erleben werden. Nun, dann werde ich mal sehen, wie viel sie aushalten.

Wenn ich könnte, würde ich meine Finger knacksen lassen, so wie es die Übeltäter in schlechten Krimis tun. Bei mir muss es anders gehen. Langsam bewege ich einen Teil meines Daches, so dass der Balken, der schon seit Jahren locker ist und die ganze Zeit auf seinen filmähnlichen Einsatz wartet hat, mit großem Getöse im Dunkel verschwindet. Die vier Gestalten springen mit einem Satz von mir weg und den beiden Frauen entfleucht ein atemloser Schrei. Früher habe ich solche Momente sehr genossen, aber ich spüre, dass hier etwas anderes als Sensationslust der Grund für ihren Besuch ist. Ich bemerke, wie sich hinter mir die Geister der Verstorbenen bereit machen. Sie haben lange darauf gewartet, dass sich nachts jemand hierher verirrt. Sie geben ihre seltsamen murmelnden und anklagenden Laute von sich und sogar mir wird dabei immer etwas anders. Ich weiß, dass ich ihnen vertrauen kann, aber trotz allem schüttelt mich ein Zittern, das einem leichten Erdbeben gleicht. Das bringt die Menschen vor mir dazu, noch ein Stück zurückzuweichen. Nun sind alle sehr blass und schnaufen verdächtig. Eigentlich habe ich gern Gesellschaft, aber ich verstehe nur zu gut, dass sie sich unter den Umständen nicht trauen, mir näherzukommen.

“Johanna von Metzmeister!” Die Stimme einer der Männer schallt zitternd über das Anwesen. “Bist du hier?” Der weibliche Geist hinter mir erstarrt und hört jäh mit dem Jammern und Brummen auf. Sie legt ihren Kopf schief und lugt hinter mir hervor, um zu sehen, wer ihren Namen kennen könnte. Eine piepsige Stimme, bei der man direkt spürt, dass sie nicht nur Angst, sondern regelrecht Panik hat, meldet sich zu Wort: “Ich bin deine Nachfahrin! Ich möchte deinen Tod aufklären. Man sagte mir, dass man dich am besten hier bei Nacht treffen kann. Also bin ich mit meinen Freunden hergekommen, um mit dir zu reden.” Wut umspült mich, wie ich sie in all den Jahren niemals gespürt habe. Ich spüre, dass diese Wut nicht diese Frau treffen soll, aber bei Johanna hat sich seit ihrem gewaltsamen Tod so viel Hass angestaut, dass sie ihn gar nicht mehr richtig kanalisieren kann. Die Druckwelle des Hasses lässt mich erneut beben, so dass ich nicht verhindern kann, dass an allen Ecken und Enden etwas knackt, knirscht oder gar von seinem angestammten Platz fällt. Ich bin ratlos, wie ich hier vorgehen soll, denn die Frau scheint es gut zu meinen und Johanna schafft es nicht auf sie zuzugehen. Doch dann kommt mir eine Idee: Ich öffne meine Eingangstür und weise den Wind an, den Besuchern den Weg in den Keller zu zeigen. Vor Jahren habe ich schon ein Abkommen mit dem Wind getroffen, weil auch er sich fürchterlich langweilte. So waren wir beide in der Lage uns ein wenig mit den Ängsten der Besucher zu vergnügen. Doch heute möchte ich das nicht. Ich möchte Frieden für Johanna. Sie hat ihn als meine erste Bewohnerin, die alles an mir sehr geliebt hat, verdient.

Ich sehe, wie die vier Gestalten vor mir sich fragend ansehen. Sie wissen, dass es kein Zufall sein kann, dass meine Eingangstür sich geöffnet hat. Der mutigere der beiden Männer strafft den Rücken, hebt den Kopf und zieht die Nase hoch. “Leute, ich glaube, das Haus möchte uns etwas zeigen!” Zögerlich folgen die anderem ihm hinab in den Keller zu den bisher geheim gehaltenen Tagebüchern meiner ehemaligen Bewohner. Nun bin ich sicher, dass sie alle nach und nach ihren Frieden finden und ich mein Dasein als Gruselhaus endlich ablegen kann, denn ich war immer ein friedliebendes Haus und habe es mir immer gewünscht, dass lachende Kinderstimmen und freundliche Menschen mein Innerstes erfüllen.

Das Ende kann ein Anfang sein

„Konnten wir nicht bei Sonnenschein kommen, Leute?“
„Bei Sonnenschein ist das Haus hier gruslig!“
„Wieso das denn? Rundherum mag es ein wenig verwildert sein, die Fensterscheiben blind und mit Spinnweben überzogen, das Dach … “
„Klappe! Man munkelt, das dieses uralte Haus jedes Wort hört … “
„Also ehrlich gesagt, es kann uns nicht böse sein, wenn wir ehrlich über es herziehen. Meint ihr nicht?“
Ein Windhauch läßt die Blätter eines knorrigen Apfelbaums rascheln. Vielleicht ist es derselbe Windhauch, der einen der noch vorhandenen Fensterläden ein winziges Stück bewegt. Er kitzelt in der Nase des letzten Sprechers und bringt ihn zum Niesen. Und ihm ist, als ob immer noch derselbe Windhauch das kleine Wort ‘Gesundheit’ in sein Ohr flüstert. „Pscht!“, ist hingegen die Reaktion eines der beiden Mädchen, auf den nur halb unterdrückbaren Niesanfall.

„Er hat das Wort ‘Ehrlich’ in den Mund genommen?“, fragt der beinahe einzig noch vorhandene und ehemals rote Fensterladen das Gemäuer, an den er sich sacht anlehnt.
„Ja. Er hat es sogar zweimal gesagt und ich bin überrascht, das man dieses Wort in der Menschenwelt noch kennt … “, antwortet das Haus unisono. Wenn es grinsen könnte, würde es das jetzt tun. Denn der Kontext rund um dieses Wort, diesen kann man auch umgehend als komplett negativ bewerten.
„Oh, ob diese Gruppe junger Homo sapiens sapiens den Mut hat, mich zu öffnen?“, fragt, unhörbar für die Ohren der Erwähnten, die einst recht stabile Eingangstür.
„Ich würde mich freuen, wenn sie meine Stufen empor kommen … “, kommt es fast gehässig von der Treppe zum Dachboden. Sie verfügt über teils recht morsche Stufen und wartet darauf, dass jemand sie betritt.
„Ah, wir wissen nicht … “, die Sammlung wurmstichiger Bücherregale, die in ihrer Mehrzahl einen recht großen Raum mit Kamin bewohnen.
„Unser aller Wissen wurde vergessen. Warum sollten wir uns ausgerechnet jetzt zeigen?“, hallt es von ebenso wurmstichigen Regalen in den Fluren des Hauses zurück. Und die Reste eines Vorhangs, der statt Tür den Durchgang in eine jetzt erst recht als rustikal bezeichnungsfähige Küche verdeckt, flüstert, das er keinen Besuch mehr haben möchte. Denn sollte es jemand sein, der dieses Haus mit allem drin zu restaurieren vorhat, besteht größere Gefahr für alle, als wenn ein Blitz doch mal hier einschlägt.

Die brüchig aussehenden Ziegelsteine, die den Türsturz der Eingangstür bilden, mustern neugierig die Gruppe der immer noch vor dem Tor zum Anwesen verharrenden Menschen. Sie flüstern miteinander und können sich nicht darauf einigen, ob diese Menschen es wert sein könnten, verschont zu bleiben. Eine Gruppe Ziegelsteine meint, dass diese Menschen alt genug zum Sterben wären. Nicht einigen können sie sich, auf welchen Ziegelstein verzichtet werden könne. Der als erster sich zu lösende Stein einen ausgesuchten Kopf mit ausreichender Wucht zu treffen hat. Oder ob der Türsturz im Verein herabfällt. Die Ziegelsteine der Dacheindeckung losen hingegen, wer als erster die Ehre haben darf. Und ihm beim herabrutschenden fallen umgehend weitere folgen.

„Ich könnte meine Geruchsnote etwas abändern … “, wirft der Schimmel an den Wänden ein. Vermittels entsprechender Duftnoten hat das Haus schon öfters unliebsame Besucher verwirrt, Halluzinationen verpasst und auch in die Flucht getrieben. Achtzig Jahre ist es her, als man zu dieser Strategie der Verteidigung fand. Um zu verhindern, das zu viele Bücher aus den Regalen verschwinden, die vor den Augen des Hauses im Freien verbrannt wurden. Es war sehr mühselig die fehlenden Bücher wiederzubeschaffen. Knapp zwanzig Jahre nach der Verbrennung, war die Aufgabe geschafft und die Regale ächzten freudig unter der zusätzlich hinzugekommenen Last neuer Kameraden in ihren Reihen. Keine zwei Jahre ist es her, als Haus und Regale eine Reihe Anfragen bekam, da andernorts einmal wieder Bücher willentlich vernichtet wurden. Nur weil die Autoren plötzlich den falschen gesellschaftlichen Hintergrund, die falsche Nationalität gar, hatten. Manche der leicht eingestaubten Bücher, deren Inhalte gelten aktuell als Fake. Sozusagen dicht an die Bücherwelt des Planeten überschwemmenden Werken die man teils wirklich diversen Verschwörungstheorien zuordnen kann. Die Regale allein, solange wie sie schon existieren, können die oft feinen Unterschiede erkennen. Neben dem Wort von der Ehrlichkeit scheint auch die uralte Nachfrage ‘cui bono’ oder auch das man die Dinge immer aus verschiedenen Richtungen und von allen Seiten betrachten sollte, im Zweifelsfall auch im Kontext der Zeit, aus den Köpfen der Spezies Homo sapiens sapiens verschwunden zu sein. „Ah, da waren die Neandertaler schlauer!“, geht ein leises Seufzen durch die vielen Reihen an Büchern. Mit angehaltenem Atem, selbst der Wind hat keine Chance als Luftzug durch mehr oder minder große Spalten zu ziehen, verfolgt das gesamte Haus, wie die nächtlichen Besucher in das Foyer eintreten.

„Ich bin neugierig, hier soll es einst eine halbe Bibliothek gegeben haben. Und man die Bücher nirgendwo mehr auftreiben kann!“, der Niesreizgeplagte flüstert.

Die Geister, die mich riefen

Es ist Freitag, der 13. Eigentlich ist es ein ganz normaler Tag.in der Rabenstraße. Ich muss heute nicht zur Nachtschicht. Aber das Geisterhaus am Strassenende lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Da bin ich doch jeden Abend vorbeigekommen und Huuuu, die Geister kommen nicht zur Ruhe. Nicht nur das Geräusch von Bassrasseln und stampfender Füße, sondern auch wunderschöne Flötentöne, ganze Lieder ließen mich hier jeden Abend erstarren. Sollten die alten Geschichten der Nachbarn wahr sein? Heute Abend will ich es wissen. Ich will der Geschichte auf den Grund gehen.

Es ist kurz vor Mitternacht und ich bin kurz vor dem Geisterhaus. Ein dumpfer Bass lässt mich aufhorchen. Ich komme näher: stampfende Füße und eine wunderschöne Melodie von einer Flöte. Huuuu, das sind mehrere Geister. Ich schleiche mich zur Rückseite. Ein grosser Raum ist schwach erleuchtet. Ich kann hinter einem Busch hineinsehen. Das hatte ich nicht erwartet. Der ganze Raum voller Geister. Erkennen kann ich eine Kuh mit Hörnern, ein Skelett erschreckt mich mit Schwanz und Harke, dahinter eine Frau mit einem Riesenbauch und ein Polizist. Die Geister sehen schrecklich aus und gleichzeitig aber lustig: gekleidet in knalligen Farben mit roten, gelben, blauen und grünen Schleifen. Die Kuh vorneweg hat ein Horn in der Hand und erzeugt uhrige Töne zu den Basstrommeln. Die Musik kommt mehr aus dem Hintergrund.
Jetzt ist es passiert, die Geister haben mich entdeckt. Bevor ich mich verdrücken kann, winken sie mir zu und laden mich ein. Soll ich es wagen?
Ich lasse mich überraschen. Huuu, jeder Geist versucht mich doch nochmal zu erschrecken, dann bin ich drin. Die Geister nehmen ihre wirklich schrecklichen Kopfmasken ab und lachen mich an. Erleichterung! Es sind Studenten aus Jamaika, die hier wohnen. Sie erhalten die jamaikanische Kultur und üben für den Kulturabend in der Uni. Sie erzählen mir die Geschichte der Musikbands.

Die John Canoe Kultur geht Jahrhunderte zurück und wurde zelebriert von den Sklaven als Teil ihrer Ferienfeiern. Zu den Gestalten, die ich sehe gehören noch König und Königin, ein Mann mit einem Haus auf dem Kopf, ein Junge namens John Canoe, Krieger und tanzende Frauen. Dazu kommen die Musiker mit ihren Trommeln und Flöte, mit der alte Lieder in Erinnerung gerufen werden. Die John Canoe Bands tanzen mit Teilen der Gestalten vor allem auf den Hauptstraßen in Jamaika in der Weihnachtszeit ähnlich dem Karneval in Rio und auf Festivals.
Ich war richtig erleichtert über die Auflösung und ging mit der letzten Melodie im Ohr zurück nach Hause.
Hier noch ein Link zu mehr über John Canoe: https://www.about-jamaica.com/john-canoe/

Unerbeten eingetreten

Sie bahnt sich durch das morsche Holz, es knackst und knarrt und zerrt und bricht. Die Fensterläden klappern, an der Fassade rüttelt’s, als wäre da ein Riesensturm.
So alt und treu die Pforte doch ist, modriges Gehölz hält wohl nicht für immer dicht.
Ohne Scham und Scheu schleicht sie durch mein einst verschlossen Tür und Tor. Fraglich warum sie nicht um Befugnis bittet.
Drinnen geht ein Lichtlein an, sie durchleuchtet alle Flure.
Es wird gegriffen, recht ungeniert, nach jedem Rohr.
Dreist ist sie schon, die kleine Menschleinmenge.
Neugierig schlüpft sie durch meine gebrochenen Wände und rennt alle Treppen auf und ab.
Ich möchte nur ruhen und schlafen nach so langer Zeit, doch sie geistert gebannt durch meine Gedankengänge.
Sie springt und tritt und zerbricht alles, was mir lieb.
Zersplittert jedes Gläschen, verpustet jedes Staubkorn. Es entsteht pures Chaos.
So barbarisch, dass mir am Ende nur mehr mein Keller zum Lachen blieb.
Überall hängen die Bilder, ich habe sie beschriftet: „Bitte gebt mir jetzt Ruh‘!“, denn nach so langer Lebzeit wird man erschöpft und müde.
Doch die kleine Meute von Menschlein hört mir nie zu.
Zu oft sagte ich nichts, ließ sie vollenden ihre Taten, die Geduld war immer meine Tugend.
Doch jetzt vermag ich nicht länger zu warten.
Nun müh‘ ich mich ab, die Mauer des Schweigens niederzureißen, ich tobe und bebe.
Die Ziegel purzeln, der Putz bröckelt ab.
Mein Wunsch ist, dass sie endlich sieht, dass ich lebe.
Dann schleudert’s die Menschlein umher.
Sodass jeder der gekommen war, um sich als Scheusal zu beweisen, verendet mit der Ehre in das saftige Gras meines Gartens zu beißen.

Nachtschwärmer

Lost places – die verlorenen Orte einer vergangenen Zeit. Am Abend sind sie unterwegs auf der Suche nach den Geheimnissen eines verlassenen Ortes. Du kennst ihn, inwendig, auswendig. Vor Jahren ist es dein Ort gewesen. Da spielte das Leben mit all seinen Komödien und Tragödien. Time is over! Der Mond an diesem Abend schickt matte Strahlen durch die Bäume und leuchtet fahl die Fassenden aus, kriecht in die Fensternischen mit seinem Licht und sucht in den Ritzen der Wände die verlorenen Geschichten von früherer Zeit. Wer diesen Ort aufsucht, dieses Haus mit dem Modergeruch einer langen Fäulnis, der sucht nach Abenteuer und Originalität. Die Kamera folgt im Anschlag, die Suche nach Einmaligkeit, nach dem geheimnisvollen Winkel, wo sich letzte Kakerlaken hin verzogen haben und ausharren. Eine Taschenlampe streift über die Wände, blitzt auf und lässt den Lichtstrahl dann wieder in der Stille der Dunkelheit erlöschen. „Lass das Licht aus!“, zischelt eine Stimme. „Soll ich über das Gerümpel stolpern? Ich muss doch etwas sehen, du Idiot!“ Ein leises Klicken verrät, dass ein Fotoapparat in Aktion ist. Nachtkamera mit Infrarot, Augen von Nachtstreunern, Fledermäuse im Ultraschall flattern aufgeschreckt durch den Raum, Infrarot für die Zusammenstellungen von grauen Bildfolgen.
Sie wühlen in den vergilbten Papieren in Regalen und glauben, es fände sich ein Schatz, eine verborgene, unversehrte Schachtel, ein wertvolles Dokument. Einer zündet eine Kerze an. „Lass das, willst wohl das Haus abfackeln?“ „Wir sind nah dran, nur nicht nervös werden!“ Sie steigen über verrostete Regale, rücken Stühle zur Seite, blasen Staub von den Tischen. „Hier muss es sein, ich habe es schon einmal gesehen!“ Er dreht sich um und winkt die anderen heran. Der Kameramann richtet die Tiefenschärfe des Objektivs.“Klappe!“, ruft jemand und ein Scheinwerfer leuchtet den Drehort aus. „Wir drehen jetzt die Szene im Schuppen. Kamera bitte auf das Außenmotiv. Die Komparsen bitte aus dem Bild. Wir brauchen jetzt die Nebelmaschine…“

Ungeplante Ereignisse

Der Wind pfeift durch die Ritzen der schiefen Wände und lässt Türen und Fensterflügel klappern. Die verursachten Geräusche durchdringen die Besucher bis ins Mark. Hastig schauen sie sich um, während Äste gegen die Wände peitschen. Der Wind, der durch den Kamin fährt, klingt wie das höhnische Lachen einer Hexe über die ungebetenen Gäste. Das Krächzen der Raben vor dem Haus dringt bis ins Innere. Ein kalter Schauer läuft den Menschen über den Rücken. Hastig blicken sie umher, können jedoch in der Dunkelheit nichts erkennen. Ein schwacher Lichtschein fällt gedämpft durch das verschmutzte Glas in das verfallene Gebäude.

Verängstigt durch die unbekannten Geräusche bleiben die drei Personen abrupt stehen und betrachten ihre Umgebung verstohlen. Sekundenlang lauschen sie, hören jedoch nichts, der Wind verstummt für einen kurzen Moment. Erst eine knarrende Stufe lässt sie herumfahren und durch die an einer Zarge hängende Eingangstür verschwinden.

„Es war ein großer Fehler, ausgerechnet heute hier einzusteigen! Wir werden ein anderes Mal wiederkommen!“, schwören sich die drei ungebetenen Gäste grimmig, bevor sie in der einsetzenden Dämmerung verschwinden. Der Wind frischt wieder auf, heftiger als zuvor, und schleudert die Tür donnernd gegen die Wand.

Ende gut, alles gut.

Ich atmete erleichtert aus. Na endlich! Glattes Gesicht des Professors erscheint vor meinem Auge. „Hallo meine Liebe.“ „Hallo“ flüstere ich. Wie schön es wäre, wenn er meine Stimme hören könnte, aber soweit sind wir noch nicht. Ich bin trotzdem glücklich. Ein neuer Gast ist da, spannende Zeit beginnt! Sein Look gefällt mir. Obwohl er meiner Meinung nach sich nicht unter einer Maske verstecken muss. Wenn er sich jedoch in der Verkleidung wohler füllt, dann soll es mir recht sein.

Der Professor liegt seine weißen, langen Finger auf die Tastatur und beginnt zu tippen. Okay, er braucht die Daten der letzten Überwachung, aber gerne doch. Ich präsentiere ihm die Bilder. Er betrachtet diese aufmerksam, seine Kiefer mahlen angespannt. Er ist unzufrieden. Aber ich kann nun mal nichts für, wenn bei uns plötzlich Rücksacktouristen auftauchen oder Neugierige rumlungern. Wir beide mögen keine ungebetenen Besucher, da sind wir uns einig. Nichts als Ärger mit den.

Aber zum Glück gibt es da noch Lissi. Meine fleißige Helferin. Ich bin so froh, dass sie da ist. Meine Gäste kommen und gehen, aber Lissi bleibt. Sie macht mich sauber und hält uns die Fremden vom Hals. Was ich bei ihr besonders mag, dass sie sehr vorsichtig ist. Sie trägt immer weiche Handschuhe. Ich hasse es, wenn Menschen überall fette Fingerabdrücke hinterlassen. Vor allem abstoßend ist es, wenn sie meine Augen anfassen. Ist es den gar nicht bewusst, was sie da tun? Aber Lissi ist da anders. Sie ist sehr darauf bedacht alles sauber und ordentlich zu halten. So mag ich es am liebsten.

Professor braucht keine Handschuhe, seine Finger sind wie aus Glas, er macht keine Fettabdrücke. Das bewundere ich so an ihm. Überhaupt habe ich ein großes Glück. Mein letzter Gast hat viel in mich investiert, wir waren ein Herz und eine Seele, trotz seiner Essensgewohnheiten. Schade, dass er so überstürzt abgereist ist. Davor hatte ich einen sehr zurückhaltenden Unsichtbaren, dann war da noch eine Dame die sich für eine Hexe hielt und ein Pärchen mit recht speziellen Neigungen. Alles schön und gut, aber ich hatte noch nie einen Professor.

Seit dem Einzug des Professors genieße ich seine volle Aufmerksamkeit. Er geht gar nicht aus. Natürlich hat er bei mir paradiesische Bedingungen, hohe Wände, gedämpfte Farben, minimalistische Einrichtung. In seinem alten Haus hatte er es nicht so schön. Ich habe mir die Bilder angesehen. So bunt war es dort, dass man Augenkrebs bekommen könnte. Als er dort wohnte, hinterließ der Professor noch überall fette Fingerabdrücke und Essensreste. Ich bin nicht traurig, dass diese Zeit vorbei ist. Jetzt ist er endlich da, wo er hingehört. Hier gibt es nur uns, und Lissi, naja und die Kreatur im Keller. Aber die lassen wir nicht nach oben. Bei alldem Dreck die Kreatur produziert, möchte ich sie nicht in meinen sauberen Räumen haben. Richtig, dass Professor es unten hält. So ist es am besten. Ich bin massiv, für die Ewigkeit gebaut und trotzdem habe ich manchmal die Mühe die Kreatur zu halten. Aber ich kann gut Geheimnisse wahren.

Der Professor nennt die Kreatur Graf. Was für ein Graf kann es denn sein, so dreckig und abscheulich in der Gestalt? Ich habe schon einige Adelige kennengelernt, ich weiß wie ein Graf aussehen soll. Diese Kreatur in meinem Keller ist alles andere als Ehrfurcht, eher Furcht erregend. Aber ich bin ja nicht so, ich habe nichts gegen die Haustiere.

Ach Lissi kommt rein, wird ja langsam Zeit. Sie hat zwei junge Männer mitgebracht. Touristen. Sie sehen ein bisschen mitgenommen aus. Dunkle Augenringe, recht dürr und ungepflegt. So etwas mag der Professor eigentlich nicht. Aber wählerisch kann er nicht sein, da er ja nie rausgeht. Lissi bemüht sich schon sehr die Malzeiten abwechslungsreich zu gestalten. Ich finde es ganz spannend, wie die Nahrungsaufnahmen bei dem Professor ablaufen. Er macht es sehr elegant und sauber. Nicht so wie die Kreatur, wenn sie mal frisst, ist es immer ein Schlachthof.

Die jungen Männer wirken etwas angespannt. Sie wechseln die Blicke, eher einer zu dem Professor schreitet. Während dessen holt der andere sein Handy raus. Das bringt nichts, wir haben kein Netz. Und gute Bilder gibt es bei uns auch nicht, dafür sorgt der Professor schon. Der mit dem Handy stöbert in seiner Tasche und scheint etwas zu suchen. Den Professor stört es nicht. Ich weiß, dass er alles in der Spiegelung meines Auges wahrgenommen hat. Er zeigte das nur nicht. Innerlich schmunzele ich. Mögen die Spiele beginnen.

Der eine Mann, spricht den Professor an. Der Professor zeigt mit der Hand, dass der Besucher warten muss. Dann fängt er an sich langsam zu demaskieren, dabei schaltet er den Monitor nicht aus. Schön, dass ich ihm zusehen kann. Ich sehe wie der Professor seine Brille abnimmt, dann die falschen Zähne. Die Maske entfernt er sehr langsam, er rollt sie ganz vorsichtig von unten nach oben. Er legt alles in einem verzinkten Fach ab und schlisst es ein. Ich sehe mir sein Gesicht an, grau schimmernd und durchscheinend. An Stelle von Augen und Mund sind nur dunkle Höhlen zu sehen. Faszinierender Anblick. Professor dreht sich um und streckt die Hände dem Besucher entgegen. Der Mann torkelt benommen zu dem Professor und starrt ihn mir glasigen Augen an. Wie eine Fliege im Spinnennetz, musste ich denken. Keine Chance hat er. Wenn er ganz nah ist, umarmt der Professor ihn behutsam und fängt an seine Energie zu trinken. Er trinkt es langsam und bedächtig. Ich sehe die strömenden Wellen die von dem Menschen zu dem Professor fliesen. Die sehen wie blaue Flammen aus, pulsierend und funkelnd. Immer wieder ein Vergnügen, egal wie unansehnlich das Opfer ist.

Als der Professor ein paar Züge gemacht hat, macht er eine Pause. Eigentlich saugt er die nie leer aus, was sehr barmherzig ist. Die Meisten kommen etwas angeschlagen jedoch heile davon.

Eine Bewegung im Hintergrund lenkt mich ab. Na was ist da los? Der zweite Besucher versucht sich verzweifelt mit dem Internet zu verbinden. Was für ein Narr! Habe ich schon gesagt, dass ich dicht bin? Nichts dringt zu mir durch, ich bin eine Festung, und wenn man Pech hat, ein Grab. „Hast du alles drauf?“ flüstert heiser der erste Mann. „Habe ich, aber ich kann es nicht hochladen! Wir haben hier kein Netz“. Natürlich haben wir hier kein Netz, was denkst du denn? Die hatten also vor ein Video zu drehen und das im Internet zu veröffentlichen. Hofften darauf, damit berühmt zu werden! Lächerlich.

Plötzlich zuckt der Mann mit dem Handy eine Waffe aus der Tasche. Wie abgedroschen ist das denn? Genau so etwas sorgt dafür, dass die Stimmung im Keller ist. Wort wörtlich. Das mag ich gar nicht. Um die Situation zu entspannen, werde ich auf der Wand eine Botschaft erscheinen lassen. Ich überlege kurz und entscheide mich für den Klassiker „ihr werdet sterben!“, natürlich in Rot. Ich sehe, dass Lissi die Augen verdreht. Sie findet das zu theatralisch, aber ich mag das. Ein bisschen Spaß muss sein.

Während oben die Touristen in Panik geraten, öffne ich die schwere Tür im Keller, die Kreatur unten hält. Es wird nicht lange dauern, bis sie da ist. Für Lissi lasse ich fürsorglich einen Seil nach unten kommen, als sie sich daran festhält, lasse ich sie nach oben fahren. Da Lissi gut in Form ist, ist es für sie kein Aufwand. Außerdem sieht man von oben alles besser. Professor lässt sein Opfer los und erhebt sich in die Luft. Federleicht schwebt er neben Lissi als die Kreatur in den Raum stürmt.

Das Blut überströmt mich plötzlich in einem Schwall. So kann ich doch nichts sehen, was für eine Sauerei! Lissi wird bestimmt den ganzen Tag putzen müssen. Vielleicht schicke ich dem Professor die Werbung für Gummimatten und Folien, so denkt er, dass es seine Idee war. Egal, ich warte geduldig bis meinen Blick wieder frei ist. Es dauert. Eine Weile später, wenn die Schreie verklungen sind und die Kreatur sich eigenständig in den Keller verkriecht, wischt Lissi die organischen Überreste weg und ich bekomme wieder freie Sicht. Überall ist Blut, sogar auf der Decke. Das wird viel Arbeit machen Lissi. Der Professor steht aufrecht, in einer Hand hält er ein Handy. Er schaut es sich kurz an dann wirft er es in den Mülleimer. Was für ein nutzloses Zeug. Tja Lissi, was sagen wir nun mal dazu? Ende gut, alles gut?

Erwachen

Was war das?
Nur langsam klarte sich mein Geist, durch die Zeit bereits alt und gebeugt wie ein Mensch am Ende seines Lebens.
Ich spüre sofort die unzähligen Risse, Löcher und Furchen in meinen Mauerwerk – der Schmerz ist fast so stark, dass mein Geist fast vernebelte, doch hielt ich dagegen. Etwas war los, dies spürte ich!
Ein Ächzen kam aus mir hervor, ließ das Holz der Stufen und der geborstenen Fenster knacken.
DA! Meine Eingangstür, eins wunderschön verziert und nun nichts weiter als kaputtes Holz, stand offen und jemand war in mir!!!
Ich weiß nicht mehr, wann es das letzte Mal war, dass jemand es sich traute mich zu betreten. Es muss Jahre her sein… so genau weiß ich es nicht mehr, zu trüb sind meine Erinnerungen an die Zeiten, wo mein Erbauer noch lebte und mich erbaute. Ob jemand nach Ihm kam – daran kann ich mich schon gar nicht mehr erinnern.
Schnell lenkte ich meine Gedanken zurück zu den Eindringlingen, bevor ich mich verlor in meinen Erinnerungen und Gedanken.
Ich mochte zwar nicht mehr so stark wie eins sein, dazu noch müde vom tiefen Schlaf, aber dennoch wusste ich, dass ich diese Eindringlinge…
Einen donnernden laut stieß ich aus, als ich bemerkte, wie sie sich umsahen und etwas immer wieder aufblitzte. Holz knarrte unter meinen Dach als ich meinen Willen nach den alten Balken ausstreckte, die bereits seit… zumindest nicht mehr wirklich mit mir verbunden waren.
Schmerzhaft spürte ich wie das alte Holz knackte und anfing sich zu lösen, bevor es endlich meinen Willen nachgab und sich brechend löste. Die Verbindung dazu verschwand, doch spürte ich den gewaltigen Schlag, als das Holz auf meine alten Dielen knallte und hoffentlich die Eindringlinge erwischte.
Es schmerze enorm, wo der alte Balken mich getroffen hatte, doch verspürte ich noch immer die Präsenz der Eindringlinge.
Erneut ließ ich meinen Willen gleiten, spürte wie er stärker wurde, so länger ich wach blieb. Dieses Mal griff ich direkt unterhalb der Präsens an, und zwar den Boden.
Schreiend, was für die Eindringlinge bestimmt sich anhörte, als ob der Wind wie ein Sturm durch meine Mauern pfiff, zerriss ich den Boden in alle Richtungen.
Ich glaubte die Schreie dieser Eindringlinge zu vernehmen, doch achtete ich nicht drauf. Raubte mir der Schmerz, den ich mir selbst zufügte, und die kommende Müdigkeit bereits wieder die Sinne.
Und noch einmal bäumte ich mich auf und ließ mich erzittern. Spürte wie Wände brachen, Balken, die rissen und das Holz zerbrach in unzählige Splitter.
Die Eindringlinge waren fort – vielleicht geflohen oder begraben in meinen Wänden und Böden. Ich wusste es nicht.
Nur dies eine war wichtig, Sie waren fort und würden es hoffentlich auch bleiben.
Und so ließ ich alles ruhen.
Ich spürte wie meine Kraft mich verließ und ich erneut in die Dunkelheit versank um erneut zu schlafen bis wieder etwas… … mich … … erweckte… … …

Grusel-Residenz

Die Gruppe von Abenteurern weckt mich auf, als sie meine fackelbeleuchteten Flure betreten und ihre Stiefel meine alten Dielen zum knarren bringen. Seit Jahren hat mich niemand besucht. Meine tragische Geschichte hat mir den Namen als «Geister-Residenz» eingebracht und hält viele Menschen ab, mich zu besuchen. Und es stimmt ja auch, ich bin eine alte und gruslige Villa am Ende des Rabenweges. Und ja, alle meine Bewohner leben immer noch hier. Schon seit Jahrzehnten. Aber es wäre schön, wenn auch wieder mal lebende Menschen hier ein und ausgehen würden.

«Hallo…?» ruft eine Frau in meinem Inneren. «Ist hier jemand?» Ich geben keine Antwort. Noch nicht. Die Gruppe bewegt sich langsam und suchend von Raum zu Raum.
«Ich habe dir ja gesagt, hier ist niemand. Und es spukt auch nicht.» flüstert ein Mann. «Wir müssen keine Angst haben. Uns geschieht hier nichts.»
«Und wieso flüsterst du dann?» fragt die Frau zurück. Ein Schulterzucken ist alles, was sie als Antwort bekommt.

Als Haus mit eigenem Bewusstsein hat man es nicht leicht. Oft wird man nicht ernst genommen. Kaum gebe ich eine Antwort, fliehen meine Besucher meist schreiend von mir davon und ich sehe sie nie mehr. Trotzdem ist es nun Zeit, mich bemerkbar zu machen. Und damit wird sich ihr Schicksal zeigen. Und auch meines und das meiner rastlosen Seelen. Werden sie fliehen oder haben sie den Mut zu bleiben? Bekommen wir in unserer Mitte eine neue Gruppe von Seelen oder müssen wir wieder so lange warten? «Zeigt euch, meine toten Seelen und begrüsst die neuen Gäste».

Die Geisteer, die ich rief

Die Geister, die ich rief…

Kurz-Spuk-Speak von Bäärnis Hausabbruch in Chur

«Ich bin das Geisterhaus vom Galgenstrickweg in Chur!» sagte das Haus.

Denn seit die Geister dort eingezogen sind, konnte es sprechen.

Die Geister stammten aus dem Wallis, waren aber nach Afghanopopel

am grauen Meer ausgewandert und galten in der Schweiz als Flüchtlinge.

Zuerst mussten sie vor den Bar-bafghanen fliehen, weil sie

Wermuth angepflanzt und einen geheimen Handel mit Absinth

betrieben hatten. Darauf stand in ihrer Wahl-Heimat im Nahen Osten

die Fuss-Sohlen-Bastonade mit Peitschenschlägen.

Während sie sich noch mühselig von der Abschreckungsstrafe erholten,

kam ein anderes Regime ans Ruder, Scheich Imperum vom Nachbar-

staat BergUmsibum stürzte die Bar-bafghanischen Diktatoren.

Die UNO in New York tobte und verlangte die Wiedereinsetzung des

zwei Jahre zuvor selber durch einen Putsch an die Macht gekommenen

Abdel Johannes Bürkli, einen ehemaligen Kantonspolizisten von

Mädchenfelden, der wegen Veruntreuung von Bussgeldern von Links-

abbiegern über die weisse Linie hinweg seinen Posten als Vize-Polizeichef

räumen musste.

Die eingangs erwähnten Flüchtlinge wurden vom neuen Regime verhaftet

und dann per Flug ins Ausland, zunächst Indien, dann England und

schliesslich in die Schweiz abgeschoben.

Sie hiessen Dora Dürstli, Hannes Süferli und Koni Kater, alle drei

ebenfalls aus der Schweiz, dort aber vorbestraft wegen Absinth-Brennerei

im Val de Travers, kurz vor Aufhebung des Verbots, als klar wurde, dass

der aus Wermutkraut, Anis, Fenchel anderen Kräutern mit Alkohol

bestehende Bittersüss-Liqueur einzig wegen Verunreinigung des Stoffes

und nicht wegen des hohen Alkoholgehalts gesndheitsgefährlich werden

konnte. Absinth übrigens wird mit Wasser gestreckt, das dem Getränk einen

grünlich-milchigen Touch verleiht. Im Canton du Jura wird das Getränk

«la Fée Verte» genannt.

In Chur waren die drei Schnapsbrenner bald bekannt und in den Beizen,

denen sie Ihr Gebräu verkauften, wohl gelitten. Trotzdem galten sie in

der ältesten Stadt der Schweiz als «Üsser-Bündner», etwa gleichbedeutend

wie «Ausser-Schweizer», wie die Migranten in Helvetien oft immer noch

genannt werden.

Sie also waren im Jahr 2001 nach Chur gekommen, nachdem sie in

einem Abschieb-Lager für illegal in die Schweiz eingereiste Wirtschafts-

Flüchtlinge eindeutig als zwar unerwünschte, aber dennoch aufnahme-

berechtigte Auslandschweizer anerkannt worden waren. Weil es in der

Bündner Metropole bereits genügend Schnaps-Brennereien, Wein-

Produzenten, Brauereien und leider auch alkoholkranke Mitbürger gab

erhielten die drei ein lebenslanges Berufsverbot und mussten sich

beruflich anderweitig orientieren. Naheliegend war, dass sie ihre früheren

Beziehungen zu Drogenbossen in Afghanopopel ausnützten und einen

schwungvollen Kokainhandel in gangsetzten.

Als Dealer wurden sie in Mafia-Kreisen misstrauisch observiert, während

die Bündner Kantonspolizei gemäss der Methode der geteilten Macht

zur Eindämmung der Kriminalität wohlwollend über das neue

Verteilsystem in der Stadt hinwegsah. Damit wurde die neue Konkurrenz

von den Dealern und besonders von den Paten der neapolitanischen

Camorra und der kalabrischen ’Ndrangheta lästig. Sie engagierten ihre

Spezialkiller mit den beinahe geräuschlosen Flinten und liessen sie ihres

Amtes walten, während die Verantwortlichen an der Riviera ein

rauschendes Hochzeitsfest für die Tochter des einen mit dem Sohn

eines anderen Mafiosos feierten und damit ein unerschütterliches Alibi

vorweisen konnten. Der Mord an den Schnapsbrennern fand im

späteren Geisterhaus am Galgenstrickweg in Chur statt und blieb bis

heute ungelöst.


Damit sind wir nun endlich inmitten unserer Spukgeschichte angelangt.

Zehn Jahre nach der Mordtat ereigneten sich im leer gebliebenen

Geisterhaus folgende anrüchigen und spukhaften Ereignisse.

Dieses war längere Zeit leer geblieben. Die drei Morde schreckten ab,

zudem hiess es in der Nachbarschaft, in der baufälligen Ruine würde es

spuken. Unterdessen war in einschlägigen Kreisen bekannt geworden,

dass die drei Wermuth-Brenner vermutlich viel Geld irgendwo versteckt

hatten, das sie mit dem Drogengeschäft erworben hatten. Nach der

Mordnacht gab es für die Polizei keine Hinweise auf einen Diebstahl.

Die Täter hatten ihre Arbeit erledigt und waren eilig wieder abgerückt,

als der Milchmann vorfuhr und wie üblich Milch und Brot für das Früh-

stück der Bewohner abstellte.

Die örtliche Mafia erhielt den Auftrag, das Grundstck diskret zu über-

wachen. Doch nichts geschah, die Baubehörde der Hauptstadt Grau-

bündens verfügte den Abbruch des baufälligen Hauses. Doch dann fand

sich ein Strohmann der Italiener, der das Haus kaufte und es wieder so

weit instand stellte, dass jemand darin wohnen konnte. Die beiden Killer

der Mafia waren bereits im Ruhestand und sollten nun eine ruhige Kugel

schieben dürfen. Also mieteten sie sich ein und hielten zusammen mit

einem Aufpasser aus Catanzaro in Kalabrien den Auftrag, sich im Gelände

um das Haus gründlich umzusehen, ob das vermutete Drogengeld nicht

doch noch aufzufinden wäre.

Aber dann kam es 2011 zu einer seltsamen Horrornacht. Nachbarn

wurden geweckt als es vom Kirchturm her «Dreizehn» schlug. 13, nicht

«zwölf» oder «eins». Auch die beiden Killer waren alarmiert; wie die

meisten Gewaltmenschen fürchteten sie Übersinnliches, Unerklärbares.

Zitternd griffen sie nach ihren Knarren. Da zersplitterten zwei grosse

Fenster in Tausend Scherben. Die zwei Killer liefen zur Treppe, weil

sie glaubten, ein Erdbeben erschüttere ihre renovierte Hütte. Doch wie

die zwei auf die oberste Stufe traten, brach die ganze Treppe zusammen

und beide Ganoven stürzten auf den harten Steinboden.

Zitternd griffen sie nach ihren Mobiltelefonen und riefen Polizei und

die Nothilfe aus dem Bürgerspital. Die beiden Fahrzeuge kamen

unverzüglich und versahen die beiden, die immer noch ihre Pistolen

in den Händen hatten, mit Handschellen. «He, Tschugger» *) protestierte

der eine, der andere wimmerte und konnte nicht fassen, dass er

offenbar ein Bein gebrochen hatte. Beide wurden verhaftet und zuerst

ins Spital gebracht. Der als «Tschugger»*) bezeichnete Beamte schnauzte

die beiden Killer an: «Huara verdammi, wänd er offebar en Baufehlar

mit der Pischtole korrigiera?» **) – Nach gründlicher Untersuchung wurden

die beiden in Polizeigewahrsam genommen. Ein findiger Journalist des

Bünder Tagblatts hatte die Aktion mitbekommen und ausgeschlachtet.

Die italienische Kriminalpolizei forderte die in Kalabrien gesuchten

Profikiller für ihre Straftaten im Bel Paese an und versenkte sie in einem

Untersuchungsgefängnis in Rom, wo sie heute noch auf ihren Prozess

warten.


Im Zug der Untersuchung gingen ein Professor und drei Studenten der

Parapsychologie aus Zürich dem Phänomen des unterdessen von allen

Churern als «Geisterhaus» bezeichneten Logis am Galgenstrickweg nach

und stellten tatsächlich fest, dass es dort spukte. Die Presse nahm sich

über Chur hinaus der Angelegenheit an. Geistheiler, Psychologen, Aben-

teurer aus der ganzen Schweiz pilgerten nach Chur, um das Haus zu

besuchen. Einige wenige entschlossen sich, eine Nacht dort zu verbringen.

Es passierte wieder einiges in jener Nacht, doch die ganze unverständliche

Spuk-Geschichte sollte geheim bleiben. Immerhin wurde bekannt, dass

ein «zufällig» in Chur gelandeter Mafioso im Geisterhaus einen Herzinfarkt

erlitten hatte. Die Schweizer Bundespolizei kam mit einem Geisterseher aus

Haiti und untersuchte das Haus, bevor es zwecks baldigem Abriss abge-

schlossen und mit Polizei-Siegel versehen wurde. Andere Ereignisse erober-

ten die Schlagzeilen der Medien und das Geisterhaus wurde geschlossen.


Ich kaufte die ganze Liegenschaft, die ja abgerissen werden sollte, für ein Ei

und ein Butterbrot. Wohlweislich näherte ich mich dem Haus nur bei

Tageslicht. Ich durchsuchte in der ersten Schulferienwoche im Sommer

2023 das ganze Haus und wurde in einem alten Abwasserschacht, der längst

nicht mehr benutzt worden war, fündig. Dort versteckt war ein A4-grosser

und zehn Zentimeter hoher Safe, zu dem ein Schlüssel passte, der im

Schornstein aufbewahrt worden war.

In dieser Kassette fand ich Banknoten in Höhe von 28 Milliarden Reichsmark –

aus der Inflation von vor rund 100 Jahren im Deutschen Reich.

Längst kein erspartes Vermögen mehr, sondern Ramsch, der allenfalls noch

einen verschrobenen Sammler interessieren konnte. Ich brachte den ganzen

«Geisterschatz» nach Hause nach Kölliken. Von Bekannten erfuhr ich, dass

das Haus anlässlich seines Abrisses noch einmal gesprochen hatte: «Ohje,

ohje – « murmelte das Haus, während die Abbruchkugel von einem Traktor

an die Hausmauer bumste, «Jetzt isch fertig geischterlet.»

Schliesslich fuhr ich mit meinem «Riesenvermögen» nach Köln an eine Ver-

Anstaltung der Fernsehsendung «Bares für Rares» von Moderator und Alt-

Sternekoch Hors Lichter. Tatsächlich zahlte ein Trödler 495 Euro dafür, die

ich selbstverständlich in meiner Steuererklärung als Verkaufserlös unter

Einkommen und Vermögen abbuchte. Damit war wohl auch dem übersinn-

lichen Gerechtigkeits-Sinn der Spuk-Speaker, der Autoren der Zauberbücher

und der Gedankenleser genüge getan. Jedenfalls habe ich nie mehr etwas vom

Spukhaus am Galgenstrickweg in Chur gehört.

… die bin ich endlich los! –

Wenn dieses Happyend keine Perspektive ist?


*) Tschugger – Ein vom Wallis übernommener Ausdruck für Polizist. Der in den Walser Siedlungen in Graubünden

noch immer als Spottname gilt.


**) Churer Deutsch, von Martin Luther als «Chauderwelsch» bezeichnetes Sprachrestchen aus der Zeit, als Romanisch

bis weit im Westen, am Walensee, gesprochen wurde.Ersetze diesen Text mit deinem Beitrag.

Das Haus am Ende des Weges

Es schien eine Nacht wie immer zu sein.

Ich musste tief und fest geschlafen haben, doch mit einem Mal war ich hellwach. Ich lauschte angestrengt. Die vertrauten Geräusche des Waldes, das Knacken der Äste und das Rauschen der Pappeln, das ich so liebte, waren verstummt. Die Raben, die mich sonst kreischend umflogen und sich in mein altes, knackendes Gebälk setzten, schienen zu schlafen. Es war so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen konnte. Die Nacht hatte sich wie eine dicke, schwarze Decke über den Wald gelegt und schien selbst das Mondlicht zu verschlucken. Mir war, als läge der Wald wie ein wildes Tier auf der Lauer, auf den Moment zum Angriff wartend. Es war stockduster und totenstill.

Doch da! War da nicht plötzlich ein Knacken, ein Rumoren? Nein, ich musste mich getäuscht haben. Es war mitten in der Nacht, wer sollte sich zu dieser späten Stunde im Wald herumtreiben? Doch da war es wieder: ein Geräusch an meinem Eingang! Die Haustür war zwar alt, doch aus dickem, soliden Holz, und hatte bisher jedem ungebetenen Besucher standgehalten. Ich fühlte, wie jemand um mich herumschlich und an meinen Fenstern rüttelte; es schienen mehrere Personen zu sein. Was hatten sie hier mitten in dieser tiefsten, schwärzesten Nacht verloren?!

Dann ging alles wie in Zeitlupe. Wie in einem überwachen Zustand nahm ich wahr, wie jemand in mein Innerstes eindrang und Schritt für Schritt meinen Wohnraum durchquerte, scheinbar auf der Suche nach etwas. Ich überlegte, was das sein konnte, doch bevor ich den Gedanken fassen konnte, hatte er sich schon wieder verflüchtigt.

Draussen begann es zu regnen. Dicke Tropfen klatschten gleichmässig auf mein Dach, das an einigen Stellen schon sehr morsch war. Mit der Zeit schläferte mich das Getropfe so ein, dass ich fast einnickte und die Geschehnisse in meinem Innern vergaß. Dann sah ich plötzlich vor mir, wie die Eindringlinge auf dem Rückweg im schlammigen Morast steckenblieben. Ich musste kichern.

Meine dicken, alten Mauern standen unbeweglich da, als seien sie Zuschauer eines fremden Schauspiels. Irgendwann kam mir die Idee, dass ich die Eindringlinge in die Flucht schlagen könnte. Eine Gruppe neugieriger Jugendlicher – es musste letzten Winter gewesen sein - hatte ich mit dem Klappern einiger Fensterläden und dem lauten Zuschlagen der Haustür verjagt. War das ein Spaß! Ich hing diesen Gedanken noch eine Weile nach, mit einem Gefühl von Belustigung und tiefer Zufriedenheit.

Dann schlug die alte Standuhr viertel nach zwölf. Auf einmal war es wieder still.
*
Er blickte auf die Uhr und warf der Schwester einen aufmunternden Blick zu: „Gerade noch gut gegangen“. Sie nickte und stellte den Tropf aus.

Es war Zeit zum Mittagessen. Seine Hände zitterten leicht, als er sich den OP-Kittel auszog.

Wunschträume

Die Dämmerung ist für mich, das Haus, die schönste Tageszeit. Ganz besonders an ei-nem warmen und trockenen Sommertag wie heute. Die pralle Hitze des Tages ist einer angenehmen Wärme gewichen. Die letzten Gartengeräte in der Nachbarschaft sind ver-stummt. Ruhe kehrt ein! Nur ein paar Bienen drehen noch schnell eine Sammelrunde durch den Blumengarten. Am Himmel erzeugt die Sonne bei ihrem Untergang wechseln-de Farben, wie sie nur die Natur hervorbringen kann. Ein lauer Wind bringt ab und zu den Duft eines köstlichen Abendessens. Die Stimmung wird von Zufriedenheit nach dem Ende der Tagesarbeit geprägt. Schon bald löst die Nachtigall das vielfältige Gezwitscher der Tagesvögel ab.
Gerade in der Dämmerung denke ich oft an den Anfang vor 200 Jahren zurück, als hier bei mir im Haus mein „Traumpartner“ geboren wurde. Die Freude bei seiner Geburt hat mich fast erdrückt. So lange hatte ich schon gewartet, um mit meiner Gabe Träume zu verschenken und Freude zu bereiten. Während der Schwangerschaft spürte ich schon, dass da etwas Großes passieren würde. Dann wurde der Kontakt in den Träumen mit diesem wundervollen Jungen immer intensiver. Im Traum tauschten wir unsere Wünsche und Bedürfnisse aus und erlebten fantasievolle Abenteuer. Nach seiner Ausbildung trat er in einen Orden ein. Nur dort fand er Verständnis für seine Verbindung zu mir. Mit all seiner Kraft sorgte er dafür, dass bei mir in der Nähe ein Kloster gebaut wurde, dem er bald als Abt vorstand. Im Kloster wurden Exerzitien und andere ausgesuchte Seminare angeboten. Ein Hintergedanke war das Auffinden von Menschen, die mit mir in Kontakt treten konnten. Da ich meine Fähigkeiten in dieser Richtung auch verbessert hatte, fan-den wir immer mehr entsprechende Teilnehmer. Sehr oft traten diese in das Kloster ein und immer noch wächst das Kloster entgegen dem allgemeinen Trend.
Es war nicht verwunderlich, dass viele Menschen nicht verstanden, was in dem Kloster und bei mir im Haus vorging. Bald hatten wir den Ruf als etwas Geheimnisvolles oder auch Unheimliches. Bald tauchte der Begriff „Geisterhaus“ auf. Das lag auch an dem Aussehen, denn die Mönche ließen Haus und Garten in dem alten Zustand und besei-tigten nur Gefahrenquellen. Mir passt der Begriff. „Traumhaus“ besser.
Schluss jetzt mit den Erinnerungen und zurück in die Wirklichkeit. Gerade sehe ich meine vier Gäste für heute auf dem Rabenweg kommen. Wie immer wird es für sie und mich ein Abenteuer, bei dem man nie vorher sagen kann, was alles passieren wird.
Euch allen wünsche ich eine erholsame Nacht, auch wenn ihr nicht träumt.

Verlassene Seelen
Ich stehe in der Einsamkeit. Um mich herum die Bäume, die älter sind wie ich. In mir ist ein ständiges Raunen. Woher es kommt ist mir ein Rätsel. Ist es draußen stürmisch ächze ich im Gebälk. Mir kommt es vor, als würden die Mauern zu mir Sprechen. „Gibt endlich auf.“ Dazu bin ich nicht bereit. Ich habe eine Geschichte und weigere mich, die in mir gefangenen Seelen im Stich zu lassen. Seit Ewigkeit sagte niemand mehr Hallo. Das hat mich dazu gebracht Verbindung zu denen aufzunehmen, die hier einst wohnten. Ich weiß nicht, ob es Realität oder Einbildung ist. Egal. Ich lausche ihren Stimmen.

Doch was ist das? Ein Licht erleuchtet meine Fenster. Das bilde ich mir ein. Nein. Es kommt näher und wird stärker. Was hat das zu bedeuten. Keine Menschenseele verirrte sich seit Jahrhunderten hierher. Es ist ein Traum. Ich höre Stimmen. Nicht flüsternd, sondern laut diskutierend. Was soll ich tun? In meinem Innern gibt es nichts, was sehenswert wäre. Ruhig bleiben ist die Devise. Ihre Stimmen schreien mich an. Warum? Ich habe ihnen nichts getan. Sie stehen vor der Tür. Ich spüre es. Lasse ich sie hinein? Ja. Ich kann mich umentscheiden, wenn es mir nicht gefällt.

Die Tür zu meinem Herzen öffnet sich. Plötzlich sind die Stimmen nicht mehr wie ein Flüstern. Das ist nach meinem Geschmack. Was tun sie jetzt? Sie trampeln auf dem Teppich herum. Staubwolken wirbeln durch die Luft… Mir bleibt der Atmen stehen. Die müssen hier raus. Wie?

Von jetzt auf Gleich blies ein Windzug durchs Haus. Die Türen schlugen auf und zu. Die Fenster knarrten, als fielen sie hinaus und im Gebälk hörte man ein Flüstern. Es schien zu sagen: „Flieht, wenn ihr nicht sterben wollt.“

Die Eindringlinge schrien auf und rannten wie vom Teufel verfolgt davon.