Seitenwind Woche 1: Gäste im Geisterhaus

Es ist zu spät

Da sind sie wieder. Sie stehen direkt vor mir. Viele, die vieles zu wissen glauben. Sie zeigen mit Fingern auf mich. Sie tuscheln. Aber näher trauen sich nicht heran. Die Gerüchte schrecken ab, die sich um mich ranken.
Aber was ist mit dir, kleines Mädchen? Versuchst du in dieser Nacht wirklich, mein Innerstes zu lüften? Meine Geheimnisse zu enthüllen? Deine Neugier ist stark. Stärker als deine Angst. Du traust dich, du gehst in die Tiefe. Dafür belohne ich dich und gewähre dir einen Blick auf die Kunst an meinen Wänden. Du staunst: „Wow!“ Bilder, Schriftzeichen.
Du bist fasziniert, von dem, was du siehst. Doch du verpasst den zweiten Schatten, den das Mondlicht in dieser Nacht auf mein Parkett wirft. Mädchen, du nimmst nicht wahr, was um dich herum geschieht. Stattdessen gehst du näher heran, du tastest und fühlst und du erkennst: „Die Gerüchte sind wahr.“ Die Bilder, die Schrift. „Sie sind in Blut geschrieben.“
Jetzt packt dich die Angst. Doch es ist zu spät, kleines Mädchen, mein Freund steht schon hinter dir.

Liebt mich!

Die Nacht war ruhig und mild. Allein stand ich da, auf dem Hügel zwischen Tannen und Kastanien, die meine verrottete Fassade verdeckten. Die Nässe hat mein Äußeres schimmeln lassen, die Einsamkeit meine Seele.
Wie ein großer Verfolger aus dem kleinen Theater, das mir einst innewohnte, schien der Mond auf mich herab und beleuchtete die drei winzigen Gestalten, die sich den Rabenweg entlang zu meiner Haustür getraut hatten.
«Ihh, hier ist ja eine Spinne!», sagte eine der drei, als sie meine Veranda betrat. «Was hast du erwartet, Luise?», erwiderte ein Mann mit einer Stimme, die wohl vortäuschen sollte, dass diese Situation für ihn eine völlig Normale war.
Die Spinne ist das kleinste Übel, dachte ich, als mich die feuchte Wärme ihres Atems an meinen beschlagenen Fenstern traf. Ich spürte ihre angewiderten, ängstlichen Blicke, spürte ihre Abscheu, die dem Staunen der Theatergäste von damals nicht gegensätzlicher hätten entgegenstehen können. Sie wussten nicht, wie schön ich sein konnte, was ich in Menschen auslösen konnte, wie gut meine Bewohner es haben könnten. Soll ich es heute nochmal probieren, sie überzeugen?
«Leute, das ist keine gute Idee. Wisst ihr noch, was den anderen letzte Woche passiert ist?» Sie wissen es, sie wissen es doch. Wenn das so ist, stehen meine Chancen gleich null. «Ich gehe!», sagte sie und ich sah, wie sie sich bereits umdrehte. Jetzt oder nie!
Und dann nahm ich all meine Kraft zusammen, ließ allen Frust in mir entweichen, entzündete den Kamin, die Kerzen im Flur, öffnete ihnen die Haustür, fegte den Wind über meine Dachziegel, sodass die Blätter und Nadeln ein Bild in den Nachthimmel zeichneten. Ich entrollte den roten Teppich im Flur, der geradewegs in das Theater führte und ließ die wunderschönste Musik auf dem alten Klavier erklingen, bereitete ihnen den atemberaubendsten Empfang, den sie sich vorstellen konnten, einen Empfang, der sie umhaut, der sie mich lieben lässt. Einen Empfang, der endlich wieder jemanden einziehen lassen wird, der meine innere Leere mit neuen Möbeln und frischer Farbe ausfüllt.


Die Tür schmetterte rasend schnell auf. Luise hatte gerade auf dem Absatz kehrtgemacht, als das Holz sie am Hinterkopf erwischte. Vom Leben verlassen wurde mir ihr Körper entgegengeworfen, als könne ich ihn auffangen und ihm das Leben wieder einhauchen. Tom starrte mich entsetzt an und schrie irgendetwas mit Luise. Das war alles, was ich verstehen konnte. Ich war die Veranda nicht hochgegangen, aber Tom hatte direkt neben ihr gestanden, als die Tür aufsprang. Erst stand er nur regungslos da, dann rannte er. Das Licht hinter ihm flackerte, etwas im Hintergrund klimperte entsetzlich laut. Das Alles war völlig absurd.
Dann überkam mich ein Windstoß und aus dem Flur peitschte mir etwas Rotes entgegen und begrub mich und Luise unter sich. Zur Seite konnte ich einen Spalt vernehmen, der Licht und Luft hineinließ. Ist das ein Teppich?
Der Wind wurde nicht weniger und löste mit einem schrecklichen Knirschen Ziegel vom Dach, die um uns herum einschlugen. Ein dumpfer Aufprall ertönte und dort, wo eben Licht und Luft mein Leben bewahrt hatten, klatschte blutunterlaufen Toms Gesicht auf den Boden. Wie ein großer Verfolger schien der Mond in sein entstelltes Gesicht. Wir wurden doch gewarnt!

Die gute Seele des Hauses

Tom verschwand letzten Freitag spurlos. Wie jeden Freitag, war er auf dem Weg zum Fußballtraining. Und wie üblich kürzte er den Weg durch die alte Siedlung am Waldrand ab. Dort ist es schon ein wenig unheimlich, nicht nur in der dunklen Jahreszeit. Viele alte Villen, einige davon eher Ruinen oder zumindest heruntergekommen und bei einigen weiß man nicht, ob sie überhaupt noch bewohnt sind. Bis auf eines. Obwohl seit Generationen verlassen, sieht es immer noch recht gepflegt aus. Immer wieder soll man Geräusche aus dem Haus hören können, andere schwören, Lichter und Schatten gesehen zu haben. Doch so wirklich traut sich niemand auf das Grundstück. Zu viele Geschichten gibt es über verschwundene Abenteurer, die angeblich ihre Neugier mit dem Leben bezahlt hätten. Die Eigentumsverhältnisse einiger dieser Anwesen sind nicht geklärt und so kann die Gemeindeverwaltung nichts gegen den Verfall des einstmals wohlhabenden Ortsteils unternehmen.

Yannik, der jüngere Bruder von Tom, wollte nicht länger warten. Es war nicht das erstes Mal, dass Tom für ein paar Tage verschwunden war und so werde die Polizei vorerst nichts unternehmen. Doch beschlich Yannik ein unheimliches Gefühl, irgendetwas stimmte nicht. Er drängte seinen besten Kumpel, Torben, mit ihm die alten Häuser nach Hinweisen auf Toms Verbleib zu durchstöbern. Torben wollte helfen, doch hatte er große Angst und glaubte all die Gruselgeschichten, die man sich erzählte. Also erfand er eine Ausrede und bat stattdessen seinen älteren Bruder Stefan mitzugehen. Stefan ist ein Großmaul, niemand mochte ihn wirklich, weil er sich immer in den Vordergrund drängelte. Für dieses gefährliche Unterfangen war er aber vielleicht dennoch recht nützlich, dachte sich Yannik.

So machten sich die Beiden auf die Socken und fingen natürlich mit den alten Ruinen an. In die unbewohnten Häuser war kein Eindringen möglich. Die Fenster und Türen waren von Ranken überwuchert, so dass da maximal eine Katze durchgekommen wäre. Auch die baufälligen Ruinen zeigten keinerlei Spuren. So blieb nur noch das eine Haus am Ende der Rabenstraße übrig und es wurde auch Zeit, schließlich wurde es bereits dunkel.

Yannik nähert sich vorsichtig dem Haus und kurz bevor er die silberne Klinke des Eingangsportals betätigen kann, hört er einen Aufschrei: „Nein! Nicht! Lauf Yannik, kehre um, schnell!“. Er zuckt zusammen und schaut sich wild um, blickt direkt in das fragende Gesicht von Stefan. „Wat los?“, fragt Stefan grinsend „Haste schiss?“. Erst jetzt realisiert Yannik, dass die flehenden Worte nur in seinen Gedanken zu hören waren. War das nicht die Stimme von Tom? Zu Stefan sagt er, dass er etwas gehört hätte und auf der Rückseite nachsehen wolle. Stefan soll hier am Eingang Schmiere stehen. Als führe er ein stilles Selbstgespräch, fragt er in seinen Gedanken jedoch, „Tom? Bist Du es? Wo bist Du? Was ist passiert?“. Nichts, keine Antwort. Hat er sich das nur eingebildet? Auch die Terrassentür ist verschlossen, stellt er heftig daran rüttelnd fest. „Finger weg! Ja ich bin es und auch wieder nicht. Ich bin in diesem Haus gefangen. Oder …“, stammelt Toms Stimme in seinem Kopf. „Nein, ich bin das Haus!“. Yannik bleibt wie angewurzelt stehen und ist perplex. „Du glaubst mir natürlich nicht. Pass auf, ich lasse im Obergeschoss die Jalousien klappern. Fasse mich aber bloß nicht an!“. Und so scheppert es heftig an den oberen Fensterläden. Tom erzählt seinem kleinen Bruder was passiert ist. Er war auf dem Weg zum Training, als er Licht im Haus gesehen hatte und meinte Musik gehört zu haben. Neugierig herauszufinden, was wirklich an all diesen Märchen dran ist, schlich er sich zum Haus und versuchte durch die Fenster zu spicken. In dem Moment, als er eine Bewegung zu sehen glaubte und seine Nase an ein Fenster drückte, wurde er in das Haus gesogen. Sein Körper fiel durch eine Kohlenrutsche in den Keller, Körper und Geist drehten sich wie in einem Karussell. Als der Schwindel verflog, konnte er sich nicht bewegen und es war so, als schaute er vom Dachboden aus auf Garten und Straße und gleichzeitig in jeden einzelnen Raum des uralten Gemäuers. In dem Bruchteil einer Sekunde durchlebte er wie in einem sehr realen Traum die zweihundertjährige Geschichte dieses Hauses. Die so hoffnungsvoll begann und nun nur noch von Einsamkeit geprägt ist. Er erfuhr, dass der Architekt dem Gebäude mit Hilfe von orientalischer Magie eine Seele gab. Sie behütet das Anwesen wie ein Hausmeister und beschützt die Bewohner. Hält Ungeziefer und Unkraut fern, sorgt dafür, dass alles gepflegt bleibt. Die gute Seele des Hauses ist wie ein Teil der Familie, die dieses bewohnt. Nur leider handelt es sich um eine menschliche Seele, die dauerhaft an das Haus gebunden wird. Bevor der arme Geist nach einem langen Leben dahinscheidet, ist seine letzte Aufgabe, eine neue Seele anzulocken. Sein Vorgänger war bereits weit über neunzig Jahre alt und fast sein gesamtes Leben diesem Haus verbunden gewesen.

Yannik umrundet weiter das Haus ohne eine Gelegenheit zu finden, in das Haus einzudringen. Wieder bei Stefan angekommen teilt er ihm mit: „Nichts. Man kommt nirgends rein. Alles fest verrammelt oder viel zu hoch, selbst für eine Räuberleiter“. Vom Klappern der Jalousien hat Stefan offensichtlich nichts bemerkt.

„Was passiert nun, wie bekommen wir Dich da wieder heraus?“, denkt Yannik, er will seinen Bruder hier nicht einfach zurücklassen. „Lass mich für Dich das Haus übernehmen“, schlägt er ihm vor. Tom lehnt das ab, obwohl er natürlich nicht für den Rest seinen Lebens an das Haus gebunden sein möchte. Vielleicht wäre es eine interessante Aufgabe gewesen, weiß er eh nicht, was er nach der Schule mit seinem Leben anfangen soll. Nicht jedoch in einem verlassenen Haus, an einem mittlerweile so trostlosem Ort. Und dieses Schicksal kann er seinem kleinen Bruder nicht aufbürden.

Stefan wird ungeduldig. „Du hast sicherlich etwas übersehen. Wahrscheinlich bist Du mit geschlossenen Augen einfach um das Haus herumgeflitzt, Du Angsthase“. Kurzerhand geht er los und sucht selbst nach einem Eingang. Das ist die Gelegenheit. Tom öffnet die Kellertür nur einen kleinen Spalt breit an der von Efeu überzogenen Nordseite. Natürlich entdeckt Stefan sofort die Lücke in der Verteidigung und laut lachend steuert er darauf zu. „Wusste ich es doch“. Einen Augenblick später, Stefan hat gerade die Tür so weit geöffnet, um in das Haus einzudringen, dreht sich die Welt von Tom erneut. Er erwacht im Kohlenkeller und rappelt sich sofort auf. Als guter Sportler ist es ein Leichtes für ihn, die seit vierzig Jahren ungenutzte Kohlenrutsche, wieder herauf zu klettern. Er nutzt die wenigen Minuten aus, in der Stefan in den Bann des Hauses gesogen wird und handlungsunfähig ist.

Tom wusste, dass Yannik niemals seinem Plan zugestimmt hätte. Selbst Stefan „das Großmaul“, hätte er nicht leichtfertig geopfert. Er rennt zur Vorderseite und umarmt seinen verdutzten Bruder. „Los, schnell weg. Es gab eine Auswechslung für die zweite Halbzeit“, zwinkert er. Yannik braucht nur kurz um zu realisieren, was passiert ist. Sie beide rennen in Richtung Straße. Da hören sie einen langanhaltenden und ohrenbetäubenden Schrei in ihren Gedanken. „NEEEEEEIIIIIIN! Ihr Dreckskerle! Was habt Ihr getan? Lasst mich hier nicht zurück. Ich hasse Euch. Dafür werdet Ihr büßen!“. Als sie den Torbogen zur Einfahrt durchqueren, wird Stefans Stimme leiser und bittender. „Kommt zurück. Oder nein, sagt Torben wo ich bin. Aber nichts von diesem beknackten Bann. Ich erzähle es ihm sobald er hier ist. Bitte!“. Stefan wird seinem Ruf gerecht. Er würde nicht zögern seinen Bruder hereinzulegen, um selbst freizukommen.

Yannik sagt Torben später, dass Stefan nicht erschienen sei. „War wieder nur große Klappe und nichts dahinter“. Tom nimmt ab sofort den Umweg zum Training gerne in Kauf, weit entfernt von der Rabenstraße. Einige Jahre später wird das Haus abgerissen. Tom und Yannik glauben in dieser Zeit ständig leise Schmerzensschreie in ihren Gedanken zu hören, erwähnen das Haus aber nie wieder auch nur mit einer Silbe.

Haus der verlorenen Seelen

Man sagt, manche Häuser haben eine Seele. Ich aber hatte mehr als nur eine. Ich hatte zahlreiche verlorene, gequälte Seelen, die an diese Welt gekettet waren, unfähig weiterzuziehen. Sie waren Teil meiner Mauern, Teil meines Fundaments, Teil von mir.

Einst war ich ein prächtiges Herrenhaus, in dem rauschende Feste veranstaltet worden waren. Doch diese Pracht verblasste mit jedem Jahrzehnt mehr, seit meine Besitzer in einer eisigen Herbstnacht hier ihr grausames Ende fanden. Die Kälte jener Nacht war mit eisigen Fingern in meine Gemäuer gefahren und hatte sich dort eingenistet. Niemand wollte hier mehr Feste feiern, niemand wollte hier leben. Ich wurde dem Verfall überlassen. Alleine am Ende des Rabenwegs.

Eingerahmt von den starren Bäumen des Waldes, deren knorrige Äste an die Knochen jener gequälten Seelen erinnerten, wagten sich nicht einmal die Raben zu mir. Doch was war das? Eine Gruppe löste sich aus den Schatten des Waldes, lief meine Auffahrt hinauf. Sie waren nicht die Ersten, immer wieder verirrten sich nichtsahnende Wanderer oder wagemutige Jugendliche zu mir.

Meine Tür knarzte ein dunkles Willkommen und einer nach dem anderen trat über die Schwelle, die von den vorangegangenen Stiefeln vollkommen abgewetzt war. Meine Dielen waren von all dem versickerten Blut ganz stumpf geworden, dennoch spürte ich die federleichten Schritte darauf. Die Gruppe sah sich angespannt in allen Räumen um, machte schaurige Geräusche und kicherte. Erzählte sich Geschichten über die Leute, die hier in den letzten Jahren umgekommen waren. Dass sie auf der Hut sein mussten, sonst würden die Geister auch sie holen. Noch mehr Kichern. Es würde sich in ein Kreischen wandeln, sobald sie meiner ersten verlorenen Seele begegneten. Sie würden zu der abgewetzten Schwelle stolpern, unwissend, dass ich die Tür längst verschlossen hatte.

Sie würden nicht mehr gehen. Sie würden hier bleiben. Bei mir. Ein endloses Fest feiern, mit all jenen, die töricht genug waren, die Schwelle vor ihnen übertreten zu haben. Sie wussten es noch nicht. Wussten nicht, dass sie heute Nacht ihre Leben verlieren mussten, damit sie bei mir bleiben konnten. Dass ihre Seelen mir gehörten. Für immer.

Sacred Manor

Ich bin müde…so verdammt müde. Und doch sind da diese egoistischen Erdlinge mit ihrem unerfahrenen, begrenzten Verstand. Ihrer Selbstbezogenheit und dem irrationalen Glauben, all das erkunden zu müssen, was sich seit Jahrzehnten im Glanz der Vergessenheit sonnt. Ich werde ihnen zeigen… sie schmecken lassen, wie es ist, aus friedlicher Ruhe gerissen zu werden. Ihre Seelen werden erzittern, ihr Geist nicht eher rasten, bis sie meine Rache bis tief in ihre elenden Leiber aufgesogen haben.

Diese erbärmlichen Gestalten… seht ihre Angst, seht ihr Bibbern, wie sie hinter verschlossenen Türen jammern und schreien. Seht ihre zuvor so enge Freundschaft innerhalb weniger Minuten zu Asche zerfallen. Ich spüre Genugtuung bei ihrem Anblick, spüre Freude in mir, als sie sich gegenseitig verfluchen, ihre Leiber eng zusammengepresst und doch in Gedanken so weit entfernt voneinander.

Ihr jämmerliches Kratzen, Klopfen und Hämmern wird sie nicht retten. Meine Türen sind fest verriegelt, die Fenster verschlossen, vernagelt von jenen, die es nicht länger hinter meinen Mauern ertrugen.

Hört, ihr Menschenkinder, hört! Lauscht dem Heulen des Windes, der durch mein Skelett rauscht, spürt die Kälte der Nacht, die tiefer und tiefer in eure schlotternden Knochen kriecht. Fleht um meine Gnade! Denn nichts anderes kann euch jetzt retten.
Und wenn eure endlose Nacht schließlich in den Tag übergeht werde ich euch freigeben. Euer Verstand nicht mehr als ein Schatten seines früheren Selbst, eure Seele ein kümmerlicher Haufen zerbrochener Träume.

Ihr, die ihr meine Ruhe störtet, kündet von euren Erlebnissen, auf dass sich nie wieder eine Menschenseele hierher verirrt. Denn nichts wird die retten können, die es noch einmal wagen sollten, meine ewige Ruhe zu stören.

Kurzer Besuch

Es ist wieder soweit! Ich höre sie kommen. Eine längere Zeit war es ruhig, doch nun sind wieder welche von ihnen auf dem Weg zu mir. Sensationsgeile und respektlose Gestalten in Wanderschuhen und mit Rucksäcken bepackt, als stünde ich mitten in der Wildnis und nicht ganz gewöhnlich am Ende der Straße.

Sie sind gekommen, um mich zu begaffen und sie suchen den Kick. Gesehen wird nur mein düsteres Erscheinungsbild, der abgeblätterte Putz, das löchrige Dach und die mit Efeu verwachsenen Fenster. Ihrem Spaß und ihrem Abenteuer soll ich dienen. Aber ich werde Ihnen ein Erlebnis bescheren, das dafür Sorge tragen soll, Nachfolger von hier fernzuhalten.

Ah, da sind sie ja schon.

Kommt nur her. Ich sehe das Leuchten in euren Augen und den Wunsch nach Spuk. Wenn ihr doch nur wüsstet. Vielen Familien habe ich ein Zuhause gegeben, eine warme Stube und ein Dach über dem Kopf. Nicht immer war ich eine Ruine. Vieles habe ich beherbergt: Liebe, Streit, Lust und auch den Tod. Dramen haben sich hinter diesen Mauern abgespielt, aber auch überschwängliche Freude und großes Glück habe ich erlebt. Ich bin mehr als mein Erscheinungsbild. Mehrere Kriege konnten mir nichts anhaben. Immer wieder wurde ich neu aufgebaut. Doch nun möchte niemand mehr Zeit und Geld in mich investieren. Nein, heute bin ich nichts weiter als eine Anlaufstelle für vermeintliche Abenteurer.

Geht! Diese Art von Besuch möchte ich nicht!
Wie wäre es mit diesem Dachziegel? Knapp verfehlt! Dann versuche ich es erneut mit einer Dachlatte! Und dich da hinten, dich erwische ich sicherlich noch mit einem meiner Fensterläden.
Nun gefällt es euch nicht mehr so gut, richtig?
Ja ich bin gefährlich, ich wehre mich.
Einer von euch möchte trotzdem noch eine Treppe hinaufsteigen? Ihr Narren. Die Stufe wird dich nicht halten, dafür werde ich sorgen.
Seht euch an. Die Angst in euren Gesichtern. Zum Ausgang flüchtet ihr nun, wie es mein Ziel gewesen ist. Noch einmal werde ich euch davon überzeugen nicht wieder zu kommen. Ja der Windzug kommt mir gerade recht, die Eingangstür stößt euch nahezu aus mir heraus, begleitet von ein paar herabstürzenden Dachziegeln. War ich überzeugend genug? Dann lauft, lauft so schnell ihr könnt.

Das tun sie nun endlich auch. Keine fünf Minuten haben diese Abenteurer es ausgehalten.
Nun kann ich weiter ruhen. Und warten, mit dem letzten Funken Hoffnung, dass irgendwann jemand kommt der meine wahre Schönheit wiedererkennt und mir die Chance gibt erneut ein Zuhause zu sein. Kein Ort des Spuks oder des Abenteuers. Denn das bin ich nicht, dazu werde ich von euch da draußen gemacht.

Der Kindergarten

Vor langer Zeit war ich ein Ort der Freude, ein Ort, an dem die Kleinsten unter den Menschen zum ersten Mal etwas gelernt haben. „Kindergarten“ nannten sie mich. Doch alles änderte sich schlagartig durch diesen einen Vorfall. Mit einem Mal waren alle Menschen fort und ich geriet in Vergessenheit. Jahrelang schenkte mir kaum ein Mensch Beachtung. Nach einiger Zeit betrachteten mich die Jugendlichen unter Ihnen als Mutprobe, schlichen sich nachts auf meinem Grund herum und suchten nach Geistern. Ich raschelte mit den Bäumen, lies die alten, rostigen Schaukeln schwingen, um sie zu erschrecken und wenn sie in mir herumschlichen knallte immer mal wieder plötzliche eine Tür oder ein Fenster auf und zu. Ihnen schien der Spuk zu gefallen und so konnte ich wenigstens an manchen Tagen noch das Lachen der jungen Leute hören. Es erinnerte mich an die alten Zeiten. Doch dann beging eine Gruppe, es waren 4 Abenteurer, die sich erhofften die Geistergeschichten ihrer Freunde selbst zu erleben, einen schweren Fehler. Sie betraten meinen Grund am Jahrestag des schrecklichen Todesfalls der kleinen Sophie. An diesem einen Tag bin es nicht ich, der die Besucher erschreckt, sondern ein Geist, der die armen Menschen gnadenlos jagt. Es erschien mir fast schon ironisch, dass das Datum wie damals auf einen Freitag fiel. Freitag, der 13. Oktober.

Spuk2023

„Der Rabenweg führt auf eine Anhöhe. Hier stand einst der Galgen, mit dem die Obrigkeit gut sichtbar ihre Macht demonstrierte. Das war vor Jahrhunderten. Nun ist die Gegend mit einem topmodernen Haus überbaut. Da bin ich gleich als Hausgeist, als Geist des Hauses, eingezogen. Es lebt sich hier angenehmer, als draussen beim längst vermoderten Galgengebälk“.

„Die übrigen Hausbewohner sind derzeit in den Ferien und ich langweile mich. - Da kommt jemand! Ah – die Nachbarin, mit ihrer kleinen Tochter an der Hand. Die sollten die Pflanzen im Haus begiessen. Das verspricht Spass! Ich rücke einen Vorhang zur Seite.“

Da gibt es Knöpfe, welche augenblicklich die Neugier des Mädchens wecken. Sie drückt wahllos da und dort – und die Rollladen senken sich, Licht geht an und wieder aus. Ein Surren wird hörbar, die Mutter eilt zur erschrockenen Tochter, stolpert im Dunkel über den Saugroboter, der da seine Bahnen zieht. Sie versucht, wieder Licht zu machen und löst die Alarmanlage aus. Eine Sirene heult auf. Panik befällt die Besucher. Nur schnellst das Haus verlassen. Doch die Haustür ist verriegelt, der Schlüssel steckt noch aussen. Also unter den Rollladen hindurchgekrochen und ab über die Terrasse. In der Ferne schafft sich offenbar ein Streifenwagen freie Fahrt und kommt rasch näher. Blinkendes Blaulicht dringt durch die Ritzen der Jalousien…“

„Mächtige elektronische Werkzeuge haben wir Geister heute. Das war jedenfalls ein Anfang“

Hier kommt dein Titel hin (Das Spielhaus des Todes)

Die Nacht legte sich wie ein dunkler Vorhang über das verlassene Anwesen am Ende des Rabenweges. Die alten Gemäuer hüteten ihre Geheimnisse, und der Wind flüsterte Geschichten von längst vergessenen Tragödien. Das Knarren der Dielen hallte durch die leeren Flure, als die Abenteurer durch das efeuumrankte Tor traten. Die düsteren Schatten tanzten an den Wänden, als das Haus selbst erwachte. Ein leises Lachen erklang aus den Gemäuern, gefolgt von einem mysteriösen Flüstern. Die Flammen in den Kaminen flackerten auf, und ein schwaches Glühen erhellte den Raum. Das Haus, ein lebendiges Wesen aus Stein und Holz, spürte die Neugier der Eindringlinge.
Die Anführerin der Gruppe, eine mutige Frau mit stählernen Augen, trat vor und rief in die Dunkelheit: „Wir sind gekommen, um die Wahrheit hinter den Legenden zu erfahren! Zeig uns, was du verbirgst!“ Die Antwort kam in Form von unheimlichen Schatten, die sich an den Wänden formten. Das Haus spielte seine dunklen Spielchen, ließ die Abenteurer durch endlose Gänge irren, öffnete Türen zu leeren Räumen und schloss sie dann mit einem dumpfen Knall. Flüstern und Wispern umgaben sie, als würden die Geister der Vergangenheit ihnen ihre Sünden vorwerfen und ihnen keine Zeit zum Atmen schenken. Doch das Haus spürte mehr als nur die Gier nach Sensation. Es fühlte die wahren Absichten der Abenteurer, das Verlangen nach Erlösung und Vergebung. Langsam enthüllten sich die Geheimnisse, und Schatten verwandelten sich in leuchtende Figuren aus einer vergangenen Zeit. Die Frau kniete nieder, als die Erscheinungen um sie herum in einem sanften Glanz verschwanden. „Wir sind hier, um Frieden zu bringen“, flüsterte sie, und das Haus lauschte. Die düstere Atmosphäre verdichtete sich, als das Anwesen seine finsteren Machenschaften intensivierte. Schattenhafte Gestalten materialisierten sich in den verfallenen Hallen, und ein bösartiges Flüstern drang in die Herzen der Abenteurer. Die Anführerin, die von einer unheilvollen Aura umgeben war, erkannte, dass dies nicht nur ein Spiel des Schreckens war. Plötzlich verschärften sich die Täuschungen des Anwesens. Die Gänge wurden zu einem Labyrinth des Schreckens, und die Türen öffneten sich zu Abgründen der Verdammnis. Das schadenfrohe Lachen der Gemäuer wurde zu einem markerschütternden Kreischen. Die Frau und ihre Gefährten fanden sich gefangen in einem Albtraum ohne Ausweg. Die Finsternis umschlang sie wie ein eiserner Griff, und das Anwesen schien ihre Seelen mit größter Freunde zu verschlingen. Die Anführerin stieß einen verzweifelten Schrei aus, als die schattenhaften Gestalten sich zu dämonischen Formen verdichteten. Denn das Anwesen hatte seine Wahl getroffen: In dieser Nacht sollte niemand entkommen.
Das morbide Lachen hallte durch die Gemäuer, als die letzten Schreie der Abenteurer in der Dunkelheit verhallten. Das Anwesen, gesättigt von den Schatten der Vergangenheit, ruhte wieder in unheilvoller Stille. Die Nacht hatte ihre Opfer gefordert, und das Anwesen am Ende des Rabenweges schrieb ein weiteres düsteres Kapitel in seiner endlosen Tragödie fort. Wartend darauf, das neue Unwissende ein weiteres Spiel auf Leben und Tod mit ihm spielten.

Das Haus am Rabenweg

Ich glaube wohl, dass bald wieder diese Zeit naht. Die roten Blätter des Kastanienbaums vor meinem Fenster zeugen davon. Der Wind reißt an den Zweigen und die runden, braunen Nüsse fallen zu Boden. Die Mädchen sammeln sie jauchzend und hüpfend in ihren Schürzen. Halten sie ins Licht, um ihre Unversehrtheit zu prüfen. Der Garten ist über allen Begriff schön. Oder nicht?
Nein. Nicht mehr. Oft traue ich dem Zustand meines Körpers und Geistes nicht so recht. Woher rührt dieses Mißbehagen? Ich gehe in mich. Gestern war doch dieses sehr starke Gewitter, welches in den Baum einschlug und zwei Mädchen tödtete und ein drittes am Arme lähmte? Gestern … es war doch gestern? Zeit verliert immer mehr an Bedeutung. Sie schlägt sich aufs Gemüt. War es gestern, als hier sieben Schwestern lebten, beynahe alle hübsch? Die letzte Hoffnung schwindet. Jetzt sind es nur noch deren fünf, die sich gesund befinden.
Zwei Menschen nähern sich dem Gartentor. Ein Mann begleitet von einer Frau. Die Frau hält einen Käfig, in dem ein Kolkrabe sitzt. Es ist nun ganz gewiss. Die Nacht des Totenfestes naht. Die Zeit, in der die Seelen der Toten zu ihren Heimen zurückkehren. Ich kann es bezeugen. Bei meinen mächtigen, aus dem Mittelalter stammenden gotischen Mauern, und der vorzüglich renovierten Fassade, die einen Erker in ungleiche Hälften gliedert. Mit Raben bin ich vertraut, deucht es mir. So viele Jahre kreisen sie um mich, mein Dach, herum. Ich kenne ihre Geschichte. Sie sind die Hüter der Tore in die andere Welt. Doch an jenem Nachmittag waren sie nicht da.
Gerüchte und alte Erzählungen locken seither Jahr für Jahr Abenteurer und Geisterjäger durch meine Tore, doch Erlösung brachten sie nie. All die Beschwörungen halfen nicht. Die Hoffnung schwand. Die Mädchen springen noch immer rund um den Kastanienbaum. Ich höre ihre hellen Stimmen. Sehe die fliegenden Haarbänder.
Die Frau öffnet den Käfig. Der Mann streckt den Arm aus und der Vogel hüpft auf seinen Ärmel. Schwarze kluge Augen blicken hinüber, zu den spielenden Kindern. Der Wind wird stürmischer. Eine dunkle Wolke schiebt sich düster zwischen mich und die Sonne. Eines der Mädchen hebt den Kopf zum Himmel. Hat es einen ersten Tropfen erspürt? Der Rabe stößt sich vom Arm des Mannes ab, öffnet seine Schwingen. Mit einem rauen, heiseren Laut fliegt er auf das Kind zu. Erschrocken weicht dieses aus und ruft den Schwestern etwas zu. Mit flatternden Zöpfen rennen sie in meinen Schatten. Einen Herzschlag später umfangen Flammen den Kastanienbaum. Eine tonnenschwere Last fällt von meinen steinernen Schultern. Zwei helle Lichter entschwinden tanzend in den Wipfeln des Baumes. Der Kolkrabe läßt sich wieder am Arm des Mannes nieder. Die Frau streicht lobend sein Gefieder. Ich atme auf. Die Raben können endlich weiterziehen.

Zeit der Entscheidung

So wie ich in die Hände meiner neuen Besitzer übergeben wurde, spürte ich sofort eine unheilvolle Aura. Ein junges Paar hatte mich erworben, doch ihre Anwesenheit ließ meine Wände erschaudern. Die Ruhe, die ich einst genossen hatte, wurde mir gnadenlos genommen.

Ich hörte förmlich ihre Gedanken, sowie sie ins Haus traten. Sie waren überzeugt, dass der Kauf sie zu den Herrschern über mein Inneres und Äußeres erhob, dass sie nach Belieben agieren werden, und vollziehen was ihnen gefiel. Doch ich würde mir das nicht bieten lassen. Schon seit Generationen stehe ich leer und bin mein eigener Herr.

ICH bestimme, wer hier Zuflucht findet und mich zu seinen zu Hause nimmt.

Jetzt starten die beiden Ihre nächtlichen Aktivitäten, ich spüre eine wachsende Unbehaglichkeit. Sie planen ein romantisches Bad bei Kerzenschein, begleitet von Wein und kulinarischen Genüssen. Doch diese Vorstellung erfüllte mich mit Grauen.

Die Frau betritt mein Badezimmer und drückt die Tür mit ihren knochigen Fingern auf. Die Tür knarrt und murrt, sie fühlt sich gnadenlos benutzt.
Die Eiskalten Füße berühren meinen Boden, ihre kalten Schritte, lassen mich erschauern.
Sie entkleidet sich, ein schauderhafter Anblick. Sie umfasst die Armatur und würgt sie, bis diese ihren Weg für das Wasser freigibt. Jetzt liegt ihr knochiger Körper in meiner Wanne, ihre Entspannung, ich fühle sie, ich will das nicht. Ich muss mich wehren, die zwei wieder loswerden. Eine Idee durchzieht meine Räume - ich werde das Wasser so heiß werden lassen, dass es ihre Haut von dem dürren Knochen schält. Oder den Dreck der Jahre aus der Armatur fließen lassen, bis sie in der fauligen Gülle ertrinkt!

Was ist mit ihm? Er macht sich daran, das Feuer im Kamin zu entfachen.
Seine Unbeholfenheit und Rücksichtslosigkeit beunruhigen mich zutiefst. Er hat den Holzkorb grob fallen lassen, es schmerzt, diese klaffende Wunde in meinen Dielen.
Das Feuer, die alten Wände leiden unter den Temperaturunterschied, sie ächzen, Risse bilden sich, ich werde diesen rücksichtslosen Tölpel im Rauch ersticken, oder seinen Körper in das Feuer werfen. Er wird brennen!

Die Wut in mir erreicht ihren Höhepunkt, das Schicksal wird sich entfalten! Ich sehe hinüber zu meinen alten knorrigen Freunde, sie wippen im Wind, flüstern ihre Laute und zeigen mir ihre Zustimmung.

Werde ich meinen Widerstand erfolgreich leisten, oder werden die zwei mich endgültig brechen?

Die Dunkelheit in mir flüstert mir unheilvollen Pläne zu. Die Zeit der Entscheidung ist gekommen, und ich werde nicht kampflos aufgeben.

Einst voller Leben

Kapitel 1: Ein Heim voller Liebe
Einst war ich ein prachtvolles Herrenhaus voller Leben. Von Robert, einem Gutsherrn und Ritter, und seiner lieben Frau Anna mit Freude erdacht und am Ende des Rabenwegs mit Liebe erbaut, war ich das Glanzstück des gesamten Lehens. Über einen schmalen Kiespfad erreichte man meine gut dreißig Schritt lange Frontseite, welche rechter und linker Hand von jeweils einem runden Eckturm umrahmt wurde. Meine königsblaue Außenfassade zierten zahlreiche Stuckrosetten mit Motiven aus der Tier- und Pflanzenwelt. Meine volle Pracht erlebte man jedoch hinter meiner doppelseitigen, aus Eichenholz gefertigten Eingangstür, wenn man meine Lobby mit ihren Fresken an der Decke sowie ihre prunkvollen zweiseitigen Treppe betrat, deren beiden Teile jeweils in die obere Etage führten. Ging man geradeaus zwischen den beiden Aufstiegen hindurch, kam man in das Herzstück meiner Gemäuer – dem Kaminsaal. Robert ließ einen Satz, den sich Anna für mich überlegt hatte, in einen Stein direkt über den Kamin eingravieren. So stand dort mit eindrucksvollen Lettern: kein Schatz der Welt ist so kostbar wie ein Heim voller Liebe. An der Stelle vor dem Kamin verbrachten die beiden viele gemeinsame Stunden und so erwartete Anna schon bald ihr erstes Kind. Pauline wurde mit einem großen Fest willkommen geheißen, bei dem das ganze Dorf in mir ausgelassen trank, speiste, sang und feierte.

Kapitel 2: Ein Heim voller Geister
Doch eines Tages, kurz nach Paulines sechstem Geburtstag, wurde das kleine Mädchen schwer krank. Kein Arzt konnte ihr helfen, keine Medizin Ihrem Leid ein Ende bereiten. Auch ich vermochte nicht den gierigen Tod mit meinen schützenden Wänden von ihr fernzuhalten und sie starb. In den darauf folgenden Wochen durchdrang tiefe Traurigkeit, zügelloser Zorn und sedierender Wein Roberts Venen. Er vergaß zu essen, zu trinken und zu schlafen. Nach Wochen ging er zum ersten Mal wieder in das gemeinsame Schlafzimmer zu seiner Frau und legte sich neben sie. Er ergriff ihre erkaltete Hand und als er begriff was geschehen war, nahm er einen Strick und erhängte sich an meinem Geländer im ersten Stock. Mein Schmerz war unermesslich und in mir wurde es kalt und dunkel. Im Land erzählte man sich die Geschichte über einen Mann, eine Frau und ihr Kind, deren Geister in einem alten Herrenhaus am Ende des Rabenwegs ihr Unwesen trieben. Ich ein Geisterhaus. Niemand wollte mehr in mir wohnen und ich geriet immer mehr in Vergessenheit.

Kapitel 3: Ein Heim voller Hoffnung
Nach einigen Jahren wurde ich immer häufiger von ruchlosen Abenteurern und Plünderern heimgesucht. Sie nahmen mir alles was mir lieb und teuer war, sie bewarfen mich mit Schmutz und übten willkürlich Gewalt an meinen Mauern, Fenstern, Türen und Böden. Einsam, verlassen und gebrochen fristete ich ein trostloses Dasein bis eines Nachts ein junges Paar in Richtung meiner eingeschlagenen Eingangstür schlich. Er war groß, schlank, hatte schwarzes, strähniges Haar und war mit einem kleinen Beil bewaffnet. Sie hingegen war klein, zierlich, hatte feuerrote Locken und hatte lediglich eine Lampe in ihrer Hand. In ihrem Gesicht spiegelten sich Güte und Furcht gleichermaßen. Als sie langsam in mich eintraten sagte er zu ihr: „Komm, lass uns schauen, ob es hier irgendwo noch etwas wertvolles gibt. Den Tipp für das Haus habe ich von einem Kerl aus der hiesigen Schenke.“ „Lass lieber wieder gehen, es ist unheimlich hier.“, erwiderte sie mit zittriger Stimme. „Ach, mach dir nicht in die Hosen. Du glaubst doch nicht etwa die alten Gruselgeschichten vom Geisterhaus, oder?“, spottete er als er sie weiter in mich hineinzog. „Oh nein, das sieht ja noch heruntergekommener aus als ich dachte und es ist bereits völlig ausgeplündert.“, sagte der junge Mann voller verächtlicher Enttäuschung. Na kommt schon, dachte ich, verrichtet euer grausiges Werk, so wie die dutzend anderen vor euch und verschwindet wieder. Ich konnte mich gegen diese Niedertracht nicht mehr wehren. Während ich in meinem Mitleid badete, machten sich die beiden Eindringlinge auf die Suche. Die oberen Räume waren wohl nicht sehr ergiebig gewesen, weshalb sie sich schnell im Kaminzimmer einfanden. Plötzlich veränderten sich die Züge der rothaarigen jungen Frau und sie sagte mit weicher Stimme: „Wenn ich mir das Haus jetzt so anschaue, kann ich mir gut vorstellen, wie es damals ausgesehen haben mochte. Bestimmt war es prachtvoll und wunderschön und man könnte es doch wieder aufbauen, herrichten und wieder beleben. Ich spüre auch eine gewisse Wärme hier, wie eine mütterliche Umarmung in einer einsamen Nacht.“ Sie sah es. Sie sah meine wahre Schönheit, so, wie ich damals von Anna und Robert erdacht und erbaut wurde. Eine wilde Hoffnung keimte in mir auf. Dieses Mädchen wird sich mir annehmen, mich wieder herrichten und mich wieder beleben! „Was faselst du da? Ha, das ist ein altes, verkommenes, hässliches Geisterhaus und zu nichts mehr nütze.“ erwiderte Jonas abfällig bevor er plötzlich die Inschrift auf dem Stein über dem Kamin sah und kurz inne hielt. „Maria, schau! Ließ mal!“ „Kein Schatz der Welt ist so kostbar wie ein Heim voller Liebe.“, ließ sie laut vor. „Ein schöner Satz.“ „Ach quatsch, es ist ein schönes Wort – Schatz. Verstehst du? Das ist ein Hinweis. Dahinter ist etwas wertvolles versteckt. Ich zerschlage jetzt den Stein. Geh mal beiseite.“, herrschte er sie an während er bereits sein Beil erhob. „Nein tu das nicht!“, schrien Maria und ich im Chor. Doch Jonas ließ sich nicht aufhalten.

Kapitel 4: Einst ein Heim voller Leben
Als die flache Seite des Beils die Inschrift traf und der Stein unter der Wucht zerbrach, spürte ich wie schlagartig alle Lebensenergie aus mir wich. Meine Wände begannen zu zittern, der Putz fiel von Wänden und Decke und meine Ziegel fielen mir vom Dach. „Mist, schnell raus hier!“, forderte Jonas Maria panisch auf. Sie rannten beide Richtung Ausgang, doch als mein Boden begann aufzureißen stolperte Maria darüber und fiel. Jonas rannte währenddessen durch meinen Ausgang ins Freie. Er rannte immer weiter und blickte nicht zurück. Maria rief: „Hilf mir! Bitte! Hilfe!“ Immer mehr meiner Decke stürzten über ihr ein. Ich sammelte all meine restlichen Kräfte. Ich musste sie retten. Das beben ließ für einen Moment nach und Maria nutze die Chance, rappelte sich stöhnend auf und folgte Jonas nach draußen. Dann ließ ich los. Ich fiel in mich zusammen und nach wenigen Herzschlägen zeugte nur noch ein Haufen Schutt und Asche am Ende des Rabenwegs von meiner vergangenen Existenz. Maria drehte sich kurz zu mir um und verfolgte mit ihren traurigen Augen meine letzte ausgehauchte Staubwolke gen Himmel, die ihr leise zuflüsterte: einst war ich ein prachtvolles Herrenhaus voller Leben.

Das flüsternde Haus

Lichtpunkte huschen suchend über die dunkle Fassade. Die unruhigen Schatten erwecken tiefe Risse und abgebröckelten Putz zu einem kurzzeitigen Leben. Drei Gestalten stehen vor der wuchtigen Steintreppe, die wenig einladend aus der Fassade wächst. Langsam bewegen sich die Lichter ihrer Taschenlampen tiefer, zu der vor ihnen liegenden Eingangstüre. Zögerlich – scheuen Tieren gleich – vereinigen sich die Lichtpunkte schließlich auf dem alten, fast schwarzen Holz der Eingangstüre. Stimmen flüstern. Lachen erklingt. Unecht und nervös.
Das Lachen erregt Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit von uralten Gedanken, die ruhelos durch das Gebäude streifen, wie eisige Zugluft. Das Haus besitzt Augen aus Fensterglas und alten Spiegeln. Venen aus hohlen Wänden und erodierten Mauerfugen. Silberfische, Käfer und Spinnen sorgen für einen kaum wahrnehmbaren, leise knisternden, Puls in diesen vermoderten Adern.
Dieser Puls änderte sich jetzt.
„Ehrlich… bei Nacht fange ich an, diese Geschichten über das Haus zu glauben. Ist doch nicht normal wie dunkel das hier ist! Soll es Zufall sein das hier am Ende der Straße keine Straßenlaterne installiert ist? Ernsthaft?“, flüstert eine Mädchenstimme.
„Das liegt an dem felsigen Untergrund. Es war zu aufwändig bis hierher Leitungen zu verlegen.“, antwortet eine Jungenstimme.
„Und wieder eine langweilige Antwort auf ein spannendes Mysterium.“, antwortet zaghaft lachend eine weitere Mädchenstimme.
Die schwere Tür wird geöffnet. Die Gestalten verharren weiter vor den dunklen Eingeweiden des Hauses. Unentschlossen. Wind weht in die Eingangshalle. Ein Zug entsteht, der alte Vorhänge nervös flattern lässt. Offene Türen krächzen leise. Der Duft der drei Besucher wird dabei vom Haus eingeatmet und sachte durch die alten Zimmer getragen. Auch der Duft von Angst ist dabei. Der knisternde Puls des Hauses verstärkt sich. Ein erregter Rhythmus entsteht. Kaum hörbar. Alte Dielen knurren. Das Haus hat Hunger.
Tretet ein.
Ihr seid sehr willkommen.

Horch

Zittern und Rascheln schrecken mich auf. Habe ich etwa geschlafen?
Langsam spüre ich die Pain in meine knarrenden Dielen wiederkehren. Die nächtliche Kälte, die durch das lückenhafte Dach zieht und den bröselnden Putz. Und auch die Erinnerungen kommen zurück- die schönen, sowie die schrecklichen. Schreie und Wimmern hallen durch die Flure, meine Grundmauern zittern bei dem Schauer, der mich überkommt. Ich wurde aus meinem friedlichen Schlummer entrissen, warum?
Hier am Ende des Weges bin ich allein, von den ab und an hier verweilenden Raben einmal abgesehen. Ich möchte zurück ins Traumland, versinken im Vergessen.
Horch, das war doch meine Eingangstür!
Das Knarren geht im Heulen des Herbstwindes beinahe unter. Doch als der erste Fuß auf dem Flurteppich aufkommt, ist mein Verdacht bestätigt.
Ich bin zwar alt, jedoch nicht so senil wie die Neubauten am anderen Ende des Weges immer behauptet haben.
Menschen versammeln sich doch tatsächlich in meinem Eingangsbereich, fünf an der Zahl. Welch eine Freude, auch wenn es mitten in der Nacht etwas unhöflich ist, unangemeldet einfach vor fremden Türen aufzutauchen. Immerhin bin ich nun nicht mehr allein.
Und horch, ihnen gefällt, was sie sehen, sie mögen mein Ambiente, loben die feine Vertäfelung meiner Wände und das solide Parkett. Je tiefer sie in mich vordringen, umso wortreicher sind ihre Lobeshymnen.
Ich erschauere, diesmal vor Wonne. Sie lieben mich. Das könnte meine Chance sein, der Einsamkeit zu entfliehen. Sie müssen bleiben!
Horch, der ältere Herr niest immer wieder. Ich öffne alle Fenster und lasse den Herbstwind meinen Staub verwehen, bis die Luft nicht mehr nach Moder riecht. So ist es viel besser.
Meine Besucher erschrecken sich zuerst, ich bin wohl etwas zu übereifrig gewesen.
Doch aus dem Schrecken wird Lachen und mir geht das Herz auf.
So könnte es funktionieren.
Horch, der jungen Dame fröstelt es. Ich atme leise ein und aus und entzünde die Kamine, niemand soll hier frieren. Und wenn ich schon einmal dabei bin, lasse ich die Kerzen der Kronleuchter aufflammen, so stolpern die Fünf nicht über im Dunkeln verborgene Teppichfalten.
Für meine neuen Freunde möchte ich es so behaglich wie möglich bestalten. Nur dann verlassen sie mich nicht.
Eine Weile beobachte ich, wie die Menschen sich umsehen, lachen und scherzen und fühle mich wie in der guten alten Zeit, als die erste Familie eingezogen war, schwelge in diesen Erinnerungen.
Doch horch, das sind doch knurrende Mägen, das erkenne ich auf Anhieb. So geht das nicht, das müssen wir ändern.
Ich lasse einen roten Teppich ausrollen, er endet vor den Füßen meiner neuen Freunde und sie verstehen, folgen seinem Verlauf, bis sie im Speisesaal ankommen.
Voller Freude finden sie den gedeckten Tisch mit den üppigen Speisen vor. Sie setzen sich hin, bestaunen, was ich ihnen aufgetischt habe. Und ich habe mich nicht lumpen lassen. Nur das Beste für die Gäste.
Aber sie rühren nichts an, unterhalten sich nur über die Wunder, denen sie begegnet sind und ob das Ganze ein Traum ist. Es verstreicht viel Zeit, aus dem Gespräch wird Streit, aus dem Streit werden Tränen, aus den Tränen wird Versöhnung.
So viele Emotionen, so viel Leben, ich erinnere mich wieder an meine vergangenen Familien. An das Lachen von Kindern, an das Singen zu Weihnachten, an die Liebe und die Trauer. Ein dritter Schauer überkommt mich in dieser Nacht. Dieses Mal ist es der des Schreckens.
Ich erinnere mich an den Schmerz, an den Verlust und mein gebrochenes Herz. Ich habe so oft geliebt, so viel geliebt und was blieb?
Schlussendlich verschwanden meine Lieben, ließen mich zurück in dieser kalten Einsamkeit am Ende des Weges.
Ein Stein löste sich wie eine Träne aus meiner Außenwand.
Ich kann das nicht, nicht noch einmal. Nicht noch einmal will ich diesen Schmerz erleiden, den Verlust und ein gebrochenes Herz.
Mit einem Knurren verschließe ich die Läden und die Türen, lösche die Kamine und die Kerzen, lasse das Essen vermodern.
Keine Liebe bedeutet kein Schmerz, das ist es, was mich die Menschen in all den Jahrzehnten gelehrt haben. Und weil ich ach so gütig bin, verhelfe ich meinen fünf Freunden dazu, dass sie diese Lektion niemals erfahren müssen.
Horch, sie schreien und weinen und wehren sich. Wehren sich gegen das Besteck, gegen das Mobiliar und die Teppiche. Doch der majestätisch große Kronleuchter im Eingangsbereich wird sie schon verstummen lassen.

Tiefer, weißer Schmerz reißt mich aus meiner Lethargie. Der Stahl einer Brechstange bohrt sich in meinen Körper, noch bevor ich ganz wach war.
»Mach schon!«, dröhnt eine Stimme dumpf durch meine Tür. Bevor mein Holz reißt, lasse ich sie quietschend aufschwingen.
Sämtliche Augen der Porträts an den Wänden öffnen ihre Augen und betrachten die Neuankömmlinge. Zwei Männer mit Taschenlampen.
»Das war komisch«, sagte der mit der Brechstange, bevor sie zu der Treppe in den Keller marschierten. Sie wussten, wohin sie wollten. Keiner sah die Augen, die ihre Schritte verfolgten.
Schwere Stiefel stampften über den Lehmboden meines Kellers, bis sie ihr Ziel erreichten. Der Strahl einer Taschenlampe ließ das alte Skelett an der Wand hell aufleuchten.
»Da ist es«, jubelte der Schmerzbringer und ergriff sein Brecheisen fester, bevor er zusammenzuckte. Meine Balken knarrten und quietschten. Zu lange war ich bereits allein.
»Hier liegt überall Kleidung rum«, wurde der Taschenlampenträger nervös, während der Andere mit seinen Füßen dicken Staub aufwirbelte. »Und Schuhe. Eigenartig.«
»Siehst du die Symbole um das Skelett herum?« Seine Hand versteifte sich um den Stahl der Brechstange, als die Symbole aufleuchteten.
Ein Knacken wanderte durch meinen Dachstuhl und ich spürte Altersschmerzen. Aber das würde sich bald ändern. Ein Luftzug streifte durch den Keller, bevor ich den Atem anhielt. Hier konnte ich nur durch die toten Augenhöhlen des Skeletts sehen. Aber ich konnte deutlich das begreifen in den Gesichtern der beiden erkennen, während ihre Haut alt und faltig wurde. Die Finger wurden zu schwach, um das Gewicht der Brechstange zu halten und sie landete im Staub, während die Finger sich zusammenzogen und trocken wurden.
Ich spürte das Leben, das in mein Gebälk drängte und mit einer Willensanstrengung drückte ich meine Dachbalken gerade. So sah ich wieder viel einladender aus.
Ich warf einen letzten Blick auf die zwei neuen Staubhaufen, bevor ich wieder in meinen Dämmerzustand überging.
Aber das Warten würde nicht ewig dauern. Die Nächsten würden auf der Suche nach Unsterblichkeit kommen.
Niemand würde gehen.

He, was ist das? Hallo?
Ich muss eingenickt sein, sie sind zurück.
Aber was ist das, wieso quietscht die Eingangstür wie ein gequälter Esel?
Grit, Bea, seid ihr da?
Alle Läden dicht verschlossen, Dunkelheit. Vielleicht habe ich länger geschlafen?
Jetzt sind die Stimmen in der Halle.
Nein, es sind nicht die Mädchen, es sind Männerstimmen. Ich kenne sie nicht.
Verdammt, seid doch vorsichtiger mit den Fensterläden, das tut weh.
Ungehobeltes Pack.
Was ist das für ein Licht im Treppenaufgang? Das habe ich noch nie gesehen. Seltsam. Ihr könnt doch die Leuchter an den Wänden entzünden.
Wenigstens gehen sie jetzt vorsichtiger über den Läufer, ist besser so, Johann ist dort schon böse gestolpert. Wo ist Johann überhaupt, er soll sie raus werfen. Ich will meine Ruhe haben.
Das kann ich vergessen, sie öffnen alle Türen, schauen alle Gemächer an, wie viele Eindringlinge sind es überhaupt.
Einige sind auch unten im großen Salon. Heftiges Niesen, geschieht ihnen recht!
Jetzt erreichen sie den Westflügel. Ich kann die Melodie der alten Spieluhr etwas schleppend hören und erinnere mich wieder. An alles.
Nein, geht nicht in das Zimmer. Nein, nein, nicht. Bitte, lasst sie in Ruhe.
Sie gehen mit den seltsamen Leuchten bis an das Bett der Zwillinge und schauen sie an. Wie sie so friedlich da liegen, sich an den Händen haltend, dort, seit sie den Schierlingsbecher getrunken haben.

Das Vergessen

Ich hasste die Nacht, was irgendwie ironisch war. Schließlich gehörte ich dem Zirkel der Nacht an. Aber inzwischen war genau dieser der Grund dafür.
Ich schickte einen leichten Windstoß an einem Regal meiner Bibliothek vorbei. Nichts passierte. Ich seufzte, was meine Wände zum knarzen brachte.
Dabei war ich selbst schuld. Schließlich hatte ich die anderen dazu überredet, mit mir die Regeln zu brechen. Und seit dem sprachen sie immer weniger mit mir.
Und die Strafe hatte uns alle getroffen. Das Vergessen. Im Zirkel gab es nicht viele Regeln. Um genau zu sein nur eine. Einer der Gründe, aus denen ich kaum darüber nachgedacht hatte, als das Angebot, ihm beizutreten, vor inzwischen 200 Jahren eingetroffen war.
Das Angebot war Magie. Ich hatte die Möglichkeit gehabt, von einem starren Haus mit Bewusstsein zu einem wirklichen Wesen zu werden. Zwar konnte ich mich nicht von meinem Standort wegbewegen, aber auch ein kurzes strecken hatte alles so viel besser gemacht. Und natürlich das Gruseln. Denn das war das, mit dem alle Mitglieder früher oder später anfingen. Man erschreckte andere, so lief das hier. Am liebsten Menschen.
Und ich hatte gedacht die Regel, die eine, würde wohl nicht so schwer zu befolgen sein. Warum sollte ich auch Menschen umbringen? Ich wollte doch nur ein wenig harmlosen Spaß mit ihnen haben. Dachte ich.
Damit hatte es auch angefangen.
Ein bisschen knarzen, wenn jemand nachts alleine, nur mit einer kleinen, flackernden Lampe durch die ansonsten finsteren Flure ging.
Ein paar Schatten, wenn jemand von außen durch die Fenster sah.
Aber dabei blieb es nicht. Irgendwann wurde es langweilig. Es wurde doch erst interessant, wenn sie sich dabei ein bisschen was taten.
Ein paar kleine Schnitte.
Schürfwunden.
Tiefere Schnitte.
Gebrochene Knochen.
Ein Stein, der ausversehen die falsche Stelle traf.
Die Feststellung, dass ich die Konsequenzen hätte herausfinden müssen, bevor ich die Regel brach.
Denn wenn man sie brach, gab es keine Verwarnungen, keine kleinen Denkzettel. Ganz oder gar nicht. Das war das Motto.
Und durch meinen Leichtsinn, hatten wir das ganze gewählt. Das Vergessen. Lebenslänglich. Beziehungsweise Existenzlänglich.
Niemand würde mich je wiederfinden. Niemand würde uns nie wiederfinden.
Kein Knarzen, keine brechenden Balken, kein Licht würde jemals wieder jemanden zu uns führen.
Und wie es aussah hielt der Zirkel seine Strafen durch.
Inzwischen war er hundertzweiundfünfzig Jahre lang standhaft geblieben.
Plötzlich riss mich ein lautes Knacken aus meinen Gedanken. Ich knarzte erneut. Vermutlich war es einfach nur ein Tier gewesen. Die gab es hier schließlich genug. Dann folgte ein grober Fluch.
Ungläubig richtete ich meinen Blick auf den Wald.
Das konnte nicht sein.
Waren sie mir wirklich so nahegekommen? Menschen?
Ich sah ein Licht. Und wandte schnell meinen Blick ab, als genau auf mich leuchtete.
So ein helles Licht hatte ich nachts noch nie gesehen.
Aber es waren viele Jahre vergangen.
Ich ließ einen kalten Windstoß hinein, um alle anderen zu wecken.
Schließlich hatte nicht nur ich ein Bewusstsein. Jedes Buch, jedes Regal, jede Gabel. Sei alle waren Wesen.
Und keiner von uns konnte das Vergessen ertragen. Aber vielleicht, vielleicht war es vorbei.
Sofort begann ein leises tuscheln und raunen im ganzen Haus. Das war einer unserer liebsten Tricks gewesen, auch wenn es jetzt kein Trick war. Es war reines Erstaunen. Hatte uns der Zirkel eine zweite Chance gegeben? Oder war es ein Trick. Würden sie gleich an uns vorbeigehen, als wären wir nicht vorhanden?
Dann spürte ich, wie meine Tür geöffnet wurde. Vorsichtige Schritte in der Eingangshalle. Leises Flüstern. Ein Krachen. Einen Fluch. Einen Fluch, der definitiv nicht aus einer menschlichen Kehle stammte.
Scheiße. Ich wusste nicht, warum ich mir diesen Augenblick antat, aber ich richtete meinen Blick auf die Eingangshalle.
Die Stücke einer zerbrochenen Statue lagen auf dem Boden verteilt. Reglos.
Nur der Kopf bewegte sich. Er weinte. Nein, es war ein Schluchzen. Der schlimmste Laut, den ich je gehört hatte.

Die Banshee und die Ruine

Wir zwei sind alt geworden. Na ja, du warst schon immer alt, ein altes Weib mit langen Haaren, das heulend unter dem Fenster saß, wenn es mal wieder einen aus der Sippschaft erwischen sollte. Längst hast du den Tod des letzten Nachkommens beweint. Und als sich der alte Lord abgemacht hat nach England, als er Angst bekam vor seinen ausgepressten Pächtern, hat er dir die Wache über mich aufgetragen. Ich war so schön, voll in der Blüte meiner Jahre, meine Balkons zeigten meine Fülle, eine stattliche Dame wie es weit und breit niemanden gab. Heute hausen nur die Krähen in meinen Gemäuern, das wenige, das noch steht und in der mächtigen Esche, die im alten Salon herangewachsen ist. Ich spüre, es wird Herbst. Die Blätter fallen, die Stürme rütteln und nagen an mir. Bald ist wieder Halloween, dein großer Auftritt, meine Liebe.
Ich könnt’ mich totlachen. Zu einer Witzfigur bist du verkommen, eine bloße Gruselgeschichte. Niemand erkennt dich mehr. Sie lachen über uns. Saufen und grölen und finden es cool, über den Tod zu spotten.
Dein Heulen hat alle vertrieben, die jemals kamen, um meiner Schönheit zu huldigen. Bist du jetzt zufrieden, da ich genauso abgewrackt aussehe wie du?
Du hockst schon wieder vor den Resten des Kamins und klagst und heulst vor dich hin und über deinem eigenen Geheul kriegst du nicht mit, dass jemand kommt.
Ein Pärchen. Wirst du sie wieder vertreiben für dein Vergnügen einer einzigen Nacht? Sie könnten bleiben. Kinder zeugen. Du hättest für die nächsten Generationen was zum Heulen, eine neue Familie, der du den Tod vorhersagen könntest. Ich wäre wieder schön und stark und jung.
Was sagst du? Sie wollen mich abreißen, platt machen, vernichten? Wir existieren nur miteinander. Wenn ich fort bin, hast du keine Heimat mehr. Ja, stimmt. Es gibt viele Schlachtfelder auf denen du heulen könntest, aber nichts so Stilvolles wie mich.
Hörst du? Sie haben sich vor dem alten Kamins niedergelassen und eine Flasche Wein aufgemacht. Sie fröstelt; er nimmt sie in die Arme. Ah, sie werden modernisieren, sagt er, meine Mauern erhalten. Die Esche? Sie darf bleiben. Ein Innenhof statt des Salons. Nichts von plattmachen.
Sie fröstelt weiter. Hör auf! Du bist das mit deinem eisigen Atem. Lass das. Ich will, dass sie bleiben. Meine Chance, seit Jahrzehnten, endlich.
Das ist ein seltsames Geheul hier drin, sagt sie, und mir wird immer kälter. Nein, und was das kostet, sagt sie. Aber so ein einmaliges Gebäude kommt nicht wieder auf den Markt und wir könnten echt was draus machen. Denk doch mal nach! Unsere Kinder hätten viel Platz zum Spielen. Merkst du nicht, wie unheimlich es hier ist? Eisiger als draußen. Und dieses Geheul! Ach, sagt er, nur die alten Mauern.
Hör auf, du alte Vettel! Vertreib sie nicht. Jetzt denken sie, ich mach den Klamauk.
Vielleicht sollten wir wirklich alles abreißen, sagt er. Vielleicht hast du recht.
Nein, nein, nein. Nicht schon wieder. Das ist grundstürzend falsch! Grundstürzend? Es erschüttert mich, ich kann nicht mehr. Ich brech’ zusammen.
Puh, sagt er, das war knapp. Die Mauer dort ist vollkommen weg. Das hätten wir nie erhalten können. Schon gespenstisch, denkt sie, der Nebel hängt wie langes Haar in den Ästen der Esche.

Schrei der Seele
von

Heidi Ohne Peter
Komm und setz dich zu mir, dachte ich. Sein Schrei kam nicht aus weiter Ferne. Erfüllt von Sehnsucht hallte er durch den Wald. Der Mond legte seinen blassen Schein über den Weg vor mir. Leise wiegten sich die Wipfel der alten Eichen um mich herum. Wie lange sollte ich warten? Wie lange würde mein geschundenes Überbleibsel hier ausharren müssen? Mein einziger Gefährte war der Wald mit seinen liebenswerten und zerstörerischen Bewohnern, die sich langsam bis in mein Innerstes fraßen. Erinnerungen durchfluteten mich. Gedanken und immer wieder die gleiche Frage : Warum habt ihr mich verlassen?
Seit Miss Emmy vor meiner hübschen gepflegten Fassade starb ist niemand geblieben. Ich war nicht schuld! Was hätte ich tun können?
Sie kamen in der Nacht. Eine Horde Verrückter, die in ihr eine Bedrohung sahen. Hilflos musste ich mit ansehen, wie sie von den Männern in weißen Roben und spitzen Kapuzen, die ihre Gesichter verdeckten in die Dunkelheit gezerrt wurde. Dann ein großes Aufflackern und ihre Schreie, die die grölende lachende Meute übertönten. „Ich finde euch alle. Ich werde der Begleiter eurer Träume sein. Gott wird euch bestrafen.“ Es waren die Schreie, die ich seither jede Nacht hörte, gefolgt immer und immer wieder von dem Nichts, einer Stille, die mein Begleiter wurde seit der letzte Atemzug ihrem schlaff am Pfahl hängenden Körper entwich. Sie hatte aufgegeben. Sie hatte aufgegeben gegen Hass und Vorurteile zu kämpfen, wie es bereits ihre Vorfahren jahrhundertelang taten. Ich sah zu, wie erst ihr Nachthemd, dann ihr langes gekräuseltes Haar, ihre Haut und alles bis auf die Knochen von ihr fiel. Die Meute unterhielt sich angeregt. Hier und da konnte ich sogar ein Lachen hören. Als die Flammen erloschen waren, kamen sie mit Spaten. Hinten bei der größten Eiche hoben sie ein Loch aus und verscharrten die Reste dieser weisen, alten liebenswerten Frau. Sie gingen so gründlich vor, dass es den Eindruck erweckte es handele sich schon um eine Selbstverständlichkeit und diese Nacht hätte nie stattgefunden.
Sehr viel Zeit ging ins Land. Niemand vermisste sie. Keine Angehörigen, keine Freunde – nur ich und ich war zum Schweigen verdammt. Sie hatten mich verschont. Ich konnte eh nichts verraten und mich in Flammen zu setzen hätte die Polizei ins Geschehen gerufen.Man vergaß mich und irgendwann hörte ich auf die Tage und Nächte zu zählen. Einmal waren zwei Männer hier. Der Bürgermeister und ein Mann mit einem großen Ordner unterm Arm, den ich danach noch zwei drei Male hier sah. Mit Fremden und sogar einer Familie mit tobenden lauten Kindern.
Bleibt, bleibt, bitte bleibt flüsterte ich ihnen zu. Sie gingen alle.
So auch die Gruppe junger Städter wieder, die hier campen wollten. Abenteuerlustig sahen sie aus, kamen zu Fuß mit schweren Rucksäcken, sammelten stundenlang Holz, saßen bei Anbruch der Dunkelheit am Lagerfeuer und tranken Whisky aus Plastikbechern. Ich erinnere mich. Es war eine heiße Nacht. Ein Jeep kam den fast zugewachsenen Weg hinauf. Er hatte die Scheinwerfer auf die Gruppe gerichtet. Es war der zuständige Ranger, dessen übermächtiger Schatten in Front der Scheinwerfer auf sie zu kam. Er setzte sich zu den jungen Leuten ans Feuer, fragte nach Personalien und ihren Vorhaben. Eine gewisse Anspannung lag in der Luft bis er vorschlug ihnen die Geschichte dieser Umgebung zu erzählen. Gespannt folgte ich Wort für Wort und erfuhr aus seiner Schilderung welche grausamen Schicksale viele Einwohner der nächsten Kleinstadt ereilte. Die Vorkommnisse häuft sich. War das noch Zufall? Es konnte nur spekuliert werden, dass es mit dem Verschwinden von Emmy zusammen hing. Jeder von ihnen erlitt unvorstellbare Qualen. Der Eine überfuhr sein eigenes Kind, weil sich das hinter dem Vorderrad des großen Geländewagens versteckt hatte. Des Anderen Haus brannte nieder und mit ihm seine komplette Familie. Wieder ein anderer wurde auf der Jagd von einem Bär zerfetzt. Das Schicksal ließ nicht Einen aus. Er sprach von der Suche nach meiner Emmy. Man fand sie nie. Vermutet wurde nur, dass die schrecklichen Schicksale irgendwie mit ihrem Verschwinden zu tun hatte, dass sie irgendwo hier draußen war. Nur ich wusste wo. Am Schluss seiner Erzählung verabschiedete er sich, wobei er lächelnd an seinen Hut tippte und darum bat das Feuer anständig zu löschen. Stille kehrte zurück als der Geländewagen in die Nacht verschwand. Das Feuer knisterte laut, ein Rascheln im Unterholz. Ausgelassenheit und Frohsinn verwandelten sich schlagartig in Hysterie und Panik. Eines der Mädchen schrie sie wolle weg hier. Sie wolle sofort nach Hause. Kein gut Zureden half. Einige Andere ließen sich anstecken. Ein Streit entbrannte. Hastig wurde alles zusammen gesammelt, das Feuer mit Erde bedeckt. Ich konnte das hastige Wandern der Lichtkegel ihrer Taschenlampen sehen. Flucht. Warum? Vor einer bei den meisten vergessenen Geschichte, Flucht vor mir und Emmys Geist, der nach Rache trachtend umherstreifte? Kommt zurück! Bleibt bei mir! Ich sehne mich nach Seelenfrieden. Ich bin alt, mein Gerüst knarrt und ist morsch, meine Fassade grau, aber ich habe eine Seele geprägt von denen, die mich erbauten und in mir lebten. Meinen Ruf zu hören schien nur das kleine Käuzchen. Es setzte sich wie jede Nacht auf mein moosbedecktes Dach. Wind kam auf. Hatte auch er mich gehört? Er entfachte die Reste des Feuers und ließ tausende Funken in meine Richtung tanzen.

Ich hörte ein Rascheln im Wald. Lichtstrahlen schimmerten zwischen den Bäumen hindurch. Stimmen schalten zu mir herüber. Mein Fensterladen, oben im ersten Stock klappert, ein Ziegelstein rutschte bedenklich nahe an die Kante, und fiel. Nein, nein, nein, ich musste ruhig bleiben. Musste mich beherrschen, mich nicht bewegen. Ich durfte den kleinen, ängstlichen Menschen keine Angst einjagen. Schon erspähte ich fünf Menschen am Tor, nur noch wenige Meter trennten sie von mir. Die Hoffnung, die unwillkürlich in mir aufwallte, ließ sich kaum bändigen. Ich spürte wie die Tür sich knarrend bewegte, ich hielt den Atem an. Glück gehabt, sie liefen nicht schreiend davon, kamen näher. Vielleicht war es diesmal so weit, vielleicht waren sie meine Retter, vielleicht würde jetzt nach 200 Jahren endlich der Fluch gebrochen werden und meine Seele wäre endlich frei. Sie waren jetzt bei der Tür. Ich spürte kalte Finger an der Klinke, meine Anspannung stieg. Die Tür wurde nach innen aufgestoßen. Ihre Tritte kitzelten unerträglich auf meinem Teppich. Mein Lachen äußerte sich in einem Windstoß, der die Tür hinter ihnen mit einem krachen zuschlagen ließ. Sie erstarren, schauten sich an, kreidebleich. Hatte ich es vermasselt? Doch nein sie liefen weiter. Sie hielten auf die Tür zur Küche zu, genau die Richtung, in die ich sie haben wollte. In den Keller, sie mussten in den Keller. Dort war der Schlüssel zu meiner Rettung. Die Taschenlampen glitten über meine Möbel, über die Küchentheke. Die Töpfe und Pfannen still zu halten, war unglaublich schwer. Sie schauten sich gründlich um, öffneten Schränke, durchwühlten Schubladen, flüsterten leise miteinander, ich war zu aufgeregt, zu konzentriert, um zu zuhören. Einer der Menschen, ich glaube eine Frau näherte sich der Kellertür, da geschah es. Ich spürte es tief in mir aufsteigen, sich mit einem Kribbeln anzubahnen: ein Niesen. Gerade jetzt im undenkbar schlechtesten Zeitpunkt, strafte es mich. Ich versuchte es noch zu unterdrücken, doch spürte ich schon wie ich die Kontrolle verlor. Wie ein Fensterladen im Erdgeschoss und eine Tür im ersten Stock zu klappern anfingen. Es musste der vermaledeite Staub sein, den sie aufgewertet hatten, der immer mehr zu jucken anfing. Doch es war zu spät, ließ sich nicht verhindern. Der Windstoß kam vom Keller herauf. Fegte die Tür auf. Sämtliche Fenster sprangen auf. Die Türen knallten. Die Lichter flackerten. Das Knarren der Balken wurde unerträglich laut. Ein seufzen erfuhr dem Wasserhahn. Es war vorbei und ich hatte mich wieder unter Kontrolle. War still und bewegte mich nicht mehr. Doch es war bereit zu spät. Der erste Mensch fing zu schreien an. Zwei weitere vielen mit ein. Da liefen sie. Raus. So schnell sie konnten. In die Sicherheit des Waldes. Nur bloß weg von mir. Die Enttäuschung übermannte mich, ließ mich erzittern und erschauern. Wieder war ich gescheitert, wieder hatte ich alles vermasselt. Nie würde ich frei sein.