Das Haus des Das Haus des Zauberers
Der Reiter, der an diesem schönen Herbsttag vor meinem Tor hielt, war alt und machte einen müden Eindruck. Er rutschte aus dem Sattel, blinzelte und las den Spruch, der über dem Eingang stand. Er murmelte zu seinem Pferd:
«Ein jeder Reisender, der meiner Villa Respekt erweist, sei für eine Nacht willkommen. Seltsam, aber wir sind müde, nicht wahr?»
Er führte das Tier in den Stall, versorgte es und klopfte. Als niemand antwortete, trat er ein. Ein Feuer brannte im Kamin, Kerzen erhellten die große Halle. Ich erwies ihm das versprochene Willkommen. Der Alte stellte sein Gepäck ab und musterte die Bilder an den Wänden. Vor meinem Meister blieb er stehen.
«Raldano, Zauberer und Heiler, Lord der magischen Gilde», buchstabierte er mühsam. «Das erklärt den schlechten Ruf der Rabenvilla. Doch irgendwer muss dies alte Gemäuer doch pflegen.»
Ich nutzte die Gelegenheit, es zu erklären. Die Augen des Mannes weiteten sich, als das Porträt anfing zu sprechen:
«Es ist ein Zauber, der über meinen Tod hinaus hier wirkt. Die Zimmer sind sauber, der Keller ist mit Vorräten gefüllt, das Wasser ist sauber. Ich war ein Mensch, der sich gerne mit Reisenden unterhielt. Also genieße die eine Nacht. Doch länger verweilen darf nur, wer das Einverständnis des Hauses erlangt. Hole dir einen guten Wein aus dem Keller und erzähle von deinem Leben!»
Harte Dauerwürste, ein vorzüglicher Käse und auch frische, süße Weintrauben barg der Vorrat. Der Alte stand vor dem Weinregal, überlegte und nahm sich eine einzige Flasche. Er aß und genoss den edlen Tropfen. Dabei murmelte er vor sich hin:
«Aus meinem Leben erzählen? Da gibt es wenig. Ich komme aus dem Norden und habe über dreißig Jahre im Süden als Söldner gekämpft. Was hat es mir gebracht? Narben, kaum genug Gold für den Lebensabend und schreckliche Alpträume. Ich glaube nicht, Raldano, dass meine Träume für einen Zauberer von Interesse sind.»
Damit hatte er natürlich Recht. Meinen Meister hätten sie höchstens gelangweilt.
Der alte Söldner schulterte seinen Packen und öffnete die Tür. Zwei Männer und eine Frau standen vor dem Eingang.
«Du bist der Diener in dieser, äh, altertümlichen Villa?»
«Nein, nur der Gast für eine Nacht, der nun weiterreisen will.»
Die Drei wechselten einen Blick.
«Oh, nein. Du bleibst hier, bis wir wissen, was es mit der Rabenvilla auf sich hat.»
«Warum? Ich kann für nichts …»
«Widersprich nicht, Alter. Schon einmal von uns gehört? Wir sind die tödlichen Drei. Ich bin Lugos, der Anführer. Das sind Mirinda, die Heilerin und Boris, der Bulle. Der kürzlich verstorbene Graf hat dieses Herrenhaus sich selbst überlassen, sein Sohn will es verpachten oder verkaufen. Daher hat er uns angeheuert, es zu, äh, säubern. Von allem, was seinen Profit schmälern würde.»
«Schön für euch, ich würde gerne …»
«Du bleibst. Bis wir die ganze Sache geklärt haben. Außerdem muss uns irgendwer bedienen.»
Lugos stand vor den Bildern und spottete:
«Was für komische Gesichter. Und dieser angebliche Zauberer sieht aus wie ein aufgeblasener Pfaffe.»
«Komisch? Der Maler hat ihre Eigenschaften festgehalten. Dort Gier, dort Wollust und Habgier. Was wird es bei dir sein? Arroganz?»
«Schweige, Alter. Bereite uns ein Abendmahl. Wir durchsuchen inzwischen das Haus.»
Zwei Stunden später setzten sie sich zu Tisch.
«Wir haben das Obergeschoss gefilzt und Erdgeschoss bis auf den Raum mit der Aufschrift ALCHEMIE. Auch den Keller sparen wir uns für morgen auf. Du hältst die Zimmer in gutem Zustand, Alter.»
«Ich war ein Söldner und verstehe nichts von Hauswirtschaft. Ich will hier weg, denn die Gerüchte sagen, man darf nur eine Nacht unter diesem Dach verbringen. So hat der Zauberer es festgelegt.»
«Der Kerl auch dem Bild, du spinnst, Alter!»
«Dort, der thronartige Stuhl trägt seinen Namen!», warf Mirinda ein.
«Huh! Der mächtige Zauberer war ja nur ein Gnom, nach dem Sitz zu urteilen. Und lange tot ist er auch schon.» Lugos stand auf und urinierte auf das Holz.
«Das Haus verlangt Respekt und du …»
«Schweige, Alter und räume ab!»
Die drei Abenteurer zogen sich in die nobeln Zimmer des Obergeschosses zurück. Der Alte räumte auf und ging vor die Tür. Noch waren die Sterne zu sehen, doch vom Norden näherten sich dunkle Wolken, aus denen einzelne Blitze zuckten. Er seufzte, trat in die Halle und griff zu einem Eimer, um den Stuhl zu reinigen. Das gefiel mir.
«Nein! Ihr bekommt mich nicht! Nein! Weg von mir! Weg!» Lugos schrie in Panik. Er torkelte auf den Gang und fuchtelte wild mit seiner Klinge durch die Luft. Brüllend taumelte er Richtung Treppe, von etwas verfolgt, das niemand sehen konnte. Mirinda und Boris stürzten aus ihren Zimmern und sahen, wie Lugos vor unsichtbarem Grauen floh, gegen die Brüstung krachten, über das Geländer fiel und in der Tiefe verschwand. Sein Schädel zerplatzte auf den Fliesen.
«Dieser verdammte Säufer! Und jetzt bildet er sich auch noch Gespenster ein. Hast du eine Bedrohung gesehen, Boris?»
«Nee.»
Mirinda beugte sich über die Brüstung und rief:
«Alter! Beseitige den Schandfleck bis morgen. Und wehe, du nimmst eine seiner Waffen!»
Der ehemalige Söldner nickte und stand nachdenklich in der Halle. Sorgfältig legte er das erstklassige Schwert zur Seite, platzierte die kleine Wurfaxt und den Dolch daneben. Ich sorgte dafür, dass ein Leuchter aufflackerte. Er hielt inne und betrachte die zahlreichen Waffen und Schilde, die an der Wand hingen.
«Eine kleine Sax! So eine habe ich als Jugendlicher besessen. Als ich noch von Ruhm und Ehre träumte.»
«Sie gehört dir», versicherte ich ihm durch das Porträt.
«Danke, vielen Dank.» So gehörte es sich nach einem Geschenk, hatte der Meister mich gelehrt.
«Die Tür zum Laboratorium ist verschlossen und ich finde keinen Schlüssel. Also öffne sie, Boris!»
«Mirinda, du hast gesehen, was geschehen ist, als Lugos das Haus beleidigt hat. Ich halte es für keine gute Idee, die Tür mit Gewalt zu öffnen.»
«Das Haus? Es ist nicht einmal halb so unheimlich, wie man uns beschrieben hat. Draußen stürmt und regnet es und hier drinnen ist kaum etwas zu merken. Schöne, dicke Mauern. Genug Geistermärchen! Boris!»
Die gewaltige Doppelaxt, die der Kraftmensch bevorzugte, zersplitterte das Holz um das Schloss mit wenigen Schlägen.
Sie fanden, was nach der Aufschrift ALCHEMIE zu erwarten war. Phiolen, Gläser, Kräuter, Salze und geheimnisvolle Substanzen standen herum. Doch Mirinda starrte fasziniert auf ein Fläschchen mit der Bezeichnung Universalantidoton.
«Ein Gegengift gegen alle bekannten Substanzen? Was für ein Schatz! Ich liebe es mit Gift zu arbeiten und damit kann ich …»
«Ich verstehe nicht …»
«Schon gut, Boris.»
«Nur bei Lebensgefahr und spärlich anwenden», buchstabierte der Söldner mühsam.
«Oh, ein Lakai, der lesen kann. Egal, hiermit kann ich reich werden.»
Der alte Söldner räumte den Tisch ab und überprüfte die Fensterläden. Sturm, Regen und gelegentlicher Hagel prasselten an meine Mauern. Bevor er sich bescheiden in einem der unteren, kargen Zimmer zur Ruhe begab, schärfte er sorgfältig die Sax und gürtete sie. Er blieb vor dem Bild des Meisters stehen und betrachtete es. Er schwieg, obwohl ihm auffallen musste, dass nun erste Zornesfalten den Ausdruck des Porträts veränderten.
Kurz nach Mitternacht weckte ein Kreischen den Alten. Er trat in die Halle. Mirinda stürmte die Treppe hinunter und schrie:
«Töte sie! Töte die verdammte Schlange!»
Boris eilte mit seiner riesigen Axt zur Hilfe, stutzte aber, als er keine Schlange, nicht einmal eine Gefahr erkannte.
Mirinda griff sich an den Oberschenkel und heulte auf. Sie sackte zu Boden und murmelte:
«Nein, nein, nein … ich will nicht sterben!»
Sie langte in ihre Gürteltasche, holte ein Fläschchen heraus und leerte es mit gierigen Schlucken. Danach griff sie sich an den Hals, röchelte und verstarb unter schrecklichen Schmerzen. Eine spärliche Anwendung war das sicherlich nicht gewesen.
«Du! Begrabe sie - anständig. Sofort!»
«Jetzt? Bei diesem Wetter?»
Mit Boris debattierte man nicht. Er starrte den Alten an und streichelte seine Axt. Ich fühlte die Wut aufsteigen. Boris würde der Nächste sein.
Das Bild des Zauberers hatte sich erneut verändert. Jetzt schien sein Gesicht von einem unheimlichen Licht beleuchtet. Die Pupillen schimmerten in bösem Rot und die gefletschten Zähne waren unmenschlich spitz. Der Alte legte seinen durchnässten Mantel nahe dem Feuer ab und beobachtete Boris. Der saß neben dem Kamin und musterte unbeeindruckt das Bild. Ich musste mir mehr Mühe geben. Da war der griechische Händler gewesen, der von dem grässlichen Minotaurus geträumt hatte. Das sollte reichen.
Doch so stark Boris war, so gering war seine Vorstellungskraft. Er grunzte, stand auf, holt aus und schlug seine Doppelaxt in die Traumgestalt. Die Schneide krachte in einen Schrank. Der Riese zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder. Zum ersten Mal seit dem Tod meines Meisters war ich ratlos. Unheimliche Geräusche, flackernde Lichter, eiskalte Winde hatte er mir zugestanden. Als beste Verteidigung hatten sich Alpträume erwiesen. Doch dieser Kerl schien dagegen immun.
«Überlasse ihn mir», flüsterte der Alte.
«Dann darfst du bis zu deinem Ende bleiben.»
«Der Handel gilt!»
«Boris, du verschwindest und gestehst dem Grafen dein Versagen. Für den Fall, dass du nicht begreifst, habe ich schon ein drittes Grab geschaufelt.»
«Wusste gleich, du steckst dahinter. Die anderen wollten oberschlau sein. Deinen Kopf abschlagen, mehr ist nicht nötig und schon kann ich kassieren.»
Ich beobachtete fasziniert den Kampf, zu dem ich nicht fähig war. Der ehemalige Söldner zog die Sax, die im Verhältnis zur Doppelaxt winzig aussah. Doch er war ein erfahrener Krieger. Er wich aus, schob Möbel vor den Angreifer, bewarf ihn mit Gegenständen und reizte ihn immer mehr. Schränke, Tische und Stühle gingen zu Bruch. Die Axt spaltete eine Steinplatte des Bodens und zersplitterte ein in den Kamin gemeißeltes Gesicht. Für mich waren das nur Nadelstiche, die aber wegen der Erinnerungen stärker schmerzten, als ich erwartet hatte.
Das Ende kam plötzlich. Der Alte griff einen kleinen, runden Schild von der Wand. Boris grunzte siegessicher und führte einen Hieb mit aller Kraft. Einem direkten Treffer hätte das Metall nie standgehalten. Doch der Söldner drehte den Schild geschickt so, dass die Klinge daran seitlich abglitt. Der Schwung ließ Boris nach vorne taumeln. Die Sax schoss vor und durchtrennte eine Kniesehne. Dem Verkrüppelten den Rest zu geben, war eine Frage von Sekunden.
Der junge Graf wurde von vier Schwerbewaffneten begleitet. Der Alte stand ruhig vor dem Tor, nur die Sax hing an seinem Gürtel.
«Wo sind die Kämpfer, die ich angeheuert habe, das Haus zu säubern?»
«Tot!»
«Und wer, bei allen Teufeln, bist du, Alter?»
«Ich bin der, den das Haus akzeptiert.»
«Du willst mich um meinen Profit bringen? Willst du hängen?»
«Wollt Ihr den Rest Eures Leben von Alpträumen geplagt werden?»
«Du drohst mir? Meine Männer werden … mit mir abziehen und die Botschaft in der Grafschaft verbreiten.»
Der junge Adelige war ein Feigling. Nur eine winzige Prise meiner Fähigkeiten hatte sogar bei Tageslicht gereicht, ihn einzuschüchtern. Oder hatte ich nach den Erfahrungen mit Boris vielleicht etwas übertrieben?
Diesen Abend hängte der Alte die Bilder von Lugos dem Arroganten, Mirinda der Giftmischerin und Boris dem Brutalen auf. Danach legte er sich zum ersten Mal im Bett meines Meisters zum Schlafen nieder. Nach einem guten Abendmahl und reichlich erstklassigem Wein fiel er sofort in den Schlaf. Schon bald zuckte er unruhig im Schlaf und stöhnte. Ich tauchte in seinen Traum. Ich sah das Gemetzel, als Truppen nach einer langen, verlustreichen Belagerung eine Stadt plünderten. Dankbar saugte ich die grausamen Bilder auf. Er würde nie wieder diesen speziellen Traum erleiden. Das war ein Teil unseres Übereinkommens. Doch für einen jeden, der mir nicht den gebührenden Respekt erweisen würde, hatte ich nun weitere Wahnvorstellungen parat, die ich ihm schicken konnte. Mein Meister war ein freundlicher Mensch gewesen. Doch wer ihn verärgerte, an dem hatte er sich mit seiner Macht grausam gerächt. Ich bin nur ein altes Haus am Ende des Rabenweges, aber auf dieses Erbe bin ich stolz.