Seitenwind Woche 1: Gäste im Geisterhaus

Mir ist kalt. Durch das zersplitterte Fenster im Obergeschoß ziehen Herbstwind und Regen ein. Im Kamin nisten Amseln. Die Eingangstür klappert. Kein Wunder, dass ich friere. Meine Holzdielen knarzen, die Wände zittern. Auf der Rückseite versucht der Efeu, mich in einer warmen Decke zu wickeln. Er wächst zu langsam.
Obwohl er gerade beendet ist, vermisse ich den Sommer. Die Sonne, die meine Ziegelsteine wärmt. Der Regen, der die Fenster putzt. Es steigen auch weniger Menschen den Pfad zu mir hoch. Nebensaison.
Mit dem Herbst ändert sich alles. Die Spuckhaussaison beginnt. Kälte zieht ein und bringt Gäste mit. Sie kommen dick eingewickelt in flauschigen Jacken, tragen Mützen, Schals und Handschuhe. Mädchen wärmen ihre Finger an winzigen Taschenwärmern. Nachts leuchten sie mit Taschenlampen. Wenn ich vor Kälte zittere, schreien sie. Wenn sie zittern, schreie ich. Verängstigt rennen die Menschen dann nach draußen und verlieren Mützen, Handschuhe oder Schals. Meine Ausbeute wächst. Ich muss nur noch lernen sie anzuziehen.

###Genug ist genug

Ich sehe Nichts – ich rieche Nichts – und schmecken kann ich sowieso nicht.

Dafür höre ich umso besser.

Heute nehme ich an den Schritten auf der Zugbrücke wahr, es müssen viele Personen sein, die mich besuchen.

„Bleiben sie bitte alle dicht beisammen, dann muss ich nicht so laut sprechen.“

Den kenne ich. Den mag ich nicht. Er stellt sich den Gruppen immer als Hans Dampf in alten Gassen vor und bekräftigt dies mit einem gurgelndem, nicht enden wollenden Lachen. Danach hustet er minutenlang und spuckt dann feucht aus.

„Das machten die früher hier alle,“ kommentiert es das Geschehen.

Ekelig.

Wenn er Jemanden mit junges Fräulein oder nette Dame anspricht, bekommt seine Stimme einen klebrig, säuselnden Ton.

Ansonsten ist er sprachlich beschränkt, erzählt immer das Gleiche über mich und meine Geschichte. Der Lügenbold.

„In dieser Burg lebten sie wie Gott in Frankreich,“ er lacht schon wieder.

An dieser Stelle wurde hart gearbeitet, im Winter gefroren und Gott kam selten vorbei.

„Nun betreten wir den sogenannten Rittersaal. Hier wurde gefeiert und üppig gespeist und sich des Lebens gefreut.“

Nicht ganz, hier wurde auch gehungert, geweint und Leben beendet.

„An dieser Stelle befindet sich die Familiengruft der Von und Zu`s“

Alles Quatsch.

Hier liegen etliche Gebeine gequälter Kreaturen. Denn der angebliche Vorratsraum mit seiner dicken, schweren Tür, war Folterkeller. Kein Schrei drang nach außen.

Mir ist kalt. Ich bin müde.

Ich will das alles nicht mehr hören.

Wenn er heute in die Vorratskammer geht…

Dann ist Ruhe.

So ist es nun mal

Seit gestern sind die Wespen wieder zurück. Ich übertreibe, weil ich in Hochstimmung bin. Es ist die eine Wespe, die mit mir den Winter verbracht hat, die vom vergangenen Jahr. Ich habe nicht gesehen, wo sie war, aber ich habe sie in mir gespürt. In einer Ritze meiner Balken wird sie geschlafen haben. Seit gestern ist sie wach und bessert ihr schadhaftes Nest vom Vorjahr aus. Ich fühle sie an meinem Holz knabbern und höre sie raspeln. Bald wird sie viele Töchter haben und später einige Söhne.
„Sieh mal, das Haus! Wie einsam es ist“, sagen die Leute. Wer den Weg nicht kennt, findet kaum zu mir. Nur selten entdeckt mich jemand im Dickicht zwischen den Bäumen. „Einsam“ sagen sie und bedauern mich wohl. Ich bin nicht einsam. Ich kann nicht zählen. Aber ich weiß, dass es viele Sommer waren, die ich kommen und gehen sah, genug Zeit, die Sprache der Tiere zu lernen. Ich singe mit den Wespen, scherze mit den Mäusen und teile den Spinnen mit, was ich von den anderen weiß. Nur die Ameisen hören mir selten zu, weil sie immer bei ihren Gedanken sind, was es noch zu erledigen gilt. Die Linde ist in meinem Alter. Seit wir uns kennen, nörgelt sie. Sie klagt, wenn der Saft aus den Wurzeln steigt. Es ist ihr zu warm, es ist ihr zu kalt, nur recht, recht ist es ihr selten einmal. Sie schimpft über die Bienen, wenn sie Nektar auf den Blättern verschütten, und der Gesang der Vögel ist ihr zu laut. Sie ist so schön, die Linde, hat das lieblichste Grün und den herrlichsten Duft, und kein Baum besitzt so eine reizende Krone. Doch liebt sie keiner der Bäume.
Wenn die Blätter erst da sind, werden die beiden Kastanien munter und lachen, solange die Sonne scheint.
Nicht lange hin, werden die Mäuse ausziehen und kommen zurück mit dem ersten Schnee. Sie wohnen draußen unter den Wurzeln. Doch sie sind treu und besuchen mich täglich. Geschwätzig sind sie und wissen immer das Neueste. Und sobald sie erneut bei mir wohnen, erzählen sie den Winter lang vom vergangenen Sommer.
„Ob es hier spukt?“, fragen die Kinder. „Hab keine Angst!“, beschwichtigen die Erwachsenen. „Es gibt keine Gespenster.“ „Es gibt Gespenster“, sage ich. „Doch gibt es sie.“ Aber sie hören mich nicht. Hören mein Knacken, hören, wenn Lehm aus den Fugen bricht und sehen nach oben. Noch fällt kein Balken herab. Ich rufe die Mäuse, wecke die Spinnen auf und ermuntere die Asseln. Wenn sie Zeit haben, kommen auch die Wespen hinzu. „Los, zeigt ihnen mal, dass es hier spukt“, rufe ich, und schon sind sie alle entbrannt. Allen voran die Spinnen. Vor lauter Warten werden sie dick, dösen und basteln bisweilen am Netz herum. Ich feuere sie an: „Spuk, mehr Spuk! Los, gebt euch mal Mühe.“ Dann lachen wir, denn Menschen laufen schneller als Mäuse.
Bald, nicht mehr lang, wird es Sommer. Dann werden Sandra und Matthias hier sein, nehmen Besen und Schaufel und befreien die hinterste Kammer vom Schmutz. Es ist die einzige, die noch ein Fenster hat. Dann rollen sie eine Decke aus, umschlingen einander und bleiben so bis zur Dämmerung. Sie sind meine Freunde; ich muss sie schützen, und rufe ich „Gefahr“, sobald jemand kommt, schwirren die Tauben herbei, die Fliegen, die Wespen verdichten die Luft, und auch die Ameisen halten mit. Matthias und Sandra merken von alledem nichts. Es wird ihr letzter Sommer hier sein.
„Das kommt alles weg“, sagte der Mann mit dem weißen Helm, beschrieb einen großen Kreis mit dem Arm, und die anderen nickten.
„Hier führen wir die Stromtrasse durch. In zwei Monaten kommen die Bagger.“
„Alles?“, fragte einer mit einem blauen Helm. „Die Bäume auch?“
„Alles, wir brauchen Platz.“
„Und das Haus?“
„Das auch. Ist sowieso nur ein Rest. War früher ein Gutshof, eine Posthalterstation. Die Scheunen sind weg und die Stallungen, alles. Die Menschen haben das Holz gebraucht. Das hier ist übrig, das war das Gesindehaus.“
Dann trat der mit dem weißen Helm gegen meine Wand. Lehm brach heraus, es staubte, Käfer suchten das Dunkel und die Ameisen ergriffen die Flucht.
„Wird Zeit“, sagte er. „Bricht alles zusammen. Gefährlich das Ganze.“
Dann waren sie weg, die Männer mit den Helmen, und ich warnte die Tiere: „Ihr müsst fort von hier. Bald gibt’s mich nicht mehr. Sucht euch etwas anderes.“
Ich ermahnte sie täglich, doch sie glaubten mir nicht.
„Wir waren schon immer hier, warum sollen wir fort? Es ist schön bei dir. Wir bleiben.“

Haus

„Alle Häuser haben eine Seele!“ Das Mädchen bleibt mitten in der Eingangshalle stehen. „Man muss sich nur dafür öffnen, sie spüren zu können.“ Sie schließt die Augen und breitet die Arme aus. Süß, die Kleine. Vielleicht fresse ich sie zuletzt. Dann hat sie vorher Zeit, meine Seele zu erspüren. Ich lasse unter ihren Füßen eine Diele knacken. Einen Schrei kann sie unterdrücken, doch das tiefe Einatmen zeigt ihren Schrecken. Ich kichere. Die drei Menschlein denken, der Wind würde durch die Ritzen meiner Dachbodenluke pfeifen. Sie rücken näher zusammen. Wie kleine Kaninchen. Wie lustig! Ich sollte mich zusammenreißen, sonst werden sie jetzt schon flüchten wollen. Das wiederum könnte ich mit dem Zuschlagen der Haustür zwar verhindern, doch ich möchte mich erst eine Weile an ihrem Gruseln laben, bevor ich ihre unvermeidliche blinde Panik genieße. Also verhalte ich mich still.
„Habt ihr etwa Angst, ihr Lappen?“, fragt der dicke Junge mit offensichtlich vorgetäuschter Sicherheit. Die Autoschlüssel pressen Abdrücke in seine Handfläche. Er atmet zitternd ein und wagt sich weiter in mein Inneres. Der helle Strahl seiner Taschenlampe vibriert. Die anderen folgen ihm zögernd. Mit dem Fuß stößt er die Tür zur Küche auf. Ich lasse sie für ihn extra schön quietschen. Der Rußgeruch ist hier besonders stark. Die Lichtkegel gleiten über meine schwarzen Wände. Es kitzelt, aber ich halte still. Wie aufregend …! Der große Junge entdeckt die verkohlten Reste von Tisch und Stühlen.
„Der Ofen sieht eigentlich noch gut aus. Außer, dass die Tür kaputt ist“, sagt das Mädchen.
Der Dicke zuckt betont unbekümmert mit den Schultern. „Gusseisen halt. Das hält was aus.“
„Das Problem war ja auch nicht das Feuer, sondern hauptsächlich der Rauch. Und die kaputte Ofentür war der Grund“, erklärt der Große ehrfürchtig.
Falsch. Der Grund war ich.
Ich knalle im Obergeschoss eine Tür zu und genieße ihren Schrecken. Der Große schreit sogar kurz auf. Wieder rücken sie nahe zueinander. Sekundenlang tun sie nichts, außer zu atmen und zu horchen. Ein einziges Geräusch würde nun reichen, um sie aufzuscheuchen wie die Hühner. Aber ich beherrsche mich.
„Wie lange, sagst du, ist das her?“, fragt das Mädchen atemlos. „Ist hier wirklich keiner? Vielleicht ein Obdachloser oder so?“
„Nein“, antwortet der Große beinahe flüsternd. „Außer uns ist bestimmt keiner so blöd und kommt hier rein. Vor allem nachts.“ Sein Blick, und so auch der Strahl seiner Stirnlampe, gelten dem Dicken.
Der besinnt sich durch den subtilen Angriff offenbar wieder. „Ach, ihr Memmen. Das sind doch alles nur Geschichten.“
Och, es gab da schon den ein oder anderen Obdachlosen. Und ein paar abenteuerlustige Teenager. Geschichten sind es nur deshalb, weil niemand am nächsten Morgen von mir berichten kann.
Der Dicke setzt sich in Bewegung, wieder hinaus in die Eingangshalle. „Kommt schon. Ich will jetzt endlich einen Geist sehen. Vorher geh ich hier nicht weg.“
Richtig. Er wird nicht mehr weggehen. Geister gibt es hier nicht. Nur mich. Aber das weiß er noch nicht. Er stößt die Tür zum Wohnraum auf und ich kann jedem von ihnen einen Schrei entlocken, indem ich den Vorhang wehen lasse. Das Bad lasse ich sie erkunden, ohne mich einzumischen. Es ist unheimlich genug. Leider bin ich hier etwas undicht. Der Wasserhahn tropft unentwegt seinen schaurigen Rhythmus in die gusseiserne Badewanne. Rost, Schimmel und anderer Dreck bedecken die Oberflächen und Wände. Meine gelegentlichen Besucher haben ihre Spuren darauf hinterlassen. Ein Gästebuch sozusagen. Es gibt Handabdrücke, verwischte Schriftzüge von unkenntlichen Namen oder Warnungen, kleinere Blutflecken und allerlei andere Grüße, die nur andere Todgeweihte jemals sehen werden. Ein besonders lustiger Kerl mit Brille malte einst ein Gesicht auf den beinahe blinden Spiegel. Die Jahre haben es derart entstellt, dass der Dicke hier wohl am ehesten seinen Geist finden wird.
Mehrere Minuten lang beleuchten sie jeden Winkel und versuchen, die Botschaften zu entziffern. Der leckere Geruch der Angst schwingt immer deutlicher in ihrem Schweiß mit. Eine Weile sehe ihnen zu und hoffe, dass sie sich hier auch verewigen werden. Dann wird mir langweilig. Erneut benutze ich die Dielen im Gang, diesmal, um das rhythmische Knarren von Schritten zu imitieren.
Das Mädchen erstarrt. „Habt ihr das gehört?!“
Fünf, sechs Schritte, dann wieder Ruhe. Und mein pfeifendes Kichern. Sie drückt sich nahe an den Großen. Das Licht ihrer Taschenlampe ist nicht stark genug, um aus dem Bad in die Dunkelheit der Halle vorzudringen. Das seiner Stirnlampe schon. Es gibt nichts, dass sie erspähen könnten. Also wagt sich der Dicke wieder in die Eingangshalle. Seine Hände sind beinahe so kalt wie meine Mauern, doch er kann seine Freunde offenbar täuschen. Mich nicht.
Mit ihm als treibender Kraft beschließt die Gruppe, das Obergeschoss zu erkunden. Die Räume, in denen die Bewohner einst an der Rauchvergiftung gestorben seien. Bei ihren Worten muss ich daran denken, dass ich vermutlich nie wieder etwas so Leckeres genießen werde. Geräuchert und ein wenig geröstet – ein einmaliges Festmahl!
Der Dicke schleicht die Treppe hinauf, das Mädchen folgt ihm etwas langsamer. Der Große zögert. Sein Blick huscht zur Haustür, während seine Freunde um die obere Ecke biegen. Ich nutze die Gelegenheit. Meine Finsternis umhüllt ihn wie klebrige Zuckerwatte. Er kann nicht schreien. Das Licht seiner Stirnlampe ist das Erste, das seine Kraft an mich verliert. Die Dunkelheit überflutet ihn. Mit aufgerissenen Augen und weit offenem Mund verharrt er in einem schaurig schönen Standbild, das ich mir einprägen möchte. Ich kann nicht verhindern, dass meine Außenmauern genüsslich vibrieren. Langsam presse ich alles aus ihm heraus, das eine Verbindung zum Licht darstellt. Lebensenergie, wie manche sagen würden, das Chi, die Aura, oder – für meine kleine süße Nachspeise – die Seele. Ich hatte mir vorgenommen, zu genießen, ertappe mich aber dabei, wie ich das Licht des Menschleins viel zu schnell in meiner Dunkelheit versinken lasse. Wie ausgehungert ich doch nach all diesen Jahren war … Außerdem habe ich ja noch die anderen beiden.
Die tasten sich gerade im Obergeschoss in eines der Schlafzimmer vor. Dort, wo einst die Eltern ihren Tod fanden. Der Dicke sieht sich um. Es ist alles wie damals. Selbst die Bettdecken ruhen in benutzter Unordnung. Der einzige Unterschied ist der abgestandene Geruch des Rauches.
„Wenn sie hier gestorben sind, wo sind dann die Leichen?“, fragt er und leuchtet unter das Bett. Er wird sie nicht finden. Und er wird gleich erfahren, weshalb.
Das Mädchen ignoriert ihn, dreht sich wieder zum Flur und lässt den schwachen Lichtstrahl im Dunkel umherhuschen.
„Max?“
Der kann dir nicht mehr antworten, Schätzchen.
„Maaax?!“
Der Dicke sieht alarmiert zu ihr. Seine Anspannung wächst, droht, in Panik zu kippen. Showtime.
Ich packe ihn, lasse ihm aber seine Stimme. Er schreit. Vor Schreck. Nur kurz, dann ändert sich sein Tonfall. Schmerz. Meine Finsternis umfängt ihn wie eine unsichtbare Schlange. Seine Taschenlampe hebe ich mir für später auf. Die liegt auf dem Boden und beleuchtet unser Schauspiel so perfekt, dass das Mädchen jedes Detail verfolgen kann. Genüsslich sauge ich das Licht Tropfen für Tropfen aus ihm heraus. Die aufgerissenen Augen entlocken mir auch jetzt wieder ein wohliges Zittern. Seine Schreie verblassen zu kläglichem Wimmern. Das Mädchen verharrt in einer Art Schockstarre, als hätte man sie angenagelt. Ihre Mimik zeigt deutlich das Chaos aus Todesangst, blinder Panik und Unglauben, das in ihrem Inneren wütet. Sie wird ein echter Leckerbissen werden. Wenn sie aus der Starre erwacht, wird sie schreien. Und wegrennen. Ich werde sie jagen, bis ihre Seele alle Kraft in die Furcht investiert hat.
Für den Moment jedoch heizt es mich an, dass sie zusieht. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf den Dicken, der nun schlaff und kraftlos in meinen dunklen Armen hängt. Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe gleitet immer mehr durch ihn hindurch, streichelt die dahinterliegende Wand. Nur noch ein Hauch seiner physischen Gestalt ist erkennbar, dann bleibe nur noch ich. Und meine Dunkelheit. Das Mädchen glotzt noch immer auf die Stelle, an der ihr Freund sich gerade aufgelöst hat. Ich habe ihn gefressen. Was ist, kleines süßes Mädchen? Willst du nicht rennen? Ich lasse die Dielen schnalzen und drehe damit die hellere Taschenlampe auf sie. Sie atmet tief ein, bleibt aber stehen. Ich kann in jedem Stein ihren starken Herzschlag spüren.
„Ich habe ein Angebot für dich!“, ruft sie laut, aber mit zitternder Stimme. Ihr Blick ist auf die Taschenlampe am Boden gerichtet. Ihre Eigene ist aus.
Ich muss gestehen, ich bin überrascht. Nun, kleines Menschlein. Sprich und amüsiere mich, bevor ich dich fresse.
„Wenn du mich am Leben lässt, kann ich dir dienen! Lass mich gehen!“
Die Luft, die laut durch meine Dachbodenlucke pfeift, verrät diesmal sehr deutlich mein Lachen.
„Wenn du mich gehen lässt, kann ich dir andere Menschen bringen!“
Alles an ihr zeigt die Angst. Kalte Hände, das Zittern, der Geruch und die starke, stockende Atmung. Trotzdem bleibt sie und spricht mit einem Wesen, das sie weder sehen noch verstehen kann. Sie beeindruckt mich. Vielleicht habe ich es zum ersten Mal mit echtem Mut zu tun.
Sie blickt die Treppen hinunter und sieht, wie sich die Haustür öffnet. Der Ausweg in die Nacht.

Ende
Danny Windstern

In der Dunkelheit hörte man nur ein leises Flüstern.

Schon mehrmals hatten sie mein Haus betreten – sei es als Gäste, Besucher oder vermeintliche Wissenschaftler – und ihre Nachforschungen angestellt. In den finsteren Gemäuern konnte man sich leicht verirren; einige wagten es, andere zögerten. Ihre blassen Gesichter erschienen mir im fahlen Schein der von ihnen mitgebrachten Kerzen, während sie mit ihren eigenartigen Apparaten die heruntergekommenen Gänge durchstreiften. Der Lichtschein der Kerzen erweckte Erinnerungen an vergangene Zeiten in mir.
Das Knarren der abgenutzten Holzböden verstärkte ihre Schritte und begleitete sie mit einem unheilvollen Unterton, den ich nicht länger ertragen konnte. Wie lange sollte das noch weitergehen? Warum konnte man mich nicht in Ruhe lassen?
Jetzt ist Schluss!
Ich werde sie die frostige Berührung meiner unsichtbaren Hand spüren lassen, sie sollen gespenstische Schatten flüstern hören. Unbekannte Geräusche sollen ihre Herzen rasen lassen. Das Geisterhaus, mein Zuhause, muss seine düsteren Geheimnisse wahren.

Doch die vermeintlichen Gäste, Besucher oder Wissenschaftler wagten sich weiterhin in die unheimliche Finsternis, auf der Suche nach Antworten, die sie vielleicht niemals finden würden …

Das Dunkel im Inneren

Ich erwache mit der Nacht. Draußen im Wald ist es nun genauso dunkel wie in mir drin. Meine Fensterläden sind verschlossen. Ich habe mich von der Welt abgeschottet, niemand soll mehr in mein Innerstes vordringen, denn darin ist nichts mehr, seit…

Doch so sehr ich es auch möchte, so schaffe ich es nicht ganz, das Leben dort draußen völlig auszuschließen. Immer mehr Spinnen krabbeln durch die Risse in meinem Mauerwerk und die zersplitterten Fensterscheiben im Erdgeschoss, gefolgt von Käfern und sogar Ratten. Doch sie sind mir willkommen, sind sie doch genauso Geschöpfe der Nacht, wie ich es nun bin.

Der Wind weht seufzend durch mein Dachgebälk, als ich mich wehmütig an meine Tage in der Sonne erinnere. Es waren meine Tage mit ihr, meiner Familie. Kurz klappern erregt meine Fensterläden, als ich mich an die freudigen Tage mit lautem Kindergeschrei und lautem Lachen erinnere. Mir wird ein wenig warm im Kamin, doch das aufkeimende Glücksgefühl wird sofort gedämmt, als ich mich an die schrecklichen Ereignisse erinnere. Die Ereignisse, die mich zu dem machten, was ich heute bin, zum Horrorhaus, zur Geistervilla oder wie sie mich noch nennen.

Der Ruf einer Eule ertönt von außen. Ich konzentriere mich vollkommen darauf, um die schlechten Gedanken zu vertreiben. Ich muss mich auf meine Mitte konzentrieren. Ich ziehe den Wind kräftig ein…2….3…4… und wieder aus …2… 3… 4, ein… 2… 3… 4…, aus….

Was ist das? Im Wald ertönen neue Geräusche. Es ist nicht mehr die Eule und auch sonst kein Tier des Waldes. Es sind menschliche Stimmen, die viel zu laut tönen zu dieser nächtlichen Zeit. Das kann nur eines bedeuten: Sie sind auf dem Weg zu mir. Das sind sie immer, wenn sie um diese Zeit unterwegs sind. Nachts ist es gruseliger. Nachts offenbart das grausame Haunted Haus, Schauort eines Mordes an einer ganzen Familie, seine dunkelste Seite. War nicht schließlich auch der Mord in der Nacht passiert? Hat der Vater, nachdem er seinen Job verloren hatte, nicht mitten in der Nacht seine Frau, seine Kinder und dann sich selbst erstochen? Und nun kommen sie wieder, um noch etwas von der Grausamkeit des Verbrechens zu erspüren. Sie wollen die Blutspritzer sehen, die noch immer die Wände der Kinderzimmer beflecken und den verfärbten Boden, der noch nach dem Lebenssaft des Vaters und der Mutter schmeckt. Doch ich werde sie nicht hereinlassen, diesmal nicht.

Schon mehrfach ist es solch schaulustigen Gaffern, die sich selbst für Abenteurer hielten, gelungen, in mein Innerstes vorzudringen. Sie machten Fotos von meiner befleckten Seele. Die Blitze ihrer Smartphones ließen mich erschauern, so dass meine Böden laut knarzten und mein Mauerwerk vor Kummer weiter einriss. Doch statt meinen Kummer zu sehen und den Schmerz, den sie mir zufügten, quiekten und lachten sie nur schrecklich, so dass meine Fensterläden vor Schreck klapperten. Doch auch nun hörten sie nicht auf, sondern erfreuten sich daran, sprachen gar von Geistern, die mich bewohnen sollten. Geister gibt es in diesem Haus wirklich, die der Vergangenheit und meinen eigenen, gebrochenen Geist.

Nein, noch einmal werden sie sich nicht an meinem Leid ergötzen. Es reicht. Ich muss ein Zeichen setzen, damit mich nicht wieder und wieder Abenteurer wie diese heimsuchen.

Mit jedem Meter, den die Stimmen näher kommen, reift in mir ein Plan. Vorsichtig prüfe ich, ob meine Dachziegel noch immer locker sitzen und ob ich sie mit meinem Willen bewegen kann.

Ein lauter Knall bestätigt mir, dass ich in der Lage bin, mich zu verteidigen.

„Was war das?“, ertönt eine ängstliche Frauenstimme. „Kam das von dem Geisterhaus?“

Vielleicht habe ich Glück, vielleicht reicht der Lärm schon, um mir die Menschen vom Gemäuer zu halten. Vielleicht muss ich nicht mit noch mehr Blutgeruch leben. Doch meine Hoffnung erfüllt sich nicht.

„Die Geister heißen uns willkommen“, lacht eine tiefe Männerstimme. „Du hast doch nicht etwa Angst?“

„Angst, ich?“, antwortet die Frau. „Niemals. Lass uns ein paar Geister jagen.“

Sie ahnt ja nicht, dass Angst auch etwas Gutes sein kann. Hätte die Mutter meiner früheren Familie auf die Angst gehört, die sie mehr und mehr ergriffen hatte, als ihr Mann nach seiner Kündigung immer tiefer und tiefer in seiner Depression versank, dann könnten sie alle noch leben, sie, die Kinder und vielleicht sogar er, an den ich nicht mehr denken kann, ohne zu erschauern.

„War das gerade ein Erdbeben?“, überkommt die Frau nun wieder die Angst. „Wir sollten nicht in ein so altes Haus gehen, wenn die Erde bebt, findest du nicht?“

„Seit wann gibt es denn hier Erdbeben? Das sind nur deine Beine, die Zittern vor Angst, nicht wahr? Aber keine Sorge, ich pass schon auf dich auf.“

Damit besiegelt der Mann ihrer beider Tod, denn mein Entschluss steht genauso fest, wie meine Mauern es nach über 10 Jahren ohne Besitzer, die sich um mich kümmern, mich renovieren, heizen und bewohnen, noch tun. Was sind schon Risse im Gemäuer, solange die Steine noch aufeinander sitzen. Doch vielleicht kann ich irgendwann ja auch diese Stück für Stück von mir werfen, so wie ich es nun mit den Dachziegeln tun werde.

Der Mann und die Frau stehen vor meiner Tür. Sie scheinen ein Paar zu sein, denn sie halten sich an der Hand. Dann löst der Mann die Hand von der Frau und greift nach meinem Türgriff. Ich heule auf vor ekel. Ich will keine Fremden in mir drin. Niemand darf mehr über die Pforte in mein Inneres dringen. Ich muss jetzt handeln. Vielleicht gelingt es mir ja, nur den Mann unter meinen Ziegeln zu begraben. Dann wird die Frau sicherlich verschwinden.

Ich strenge mich an die richtigen Dachziegel zu erfühlen. Ja, direkt über dem riesigen Kerl sind gleich mehrere Ziegel lose. Mit viel Glück, fallen alle gleichzeitig auf ihn hinab und begraben ihn unter sich. Ob viel Blut spritzen wird? Wieder überkommen mich die Erinnerungen. Ich heule nicht nur auf, nein, ich jaule. Ich möchte diese Bilder nicht mehr vor Augen haben, den Schmerz nicht mehr spüren. Ich will doch einfach nur alleine sein in der Dunkelheit, die Schwärze genießen, die das Rot aus meinen Gedanken wischt.

Plötzlich fühle ich noch eine Hand auf mir. Sie ist zart und sie scheint mich zu streicheln. Mein Jaulen verstummt, so überrascht bin ich.

„Wow, du bist ja eine Gespensterbändigerin, wie mir scheint“, lacht der Mann über die Frau, die meine Fassade streichelt, denn auch er hat wahrgenommen, das mit der Berührung alle für ihn so schaurig klingenden Geräusche, die doch nur Ausdruck meiner inneren Qual sind, verstummt sind.

„Ich glaube nicht, dass es hier Gespenster gibt“, spricht die Frau zu ihm und klingt dabei viel ruhiger. „Es ist das Haus selbst, es leidet.“

Ein kleiner Funke glimmt in meinem Kamin auf. Kann es sein, dass sie mich versteht? Das sie meine Gefühle kennt?

„Soso, das Haus leidet“, nimmt der unsympathische Kerl sie kein bisschen ernst. „Ist das jetzt deine Ausrede, warum du nicht rein willst? Mir kannst du doch sagen, wenn du Angst hast.“

„Sie dir doch die Mauern an, sie haben Risse. Die Fenster, sie sind kaputt und die Dachziegel da oben erscheinen mir mehr als lose“, sagt die Frau und zieht ihren Begleiter ein paar Schritte zurück. Ich versuche zwar noch schnell, einen Ziegel abzuwerfen, aber die nutzlosen Dinger klappern nur ein wenig.

„Das Haus ächzt unter seinem Zustand und vielleicht auch unter dem, was es erleben musste. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was es gesehen und gehört und hat“, fährt die Frau fort.

„Du tust gerade so, als hätte das Haus Gefühle“, meint der Mann zu ihr.

„Ich weiß nicht, ob es Gefühle hat“, lächelt die Frau nun. „Aber es hat Charakter. Sieh dir nur diese Mauern an, das ist noch echte Handwerkskunst. Der Putz muss einst wunderschön gewesen sein und für so grazil verzierte Holzfensterläden wie diese, würdest du heute ein Vermögen zahlen. Das Haus hier ist noch immer wunderschön, auch wenn die Zeit und die Menschen ihm so zugesetzt haben.“

Ich spüre, wie der Funke in meinem Kamin zu einer Flamme wird. Sie versteht nicht nur meine Emotionen. Sie findet mich schön. Dieses warme Gefühl das mich nun umgibt, hatte ich seit einem Jahrzehnt nicht mehr.

„Schatz, ich könnte mir wirklich vorstellen, dass wir das Haus kaufen und rennovieren. Wir könnten unsere Kinder darin großziehen. Ihnen würde es hier im Wald bestimmt gefallen. Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie hier lachend durch das Haus rennen, wie sie im Garten spielen, wie wir alle hier glücklich sind.“

Kann das wirklich sein? Werde ich eine neue Familie bekommen? Werde ich wieder spüren, wie Kinderfüße über meine Böden trippeln? Wird wieder unschuldiges Lachen von meinen Wänden hallen?

Mein Kamin lodert nun vor Freude. Ich kann mein Glück kaum fassen. Meine ach so kalten Gemäuer, sie erwärmen sich nach all den Jahren wieder. In mir ist es auch nicht mehr dunkel. Es wird heller und heller. Das Licht des in mir entfachten Feuers, es ist, als würde es sich nun vom Wohnzimmer aus auch auf die anderen Räume in mir ausbreiten. Wärme und Licht sind nun überall in mir, sie ergreifen Besitz von mir.

Ich spüre wie die Spinnen, Käfer und Ratten aus meinen Gemäuern flüchten, denn ich bin nun kein Geschöpf der Dunkelheit mehr. Ich bin das pure Licht, die pure Wärme, die pure Liebe. All die Schatten der Vergangenheit werden regelrecht ausgebrannt aus mir.

Das Blut an den Wänden und auf dem Boden verbrennt genauso wie die Erinnerungen an alles. Die Frau und der Mann, sie weichen von mir und starren mich ungläubig an. Das Licht in mir flackert nun auch in ihren Augen. Als ich merke, dass ich mit meinem Licht auch sie erhellen kann, dringen die Wärme und das Licht aus mir heraus. Ich möchte dieses Gefühl mit allen teilen.

Mir ist klar, dass ich verbrenne. Ich bin zwar nur ein Haus, aber ich spüre, wie das Feuer meine Substanz frisst. Und dennoch ist es für mich pures Glück. Nach all den Jahren im Dunkeln, allein mit der Grausamkeit der Erinnerungen, darf ich nun gehen. Und ich gehe mit Wärme und Licht. Mein Feuer wird um sich greifen und auch den anderen Wesen der Nacht in diesem Wald Licht spenden. Nichts wird mehr an diesen Ort und seine Schatten erinnern. Es werde Licht.

Das Haus, am Ende der Straße

Es sei verflucht, dieses alte Haus, am Ende der Straße auf der Anhöhe. Vergiss es, es bringt dir nur Unglück, hatten sie gesagt. Niemand wusste, wann das letzte Mal jemand in diesem Haus gewohnt hatte. Wann das letzte Mal jemand nach dem Rechten gesehen hatte. Es war einfach da. Sehr lange schon. Auf diesem Hügel. Alt, verwittert, verflucht.

Ich hätte auf sie hören sollen. Ich hätte nicht herkommen sollen, nicht reingehen dürfen. Ich war zu neugierig. Ich war furchtlos. Ich war naiv.

Das Geheimnis des Anwesens hatte mich gelockt. Es hatte mir zugeflüstert. «Komm her», hatte es gesagt. «Finde heraus, was mit mir ist. Woher ich komme. Warum niemand mehr hier ist.» Jedes Mal, wenn mein Schulweg mich an der Anhöhe vorbeiführte, spürte ich dieses Kribbeln. Tag für Tag war diese Stimme in meinen Gedanken, die mich rief. Die mich an knarzende Balken, quietschende Türangeln und schlagende Fensterläden erinnerte. Dunkel, böse. Aber doch unfassbar anziehend und faszinierend.

Ich war hineingegangen. Eines Tages. War fasziniert von den uralten, verfallenen Möbeln. Hatte Staub aus den alten Teppichen aufgewirbelt und in jeden Schrank geguckt. Diese knarzende Stimme hatte mich Willkommen geheißen. Sie hatte sich gefreut, dass ich da war. Und ich freute mich, dass das Haus sich freute.

Selbst vor dem Keller machte ich nicht Halt. Das Haus wollte, dass ich dort hingehe. Lichter an den Wänden flackerten und wiesen mir den Weg. Wollte ich andere Zimmer aufsuchen, schlossen sich die Türen. Fast glaubte ich, dass auch die Teppiche meine Schritte lenkten. Angst verspürte ich immer noch nicht. Es lag ein unbeschreiblicher Friede in der staubigen Luft, der mich beruhigte.

Vorsichtig ging ich die Treppe zum Keller herunter. Jede einzelne Stufe knackte und krachte bei meinen Schritten, doch dem alten Haus schien es zu gefallen. Im Keller war es finster. Nur ein kleines, weißes Licht schwebte am Ende des Ganges. Es flackerte und hüpfte hin und her. «Du hast mich gefunden», sagte die Stimme in meinem Kopf. «Es ist so schön, endlich wieder Gesellschaft zu haben». Ich ging näher, ich streckte meine Hand aus. Und plötzlich war da Dunkelheit. Schwärze. Nichts.

Ich hätte nicht herkommen sollen. Sie suchten zwei Wochen nach mir. Meine Eltern, meine Freunde, die Nachbarn und die Polizei. Jeden Tag gingen sie an mir vorbei. Betrachteten mich aus der Ferne. Aber niemals kam jemand, um mich zu betreten. Ich rief sie. Meine Mutter, meinen Vater. Doch kein Ton verließ meine Mauern. Ich war stumm. Ich versuchte zu winken. Doch für sie war es der Wind, der meine Haustür öffnete und wieder schloss. Ich begann zu weinen. Doch Außenstehende sahen nur, wie meine Fenster beschlugen.

Dutzende Jahre stehe ich nun hier, sehe die Leute kommen und Gehen. Bin einsam. Verlassen. Vermodert. Und ich vergesse. Wer ich war. Und was mich zu dem hier machte. Dem Anwesen auf der Anhöhe, am Ende der Straße. Ich will nicht vergessen. Ich brauche jemanden, der mich daran erinnert, wer ich bin. Ich öffne meinen Geist, ich sehe mich um. Ist das da ein kleines Mädchen auf dem Weg zur Schule? Mit ihren Freunden? «Hallo, kleines Mädchen. Möchtest du meine Freundin sein»? Es sah mich an. Deutete auf mich und sprach mit ihren Freunden. Kribbelnde Gänsehaut lief über ihren Körper. Ich seufzte. Sie wären meine Freiheit. Ich, ihr Verderben! «Kommt!»

Pomm - Pomm - Pomm

Ich kann sie spüren.
Hören kann ich sie noch nicht. Aber spüren.
Sie kommen näher.
Ich spüre ihren Herzschlag.
Pomm - Pomm - Pomm.
Sie spüren meinen nicht.
Wenn sie es könnten, würden sie nicht näher kommen.
Sie würden umdrehen - und rennen.
Pomm - Pomm - Pomm.
Gleich sind sie nah genug.
Gleich.
Ich muss mich gedulden.
Gleich.
Ich muss mich nicht vorbereiten.
Zu lange habe ich auf diesen Moment gewartet.
Pomm - Pomm - Pomm.
Sie sind da.
Jetzt sind sie mein.

„Lost Place“ oder „Lost Soul“

Das Licht von Taschenlampen blendet und leise knirschende Schritte erklingen auf dem Kiesweg zur vorderen Veranda. Ich ernte staunende Blicke mit offenen Mündern, als sie mich zum ersten Mal betrachten. Diverse Regungen sind schemenhaft zu erkennen in den drei Gesichtern: Furcht, Entschlossenheit und Neugierde, aber auch Befangenheit bei ihnen allen.

Ja, Ich habe Türen, die nicht richtig schließen und Fenster die nicht richtig öffnen. Ich habe offene Wunden und bin ein Teil von abgeschlossenen Geschichten, die ihr nur erahnen könnt.

Nie war ich ein wohliges Zuhause und nie hatte ich enge Vertraute, doch das wisst ihr nicht.

Wer mich sieht, den schrecke ich ab oder ziehe ich wie magisch an.
Googlest ihr in meiner Stadt „Lost Places“ seht ihr dort mein Portrait, entsprechend inszeniert, im Setting eines Gewitters mit zitternden Blitzen und prasselnden Regen am Ende des Rabenweges stehen.

Doch bin das wirklich ich? Ein altes Haus mit morschen Balken, knarrenden Dielen und einer dunklen Seele oder ist das alles nur eine Maskerade die ich trage?

Tretet ein und findet es heraus, wenn ihr euch traut.

Ein Häuschen im Wald

›Ich glaube, es hackt!‹ Geht es erregt durchs Gebälk. Und in der Tat hackte es. An der Tür, schwere mächtige Hiebe. Die morschen Eichenbalken der Tür barsten überraschend leise, triefend vor Feuchtigkeit. Mit jedem dumpfen Hieb ein wenig mehr. ›Klopfen hätte es auch getan,‹ flüstern die feuchten, modrig duftenden Wände aus nacktem Stein, die über und über mit kränklichen Flechten überwuchert waren, ›ist ja nicht so, dass diese Tür ausschließen soll.‹ Zwei finstre Gestalten in abgetragenen Regenmänteln stiegen in ihren verschlammten Stiefeln vorsichtig über die traurigen Überreste ihres Werks, ihren Dreck auf den ohnehin verdreckten Boden verteilend. Die Tatwaffe glänzt feucht, in dem bisschen Licht, dass der Mond freundlicherweise durch den Eingang und die vor Staub klebenden, stümperhaft vernagelten Fenster schickt.
›Klopfen, klopfen, klopfen,‹ wiederholen die unheilvoll ächzenden, schwarz verfärbten Holzbalken im Chor. Die kleinere der Gestalten drängte sich eng an die andere, sichtlich erfüllt von Unbehagen und sich den dicken Bauch haltend. »Wolln wir nicht lieber wo anders…« Die andere raunzte nur »Nein, außer du willst im Regen schlafen.«
›Warum nicht? Tu ich doch auch und ich bin nicht mal ganz dicht im Oberstübchen. Aber fein, euer Glück soll mein Schaden nicht sein. Nein, nein.‹
Langsam, quietschend, scheinbar vom Zug eines kaum wahrzunehmenden Lüftchens angestoßen, glitt die Tür, die in die Eingeweide des alten Häuschens führt, auf. Fast einladend, bei tropfender Decke, zerstörter Tür. Eine ewige Weile lang beobachtete das Haus, stillschweigend und abschätzend, wie diese zwei beiden sich entscheiden würden. Sogar der verrußte Kamin hielt die Luft an, bis er pfeifend einen Seufzer der Erleichterung ausstieß, als die größere Gestalt, die andere nun doch vorsichtig wieder Richtung Ausgang schob.
›Ich habe dem verräterischen Kamin nie getraut‹ zischt es aus dem Keller und zornig knarrte und ächzte das Haus dem Pärchen hinterher, wütend mit den Schindeln klappernd, die ihm geblieben waren.

Das einsame Haus

»Besucher!«, freute sich das alte Haus und klapperte wild mit den baufälligen Fensterläden.
Die drei Menschen zuckten ängstlich zurück. Schnell beruhigte sich das Haus wieder. Zu häufig hatte sie schon Gäste verschreckt, weil sie vor Freude zu überschwänglich geklatscht hatte. Aber selten verirrten sich ein paar Menschen ans Ende des Weges. Hier gab es nichts als Raben. Raben, die krächzten, Raben, die dem alten Haus auf die Schindeln pickten und Raben, die überall ihren Unrat hinterließen. Das Haus hasste die Raben.
»Jetzt geh schon rein, wenn du bei uns mitmachen willst«, drängt einer der Jungs und schob ein Mädchen vor.
Das Haus konnte nicht an sich halten. Mit Freuden warf es die Tür auf und ließ einen mit Löchern übersähten, roten Teppich die Treppenstufen hinabrollen.
Dem Mädchen entfuhr ein spitzer Schrei, dass das Haus sich erschreckte. Aber es wurde erbarmungslos von dem Jungen weitergeschoben.
Unsicher nahm sie die Stufen bis zum Eingang und trat ein in die große Eingangshalle, wo vor vielen Jahrhunderten rauschende Empfänge gegeben worden waren.
Hach, was hatte das Haus diese Zeit geliebt!
Es schwelgte so sehr in melancholischer Erinnerung, dass es fast unbewusst das alte Klavier wieder zum Spielen brachte. Das gab dem Mädchen den Rest. Sie wandte sich hastig um und nahm reißaus. Die beiden Jungs waren schon längst nicht mehr da.

Und wieder blieb das Haus alleine zurück, einsam und traurig. Aber das Haus würde geduldig warten, bis eines Tages wieder Besucher kommen würden. Und dann wäre das Haus nicht mehr einsam.

Zimt und Vanille

Sie kamen an einem Freitag, es war der 13. Tag im Herbstmonat. Ein warmer Tag hatte mein Dach beschienen und meine Mauern erwärmt. Vögel zwitscherten am Dachfirst.

Ich kann sie ja nicht sehen, aber hören und riechen kann ich sie.

Ich hörte das Knarren der Vordertür und dann kichern, lachen und reden. Mutig klangen sie.

Durch die Tür wehte der Herbstwind Blätter in mich hinein, es roch nach Kastanien, feuchtkühler Luft…und Zimt und Vanille.

Dann schlug einer der mutigen Abenteurer die Tür zu und helle Taschenlampen erhellten mein Inneres. Sie besprachen sich. Eine Stimme fiel mir besonders auf: Hell, klar und sanft.

„Frederic, das Haus ist wunderbar! Schau mal, der Stuck an der Decke! Wow! Und da, die Leuchter an den Wänden! Wunderschön!“

Sie klang ehrlich begeistert.

„Also, ich find’s jetzt nicht so…da blättert die Tapete ab und es riecht muffig. Da ist bestimmt der Schwamm in den Wänden.“ Die Stimme klang gelangweilt und ein wenig hochnäsig. Ich mochte diese Stimme nicht.

„Aber Frederic! Das ist ein altes Haus, was erwartest Du denn? Ein 5 Sterne Luxushotel?“

Ich hörte nur ein Schnaufen der unsympathischen Stimme.

„So, jetzt hört mal auf! Wir teilen uns jetzt auf, jeder sucht sich einen Raum und macht sein Zeug.“

Die Stimme war ruhig und dunkel und strahlte Autorität aus.

„Ich geh’ mal nach oben. Ich glaube, da oben waren die Schlafzimmer und ich möchte gerne so ein altes Schlafzimmer zeichnen und fotografieren.“

Da war sie wieder, die sanfte Stimme.

Im nächsten Moment knarrte meine Treppe, ich spürte die leichten Schritte.

Und dann durchfuhr mich ein Schauer!

Beim Eintreten in eines meiner Zimmer streifte sie meinen alten Türrahmen. Und ich roch Zimt und Vanille. Ich erinnerte mich an diese Düfte, ich dachte an Weihnachten, an Kerzenschein, an Wärme und Lachen. Ein Kitzeln, ein wohliges Gefühl…

Leichte Schritte ins Zimmer hinein und dann…strich das Wesen mit der sanften Stimme über alte Wände mit Seidentapeten.

In mir entbrannte ein Wunsch: Ich möchte diese Stimme behalten.

Ich verschloss die Vordertür, ich verschloss alle Fenster.

Ich hörte mehrfaches Klicken und die Stimme räusperte sich. Ich hörte sie murmeln.

„So wunderbare Tapeten, diese Muster! Ich glaube, die nehme ich für mein Architektur-Projekt. So, dann werd’ ich die mal zeichnen.“

Ich hörte sie herumkramen und dann nur noch leise Geräusche.

Ich atmete diesen Duft ein. Vanille, Zimt und noch etwas Frisches.

Im Erdgeschoss sprachen die männlichen Stimmen, die Arrogante und die Dunkle. Ich mochte weder die eine noch die andere.

Die dunkle Stimme bewegte sich in Richtung meiner alten Küche. Es wurde etwas auf meinem Herd abgestellt. Ich ließ die Hintertür aufschwingen.

„Nanu? War wohl nicht richtig zu.Wohin geht denn diese Tür?“

Die dunkle Stimme bewegte sich auf die Tür zu und trat hinaus auf den Hof. Noch einen Schritte weiter, die Stimme bewegte sich weiter hinaus.

Ich ließ die Tür zufallen.

Mir fiel ein, dass meine Dielen im Salon schon lange morsch waren. Die gelangweilte Stimme war dort im Salon, ich hörte sie umhergehen.

Zunächst ließ ich mit einem heftigen Luftzug die Zimmertür zufallen.

„Oh man…“, der arroganten Stimme gelang es nicht, die Tür zu öffnen.

„Philip? Die verdammte Tür ist ins Schloss gefallen, kannst du mal von außen ziehen?“

Nichts geschah.

„Philip? Verdammt, komm’ schon!“

Die Stimme drehte sich um, sie wollte wohl zum Fenster, als die Dielenbretter zerbarsten.

Das Wesen war zu überrascht, um zu Schreien und verschwand im nächsten Moment zwischen dem alten Gerümpel im Keller, ein merkwürdiges, leises Knacken war zu hören, gefolgt von einem Stöhnen, dann nur noch Stille.

Leise, leise zog ich die Tür im oberen Zimmer zu.

Die sanfte Stimme von Zimt und Vanille hatte es nicht bemerkt.

Sie wusste es noch nicht, aber jetzt war sie mein.

Monika Rapka

Mein altes, rostiges Tor quietscht laut und erschreckt meine Raben. Einige fliegen aufgeregt umher, andere stoßen empörte, krächzende Schreie aus. „Ruhig, meine Kinder… nur ruhig. Niemand erschreckt euch ungestraft.“
Ich höre das aufgeregte, mühsam unterdrückte Kichern der Menschen. Schleichende Schritte lassen das trockene Laub rascheln. „Ihr Dummköpfe! Ihr glaubt, alleine zu sein? Ihr glaubt, ihr könnt ungeladen mein Reich betreten? Ihr meint, ungestraft umherschnüffeln zu dürfen? Nun gut, dann tretet ein. Willkommen im stolzen Rabenhorst.“

Meine Sinne öffnen sich und meine Wände atmen ein. Balken knacken, halboffene Türen bewegen sich knarrend. Nur eine winzige Bewegung und ein wenig ausgetrockneter Putz rieselt von meinen alten Wänden. Herrlich. Ich spüre, dass sie zögern.
„Nur zu, kommt näher! Diese Nacht ist perfekt, nicht wahr? Das Mondlicht ist hell genug, um lange Schatten zu werfen, die ihr mit euren albernen Handylampen durchbrechen wollt.“ Immer wieder lasse ich eines meiner Kinder krächzen und mit dem Schnabel klappern. Raben sind sehr kluge Tiere. Sie wissen, dass ich für sie sorge.
„Du! Ja, du… der lange, dürre Mensch mit der Kapuze auf dem Kopf! Dich interessieren meine Fenster? Jaaaa… noch ein paar Schritte. Ist es nicht seltsam, dass dieser Fensterladen wackelt obwohl kein Wind weht? Schau es dir an!“ Ihr Menschen nennt es einen Wimpernschlag. Ich nenne es Fensterschlag. Schnell und kräftig, genau im richtigen Augenblick. Das knackende Geräusch kommt nicht von meinem Fensterladen. Aber ich liebe es.

Die anderen sind erschrocken. Sie rufen einen Namen und fuchteln suchend mit ihren Handys herum.
„Verteilt euch im Park und sucht weiter. Oder kommt endlich herein“. Ich habe viele Räume und noch mehr Keller unter mir. Sogar unter dem Gartenboden. Früher hat man dort Vorräte aufbewahrt. Ich nutze sie ebenso. Vorräte für meine Kinder.
Ein Mensch hat meinen Rosengarten entdeckt. Er ist ein wenig verwildert, aber die Rosen gehorchen mir. Sie greifen mit ihren dornigen Zweigen nach ihm und je mehr er zerrt und um sich schlägt, desto mehr Dornen verfangen sich in seiner Kleidung. Sie stechen schmerzend in seine Haut und zerreissen sie. Er wird panisch und stolpert genau in die richtige Richtung. Die Brunnenmauer ist schon ziemlich heruntergebröckelt, sodass man leicht darüber fallen kann, wenn man nicht aufpasst. Und schon ist es geschehen. Ich lausche verzückt und meine Wände stöhnen vor Wonne.
Der Dritte wollte gerade mein Innerstes betreten und hält inne. Mit angehaltenem Atem lauscht er und flüstert schließlich vorsichtig einen Namen.
„Du Narr. Wenn du flüsterst, hört dich doch niemand! Du solltest schreien! Meine Kinder zeigen dir, wie es geht.“ Die Raben schreien krächzend durcheinander. Einige landen auf der Brunnenmauer. Andere am Fenster. Ich kann die Angst beinahe riechen, die der Bursche an meiner Tür verströmt. Aber offenbar bin ich nicht mehr so verlockend, wie ich es mal war. Nun, ich komme schließlich auch langsam in die Jahre. Aber ich könnte ihm ein wenig helfen bei seiner Entscheidung. Einladend öffnet sich die Tür, an der er immer noch steht. Ich gebe zu, dass das Knarzen, mit dem sie sich öffnet, nicht ganz so einladend ist. Erschrocken gafft der Dummkopf auf die Tür und ruft hinein in der Hoffnung, sein verschwundener Freund würde ihm aufmachen. Na endlich, er wagt einen Schritt hinein. Hat er gerade gesagt, hier drin würde es muffig stinken? ICH würde muffig stinken?
Was zu viel ist, ist zuviel. Dieser Mensch betritt mich nicht! Empört knalle ich die Tür wieder zu. Was kann ich dafür, dass er ihr im Weg steht? Ich kann auch nichts dafür, dass er so klein ist. Der eiserne Rabenkopf mit dem spitzen Schnabel, der als Zierde an der Tür hängt, ist genau in seiner Kopfhöhe, als die Tür ihn erwischt. Unschön. Aber er ist selbst schuld!

Der Vierte im Bunde hat leider genau zum falschen Zeitpunkt den Weg zur Tür erreicht und das Desaster mit seinem Handy beleuchtet. Er ist schockiert und schnappt nach Luft. Dann flucht er in höchst unmanierlicher Weise. So ein unflätiger Bauer! Er wird mein Haus ebenfalls nicht betreten! Das will er offenbar auch gar nicht. Er macht auf dem Absatz kehrt und beginnt zu rennen. Dabei schwenkt er seine Handyleuchte so unruhig, dass er den Weg nicht sieht. Nun gut, der ist auch wirklich schwer zu sehen bei all dem Laub und Moos, das sich dort angesammelt hat. Ich kann das nicht ändern, der Gärtner liegt schon seit 80 Jahren faul in einem meiner Vorratskeller.
Der Mensch rennt auf das Haupttor zu. Ich bin etwas besorgt. Noch nie hat jemand ohne Erlaubnis mein Reich verlassen. Noch während ich überlege, stolpert er über eine Baumwurzel und stürzt. Sein Genick kracht. Das klingt nach einem bemerkenswerten Schaden. Ups… das war ich nicht!
Ich entspanne mich wieder und lasse ein paar Ziegel knirschen. Meine Fensterläden beruhigen sich. Die Rosenbüsche rascheln nicht mehr. Meine Raben fangen an sich zu streiten, während sie herumhüpfen. So liebe ich es. Spielt nur, meine Kinder. Hier seid ihr sicher. Dafür sorge ich schon, wie ich es vor 200 Jahren einst versprach.

Bevor ich zum Haus wurde, gehörte das Haus mir. Jetzt erinnert nur der dunkle Blutfleck an den Kaminziegeln im Wohnzimmer daran, wie meine Seele einst aus meinem Körper entwich, um in den Wänden von Scottsborough Manor auf Rache zu sinnen.
Das Quietschen der alten Eingangstür reisst mich aus dem ewigen Traum, in dem ich gefangen bin. Sinclair du Teufel, sind es deine Lederstiefel, die meine rissigen Kacheln beschmutzen? Wagst du es, an den Ort zurück zukehren, an dem du mir einst das Leben genommen hast, um dich an meinen Besitztümern zu bereichern?

Ein Poltern, ein Fluchen, mein Fokus richtet sich auf die dürre Gestalt, die durch den Flur schleicht. Die braunen Haare, die langen Finger mit den brüchigen Nägeln, wenn Sinclair nicht schon seit über hundertfünfzig Jahren tot wäre, könnte man meinen, er sei es, der sich hierher zurück gewagt hatte. Wind streift durch die zerbrochenen Scheiben, erfüllt mich mit neuer Energie, ich spüre die Wurzeln der Bäume, die sich in meine Keller graben, die Mäuse auf den Balken des Dachbodens.
Wenn es nicht Sinclair ist, warum hat er dieselbe flache Nase, den gierigen Ausdruck und dieses Funkeln in seinen Augen, verstärkt durch das Schimmern des Mondes, als er ans Fenster tritt. Er hält an, hockt sich hin und reisst an einer losen Planke. Schmerz durchzuckt mich, als das Holz nachgibt und ich erinnere mich - mein Schatz! Meine Hochzeitsjuwelen, die Kette, der Ring! Und richtig, triumphierend richtet er sich auf, sein Lachen echoet im Raum und ich ächze, als er den Staub von der Schatulle pustet. Das gehört mir, es ist meins - schreie ich, aber alles, was zu hören ist, ist ein Knarren im Gebälk.
Und dann verstehe ich: Es ist nicht Sinclair, der mich meines Schatzes berauben will, sondern ein Nachkomme. Ebenso unersättlich, ebenso skrupellos. Und er kennt mein Geheimnis. Die Erkenntnis durchflutet meine Adern, mobilisiert sämtliche Energie. Der Eindringling bewegt sich in Richtung Schlafzimmer, streift wie im Hohn im Vorbeigehen über die raue Tapete, als wüsste er von meiner Verdamnis. Er betritt den Raum, hustet und schaut sich um. Mein Moment ist gekommen. Ich seufze auf, gebe nach. Spüre den rieselnden Staub in den Wänden, meine spröde Substanz, von Würmern zerfressen, von Zeit zermürbt.
Erst ein Knacken, als sich ein einzelner Spalt bildet. Der Mann versteift sich, dreht sich zur Tür. Zu spät! Ich lasse los und das marode Holzgerüst das mich so lange gehalten hat, bricht in sich zusammen. Splitter fliegen, Putz zerbricht, Planken zersplittern und mittendrin ein Schrei. Und die Wände lösen sich von mir, ich spüre wie mein Geist aufsteigt, befreit von dem Fluch! Ich bin frei! Wirbelnd steige ich in den Nachthimmel auf, den funkelnden Sternen entgegen.
Der Rauch löst sich auf und ich werfe einen letzten Blick auf die Ruine unter mir. Zwischen den Trümmern funkeln Glasscherben, schicken einen letzten Gruss zu mir hinauf, bevor ich im Äther verschwinde.

Weder Schwarz noch Weiß

Das Rauschen des Windes klang durch meine verwinkelten Korridore, als ob es die Melodie meiner Geschichte singen würde, eine Ballade aus Liebe, Verrat und Tragödie, die in den dunklen Ecken meiner Räume versteckt ist. Jahrhundertelang habe ich die Geheimnisse, die mir anvertraut wurden, bewahrt. Meine Holzdielen sind Zeugen des Lachens und der Tränen, meiner steinernen Wände eingefangen die Echos der Seelen, die mich bewohnten. Doch heute Nacht, ach, heute Nacht spüre ich ein neues Kapitel, das an meinem Horizont aufsteigt, dunkel wie die tiefste Nacht, aber mit einem Funken der Ungewissheit.

Ich sehe sie kommen, eine Gruppe von Abenteurern, ihre Taschenlampe flackernd wie der Sternenhimmel an einem bewölkten Abend. Sie sind angezogen von den Gerüchten, den Flüstereien, die durch die Stadt ziehen wie ein unheilvoller Wind. In ihren Augen sehe ich die Neugier, aber auch etwas Tieferes, eine Suche nach Wahrheit, oder vielleicht nach einer dunklen Art von Vergnügen.

Zwei Pfade stehen mir nun offen: der Pfad des Unheils, auf dem ich ihre Neugier mit finsteren Spielchen bestrafe, ein labyrinthischer Alptraum aus meiner eigenen Konstruktion; oder der Pfad der Erkenntnis, auf dem ich meine verborgenen Geheimnisse lüfte und den rastlosen Geistern, die in meinen Räumen wandern, endlich Frieden bringe. Ein dritter Weg, ein grauer, scheint jedoch durch meine Mauern zu flüstern. Kann ich wirklich nur Schwarz oder Weiß sein? Nein, meine Geschichte ist komplizierter, vielschichtiger. Warum sollte ich mich beschränken?

Ich wähle ein drittes Kapitel, ein graues, wo ich sowohl Richter als auch Erlöser sein kann. Ich öffne die Türen zu den verborgenen Räumen, lasse sie die verschlungenen Geheimnisse meiner Vergangenheit entdecken. Doch jeder Fund ist mit einer Prüfung verbunden, einer Chance für sie, ihre eigenen Dämonen zu konfrontieren. Ich teste ihre Absichten, ihre Moral, ihre Courage. Und während sie tief in meine Eingeweide eindringen, enthüllen sie mehr über sich selbst, als sie vielleicht bereit sind zu akzeptieren.

Am Ende der Nacht, als die ersten Sonnenstrahlen den Himmel erfüllen und die Dunkelheit vertreiben, verlassen sie mein Anwesen. Einige sind gebrochen, andere sind gestärkt, aber alle sind sie verändert. Und in diesem Moment weiß ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Ich bin weder nur eine Festung des Unheils noch ein Heiligtum der Erlösung. Ich bin eine Reflexion derjenigen, die mich betreten, eine Leinwand für die Menschheit, ihre Tugenden und ihre Fehler.

So füge ich ein neues Kapitel zu meiner endlosen Geschichte hinzu, ein Kapitel von Grau in einem Buch, das weder vollständig schwarz noch weiß ist. Und ich warte, denn ich weiß, die Nacht wird wieder kommen, und mit ihr neue Seelen, neue Geschichten, neue Entscheidungen. Und während der Wind wieder durch meine Äste weht, summe ich leise die Melodie meiner ewigen Ballade: eine Hymne der Komplexität, der Menschlichkeit und der ewigen Suche nach Verständnis.

Alice

Ist sie es? Kommt meine Alice endlich zu mir zurück? Sie steigt zusammen mit zwei Fremden aus dem schwarzen Monstrum. Ein Stern klebt auf seiner Front. Ganz anders als ihre Kutsche, die sie damals zur Fortbewegung nutzte.
Der Wind bläst ihr fast den schwarzen Hut vom Kopf, als sie mich mit kritischem Blick betrachtet. Halte ein Wind, lasst sie kommen, Baum. Sie ist es. Immernoch so schön, wie früher. Ja komm zu mir, tritt ein in dein einstiges Heim. Mein Eingang ist noch immer imposant. Mit seiner schweren Buntglastür, der großen, geschwungenen Holztreppe und der anschließenden Empore, von der du immer erhaben deine Gäste empfingst. Doch der Rest bedarf deine pflegenden Hände.
Du bleibst stehen vor meinem liebsten Eigentum. Einem Portrait von dir, was mir in all den einsamen Stunden Gesellschaft leistete.
„Wer ist das?“ fragt einer der stämmigen Männer. Dumm ist er, wie kann er das fragen.
„Meine Ur-Ur-Großmutter.“
Oh, ist es doch schon so lange her, als du mich verlassen hast? Sie sieht dir so unglaublich ähnlich…
„Schmeißt es weg. Reißt die Tür und die Treppe weg. Das muss alles moderner werden.“ Was? Nein! Ihre Stimme ist so kalt, während sie von meiner Zerstörung spricht. Doch sie ist von deinem Blut. Diesmal passe ich auf. Ich lass sie nie wieder gehen. Niemals.

Das alte gebrechliche Haus

Hier stand ich nun mit meinen 200 Jahren auf dem Buckel. Umgeben von meinen treuen zwei gigantischen Baumfreunden, die mich vor jeder harten Witterung beschützten. Umberto mit seiner kahlen Kronenpracht, widersetzte sich jedem Sturm. Während Raska in seiner vollsten Blätterpracht mich vor jedem Windstoss abschirmte. Sie kannten meine Wehwehchen. Doch diese Nacht war anders. Sie war so eiskalt. Durch jede meiner alten und klapprigen Fenster und Rahmen zog es. Kalte Luft drängte sich durch meine uralten Fensterläden. Ein Schmerz durchfuhr mich, wie ein Blitz, der in mein Oberstübchen einschlug. Wie auf Knopfdruck entstand ein Riss quer über meine Fassade. Das war’s wohl mit meiner Schokoseite. Vor lauter Schmerz zitterte mein altes Gemäuer. Mein rechter Fensterladen hing mir vor meinem Fenster so tief nach unten, dass ich fast nichts mehr sah. Aber da vor mir in der Ferne erblickte ich eine Gruppe Jugendlicher ausgestattet mit Laternen und Taschenlampen. Zwischen all dem Nebel, der uns umgab, sah ich sie. Obwohl ich anfangs dachte, dass es nur mein Grauer Star war. Weil ich durch meine kaputten und verdreckten Scheiben kaum noch hindurchsehen konnte. Nicht die Ersten Abenteurer, seitdem das Gerücht um ging, dass es hier spuckte und ich die Letzten verschlungen hatte. Nur weil man irgendwelche Überreste von unserer letzten Halloweenparty im Keller gefunden hatte. Dabei waren es die Knochen von Willfried unserem Hausskelett. Wenigstens waren diese fünf Jugendlichen einwenig freundlicher. Sie schlichen um mich herum, als würden sie einen Schatz suchen. Aber gleichzeitig zollten sie mir den Respekt, denn ich als alte Dame bekommen sollte. Schließlich ertrug ich, dieses dahin vegetieren bald mehr als 200 Jahre. Und was ich in dieser Zeit alles zu Gesicht bekommen habe, wollen sie nicht wissen. Der kalte Wind peitschte mir um meine angeschlagene Nase und ein paar der letzten Blätter von Umberto fielen mir auf den Kopf. Schon wieder befürchtete ich, dass meine Regenrinne verstopfen könnte. Einer der Geisterjäger versuchte sich, durch mein kaputtes Fenster durchzuquetschen. Kurz hob ich eine der alten Holzbretter vor der Tür an, um ihn zu erschrecken. Eigentlich war mir heute nicht nach Besuch. Aber sie waren die Ersten nach langer Zeit, die mich nicht weiter drangsalierten oder hier randalierten. Also ließ ich sie rein. Vorsichtig öffnete ich an der Rückseite eine Geheimtür. Sie knarrte bei jeder Bewegung, dass es mir selbst kalt den Rücken hinunterlief. Die fünf bewegten sich fast in Zeitlupe zur Tür. Der Wind rüttelte sie hin und her, als würde er selbst vollkommen ungeduldig sein. Schnell huschten sie ins Warme. Denn mittlerweile zündete ich meinen hundert Jahre alten Kamin an. Ja, ich weiß Rauchen ist ungesund. Und schnell bekam ich auch die Quittung dafür, den der Rauch zog nicht ab, sondern füllte mein Inneres. Ich hustete mir die Seele aus dem Leib. Die fünf waren umhüllt vom dicken und qualmigen Smog. Sie sahen nicht einmal ihre Hand vor Augen. Ich öffnete schnell eines meiner alten Fenster, dass schon fast zerfiel. Mittlerweile roch es hier drinnen auch nicht mehr so staubig und modrig. Man könnte glatt meinen, dass einer der ach so mutigen Geisterjäger einen ziehen lassen hat. Sie waren so eingeschüchtert von mir und meinem Hustenanfall, dass sie losrannten und alles zusammen schrien. Ich hatte es immer noch voll drauf. Sobald der penetrante Dampf davon gezogen war, beruhigte ich mich auch wieder. Diesmal zeigte ich mich von meiner freundlichen Seite. Sodass wir noch eine schaurig schöne Halloweennacht hatten.

Primae Noctis

Kalt und schwer wiegt die Erinnerung. Moos bedeckt die Fensterbänke, das Bleiglas fließt. Hohe Eichen bieten Logen für die schwarz gefiederten Diebe, die mit ihren Augen die Nacht schneiden. Das gebogene Eisen am Weg wurde überwunden. Ich sehe Gestalten, die um meine Ziegel schleichen. Entzückt, dem Veitstanz nah, trällernd, singend, ein Feuer in der Mitte. Sie tragen gottlose Instrumente, die für einen Moment die Welt erhellen und sie zum Lachen bringen. Mit ihnen scheint der Teufel Musik zu spielen, dem sie im Reigen folgen. Kein Musikant in der Nähe, nur eine eigentümliche Box, die den Takt vorgibt. Die Nacht schreitet voran und sie huschen verzückt zum dunklen Kellereingang. Ein Stein fliegt und der Luftzug gibt Weg für den modrigen Äther, der ihre Kleider bewegt und die Gesichter entseelt. Sie treten ein. Widerwillig, dem einen folgend, der wohl Mut aufbringt, um mein Geheimnis zu lüften, das er keinem mehr erzählen wird.

Er geht voran, bewegt eine handbreit Staub mit jedem Schritt. In seinem Schatten die anderen. Ich lasse sie gewähren. Sie sehen schweren Fels der hier schon lange ruht. Kalkige Tränen hängen noch immer an der Decke. Jeden Tag fallen ein paar mehr. Am Boden wachsen sie zu gewundenen Dolchen. Am Treppenaufgang folgt Holz auf Stein. Schritt für Schritt kommen die Eindringlinge näher, in mein dunkles Herz. So stehen sie nun dort, in meiner großen Halle. Die Eingangstür ist vernietet, ich lasse sie nicht gehen. Wände thronen über ihren Köpfen. Die weite Treppe ins Obergeschoss ist vermauert. Dutzende Gemälde alter Wanderer und Landsmänner schmücken das Foyer, mein innerstes. Ein Kerzenhalter an der Mauer nach oben erleuchtet das, was sie suchen. Eine alte Holztafel, mit weißer Wachsschrift.

Die Tür zum Keller fällt ein. Ich lasse sie nicht gehen. Sie schreien und suchen das Licht, das Ihnen für einen Moment Trost spendet. Ihre Augen folgen der Schrift…

Kehrt um!

In finstrer Tragödie und göttlichem Zorn ist dieses Haus, errichtet von einem rumänischen Pilger im Jahre des Herrn 1604, ein Symbol des Unheils und der Unergründlichkeit des Allmächtigen.*

Jenes Heim, das einst Schutz suchenden Reisenden in den Wirren des 30-Jährigen Krieges Zuflucht gewährte, wurde zum Zeugen eines düsteren Werkes.*

Eine fröhliche Maid des Dorfes wagte es, den fremden Pilger zu ehelichen. Sie war warmherzig und spendete Reisenden Wärme und Heilmittel. Doch die Fleischeslust des Landvogts, der das düstere Primae noctis, die erste Nacht nach der Trauung, mit der Maid erzwingen wollte, brachte eine Tragödie hervor, die den Himmel selbst erschütterte. Die Eheleute wehrten sich und klagten ihn der mangelnden Ehrfurcht vor der Ehe an, doch wurden sie nicht vernommen. Die verlorene Würde des Landvogts mündete in einem finsteren Akt der Rache. Er beschuldigte sie des Hexenwerks und rief die Richter des Vatikans in das Dorf. In einer Nacht nach dem Erntedankfest drangen sie ein, kreuzigten den Mann, und verbrannten seine ehrenvolle Frau als Sünderin vor seinen Augen. Mit seinem letzten Atemzug, hoch oben am rauen Holz, verfluchte der Mann die Menschen. Meidet das Haus, das jeden Eindringling zum Gericht ruft. Flieht!

Die Augen der Gemälde richten sich auf sie. Die Kerze erlischt.

Stumme Klage

Als sich das alte Tor am Rande meiner Welt bewegt, schaudere ich erwartungsvoll. Endlich! Die flüsternden Stimmen sind angespannt und aufgeregt zugleich. Ihre tappenden Schritte kommen näher. Ein Windzug fährt mir durch die alten Knochen. Der Vorhang im ersten Stock winkt den Fremden.
Sie bemerken es, tuscheln. Das Licht ihrer Taschenlampen huscht über meine bröckelnder Fassade. Verlegen klappere ich mit den wenigen Fensterläden, die noch bleiben.
Sie quieken, wie die Ratten, die ihr Nest in meinem Keller gebaut haben. Ein Mädchen versteckt sich hinter dem alten Apfelbaum, während ihre Freunde langsam näher kommen. Ein leichtes Beben schüttelt den Apfelbaum. Und plötzlich regnen Äpfel um sie herum. Erschrocken schreit sie auf und rennt panisch ihren Freunden hinterher. Mein Lachen klingt knackend durch die Dielen.
Mit einem knarzenden Schwung öffne ich den Fremden meine Türen. Kommt herein! Kommt und spielt mit mir! Ich spüre das Kribbeln in den Tiefen meiner alten Balken. Ein Junge betritt als erster die Eingangshalle. Die Spinnen haben sie in ein weißes Kleid gehüllt, doch auch so steht ihm der Mund offen, als er meinen alten Reichtum bewundert. Er nimmt einen goldenen Teller aus einem Regal, während die anderen noch über die Schwelle schleichen.
„Seht euch das an“, raunt er aufgeregt. Natürlich zeigt er ihnen das Symbol auf dem Teller. Es fällt allen auf. So wie immer grolle ich wütend und hoffe, dass sie diesen Teil meiner Geschichte endlich auslöschen. Und tatsächlich schiebt der Junge den Teller in seinen Rucksack.
„Glaubst du, es gibt hier einen Schatz?“, fragt das erste Mädchen. Es klammert sich an den Arm des größeren Jungen.
„Verbrechergold?“, fragt er mit einem breiten Grinsen.
Der erste Junge schüttelt den Kopf: „Wir sind wegen Kupfer hier, vergesst das nicht.“
„Ich bin nur zum Taggen hier“, erwidert der große Junge.
In mir brodelt es. Diebe! Sie sind nicht hier, um meinen gruseligen Charme zu bewundern, sondern um mich zu entblößen und zu verschandeln. Wütend schlage ich die Türen zu. Sie schreien auf. Rotten sich zusammen. Ich genieße ihre Angst. Sie dauert nicht lang genug. Und nur das Mädchen fragt leise: „Wollen wir nicht lieber gehen?“
„Sei nicht so eine Memme, Klara“, lacht der große Junge. Er hat seinen Rucksack auf den Boden gestellt und zieht eine Sprühdose hervor. Ich bekomme schon Blasen in meiner Tapete, wenn ich nur daran denke, diese ekelhafte Farbe riechen zu müssen.
„Ich geh hoch“, sagt das zweit Mädchen, dass sich bisher nur neugierig umgesehen hat. Sie hält eine Kamera in der Hand. Meine Hoffnung steigt wieder. Vielleicht findet sie mich schön.
„Ihr seid echt keine Hilfe“, mault der kleinere Junge. Er holt eine Zange hervor und läuft die Wände ab. Nein, nein, nein. Er darf mir meine Drähte nicht klauen! Ich löse eine Diele. Er tritt daneben. Frustriert krächze ich.
„Was war das?“, fragt Klara.
„Nichts“, sagt das andere Mädchen auf der Treppe. „Tim, kommst du mit hoch?“
Der große Junge sieht einmal die Wände der Eingangshalle an, dann nickt er. „Vielleicht gibt es da noch eine bessere Fläche.“ Ich klappere aufgebracht mit den Fensterläden.
Scheußliche Kinder! Ich muss sie loswerden, bevor sie mir schaden! Die Erinnerung an die alten Fallen steigt in mir auf. Meine Erbauer waren paranoid. Es hat ihnen nichts geholfen, denn ich wollte sie loswerden. Als ich damals gestürmt wurde, habe ich die Fallen alle blockiert. Meine Befreier waren allerdings nicht viel besser. Sie haben mir hässliche Tapeten verpasst, die Fallen abgedeckt und sich viel zu oft gestritten, bis sich die Frau von meinem Turm gestürzt hat. Um sie hat es mir leid getan. Ich wollte sie sogar auffangen, aber der Fensterladen hat ihr die Rippen gebrochen.
Meine letzten Bewohner dagegen waren boshafte Tiere. Ich habe sie eines nachts ausgeräuchert, bevor sie noch mehr meiner alten Dielen für hässliche Skulpturen stahlen. Die Fallen haben sie nicht gefunden, weil ich sie verborgen hielt.
Zufrieden schüttle ich die Bretter, bis die rostigen Nägel nachgeben. Meine Innereien ächzen, doch ich mache weiter. Der erste scharfe Schnitt trifft mich unvorbereitet. Ich schreie lautlos, als der Dieb mein Kabel durchtrennt.
„Was war das?“, fragt er panisch. Er sieht sich nach einem Lebewesen um, doch da ist keines. Ich werfe einen Schrank um, in der Hoffnung ihn zu treffen. Er schreit auf, springt aber rechtzeitig zur Seite. Fluchend konzentriere ich mich. Ich muss ihn weiter locken. Hinüber in das Teezimmer.
Eine klebrig, kalte Berührung trifft mich im Kinderzimmer. Erschrocken wende ich mich dorthin und sehe den roten Schriftzug, den Tim gerade sprüht.
Du widerliche kleine Ratte, knurre ich. Ich schlage mit der Tür nach ihm. Der dumpfe Klang des Schlags ist befriedigend. Ich schlage die Tür noch einmal gegen ihn, bevor er schreien kann. Das knacken seiner Speiche ist befriedigend.
„Verfluchte Scheiße“, schreit Tim. Er hält sich den gebrochenen Arm und weicht vor der Tür zurück.
Ein weiterer scharfer Schmerz. Noch ein Kabel, dass mir aus den Innereien gerissen wird. Hin und her gerissen, bemerke ich die Mädchen nicht, die mir einen Vorhang stehlen. Sie werfen den schweren Brokat aus dem Fenster. Wütend schlage ich mit dem Fensterladen zu und erwische Klara am Ellenbogen. Sie schreit auf und jammert, doch ihre Freundin lacht sie nur aus.
Ich bemerke, dass Tim sich jammernd über die obere Galerie schiebt, um zu den Mädchen zu kommen. Er umklammert seinen Arm mit blassem Gesicht. Das ist meine Chance. Ich öffne die Klappe über ihm. Leider ächzt das Holz und er sieht auf. Erschrocken reist Tim die Augen auf. Ein schwerer Klotz fällt auf ihn zu. Er hätte getroffen, wenn dieser dumme Junge sich nicht zur Seite geworfen hätte. Frustriert klappere ich mit der Klappe.
„Dieses Scheißhaus“, schreit Tim, der über dem Geländer hängt und den Klotz anstarrt, mit dem ich seinen kleinen Kopf zerquetschen wollte. „Leute!“ Er sieht sich angsterfüllt nach seinen Freunden um. Dabei streift seine Taschenlampe den ausgestopften Eberkopf. Er jault auf und weicht weiter zurück. „Leute?“ Seine stimme trieft vor Angst.
„Hier drüben“, ruft Klara.
„Pass auf. Das Haus ist gefährlich“, ruft Tim zurück. Er geht jetzt sehr viel vorsichtiger zum Schlafzimmer.
„Sieh dir dieses Bett an“, schwärmt Klara. Sie sieht Tim verliebt an und zieht ihn dann mit hinein. Tim beugt sich nur über das Mädchen und küsst sie nass. Ich steche ihnen eine Feder in den Rücken. „Au!“, jammert Klara, während ihre Freundin das Paar in dem alten Raum fotografiert. Sie ist überhaupt nicht an mir interessiert!
„Küsst euch nochmal“, fordert die Fotografin. Ich löse eine Diele. Sie tritt hinein und knickt um. Ihre Kamera schlittert über den Boden. „Fuck!“, flucht sie.
Und dann hören wir alle das unheilvolle Scheppern einer Falle. Ich klappere zufrieden mit den Läden, als der Dieb laut schreit. Er hängt am Rande einer alten Fallgrube. Nur noch eine Hand hält ihn im Leben. „Hilfe!“, schreit er panisch.
Seine Freunde rennen los. Nun, die Fotografin humpelt… Ich warte, bis sie fast bei ihm angekommen sind, da lasse ich eine Lampe, deren Kabel er klauen wollte, auf ihn fallen. Der Dieb schreit.
Klara und Tim werfen sich auf den Boden. Gerade noch gelingt es ihnen die Hand ihres Freundes zu erwischen. Enttäuscht lasse ich den Wind durch meine Eingeweide heulen.
„Fuck! Fuck! Fuck!“, wiederholt Tim in Endlosschleife. Er ist ganz bleich, doch er hält den Freund mit seinem gebrochenen Arm fest. Klara weint, während sie den Dieb aus der Falle ziehen.
„Was ist das für ein Haus?“, fragt die Fotografin entsetzt, als sie alle vier die spitzen Lanzen sehen, auf die ich den Dieb aufspießen wollte.
„Das Geisterhaus“, flüstert Klara wehleidig.
„Es gibt keine Geister“, knurrt der Dieb, doch auch er scheint nicht mehr erpicht, sich weiter an mir zu vergreifen.
„Sie haben recht“, flüstert Tim, „Hier spukt es.“
„Aber es gibt noch alle Kabel“, mault der Dieb. Die anderen sehen ihn ungläubig an.
„Und jetzt wissen wir auch wieso“, faucht die Fotografin und deutet auf das tödliche Loch. „Sie haben recht, dass dieses Haus den Tod bringt!“
„Es ist verflucht“, haucht Klara. Sie ist genauso bleich wie ihr Freund. „Ich will hier raus.“
Selbst der Dieb widerspricht nicht, als seine Freunde sich vorsichtig in die Eingangshalle zurückschieben.
„Was ist mit deinem Arm?“, fragt der Dieb, während er die gestohlenen Kabel aufrollt.
Tim sieht auf seinen Arm hinab. „Tut ziemlich weh“, brummt er. Hat er nicht begriffen, dass seine Speiche gebrochen ist? Dummer Junge!
Ich löse den Kronleuchter ein wenig, als sich die Vier darunter befinden. Das Klimpern von Glas übertönt ihre Schreie beinahe. Sie springen vorwärts, werfen sich gegen die Tür. Ich halte sie noch für einen Augenblick verschlossen. Gerade lang genug, dass die Panik in ihren Augen erwacht.
„Wir kommen nicht raus!“, schreit Klara. Dann gibt die Tür unter Tims Schulter nach. Sie purzeln alle vier über meine Stufen. Kurz bleiben sie liegen, dann springt der Dieb auf die Füße und rennt los.
„Erik!“, schreit Tim, doch der Dieb wartet nicht. Tim dagegen hilft den Mädchen auf. Sie humpeln zum Tor. Und als sie einen letzten Blick auf mich werfen, klappere ich mit allen Fensterläden, Türen und Luken. Sie schaudern im Mondlicht, bevor sie sich durch das Tor in ihre Welt schieben.

Der lange Fluch

„He, ihr Bestandteile unseres Anwesens. Zweihundert Jahre haben wir gemeinsam auf dem Buckel. Der Fluch soll heute Nacht für immer vergehen und uns allen den lang ersehnten Frieden bringen. Ich spüre das. Ihr Fenster und Türen, ihr Dachziegel und Mauern, ihr Dielen und Balken, hört auf meine Worte. Nur noch einmal müssen wir Bösewichte dieser Welt ausschalten. Was haben wir nicht schon alles getan. Verbrecher, Gauner, Strolche und Gesindel mussten wir in unseren Mauern tilgen. Nur noch ein einziges Mal und die bösen Handlungen in unseren Wänden seitens des Erbauers sind für immer gesühnt. Dann wird sich der Wald lichten. Das Haus kehrt zurück in die Gemeinschaft des Dorfes. Auch wenn wir hier weit draußen noch im Dickicht stehen und als unbewohnbar gelten.

„So ein Scheiß, jetzt naht auch noch eine Sturmfront. Wohin mit der Beute. Wir brauchen dringend eine Bleibe für die herannahende Nacht“, schimpfte Hatsch, der Anführer des Trupps. „Du und du und ihr zwei geht jeder in eine Himmelsrichtung und haltet Ausschau nach einem Dach über dem Kopf.“

Sofort strömten die genannten aus. Jeck hatte immer so ein Gefühl, wo es etwas zu finden gab. Ob das Geld, Wertgegenstände oder wie hier eine Unterkunft war, er fand es. Mit ganzer Kraft bahnte er sich einen Weg durch das Dickicht. Fast wollt er aufgeben, als er ein Schild an einem alten Baum entdeckte. Rabenweg. Wo ein Weg ist, ist auch ein Haus, dachte er bei sich. Seltsamerweise ließ das Dickicht nach. Behände lief er den schmalen Pfad entlang. Dann stand er davor. Ein altes Haus. Die eine Hälfte schon ganz eingefallen. Die andere jedoch noch ganz brauchbar. Selbst das Dach sah unversehrt aus. Sofort begab er sich auf den Rückweg, um die anderen herbeizuholen.

Die restlichen fünf Männer saßen tief gebückt im Gras. Noch waren nicht alle zurück. Der stetig stärker werdende Wind blies über ihre Köpfe. Ein Unwohlsein befiel die Gauner. Bei dem herannahenden Unwetter ohne Dach über dem Kopf, hieß das nichts Gutes. Dann kam endlich Jeck.

He Männer, ich habe eine Bleibe gefunden. Nicht gerade komfortabel, aber immerhin. Hutsch zeigte sich begeistert über die Nachricht.

„Noch müssen wir auf Nudek warten.“, wandt er ein.

Doch kaum ausgesprochen, kam der auch zurück. Dann lasst uns loslegen. Jeck ging voran und wies den Weg. Durch das Dickicht mit den schweren Beutesäcken auf dem Rücken war es kein leichtes Unterfangen. Mancher Fluch ging über die Lippen, wenn zähe Äste den Weg versperrten oder das Gesicht zerkratzten. Die Dunkelheit brach mit Macht herein. Der Wind zerrte zusätzlich an den Körpern. Eine schaurige Nacht nahm ihren Anfang. Mit dem sichtbar werden des Hauses ging ein Glücksgefühl durch die Männer. Sie hatten es noch vor dem herannahenden Sturm geschafft. Die Tür stand sperrangelweit offen, als wenn sie die Männer einladen wollte.

Kaum waren alle im Inneren, schlug die Tür zu. Ebenfalls schlossen sich augenblicklich die Fensterläden. Jedem der Bösewichte fuhr ein Schauer durch den Körper.

„Was ist das hier nur?“, blaffte der Anführer. Geht es hier mit rechten Dingen zu? Jeck wo hast du uns hingebracht. Draußen tobte der Sturm los. Mit Geheule warf er sich gegen die Mauern und Fensterläden. Die ächzten in ihren Angeln. Der Regen prasselte auf das Dach. Es war, als würden hundert Trommler mit ihren Schlagstöcken auf die Ziegel eindreschen.

„Boss, besser so, als da draußen. Lasst es uns bequem machen“, meinte Jeck.

„Alles hört auf mich“, sprach das Haus. Die Stunde ist gekommen. Vertilgen wir die Bande für immer. Hinaus kommen die nie mehr. Dielen an die Arbeit.“

Der Fußboden begann zu schwanken. Die Männer hatten den Eindruck auf Wasserwellen zu gleiten, die rauf unter runter gingen. Sie liefen zu den Türen und Fenstern. Doch die waren allesamt fest verschlossen. Sie bekamen nichts auf. Das Einschlagen der Fensterscheiben brachte nichts. Die Fensterläden gaben dem Druck der Hände nicht nach.

„Verschlingt sie jetzt!“

Der Fußboden öffnete sich. Für die Bande gab es kein Halten. Allesamt stürzten sie in die Tiefe des Kellers und brachen sich das Genick.

Als wäre nichts geschehen, schloss sich der Dielenboden. Der Sturm hatte ganze Arbeit geleistet. Mit der Morgendämmerung erhob sich das Haus friedlich aus seinem Dornröschenschlaf und war weithin sichtbar.