Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Spannend, dieser Abgrund zwischen den beiden Schwestern. Diese kleine Szene macht neugierig darauf, wer diese beiden Mädchen sind und in was für einer komplexen Beziehung sie zueinander stehen.

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Wo genau stelle ich meinen Text ein? :slightly_smiling_face:

Ein stiller, unglaublich dichter Text. Das gelangweilte Kind, das am Fenster sitzt und Autos zählt und sich vielleicht nicht sicher sein kann, ob seine Eltern noch ein Paar sind, wenn es sie zum nächsten Mal sieht, die staubige, melancholische Stimmung über allem.

Diese Beschreibung.

Und am Ende das Zuckerbrot, ein Trost, genau wie die Liebe zur Oma.

Und wer ist überhaupt „Tante“ Grete? Dieser Text hat wirklich Potenzial.

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Hier. Dort findest du auch heraus, welches Thema diese Seitenwind-Woche hat. Viel Spaß und viel Glück!!

EDIT: Verzeih, ich war gedanklich im falschen Thread. Du hingegen bist hier genau richtig.

Sorry Elisabeth, ich kapiers noch nicht. Soweit ich es verstehe, kann ich nur Bezug nehmen auf einen Post (z.B. deine Nachricht).
Aber wie kriege ich meinen Beitrag zur Seitenwind Woche 1 gepostet?

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Mir geht’s genauso. Hab ewig hin und her probiert. Nicht sicher ob ich das jetzt richtig gemacht habe.

Gar kein Problem und kein Grund, sich zu entschuldigen. Scrolle einfach bis ganz nach unten. Dort findest du mittig in Blau die Schaltfläche „Antworten“. Wenn du die anklickst, öffnet sich ein Fenster, von dem aus du einen Beitrag den Thread posten kannst.

»So ist es perfekt, nicht wahr?« Sie macht einen Schritt zurück, streicht sich die Schürze glatt und lässt einen kritischen Blick über den Tisch streifen. Ihre Zunge benetzt die trockenen Lippen, am Hals haben sich rote Flecken gebildet. Ich nehme ihre Hand, sie fühlt sich kalt an.
Auf der weißen Tischdecke brennen Kerzen. Ihr Licht spiegelt sich in den Kristallgläsern. Exakt in der Mitte sind die Rouladen platziert. Scharf angebraten, die Kruste zur Perfektion gebräunt. Links daneben die dampfenden Kartoffeln in Omas Sonntagsschüssel. »Es ist perfekt, Mama« flüstere ich und lächele sie.
Vor dem Haus nähern sich schwere Schritte. Eilig streicht sie sich eine Haarsträhne hinter die Ohren. Die Tür knallt ins Schloss. Unwillkürlich zucke ich zusammen. Dann steht er in der Küche, die Aktentasche in der Hand. Ein genervtes Lächeln umspielt bei unserem Anblick seine Lippen. Vielleicht liegt es auch nicht an uns.
»Was für ein Tag. Gibt es wenigstens was Gutes zu essen? Das hat sich ein Mann wohl verdient.« Er schleudert die Tasche in die Ecke und lässt sich ächzend auf seinen Platz fallen. Eilig machen wir es ihm nach.
»Tischgebet!«, grollt er. Wir reichen einander die Hände. Seine ist schwitzig, ihre zittert in meiner. Oder bin ich das?
»Komm her Jesus sei unser ganz und segne was du uns bescheret hast«, rezitieren wir. Er belädt sich den Teller und schneidet in das Fleisch. Die Klinge gleitet wie durch Butter hindurch. Er mustert mich durchdringend. Schnell schiebe ich mir eine Portion in den Mund. Vor Aufregung schmecke ich nichts.
»So einen Scheiss kann man nicht essen!«, poltert er. Er holt aus und fegt die Schüsseln vom Tisch. Nur einen Wimpernschlag später liegt das Abendmahl zermatscht zwischen unzähligen Scherben auf dem Boden. Oma! Mir schießen die Tränen in die Augen.
»Geh nach oben, Mathilda. Zeit für deine Hausaufgaben.« Ich schleiche mich die Holztreppe hoch und schließe die Tür hinter mir. Ich lasse mich auf der Bettkante nieder. Von unten tönt Geschrei zu mir hinauf. Ich versuche, mich auf das Muster meiner Tapete zu konzentrieren. Auf das Eichhörnchen, das Reh und die Bäume. Die Geräusche lassen sich nicht ausblenden. Ich beobachte, wie das Licht der untergehenden Sonne sich in Richtung Fenster zurückzieht. Langsam kriechen die Finger über den Boden und wandern die Wand hinauf.
Später, ich weiß nicht, wie spät es ist, öffnet sich die Tür. An ihren behutsamen Schritten und dem Duft von Zitronengras, den ihr Parfüm verströmt, erkenne ich sie. Sie legt sich zu mir und streichelt über meinen Kopf. Ich kann sie nicht mehr aufhalten. Heiß strömen die Tränen meine Wangen hinunter. Sie wischt sie weg. »Vielleicht hätten wir doch mehr Salz nehmen sollen?«, flüstere ich. »Bestimmt, mein Schatz. Morgen machen wir das. Dann wird alles gut.« Ich schließe die Augen. Ja, morgen wird alles gut.

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DANKE SEHR. Das macht es klarer.

Hast du! Das hin- und Herprobieren hat sich gelohnt. Danke für deinen Beitrag!

»Gehst du?«
Es war keine Frage, ich hatte es zu oft gehört. Es war die Anweisung an den Erstgeborenen, den Ersten von Fünf. Ein unausgesprochener Befehl, dem gegenüber es kein Entrinnen gab. Hatten Andere eine Wahl? Nicht Neunjährige, da war ich mir sicher.
Schnaubend erhob ich mich vom Sofa. Wenigstens meinen Atem wollte ich trotzend entgegensetzen, stillen Protest zum Ausdruck bringen. Denn so würde ich zumindest den Respekt vor mir selbst behalten.
Ich hasste es, doch führte kein Weg daran vorbei. Alle drei Tage, zweimal die Woche ging ich den Gang zum Schlachter. Die schwarz-rot karierte Einkaufstasche in der feuchten Hand haltend. Könnten mir wenigstens ihre ledernen Henkel Sicherheit bieten auf meiner Tour. Aber sie weigerten sich. In der Tasche würde ich die Beute heimtragen, versteckt und mit beschleunigtem Schritt in dem Versuch, mich der Bürde so schnell wie möglich zu entledigen. Mein Wunsch, dass niemand je erfahren möge, was die Tasche in sich barg, war das Gebet in dieser zehn bis fünfzehn Minuten Wegzeit.
»Bevor es die Hunde fressen«, hörte ich hin und wieder, und es vergrößerte die Scham, die sich jeweils über mich ergoss, wenn ich die 50 Pfennig Münze auf den Tresen legte und meine Bestellung aufgab: »Wurstecken bitte?!«
Kräftige Unterarme fischten die Reste aus dem Kübel, und ich sehnte ich das Ende der Welt herbei; wenn schon der Wunsch auf dem Hinweg: »Bitte mach, das mich ein Auto überfährt!«, vom lieben Gott nie erhört wurde.
Sie alle würden diesen Sieg feiern, meinen Erfolg beim Schlachter. Der Große hatte gezeigt, dass er der Jagd fähig ist.
Im Nu wäre das Wachspapier zerrissen. Große Augen und wässrige Münder würden begutachten, was dieses Mal erbeutet wurde.
Während der Vater die ekelhaften Sülzreste für sich beanspruchte, die Mutter harte Brotscheiben mit Resten an Leberwurst bestrich, und die vier Mäuler sich schmatzend an Fleisch- und Blutwurstenden labten, benetzte ich mein Kissen und träumte mich in eine andere Zeit.

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Da kann man eigentlich nur hoffen, dass das nicht autobiographisch ist…

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Fischsuppe

Der Horror meiner Kindheit ist mit großem Abstand Fischsuppe.
Die Kinderjahre habe ich in Binz auf Rügen verbracht. Das ist lange, lange her, jedoch gibt es Erinnerungen, die bis heute nicht präsenter sein könnten.

Den Kindergarten und seine Fischsuppe kann ich mehr als 50 Jahre danach mit einem Fingerschnipp in mein Kopfkino zurückholen.
Damals erschien mir der Weg von daheim zu dem schmutzigweißen Haus unendlich weit. Mit kurzen Beinchen musste ich mehr Schritte machen. Der Eingang war auf der Hinterseite des Gebäudes. Vorher durchquerte man einen Garten mit Obstbäumen und Spielplatz. Rechts am Rand des Grundstückes schaute man auf die Rückseite von irgendwelchen Garagen und Schuppen. An die linke Seite kann ich mich nicht mehr erinnern.
Die Tür war aus schwerem Holz und wirkte riesig. Sie knarrte in den Angeln. Das Haus war eine riesengroße Villa, direkt an der Strandpromenade. Damals habe ich nicht begriffen, warum nicht der Vordereingang benutzt wurde. Der war viel schöner. Von der Promenade führte ein gepflasterter Weg um einen Brunnen herum, an zwei weißen Steinlöwen vorbei auf eine majestätische Steintreppe zu einer großen, hölzernen Flügeltür mit Glasscheiben.

So kam ich viele Tage mit meinem Brotbeutel um den Hals durch den hinteren Eingang in einen dunklen Flur mit ein paar Treppen. Und da war er, der Geruch der Kindheit, eine Mischung aus Mulm, heißgemangelter Wäsche, Bohnerwachs und Fischsuppe. Der feine, penetrante Unterton durchzog alles. Heute weiß ich, dass es Trimethylamin war, das den fischigen Gestank verursachte.

In meiner Erinnerung gab es damals mindestens zweimal in der Woche, vielleicht auch dreimal ebendiese Fischsuppe. Schon am Morgen durchzog der Geruch das ganze Haus. Dem zu entfliehen war nur nach draußen möglich.
Mittags war es dann so weit. Die weißbekittelten Kindergarten-Tanten, so hießen die seinerzeit, servierten mein Trauma. In einem tiefen Teller befand sich eine grau-wässrige Brühe in der manchmal kleine, weißliche Brocken schwammen. Alles war bis zur vollständigen Unkenntlichkeit weichgekocht. Was nie zerkocht war, waren die Gräten, Dorschgräten, dicke, lange Dinger. Davon fand ich immer reichlich. Noch heute mag ich keine Gräten im Fisch und damit bin ich sicher nicht allein.
Diese Teller waren überlagert von Fischgeruch, der für mich damals penetrant war.
Jedes Mal habe ich mit dem Löffel in der Suppe rumgestochert und gerührt, um den Gräten auszuweichen und nur Brühe auf dem Löffel zu haben, die ich mit Todesverachtung von diesem geschlürft habe. Weiße Brocken auf dem Löffel waren gruselig. Nie, niemals habe ich nur annähernd meinen Teller geleert und immer hatte ich den Vorwurf von schlechtem Wetter, welches uns Kinder alle heimsuchen würde.
Selbst heute denke ich daran, auf dem Heimweg an den Sachen zu schnuppern und Fischsuppe zu riechen.
Zu meinem Glück durfte ich damals mittags nach Hause gehen. Dort wartete die geliebte Oma auf mich von der ein Brot mit Teewurst oder Camembert zu ergattern war.

Nach meiner Kindergartenzeit habe ich nie wieder Fischsuppe gegessen. Dieser Eintrag in einem Restaurant-Menü existierte quasi nicht.

Es hat 42 Jahre gedauert, bis ich zum ersten Mal wieder eine Fischsuppe gegessen habe.

An der Strandpromenade steht eine weiße Villa, etwas zurückgesetzt. Auf der Hälfte des Weges zum Vordereingang plätschert ein Brunnen. Die Empore wird auf beiden Seiten von großen, weißen Löwen gerahmt, bevor man durch eine Flügeltür das Restaurant betritt.
Wir sitzen draußen, links neben dem Brunnen und beobachten das Treiben auf der Promenade. Meine Freunde bestellen einen großen Topf Fischsuppe als Vorspeise. Und dann kommt sie, eine weiß-blaue, riesige Terrine. Die Bedienung hatte die enthaltenen Fischsorten aufgezählt. Ich hörte nicht hin.
Die Kelle leert sich in meinen Teller. Eine durchsichtige Flüssigkeit mit ein paar winzigen Fettaugen und großen, deutlich erkennbaren Fischstückchen schwimmt über dem weißen Boden. Ich rieche einen dezenten, entfernten, fischigen Duft. Kaum erreicht er meine Wahrnehmung. Löffeln, vorsichtig, Brühe schlürfen, ein angenehmer Geschmack breitet sich aus. Die Stücke sind bissfest, grätenfrei und schmecken so gar nicht wie meine Erinnerungen. Ich fühle mich unendlich erleichtert. Der Teller ist im Handumdrehen leer.
Gedankenversunken fällt der Blick auf die Löwen und die Empore.
Die Bilder meiner Erinnerungen klicken sich in die bewusste Wahrnehmung, wie ich in meiner Kinderjacke und Pudelmütze, die Brottasche vor dem Bauch, die Steintreppe zum Hintereingang hochsteige und die große, knarrende Tür aufziehe.

Hotel Villa Salve, Binz

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Ein kleiner Teil aus meinem Büchlein autobiografischer Art:

Die Aufnahme von Nahrung ist in meinem Universum ein höchst heikles Thema. Es existieren drei Nahrungsmittelgruppen, die ich jeden Tag, zu jeder Tageszeit sehr gern verspeisen wollen würde, gäbe es da nicht gewisse evolutionär relevante Fallstricke, die einem vorgaukeln, dass eine gesunde und ausgewogene Ernährung viele Vorteile verspricht. Bereits in meiner Kinderzeit zeigte sich eine ausdauernde Vorliebe, wie Verweigerung für bestimmte Nahrungsmittel, die heute noch für Verwunderung sorgt. Essen ist für mich Kampf, eine Art innere Zerrissenheit zwischen Wollen und Müssen. Nahrungsmittel unterteile ich in essbar, unbedingt notwendig, abscheulich und besonders empfehlenswert. Als Vorschulkind besuchte ich zu meinem Entsetzen eine Kureinrichtung für besonders essunwillige Kinder, was sich als nicht förderlich erwies. Kinder sind, wenn es darum geht bestimmte Speisen verschwinden zu lassen, außergewöhnlich erfinderisch. Ich war eines davon. Mein mangelhaftes Hunger und Durstgefühl und der traurige Fakt, das bestimmte Nahrungsmittelkonsistenzen nicht im Mund verweilen wollen, gepaart mit Appetitverlust, erschweren die Essensaufnahme. Zu meinem Leidwesen war meine Mom keine besonders gute Köchin.
Als Kind hatte ich die Wahl zwischen ausgewöhnlich süßen Speisen und denen, die intensivere Röstaromen beinhalten. Die Annahme, meine Essunlust sei durch die schlechte Küche geprägt, ist mit den Kochkünsten meiner Mom nicht erklärbar, da ich als Kind und Schulkind zu neunzig Prozent in Schule und Kindergarten, sowie bei den Großeltern verköstigt wurde. Den Grund für mein recht eigenwilliges Essverhalten erfuhr ich erst sehr viel später.
Ich erinnere mich, dass die Kochkünste meiner Mom zu unverwechselbaren Geschmacksverirrungen führten. Einmal gab es eine simple Champignonsuppe, welche aus Pulver und Wasser bestand. Diese Suppen sind in der Zubereitung derart einfach gehalten, dass es normalerweise jeder schaffen könnte, etwas geschmacklich Erträgliches zu erschaffen. Natürlich nur, wer es schafft, Pulver und Wasser, wie in der Beschreibung vorgegeben, klumpenfrei zu vermengen. Die Konsistenz des Süppchens war jedoch so widerlich, das diese schneller aus dem Mund lief, als sie gelöffelt werden konnte. Nichts konnte mich überzeugen, zu essen, also nahm mich meine wütende Mom samt dem Suppentopf und begab sich zu den Großeltern, die die Speise verkosten durften. Mein Uropa erteilte der Speise mit den Worten, „das hätte ich dir auch ins Gesicht gespuckt“, eine klare Absage.

Eine absolute Lieblingsspeise gibt es dennoch. Eine leckerer Tasse selbst gekochten heißen Kakao, bereitet aus Vollmilch, starkentöltem Kakao, einer Prise Zucker und etwas Salz. Dazu warme Bäckerbrötchen mit fein aufgestrichener guter Butter. Die Kombination, Butterbrötchen in den Kakao getunkt, um die Köstlichkeit im Mund verschwinden zu lassen, ist das Beste, was es für mich als akzeptierte Nahrungsquelle gibt. Schon die Vorstellung an diesen einzigartig kulinarischen Genuss lässt mich wohlig erschauern. Der Duft einer großen Tasse heißem Kakao schwebt in der Luft. Frisch mit Butter bestrichene Brötchen liegen auf dem Teller bereit, darauf wartend ins Getränk getunkt zu werden und anschließend in meinem Mund zu verschwinden.

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Nett!
:slight_smile:
Allerdings lässt es mich doch mit der Frage zurück, wie klein man sein muss, damit man zu einem Schoko Muffin „aufsehen“ kann…
:laughing:

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Sehr berührend und bedrückend zugleich.

Ein Essen aus meiner Kindheit

Also eigentlich dachte ich, dass ich über ein Lieblingsessen schreiben will, aber irgendwie kam mir direkt eins in den Sinn, das ich überhaupt nicht leiden kann, bis heute nicht: gebratene Leber :nauseated_face:

Nach der Schule bin ich oft zu meiner Oma gegangen, wenn Mama noch arbeiten war. Ich kam dann immer von der Schule zu Oma, dann gab es Essen, dann Hausaufgaben erledigen, und später spielen, im Sommer immer im Garten oder mit meiner besten Freundin auf dem Spielplatz hinterm Haus.

Vor allem immer Sommer war es immer schön nach Hause zu gehen, vielleicht noch die dünne Jacke über dem Arm, weil es morgens noch kalt war, dann aber schön angenehm, dass der Pulli gereicht hat. Der schwere Ranzen auf dem Rücken und das Wissen, dass man ihn gleich absetzen kann. Der Nachhauseweg mit der besten Freundin, schön den Tag Revue passieren lassen, lachen, die Wärme der Sonne im Gesicht. Irgendwie fühlte sich der Weg immer so trocken an, als wäre alles Wasser aus der Luft und der ganzen Umgebung verdampft, als Kind mochte ich dieses Gefühl sehr, das war für mich der Sommer.

Dann haben wir uns unten an der Haustür meiner Oma verabschiedet, die Freundin musste noch ein Stück weiter. In dem Moment, in dem ich den Schlüssel ins Schloss schob, kam die Vorfreude auf ein warmes, leckeres Mittagessen hoch. Zusammen mit dem Opa am Tisch sitzen und essen, Oma sagte immer sie sei vom Abschmecken schon immer fertig gewesen. Aber Opa saß, wenn er nicht im Garten war, mir gegenüber am kleinen Küchentisch und aß seine Portion, ich meine, es war immer eine angenehme Stille zwischen uns, so einträchtig auf das Essen konzentriert.

Aber an manchen Tagen kam schon direkt, wenn ich unten die Haustür des Mehrfamilienhauses öffnete, so ein unangenehmer Geruch zur Tür rausgewabert. Zwiebeln konnte ich riechen und etwas anderes, irgendwie stechend süßlich-herb. Ich finde nicht mal einen richtigen Begriff dafür. Allein schon diese wenigen Moleküle des Geruchs sagten mir immer schon, dass mal wieder Zeit für Opas Lieblingsgericht ist: angebratene Leber mit Zwiebeln.

Am liebsten hätte ich mir immer eine Klammer auf die Nase gesetzt, wenn es mal wieder soweit war, für mich gab es auch immer etwas anders zum Essen, aber so unhöflich wollte ich nicht sein, daher saß ich meist wie mit einem Schnupfen in der Küche und atmete nur durch den Mund.

Zweimal hat meine Oma mich dazu überreden können das, was mir vom Geruch her schon Übelkeit verursachte, zu probieren. Leider wurde es nicht besser, diesen Geschmack wurde ich den ganzen restlichen Tag nicht los und ich habe ihn bis heute nicht vergessen. Allein schon die Berührung dieses wabbelig-braunen Stückes Essen ließ meine Zunge in den Rückwärtsgang schalten. Sie hätte sich, wenn das möglich gewesen wäre, gerne zusammengefaltet und irgendwo versteckt, bis alles weggegessen gewesen wäre. Auch den Geschmack kann ich nicht beschreiben, es ist für mich undefinierbar, aber absolut nicht schmackhaft, sogar die Zwiebeln konnte ich nicht essen, obwohl angebratene Zwiebeln für mich zu den leckersten Sachen gehören. Und gefühlt hat auch mein eigenes Essen dann immer irgendwie diesen Hauch von Lebergeschmack anhaften gehabt.

Auf jeden Fall war ich immer froh, wenn die Wohnung durchgelüftet war und wieder eine neutrale bis leckere Geruchsnote die Räume flutete.

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Eine interessante Perspektive, von außerhalb, gewissermaßen. Die technische, detailversessene Sprache trägt noch zu diesem Effekt bei. Ich habe diesen Text sehr gerne gelesen.

Es gibt Texte (und Filme), die kann ich einfach nicht zu Ende lesen (bzw. gucken)
Dies hier ist so einer.
Die meisten werden sich denken können warum…
Wie schon woanders geschrieben (hier aber noch viel ernsthafter):
Es ist hoffentlich nicht autobiografisch!

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Krass,
ich liebe Leber mit Zwiebel, Apfel und selbstgemachtem Kartoffelbrei.

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