Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Dieser fein-sarkastische Humor, einfach grandios :joy:

Oh je. Nichts wird gut, oder?

Schlechte Zeiten sind das …

Oh ja, ich weiß, was du gerade denkst. Jetzt fängt der alte Sack wieder an, stundenlang von damals zu labern, denkst du. Von den guten alten Zeiten, als die Wälder noch voller Wild waren und man sich einfach nur unter einen Baum hocken und auf Beute warten musste. Vom Nachtwind, der einem warm um die Nase weht, von raschelnden Blättern und knackenden Ästen und Käuzchen, die mit ihrem Ruf die Toten in die Unterwelt locken. Ja, ja, nicht alle, ich weiß …
Nun hör doch mal auf, so rumzuzappeln! Du machst mich ganz nervös damit. Die Nacht ist noch jung, die Sonne gerade erst untergegangen, und für die Jagd bleibt uns noch alle Zeit der Welt. Pass lieber auf, was ich dir erzähle, du kannst was draus lernen. Ja, setz dich wieder hin. Da, auf die Kante, die ist so schön gepolstert.
Wo war ich stehengeblieben … Ach ja, bei der Jagd. Damals, als ich noch ein blutiger Anfänger war wie du jetzt einer bist, da hatte ich das Glück, von den Besten der Besten unserer Zunft zu lernen. Von der Pike auf, wie man so schön sagt. Das fing schon mit der Auswahl der Stelle an, wo wir uns auf die Lauer legten. Nah an den Wegen, aber nicht zu nah. Kreuzungen sind immer gut, aber wo gibt’s das heutzutage noch, diese schönen, schnurgeraden Kreuzungen tief im Wald, an denen der Teufel wohnt? Möglichst unter einem Baum mit dichtem Blätterwerk, damit man nicht nass wird, wenn‘s regnet. Ja, natürlich macht die Jagd im Sommer mehr Spaß, aber willst du ein halbes Jahr hungern? Bist du aus Zucker? Na, also. Und auf den Wind aufpassen! Luft im Gesicht, Jagd missglückt nicht, hat mein alter Meister immer gesagt. Merk dir das. Immer schön die Windrichtung beachten, dann hast du den Duft deines Opfers in der Nase, bevor‘s überhaupt in Sicht kommt. Ah, dieser herrliche Moment, wenn das Jagdfieber in einem erwacht! Wenn diese Ahnung von warmem Fleisch und rotem Blut in der Luft liegt! Ich merke schon, wie mir das Wasser im Mund - he, Finger weg von dem Scharnier! Also, Manieren sind das … So was hätten wir uns früher nicht bei unseren Großeltern getraut, sag ich dir, da herrschte noch Zucht und Ordnung. Ja, lach nur! Früher war alles besser, sogar der Anstand.
Sag mal, ist das Vollmondlicht, das so bläulichkalt durch die Vorhänge blinzelt? Bei Vollmond hat die Jagd so was Romantisches, finde ich. Aber mit Romantik hat die Jugend heutzutage ja auch nichts mehr am Hut, stimmt’s? Statt alle Nachtvögel an ihren Stimmen zu erkennen oder die Bäume am Geraschel ihrer Blätter, dröhnt man sich lieber die Ohren mit diesem Krach zu, den sie jetzt ‚Musik‘ nennen. Da lob ich mir doch den guten, alten Mozart, vor allem sein wunderbares Requiem … Ah, und natürlich den Ritt der Walküren vom Richard, du weißt schon, Richard Wagner. Eine bessere Einstimmung in den Jagdausflug gibt’s nicht, glaub mir! Tatatataaaada! Tatatataaaaa! Mir zuckt’s schon richtig in den alten Knochen, am liebsten würde ich gleich aufspringen und – aber nein, es ist noch zu früh. Warten wir, bis der Mond hoch über den Wipfeln steht und die Wiesen schimmern, als wären sie aus purem Silber …
Nun, wo war ich stehengeblieben? Ach ja, beim ersten Hauch, der in die Nase steigt und das Blut zur Wallung bringt … Ab diesem Moment wird’s kritisch. Wie viele Anfänger haben’s auf dem letzten Meter versaut, weil sie einfach blindlings vorangestürmt sind, statt das Jagdfieber zu zügeln und auf den idealen Augenblick zu warten? Still und stumm hinter einem Stein zu kauern oder sich tief ins Dickicht zu ducken, bis das Wild schon fast an einem vorbei ist? Bis es dir den Rücken zukehrt und die beste Stelle für den tödlichen Angriff präsentiert? Ja, es fällt einem schwer, wenn man die blasse Haut schweißnass glänzen sieht und die feinen Äderchen, die so dicht unter ihr zucken, als wären es niedliche Würmchen. Wenn man die Wärme spürt, die das Wild umhüllt wie ein unsichtbarer Mantel, getränkt vom Geruch nach lebendigem Glück …
Und dann das Blut - das Blut … So metallisch und heiß! Wie es dunkel glänzt im Mondlicht, wie es auf Laub und Kies tropft, tropf, tropf, tropf …
Teufel noch eins, hab ich jetzt Hunger! Pass auf, den Rest erzähl ich dir draußen im Wald. Jetzt hilf aber gefälligst deinem Opa mal aus seinem Sarg. Man wird ja nicht jünger, nicht mal als Vampir. He, wo willst du hin? Lass doch die Katze in Ruhe, verflucht noch mal! Hast du denn gar keinen Stolz? Schlechte Zeiten sind das, ich sag’s ja.
Verdammt schlechte Zeiten …

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  1. Schreibthema: Ins Erzählen kommen

Orange.
Überall sah ich diese Farbe, als ich mit meinen braunen Schnürstiefel, tief im Matsch stand und das große Feld musterte, was sich vor mir erstreckte.
Während ein scharfer Wind mir meine braunen Locken aus dem Gesicht peitschte, schloss ich die Finger etwas stärker um den kleinen Korb in meinen Händen.

Vorsichtig machte ich einen Schritt vorwärts, immer darauf bedacht keinen der orangenen Kürbisse zu beschädigen, die sich wie ein knalliges Meer vor mir erstreckte. Jedes Jahr. Immer um dieselbe Zeit. Jeden einunddreißig Oktober, suchte ich in dem Meer aus Groß und Klein gewachsenen Kürbissen den schönsten aus. Am Rand des großen Feldes hatten meine Großeltern eine große Pyramide gebaut, die von hier unten so aussah, als wuchsen diese Kürbisse direkt in den Himmel.
Wenn der letzte Tag im Oktober anbrach, machte ich mich auf den Weg raus aus der Stadt, hinein in das kleine Dorf, in dem ich neunzehn Jahre meines Lebens verbracht hatte, bevor eine Arbeitsstelle bei einer Zeitung mich in die Großstadt gezogen hatte.
Doch immer am Tag des keltischen Samhain Festes, kehrte ich zurück, an diesen heimischen Ort, der mir immer ein Zuhause war. Das ganze Dorf feiert ihre Ernte und den Beginn der kalten Jahreszeit. Mein Blick glitt auf einen rund gewachsenen Hokkaido Kürbis. Dieser würde es werden. Vorsichtig erntete ich den Kürbis, der in den nächsten Minuten für die alljährliche Kürbissuppe im Topf landen würde. Außerdem suchte ich mir einen weiteren Kürbis aus, dem ich später ein schauriges Gesicht verpassen würde. Denn auch wenn meine Familie die alten Traditionen des Samhains feierte, war auch immer mehr das Gruselfest Halloween in den Fokus gerückt. Mit meinem kleinen Bruder schnitzte ich Kürbisse, die wir dann auf der Veranda verteilten und die man bereits in der Ferne als gruslige Gesichter erkannte, wenn Dunkelheit über die Ländereien zog. Manchmal malten wir uns auch ein Spinnennetz um die Augen oder ein paar Tropfen künstliches Blut an die Lippen, falls eines der Nachbarskinder nach ein paar Süßigkeiten fragten.

Eine Ruhe glitt in mich, als ich das orange Meer hinter mir verließ und mit beiden Kürbissen auf das Haupthaus zusteuerte.
Egal welch Trubel das ganze Jahr für mich bereit gehalten hatte, an diesem heutigen Tag war alles vergessen.
So war es schon immer gewesen.

Den großen Kürbis zum Schnitzen ließ ich auf der Veranda liegen, damit wir uns später darum kümmern konnten. Nur den Hokkaido klemmte ich mir unten den Arm und betrat das Haupthaus.

Der Geruch von Braten glitt in meine Nase als ich das warme Haus betrat und als Reaktion darauf ertönte ein leises Knurren meines Bauches.
Zügig streifte ich meine Stiefel von den Füßen und folgte dem Geruch in die Küche.

Als das scharren der Tür meine Anwesenheit ankündigte, hob meine Großmutter den Kopf und ein Lächeln verschönerte ihr faltiges Gesicht.
„Da hast du aber einen richtig schönes Exemplar ausgesucht, Liebes.“
Auch ich lächelte und stellte den Kürbis auf dem Tisch, an dem meine Großmutter saß und bereits ein duzend Karotten geschält hatte.
„Willst du ihn zerschneiden?“, fragte meine Großmutter mich und ich nickte lächelnd, während ich nach dem großen Messer griff.
Das Messer glitt wie Butter durch das orange Fleisch des Kürbis und daher war es ein leichtes, ihn in gleichgroße Stücke zu zerschneiden.
„Wie weit seid ihr?“ Mein kleiner Bruder erschien hinter mir und schaute auf den orangenen Berg aus Kürbis und Karotten.
„Fast fertig. Du kannst nach dem Kartoffel-Kürbis Gratin schau-en und ihn ins Esszimmer bringen.“, bat meine Großmutter und mein Bruder nickte freudig.
„Und sag deinem Großvater, er soll ein Gedeck mehr auflegen. Deine Tante bringt eine enge Freundin zum Essen mit.“
Das „Wird gemacht.“, ertönte bereits im Flur.
„Jetzt hat er nicht nach dem Gratin geschaut.“, meinte ich lachend und auch meine Großmutter konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen.
Da ich eh mit dem schneiden des Kürbis fertig war, erhob ich mich um die Aufgabe meines Bruder stattdessen zu erfüllen.
Das goldgelbe Gratin glitzerte bereits köstlich als ich es aus dem Ofen hob und damit ebenfalls den Flur entlang lief um es im Esszimmer auf dem großen Tisch zu platzieren.
Der lange Mahagoni Tisch war bereits vollständig gedeckt. Mein Großvater zog grade die Tischdecke an der rechten Ecke glatt, als ich das Gratin auf die Wärmeplatte stellte.
„Das sieht köstlich aus Kleines. Da hat sich deine Großmutter mal wieder selbst übertroffen."
Zustimmend nickte ich. Der Geruch von Kürbis lag in der Luft, als ich die Küche betrat.
Neugierig lugte ich den Topf, in dem meine Großmutter grade die Kürbisse Stücke warf.
Die Türklingel ertönte und als mehrere Stimmen das Haus erfüllte, spürte ich eine wohlige Wärme.
„Das wird eine herrliche Suppe werden. Wie jedes Jahr.“, sagte meine Großmutter und legte den Arm um mich.
„Wie jedes Jahr.“, stimmte ich meiner Großmutter zu.
Viele empfinden Wiederholungen als lästig und anstrengend. Doch es gibt Traditionen ,die einen das Gefühl von Zuhause geben. Sicherheit. Sei es auch nur eine perfekte orange Kürbissuppe.

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Danke dir, für deinen Kommentar. Dein Feedback berührt mich.

Ich hoffe sehr, dass Eltern es heute anders halten und solche Szenen nur noch die Ausnahme sind.

Ist es nicht immer wieder erstaunlich, wie viele ähnliche Erfahrungen man mit Menschen verschiedenster Couleur teilt?

Sagen wir so - Steak, Schnitzel, Filet und Co sind Dinge, bei denen ich mich heute nicht mehr überwinden kann, sie in meine Essluke zu befördern. Und ich bin inzwischen 31 :smiley:

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Ich empfinde es so, dass in jedem Essen diese Besonderheit des Menschen inne wohnt. So ein ganz bestimmter Zauber. Es können die selben Zutaten sein, das selbe Rezept, aber sobald der Koch sich ändert, schmeckt es anders. Daran sieht man wieder diese Einzigartigkeit, diese Magie in jeder einzelnen Seele.

Meine Schwester war 10 Jahre älter wie ich und bereitete mir hin und wieder mein Frühstück zu. Meist war es Rührei und Toast mit Streichwurst in Dreiecke geschnitten. Meine Schwester war in ihrem Wesen so bescheiden und sagte immer: „Es ist nichts besonderes, aber mit Liebe gemacht.“
Für mich lag auf diesem Teller nicht einfach nur Rührei und ein dreieckiger Toast, sondern da war noch etwas einmaliges…
Ich konnte ihr Essen so sehr genießen, schon alleine, dass der Toast in Dreiecke geschnitten war, war doch ein Fest. Manchmal dachte ich, dass das Essen mir zugelächelt hat.
Also saß ich auf der Eckbank mit Schlagermusik im Hintergrund und ich konnte jeden Bissen so sehr genießen.

Leider starb meine Schwester sehr früh und so viele Jahre sind seitdem vergangen, aber ich sehe sie noch vor mir in der Küche wie sie voller Konzentration mein Frühstück vorbereitet. Sie war so präsent in diesem Moment. In jeder Handlung die sie vollzog war sie achtsam und achtete darauf, dass alles so war wie sie es sich vorstellte. Schon alleine wie vorsichtig und gerade sie den Toast durchtrennt hat, hatte was von einer Meditation.

Ich habe jahrelang versucht dieses Geschmackserlebniss auf meinen Teller zu zaubern. Aber nach und nach verstand ich, dass die wichtigste Zutat fehlt und zwar ihre Liebe.

Aber in meiner Erinnerung sitze ich noch oft als kleines Mädchen auf dieser Eckbank, glücklich mit meinem Rührei und meinem Toast, genieße diesen Moment und sehe meine Schwester bescheiden Lächeln.

Manchmal sind es die „einfachsten“ Augenblicke, zu denen wir in Gedanken immer mal wieder zurück reisen.

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Ich bin zuversichtlich.

Die Psychologin Philippa Perry rät in ihrem Buch „Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (und deine Kinder werden froh sein, wenn du es gelesen hast)“ werdenden Eltern, sich mal auf den Boden zu setzen und sich von jemand anderem mit einem Esslöffel füttern zu lassen. Ich glaube, so wird die Gewalt fühlbar, die es bedeuten kann, jemanden zum Essen zu zwingen.

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Die Lebkuchensoße macht ein perfektes Weihnachten

Seit ich ein kleines Mädchen war stand meine Mutter an Heiligabend am späten Nachmittag in der Küche und Zauberte die beste Lebkuchensoße der Welt.

Das Rezept hat sie von meiner Großmutter gelernt. Die Mutter meines Vaters hat es jedes Jahr zu Weihnachten mit Schlesischen Weißwürstchen, Sauerkraut und Brot zubereitet. Es wurde geschlemmt und anschließend gesungen und die Geschenke ausgepackt.

So hat meine Mutter es für unsere Familie auch übernommen und mein Vater hatte so ein Andenken an seine Kindheit und an seine Eltern, die viel zu früh verstorben sind.

Ihr Fragt euch sicher, was die Soße so besonders macht. Es liegt nicht nur alleine an den süßen Zutaten wie Mandeln und Rosinen, sondern auch an dem großen Ganzen.

Die Schlesische Weißwurst muss eine gute Qualität sein sowie das Sauerkraut und das Brot was schon 2 oder 3 Tage alt ist weil es in die Soße getunkt wird. Das Essen ist ein Genuss für den Gaumen und mal möchte Nachschlag und nimmt sich welchen obwohl man satt ist aber es ist so unendlich lecker. Damit wir uns nicht so vollstopfen haben wir ein Mitternachtsimbiss eingeführt und haben es dann noch schnell warm gemacht und es war genauso lecker wie ein paar Stunden zuvor. Einfach ein Genuss.

Das ist ein kunterbuntes durcheinander auf meinem Teller, viele mögen es nicht aber ich finde es toll wenn sich die Zutaten auf meinem Teller miteinander vermischen und sich ein Kunstwerk bildet.

Dann kommt noch die Harmonische Stimmung der Familie und das Weihnachtsfest. Die Lichter und das Zusammensein dazu.

Ach was wäre es schön noch mal Kind zu sein.

Aber mit diesem Duft der Lebkuchensoße im Raum ist es ein perfektes Weihnachten.

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Nervös stehe ich in der Schlange beim Bäcker an, schaue mich immer wieder um, ob mich jemand gesehen haben könnte. Die Bäckerei ist auf der anderen Seite der Hauptstraße, direkt gegenüber unserer Schule. Um in der Pause ein Schokokussbrötchen zu ergattern, muss man das Schulgelände verlassen und das ist nur der Oberstufe erlaubt. Für uns Achtklässler bleibt nur der Verstoß gegen die Schulregeln und das riskante Vordringen in die unerlaubte Außenwelt.
„Kauf dir das Brötchen doch morgens vor der Schule“ hatte Mutter gesagt. Lächerlich. Sie versteht nicht, dass man es frisch essen muss. Man muss dabei zusehen, wie die hübsche Verkäuferin in der Bäckerei das Brötchen zerschneidet und zwischen den beiden Hälften mit einer gekonnten Handbewegung die weiße Schaummasse zerquetscht. Wie befriedigend ist das Aufknacken der zarten Schokoladenhülle! Und dann muss man direkt danach hineinbeißen und davonschweben in die himmlischen Gefilde von Süße und Fettigkeit, gepaart mit der Knusprigkeit und dem Duft des frischen Brötchens.
Einmal hatte ich Ulf aus der Zwölften gebeten, mir in der großen Pause eines zu holen. Eine Mark fünfzig hatte ich ihm gegeben, aber ihr könnt euch ja denken, was passierte. Er steckte das Geld ein und kam nach der Pause ohne Brötchen, aber mit fiesem Grinsen zurück.“Is‘ was Kleiner? Was willst du mir gegeben haben? Geld? Kann ich mich nicht dran erinnern, du Sascha?“
„Hehehe, nein habe nichts gesehen“ triumphierte sein Freund.

Seitdem nehme ich das selbst in die Hand. Schon zweimal habe ich mich beim „unerlaubten Verlassen des Schulgeländes“ erwischen lassen. Beim dritten Mal gibt es wahrscheinlich eine Klassenkonferenz oder mindestens einen Brief an die Eltern. Aber im Leben muss man eben Risiken eingehen, vor allem wenn es um den weltbesten Pausensnack geht.

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Oha, das kenne ich nur zu gut. Auch mein Opa liebte Leber über alles, aber ich kann den Geruch auch bis heute nicht ausstehen. Wenn ich nur daran denke, habe ich ihn in der Nase und schmecke es auf der Zunge, und das nach so langer Zeit.

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Wie lustig, da haben wir für diese Aufgabe doch glatt eine ähnliche Bäckererfahrung verarbeitet, nur dass deine dank Ulf und Sascha einen gehässigen Beigeschmack hat. Ich hoffe, du wurdest bei deinem Bäckergang in der Pause genauso wenig erwischt wie ich. :wink:

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Feuriger Geburtstag

Ben konnte nach fünf Ehejahren nur noch wenig Gutes an Tina finden. Ach, warum es in schöne Worte kleiden; seine Ehefrau ging ihm mittlerweile tierisch auf die Eier.

Er hätte auf seinen Schwiegervater hören sollen, als dieser kurz vor der Trauung bedeutungsschwanger ihm ins Ohr flüsterte: »Wenn ich nicht so ein Arschloch wär, hätte ich sogar ein bisschen Mitleid mit dir, aber du willst es ja nicht anders. Gleich heiratest du meine Frau.«

Damals dachte Ben noch, es handle sich um einen verunglückten Scherz; jetzt wusste er es besser. Tina war genau wie ihre Mutter geworden. Unentspannt, kleinkariert und dauernd auf Krawall gebürstet.

Es gab nichts! Gar nichts! An dem sie nicht etwas auszusetzen hatte. Und dann immer dieses Reden. Alles musste besprochen, diskutiert, überprüft und noch mal durchgekaut werden. Von Morgens bis Abends.

In seiner Verzweiflung nahm Ben sogar die verhasste Frühschicht im Büro an, nur um noch vor Tina aus dem Bett zu kriechen und ihren langen, wirklich endlos langen Monologen aus dem Weg zu gehen.

An einem Sonntag im Mai freute sich Ben allerdings besonders darauf, mal früher von der Arbeit nach Hause zu kommen. Er hatte Geburtstag und seine Frau zauberte ihm sein Leibgericht. Pommes Currywurst. Schärfegrad: apokalyptische Hölle.

Tina war zwar eine furchtbare Köchin und sie betrat die Küche auch wirklich nur, wenns keinen anderen Ausweg mehr gab, weil sie einen Kaffee brauchte oder so, aber an Bens Geburtstag machte sie eine Ausnahme und kümmerte sich fast liebevoll um das gemeinsame Essen.

Ich weiß, was sie denken. Currywurst mit Pommes zum Geburtstag? Sie müssen dazu allerdings wissen, dass Ben nach einem Schlag auf dem Kopf nichts mehr schmecken konnte. Seine Geschmacksnerven waren beeinträchtigt und deshalb genoss Ben besonders scharfe Speisen. Letztes Jahr gab es zum Beispiel Chili con Carne. Ben könnte nicht wirklich sagen, ob die Pampe geschmeckt hatte, aber es brannte so schön in seinem Hals.

Der Schlag auf dem Kopf war jetzt etwas über ein Jahr her. Tina hatte Ben mit einem Hammer eins übergezogen. Klingt furchtbar, ich weiß.

Das war so: Tina war damals übers Wochenende zu ihren Eltern gefahren, fühlte sich allerdings dort unwohl, weil eine lästige Erkältung sich anbahnte, und fuhr deshalb früher als geplant wieder zurück nach Hause.

Dort erwischte sie ihren Ehemann mit einer Anderen im Bett und für einen Bruchteil von 20 Sekunden sah Tina dunkelrot und griff zum Hammer, der immer noch auf dem Nachtschränkchen lag. Der Hammer lag da übrigens schon seit drei Tagen. Ben hatte seiner Frau versprochen, ein Bild aufzuhängen. Hätte er es getan, hätte man keinen Krankenwagen rufen müssen. Die Wunde an seinem Kopf blutete wie Sau und nachdem er im Krankenhaus verarztet wurde, stellte Ben fest, dass er nichts mehr schmecken konnte. Weder Lebensmittel, noch Getränke.

Aber das war alles Schnee von vorgestern. Ben setzte sich an den Tisch und freute sich über seine doppelte Portion Currywurst mit Pommes Mayo.

»Alles Liebe zum Geburtstag«, sagte Tina und dann fing Ben auch schon an, die Pommes in sich hineinzuschaufeln. Tina aß nicht mit, weil sie scharfe Sachen nicht so gut vertrug, aber sie goss sich einen Weißwein ein und lächelte immerzu. Anders als sonst, sagte sie auch nichts und ließ Ben in Ruhe seine Currywurst verdrücken.

Ben knöpfte sich sein Hemd auf. Reisige Schweißperlen tropften von seinem Gesicht runter auf seinen Teller. Sein Mund, sein Rachen, einfach alles brannte. Bens Gesicht war tiefrot und immer wieder wischte er sich mit der flachen Hand über seine nasse Stirn.

»Die Soße ist der Wahnsinn, Schatz«, sagte Ben und Tina nickte nur freundlich und schüttete sich ihr zweites Glas Wein ein.
Ben konnte nicht mehr. Mittlerweile brannte sein ganzer Körper. Vielleicht war die Soße doch einen Tacken zu scharf. Ihm wurde auch schwindelig und die Flasche Wasser brachte auch keine Linderung. Ben fühlte seinen Kreislauf in sich zusammenbrechen und schleppte sich vorsorglich ins Badezimmer. Die Currywurst musste ganz dringend wieder raus.

Tinas Ehemann blieb eine geschlagene Stunde auf dem Klo sitzen. Als sie ihn zwischendurch mal fragte, ob alles in Ordnung sei, grunzte er nur ein gequältes »Ja.«

Nach zwei Stunden schaute sie dann doch noch mal nach und fand ihren Mann tot mit runtergelassenen Hosen auf der Kloschüssel sitzen. Tina machte mit ihrem Handy ein Erinnerungsfoto und trank in Allerseelenruhe die Flasche Weißwein leer. Erst danach rief sie den Krankenwagen.
Der Rest ist Geschichte. Tina erbte das Vermögen und freute sich über die ausgezahlte Lebensversicherung und mittlerweile hatte sie ihrem verstorbenen Ehemann auch seinen Seitensprung verziehen. Tina war immer schon sehr stolz darauf gewesen, nicht sonderlich nachtragend zu sein.

Im Moment geht es ihr übrigens richtig gut. Danke der Nachfrage. Auf einer kleinen Tropeninsel lässt sich Tina dienstags, donnerstags und sonntags von einem gewissen Amir den Rücken massieren und manchmal auch richtig hart durchkneten.

Wenn sie so daliegt und über das Leben nachdenkt, dankt sie insgeheim ihrem Zahnarzt. Hätte sie nicht aus Langeweile in seinem Wartezimmer zu der Frauenzeitschrift gegriffen, hätte sie nie etwas über die Dragon’s Breath Chili-Sorte erfahren.
Die kleine Beere war nämlich mittlerweile sogar eine kleine Berühmtheit, weil sie es auf einen Scoville-Wert von 2,4 Millionen brachte und damit alle Schärfe-Rekorde in der Luft zerfetzte. Ganz nebenbei war der Verzehr auch noch tödlich.

Und weil ich weiß, dass sie das sicherlich ganz brennend interessiert. Ja, der Amir hat ganz unfassbar weiche Hände.

Ende

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Ups!
„perfekt, perfekter, am perfektesten“?
:wink:

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Ich gebe es zu:
Ich musste erst einmal googeln, was „Palatschinken“ ist…
:open_mouth: :wink:

Die Zeiten bei meiner Oma waren immer etwas Besonderes. Wir spielten gern Mensch-ärgere-dich-nicht. Und immer, wenn sie am Gewinnen war und ich darauf hinwies, kam von ihr der Spruch: „Das ist noch nicht amtlich!“
Am schönsten aber war es, wenn sie ihre typisch schlesischen Kartoffelklöße kochte. Da meine Oma ursprünglich von dort kam, hatte sie natürlich Rezepte aus der Gegend mit nach Norddeutschland gebracht. Ich sah ihr gern dabei zu, wenn sie mehlige Kartoffeln kochte, diese mit Butter und Kartoffelmehl mischt und die Masse dann in schön runde Kügelchen formte.
Man denkt zwar: „Kartoffeln? Was ist daran Besonderes?“ Aber schon bei der Zubereitung oder wenn sie die Kugeln in kochendes Salzwasser legte, lief mir bei dem Gedanken oder schon bei dem Geruch das Wasser im Mund zusammen. Gespannt wartete ich darauf, dass sie Klöße im Wasser irgendwann oben auftauchten. Dann wusste ich, dass sie in Kürze fertig wären. Dazu gab es als „Beilage“ einen Rinderbraten, der ebenfalls herrlich duftete, aber die Klöße mit der schönen Bratensoße übergossen waren für mich der eigentliche Hit. Davon konnte ich schon als kleiner Junge schon drei Stück verputzen.

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Sehr gut ge- bzw. beschrieben, man meint fast das Knacken der Schokohülle zu hören - auch wenn ich zugeben muss, dass „Schokokussbrötchen“ (muss es ja jetzt wohl politisch korrekt heissen) nicht unbedingt mein Ding sind…

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Ich durfte 2014 Flüchtlinge aus dem Donbass betreuen. Mein Text basiert auf einem traurigen, kurzen Gespräch mit einer damals 16-Jährigen. Die Details sind fiktiv. Der Rahmen Realität. Ich habe noch nie was geschrieben. Aber ich dachte, vielleicht werde ich hier und so was los, was ich bis heute mit mir rumtrage. Verzeiht mir meine Fehler. Die Message zählt. Und wenn jemand so eine Schreibsoftware ganz dringend benötigt, dann wäre sicher ich das. Ist mir bewusst. But here we go:

Marla sitz an der feucht-glitschigen Wand. Trip, triip, - irgendwo im Dunkel bahnen sich glaskalte Tropfen zu Pfützen - vermutlich dort, wo der nass-kalte Beton in seinen aufgerissenen Wunden rostige Armierungseisen nach aussen kehrt. „So schmeckt wohl Hunger“ - dachte sie. Wie wird sich das jetzt schon würg-pelzige im Mund und das wogend Flaue im Magen nach weiteren Tagen anfühlen? Würde sie irgendwann dann doch den modrigen Schimmel ablecken, um ihn dann todsicher wieder heraus zu kotzen, oder hoffte sie, dass sich ein Insekt oder gar eine Schnecke unter dem Türspalt hindurch in diesen modrigen Käfig verirrtet? Würde sie den Ekel überwinden und schlucken, ohne wirklich essen zu müssen - schlucken ohne Geschmack, ohne Reiz - als blosser, gefühls- und seelenloser Organismus, der Organismen einbaut, um überleben zu können?

Sie wusste, dass nur Resilienz sie bis hierhin durchhalten liess. Die anderen gingen vorher schon drauf. Nicht an Hunger gestorben, aber an fehlender Energie, um den Distanzen in der nebligen Kälte zu trotzen - ausgemergelt, mit eitrigen Löchern im Leib im Wald zurückgeblieben, der sich nun verdauen wird, weil sie nicht aus ihm essen wollten.

Anfangs - im Herbst - hatten sie noch Äpfel gestohlen und Kartoffeln ausgegraben, die sie nur selten kochen konnten, weil ein Feuer sie verraten hätte. Trotzdem, sowohl die Freude auf und später die Erinnerung an diese vom Tragen am Körper samt-warmen Früchte lenkte dankbar vom täglichen Horror ab: von den Hunden, den Polizisten und den Nationalisten, welche sie durch den Donbass jagten, nur weil sie Russen waren - als auch nur zum Spass und weil es cool war in Tarnanzügen, Jagdgewehren auf Pickups mit montierten Scheinwerfern Minderwertiges zu jagen, weil Wildschweine nach den unzähligen Bomben nur noch selten zu finden waren. Die Regierung liess es zu: ein paar Nein-Stimmen und Querulanten weniger, die niemand mehr zählen und auch nicht vermissen würde. Bei Soldaten blieben wenigstens Helme und Waffen - von ihnen blieb - vermutlich - nichts.

Dabei hatte sie bereits einmal Schnecken mit Hochgenuss gekostet, damals in Kiew, als ihr Vater noch Geschäftsführer des zweitgrössten Stahlwerks war und in der Hauptstadt - wie es schien - noch Einfluss und was zu sagen hatte. Sie konnte sich bei der Frage, ob sie gerne einmal Schnecken versuchen möchte, noch gut an ihren anfänglichen Widerwillen erinnern, der zum Glück bald ihrer stets unbändigen Neugier gewichen war.

Sie war damals so tief in die ihr untergeschobenen schwülstig weichen Sitzkissen versunken, dass sie die sechs, in Form eines Sterns in der Silberschale präsentierten Schneckenhäuser beinahe übersehen hätte, hätte da nicht der Duft warmer Kräuterbutter himmlischen Genuss verheissen, der sie das Kratzen des ihr noch viel zu grossen Kinderpullis ihrer Schwester und das peinlich laute Lachen und unkontrollierte Dröhnen der Erwachsenen vergessen liess. Sie liebte Kräuterbutter - den nussig-frischen Geruch und die pastige Geschmeidigkeit, der allem mit ihm Verbundene Varianten von GeschmacksSymphonien verlieh und ein wohliges Kribbeln und zufriedenes Lächeln des geliebt Vertrauten bescherte. Und nun also waren da Schnecken mit dieser Kräuterbutter drauf. War das ein Trick? Machten die Grossen Spass mit ihr? Wo war das Schneckenfleisch, verdammt! Sie blickte, innerlich verwirrt in die Runde, ohne sich was anmerken zu lassen.
Ihr Onkel sagte was von „Escargot“ und dass sie aus Frankreich kämen, weil man die hiesigen wegen Tschernobyl nicht mehr essen sollte. Erst als sich ihr Vater aus der Unterhaltung löste, ganz nahe neben sie sass - sie mag sich noch heute an sein Aftershave und die trocken, spröde Riffligkeit seins Jacketts erinnern - und die erste Schnecke mit einem winzigen Gäbelchen für sie aus ihrem Häuschen pulte, war ihr klar, dass es sich wieder einmal um eine der für ihren Vater typischen „Du musst die Welt kennenlernen“ Marotten handelte.

Erstaunlich unspektakulär und blass war das gummiartige Teil und genauso fühlte es sich im Gaumen an, hätte nicht die geliebte Kräuterbutter das tote Kriechtier in ihren sensorischen Mantel gehüllt. Eigentlich bestand dieses Geburtstags-Ereignis aus Konsistenz, nicht Geschmack und noch eigentlicher ging es einzig und allein um den Schein-Effekt des Besonderen, welcher sich von einer einfachen Nudel nur darin unterschied, dass das Teil französisch hiess, von weit her eingeflogen wurde, entsprechend teuer und damit spezieller war als alles andere auf der Karte. Es waren ja vor allem die Schneckenhäuser - das nicht Essbare eigentlich - , welche dem blassen Weichteil all das verliehen, was Werbung und Kultur in „Escargot“ hineininterpretiert hatte.

Dennoch hatte sie gestrahlt, weil ihr Vater strahlte und weil sie mutig gewesen war und damit erfüllt hatte, was ihr Vater in ihr sehen wollte.

Glück ist einfach - und flüchtig - und relativ, wie die nicht vorhandene Schnecke in ihrem Verlies, die sie, aus seltsamen Gründen, hier wohl nie - trotz heftigstem Hunger - hätte essen können, und sich diese wohl eher in die Ohren stopfen würde, um das qualvolle Schreien ihres gefolterten und vermutlich bald sterbenden Vaters nebenan nicht mehr länger aushalten zu müssen. Sie würde überleben, und sie würde sich ihre eigenen Schnecken bestellen können - als Belohnung fürs Durchhalten - mit Kräuterbutter.
Das Leben ist einfach. Durchhalten. Kräuterbutter! Immer nur Kräuterbutter denken - und Schnecken…

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Liebes Papyrus-Team,
heute ist erst der 2. Tag der Seitenwind Woche und ich habe mir bereits die Finger „wundgescrollt“. Wie soll es dann erst nächste Woche werden, wenn ich noch Beiträge lesen kann um „likes“ zu vergeben. Da verliert man schnell die Lust, wenn außer den Beiträgen selbst auch noch Kommentare und Rückbezüge zu Texten zu lesen sind, die viel weiter oben im thread vorkommen.
Geht es da nicht übersichtlicher bzw. user freundlicher?
Mein Vorschlag dazu:

  1. Kategorie: Seitenwind
  2. Kategorie (Unterkategorie): Woche 1 / Woche 2 / Woche 3 etc.
  3. Kategorie (weitere Unterkategorie): Jeder Beitrag ein eigener thread mit entsprechender Überschrift. So kann es zu jedem Beitrag Herzchen, Kommentare, Meinungen etc. geben.
    Wäre doch schade, wenn die Initiative „Seitenwind“ aus mangelnder Übersichtlichkeit ins Abseits geblasen würde.
    Herzliche Grüße,
    Walta
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Ohje, eine Erinnerung, die ich dauerhaft begraben wollte! Aber ich kann sie (wieder) fühlen… Und ich hoffe, dass die Generation „es-wird-gegessen-was-auf-den-Teller-kommt“ inzwischen endgültig abgelöst wurde!!
Mein Like hast du jedenfalls :slight_smile:

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Wunderbar, ich liebe die Meta-Ebene :grin: (und hasse Sauerkraut)