Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Ich sehe zu dir auf, gigantisch. Ich berühre dich.
Dieser dunkle, feste Widerstand, so heiß.
Ich fühle, wie es in dir glüht und brodelt.
Jederzeit, unvorhersehbar auszubrechen.
Aber ich bleibe bei dir. Ich gehe nicht. Ich fühle mich so verbunden.
Mein Herz zerreißt sich für dich.
Dieses glühende Feuer in meinem Herzen, kann der Hitze in deinem Herzen kaum standhalten. Aber ich sehne mich nach dir,
ich will dein inneres fühlen und schmecken.
Meine Zunge gräbt sich in deinen Kern, so warm.
Nicht mehr weit. Ich werde bald bei dir sein. Tief in dir.
Auf die Gefahr, mich und mein Herz mit dir zu verbrennen.
Aber das ist es was ich will. Dich zu fühlen. Dein Innerstes.
Ein letzter Schritt. Du zerfliesst durch meine Finger. So heiß.
Heiß und glühend bildet sich dein Rinnsal.
Du bist ausgebrochen und ich kann dich endlich warm auf meiner Zunge spüren.

Der leckerste Schokoladenmuffin mit flüssigem Schokokern, den meine Oma je gemacht hat.

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Schneeflocken

Die großen Flocken fielen schwer wie Kieselsteine auf das Dachfenster meines Kinderzimmers. Lange wäre ich nicht mehr in der Lage sie zu beobachten, denn dann würde eine geschlossene Schneedecke das verhältnismäßig große Fenster bedecken. Es fühlte sich so an, als würde mit jeder Flocke eine weitere Träne über meine Wange perlen, die sich von all dem Wasser trocken und rau anfühlte. Früher liebte ich den Schnee, jetzt stand er für alles, was mir der Winter genommen hatte. Während ich darüber nachdachte, mich wieder ins Bett zu legen, übernahmen meine Füße das Denken für mich und schritten zum Fenster. Als hätte ich die Kontrolle über mein Handeln verloren, drehten meine Hände den Hebel und öffneten es. Mehr Kraft als sonst war nötig, um es nach außen zu drücken, denn das Gewicht der weißen Decke lastete mittlerweile so schwer auf dem Fenster wie die Trauer auf meiner Seele.
Frostiger Wind trocknete die Tränen, strich mir wie die zärtlich kalte Hand meines Papas über die Wange, kurz bevor, mit seinem letzten Atemzug, das Leben aus ihm gewichen war.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um mich etwas größer zu machen, und schloss die tränenschweren Augen. Mit einem Mal spürte ich seine Hand auf der Schulter, wie er sie zärtlich drückte und mit fast kindlicher Begeisterung sagte: «Jetzt mach schon den Mund auf und streck die Zunge raus. Nicht nur so ein bisschen!»
Ich gehorchte, denn ich hatte keinen Grund, der dagegensprach. Im gleichen Augenblick spürte ich es, das eiskalte Gefühl der Glückseligkeit, welches sich im Sekundentakt auf meiner Zunge niederließ und dort in Windeseile wieder verschwand. Die watteweichen zartschmelzenden Flocken hinterließen einen süßlichen Geschmack im Mund, als hätte ich Zuckerwatte genascht. Sie waren Balsam für meine Seele wie eine Tasse heißer Zitronentee, der mein innerstes wärmte. Für einen flüchtigen Augenblick brachten mir die zartschmelzenden Schneeflocken meinen Papa zurück, weshalb ich den Gedanken fasste, auch mal wieder nach draußen zu gehen.

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Pamsche

„Wollen wir Pamsche essen gehen?“
Der Sinn dieser Frage lässt sich nicht vermittels einer Google Suche ermitteln. Führt sie einen doch zu einem Pinterest Eintrag, der sich mit einer Errungenschaft namens Paperclay beschäftigt. Und soweit mir bekannt ist, gehört dieses Bastelmaterial nicht zu der Gattung der Esspapiere.
Möchte man diese Frage verstehen und gegebenenfalls auch beantworten können, muss man ein Stück weit in meine Familiengeschichte eintauchen. Und zwar den Teil der Geschichte, der sich mit Mutter Tochter Unternehmungen beschäftigt. Genauer gesagt mit den Shoppingtouren, die meine Mutter und ich während meiner Kindheit und Jugend in der Hamburger Innenstadt veranstaltet haben. Damals, als Shopping noch nicht anrüchig und umweltfrevelnd, sondern Teil des deutschen Kulturgutes war. Es ging damals auch nicht darum, mit besonders vielen Tüten nach Hause zu kommen, sondern vielmehr um das gute alte „Schaufensterbummeln“ und „Zufallsfunde“. Dinge aufspüren, die man brauchen konnte, ohne je nach ihnen gesucht zu haben. Und weil diese Art der Unternehmung kräftezehrend war, tauchte gegen Mittag die oben genannte Frage auf, die stets mit „Ja“ beantwortet wurde.
„Pamsche“ fand man in der Kaufhof Filiale, die damals noch nicht Galeria hieß und wie jedes Kaufhaus, das etwas auf sich hielt, im obersten Stockwerk ein Restaurant unterhielt. Im Fachjargon „Frequenzbringer“ genannt. In unserem Fall brachten wir zwar Frequenz, aber soweit ich mich erinnern kann, keinen weiteren nennenswerten Umsatz in anderen Abteilungen. Unser Augenmerk lag auf erwähnter „Pamsche“, die – Trommelwirbel – aus einem Stück paniertem Schnitzel, mit Pommes und Rahmsoße mit Pilzen bestand. Der geneigte Leser mag jetzt einwenden, dass ich gerade viel Lärm um nichts, bzw. um ein profanes Jägerschnitzel mit Pommes gemacht habe. Aber in meiner Erinnerung ist es viel mehr als das.
Dieses, unter anderen Umständen schlecht schmeckende Stück Formfleisch, dessen flankierende Pommes durch die Soße bereits mehr matschig als knusprig waren, schmeckte nur nach besagten ausgedehnten Shoppingtouren. Und auch nur an diesem Ort. Unter den viel zu tief hängenden Lampen, die dem Gegenüber eine Art Heiligenschein verliehen. Auf den semi geschmackvollen Sitzmöbeln in mittelblau mit Blümchenapplikation. Mit der halbtoten Topfpflanze, die den Tisch gewissenhaft in zwei Hälften teilte. Umgeben von Rentnern und anderen Shoppingflaneuren, die sich ihr Essen in der mit einer Mischung aus Fett und Zigarettenrauch geschwängerten Luft, schmecken ließen. Und die ich geflissentlich ignorierte, weil ich vollends damit beschäftigt war, der Pamsche zu huldigen, die mir neue Kraft verlieh, um das Bummeln hinterher noch eine Weile fortsetzen zu können.
Nach Beendigung der Mahlzeit stellte man das Tablett nicht in einen von diesen seelenlosen Tablettständern, die bereits von den Essensresten anderer Gäste überquollen, wie man es heute kennt. Man stellte es stattdessen auf ein Laufband und sah ihm wohlwollend hinterher, bis es außer Sichtweite war, als winke man einem Freund zum Abschied hinterher. So war das damals. Und derjenige, der nun einwenden mag, dass es diese Art von Kaufhausrestaurants in ähnlicher Form immer noch gibt, will ich an dieser Stelle entgegenhalten: Damals war es besser, weil es damals war.

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„Ja, richtig durchziehen!“

Mutter biss die Zähne zusammen, öffnete ihren Mund spaltbreit und ergänzte ihre Darstellung mit einem geräuschvollen Schlürfen.

„Aber dann kommen die Bröckchen doch nicht durch, Mama.“

Meine Mutter verdrehte die Augen.

„Mensch Martin, stell‘ dich doch nicht blöder an, als du bist! Reinbeißen, nicht runterschlucken, dann den Löffel hinterher und einfach durchziehen.“

„Den Löffel?“

„Willst du mich verkackeiern? Die Suppe!“

Ich tat, wie mir geheißen und biss in den frischen Zwetschgenkuchen.

„Nicht runterschlucken!“

„Hmmpff…“

„Jetzt einen vollen Löffel von der Kartoffelsuppe durch die Zähne ziehen.“

Durch die Zähne? Wohl eher zwischen den Zähnen durch, also so zwischen oberer und unterer Zahnreihe. Wegen der Bröckchen. Fragen konnte ich nicht, hatte ja noch den Zwetschgenkuchen im Mund.

Die heiße Suppe bahnte sich den notwendigen Weg bis hin zum zerquetschten Zwetschgenkuchen und vermengte sich mit diesem zu einer breiigen Masse.

„Kauen und Schlucken!“

Da war nichts mehr zu kauen, also beschränkte ich mich aufs Schlucken.

„Und?“

„Lecker!“

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Es war die Zeit des Vokuhila-Looks, der Schulterpolster, von Flashdance, Schweißbändern, Dallas, Wetten-dass, Bandsalat, Dauerwellen und Föhnfrisuren. Das exotischste Essen bei uns zu Hause waren Spaghetti Bolognese und es gelüstete meine beste Freundin und mich nach einer kulturellen Gaumenreise und so machten wir uns mit Erlaubnis der Eltern auf, zu zweit ein griechisches Lokal zu besuchen. Jede von uns trug stolz einen 10 DM Schein in ihrem kleinen bunten Portemonnaie mit sich. Für uns Kinder damals ein Vermögen und wir waren bereit, es gnadenlos zu verprassen.

Wir wohnten etwas ländlich und der Grieche lag in der Stadt, so hatten wir ein ganzes Stück zu laufen, aber auch das gehörte zu dieser Zeit. Ebenso das Fehlen von Handys, was klasse war; keine störenden Kontrollanrufe oder Tracking-Möglichkeiten. Wir waren frei und saßen in einem hübschen Restaurant. Gierig inhalierten wir den Duft des Essens, das weit weniger fremdländisch schmeckte, als sein Name erahnen ließ: Kritharaki. Die dampfenden Nudeln in Reisform lagen heiß in unseren Mündern und der Käse verbrannte unsere Zungen. Zudem war alles pikant gewürzt und reizte so den Durst. Da aber jede Portion exakt 10 DM kostete, konnten wir uns kein Getränk leisten, was aber der Stimmung keinen Abbruch tat. Wir lachten, alberten herum und verloren uns in der Zeit. Dieser besondere Ausflug war für uns ein großes Abenteuer.

Zu später Stunde machten wir uns auf den Heimweg, logischerweise zu Fuß. Die Wärme der lauen Sommernacht zeugte noch von der Hitze des Tages. Die Luft war erfüllt von unseren Träumen und unausgesprochen Wünschen. Alles fühlte sich leicht und unbeschwert an. Arm in Arm hüpften wir auf dem Bordstein zu einem alten Kinderreim, den wir immer wieder falsch aufsagten.

Auf halber Strecke kam uns mein erboster Bruder auf seinem BMX-Rad entgegen, der wohl besseres zutun hatte, als nach seiner jüngeren Schwester Ausschau zu halten. „Wartet nur, bis ihr Zuhause seid, da bekommt ihr richtig Ärger.“ Mit diesen Worten fuhr er einen engen Bogen um uns herum und beschleunigte Richtung Heimat. Puh, das war ein Dämpfer für unsere ausgelassene Stimmung, aber das Gewitter, das uns aus Sorge um uns empfing, fiel zum Glück nicht allzuheftig aus. Dieses aller erste Essen-gehen alleine mit meiner besten Freundin hat sich bis heute fest in mein Herz gebrannt, ebenso wie das griechische Nudelgericht, das einfach aufgrund der Situation zu etwas Besonderem für uns wurde.

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Das Koch - Battle
kulinarischer Kurzkrimi
von
Ralf Hergarten

Doris Dommersheim, genannt „DD“ – was nicht nur an ihrem Namen, sondern auch an ihrer voluminösen Figur lag, zitterte vor Aufregung.
Endlich – endlich würde Sie dem Starkoch Horst Dunkel gegenüberstehen, der mit seiner scharfen Zunge nicht nur letzte Quäntchen eines Gewürzes erschmecken, sondern auch die Karrieren von Köchen und Köchinnen in ungeahnte Höhen steigen oder in der Hölle enden lassen konnte.
Doris hatte sich bei einer Talentshow gemeldet, die die begabteste Amateurköchin des Landes suchte, die sich mit selbst gewählten und gekauften Zutaten vor der Jury präsentieren konnten.
Dabei gab es ein kleines Manko. Doris war überzeugte Vegetarierin – ein Umstand, den man ihrer beträchtlichen Leibesfülle nie zugetraut hatte. Doch für die hohen Weihen, von einem Sternekoch gelobt zu werden, war sie bereit, auch Fleisch zuzubereiten.
Erwin, ihr vor einem Jahr plötzlich dahingeschiedener Gatte, hatte ohnehin täglich Fleisch auf dem Tisch haben wollen, so dass Doris in den Zubereitungsformen diverser Fleischsorten jahrelange Übung besaß. Dabei war Erwin auch ihr größter Kritiker geworden – ständig hatte er Verbesserungsvorschläge gehabt, und immer wieder angemerkt, wo noch eine Prise Salz oder Pfeffer gefehlt hatte.
Doch – er hatte auch seine Vorzüge gehabt. So lange Erwin seine Werkstatt hatte, hatte Doris immer excellent scharf geschliffene Messer besessen – sie glitten wie Butter durch jede Sorte Fleisch, und nach jedem Gebrauch wartete Erwin schon begierig darauf, das benutzte Messer direkt wieder in der Werkstatt mit seinem eigens aus Japan importierten Schleifstein aufs Neue zu schärfen.
Das war dann leider auch der Grund für sein frühes Ableben gewesen. Erwin hatte sich beim Schleifen erschreckt, und die scharfe Klinge eines Messers war vom Schleifstein abgerutscht, hatte eine Vene getroffen. Jede Hilfe war zu spät gekommen. Erwin war in seiner eigenen Werkstatt verblutet.
Doris zwang sich, die negativen Gedanken abzuschütteln. Sie musste sich auf das heutige Gericht konzentrieren, zu dem „der Meister“, wie sie Dunkel im Stillen nannte, extra angereist war.

10 Ausscheidungsrunden hatte Doris erfolgreich überstanden, wobei die Gerichte von Mal zu Mal raffinierter geworden waren. Jeder Teilnehmer hatte anfangs erzählen müssen, was seine Spezialität sei und wie er auf die Idee gekommen war, an dem „Koch – Battle“ teilzunehmen. Doris hatte erzählt, dass sie in Gedenken an ihren geliebten Gatten jedem Gericht ein „à la Erwin“ im Namen hinzugefügt hatte. Die Story hatte den Redakteur fast zu Tränen gerührt.

„Eine Liebe, die den Tod noch mit einem Denkmal überdauert!“, so hatte er Doris im Wettbewerb angekündigt.

Doris hatte mit einem einfachen Braten auf einer Sauce aus Zwiebeln und Rotkohl begonnen, mit einer raffinierten Mischung von Gewürzen aus dem eigenen Garten. Diesen „Sonntagsbraten à la Erwin“ hatte sie dem Jurorengremium kredenzt, mit einem schweren Rotwein aus der Pfalz kombiniert.
Die Juroren waren restlos begeistert. Das zarte Fleisch, der raffiniert gewürzte Rotkohl, der ideal passende Wein – mit Leichtigkeit war Doris in die nächste Runde gekommen. Das hatte ihren Mut angestachelt.
„Filet à la Erwin“ – ein Filetstück mit saisonal passenden „Spruuten“, wie man Rosenkohlköpfe im Rheinland nennt, mit einem Riesling von der Ahr, der die feine Geschmacksnote des Filets nicht überdeckte. Zu dem Filet hatte Doris die Rosenkohlköpfe mit selbst geräuchertem Speck garniert – war ihr einen Sonderpreis „besondere Raffinesse in lokaler Küche“ eingetragen hatte.
Gefolgt war Doris mit einem „Gulasch wie bei Muttern á la Erwin“, mit exakt gewürfelten Fleischstücken, die sie scharf angebraten und mit einem Eiswein abgelöscht hatte. Die Süße des Eisweins, dem sie dann mit Koriander und Thymian wieder Würze beigegeben hatte, hatte die Jury erneut überzeugt.


Doris schielte auf die nagelneue Küche, die schon am Rand der Bühne aufgebaut war. Eine tolle Küche, mit einem Induktionskochfeld, einem Gasherd und einem dieser modernen amerikanischen Riesen – Kühlschränke, deren eine Hälfte als Gefrierschrank diente – ein Traum von Küche.

Heute in der Finalrunde würde ausschließlich Dunkel das Urteil fällen, und drei Köchinnen präsentierten heute noch ihre Werke. Lange hatte Doris überlegt, welche erlesene Speise sie dem König der Köche präsentieren könne. Schließlich war ihr etwas eingefallen: Erwin wollte mit ihr immer nach Mexiko reisen, doch leider waren sie nie weiter als bis zum Mexikaner in der nächsten Stadt geraten, wo Erwin eine absolute Lieblingsspeise entdeckt hatte: „Cojones“ – Stierhoden mit einer scharfen Sauce.
Als Vegetarierin schüttelte es Doris bei dem Gedanken an die Zubereitung, doch für die neue Küche und ein Lob aus dem Mund des Kochkönigs war sie bereit, sich erneut zu überwinden.
Mit ihrem Lieblingsmesser schnitt sie die Zutaten zu hauchdünnen Scheiben, und garnierte diese in einen Kranz aus „Flöns“ – hausgemachter rheinischer Blutwurst. Das Ergebnis sah so appetitlich aus, dass Doris fast selbst Lust bekam, davon zu probieren. Lediglich, dass die Cojones von der Menge so gerade für ein Appetithäppchen reichten, hielt sie davon ab.
Mit dem fertig angerichteten Teller stellte Doris sich kameragerecht hinter ihren Tisch, als Dunkel die Bühne betrat. Sie war die Dritte und damit letzte Teilnehmerin, die ihre Kreation servieren durfte. Ängstlich linste sie auf die Gerichte, die ihre beiden Mitbewerberinnen dem Meister vorsetzten. Das Niveau war wirklich hoch, und Doris befürchtete schon, keine Chance zu haben.
Nachdem Dunkel die beiden anderen Gerichte verkostet und über die Maßen gelobt hatte, trat er an ihren Tisch.
„Ich freue mich schon darauf, meinen Gaumen von Ihren Ideen kitzeln zu lassen, Doris“ tönte der Bass des Meisters.
Doris errötete. Nicht nur hatte er sie geduzt, er hatte auch schon vorab ihre Kreativität gelobt.
„Womit überraschen Sie mich heute?“ Fragte Dunkel.
„Cojones á la Erwin mit einem Kranz aus hausgemachter Flönz auf einem Bett aus Kartoffelpürrée von Kartoffeln aus eigenem Garten, Sorte „Doris“ sagte sie leise.
Der Meister zog sein goldenes Besteck aus der Tasche und kostete. Seine Nasenflügel blähten sich, er sog tief den Duft ein, kaute bedächtig und drehte sich zum Kamerateam.
„Die Entscheidung war alles andere als einfach, das Niveau der Amateurköchinnen in diesem Wettbewerb war extrem hoch!“ Lobte Dunkel. „Jetzt komme ich, da ich mich entscheiden muß, jedoch zu meinem Urteil, und damit zu der Entscheidung, wer die funkelnagelneue Profi – Küche zusammen mit einem Preisgeld von 20.000 Euro erhält. Dabei lobe ich besonders die Kombination von internationaler Küche mit lokalen Spezialitäten. Der erste Preis geht somit an – „ er machte eine Pause, die der Sender nutzte, um eine Werbeeinblendung zu schalten – „Doris Dommersheim für ihre „Cojones á la Erwin mit einem Kranz aus hausgemachter Flönz auf einem Bett aus Kartoffelpürrée von Kartoffeln aus eigenem Garten, Sorte „Doris“!
Doris flimmerte es vor Augen. Sie hatte es geschafft. Nicht nur gehörte die tolle Küche ihr, sie würde mit dem Geld auch endlich einen Urlaub machen können – vielleicht nach Mexiko zu einem vegetarischen Kochkurs? Still danket sie Erwin, der sich wirklich aufgeopfert hatte. Gut, ein schlechtes Gewissen hatte sie: Sie hatte die Pressluftfanfare gedrückt, als er die Messer geschliffen hatte. Blitzschnell hatte sie das Blut in einem Eimer aufgefangen und dann den Arzt gerufen. Dieser hatte den Unfalltod bestätigt und dem Bestatter den Auftrag erteilt.
Es war schwer gewesen, den Bestatter zu überzeugen, dass Erwin noch zwei Tage bei Doris im Sarg für die Totenwache liegen sollte. Noch schwerer war es gewesen, den Körper so schnell zu zerteilen, einzufrieren und an seiner Statt 80 kg Kohlköpfe in den Sarg zu legen, damit nicht auffiel, dass dieser leer war. Doris wusste jetzt: Das war die Mühe wert gewesen. Nun hatte Erwin auch einen sinnvollen Zweck erfüllt, er hatte mit seinem Filet, seinem Bauchspeck, dem Blut und schließlich seinen „Kojones“ dazu beigetragen, dass Doris künftig in einer Profiküche vegetarisch kochen konnte.

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Großmutter nimmt einen genüsslichen Schluck aus ihrer Teetasse. Sie ist seit 35 Jahren tot.

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Eine sehr lebendige Kindheitserinnerung :slight_smile:

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Ich musste immer wieder schmunzeln. Und langweilig wurde es auch nicht. Ganz fantastisch. :smiley:

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Als ich sieben oder acht Jahre alt war, verbrachte ich die Sommerferien alleine bei meiner Oma im Ammerland. Meine Eltern hatten sicher Besseres vor, Streiten zum Beispiel.
Meine Oma lebte in einem Dorf, das eher eine Ansammlung von Bauernhöfen war und in dem fast alle denselben Nachnamen trugen wie ich. Im Obergeschoß des alten knarrenden Bauernhauses sollte ich jetzt mehrere Wochen verbringen.
Schon beim Aussteigen aus dem Auto meiner Mutter konnte ich die Kühe hinter dem Haus hören und riechen.
Meine Oma, wie immer in geblümter Kittelschürze, strahlte mich an und umarmte mich fest. Ich murmelte etwas, machte mich los und rannte ins Haus.
Hier saß ich wieder den ganzen Vormittag am Fenster der kleinen Stube mit dem großen Esstisch und zählte Autos, während meine Oma das Mittagessen kochte.
Viel passierte nicht auf der Landstraße. Da, ein roter Käfer näherte sich. Ein Strich. Und ab und zu ein Trecker. War es derselbe wir vorhin aus der anderen Richtung? Zählte er dann?
Manchmal schlich ich mich in das Erdgeschoß, wo im hinteren Teil „Tante“ Grete wohnte und im vorderen die Räume der ehemaligen Bankfiliale lagen. Mit zitternden Fingern öffnete ich die Tür und trat in die Stille. Staub tanzte auf. Der alte Kassenraum seufzte leise. Ich trat an den Schreibtisch und berührte den Löschroller. Das trockene, raue Papier flüsterte mir Zahlen zu, Addition, Subtraktion, Sicherheit und Ruin.
Meine Oma rief nach mir. Mit einem langen Ausatmen ließ ich los und rannte die Treppe hoch.
Am Abend saßen meine Oma und ich wieder am Esstisch und ich lauschte der Wanduhr. Jeden Morgen zog meine Oma mit wissendem Blick an den Gewichten. Sie war die Herrscherin über die Zeit, meine Zeit.
Jetzt beobachtete ich, wie sie eine Scheibe Schwarzbrot nahm, sie mit Butter bestrich und dann über die Zuckerdose hielt. Langsam rieselten die kleinen Körnchen über das Brot, blieben an der Butter kleben. Wieder und wieder ergoss sich ein schimmernder Regen, bis ein gleichmäßiger Hauch das Brot krönte.
Meine Oma reichte mir die schwarz-weiße Scheibe und ich biss hinein.
Die Zuckerkristalle knirschten und zerplatzten. Ich schloss die Augen. Die saftigen Roggenkörner gaben Widerstand und verlängerten das buttrige Schmelzen in meinem Mund. Mit einem tiefen Seufzer öffnete ich die Lider und sah auf das angebissene Viereck in meiner Hand. Ich liebte meine Oma.

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Ich mag keine Frankfurter und esse überhaupt sehr selten Fleisch, aber dieses Bild mit dem Schiff im Nebel? Ich bin an Bord.

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Der Duft von Glück

Wie schmeckt Glück? Schmeckt es anders wenn man Kind ist? Kann man es riechen?

Der köstlichste Duft meiner Kindheit war der von warmen Hefeklößen.

Geschmeidig und wohlgeformt zeichneten sie sich unter einem Leinentuch ab mit welchem Omi sie zum Ruhen auf dem Küchenofen bettete. Bei diesem Anblick lief mir bereits das Wasser im Mund zusammen.

Die erste Ladung Klöße dämpfte bereits im heißen Wasserdampf vor sich hin.

Das Pflaumenkompott blubberte sanft im Topf. Manchmal gab es auch heiße Heidelbeeren dazu.

Dieser süße Wohlgeruch, so wunderbar. Ich freute mich riesig und grinste wie ein Honigkuchenpferd.

Aufmerksam und voller Vorfreude beobachtete ich jeden Handgriff in der Küche. Mein Teller wurde angerichtet. Endlich.

Zwei wohlgeformte Hefeklöße, vollendet mit geschmolzener Butter und leicht karamellisiertem Zucker trug ich zum Tisch. Wie in einem See lagen sie da, vor mir, in warmes Pflaumenkompott gebettet.

Der Auftakt.

Selbstverständlich schaffte ich mehr als zwei.

Mit zwei Gabeln riss ich behutsam die Klöße auseinander. Heißer Dampf entwich und ich atmete ganz tief ein.

Jede meiner Geschmacksknospen wurde befriedigt als ich genüsslich Bissen für Bissen dieser fluffig weichen, köstlich süßen Klöße in mir aufnahm. Das Zusammenspiel aller einzelnen Komponenten schien einfach perfekt.

Genauso mussten sie sein. Das konnte nur Omi.

Ich befand mich in meiner kindlichen Glückseligkeit.

„Schmeckt’s mein Röschen ?“ fragte Omi mich liebevoll. Mit vollem Mund nickte ich eifrig und murmelte: „Danke Omi. Gibts noch mehr?“

Diese wunderbaren Erinnerungen bleiben für immer.

Die Liebe zu Hefeklößen konnte ich auch an meine Kinder weitergeben. Allerdings heißen sie heute Germnknödel und meine Jungs lieben sie ohne Füllung aber mit viel Vanillesoße und gezuckerter Mohnbutter. Ich glaube, auch sie haben ihre kulinarische Glückseligkeit gefunden.

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Ich habe einen wiederkehrenden Albtraum, in dem ich in der Küche meiner Großmutter sitze und sie mir etwas Warmes zu Trinken macht. Es ist alles sehr gemütlich, aber irgendwie auch … falsch. Als sie sich umdreht, fällt mir ein, dass sie vor fast zwei Jahrzehnten gestorben ist. Dann wache ich auf. Zumindest bei mir lösen diese beiden Sätze mit minimalem Aufwand maximales Unbehagen aus.

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Eine wunderbare Idee, ich schau mal ob ich Zeit habe neben dem Essen zu schreiben :slight_smile: Scherz ohne, den Schubs vertrage ich gut, ich starte schon seit einem Jahr… wie man in Österreich sagt: das zieht sich wie der Dreck am Wasser… ich habe diesen Sager schon eingedeutscht, den Dialekt will ich euch nicht zumuten. Happy Tip an die Community

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Hey, schön, dass du da bist! Ich würde das sonst mit einem Herzchen sagen, aber in diesem Thread ist ein Like eine Art Literaturpreis. Für Kommentare zur oder Gespräche über die Schreibsaison ist dieser Thread am besten.

Woah. Ich liebe das Überbordende und Uneindeutige an diesem Text, Stolz und Ekel. Und die Beschreibung der Wurst ist zugleich absolut sinnlich und absolut beunruhigend. Wörter sind toll.

Alles Bio, versprochen!

„Frische Semmeln, nur 60 Pfennich das Stück!“, schrie Meggie. Schwitzende Leiber schoben sich schon früh zwischen den bunten Marktständen. Alle schauten sie sich die vielfältigsten Waren an, die bunt und ausgefallen von den Verkaufenden drapiert wurden. Während sich die Bäckerstände mit ihren verführerischen Düften duellierten, schien sich ausgerechnet die Konkurrenz vor Meggie zu behaupten. Brote viel zu schwarz, Zimtschnecken mit zu viel Zimt oder Apfelkuchen, der eher wie eine zerkochte Brühe aussahen, fand Maggie, aber trotzdem standen sie an wie die Doofen.

Meggie probierte es noch einmal: „Frische Semmeln, nur 50 Pfennich das Stück!“

Ein kleines Kind schaute völlig verschreckt zu ihr hinauf. Es umschloss mit seinen kleinen Händen vorwurfsvoll die Ohren.

Meggie richtete sich an ihn: „Hast du 50 Pfennich? Wenn nicht, dann kusch dich du Lümmel!“, zischte sie.

Sie schaute mürrisch zum ollen Holger gegenüber. Das Kind war zu ihm gehuscht. Sie sah es genau, es legte 80 Pfennig auf die Theke und wartete ungeduldig das der olle Holger die Zuckertorte fertig in ein Stück Backpapier verpackte. Pah, Kinder heutzutage leckten lieber an purem Zucker. Die vertrugen doch die subtile Süße ihres Karottenbrotes gar nicht mehr… Sie hob das Karottenbrot hoch.

„Karrrrottenbrot, nicht mehr als 65 Pfennig das Stück!“ Ein vorbeilaufender Herr wischte sich angewidert Speichel aus seinem Gesicht und schaute sich nach der Quelle der Feuchtigkeit um. Meggie schaute unschuldig, geschäftig rüber zu Bianca, die gerade einen krossen Fisch für eine Kundin aufschnitt. Natürlich nur so lange, bis der Herr weitergezogen war. Bianca beim zigtausendsten Mal dabei zusehen zu müssen, wie sie mit den Ökotanten über die beschichteten Pappteller diskutierte, ödete sie an. Tatsächlich war das jedoch der Moment, in dem Meggie eine Idee kam.

„Hey Bianca!“, rief sie. Bianca schaute nicht von ihrem geschäftigen Treiben auf.

„Ich leih dir nichts mehr, mach deine Brote einfach besser beim nächsten Mal.“, sagte Bianca.

„Meine Brote sind nicht… Ich will dich gar nicht nach Geld fragen. Siehst du den Ollen da drüben? Wenn ich schon dieses dümmliche Grinsen sehe… weißt du, warum der so viel verkauft?“

„Weil er seine Brötchen bäckt?“, fragte Bianca.

Meggie schlug zurück: „Weil seine Brötchen nicht nach Chemiepappe schmecken. „Weißt du wie wir das umgehen können?“ fragte Meggie, wartete dieses Mal jedoch auf keine Erwiderung von Bianca. „Indem wir einfach meine Brötchen mit deiner Soße füllen!“

Bianca wollte bereits zu etwas ansetzen, hielt dann jedoch inne. „Das wird richtig abgehen“, führte Meggie aus, „und wir werden dann dafür mehr verlangen, ist ja schließlich Öko.“ Meggie verschränkte gewinnend die Arme vor ihrer Brust. „Na, was sagst du?“

Die Dame, die gerade ihren krossen Fisch mit der vor der Bude stehenden Soße bespritzen wollte, sicherlich um Plastik zu sparen, schaute auf.

„Ihr verkauft Soße auch im Brötchen statt auf diesem ekligen Pappteller?“ Sie schaute vorwurfsvoll zu Bianca, die ihr vor wenigen Minuten noch sagte, es gäbe entweder den Pappteller oder keinen Fisch. „Kann ich meinen Fisch auch auf einer Brotscheibe haben?“

„Aber sicher doch. Eine Scheibe macht 30 Pfennig und die Soße im Brötchen noch mal 60. Das müssen wir so machen, weil Öko nun mal teurer ist.“

Die Einnahmen an diesem Tag ließen Meggie richtig gute Laune haben. Alle Leute, die bereits gingen und vom Markt aus dem Ausgangstor gespuckt wurden, ließen mehr Platz zum Atmen. Die Hitze wich und Meggie pfiff am heutigen Abend beim Zusammenpacken sogar ein fröhliches Lied. Kaum eine volle Kiste würde sie nach Hause bringen. Das Einzige, was nicht aufhören wollte sie zu plagen, war der anklagende Blick vom ollen Holger, als Bianca und Meggie an ihre Tafel „Bio“ geschrieben hatten.

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Bittersüß. Und man ahnt, dass hinter diesem kleinen Ausschnitt noch eine viel größere Geschichte steht.

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Der Ecktisch in der Nische des Restaurants, die eine gewisse Privatheit im großen Gastraum gewährte, war immer für Willrott und seine Gäste reserviert. Die Kanzlei zahlte dafür, auch wenn der Tisch am Abend leer blieb. Heute Abend aber war der Tisch besetzt. Oberbürgermeister Hajo Posch und der Besitzer der Privatbank Heinrich Umbreit hatten sich zu Alexander Willrott gesellt, der gerade Messer und Gabel auf seinen Teller fallen ließ und den letzten Rest des edlen Rotweines schlürfte, den er sich zu seiner vorzüglichen Piccata Milanese gegönnt hatte. Willrott lehnte sich zufrieden zurück und rülpste genüsslich.

Posch quittierte Willrotts eigenwillige Tischmanieren mit pikiertem Blick, legte ebenfalls das Besteck aus der Hand, griff nach der Stoffserviette und reinigte penibel Mund und Hände, obwohl er seine Spaghetti noch nicht einmal zur Hälfte aufgegessen hatte. Ihm war der Appetit vergangen.

Umbreit hingegen aß unbeeindruckt weiter. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass Willrott und Posch ihm zusahen, wie er das Innere seines Hummers ausschälte, bis auch das letzte Stück der rosaroten Köstlichkeit in seinem Mund verschwunden war. Was bezahlt wird, wird gegessen, an dieser Devise hatte er sein Leben lang festgehalten. Geld, in welcher Form auch immer, verschenkte man nicht, keinen Cent, an niemanden.

Umbreit investierte lieber. Zusammenraffen und gewinnbringend anlegen, nur so machte Geld Sinn und echten Spaß, besonders wenn es nicht das eigene war. Der Umgang mit Geld war nicht nur sein Beruf, es war sein Lebensinhalt. Das störte ihn auch an Willrott am meisten, der das Geld mit beiden Händen zum Fenster rauswarf. Willrott hatte sich inzwischen eine wuchtige Villa an den Stadtrand gebaut, fuhr Jaguar und verbrachte jede freie Minute im Golfclub oder in tropischen Urlaubsparadiesen, getreu seines Lebensmottos nur das Beste ist gerade gut genug. Aber er war ein brillanter Anwalt und für Umbreits nicht immer ganz einwandfreie Geschäfte unverzichtbar. Und Willrott wusste das, längst hatte er das Ruder an sich gerissen. Posch und Umbreit hatten keine Chance und gaben sich mittlerweile mit dem zufrieden, was Willrott ihnen noch zubilligte.

Sehr zum Ärger von Oberbürgermeister Hajo Posch, der am liebsten alle verfügbaren Mittel aus ihren gemeinsamen Geschäften für imposante Projekte in seiner Stadt eingesetzt hätte. Vor fünfzehn Jahren war er als Vertreter der Pharmaindustrie aus Hamburg nach Neustadt gekommen und schon kurze Zeit später als parteiloser Kandidat von den Bürgern, die genug hatten von ihren wankelmütigen Kommunalpolitikern, auf den Sessel des Oberbürgermeisters katapultiert worden. Ein großartiger Erfolg für seine bis dahin eher mäßige politische Karriere, ein Erfolg, der damals landesweit Schlagzeilen gemacht hatte. Er hatte sich einen guten Ruf erarbeitet in seinen fünfzehn Amtsjahren, in denen er aus dem verschlafenen Städtchen ein ansehnliches Mittelzentrum gemacht hatte. Seine rigoros mit Unterstützung von Umbreit durchgezogene Wohnraumverdichtung hatte Neubürger in die Stadt geholt, die rege Bautätigkeit für Arbeit und Wohlstand gesorgt. Sie würden ihm ein Denkmal setzen, wenn er im nächsten Jahr das Rathaus verließ, das war sicher.

Von den genialen Anfängen war indes nichts mehr übriggeblieben. Inzwischen ging es nur noch um finanzielle Interessen. Er hatte immer versucht, das Wohl der Bürger und der Stadt in den Vordergrund zu stellen. Das war vorbei, seit er und Umbreit damals Willrott als Rechtsanwalt ins Boot geholt hatten.

Als Heinrich Umbreit endlich auch nicht den kleinsten Fetzen Hummerfleisch mehr in der Schale ausmachen konnte und sein Besteck abgelegt hatte, kam Willrott auf den eigentlichen Grund für ihr Arbeitsessen zu sprechen: Staatsanwalt Greiner, der zunehmend nervöser und damit zur Gefahr für ihre Unternehmungen wurde.

„Ganz ehrlich“, murmelte Umbreit, während er die Reste des Hummerfleisches mit viel Mineralwasser aus den Zähnen spülte. „Mir ist das egal. Was soll er uns schon anhaben?“

Willrott trommelte mit den Fingerkuppen auf der blütenweißen Tischdecke. Seine blasse Gesichtshaut verfärbte sich gefährlich rot und ließ die Aknenarben noch deutlicher hervor scheinen. Von seiner eben noch zur Schau gestellten Zufriedenheit war nichts mehr übrig. Er kochte innerlich. Was bildete sich dieser Fatzke ein?

„Also ich finde er hat recht!“, warf Posch ein und öffnete rasch den Krawattenknoten, der ihn zu ersticken drohte. „Wir brauchen jetzt endlich seine Ernennung zum Oberstaatsanwalt und für uns alle am besten verbunden mit einer weit entfernten Versetzung.“

„Und wie soll das gehen?“, brummte Umbreit. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Sein Part in diesem Spiel war durchweg legal, wenn auch nicht immer moralisch einwandfrei. Er war Geschäftsmann, ein Banker mit Leib und Seele, für moralische Bedenken blieb kein Raum. Doch Willrotts Ton gefiel ihm nicht und er beschloss lieber zu kooperieren, als einen Konflikt zu provozieren.

„Das wüsste ich auch gerne“, warf Posch ein. „Dazu müsste er wenigstens einen spektakuläreren Fall haben, mit dem er sich für eine solche Position empfehlen könnte. Bislang ist er noch nicht mit besonderen Leistungen in Erscheinung getreten, eher im Gegenteil. Da stehen ganz andere oben auf der Beförderungsliste.“

„Das lässt sich ändern. Außerdem zählen in diesem Land nicht Leistung, sondern Beziehungen. Nutzt also eure Kontakte. So schwer kann das doch nicht sein, für den Rest sorge ich, wie immer, wenn es um was geht“, antwortete Willrott eine Spur zu zynisch und zu laut.

„Meine Herren, wir wollen doch nicht die Haltung verlieren. Wir sind hier nicht allein“, beruhigte Posch. Dabei nickte er höflich den Gästen am Tisch gegenüber zu und winkte Catal heran, der immer noch an der Theke stand und die Diskussion in der Nische aufmerksam verfolgte.

Catal näherte sich der Nische mit einem Beleg, den er Willrott überreichte. „Waren alle zufrieden“, fragte er beiläufig, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.

Willrott unterschrieb den Beleg und reichte ihn Catal zurück. Posch und Umbreit standen auf.

„Ich verlasse mich auf euch“, rief Willrott ihnen nach, als die beiden bereits durch die vollbesetzte Gaststube zum Ausgang marschierten.

Catal setzte sich neben Willrott und betrachtete ihn neugierig. „Was ist los?“

„Melina Simon. Sie wurde heute vorzeitig aus der Haft entlassen.“

Catal kratze sich unschlüssig an der Nase. Dann beugte er sich dicht zu Willrott „Du hast doch gesagt, sie kommt auf keinen Fall früher raus“, flüsterte er kaum hörbar.

„Davon bin ich ausgegangen“, antwortete Willrott ebenfalls in gedämpfter Lautstärke. „Du solltest deine Übersiedlung nach Italien lieber vorziehen Aber erst bringen wir zu Ende, was wir angefangen haben.“

„Was hast du vor?“

„Das sage ich dir, wenn es soweit ist.“

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Sehr gute Beschreibung der Duftkreationen in den damaligen Gasthäusern. Daran kann ich mich auch noch gut erinnern, und wie meine Kleidung und die Haare nach Tabak und Fritteuse gerochen haben. Aber die Pommes waren es wert. :wink:

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