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Der „Kalte Hund“ oder Lügen lohnt sich nicht
Ich wuchs mit der Devise auf: Sei immer lieb, nett und höflich.
Dementsprechend war ich ein ruhiges, freundliches Kind, das nie Ärger machte.
Lügen waren in meiner Familie natürlich ebenso verpönt. Mit einer einzigen Ausnahme: Höflichkeitsnotlügen, die verhindern, dass sich jemand anderes schlecht fühlt.
So trug es sich nun also zu, dass ich oft in den Ferien bei der Familie meiner besten Freundin zu Besuch war. Bei Schulzes war es üblich, spät üppig zu frühstücken und erst zum Kaffeetrinken wieder etwas zu sich zu nehmen, was mir sehr gelegen kam, denn ich war eine Naschkatze und für ein Kuchenstück verzichtete ich liebend gern auf Mittagessen. Meistens gab es gekauften Kuchen vom Bäcker oder welchen aus der Tiefkühltruhe. Aber eines Tages beschloss die Mutter meiner besten Freundin mal etwas Einfaches selbst zu machen und so begegnete ich zum ersten Mal einem „Kalten Hund“. Mir erschloss sich die Namensgebung zwar nicht, aber ich freute mich darauf, denn was konnte es Besseres geben als einen Kuchen, der aussah wie ein gigantischer Schokoriegel?
Gut, die Schokoummantelung war irgendwie matter und poriger als bei richtigen Riegeln und sie roch auch weniger kraftvoll nach Kakao, aber man hatte mir ja beigebracht, nicht nur nach Äußerlichkeiten zu urteilen. Also sah ich gespannt zu, wie das Messer durch die Umhüllung schnitt wie durch weiche Butter und konnte nicht verhindern, dass mir das Wasser im Mund zusammen lief, als ich das Knacken und Bröseln der innenliegenden Keksschichten hörte. Ich ließ mir ein schönes, großes Stück geben und zückte meine Gabel, um den Kuchen, den der Kühlschrank gebacken hatte, zu erkunden. Die Zinken glitten in die verführerische Masse, ich gab dem Stiel leichten Druck, auf dass die Hebelwirkung ein mundgerechtes Stück abtrennte und … nichts passierte. Die Gabel bewegte sich trotz verstärkten Druckes nur geringfügig und ich musste verstohlen mit den Fingern dagegen halten, damit ich sie wieder frei bekam. Sollte das so sein?
Mit der Außenseite der Gabel gelang es mir dann irgendwie, einen größeren Brocken von der Schokomauer zu lösen. Ich beförderte ihn in meinen Mund, biss zu und … erstarrte.
Was war nur mit der Schokolade passiert? Sie hätte in meinem Mund zu einer seidig weichen Welle zerfließen und jede Geschmacksknospe mit ihrem herb-süßen Aroma überfluten sollen. Stattdessen hatte ich eine griesselig-pappige und trotzdem erstaunlich kompakte Masse auf der Zunge, die aus irgendwelchen Gründen auch noch widerlich bitter nach Kaffeepulver schmeckte. Später erfuhr ich, dass der Schokolade Kokosfett untergemengt wurde, auf dass sie eine weichere, samtigere Konsistenz annahm – nur hatten die Kakaomasse und das Fett dieses Exemplares anscheinend das Memo dazu nicht gelesen. Diese Masse hätte sich sicher auch als Mörtel verwenden lassen.
Da half nur noch eines: ganz schnell schlucken, bevor alle Signale an die für Ekel zuständige Gehirnregion ihr Ziel erreicht hatten. Dummerweise hielten die Kekse ausgerechnet dieses Mal ihr Werbeversprechen und waren trotz Schokobad so knackig, dass mir nichts anderes übrig blieb als ausgiebig zu kauen, wollte ich nicht an den großen Keksbrocken ersticken. Zum Geschmack von kaltem Fett und ausgelaugter Schokolade gesellte sich nun also auch noch die dröge Gebäckmasse in ihrer glanzlosen Pracht und gründete das Trio infernale dieses Kuchens.
Als wollte mich der „Kalte Hund“ ganz besonders ärgern, blieb die Masse nach dem Kauen auch noch in jeder Zahnritze hängen, damit ich auch nach dem erfolgreichen Schlucken noch etwas davon hatte. Ich trug einen langen und kräftezehrenden Zweikampf mit dem Kuchenstück aus, ließ mir jedoch nichts anmerken.
Kaum hatte ich jedoch den letzten Bissen heruntergewürgt, kam die unvermeidliche Frage: „Und schmeckt es?“
Nein. Absolut nicht. Kommt sofort auf die Liste meiner Hass-Speisen.
Es hätte so einfach sein können, schließlich war es die Wahrheit. Allerdings war die Wahrheit weder nett noch höflich, immerhin hatte sie sich Mühe gegeben und konnte nichts dafür, dass bei mir Konsistenz und Geschmack brechreizfördernd waren. Also lächelte ich und antworte brav: „Ja, ist lecker.“
Ich erntete ein freudiges Strahlen und ein – wer hat es nicht kommen sehen?: „Na dann iss doch noch ein Stück.“
Bitte nicht!
Ich konnte noch nicht mal sagen, dass ich noch zu satt vom Frühstück war, denn alle hatten genau gesehen, wie viel ich gegessen hatte. Also lächelte ich tapfer und hielt mit einem „Ja, gern“ meinen Teller hin. Es folgten Stück Nummer zwei und drei und mit jedem erfolgreich absolvierten Bissen schien die Masse klebriger und weniger schluckbar zu werden. Mit Hilfe von viel Kakao – mein Speichelfluss hatte zwischendrin den Dienst quittiert –, hatte ich den elenden Hund irgendwann in seine Schranken verwiesen, auch wenn ich mich inzwischen fühlte, als hätte ich einen Maulkorb getragen, denn mein Kiefer wollte vor lauter Kauanstrengung kaum noch aufgehen. Zum Glück hatte nur eine kleine Kastenform zur Verfügung gestanden, sodass zu meiner großen Erleichterung nichts mehr von dem Kuchen aus der Kühlschrankhölle übrig blieb. Ich hatte es überstanden!
Und was war schon so ein wenig Qual, wenn jemand anderes dadurch glücklich wurde? Ich hatte trotz meines Leides das Gefühl, das Richtige getan zu haben.
Allerdings schien das Karma keinen Unterschied zwischen einer egoistischen und einer empathischen Lüge zu kennen, denn ich erhielt bald darauf die Quittung.
Zu meinem Geburtstag war Familie Schulze wieder einmal zu uns zum Kaffeetrinken eingeladen und noch bevor sie über die Türschwelle getreten waren, hielt mir meine Freundin freudestrahlend einen Teller entgegen. „Guck mal, haben wir nur für dich gemacht! Extra groß!“
Der „Kalte Hund“ hatte ungefähr die Größe eines Dackels. Ich konnte nur hoffen, dass meine Gesichtsentgleisung wenigstens etwas nach einem begeisterten Lächeln aussah. „Wow, danke.“
Ich trug mein „Geschenk“ zum Tisch und war vor Schreckstarre noch nicht mal in der Lage so zu tun, als wäre ich gestolpert. Wobei der schokobraune Zementklotz vermutlich sowieso nicht runtergerutscht wäre. Auch meine leise Hoffnung, der erste Versuch wäre einfach nur missglückt gewesen und das neue Exemplar viel leckerer, zerschlug sich gleich bei intensiverer Betrachtung. Die Schokolade gab sich noch nicht mal Mühe etwas zu glänzen und mir wehte ein Hauch Kaffeebitterkeit in die Nase. Alptraum, Klappe die Zweite. Und dieses Mal hatten der „Kalte Hund“ und ich sogar ganz viel Zeit allein, denn niemand wollte ein Stück, um mir auch ja „nichts weg zu essen“. Herzlichen Dank!
Ich kämpfte. Über mehrere Tage, und ein paar Stücke entsorgte ich unauffällig, aber schließlich ging ich wieder als Sieger aus diesem Duell.
Allerdings sollte es ein Krieg werden, denn fortan suchte mich der eiskalte Köter bei jeder Feierlichkeit heim. Als auch noch meine Mutter irgendwann anfing mir das Folterinstrument für meinen Geschmackssinn als abgepackten Riegel mitzubringen, hielt ich es nicht mehr länger aus und gestand ihr, das ich das Zeug eigentlich scheußlich fand. Die Frau, die mir immer gepredigt hatte, unter allen Umständen höflich zu sein, sah mich nur an und meinte: „Aber das hättest du doch sagen können.“
Hätte ich?
Ich weiß nicht, ob sie es der Familie meiner Freundin irgendwann gesteckt hat oder ob sie einfach nicht mehr dazu kamen ihn zu „backen“, nach reichlich zwei Jahren hörte der „Kalte Hund“-Terror schließlich auf. Nur zu meinem achtzehnten Geburtstag bekam ich nochmal einen industriellen Riegel zur „schönen Erinnerung“.
Man möchte meinen, ich hätte aus dem „Kalter Hund“-Fiasko eine wichtige Lektion für das Leben gelernt und wäre ein Mensch geworden, der stets ehrlich seine Meinung sagt. Puste-Schokokeks-kuchen. Auch heute erschaudere ich innerlich, wenn mich jemand fragt, ob es mir schmeckt. Dann erscheint auf einer meiner Schultern ein brauner, barrenförmiger Kuchen mit Teufelshörnchen, der hämisch kläfft und auf der anderen flüstert eine Stimme, die verdammt nach meiner Mutter klingt: „Wie würdest du dich denn fühlen, wenn dir jemand sagt, dass er das nicht mag, was du mühevoll extra für ihn zubereitet hast? Sei höflich.“
Und dann bin ich höflich. Und leide still vor mich hin.
Mittlerweile koche und backe auch ich regelmäßig und freue mich natürlich, wenn jemand mein Essen lobt. Allerdings höre ich nicht nur auf die überschwänglichen Worte, sondern ich beobachte heimlich die Gesichter meiner Gegenüber. Dann weiß ich meistens, woran ich wirklich bin. Und lasse sie höflich weiter leiden.
Aber wenn ich zusammen mit meinem Patenkind meinen selbstgebackenen Kuchen esse und beobachte, wie sich mitten im Kauen seine Kiefermuskulatur versteift, er versucht, seinen Mund tapfer geschlossen zu halten, alles ganz schnell herunterzuschlucken und sich sein Blick panisch weitet, wenn er begreift, wie viel er noch vor sich hat, dann spüre ich den Stupser einer kalten Schoko-Hundeschnauze und breche innerlich in schallendes Gelächter aus. Mit einem Augenzwinkern sage ich dann ganz beiläufig: „Du musst nicht aufessen.“
Der Blick aus dankbaren Kinderaugen macht jeden Bissen „Kalten Hund“ ertragbar. Und wenn er dann sagt, „Tut mir leid, es schmeckt mir echt nicht. Aber trotzdem danke, dass du es versucht hast.“ erkenne ich, was Höflichkeit wirklich bedeutet.
Pizza
Pizza. Dünner Teig, knuspriger Rand. Tomatensoße. Zwei Hände voll Belag, gleichmäßig verteilt. Und darüber ein Mantel aus Käse. Wenn ich daran denke, bekomme ich Hunger und schweife in Gedanken ab nach Italien. Oder zumindest zum Italiener in der Stadt. Denn in Italien habe ich bisher die wenigsten Pizzen gegessen.
Es hat überhaupt lange bei mir gedauert, bis ich einmal eine Pizza auf dem Teller hatte, die nicht meine Oma gebacken hatte. Und das lag nicht daran, dass ich einer italienischen Familie entstamme, und meine Großmutter die alten neapolitanischen Familienrezepte, die über Generationen weitergegeben wurden, bis zur Perfektion veredelt hatte.
Nein. Meine Oma hatte osteuropäische Wurzeln und kochte und buk einfach gerne. Das hatte sie fast ihr ganzes Leben lang gemacht. Außer in ihrer Kindheit. In den Wirren von Krieg und Flucht gab es nie genügend Essen, vor allem warmes Essen.
Als erwachsene Frau bekam sie zehn Kinder. Und damit blieb das Thema Essen ein zentraler Punkt in ihrem Leben.
Sie verbrachte viel Zeit in der Küche. Denn neben dem täglichen Essen standen auch immer noch die besonderen Zeiten an, in denen sie zusätzliche Köstlichkeiten für den Vorratskeller verarbeitete. Zahlreiche Sorten an Konfitüren und eingekochten Früchten, unzählbar viele Varianten an Weihnachtsgebäck und hin und wieder eine größere Charge an Eierlikör. Wobei Letzter weniger für den Keller und mehr für den täglichen Gebrauch vorgesehen war.
Meine Eltern arbeiteten beide in Vollzeit und darum verbrachte ich als Kind viel Zeit bei Oma. Die meisten Mittagessen, die ich damals verspeiste, dürften aus ihrer Küche stammen. Und Pizza landete regelmäßig auf meinem Teller. Natürlich selbstgemacht.
Denn, so erzählte sie es oft, Pizza war perfekt für die Resteverwertung. Zwischen Teig und Käse ist nun mal viel Platz für allerhand Fundstücke und Überbleibsel. Und mit Resteverwertung kannte sie sich gut aus.
Ich mochte die Pizza, weil man sie mit der Hand essen durfte und weil das Essen von Oma einfach immer toll schmeckte. Vielleicht abgesehen von ein paar Dingen wie beispielsweise Rosenkohl, aber das ändert ja nichts an der Sache an sich.
Vermutlich wäre jeder echte neapolitanische Pizzabäcker beim Anblick von Omas Pizzen sofort in Ohnmacht gefallen. Für mich war die Variante meiner Oma das Original und wunderbar.
Auf einen daumendicken Teig kam bei ihr erstmal eine satte Schicht Ketchup. Und erst heute erkenne ich, wie schlau das war. Ketchup ist dickflüssig und bereits gewürzt. Er lässt sich präzise auftragen und ist obendrein lange haltbar. Alles klare Vorteile im Vergleich zu einem selbstgemachten Tomatensugo.
Als Kriegskind hatte meine Oma eben gelernt, erfinderisch zu sein. Und das zog sich durch alle Zutaten. Champignons aus der Dose. Natürlich 3. Wahl, damit möglichst nur kleine Exemplare dabei waren, die man nicht mehr schneiden musste.
Und dann folgten noch allerlei Zutaten, die man im Kühlschrank fand. Kreative Küche aus einer Zeit, in der Kreativität noch kein Selbstzweck war.
Vom Teig bis zur Krone waren ihre Pizzen gut und gerne so dick wie ein Stück Torte.
Anfang der Neunzigerjahre starb meine Oma. Nach ihrem Tod war ich mit der Pubertät beschäftigt. Und irgendwann war es normal, Pizza entweder als seelenlose Variante aus dem Tiefkühlfach des lokalen Discounters zu essen oder zu besonderen Gelegenheiten eine Pizzeria zu besuchen.
Ich habe seit damals natürlich auch immer wieder mal Pizza selbst gemacht. Angefangen bei Tiefkühlpizzen, die ich mit extra viel Käse aufpeppte bis hin zu diesen Pizzabausätzen, die aus fertigem Teig und einem Glas viel zu flüssiger Tomatensoße bestehen.
Und heute kann ich natürlich auch selbst einen Teig kneten. Jamie Olivers Pizzateigrezept aus dem Internet. Klappt immer. Außer an den Tagen, an denen der Teig ausschließlich an den Händen klebt und mich in den Wahnsinn treibt. Was ich seit meiner Kindheit nie mehr gegessen habe, war eine Pizza, wie sie Oma immer gemacht hat. Und ich frage mich, warum. Zwischen Teig und Käse ist schließlich viel Platz für Erinnerungen.
mit Warp III in «die Fettes-Bauch-Fleisch-Zeitmaschine.» «wir starrten uns an, das Stück Fett und ich» die Zeitmaschine funktioniert super.
Jedes Jahr, wird in unserem Dorf, ein Kirchenfest gefeiert, es nennt sich pardanonza. Wir wohnen in den Bündner Bergen, die ihr in der Schweiz findet. Hier sprechen wir die Sprache romanisch.
Wir schreiben das Jahr 1978, und natürlich ist auch in diesem Sommer das Fest fest im Programm, Es ist der Kirchenpatronin ‚sontga Onna‘ gewidmed. Der Mutter von Maria oder besser noch, der Großmutter Jesus.
Damals, wurde die katholische Kirche noch großgeschrieben, und sonntags zur Messe gehen, war ein absolutes Muss.
Zurück zur Pardanonza, die immer Ende Juli stattfindet – bis heute. Aber eben damals, da wurde richtig dick gefeiert, im gegensatz zu heute, natürlich nicht mit Unmengen von Alkohol, nein, das war der Sonntag, wo es Braten, Kartoffelstock, Gemüse und Salat gab. Zur Krönung der Feier, wurde zum Nachtisch eine Torte serviert.
Köstlich duftet es aus der Küche und dem kleinen Adrian läuft das Wasser im Munde zusammen.
Traurig schaut er seiner Mutter von der Tür aus zu, wie sie mit Hingabe, die Köstlichkeiten, teils noch auf dem kleinen Holzofen, zubereitet. Das Feuer knistert unter der Pfanne, und die wohlriechende Sauce des Bratens hört man blubbern. Er lässt seine Zunge über die Lippen gleiten, wohlwissend, dass zuerst alle Verwandten, die teils von weither angereist sind, sich Mutters Mittagessen einverleiben. Für ihn wird kaum mehr etwas übrig bleiben, schon gar nicht vom Braten.
Traurig schlendert er hoch in sein Zimmer und liest in seinem Karl May Buch, bis es Zeit wird, mit der ganzen Sippe zum Gottesdienst zu marschieren.
Die Messe zieht sich hin, und anschließend laufen sie in der Prozession durchs ganze Dorf, Beten, singen und lassen auf einer Wiese Schüsse ab.
Adrian knurrt der Magen. Wütend, weil er als letzter von Mutters Kochkünsten profitieren wird, fasst er einen Plan. Während sie auf der Wiese stehen, und den Soldaten zusehen wie die die Gewehre heben und zum Schuss ansetzten, stoßt er mit dem Elbogen seine Kollegen Andriu und Alexi, die neben ihm stehen an, und verratet ihnen sein Vorhaben.
Spitzbübisch lächelnd, braucht man den Freunden dies nicht zweimal zu sagen.
Wieder zurück zu Hause, sieht der kleine Bub, wie sich Tanten und Onkel über das Festmahl hermachen. Ein wütender Blick der Gesellschaft zuwerfend, dreht er sich um und verschwindet.
Als die ganze Familie, es handelt sich hier um etwa fünfzehn Personen, sich satt gegessen hat, warten sie nur noch auf den Kuchen, Kaffee und den Schnaps.
Adrians Mutter hat alle Hände voll zu tun, und für ihre eigenen Kinder bleibt kaum Zeit, geschweige denn was vom Braten übrig. Sie lässt die Rabauken separat in der dunklen Küche essen, während alle anderen am festlich gedeckten Wohnzimmertisch gastieren.
Die Kinder sind es sich gewohnt und sagen kein Wort, nur Adrian fehlt… Die Mutter schickt Blandina, seine Schwester los, den Lausbuben zu suchen – sie findet ihn aber nicht, also essen sie schon mal – wenn der Hunger groß genug ist, wird er schnell auftauchen.
Als dann endlich Nachtisch serviert werden sollte, erschrickt die Hausherrin unendlich – der Kuchen war weg!
Wo mag er bloß geblieben sein… Ein dickes Smiley.
Heute noch, lacht mein Mann spitzbübisch über seinen Streich. Der verfressenen Gesellschaft hatte er es aber gezeigt. Auch wenn er an diesem Tag Bauchweh bekam, so hätte ihn nichts und niemand daran hindern können, zusammen mit den zwei Kollegen, den ganzen Kuchen aufzuessen.
Eine schöne Nostalgie, der ich mich nur allzu gern anschließen kann. Sehr schön geschrieben.
So, jetzt hab ich Hunger. Danke!
Wow! Starker Inhalt lebendig geschrieben.,
Geschichten aus Gasthaus Kuschelwarm – Yichas Kuchen
(3k Wörter Light-Novel Geschichte)
Richard bemerkte den süßlich-beißenden Geruch sofort, als er mit einigen Holzscheiten auf zerkratzten Unterarmen, durch die Tür des Gasthauses schritt. Er rümpfte die Nase und warf einen flüchtigen Blick auf Yicha, die an einem Tisch in einer Ecke des Gasthauses saß. Ihre jadefarbenen Augen starrten ausdruckslos ins Leere. Trotz der offenen Tür stank der Raum furchtbar nach Verwesung und Spinat.
Richard schaute die bleiche Gestalt verärgert an, »Ich habe dir schon tausendmal gesagt, daß du in der Nähe der offenen Tür und am besten noch bei offenem Fenster sitzen solltest, wenn du dich hier schon aufhalten musst. Dein Gestank vertreibt uns die Gäste.«
Richard ließ die Scheite polternd neben den Kamin fallen und warf ein kleines Stück in die Glut hinein. Umgehend zischte ein Feuerlump freudig auf und schlürfte mit knisternden Geräuschen an dem frischen Holz. Aus dem Glimmern wurde ein kleines Flackern, dessen Lichtschein die Schatten der Stühle und Tische an den Wänden tanzen ließ.
Tote Augen rollten mit einem bösartigen Funkeln in Richards Richtung, bevor Yicha ihre schneeweißen Finger ausstreckte, um nach ihrer Teetasse zu greifen. Ein schlürfendes Geräusch ertönte, als sie ihren geliebten Matcha Tee trank.
»Welche Gäste?«, fragte Yicha in einen unschuldigen Engelston gleich und sah sich bedeutsam um. »Seit Tagen erschien kein Abenteurer mehr und bevor Nala und die anderen, die Vorräte aus der Stadt geholt haben, könnten wir etwaigen Gästen noch nicht einmal viel anbieten.«
»Wir könnten ja noch Tintenfischringe servieren«, höhnte Richard mit einem Blick auf die Küchentür.
Diese wurde unvermittelt aufgerissen und ein nasser Lappen klatschte lautstark gegen Richards Gesicht, bevor er nur versuchen konnte, dem Wurfgeschoss auszuweichen.
Amüsiert beobachtete Yicha die Szene, als das Unvermeidliche geschah.
Eine gewaltige Welle aus roten Haaren und einigen Tentakeln erschien in der Küchentür. Die Besitzerin besagter Dinge verzog ihr schönes Gesicht zu einer Schnute, »Ich könnte auf den Gedanken kommen, dich unseren Gästen zu servieren. Aber wahrscheinlich hätte jeder nur Magenbeschwerden nach dem ersten Bissen. Zu fettig.« Ein Segment ihrer Tentakel wedelte eine bedeutsame Geste auf Richards Leibesumfang, während zwei feingliedrige Arme sich unterhalb ihres großen Busens verschränkten, sodass dieser etwas nach oben gedrückt wurde. Richard sah hastig weg, konnte aber nicht verhindern, dass das Bild, wie ihr tiefer Ausschnitt ihm gefährlich entgegenquoll, ihn laut schlucken ließ.
»Ich habe mich schon immer gefragt, wie Mensch wohl schmeckt«, warf Yicha hilfreich ein. Sie gab ein schmatzendes Geräusch von sich. Ob sie damit den Gedanken an das Essen unterstrich oder den eben getrunkenen Tee komplimentierte, konnte Richard nicht deuten. Er hoffte auf Letzteres.
»Damals im Schloss, als ich noch…«
Richard verdrehte mit einem entnervten Geräusch die Augen und fiel Yicha hastig ins Wort, als er ihre mädchenhafte Stimme imitierte. »…eine mächtige Prinzessin war, die viele hunderte Jahre im Schloss lebte und durch das Attentat zwar nicht tot, aber zu einem untoten kleinen Mädchen verwandelt wurde, und so weiter und so fort, befolgten immer alle was ich befohlen hatte.«
Yicha schnaufte durch ihre Stupsnase. »Was ich eigentlich sagen wollte«, sie verengte ihren Blick auf Richard, »Es gibt nichts Schmackhafteres als Matcha Tee mit Bolo de Castela.«
»Was soll dieses Bolo de Dingsda denn sein?«, fragte Richard.
»Bolo de Castela«
»Was auch immer«
»Es ist eine Art Kuchen aus…«
»Moment lass mich raten, es enthält Matcha?«
»Bei mir schon.«
»Warum bin ich nicht überrascht.«
»Auf jeden Fall ist - es wunderbar und ich hatte - es schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt.«
Ihre Augen funkelten amüsiert, als Richard sie schräg von der Seite anschaute.
»Wie wäre es«, unterbrach die Gestalt aus roten Haaren die beiden, »wenn wir heute so einen Matcha-Kuchen backen würden?«
Yichas Miene verfinsterte sich. »Das können wir uns niemals leisten. Matcha habe ich zwar genügend auf Vorrat, aber der Rest an Zutaten ist zu teuer für unsere Gemeinschaftskase. Das wird leider nichts.« Sie seufzte, lehnte sich mit hängenden Schultern zurück und sah dem Feuerlump verträumt zu, wie dieser am Holz nagte.
»Hey, Richi, ich habe da glaube eine Idee«, flüsterte das Wesen mit den Tentakeln, als sie sehr dicht neben ihm herantrat.
Er war immer wieder erstaunt wie schnell und lautlos, Arsula sich mit den Tentakeln fortbewegen konnte, wenn sie wollte. Sonst patschte sie immer schusselig durch die Gegend und blieb mit ihren Saugnäpfen an allem hängen.
Ihre Brust berührte Richards Oberarm und er schluckte heftig, als sie sich noch näher an ihn lehnte und in sein Ohr flüsterte, »Wie wäre es, wenn wir Yi eine Freude bereiten und so einen Kuchen backen?«
»Wir haben kein Geld für die Zutaten. Das hat doch Yi schon gesagt.«
»Ja, aber wir könnten hier in der Nähe jagdt auf die entsprechenden Mobs machen und hoffen, daß die Zutaten droppen.«
»Die Drop-Chance ist viel zu gering. Außerdem klingt das nach einem gefährlichen Abenteuer und ich erinnere mich mit Schrecken an das Letzte. Das ist die Sache einfach nicht wert.«
»Nicht die Sache wert? Wie kann man nur so herzlos sein, Yi ist unsere Freundin.«
»Ich werde mein lebendiges Leben nicht aufs Spiel setzen, nur damit die kleine untote Göre einen Kuchen bekommt.«
Arsula war im Verlauf des Gespräches dermaßen nah an Richard gekommen, dass ihr kirschroter Mund sehr dicht vor seinem schwebte. Er trat hastig einen Schritt zurück und knallte mit dem Schienbein gegen Yichas Tisch, sodass die Teetasse bedrohlich zur Seite kippte. Mit einer fast fahrlässigen Handbewegung hätte Yicha die Teetasse wohl vor dem Umfallen gerettet, aber Richard griff instinktiv und fluchend nach Arsulas ausgestreckten Tentakeln. Dessen beträchtliches Körpergewicht riss Arsula mit zu Boden. Ihr spitziger Aufschrei wurde abrupt beendet, als sie gegen Richard knallte. Bei dem Versuch, sich von Arsula zu befreien, verfingen sich seine Hände in der gewaltigen Masse aus ihren Haaren.
»Aua, zieh doch nicht so fest, du Trampel.«
»Ich versuch doch nur aufzustehen, bleib doch mal still.«
Ein rollendes Geräusch wie von Porzellan auf Holz unterbrach die Bemühungen der Streithähne. Beide erstarrten als der ankommende Laut über ihre Köpfe an Lautstärke und Bedrohlichkeit zunahm. Yicha stand mit zusammengezogenen Augen neben Richard »eine kleine Göre, also?«
Über die Tischkante fiel eine Tasse mitsamt Inhalt.
»Verrate mir mal«, sagte Richard griesgrämig, »wie du dich plötzlich so schnell befreien konntest, und nur ich das stinkende Zeug abbekommen habe.«
Er wrang einen Zipfel seines übergroßen Hemdes aus, dicke grüne Tropfen platschten zu Boden.
»Du hast Yi’s Tee verschüttet, dann kannst du als Wiedergutmachung wohl mir helfen, die Zutaten für den Kuchen zu besorgen«, sagte Arsula gut gelaunt, als beide sich von dem Gasthaus Kuschelwarm entfernten. »Yi wird auf Kuschelwarm aufpassen, bis wir zurückkommen.«
»Mhm.«
»Das wird lustig, vielleicht doppt sogar ein epischer Gegenstand?«
»Mhm, aber sicher.«
Arsula knuffte Richard, »sei doch nicht so eine Musmieschel, ein bisschen Bewegung tut dir außerdem auch mal gut.«
Schlecht gelaunt trollte Richard ihr hinterher. »Was brauchen wir den jetzt eigentlich an Zutaten noch?«
Arsula schaute angestrengt drein, als sie sich zu erinnern versuchte, »Honig, Eier und Milch erhalten wir von den MoovooPeo, aber nur der BAM-Typ droppt alles von guter Qualität. Die Standard-Gegner sind wahrlich nicht die Zeit wert.«
»Und wo finden wir so einen BAM-Typ?«
»Wir müssen zuerst ein normales MoovooPeo finden und dieser wird für uns den BAM rufen, sobald sein Nachwuchs sich in Gefahr wägt.«, Arsula lächelte spitzbübisch und zwinkerte, »Früher oder später wird uns eines schon über den Weg laufen.«
Richard gefiel das Wort Gefahr ganz und gar nicht. In dieser seltsamen Welt bedeutet Gefahr meist, dass etwas Größeres und Stärkeres daher gespawnt kommt. Und sie waren nur zu zweit, ohne jegliche Buffs oder Healer. Und er war im Gegensatz zu Arsula, kein Abenteurer. Selbst Arsula war manchmal nicht sonderlich hilfreich bei diesen Unternehmungen. Wollte sie vielleicht den Gegner alleine durch die Gegend kiten?
Gedankenverloren spazierten beide an gigantische Pilze vorbei, an dessen Rändern ein glitzernder Staub mit einem hellklingenden Flüstern zu Boden rieselte. Lilafarbene Grasbüschel raschelten im Wind und die drei Töchter des Lichts leuchteten als große Kugeln am Horizont. In der Ferne hörte Richard das Zischen, Schnattern und Quackeln verschiedener Tiere. Begleitet wurde das bizarre Orchester aus Tiergeräuschen, von den Geklimper kleiner Glasphiolen, die an Arsulas Gürtel hingen.
Richards Füße schmerzten. Sein Rücken brannte von dem Rucksack, der mit jedem Schritt gegen ihn schlug und er musste feststellen, dass sogar sein hintern anfing weh zu tun. »Wie bei dem dreimal dunklen Drogodru, konnte ein Hintern nur vom Laufen schmerzen«, ärgerte sich Richard.
»Ich brauch eine Pause«, stöhnte er und wischte dicke Schweißtropfen aus seinem Gesicht.
»Nun gut, ein paar Minuten können wir verschnaufen, bleibe hier auf dem Weg, ich werde die nahe Umgebung kurz erkunden. Für alle Fälle.«
Richard hörte gar nicht mehr weiter hin, was Arsula sagte, als sie sich von ihm entfernte. Er war dermaßen erschöpft, dass er so schnell nicht mehr aufstehen würde und er eine ausgiebige Brotzeit bräuchte, um wieder zu Kräften zu kommen.
Braune Einpackblätter raschelten mit dem Grass um die Wette, als er Verpackungen gierig aufriss und zwei große Purrito in den Händen hielt. Speichel floss wie ein ansteigender Fluss bei schweren Regen in seinem Mund zusammen, als er einen Übergroßen bissen davon as. Feuergeröstetes Nachtfleisch in süßsauer creme, garniert in weichen Arkanblättern. Welch ein Hochgenuss. Richard schlang den ersten Purrito in wenigen Happen hinunter. Er spürte einige Haare auf der Zunge und spuckte sie angewidert aus, während er automatisch zum zweiten Purrito griff.
Seine Hand ergriff etwas Pelziges. Hastig zog er sie zurück und starrte verblüfft auf das Ding, das versuchte ein Purrito aus dem Rucksack zu ziehen.
Es sah aus, wie ein übergroßes Küken, das anstatt Federn, mit einem braunen Pelz bedeckt war. Kleine schwarze Knopfaugen schauten erst von Richard, dann auf den zweiten Purrito. Der dunkle Schnabel des Küken-Dings pickte danach und schluckte hastig einige Brocken hinunter.
»Hey, lass das gefälligst, das gehört mir«
Richard wedelte mit seiner Hand herum und riss den Purrito nahezu aus dem kleinen Schnabel des Dings.
Das Küken-Ding gab ein leises herzereißendes Fiepsen von sich und musste mitansehen, wie Richard den größten Rest des Purrito verschlang. Das Ding kratze mit seinem Fuß gegen den Rucksack und machte Anstalten seinen Kopf hineinzustecken.
»Verschwinde, das gehört mir.«
Richard seufzte, als er genervt feststellte, dass das Küken einen weiteren Purrito aus dem Rucksack hervorzog, und damit davon watschelte.
»Das darf wohl nicht wahr sein.«
Richard schnaufte dem Ding hinterher und holte es nach kurzer Zeit ein und zog an dem Purrito. Überraschenderweise war das Ding stärker, als es aussah und zog selbst mit großer Kraftanstrengung.
»Wenn irgendjemand mich sehen würde, wie ich mit einem dahergelaufenem Küken, um mein Essen Seilziehe muss…«
Nach einigen hin und her, riss Richard derart unsanft den Purrito aus dem Schnabel des Undings, dass das Küken mit einem lauten, mitleiderregenden Piepen zu Boden geworfen wurde.
»Das hast du nun davon, mein Rucksack, mein Essen«, schmatzte Richard.
Sein letzter Bissen blieb ihm im Hals stecken, als er das Geräusch in der Ferne hörte.
Ein bedrohliches Brummen. Wie von einer fetten Hummel, bloß um einige Oktaven tiefer. Er konnte spüren, wie der Boden unter ihm vibrierte oder war es die aufkeimende Angst, die seine Beine zittern erlies?
Hektisch schaute Richard sich um. Vielleicht blieb das Brummen in der Entfernung und zog vorüber.
Richard schlich mit bedächtigen Schritten zurück zu seinem Rucksack. Er würde sich kurzerhand hinter einen der großen Pilze verstecken und auf die Rückkehr von Arsula warten.
»Das ist eine großartige Idee«, lächelte er in sich hinein und näherte sich einen der Pilze, als mehrmaliges Piepsen ertönte und das Küken-Ding ihm hinterherrannte. Es klang fast wie eine Anschuldigung.
Richard drehte sich um und konnte seinen Augen nicht trauen. Das Küken-Ding war nicht mehr alleine. Vielleicht hätte er das Ding irgendwie loswerden können oder davonrennen, aber hinter dem Küken flog ein BAM, genau in seine Richtung.
Das Brummen ließ Richards Zähne klappern und seine Brust fühlte sich schwer, sodass er kaum Luft bekam.
Zu seinem Schreck sah das BAM einer verzehrten Hummel ähnlich. Unter seinen vier gewaltigen durchsichtigen Flügeln schien ein kokonartiger Rumpf zu hängen, dass weiter nach unten in einer Art Gesicht endete, dass widerum von einigen pelzähnlichen Auswüchse umgeben war. Den gleichen Pelz, wie das Küken, wie Richard bestürzt feststelle.
»Äh, du kannst alles in dem Rucksack haben, wenn du willst, ich habe sowieso keinen Hunger mehr«, sagte Richard, der trotz knurrenden Magens dem Küken die restlichen Purritos zu warf. Dieser fing eines juchzend auf und rannte glücklich fiepend davon, im Hintergrund kam das BAM näher und näher.
Richard sah entgeistert der Gefahr entgegen. Der von den Flügeln aufgebrachte Wind schlug gegen seinen Körper und hatte ihn fast umgeweht.
»Richi, du hast ein MoovooPeo gefunden und ein BAM angelockt, das hast du gut gemacht«, rief Arsula und stürmte angriffslustig dem BAM entgegen, als sie wie aus dem Nichts hervorgeschossen kam.
Richard brachte sich hinter einen Pilz in Sicherheit. Steckte seinen Kopf hinter dessen Stiel hervor und sah wie Arsula ihre Hand mit dem Data-Ring hob und unter einem Lichtergeschwirr manifestierte sich ein Dreizack.
»Do ut des«, rief Arsula ihren Schlachtruf, packte ihren Dreizack fester und griff an. Haare wirbelten wie wild um sie, als sie mithilfe der Tentakel zu einem gewaltigen Sprung ansetzte. Das Monster drehte in einer geschmeidigen Bewegung in der Luft zu Arsula und zwei gigantische Stacheln flogen wie abgeschossene Armbrustbolzen ihr lautpfeifend entgegen. Ein Geschoss wurde vom Dreizack in der Luft zur Seite geschlagen, während sie dem zweiten spielerisch auswich.
Tief bohrten sich die Geschosse in den Boden und um den Einschlagskrater fing das Grass an zu verwelken. Rauch stieg empor.
Arsula hob ihren Data-Ring, konzentrierte sich kurz, griff nach ihrem Gürtel, an dem einige kleine Glasphiolen hingen, und warf eine Flasche der Kreatur entgegen.
Mit einem Knall zerbrach diese mitten in der Luft und eine schwarze, klebrige Flüssigkeit klatschte gegen die Kreatur. Verzweifelt versuchte dieses, mit den Flügeln zu schlagen, und wütete mit pelzhafte Auswüchse wild um sich.
Arsula durchbohrte einen Flügel, stieß sich von der Kreatur mit einem Rückwärtssalto wieder hoch in die Luft und führte bei dem herunterfallen einen kraftvollen Stich in das kokonartige mittlere Segment der Kreatur. Wütend schrie diese auf und verschoss blindlings weitere Geschosse.
Arsula hob wieder ihren Data-Ring und mit einer schnellen Schlagabfolge, durchbohrte sie das BAM an mehrere Stellen nahezu gleichzeitig. Ein Gemisch, der aus gelben Schleim und Blut bestand, spritzte in alle Richtungen und der letzte Schlag der Angriffscombo, ließ einen knisternden Blitz aus der Spitze des Dreizacks entfahren, der die Kreatur in Stücke zerriss. Ihre Segmente explodierten in gelben Schleim, zerbrochenem Chitinpanzer und Flügelstücke auseinander. Ein großer Schwall Schleim klatschte gegen Richards Gesicht. Angeekelt wischte er über sein Gesicht, als aus dem Nichts eine kurze Siegesmelodie zu hören war.
»Herzlichen Glückwunsch, Abenteurer. Sie haben ein BAM-Level 10 erledigt. Erfahrungspunkte wurden ihrem Konto gutgeschrieben. Etwaige Items wurden gedroppt.«, ertönte eine angenehm weibliche Stimme ringsherum. Arsula schaute vergnügt auf ihren Data-Ring und dann auf den Boden vor sich. Neidisch fragte Richard, »Und? Wurden die Zutaten gedroppt? Irgendwas Gutes gedroppt?«
Arsula grinste ihn breit an. »Wo ist dein Rucksack?«
Richard rief zum ungezählten Male seine Frage zur Küchentür im Gasthaus Kuschelwarm. Und wiederholt bekam er von Arsula dieselbe Antwort zurück. »Er sei gleich fertig«.
Yicha saß Richard gegenüber. Eine Augenbraue ging fragend nach oben, als sie Richards Blick erwiderte.
»Also im Prinzip habe ich ja die meiste Arbeit gemacht. Ich habe praktisch im Alleingang das MovooPeo gerufen, während Arsula sich nur ausgeruht hatte. Sie konnte kaum mit mir Schritt halten. Am Ende hatte sie das Ding durch einen einfachen Spruch blind gemacht und der Rest war ein Kinderspiel. Selbst ich hätte das geschafft.«
»Hättest du einen Data-Ring, wären für dich mit Sicherheit ein paar Erfahrungspunkte drin gewesen«, meinte Yi.
Richard schaute verdrießlich auf seine Finger. Er konnte nicht begreifen, warum ausgerechnet er, bei der damaligen Ankunft in dieser Welt keinen Data-Ring erhalten hatte.
Seine dunklen Gedanken wurden unterbrochen, als die Küchentür aufflog und ein herrlich duftender Kuchen von Arsulas Tentakeln auf dem Tisch abgelegt wurde. Die Abdrücke der Saugnäpfe störten Richard ausnahmsweise nicht, denn der süßliche Geruch mit der sahnigen Note dahinter, strömte verlockend durch den Raum.
Ein weiterer Sturzbach begann in Richards Mund zu entstehen und griff nach einem großem Stück Kuchen.
»Aua«, rief Richard und rieb sich seine Hand. Eine rote Umrandung eines Saugnapfes war darauf sichtbar.
»Yicha darf das erste Stück auswählen, schließlich ist es unser Geschenk an sie.«
»Okay, okay. Aber mach schnell, ich verhungere.«
Yicha nahm sich ein kleines Stück und biss hinein. Träumerisch schloss sie die Augen. Mit gierigen Blick verfolgte Richard jede Kaubewegung.
»Schmeckt genauso wie ich es mir vorgestellt habe. Ausgezeichnete Arbeit Arsula«
Arsula strahlte und errötete. Während Yicha und Arsula jeweils einen dezenten Bissen zu sich nahmen, schaffte Richard, nahezu ein komplettes Stück Kuchen in derselben Zeit zu verschlingen.
Die Honignote deckte den sahnigen Genuss vollends ab. Er hatte angenommen, dass das Matcha alles ruinieren würde, aber das Gegenteil war der Fall, es veredelte die Gesamtnote. Es sah zwar komisch grün aus, aber das ginge schon in Ordnung. »Herrlich«, sagte er und hielt sich die Hand vor dem Mund, um ein Aufstoßen mehr oder weniger dezent damit zu verdecken.
Die Eingangstür wurde mit einem Quietschen aufgemacht und eine freudige Stimme rief, »Wir sind wieder da, die anderen verladen draußen das Zeug noch vom Karren und kommen gleich nach.«
»Hast du alle Vorräte kaufen können?«, fragte Arsula an Nala gewandt.
»Ja«, antwortete Nala und blinzelte mit großen Katzenaugen mehrmals den drei entgegen.
Richard verdrehte die Augen. Hatte sie nun ja gesagt oder nur gemiaut. Das war immer schwer zu sagen. Manche Leute können ihr Rollenspiel wirklich übertreiben.
»Wir hätten dir gerne noch Kuchen angeboten, aber Richard hat eben alles aufgegessen.«
Richard machte ein unschuldiges Gesicht.
»Nein danke, das Kuchengedönse und Süßigkeiten schmeckt mir nicht. Ich frage mich, wie ihr das nur runterbekommen könnt. Ich bleib lieber bei meinen Purritos, freue mich seit Stunden schon darauf.«
»Äh, meinst du die, die in der Küche waren?«
»Mja, warum?«
»Die hat er auch vorhin alle gegessen.«
Gelbe Katzenaugen richteten sich mit einem gefährlichen Funkeln auf Richard. Nicht mehr blinzelnd, sondern fokussierend und angriffslustig. Richard schluckte. »Ich dachte die waren für alle gedacht«
»Das waren sie eigentlich auch, aber du hast ja trotzdem alle verschlungen«
»Dann musst du eben noch mehr machen«
Die anderen verfolgten das Gespräch, als wäre es ein interessantes Ballspiel.
»Richi, du frisst mir noch die Schnurrharre aus dem Gesicht.« Einige ihrer Schnurrhaare wackelten tatsächlich dabei, als sie ihr Gesicht verzog.
»Wenn Arsula nicht das Kochen übernommen hätte, wäre auch genau das passiert. So viele Haare wie du immer überall verlierst und dann immer im Essen landet. Übrigens waren auch im Purrito wieder Haare von dir, das ist ganz schön ekelhaft.«
Ihre Katzenohren zuckten gefährlich. »Hast du gerade gesagt, ich sei ekelhaft?«
Richard lief rot an. »Nein, so meinte ich das nicht.«
»So etwas sagt man nicht zu einer Dame. Na warte, wenn ich dich in meine Pfoten bekomme.«
Nala jagte Richard hinterher, der seiner Körpermasse zum Trotz, beachtlich schnell um die Tische rannte. Arsula lachte und Yicha verzog ihre Mundwinkel zu einem winzigen Lächeln, als sie das Theater beobachtete und nach ihrer Teetasse griff.
Nur der Feuerlump im Kamin nahm keinerlei Notiz von dem Schauspiel und knusperte an ein Stück Holz.
Für Dein Feedback feiere ich Dich! Herzlichen Dank!
Für mich, eine Neunjährige, schmeckt der Aufbruch ziemlich übel. Der Geruch ist sehr ungewöhnlich, er begleitet mich auch heute weiterhin. Ich rieche ihn von Zeit zu Zeit noch immer. Erdig, blutig und ein Hauch widerlich. Der Geschmack, die Textur des Fleisches, so unterschiedlich wie jedes Stück aus dem er besteht. Der Aufbruch wie der Jäger die Innereien des Wildes bezeichnet, z. B. die Leber, die Nieren, die Lunge oder das Herz. Dies Alles soll ja auch ziemlich gesund sein. Für uns Kinder war es einfach nur ungenießbar. Es gibt viele Rezepte zur Zubereitung. Lecker mit Kartoffelbrei und Röstzwiebeln. Guten Appetit!
Das Reh hat vor kurzem noch gelebt. Eine wunderschöne braune und weiße Farbe, eine stattliche Größe. Erschossen, ins Auto geladen und aufgehängt im Keller, blutet es aus. Tropfen für Tropfen. Jede Wärme entweicht. Die Augen sind trüb geworden. Ein metallischer Duft umwirbelt diese bizarre Szene. Wir werden es essen. Nein, nicht das richtige Fleisch. Für uns bleiben nur die Reste übrig. Das Genießbare wird verkauft. Ein Rehbraten oder eine saftige Rehkeule, wird bei einem Ehepaar am Sonntag für ein leckeres Essen mit Blaukraut und Klößen sorgen. Guten Hunger!
Bedächtig und ehrfürchtig einem fündigen Schatzjäger gleich hob ich das Notizbuch vom staubigen Boden des Dachspeichers auf. Der edle Wildledereinband war mit der Zeit leicht rissig geworden, und als ich vorsichtig die erste Seite des Buches aufschlug, stammelte mein Atem jämmerlich. „Gertrudes Koch- und Backrezepte“ stand da auf dem zaghaft gegilbten Papier in der makellosen, schleifenreichen Handschrift meiner von mir so sehr geliebten Großmutter. Wie sehr hatte ich diese schöne Schrift vermisst, die mehr Ordnung und Adrettheit auszustrahlen vermochte als mein ganzes chaotisches Leben. Meine Oma war vor dreiundzwanzig Jahren hingeschieden, und jener Tag hinterließ bis zum heutigen Tage noch ein kleines schwarzes Loch in meiner Brust. Umsichtig schlug ich die ersten Seiten auf, mir behagten die sorgfältig geschriebenen Zutatenlisten und Rezeptanweisungen. Einer stürmischen Eingebung folgend blätterte ich dann doch schnell im Büchlein, bis meinen Augen die erhofften Wörter gewahr wurden: „Schokoladenküchlein mit flüssigem Kern“. Ein Jauchzen stahl sich aus meinen Lippen, allerdings mit einem traurigen Unterton, der von meiner Wehmut erzählte. Es machte sich eine wohlige Wärme wie jene, die der Ofen von Oma Gertrude ausstrahlte beim Backen dieser zuckrigen Küchlein, in meiner Brust breit. Dieses Gericht war meine Kindheit, und nun hatte ich die Gelegenheit, diese wieder aufleben zu lassen. Ich hielt das Buch an meine Brust und kletterte eilig die Dachbodenleiter runter. Berauscht drängte ich zur Küche. Wie ein wertvolles Artefakt legte ich das Rezeptebuch auf den Küchentisch und las die Zutatenliste. Ich wuselte durch die Küche, eine sommerleichte Melodie auf meinen Lippen, und stellte freudig fest, dass ich alles Benötigte bereits da hatte. Beseelt machte ich mich gleich an die Arbeit. Ich schmolz die Butter und die Schokolade, rührte beides mit Schlagsahne und ein wenig Kaffeepulver zusammen. Die Belohnung folgte alsgleich, denn bei dem Geruch, der sich ausbreitete, konnte ich nicht umhin die Augen zu schließen und sich in Gedanken dem Vergangenen hinzugeben. Süß, schokoladig und schwer roch es damals wie jetzt, mit einer leichten Kaffeenote. Im Winter, sobald ich und Mama die Haustüre öffneten und über die Türschwelle gingen, vernahmen wir diese Duftnoten an besonderen Tagen sogleich. Wir legten freudig unsere Jacken und Schals ab und setzten uns mit lustig grummelnden Mägen an den Tisch. Begierig und aufgeregt schaukelte ich mit den Beinen ein gutes Stück über den Küchenboden, klein war ich noch. Unsere Oma schalt uns, dass wir noch warten werden müssen. Ich konnte er kaum erwarten. Heute würde ich hundert Jahre warten, um noch einmal von meiner Oma getadelt zu werden, mit dieser rauchigen Stimme, die immer so viel Unbeschwertheit als Beigeschmack hinterließ. Nur noch einmal an diesen schweren schwarzen Holztisch mit deutlicher Maserung sitzen können, in der altmodischen aber heimeligen Küche, mit den Kristallgläsern und silbrigen Tabletts drauf. Ich öffnete die Augen im Hier und Jetzt, damit ich nichts anbrennen ließ, formte aus der Masse mehrere Kuchenkerne und tat sie ins Gefrierfach. Dann machte ich mich an die Zubereitung des Teiges, natürlich benutzte ich keinen Mixer sondern handhabte es, händisch umzurühren, und hatte gleich die definierten Unterarme der Mütterchen vor Augen, die den Teig fachmännisch rührten. Schnell den Teig in die Förmchen einlassen, und nach einer Weile, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, tat ich die Küchleinkerne in den Teig und verschloss sie in diese. Dann ging das Ganze in den Ofen – zum Glück zog ich meine Eieruhr auf, denn die ganzen zwanzig Minuten über die das Mahl brauchte stand ich nur davor mit glasigen Augen und war ganz in der Vergangenheit gefangen dank dem sich verbreitendem Aroma und der Wärme. Es war, als würde ich meine eigene Kindsgestalt vernehmen, wie sie lachend an mir vorbeirauschte, auch wenn Rennen in Omas Küche streng verboten war. Und die tiefe Stimme meiner Großmama wieder vernehmen. Sie redete so, wie eine Schildkröte reden würde, wenn sie denn könnte. Krächzend, wohlig, herbststimmig. Und warm wie dieser Ofen aus damaliger Zeit wie auch jener aus jetziger Zeit. Diese Wärme ließ mich in die damalige Zeit gefrieren. Erst das schrille Klingeln der Eieruhr weckte mich aus den Erinnerungen. Für einen gnädigen Moment wusste ich nicht, wo ich war, dann wurde mir aber klar, dass diese Zeit schon lange rum ist, unwiderruflich, so wie die Zeit von meiner Großmutter. Ich wischte mir eine Träne weg, deren Fließen mir nicht bewusst war, und entnahm eilig das Essen aus dem Ofen. Es sah perfekt aus, fluffig und rund. Ich stürzte sogleich das erste Stück kopfüber auf einen Teller. Ich konnte nicht einmal die Geduld aufbringen, mich hinzusetzen. Dann brach ich mit dem Löffel die Hälfte des süßen Gebäcks weg, und sogleich ergoss sich flüssige dunkle Schokolade schnell und wunderbar über den Teller. Ich wusste nicht, ob in diesem Moment das Grinsen von mir kam oder es das erinnerte Grinsen meines früheren Ichs in solchen Momenten war. Wahrscheinlich grinsten wir beide gerade in diesem Moment gleich breit. Ich probierte von der flüssigen Schokolade und dem gebackenen Teig. Es war warm, süß, schwer, magisch, wehmütig - Zeitstrudel. Als die Schokolade leicht hitzig und dick in meinen Hals runterfloss, war es, als hätte das Paradies heute nur für mich geöffnet. Hastig aß ich weiter, und Stück für Stück, je mehr von diesem süßen, buttrigen und mich tief durchwärmenden Geschmack kam, desto mehr wurde ich in die frühen Tage gezogen. Ich fühlte Oma Gertrude damals noch kräftige Umarmung, bei der es zu der Zeit noch nicht absehbar war, wie schwach sie einmal werden sollte aufgrund Gebrechen wenige Jahre später. Ich vergrub meine Nase in ihren nach Lavendelparfüm riechenden Hals –diese aufgebackte, wohlige Wärme, die ihre Umarmung einbrachte. Nach all den Jahren spürte ich das, während buttrig und köstlich die letzten fest gebliebenen Schokoladenbutterstückchen auf meiner Zunge dahinschmolzen wie ich in besagter Umarmung. Der fluffige und samtige Teig schien das Meisterstück vom Ganzen, aber dann kam die Kaffeenote letztendlich und hob das Mahl endgültig auf seinen verdienten Thron. Ich musste von diesem über allem erhabenem Geschmack breit lächeln, gleichzeitig zitterte aber meine Unterlippe trübsinnig, denn ich habe an diesem Tag dank diesem Gericht Erlebnisse von alldem gewonnen, was unwiederbringlich verloren blieb.
Mein Lieblingsessen.
Ich war ein Mädchen von circa sechs Jahre, als mich meine Großmutter für reif genug hielt, im geräumigen Küchengarten vor unserem Haus mitzuarbeiten.
Eines sonnigen, angenehm warmen Morgens Anfang Mai zeigte sie mir ein Tütchen mit den Worten:
„Da drinnen schlafen die winzigen Samen die im Laufe der nächsten Wochen zu deinem Lieblingsgemüse wachsen. Ich zeige dir was zu tun ist. Nimm vorsichtig ein paar Körner heraus und streue sie in die Furche, die ich vorbereitet habe . Tue es genauso wie ich es dir vorzeige.“.
Gemeinsam legten wir die Samenkörner mit ein bisschen Abstand die schmalen Rillen im Gartenboden. Reihe um Reihe bestückten wir so.
„So, fünf Zeilen dürften ausreichen. Jetzt zu den grünen Kugerln, die du so liebst“.
Sie putzte ihre schmutzigen Hände an der Gartenschürze ab und zog mit einem Holzstäbchen weitere Reihen. Das Prozedere ging mit den Erbsen in gleicher Weise fort.
„Und wann kann ich die denn kosten?“, wollte ich wissen.
„Wenn wir regelmäßig wässern und es warm bleibt, dauert es nur wenige Wochen“, bekam ich zur Antwort.
„Das ist aber sehr lang, oder?“ fragte ich enttäuscht.
Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass Essen angebaut werden muss und mehr oder weniger Zeit braucht um zu wachsen und zu reifen. Jeden Tag bevor ich in die Schule lief, schaute ich nach meinen Schätzchen. Und dann die Überraschung: winzige Blättchen zeigten sich, wuchsen und wuchsen. Unser Vater scherzte, ich solle ein Metermaß nehmen, um Täglich die gewachsenen Millimeter abzumessen. Auch die drei Geschwister lästerten über meinen Eifer. Doch die Oma hielt zu mir. Endlich kam die Zeit der Ernte. Ich durfte ganz alleine die Karotten aus dem Boden ziehen. Auch die Erbsen pflückte ich selbst ab. In der Küche pulte ich mit Omas Hilfe die grünen Kügelchen aus der Schote. Anschließend wuschen wir gemeinsam die Rüben. Staunend stand ich vor dem Gemüse. All das wuchs aus den kleinen Samen. Doch das Beste kam noch. Aus frischen Schalotten, den geschälten Karotten und den Erbsen kochte mir die Oma mein Lieblingsgemüseessen. Noch Petersilie dazu, fertig. Zusammen mit Buttererdäpfeln war dieses Essen für mich das köstlichste, was es gab.
Auch heute noch, mehr als fünfzig Jahre später, liebe ich dieses Gericht. Und was mich besonders freut, meine Enkelin isst es ebenso gerne. Nur das Anbauen mit ihr muss warten. Auch sie sollte erst größer werden.
Mein Lieblingsessen.
Ich war ein Mädchen von circa sechs Jahre, als mich meine Großmutter für reif genug hielt, im geräumigen Küchengarten vor unserem Haus mitzuarbeiten.
Eines sonnigen, angenehm warmen Morgens Anfang Mai zeigte sie mir ein Tütchen mit den Worten:
„Da drinnen schlafen die winzigen Samen die im Laufe der nächsten Wochen zu deinem Lieblingsgemüse wachsen. Ich zeige dir was zu tun ist. Nimm vorsichtig ein paar Körner heraus und streue sie in die Furche, die ich vorbereitet habe . Tue es genauso wie ich es dir vorzeige.“.
Gemeinsam legten wir die Samenkörner mit ein bisschen Abstand die schmalen Rillen im Gartenboden. Reihe um Reihe bestückten wir so.
„So, fünf Zeilen dürften ausreichen. Jetzt zu den grünen Kugerln, die du so liebst“.
Sie putzte ihre schmutzigen Hände an der Gartenschürze ab und zog mit einem Holzstäbchen weitere Reihen. Das Prozedere ging mit den Erbsen in gleicher Weise fort.
„Und wann kann ich die denn kosten?“, wollte ich wissen.
„Wenn wir regelmäßig wässern und es warm bleibt, dauert es nur wenige Wochen“, bekam ich zur Antwort.
„Das ist aber sehr lang, oder?“ fragte ich enttäuscht.
Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass Essen angebaut werden muss und mehr oder weniger Zeit braucht um zu wachsen und zu reifen. Jeden Tag bevor ich in die Schule lief, schaute ich nach meinen Schätzchen. Und dann die Überraschung: winzige Blättchen zeigten sich, wuchsen und wuchsen. Unser Vater scherzte, ich solle ein Metermaß nehmen, um Täglich die gewachsenen Millimeter abzumessen. Auch die drei Geschwister lästerten über meinen Eifer. Doch die Oma hielt zu mir. Endlich kam die Zeit der Ernte. Ich durfte ganz alleine die Karotten aus dem Boden ziehen. Auch die Erbsen pflückte ich selbst ab. In der Küche pulte ich mit Omas Hilfe die grünen Kügelchen aus der Schote. Anschließend wuschen wir gemeinsam die Rüben. Staunend stand ich vor dem Gemüse. All das wuchs aus den kleinen Samen. Doch das Beste kam noch. Aus frischen Schalotten, den geschälten Karotten und den Erbsen kochte mir die Oma mein Lieblingsgemüseessen. Noch Petersilie dazu, fertig. Zusammen mit Buttererdäpfeln war dieses Essen für mich das köstlichste, was es gab.
Auch heute noch, mehr als fünfzig Jahre später, liebe ich dieses Gericht. Und was mich besonders freut, meine Enkelin isst es ebenso gerne. Nur das Anbauen mit ihr muss warten. Auch sie sollte erst größer werden.
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Hallo,
ich kann dich total verstehen. Mein Opa war Förster und Jäger und ab und zu hingen in unserem Keller Rehe, Hasen und Rebhühner. Als ich diese toten Tiere zum ersten Mal sah, bekam ich einen Schreck, der für mein gesamtes restliches Leben reichte. Wobei diese Art der Fleischbeschaffung noch die bessere ist. Besser als in diversen Ställen oder Farmen dahinzuvegetieren. Ich und mein Mann haben vor einigen Jahren beschlossen kein Fleisch mehr zu essen. Uns tut es gut und den Tieren auch.
Über „Deine“ Plundermilch freue ich mich sehr. Auch mich hat dieses vergessene Gericht zu einem Text inspiriert. Deine Geschichte erinnert mich an weitere gemeinsame Kindheitserinnerungen: die Bauernhoftiere. Jetzt habe ich sie wieder vor Augen.
Deine Geschichte brachte mich direkt wieder zurück zu meiner Oma. Danke dafür.
Der Weihnachtstruthahn
Von den vielen Talenten, diebetonter Text meine Mutter besaß war kochen leider nicht dabei.
Dennoch gab sie nicht auf und versuchte uns, ihren Liebsten, unerbittlich aufs Neue davon zu überzeugen.
So auch an jenem Weihnachtstag. Als ich schon am Morgen in die Küche betrat, erblickte ich den Leichnam des armen Truthahns der augenscheinlich kampflos sein Ende fand, auf dem Küchentresen liegen. Ehe meine Mutter ihn an seinen kahlen Flügelchen packte und unter das laufenden Wasser zum Waschen trug, stellte sie fest, dass er noch seine Innereien schön verpackt in einem Plastiksack in sich hatte. Als hätte das Tier nicht schon genug gelitten, holte sie mit einem beherzten Griff, durch das was vom Schlund noch übrig war, seine verpackten Gedärme heraus. Um ihn sogleich mit einer Mischung aus getrockneten Semmeln, Ei und Gewürzen und das waren verdammt viele Gewürze, wieder bis zum Anschlag zu vollzustopfen.
Kurz vor Endspurt, spendierte meine Mutter der Pute noch eine kräftige Massage mit, ratet mal? Richtig! VIel Gewürz.
In der Zwischenzeit sollte ich den Ofen anheizen. Als ich den Schalter in die vorgegeben Temperatur drehte, konnte man ein immer lauter werdendes Geräusch vernehmen. Man merkte das Gerät arbeitete.
Gespannt warteten wir auch das wohlbekannte Signal in Form eines kleinen Lämpchens, um sodann den Kadaver auf seine letzte Reise zu schicken.
Als dieser sich im Licht des Ofens, wollig warm braunen ließ, schnitt meine Mutter Gemüse, für den Salat. Beim Schneiden der Tomaten konnte man ein leises quietschen hören. Ob sie sich ihrem Schicksal bewusst waren?
Einige Stunden später versammelten wir uns alle erwartungsvoll um den Tisch. Und der Star die Pute betrat die Bühne. Doch sie war nicht alleine, seine Co- Stars, die Tomaten welche, sich mit Paprika und Zwiebeln anfreundeten begleiteten sie.
Von weiten schon konnte man den saftigen Geruch des Vogels vernehmen.
So wagte ich es einen Teil des Kadavers, auf das Teller vor mir zu legen.
Mit meinem Messer durchbrach ich zaghaft Stück für Stück die knusprig marinierte Haut des Vogels und spießte ein wenig davon auf meine Gabel. Jetzt war es so weit der Moment der Wahrheit.
Mein Gehirn wartete schon auf den so vertrauten Geschmack von Kohle. Im Gegenteil jedoch es hatte Pech gehabt, in meinem Mund verbreitete sich ein schmackhaftes Aroma um in einer Explosion durch die Nase zu enden.
Nicht ein Stückchen Fleisch blieb auf den Knochen. Mein Vater fragte verdutzt: " Wie hast du das dieses Mal gemacht?" Meine Mutter Antworte verlegen:" Viele Gewürze"
Der besondere Weihnachtsbrauch
Endlich war Abend. Der Gottesdienst zu Heiligabend war längst zu Ende. Wir warteten auf unseren Vater. Als Pastor hatte er noch den Gottesdienst in der Nachbargemeinde zu halten. Es war wie jedes Jahr. Warten auf Vater, dann Abendbrot und danach die Bescherung beim festlich geschmückten Tannenbaum. Die Düfte des Abendessens, das es wie jedes Jahr gab, durchzogen das Haus. Seelachsfilet und Bigos – das Gericht, das meine Eltern bereits vor meiner Geburt in Ostpreußen und dann Polen aßen. Bigos, das ist Sauerkraut, gekocht mit Kümmel und Krakauer Wurst, jedoch nach Rezept meiner Großmutter, wie ich später erfuhr.
Heiligabend war alles: Familie, aufeinander warten, besonderes Essen und dann einander beschenken. Aber ein Brauch vor dem Abendessen ist mir in Erinnerung geblieben und erst heute merke ich, wie besonders er war. Er war für meinen Vater sehr wichtig, mit diesem Brauch begann für ihn das Weihnachtsfest in der Familie, nach seinem Dienst an anderen Menschen, ihnen jedes Jahr aufs Neue die Weihnachtsbotschaft nahe zu bringen. Aber hier kam er selbst im Weihnachten an, in seiner Familie.
Der Tisch war gedeckt und Vater endlich da, deutlich erschöpft nach vier Gottesdiensten, aber mit spürbarer Vorfreude. Endlich standen wir um den Tisch herum und mein Vater nahm, wie jedes Jahr, eine kleine braune Schatulle. Er entnahm ihr eine Hostie, so eine kleine, weiße Scheibe in der Art von Esspapier, was in den Kirchen als Brot beim Abendmahl ausgeteilt wird. Dann hielt er das Kästchen zu meiner lächelnden Mutter, die auch eines herausnahm. Sie legten beide aufeinander, blickten sich an, sagten „Frohe Weihnachten“ und brachen sie in der Mitte durch. So teilten sie einander das Brot. Anstatt sie aber zu essen, ging mein Vater zu uns Kindern, der Reihe nach, jedes nahm sich ebenfalls eine Hostie und so brachen wir sie mit Vater und Mutter. Wenn das Gebrochene zu klein war, um erneut geteilt zu werden, wurde es gegessen und eine neue Hostie aus der Schatulle genommen. Jetzt war Weihnachten auch bei uns. Das Essen schmeckte doppelt gut, vielleicht, weil wir schon so lange warten mussten, vielleicht aber auch, weil dieser Brauch etwas in uns bewirkt hatte. Seelachsfilet wie auch Bigos gehören bis heute zu meinen Leibgerichten und auch jetzt, wo ich die Augen schließe, rieche ich dieses Mahl, sitze wieder am Platz neben meiner Mutter, und kann fast meine Freude auf die Bescherung nachfühlen - ja, und sehe sogar den mit Kerzen erleuchteten Weihnachtsbaum.
Erst nach dem Tod meines Vaters habe ich verstanden, dass der Seelachs, eben wie das Teilen der Hostien, für ihn auch eine tiefe Bedeutung hatte. Für mich als Kind war es einfach nur ein außergewöhnliches Abendessen, mein Vater fühlte sich damit auf besondere Weise dem Weihnachtsgeschehen verbunden, denn das Zeichen der Ur-Christen war seit jeher der Fisch.
Essen ist fertig
Bei meinem Freund Manfred hing ein Spielautomat im Kinderzimmer. Anfang der 70 er Jahre eine Sensation. Die Attraktion, vorrangig auffindbar in hinterfragungswürdigen Nischen der Wirtshäuser. Das Ausmaß: ein Meter in der Länge, einen halben breit und 30 Zentimeter tief. Wir erreichten auf Zehenspitzen den Geldeinwurf. An der Zimmertüre, dicke rote warnende Letter, eine Variation der in der Siedlung üblichen Beschilderung: Glücksspielverbot in öffentlichen Räumen. Auf diesen Unsinn legte sein Vater wert, erklärte mein Freund.
In Pyramidenform angeordnet rotierten zeitgleich drei Scheiben, bedruckt mit Symbolen und Zahlen. Unterhalb des Münzschlitzes ein Kippschalter, der stoppte. Ein begehrtes Ziel, auf Allen das gleiche Symbol wie zum Beispiel: Marienkäfer, Kirschen; oder Zahlen, 40/70/120/ 240, zu sehen. Die Ziffern entsprachen Pfennigen, die Bilder festgelegten Beträgen, meine Fixierung galt den Zahlen.
Ich bekam mit neun Jahren kein Taschengeld, es war schwierig, den geforderten Mindesteinsatz (40 Pfennig) zu organisieren. Manfred lernte mir, das Sparschwein der Volksbank mit einer Stricknadel zu öffnen. Ich erinnere mich an frustrierende Nachmittage, verspielte in dreißig Sekunden meine Barschaft, war pleite. An Erfolgreicheren fielen mit einem unvergessenen, Begeisterung auslösenden Geräusch, Münzen in die Plastikschale. Um weiter zu spielen, mussten drei Scheiben auf 40 stoppen, damit der Mindesteinsatz wieder zur Verfügung stand.
Ich hatte schon beim Betreten des Zimmers ein gutes Gefühl, die Vorahnung einer Glückssträhne. Schnell bekam ich meine 40 Pfennige zurück, die Serie wiederholte sich. Manfred beneidete den Erfolg. Es galt die Vereinbarung, bei Gewinn durfte weitergespielt werden. Die Scheiben stoppten auf 240. Der erste Gedanke, das Bare sofort in der Bäckerei für Süßigkeiten umzusetzen gefiel ihm nicht. Die nächste Runde reduzierte meinen Besitz auf zwei Mark. Die ausgelöste Euphorie führte zum Verlust des Zeitgefühls.
Es läutete, uns fuhr der Schrecken in die Glieder, der Papa. Unheilvolles ahnend schlich Manfred zum Öffnen. Ich spähte im Türrahmen stehend aus dem Zimmer, spürte die Bedrohlichkeit, die sich in gleicher Sekunde bestätigte. Der Vater polterte, ihm wurde nicht schnell genug geöffnet. Als er mich sah, entlud sich die Wut, sein Hass.
Er schlug ihm die Aktentasche, darin die Tupperbox, die Wurstbrote schmierte seine Frau täglich, links und rechts in Gesicht. Das war sein Einstieg, das Vorspiel. Es folgte ein schier unerträglich mit anzusehendes Verprügeln, eine Mischung aus Ohrfeigen und Faustschlägen, dabei traktierte er ihn bis zum Ende des Flurs. Ängstlich schlich ich mich in entgegengesetzter Richtung zur Haustüre. Auf gleicher Höhe mit Täter und Opfer sah ich deren Gesichter aus der Nähe. Der Vater hatte Entartetes und Vernichtendes im Antlitz, markerschütternde Schreie begleitete seine Hiebe. Anfangs brüllte Manfred noch, um seiner Not Ausdruck zu verleihen, dann verstummte er. Ich spürte, er kannte dieses Szenario. Das Gemetzel fand im „ Glücksspielzimmer“, an der Wurzel des Übels statt. Ich schäme mich bis heute, nicht geholfen zu haben, zu intervenieren und deeskalieren, ich flüchtete. An der Haustüre begegnete mir die Mutter mit dem Einkaufskorb. Sie erfasste die Situation blitzschnell. Ich verstand ihr stummes Kopfnicken, sie hielt die Klinke zum Kinderzimmer in der Hand, wartete, bis ich die Wohnung verließ. Es folgte das wiederholte Meisterstück erfolgreicher Deeskalation.
Retrospektiv ein Wunder, welch Brutalität ein Kinderkörper aushält. Vor allem die Schläge ins Gesicht, Manfred hatte großes Glück, von Frakturen abgesehen, keine Gehirnblutung davon zu tragen. Ungeahnt die Auswirkungen auf die Seele.
Meine Mama begrüßte mich mit „ Essen ist fertig“, der Appetit war mir vergangen.
Müde ziehe ich meine Stiefel an und steige in die dünne Jacke. Die Kabine ist erfüllt vom Nebel aus der Dusche. Das Training war in der Kälte unangenehm wie selten zuvor. Der Atem hatte sich an meinen Augenbrauen und dem noch spärlichen Schnäuzer als Eiskristalle niedergeschlagen, aber das heiße Wasser der Dusche hatte den Reif vertrieben. Aber nun stand nach der heißen Dusche die Heimfahrt bevor. Ich packe mein Trikot, die Fußballschuhe und das nasse Handtuch in die Tasche und verabschiede mich mit einem: „Bis Sonntag!“, von meinen Kammeraden, die alle fußläufig um das Sportheim wohnen. Es kommt ein verhaltenes „Bis Sonntag.“, zurück. Alle sind müde von der langen und langweiligen Laufeinheit. Ich trete vor dem Sportheim zu meinem Mofa und befestige die Tasche mit einem Spanngurt. Es ist bitterkalt und die Scheiben des einzigen Autos auf dem Parkplatz sind zugefroren. Ulli, unser Jugendtrainer wird ordentlich kratzen müssen. Ich starte den widerwillig anspringenden Motor meines alten Mofas. Knatternd spring der Motor an und ich fahre im spärlichen Licht des Frontscheinwerfers los. Nach Fünfzig Metern habe ich den Zustand eines Gefrierhähnchens in der Tiefkühltruhe eines Supermarktes. Der eiskalte Fahrtwind raubt mir die Sicht und ich zittere an der ersten Ampel so sehr, dass die Reflektionen der Lichter im Rückspiegel kurze Linien bilden. Ich fahre so schnell es bei den Straßenbedingungen eben geht und komme 25 Minuten später steifgefroren zu Hause an. Meine Lippen sind aufgesprungen von der Kälte. Ich brauche mehrere Versuche, um den Schlüssel in den Zylinder des Tores einzuschieben. Meine Nase und meine Wangen schmerzen von der kalten Luft und ich stelle das Mofa in die Garage. Ich schließe mit Schwierigkeiten die Haustüre auf und stelle meine Tasche in die Diele. Ich trete selbst ein und steige aus den Stiefeln. Es ist, als hätte ich keine Finger und keine Füße. Die Zehen und die Hände sind völlig unbeweglich und ich stakse wie Pinocchio die Treppe hinauf. Ich gehe ins Wohnzimmer. Der Fernseher ist überlaut und es laufen die Spätnachrichten. Meine Mutter steht sofort auf und geht in das warme Esszimmer. Sie sieht mich durch die halb geöffnete Tür an und fragt: „Hast Du noch Hunger?“ Ich nicke nur und spüre, dass auch mein Nacken von der Kälte steif ist. „Ich mach dir was.“, entscheidet meine Mutter einseitig und geht in die Küche. Ich begrüße meinen Vater, der im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzt und diesen nicht beachtet. Mein Vater sagt: „Junge, es ist zu kalt für das Mofa.“ Er hat recht. Das Esszimmer ist der wärmste Ort im Haus und ich schlüpfe schnell hinein und schließe die Tür zu dem weniger gut temperierten Wohnzimmer, in dem meine Eltern üblicherweise mit selbstgestrickten Wolldecken sitzen. Meine Mutter steht in der hell erleuchteten Küche, die mit einem Durchgang mit dem Esszimmer verbunden ist. Ich setze mich sofort auf den großen und breiten Heizkörper im Esszimmer, der an solchen Tagen gerne als Bank verwendet wird. Die Hitze des Heizkörpers ist für meine kalten Finger und Füße unerträglich und ich löse sofort meine Hände von dem heißen Eisen. Ich höre, wie Wasser sich in einen Topf ergießt und dann das Messer auf dem Schneidbrett. Sofort wird mein Hunger übermächtig. Ich esse nicht in der Schule und bin nur nach Hause gefahren, um mein Sporttasche zu holen. Seit dem Frühstück gab es nichts.
Mein Vater kommt in das Esszimmer. Er schließt schnell die Tür und meine Mutter stellt wortlos das Schneidbrett vor ihn und legt das scharfe Messer daneben. Mein Vater beginnt ohne Worte die Kräuter klein zu schneiden und ich höre wie auf dem Herd Zwiebeln den Weg in die Pfanne finden. Es riecht sofort nach Essen und meine Mutter beauftragt mich: „Holst Du ein Dose Rindfleisch?“ Ich stehe auf und trete den Weg in den kalten Keller an. Meine Füße sind noch immer paralysiert und gehören nicht zu mir. Die Dosen mit diesem billigen Rindfleisch und dem Gelee tragen keine Banderole und sind nur auf dem Deckel bedruckt. Ich angle eine Dose aus dem Schrank im Keller und bringe sie schnell in die Küche, um wieder ins Warme zu kommen. Ich nehme den Dosenöffner und öffne unbeholfen die Dose. Spontan drückt meine Mutter mich an sich und ich erhalte einen Kuss auf die Wange. Meine Halswirbelsäule quittiert die liebevolle aber stürmische Geste mit einem Knacken. Sie ist noch in der Triefkühlphase und weit weg von jeder Beweglichkeit. Meine Mutter wirft Nudeln ins Wasser und eine Menge Salz, die nach meinem Empfinden dem Tagesverbrauch des Winterdienstes unseres Mittelzentrums entspricht. Das Fleisch aus der Dose gelangt zu den Zwiebeln und es zischt, als der Doseninhalt auf dem Topfboden trifft. Sofort steigt eine Dampfwolke auf und hüllt meine Mutter ein. Die Scheibe des Küchenfensters ist beschlagen und ein Kochlöffel beginnt seine Runden in dem Topf zu drehen, in dem das Fleisch und der Schmelz des Aspik rasch zerfallen. Es beginnt zu blubbern. Meine Mutter greift in den Schrank und entnimmt ein kleines Päckchen „Maggi Bratensoße“ und schneidet den Deckel des innere weißen Kartons mit ihrem Knippchen ab. Sie sieht in den Topf und dann landet der Inhalt des Kartons in der Masse. Eiliges Rühren verhindert, dass sich die schnell eindickende Masse am Boden festsetzt. Mein Vater stellt das Brett mit dem feingehackten Schnittlauch auf den Küchenschrank. Meine Mutter rührt in allen Töpfen mit dem einen Kochlöffel und beauftragt mich: „Hol noch ein Glas Apfelkompott!“ Ich trete seufzend einen zweiten Gang in den kalten Keller an und nehme ein Glas des selbstgemachten Kompotts aus dem letzten Jahr aus dem Schrank. Die alten Weggläser sind mit ihren auffällig roten Gummis und ihrem matschigen Inhalt eine oft gesehene Tischbegleitung. Das Glas ist eiskalt und meine Finger und Zehen kribbeln nun, da sie auftauen und durchblutet werden. Ich stelle das Kompott vor meinen Vater, der mit einem Griff an dem Gummi das Glas öffnet. Mit kalten Fingern decke rasch den Tisch und gebe ihm einen Esslöffel für das Kompott und verteile das Besteck und die Teller. Jeder Teller stammt aus einem anderen Service und auch das Besteck ist eine illustre Sammlung verschiedener Epochen. Der Versuch drei gleiche Teller auf den Tisch zu stellen wäre absurd. Nur zu Weihnachten und besonderen Gästen kommt das gute zwölfteilige Service ans Tageslicht. Mein Vater fragt nach der Schule und ich versichere ihm, dass alles in Ordnung sei. Ich bekomme einige Anekdoten aus seiner Schulzeit als Vorspeise. Aus der Küche kommt ein Schwall Dampf, als meine Mutter die Nudeln abgießt und die dampfende Speise auf den runden Tisch stellt. Sie holt sofort den Topf mit der Soße und stellt ihn daneben. Sie nimmt meinen Teller und eine große Portion der Nudeln landet darauf. Eine große Suppenkelle der heißen Soße ergießt sich über dem Berg und der Teller landet vor mir. Das billige Fleisch ist zu einer braunen fasrigen Masse zerkocht, die dickflüssig und zäh durch die nassen Nudeln fließt. Ohne Widerspruch danke ich für einen übergroßen Klecks des Apfelkompotts, in dem sich noch viele feste Stücke des Apfels abzeichnen. Vorsichtig nehme ich mit meinem Löffel ein paar der Nudel mit der Soße auf. Es ist kochend heiß und ich nehme die Masse vorsichtig auf. Die zerkochte wabelige, schleimige Nudel mit der braunen Soße landet auf meiner Zunge und der Geschmack des überkonzentrierten Soßeninstants schockiert meine Geschmacksnerven. „Kann man Salz versalzen?“, frage ich mich. Es ist eine dickflüssige Mischung aus Salz und Soßenbinder. Ich lächle und nehme beim nächsten Löffel viel Kompott und weniger Soße. Die sauer-herbe Note des ungezuckerten Apfels entschärft den mehligen Soßenbinder und die warme Masse heizt mich in minutenschnelle auf. Meine Gedanken gehen ein Jahr zurück zur Apfelernte auf unserem Gartengrundstück. Der Apfel ist eine heimische Sorte und die Apfelernte und das anschließende Verarbeiten der in Wäschekörben gelagerten Ernte ist jedes Jahr ein Ereignis. Der Einmachkessel ist an den Wochenenden von früh bis spät in Betrieb und meine Eltern sitzen stundenlang mit ihren kleinen Knippchen in der Küche und schälen die fleckigen grünbraunen Apfel, bis sich die Schalen und Apfelgehäuse zu hohen Bergen vor ihnen türmen. Ich sehe ihnen oft zu, wenn sie mit den rasiermesserscharfen Messern die knubbeligen und unschönen Früchte in einem Schnitt enthäuten, so dass die gesamte Schale wie eine sich windende Schlange abgeschält wird. Wenn die Äpfel verarbeitet sind beginnt die Ernte der Stangenbohnen, welche im Wesentlichen mit Essig zu sauren Bohnen eingelegt werden. Es gibt in dieser Zeit gefühlt jeden Tag Bohnensuppe, Reibeplätzchen und Apfelmus. Zum Kaffee reicht meine Mutter noch gedeckten Apfelkuchen mit Sahne. Der Keller riecht einen Monat lang nur nach Äpfel, Bohnen und den frisch eingelagerten Kartoffeln der neuen Ernte. Die beiden essen wenig und diskutieren die Qualität der Äpfel aus dem letzten Jahr und erinnern mich an das alljährliche Pflügereignis. Ich stopfe fast zwei Drittel der Nudeln und des Kompotts in mich hinein. Das kalte Kompott mit seiner Säure und seinen festen unzerkochten Apfelstücken und die dunkle heiße Soße mit dem Fasrigen zerkochten Fleisch verbinden sich zu einer sauer-salzigen Delikatesse. Als keine Nudeln mehr im Topf sind, nehme ich das Kompott und forme eine Mulde hinein, die ich mit der Soße fülle. Ich stelle den warmen Teller auf meine linke Hand, damit diese schneller auftaut. Meine Eltern sehen mir zu und berichten sich vom Tag. Beide arbeiten in einer Klinik als Hausmeister und Hauswirtschaftlerin. Mir wird warm und die Kälte weicht endgültig aus meinen Knochen. Meine Mutter steht auf und räumt den Tisch ab. Mein Vater kehrt zu seinem Platz im Wohnzimmer zurück und die in meinem Magen aufsteigende Wärme erdrückt jede weitere Aktivität. Ich gehe in die Küche, in der die frischen Kräuter ungenutzt auf dem Küchenschrank stehen und küsse meine Mutter auf die Wange. Ich verabschiede mich mit: „Gute Nacht.“ Meine Mutter antwortet: „Morgen soll es noch kälter werden. Fahr doch lieber mit dem Bus.“ Ich nehme Kurs auf das Bad und falle erschöpft ins Bett. Wärme steigt in mir auf und drückt mir behutsam die Augen zu.