Naschen
Andächtig sassen wir drei Kinder am Küchentisch. Ich, das älteste, machte mich breit, spreizte die Ellbogen auf den Tisch, um meinen Geschwistern das Naschen zu erschweren. Noch war es aber nicht so weit.
Meine Mutter hockte uns gegenüber, vor ihr eine grosse Glasschüssel, in die sie Mehl siebte, das sich zu einer Pyramide türmte. Sie drückte eine Mulde in die Spitze, goss etwas warme Milch mit Zucker hinein und bröckelte ein paar Stücklein Hefe dazu. Sie rührte mit dem Zeigfinger etwas Mehl ein, nahm ein Tuch, deckte die Schüssel zu und stellte sie auf das Fenstersims im Wohnzimmer, wo es warm war.
Diesen Mehlhaufen war jedoch nicht das Ziel von uns Naschmäulern. Geduldig harrten wir aus.
Eine halbe Stunde später, die Hefe war angesprungen, wie Mutter sagte. Es ging ans Teigmachen. Sie schüttete Milch über die Mehlpyramide mit dem kleinen Hefekrater, gab Salz bei und viel Butter, dazu noch ein Ei.
„Nur ein Ei“, sagte sie, „denn sonst wird der Teig zu trocken, lieber mehr Butter.“
Ab jetzt lohnte es sich, schon mal vorsorglich mit der Zunge über die Lippen zu streichen.
Wir schauten zu, wie Mutter in die Schüssel griff, ihre Hände öffneten und schlossen sich. Bald quoll ein dünner Teig zwischen ihren Fingern, der immer dichter und fester wurde, Mehl und Milch, die Butter und Eier ballten sich zusammen, eine Teigknolle entstand, die meine Mutter schliesslich auf den Tisch knallte. Hände schnellten vor, um sich ein Stückchen zu greifen. Der mahnende Blick der Mutter hielt uns davon ab.
„Wartet“, sagte sie. „Ihr kriegt Euren Anteil schon noch.“
Sie wälzte den Teig hin und her, schlug ihn mehrmals auf den Tisch, bohrte ein Loch hinein, in das sie etwas Milch goss.
„Damit er schön glatt und geschmeidig wird“, sagte sie.
„Und wie weisst du wenn es so weit ist“, fragte mein Bruder.
„Wenn er glatt ist wie ein Babypo.“
„Aber man muss doch auch probieren“, sagte ich.
„Schon gut ihr Schleckmäuler“, sagte meine Mutter und klemmte ein paar Stücke von Teig ab, die sie zu Kügelchen formte und uns zuwarf. Drei Raubtiere erwachten, krallten und schnappten nach den Brocken. Ich, das älteste und grösste dieser Raubtiere war mit meinen gespreizten Ellbogen im Vorteil. Mein Bruder, der kleinste, schrie, die Schwester quengelte.
„Nimm nicht alles für Dich. Lass den anderen auch etwas“, sagte meine Mutter. „Du musst lernen zu teilen. Zudem ist zu viel Teig nicht gesund. Es bläht den Magen.“
Das war mir egal. Das Gefühl den Teig auf der Zunge zu drehen, die Finger zu lecken, ihn zwischen den Zähnen zu malmen, liess einen geblähten Magen verkraften. Im Übrigen hatte sich deswegen mein Magen noch nie gebläht.
Vom Lärm aufgeschreckt, gesellte sich mein Vater an den Küchentisch.
„Macht nicht so viel Lärm. Der Teig ist noch gar nicht fertig“, sagte er.
Er nahm den Teig, der in seiner Hand fast vollständig verschwand, walkte ihn kräftig durch und schmetterte ihn mehrmals auf den Tisch, sodass es knallte und die Tischplatte erzitterte.
„Bäng, Bäng“, machte mein kleiner Bruder, „ich will auch Bäng.“
Er griff nach dem Teig, den ihm mein Vater lachend hinhielt.
„Du bist doch viel zu schwach“, sagte ich.
Natürlich war er das, dennoch griff er mit seinen beiden Patschhändchen nach dem Teig. Er hatte aber gar nicht vor diesen zu heben und auf den Tisch zu schmettern. Stattdessen zwackte er mit jeder Hand blitzschnell ein Stück Teig ab und stopfte es sich in seinen Mund. Es gelang ihm aber nur mit der rechten, denn ich griff nach seiner linken, bevor er das Teigstück zwischen seine Zähne schieben konnte.
„Lass das“, sagte mein Vater, „du hast genug gehabt.“
Er reichte den Teig meiner Mutter, die ihn zu einer Kugel formte, in die Schüssel legte und mit einem Tuch zudeckte. Die Schüssel stellte sie wieder an das warme Plätzchen.
Für den Teig begann nun die gefährlichste Phase seines Daseins. Die Gefahr, dass wir Kinder versuchen würden, weitere Stücke abzureissen, war hoch und meinem Vater sehr wohl bewusst.
„Du“, sagte er und zeigte mit dem Zeigfinger auf mich, „du bist verantwortlich, dass niemand, und mit niemand meine ich auch dich, dass also niemand vom Teig nascht. Verstanden.“
„Winnetou wachen“, sagte ich und schlug mit der rechten Faust auf meine Brust. „Mein Blutsbruder ruhig schlafen. Winnetou Bleichgesicht verjagen, wenn versuchen zu naschen. Hugh!“
Im Schneidersitz hockte ich mich vor das Fenstersims, auf dem der Teig in seiner Schüssel ruhte und schaute drohend nach allen Seiten, insbesondere beobachtete ich meinen Bruder, dem ich einen Angriff auf den Teig durchaus zutraute. Aber der war verschwunden. Meine Schwester sass auf dem Boden und spielte mit einer Puppe. Ich beachtete sie nicht weiter. Ein Mädchen, was wollte sie schon gegen mich ausrichten, dachte ich etwas verächtlich.
Aber wo war mein Bruder. Ich sah ihn nirgends. Was führte er im Schilde. Ich erhob mich und tigerte von einer Ecke zur nächsten, spähte hinter das Sofa, schaute unter das Salontischchen, als ein Geräusch an mein Ohr drang, ein schabendes Geräusch aus Richtung des Kleiderkastens, der bei uns im Gang stand.
Aha, dachte ich, da versteckt sich der Kerl. Ich näherte mich schleichend dem Kasten, aus dem plötzlich ein schollerndes Getöse drang. Es prasselte und polterte. Ich sprang hinzu, öffnete ihn und sah einen Kleiderhaufen, der sich bewegte.
„Hab ich dich“, sagte ich und wühlte mich durch die Mäntel und Jacken, ein dankbares Winseln von Migg, unserem Hund, empfing mich.
Verdammt, dachte ich. Hinter mir hörte ich triumphierendes Geheul. Mein Bruder und meine Schwester tanzten vor dem Fenstersims, kauten auf dem Teig, den sie erobert hatten, und leckten sich die Finger.
Mein Vater war wütend.
„Wollt ihr jetzt allen Teig fressen, oder wollt ihr morgen zum Frühstück frischen Sonntagszopf aus dem Ofen“, sagte er.
„Sonntagszopf“, sagten wir.
„Dann lasst den Teig jetzt in Ruhe“, sagte mein Vater.
Eine halbe Stunde später nahm meine Mutter den Teig aus der Schüssel, legte ihn auf den Tisch und teilte ihn in zwei Stücke, die sie jedes mit den Händen, zu einem Strang auswallte. Sie legte sie übers Kreuz und bewegte die Enden hin und her. Man kam nicht nach mit schauen, so rasch ging es, und schon lachte uns ein Zopf entgegen, kunstvoll geflochten, elegant, mit einem satten Hintern, der sich zum andern Ende verjüngte.
Meine Mutter bestrich den Zopf mit einem verquirlten Ei, sodass er glänzte. Niemand wagte es mehr, nach einem Stück Teig zu greifen. Dazu war der Zopf einfach zu schön.
Über Nacht ruhte das teigliche Kunstwerk im Keller, mit einem Tuch abgedeckt.
Am Sonntagmorgen dann thronte es in der Mitte des Frühstückstisches, umgeben von Butter, Konfitüren, Honig, Käse, Schinken und Eiern. Seine Kruste glänzte braungolden, die Krume gelb von der vielen Butter und luftig vom Bäng Bäng.
Mein Vater liebte es, den Zopf mit Butter zu bestreichen und Schinken zu belegen, die Mutter bevorzugte ihn mit gescheibeltem Ei. Meine Geschwister mochten ihn mit Butter und Honig. Und ich, ich tunkte ihn in heisse Schokolade, vielleicht noch mit etwas Butter bestrichen.