Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Essen ist fertig

Bei meinem Freund Manfred hing ein Spielautomat im Kinderzimmer. Anfang der 70 er Jahre eine Sensation. Die Attraktion, vorrangig auffindbar in hinterfragungswürdigen Nischen der Wirtshäuser. Das Ausmaß: ein Meter in der Länge, einen halben breit und 30 Zentimeter tief. Wir erreichten auf Zehenspitzen den Geldeinwurf. An der Zimmertüre, dicke rote warnende Letter, eine Variation der in der Siedlung üblichen Beschilderung: Glücksspielverbot in öffentlichen Räumen. Auf diesen Unsinn legte sein Vater wert, erklärte mein Freund.

In Pyramidenform angeordnet rotierten zeitgleich drei Scheiben, bedruckt mit Symbolen und Zahlen. Unterhalb des Münzschlitzes ein Kippschalter, der stoppte. Ein begehrtes Ziel, auf Allen das gleiche Symbol wie zum Beispiel: Marienkäfer, Kirschen; oder Zahlen, 40/70/120/ 240, zu sehen. Die Ziffern entsprachen Pfennigen, die Bilder festgelegten Beträgen, meine Fixierung galt den Zahlen.

Ich bekam mit neun Jahren kein Taschengeld, es war schwierig, den geforderten Mindesteinsatz (40 Pfennig) zu organisieren. Manfred lernte mir, das Sparschwein der Volksbank mit einer Stricknadel zu öffnen. Ich erinnere mich an frustrierende Nachmittage, verspielte in dreißig Sekunden meine Barschaft, war pleite. An Erfolgreicheren fielen mit einem unvergessenen, Begeisterung auslösenden Geräusch, Münzen in die Plastikschale. Um weiter zu spielen, mussten drei Scheiben auf 40 stoppen, damit der Mindesteinsatz wieder zur Verfügung stand.

Ich hatte schon beim Betreten des Zimmers ein gutes Gefühl, die Vorahnung einer Glückssträhne. Schnell bekam ich meine 40 Pfennige zurück, die Serie wiederholte sich. Manfred beneidete den Erfolg. Es galt die Vereinbarung, bei Gewinn durfte weitergespielt werden. Die Scheiben stoppten auf 240. Der erste Gedanke, das Bare sofort in der Bäckerei für Süßigkeiten umzusetzen gefiel ihm nicht. Die nächste Runde reduzierte meinen Besitz auf zwei Mark. Die ausgelöste Euphorie führte zum Verlust des Zeitgefühls.

Es läutete, uns fuhr der Schrecken in die Glieder, der Papa. Unheilvolles ahnend schlich Manfred zum Öffnen. Ich spähte im Türrahmen stehend aus dem Zimmer, spürte die Bedrohlichkeit, die sich in gleicher Sekunde bestätigte. Der Vater polterte, ihm wurde nicht schnell genug geöffnet. Als er mich sah, entlud sich die Wut, sein Hass.

Er schlug ihm die Aktentasche, darin die Tupperbox, die Wurstbrote schmierte seine Frau täglich, links und rechts in Gesicht. Das war sein Einstieg, das Vorspiel. Es folgte ein schier unerträglich mit anzusehendes Verprügeln, eine Mischung aus Ohrfeigen und Faustschlägen, dabei traktierte er ihn bis zum Ende des Flurs. Ängstlich schlich ich mich in entgegengesetzter Richtung zur Haustüre. Auf gleicher Höhe mit Täter und Opfer sah ich deren Gesichter aus der Nähe. Der Vater hatte Entartetes und Vernichtendes im Antlitz, markerschütternde Schreie begleitete seine Hiebe. Anfangs brüllte Manfred noch, um seiner Not Ausdruck zu verleihen, dann verstummte er. Ich spürte, er kannte dieses Szenario. Das Gemetzel fand im „ Glücksspielzimmer“, an der Wurzel des Übels statt. Ich schäme mich bis heute, nicht geholfen zu haben, zu intervenieren und deeskalieren, ich flüchtete. An der Haustüre begegnete mir die Mutter mit dem Einkaufskorb. Sie erfasste die Situation blitzschnell. Ich verstand ihr stummes Kopfnicken, sie hielt die Klinke zum Kinderzimmer in der Hand, wartete, bis ich die Wohnung verließ. Es folgte das wiederholte Meisterstück erfolgreicher Deeskalation.

Retrospektiv ein Wunder, welch Brutalität ein Kinderkörper aushält. Vor allem die Schläge ins Gesicht, Manfred hatte großes Glück, von Frakturen abgesehen, keine Gehirnblutung davon zu tragen. Ungeahnt die Auswirkungen auf die Seele.

Meine Mama begrüßte mich mit „ Essen ist fertig“, der Appetit war mir vergangen.

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Müde ziehe ich meine Stiefel an und steige in die dünne Jacke. Die Kabine ist erfüllt vom Nebel aus der Dusche. Das Training war in der Kälte unangenehm wie selten zuvor. Der Atem hatte sich an meinen Augenbrauen und dem noch spärlichen Schnäuzer als Eiskristalle niedergeschlagen, aber das heiße Wasser der Dusche hatte den Reif vertrieben. Aber nun stand nach der heißen Dusche die Heimfahrt bevor. Ich packe mein Trikot, die Fußballschuhe und das nasse Handtuch in die Tasche und verabschiede mich mit einem: „Bis Sonntag!“, von meinen Kammeraden, die alle fußläufig um das Sportheim wohnen. Es kommt ein verhaltenes „Bis Sonntag.“, zurück. Alle sind müde von der langen und langweiligen Laufeinheit. Ich trete vor dem Sportheim zu meinem Mofa und befestige die Tasche mit einem Spanngurt. Es ist bitterkalt und die Scheiben des einzigen Autos auf dem Parkplatz sind zugefroren. Ulli, unser Jugendtrainer wird ordentlich kratzen müssen. Ich starte den widerwillig anspringenden Motor meines alten Mofas. Knatternd spring der Motor an und ich fahre im spärlichen Licht des Frontscheinwerfers los. Nach Fünfzig Metern habe ich den Zustand eines Gefrierhähnchens in der Tiefkühltruhe eines Supermarktes. Der eiskalte Fahrtwind raubt mir die Sicht und ich zittere an der ersten Ampel so sehr, dass die Reflektionen der Lichter im Rückspiegel kurze Linien bilden. Ich fahre so schnell es bei den Straßenbedingungen eben geht und komme 25 Minuten später steifgefroren zu Hause an. Meine Lippen sind aufgesprungen von der Kälte. Ich brauche mehrere Versuche, um den Schlüssel in den Zylinder des Tores einzuschieben. Meine Nase und meine Wangen schmerzen von der kalten Luft und ich stelle das Mofa in die Garage. Ich schließe mit Schwierigkeiten die Haustüre auf und stelle meine Tasche in die Diele. Ich trete selbst ein und steige aus den Stiefeln. Es ist, als hätte ich keine Finger und keine Füße. Die Zehen und die Hände sind völlig unbeweglich und ich stakse wie Pinocchio die Treppe hinauf. Ich gehe ins Wohnzimmer. Der Fernseher ist überlaut und es laufen die Spätnachrichten. Meine Mutter steht sofort auf und geht in das warme Esszimmer. Sie sieht mich durch die halb geöffnete Tür an und fragt: „Hast Du noch Hunger?“ Ich nicke nur und spüre, dass auch mein Nacken von der Kälte steif ist. „Ich mach dir was.“, entscheidet meine Mutter einseitig und geht in die Küche. Ich begrüße meinen Vater, der im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzt und diesen nicht beachtet. Mein Vater sagt: „Junge, es ist zu kalt für das Mofa.“ Er hat recht. Das Esszimmer ist der wärmste Ort im Haus und ich schlüpfe schnell hinein und schließe die Tür zu dem weniger gut temperierten Wohnzimmer, in dem meine Eltern üblicherweise mit selbstgestrickten Wolldecken sitzen. Meine Mutter steht in der hell erleuchteten Küche, die mit einem Durchgang mit dem Esszimmer verbunden ist. Ich setze mich sofort auf den großen und breiten Heizkörper im Esszimmer, der an solchen Tagen gerne als Bank verwendet wird. Die Hitze des Heizkörpers ist für meine kalten Finger und Füße unerträglich und ich löse sofort meine Hände von dem heißen Eisen. Ich höre, wie Wasser sich in einen Topf ergießt und dann das Messer auf dem Schneidbrett. Sofort wird mein Hunger übermächtig. Ich esse nicht in der Schule und bin nur nach Hause gefahren, um mein Sporttasche zu holen. Seit dem Frühstück gab es nichts.

Mein Vater kommt in das Esszimmer. Er schließt schnell die Tür und meine Mutter stellt wortlos das Schneidbrett vor ihn und legt das scharfe Messer daneben. Mein Vater beginnt ohne Worte die Kräuter klein zu schneiden und ich höre wie auf dem Herd Zwiebeln den Weg in die Pfanne finden. Es riecht sofort nach Essen und meine Mutter beauftragt mich: „Holst Du ein Dose Rindfleisch?“ Ich stehe auf und trete den Weg in den kalten Keller an. Meine Füße sind noch immer paralysiert und gehören nicht zu mir. Die Dosen mit diesem billigen Rindfleisch und dem Gelee tragen keine Banderole und sind nur auf dem Deckel bedruckt. Ich angle eine Dose aus dem Schrank im Keller und bringe sie schnell in die Küche, um wieder ins Warme zu kommen. Ich nehme den Dosenöffner und öffne unbeholfen die Dose. Spontan drückt meine Mutter mich an sich und ich erhalte einen Kuss auf die Wange. Meine Halswirbelsäule quittiert die liebevolle aber stürmische Geste mit einem Knacken. Sie ist noch in der Triefkühlphase und weit weg von jeder Beweglichkeit. Meine Mutter wirft Nudeln ins Wasser und eine Menge Salz, die nach meinem Empfinden dem Tagesverbrauch des Winterdienstes unseres Mittelzentrums entspricht. Das Fleisch aus der Dose gelangt zu den Zwiebeln und es zischt, als der Doseninhalt auf dem Topfboden trifft. Sofort steigt eine Dampfwolke auf und hüllt meine Mutter ein. Die Scheibe des Küchenfensters ist beschlagen und ein Kochlöffel beginnt seine Runden in dem Topf zu drehen, in dem das Fleisch und der Schmelz des Aspik rasch zerfallen. Es beginnt zu blubbern. Meine Mutter greift in den Schrank und entnimmt ein kleines Päckchen „Maggi Bratensoße“ und schneidet den Deckel des innere weißen Kartons mit ihrem Knippchen ab. Sie sieht in den Topf und dann landet der Inhalt des Kartons in der Masse. Eiliges Rühren verhindert, dass sich die schnell eindickende Masse am Boden festsetzt. Mein Vater stellt das Brett mit dem feingehackten Schnittlauch auf den Küchenschrank. Meine Mutter rührt in allen Töpfen mit dem einen Kochlöffel und beauftragt mich: „Hol noch ein Glas Apfelkompott!“ Ich trete seufzend einen zweiten Gang in den kalten Keller an und nehme ein Glas des selbstgemachten Kompotts aus dem letzten Jahr aus dem Schrank. Die alten Weggläser sind mit ihren auffällig roten Gummis und ihrem matschigen Inhalt eine oft gesehene Tischbegleitung. Das Glas ist eiskalt und meine Finger und Zehen kribbeln nun, da sie auftauen und durchblutet werden. Ich stelle das Kompott vor meinen Vater, der mit einem Griff an dem Gummi das Glas öffnet. Mit kalten Fingern decke rasch den Tisch und gebe ihm einen Esslöffel für das Kompott und verteile das Besteck und die Teller. Jeder Teller stammt aus einem anderen Service und auch das Besteck ist eine illustre Sammlung verschiedener Epochen. Der Versuch drei gleiche Teller auf den Tisch zu stellen wäre absurd. Nur zu Weihnachten und besonderen Gästen kommt das gute zwölfteilige Service ans Tageslicht. Mein Vater fragt nach der Schule und ich versichere ihm, dass alles in Ordnung sei. Ich bekomme einige Anekdoten aus seiner Schulzeit als Vorspeise. Aus der Küche kommt ein Schwall Dampf, als meine Mutter die Nudeln abgießt und die dampfende Speise auf den runden Tisch stellt. Sie holt sofort den Topf mit der Soße und stellt ihn daneben. Sie nimmt meinen Teller und eine große Portion der Nudeln landet darauf. Eine große Suppenkelle der heißen Soße ergießt sich über dem Berg und der Teller landet vor mir. Das billige Fleisch ist zu einer braunen fasrigen Masse zerkocht, die dickflüssig und zäh durch die nassen Nudeln fließt. Ohne Widerspruch danke ich für einen übergroßen Klecks des Apfelkompotts, in dem sich noch viele feste Stücke des Apfels abzeichnen. Vorsichtig nehme ich mit meinem Löffel ein paar der Nudel mit der Soße auf. Es ist kochend heiß und ich nehme die Masse vorsichtig auf. Die zerkochte wabelige, schleimige Nudel mit der braunen Soße landet auf meiner Zunge und der Geschmack des überkonzentrierten Soßeninstants schockiert meine Geschmacksnerven. „Kann man Salz versalzen?“, frage ich mich. Es ist eine dickflüssige Mischung aus Salz und Soßenbinder. Ich lächle und nehme beim nächsten Löffel viel Kompott und weniger Soße. Die sauer-herbe Note des ungezuckerten Apfels entschärft den mehligen Soßenbinder und die warme Masse heizt mich in minutenschnelle auf. Meine Gedanken gehen ein Jahr zurück zur Apfelernte auf unserem Gartengrundstück. Der Apfel ist eine heimische Sorte und die Apfelernte und das anschließende Verarbeiten der in Wäschekörben gelagerten Ernte ist jedes Jahr ein Ereignis. Der Einmachkessel ist an den Wochenenden von früh bis spät in Betrieb und meine Eltern sitzen stundenlang mit ihren kleinen Knippchen in der Küche und schälen die fleckigen grünbraunen Apfel, bis sich die Schalen und Apfelgehäuse zu hohen Bergen vor ihnen türmen. Ich sehe ihnen oft zu, wenn sie mit den rasiermesserscharfen Messern die knubbeligen und unschönen Früchte in einem Schnitt enthäuten, so dass die gesamte Schale wie eine sich windende Schlange abgeschält wird. Wenn die Äpfel verarbeitet sind beginnt die Ernte der Stangenbohnen, welche im Wesentlichen mit Essig zu sauren Bohnen eingelegt werden. Es gibt in dieser Zeit gefühlt jeden Tag Bohnensuppe, Reibeplätzchen und Apfelmus. Zum Kaffee reicht meine Mutter noch gedeckten Apfelkuchen mit Sahne. Der Keller riecht einen Monat lang nur nach Äpfel, Bohnen und den frisch eingelagerten Kartoffeln der neuen Ernte. Die beiden essen wenig und diskutieren die Qualität der Äpfel aus dem letzten Jahr und erinnern mich an das alljährliche Pflügereignis. Ich stopfe fast zwei Drittel der Nudeln und des Kompotts in mich hinein. Das kalte Kompott mit seiner Säure und seinen festen unzerkochten Apfelstücken und die dunkle heiße Soße mit dem Fasrigen zerkochten Fleisch verbinden sich zu einer sauer-salzigen Delikatesse. Als keine Nudeln mehr im Topf sind, nehme ich das Kompott und forme eine Mulde hinein, die ich mit der Soße fülle. Ich stelle den warmen Teller auf meine linke Hand, damit diese schneller auftaut. Meine Eltern sehen mir zu und berichten sich vom Tag. Beide arbeiten in einer Klinik als Hausmeister und Hauswirtschaftlerin. Mir wird warm und die Kälte weicht endgültig aus meinen Knochen. Meine Mutter steht auf und räumt den Tisch ab. Mein Vater kehrt zu seinem Platz im Wohnzimmer zurück und die in meinem Magen aufsteigende Wärme erdrückt jede weitere Aktivität. Ich gehe in die Küche, in der die frischen Kräuter ungenutzt auf dem Küchenschrank stehen und küsse meine Mutter auf die Wange. Ich verabschiede mich mit: „Gute Nacht.“ Meine Mutter antwortet: „Morgen soll es noch kälter werden. Fahr doch lieber mit dem Bus.“ Ich nehme Kurs auf das Bad und falle erschöpft ins Bett. Wärme steigt in mir auf und drückt mir behutsam die Augen zu.

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Alter Käse

Wer weiß, wie überreifer Camembert schmeckt? Streng, ziemlich scharf. So, dass ich das von meiner Mutter damit belegte Brot verschmähte. Was eine Todsünde darstellte. „Es wird aufgegessen, vorher gibt es nichts anderes!“. Sätze, die wohl die meisten Kinder zu jener Zeit zu hören bekamen. Als Katholik hatte man ohnehin nichts verderben zu lassen, was der liebe Gott uns schenkte. Die Schrecken und Auswirkungen des letzten Krieges steckten den Erwachsenen außerdem noch in den Knochen. Hatte nicht manches Mal ein Bissen Brot über Tod oder Leben entschieden? Besonders „dick“ hatten wir es zudem nicht. Konsequent wurde mir das Brot wieder und wieder vor die Nase geschoben. Die Butter unter dem Käse glänzte immer farbloser, der Käse dunkelte am Übergang zum Edelschimmel unübersehbar und der Geschmack ähnelte immer mehr dem, was es war: vergammelte Milch. Ich aß das Brot nicht am Abend. Ich aß es nicht am nächsten Morgen. Nicht mittags. Dann bekamen meine Eltern Besuch. Meine Mutter und mein Vater hatten Köstlichkeiten gekocht, der Duft schwebte durch sämtliche Räume, auch über mein Käsebrot hinweg. Ich wurde vom festlich gedeckten Tisch entfernt und am Küchentisch zurückgelassen. Allein mit dem vertrockneten und stinkenden Brot vor mir. Meine Sturheit und mein Widerwille brachen völlig in mir zusammen und ich weinte. Laut und herzerweichend. Im Zimmer daneben verstummte die Unterhaltung. Dann kam mein Vater gelaufen und zog das Brettchen mit dem Camembert fort und trocknete mir die Tränen. Dann durfte ich mit am Tisch Platz nehmen, wo mich die fremden Leute neugierig betrachteten. So richtig geschmeckt hat es mir unter diesen Blicken nicht.

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Ja, so ging es meiner Schwester auch. Nach den Erfahrungen mit dem Wildfleisch isst sie nur noch sehr sehr selten Fleisch. Meistens verzichtet sie darauf.

Solche Erfahrungen prägen einen.

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Dankeschön, das freut mich.

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Vielen Dank! Geht runter wie’n Klops :sweat_smile:

Eine Tüte Lakritz

Endlich Freitag! Die ersten Sonnenstrahlen trafen vor wenigen Minuten die kunstvoll erstellte Rennstrecke aus Legosteinen und Bauklötzen. Zwei eindeutig geliebte Autos standen an der Startlinie und warteten geduldig auf den neuen Tag. Bald startet das wilde Rennen wieder. Durch enge Kurven und über die holprige Teppichfliesen-Strecke sausen sie dann Nase an Nase und nie war abzusehen, wer die Ziellinie aus einem blauen Bindfaden, als erster erreichen würde. Neben der Rennstrecke lagen verstreut im Halbdunkel des Zimmers Stofftiere und Spielsteine wild durcheinander. Dazwischen und darunter Hefte und Stifte aus dem umgefallenen Tornister.
Stück für Stück vertrieben die Sonnenstrahlen das Dunkel aus dem Kinderzimmer.

Den Kopf unter der Decke vergraben verbarg sich Pia noch vor dem Tag. Nur noch ein klein wenig länger liegen bleiben, doch der Wecker hatte andere Pläne. Unerbittlich begann er sein Tagwerk mit dem schrillsten Klingeln, das sich Pia nur vorstellen konnte. Blitzschnell erschien eine Hand, die energisch auf den Snooze Taster schlug. ‚Es ist Freitag‘, schoss es ihr durch den Kopf,‚Taschengeld!‘. Mit einem Elan, der vor einer Sekunde noch nicht zu erahnen war, sprang sie aus dem Bett und sprang geschickt über das Gewimmel auf dem Boden hinweg.
„Mama, es ist Freitag“, Pia’s Mutter schaute hinter ihrer Zeitung hervor. „Guten Morgen, ja heute ist Freitag.“ Ihr Kopf verschwand hinter der Zeitung. Diese 5 Minuten, bevor der vollgepackte Tag begann, gehörten ihr und die würde sie sich jetzt noch nicht nehmen lassen. Leicht genervt kam ihre Stimme hinter der Zeitung hervor. „Bist Du den schon im Badezimmer gewesen? Mach dich bitte fertig und komm dann zum frühstücken.“ Pia’s ungeduldiges Zappeln übersehend genehmigte sie sich einen weiteren Schluck Kaffee. „Aber Mama,“ versuchte Pia erneut die Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu erregen, „Freitag, das bedeutet Taschengeld.“ Die folgende Stille ersetzte jedes Wort und Pia hastete zum Badezimmer. Nach den üblichen Schwierigkeiten, alles für die Schule wieder in den Tornister zu packen, der schwierigen Auswahl, welches T-Shirt für den heutigen Tag das richtige ist, warf sie im Flur noch einen Blick in den Spiegel und nickte sich zufrieden zu. Selbst ihre Haare schienen dem Tag freudig entgegen zuschauen, denn entgegen des wilden Gewirrs auf ihrem Kopf hatten sie sich heute fast zu einer Frisur geordnet.

Als sie die Küche betrat, schien sich ihre Mutter noch nicht bewegt zu haben. Eilig setzte sich Pia an den Tisch und begann ihr Brot zu schmieren. „Mama …“ erwartungsvoll blickte Pia auf die Zeitung. Ein Schwall Rauch erschien anstelle einer Reaktion. Etwas lauter versuchte sie es erneut „Mama, … kann ich mein Taschengeld haben.“ „Es liegt an der Spüle und jetzt beeile dich, sonst kommst du noch zu spät zur Schule.“ Das lies sich Pia nicht zweimal sagen. Das Geld stopfte sie in die rechte Hosentasche und mit der linken schob sie sich den Rest Brot in den Mund. „Tschüß, bis heute Abend.“ Ein „Mmh“ quoll hinter der Zeitung hervor.

Die Stufen hinunter waren ein Klacks. Wie jeden Freitag viel Pia der Weg zur Schule leichter. Heute würde der Tag besser verlaufen. Sie war einfach nicht richtig. Sie liebte Fussball und Rugby verstand sich überhaupt nicht darauf, sich wie die anderen Mädchen zu verhalten. Sie spielte lieber mit Autos als mit Puppen und dann war sie auch noch gut im Rechnen. Die Mädchen wollten nicht mit ihr spielen und die Jungen fanden sie blöd. Aber jeden Freitag war das anders. Zielstrebig und beschwingt ging sie die Strasse entlang. Da vorne konnte sie ihr Ziel schon sehen. An der Strasse etwas versteckt war in einem Wohnhaus die kleine Bude, eigentlich hieß es Kiosk aber jeder nannte diese winzige Goldgrube nur Bude. Hier gab es einfach alles … Brausebonbons die so sauer waren, dass man das Gesicht verzog, wenn das Brausepulver auf die Zunge traf. Kokosschokolade, die einzelnen Stückchen schon für 10 Pfennig. Jede Art von Gummibärchen, als Schlangen, als Colaflaschen, als saure Gurken, es war einfach das Paradies für jedes Kinderherz. Für Pia aber gab es jeden Freitag nur die eine Wahl! Lakritze! Die Hand in der Tasche spürte sie die Geldstücke, die ihr einen Tag Freunde in der Schule brachte. „Für 1 Mark Lakritze bitte.“ Die alte Dame hinter der Fensteröffnung lächelte sie an. „Wie immer gemischt?“ „Klar, wie immer.“ Die Papiertüte füllte sich, bis sie oben kaum mehr zu ging. Mit der einen Hand legte Pia die Mark auf den Tisch und mit der anderen angelte sie nach der Tüte.

Jetzt würde es ein guter Tag, diese Tüte Lakritz würde für heute die Welt verändern.

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Naschen
Andächtig sassen wir drei Kinder am Küchentisch. Ich, das älteste, machte mich breit, spreizte die Ellbogen auf den Tisch, um meinen Geschwistern das Naschen zu erschweren. Noch war es aber nicht so weit.
Meine Mutter hockte uns gegenüber, vor ihr eine grosse Glasschüssel, in die sie Mehl siebte, das sich zu einer Pyramide türmte. Sie drückte eine Mulde in die Spitze, goss etwas warme Milch mit Zucker hinein und bröckelte ein paar Stücklein Hefe dazu. Sie rührte mit dem Zeigfinger etwas Mehl ein, nahm ein Tuch, deckte die Schüssel zu und stellte sie auf das Fenstersims im Wohnzimmer, wo es warm war.
Diesen Mehlhaufen war jedoch nicht das Ziel von uns Naschmäulern. Geduldig harrten wir aus.
Eine halbe Stunde später, die Hefe war angesprungen, wie Mutter sagte. Es ging ans Teigmachen. Sie schüttete Milch über die Mehlpyramide mit dem kleinen Hefekrater, gab Salz bei und viel Butter, dazu noch ein Ei.
„Nur ein Ei“, sagte sie, „denn sonst wird der Teig zu trocken, lieber mehr Butter.“
Ab jetzt lohnte es sich, schon mal vorsorglich mit der Zunge über die Lippen zu streichen.
Wir schauten zu, wie Mutter in die Schüssel griff, ihre Hände öffneten und schlossen sich. Bald quoll ein dünner Teig zwischen ihren Fingern, der immer dichter und fester wurde, Mehl und Milch, die Butter und Eier ballten sich zusammen, eine Teigknolle entstand, die meine Mutter schliesslich auf den Tisch knallte. Hände schnellten vor, um sich ein Stückchen zu greifen. Der mahnende Blick der Mutter hielt uns davon ab.
„Wartet“, sagte sie. „Ihr kriegt Euren Anteil schon noch.“
Sie wälzte den Teig hin und her, schlug ihn mehrmals auf den Tisch, bohrte ein Loch hinein, in das sie etwas Milch goss.
„Damit er schön glatt und geschmeidig wird“, sagte sie.
„Und wie weisst du wenn es so weit ist“, fragte mein Bruder.
„Wenn er glatt ist wie ein Babypo.“
„Aber man muss doch auch probieren“, sagte ich.
„Schon gut ihr Schleckmäuler“, sagte meine Mutter und klemmte ein paar Stücke von Teig ab, die sie zu Kügelchen formte und uns zuwarf. Drei Raubtiere erwachten, krallten und schnappten nach den Brocken. Ich, das älteste und grösste dieser Raubtiere war mit meinen gespreizten Ellbogen im Vorteil. Mein Bruder, der kleinste, schrie, die Schwester quengelte.
„Nimm nicht alles für Dich. Lass den anderen auch etwas“, sagte meine Mutter. „Du musst lernen zu teilen. Zudem ist zu viel Teig nicht gesund. Es bläht den Magen.“
Das war mir egal. Das Gefühl den Teig auf der Zunge zu drehen, die Finger zu lecken, ihn zwischen den Zähnen zu malmen, liess einen geblähten Magen verkraften. Im Übrigen hatte sich deswegen mein Magen noch nie gebläht.
Vom Lärm aufgeschreckt, gesellte sich mein Vater an den Küchentisch.
„Macht nicht so viel Lärm. Der Teig ist noch gar nicht fertig“, sagte er.
Er nahm den Teig, der in seiner Hand fast vollständig verschwand, walkte ihn kräftig durch und schmetterte ihn mehrmals auf den Tisch, sodass es knallte und die Tischplatte erzitterte.
„Bäng, Bäng“, machte mein kleiner Bruder, „ich will auch Bäng.“
Er griff nach dem Teig, den ihm mein Vater lachend hinhielt.
„Du bist doch viel zu schwach“, sagte ich.
Natürlich war er das, dennoch griff er mit seinen beiden Patschhändchen nach dem Teig. Er hatte aber gar nicht vor diesen zu heben und auf den Tisch zu schmettern. Stattdessen zwackte er mit jeder Hand blitzschnell ein Stück Teig ab und stopfte es sich in seinen Mund. Es gelang ihm aber nur mit der rechten, denn ich griff nach seiner linken, bevor er das Teigstück zwischen seine Zähne schieben konnte.
„Lass das“, sagte mein Vater, „du hast genug gehabt.“
Er reichte den Teig meiner Mutter, die ihn zu einer Kugel formte, in die Schüssel legte und mit einem Tuch zudeckte. Die Schüssel stellte sie wieder an das warme Plätzchen.
Für den Teig begann nun die gefährlichste Phase seines Daseins. Die Gefahr, dass wir Kinder versuchen würden, weitere Stücke abzureissen, war hoch und meinem Vater sehr wohl bewusst.
„Du“, sagte er und zeigte mit dem Zeigfinger auf mich, „du bist verantwortlich, dass niemand, und mit niemand meine ich auch dich, dass also niemand vom Teig nascht. Verstanden.“
„Winnetou wachen“, sagte ich und schlug mit der rechten Faust auf meine Brust. „Mein Blutsbruder ruhig schlafen. Winnetou Bleichgesicht verjagen, wenn versuchen zu naschen. Hugh!“
Im Schneidersitz hockte ich mich vor das Fenstersims, auf dem der Teig in seiner Schüssel ruhte und schaute drohend nach allen Seiten, insbesondere beobachtete ich meinen Bruder, dem ich einen Angriff auf den Teig durchaus zutraute. Aber der war verschwunden. Meine Schwester sass auf dem Boden und spielte mit einer Puppe. Ich beachtete sie nicht weiter. Ein Mädchen, was wollte sie schon gegen mich ausrichten, dachte ich etwas verächtlich.
Aber wo war mein Bruder. Ich sah ihn nirgends. Was führte er im Schilde. Ich erhob mich und tigerte von einer Ecke zur nächsten, spähte hinter das Sofa, schaute unter das Salontischchen, als ein Geräusch an mein Ohr drang, ein schabendes Geräusch aus Richtung des Kleiderkastens, der bei uns im Gang stand.
Aha, dachte ich, da versteckt sich der Kerl. Ich näherte mich schleichend dem Kasten, aus dem plötzlich ein schollerndes Getöse drang. Es prasselte und polterte. Ich sprang hinzu, öffnete ihn und sah einen Kleiderhaufen, der sich bewegte.
„Hab ich dich“, sagte ich und wühlte mich durch die Mäntel und Jacken, ein dankbares Winseln von Migg, unserem Hund, empfing mich.
Verdammt, dachte ich. Hinter mir hörte ich triumphierendes Geheul. Mein Bruder und meine Schwester tanzten vor dem Fenstersims, kauten auf dem Teig, den sie erobert hatten, und leckten sich die Finger.
Mein Vater war wütend.
„Wollt ihr jetzt allen Teig fressen, oder wollt ihr morgen zum Frühstück frischen Sonntagszopf aus dem Ofen“, sagte er.
„Sonntagszopf“, sagten wir.
„Dann lasst den Teig jetzt in Ruhe“, sagte mein Vater.
Eine halbe Stunde später nahm meine Mutter den Teig aus der Schüssel, legte ihn auf den Tisch und teilte ihn in zwei Stücke, die sie jedes mit den Händen, zu einem Strang auswallte. Sie legte sie übers Kreuz und bewegte die Enden hin und her. Man kam nicht nach mit schauen, so rasch ging es, und schon lachte uns ein Zopf entgegen, kunstvoll geflochten, elegant, mit einem satten Hintern, der sich zum andern Ende verjüngte.
Meine Mutter bestrich den Zopf mit einem verquirlten Ei, sodass er glänzte. Niemand wagte es mehr, nach einem Stück Teig zu greifen. Dazu war der Zopf einfach zu schön.
Über Nacht ruhte das teigliche Kunstwerk im Keller, mit einem Tuch abgedeckt.
Am Sonntagmorgen dann thronte es in der Mitte des Frühstückstisches, umgeben von Butter, Konfitüren, Honig, Käse, Schinken und Eiern. Seine Kruste glänzte braungolden, die Krume gelb von der vielen Butter und luftig vom Bäng Bäng.
Mein Vater liebte es, den Zopf mit Butter zu bestreichen und Schinken zu belegen, die Mutter bevorzugte ihn mit gescheibeltem Ei. Meine Geschwister mochten ihn mit Butter und Honig. Und ich, ich tunkte ihn in heisse Schokolade, vielleicht noch mit etwas Butter bestrichen.

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Keine Orangen für mich

Früher liebte ich den Geruch von Orangen. Es war der Geruch meiner Kindheit. Eine Art von Geborgenheit und Wohlbefinden, wie sie sonst nur durch herzliche, vielleicht ein wenig zu feste Umarmungen entsteht.
Solche Umarmungen wie ich sie heute nicht mehr ertragen kann. So wenig wie ich den Geruch von Orangen ertragen kann.
Dieser allumfassende süße Geruch, der früher ein Bote von Familie, Sommer, Sonnenwärme und Verheißung gewesen war und heute nur noch kalten, feuchten Schweiß, zäh und klebrig sowie ein Gefühl von Kontrollverlust und Vorwürfen in mir auslöste.

Als er mir jetzt in die Nase und die Eingeweide kroch, süßlich schwer und klebrig, jeden Zentimeter meiner Haut benetzte und meinen Geist langsam ummantelte, war ich wieder da, ab diesem Tag. Der Tag an dem aus Geborgenheit ein Unwohlsein wurde, aus Vertrauen Distanz und aus tiefer Zuneigung dieses andere schwer zu beschriebene Gefühl wurde, dass ich nicht näher benennen konnte oder wollte.

Kurz versuchte mein Verstand sich zu wehren, nicht in die Tiefen abzutauchen. Kurz sah ich meinen Bruder und Nana unter den blühenden Orangenbäumen wie sie- wie wir- Blütenkränze unter blühenden Orangenbäumen flochten, doch dann kam der Schmerz und riss mich hinab in die Dunkelheit der Vergangenheit.
Es war kein körperlicher Schmerz. Er war schlimmer, denn der Schmerz war in mir. Ich konnte ihn nicht greifen. Ich bekam ihn nicht zu fassen.
In Momenten wie diesem konnte ich ihn sehen, die Bilder in meinem Kopf. Konnte die Erinnerung schmecken, Schal und abgestanden auf meinen Lippen.
Aber vor allem spürte ich den Schmerz tief in mir, unterhalb meines Bauchnabels, da wo ich ihn als Echo seit diesem Tag spürte. Kurz bevor dieses dumpfe Echo mich mit all dem Schmerz verschluckte, kämpfte ich mich so gutes ging zurück a die Oberfläche um nicht in der Vergangenheit zu ertrinken.
Ich blinzelte, ich blinzelte mehrfach als ich die Augen öffnete, nicht weil mich das Licht des Tages blendete sondern viel mehr um die Schatten zu verscheuchen.
“Nun junge Dame, möchten Sie ein Glas frisch gepressten Orangensaft probieren?”, fragte der kleine Glatzkopf mit der gestreiften Schürze mit den vielen bunten Flecken.
Nein! Danke ich bin allergisch.”, erwiderte ich etwas zu energisch. Naja fast, dachte ich, zumindest mein Geist war es. Hastig ging ich weiter. An mir haftete der zu schwere Geruch der Orangen.

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Mein Lieblingsessen aus der Kindheit war für mich damals sehr schwer zu begreifen, wie es meine Mutti zubereitet hat. Ich habe sehr oft am heimischen Herd zugesehen, als es meine Mutti fast schon zelebrierte, wenn es dieses zubereitet hat. Dieses Fest ging schon Stunden vor dem eigentlichen Mittagessen.

Der erste Schritt war immer: In einen sehr großem Topf wurde eine Menge Butter und Mehl vermengt und erhitzt, bis diese beiden Komponenten sich zu einem zähflüssigen Brei verwandelten. Dabei musste stets darauf geachtet werden, dass es zu keiner Klumpenbildung in dieser weißen Masse kommt. Das hieß, rühren, rühren, rühren!

Die Menge von Mehl und Butter wurde in meiner Wahrnehmung nach Gefühl abgemessen, und es war ganz schön viel. Ein Luxus, den wohl viele, aufgrund der gestiegenen Preise, heute sich immer weniger leisten können? Aber damals war einfach das Motto, hau rein, was geht. Als die Butter sich mit dem Mehl verbunden hatte, und zu einem zähflüssigen Brei wurde, gab sie Leitungswasser dazu gekippt. Heute würde man wohl gefiltertes Wasser nehmen, aber damals haben wir noch nicht so auf reines Trinkwasser geachtet. Das Wasser vermischte ich mit dem Brei aus Mehl und Butter, bis es zu einer zähflüssigen „Sauce“ wurde.
Nun wurde weiter gerührt und abgewartet, bis das Wasser reduziert wurde und die ganze Masse wieder zu einer zähflüssigen Kante wurde. Das ganze Spiel wiederholte sich oft. So wurden in einem Balanceakt zwischen Mehl, Butter und Wasser der Grundstock für die wunderbare Sauce gelegt. Heute weiß ich, es ist die berühmte Mehlschwitze gewesen, die meine Mutti immer wieder zu Beginn dieses Festes zubereitet hatte.
Als diese Mehlschwitze zu einer beachtlichen Menge heranwuchs, wurden mit Pfeffer und Salz abgeschmeckt. Auch kleingeschnittenen Zwiebeln fanden ihren Platz in dieser Sauce. All dies kochte und dampfte nun vor sich hin. Der Duft, welche mir in der Nase steig, lies noch nicht ganz erahnen, in welche Richtung diese Sauce eigentlich gehen sollte.
Nach einiger Zeit des Kochens machte sich nun meine Mutti daran, der Soße Farbe und mehr Geschmack zu geben: Zunächst wurden Tomaten aus der Dose hinzugefügt. Damals wie heute gibt es ja diese großen 800 g Konserven mit entweder geschnittenen oder ganzen Tomaten. Meine Mutti machte keine halben Sachen: Sie verwendete stets die großen Konservendosen, die mit denen ganzen Tomaten. Sie hatte den Inhalt in einem tiefen Teller eingefüllt, und begann die Tomaten mit einem kleinen Messer zu zerteilen. Die Mischung aus der Tomatensauce und den nun zerstückelten Tomaten wanderte dann in den Topf.
Die Sauce verlor mehr und mehr ihre von Mehl gebende bleiche Farbe und färbte sich in das bekannte, von mir heiß geliebte tomatige Rot. Nun war es klar, was daraus werden sollte. Die Vorfreude auf das noch für mich zeitlich, in der ferne liegende Mittagessen, stieg bei mir immer weiter und weiter.
Die Soße wurde abgerundet mit ein bis zwei Tuben Tomatenmark. Denn die Tomaten alleine machten den unverwechselbaren, kräftigen Tomatengeschmack alleine nicht aus. Es fehlte noch Zucker und mindeste eine Tube Ketchup. Auch diese beiden Zutaten wurden damals reichhaltig und in großer Menge hinzu gemischt. Damit wurde die Sauce noch tomatiger und einen ganz wichtig, süßer.
Da meine Mutti heutzutage mehr auf die Gesundheit beim Essen achtet, ersetzte sie den Zucker durch Xylit und der Ketchup fällt gleich ganz weg. Ein Umstand, den ich heute hinterher trauere, wenn ich dieses eigentlich ganz leckere Gericht gibt.
Soweit ich mich erinnere, waren nun alle Zutaten verarbeitet und es folgte nun der schwierigste für mich, was für ein was für ein Kind geben konnte: Warten und noch mal Warten. Was den Umstand das Warten noch schwieriger macht, war der herrlich riechende Duft, der sich in der Küche verbreitete. Wenn ich Glück hatte, durfte ich vorab ab und zu mal probieren. Aber war der Deckel einmal zu und es brodelte vor sich hin, war jede Möglichkeit an die leckere Soße zu kommen, vergeben. Nur unter den wachsamen Blick meiner Mutti durfte ich mich in der Küche aufhalten.
Es war wie Weihnachten am Heiligabend. Die Eltern bereiten in der Stube die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum vor und wir als Kinder durften draußen warten, bis endlich der erlösende Ruf kam, wir dürfen rein kommen. So oder so ähnlich fühlte ich die Vorfreude auf das Essen.
Mehrere Stunden später, so immer etwa ne dreiviertel Stunde vor der Mittagszeit, wurden die Aktivitäten in der Küche wieder aufgenommen. Die Zubereitung der restlichen Bestandteile für das Essen gingen zwar schneller von der Hand als bisher, waren aber nicht minder wichtig!
In einen riesigen Topf (Als Kind war der riesig) wurde Wasser erhitzt und viel Salz dazu gegeben. Wenn man probieren würde, hätte der Inhalt an dem Geschmack von Meerwasser erinnert. Die Kochplatte wurde aufgedreht, bis das Wasser zu kochen begann.
Währenddessen wurde in einer Pfanne kleingehackte Zwiebeln in Butter angebraten. Als diese Zwiebeln begannen glasig zu werden, und der beißende „Dampf“ der Zwiebeln in einen süßlichen Geruch änderte, wurde Jagdwurst hinzugefügt.
Es war mir immer ein Spaß, die Jagdwurst aus der Verpackung zu nehmen und in Stücke zu schneiden. Oft landete der eine oder andere Happen in meinem Mund.

Früher war es die Wurstpackung aus dem Aldi, heute wird die Wurst vom Fleischer genommen, um zumindest das Gefühl zu haben, das wir gute Qualität gekauft haben.
Die Wurst wurde knusprig braun gebraten, ähnlich wie der berühmte Bacon oder Speck aus England, welcher zum Frühstück zubereitet wurde, um diese dann mit gebraten Eier zu verspeisen.
Ich kann euch sagen, der daraus entstehende Bratgeruch, fettig und deftig, der mir in der Nase stieg, ließ mir mein Wasser im Mund zusammen laufen.
Wiederum zeitgleich wurden dicke und lange Makkaroni in das siedende, salzige Wasser gegeben. Eine ganze Packung (500g) in den Topf. Als Kind hat es mir sehr viel Spaß gemacht, diese Art der Teigware zu verspeisen.
Bei einem Mittagessen ist mir mal der Teller mit Makkaroni und Soße heruntergefallen. Ein blödes Missgeschick dessen folge es war, dass es nur noch die kurzen Nudeln gab. Schade.
Aber zurück. Die Nudeln wurden weich gekocht und das Wasser abgegossen. Die Wurst mit den Zwiebeln heiß und fettig sowie braun angebraten war fertig. Die Tomatensoße wurde noch mal erhitzt und zum Schluss gesellte sich noch eine Packung leckere Reibekäse dazu.
All das wurde feierlich auf den Mittagstisch gestellt. Und das Essen konnte beginnen.
Es war mir immer ein Fest, wenn die Makkaroni mit der Tomatensoße vermische, das Fleisch die knusprige Nuance lieferte und wie der Reibekäse alles miteinandern Verband, wo er verlaufen ist.
Die Mischung aus den verschiedenen Geschmacksrichtungen, der bratige, tomatige Geruch und die Soße wie rotes flüssiges Gold wirkend in meinen Gedanken bringt mich dazu, das mein Magen knurrt und ich gleich dieses leckere Gericht essen will. Daher will ich keine Zeit verschwenden und fange schon mal an Mehl und Butter zu holen.

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genial, wie du den Erzählstrang von den sensorischen Details über die Fehldiagnose, die auf dem von außen beobachtbaren Verhalten basiert, zur treffenden (Selbst?)-Einschätzung entwickelst. Ich habe bisher noch nie so anschaulich und treffend den Unterschied von ADHS und Autismus beschrieben gelesen, während durch die Innenschau gleichzeitig weg geführt wird von Begriffen wie „Krankheit“ oder „Defizit“ hin zu „einfach anders, einfach besonders“. Könnte ich hier 3 Herzchen geben, würde ich’s tun …

Den Zeitsprung vom vorletzten zum letzten Absatz finde ich erzählerisch klasse. Chapeau.

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Das beste waren schon immer die Pausen
Die schrille Glocke zerschneidet die Stimme unserer Klassenlehrerin. Unruhiges geraschelt, Bücher werden zugeklappt, Schnallen an den schweren, viel zu großen Schulranzen schnappen geräuschvoll auf.
„Schluss, Kinder. Große Pause!“ Mit einem freundlichen Nicken entlässt die Grundschullehrerin mit den großen, dunklen Locken und dem bunten Kleid die ersten Drängler. Ich lasse mir Zeit. Ich mag es nicht, in der Gruppe die ausgetretene Holztreppe hinunter zu rasen. Langsam trete ich in den halbdunklen Flur, der eigentlich nur eine Empore aus Holz ist. Unser Klassenzimmer liegt in einem Teil eines ausgebauten Dachgeschosses des alten Schulgebäudes. Hier riecht es so wundervoll. Nach Holz und Staub und Wachsmalstiften. Während ich bedacht die Treppe hinabsteige, bekomme ich den Geruch von den Wachsmalstiften nicht aus der Nase. Er zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Fröhlich trete ich hinaus ins Sonnenlicht. Auf dem Schulhof sind schon die ersten lautstarken Raufereien in Gange, ich stelle mich an der Schlange für die Brötchen an. Heute ist Dienstag. Dienstags bringt die Metzgerfrau von Gegenüber frische, warme Leberkäsbrötchen in einem Korb über die Strasse. Sunkist hat sie auch dabei. Die Sonne kitzelt meine Wange, ich sehe wie die Tür der Metzgerei aufschwingt und die stämmige Frau mit einem enormen Korb über die Strasse geht.
Endlich! Endlich bin ich dran und überreiche ihr das glänzende Geldstück für ein Brötchen und eine Sunkist. Ich setze mich auf die warmen Steinstufen und öffne langsam das glitzernde Aluminiumpapier, das um das Brötchen gewickelt ist. Der Duft nach frisch gebratenem Leberkäse löst den heimelichen Geruch der Wachsmalstifte ab. Das Brötchen ist ganz weich und warm und seitlich tropft ein wenig des goldenen Bratensaftes in die Folie. Ich spüre, wie mir das Wasser im Mund zusammen läuft. Der erste Bissen ist wundervoll. Warm und saftig, salzig und würzig. Ich kaue bedächtig, während meine Zunge versucht, so viel wie möglich diesen wundervollen Geschmackes aufzunehmen. Die Sonne blendet mich und ich schliesse die Augen. Der zweite Bissen verstärkt den feucht-würzigen Geschmack in meinem Mund. Langsam öffne ich die Augen und schiebe den Strohhalm aus der Sunkist. Mit einem Plopp durchsticht der Halm den glänzenden, runden Kreis und ich nehme ihn zwischen die Lippen und sauge. Cola-Orange. Süß und herb vermischt sich mit dem salzigen, warmen in meinem Mund. Herrlich.
Ich könnte so den ganzen Tag verweilen, aber ich muss mich beeilen, denn meine Freunde rufen bereits. Wir spielen Gummitwist. Da darf ich nicht fehlen.

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Dankeschön.
Vor einem halben Jahr, im Alter von 24 Jahren, habe ich die Gewissheit bekommen, dass es bei mir doch nicht ADHS sondern Asperger ist. Jetzt versuche ich, das mit Geschichten aus meiner Kindheit zu verarbeiten.
Der Schulkeller war tatsächlich mein Lieblingsort und die Lehrer haben mich immer nach draußen getrieben, wo die anderen mich mieden, weil ich immer nur dieselben Themen im Kopf hatte. Ich konnte nie so wirklich verstehen, was mir das bringen sollte außer Stress, der sich negativ auf meine Lernleistung auswirkt. Achja, und die Marken habe ich natürlich tatsächlich versteckt. Mama hat die dann vor 2 Jahren gefunden, als ich am Packen war für den Umzug.
Vielleicht hätte ich die Diagnose schon viel früher bekommen. Wenn ich es geschafft hätte zu erklären, warum ich mich als anders empfinde. Aber in dem Moment, in dem ich mich mit Leuten unterhalte, ist mein Hirn nicht mehr in der Lage dazu. Nur über das Schreiben bekomme ich es hin, aber das wusste ich damals noch nicht.

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Das Licht ist gedimmt, während ich alleine an dem großen Tisch sitze und auf den Teller starre, der vor mir steht.
Ich betrachte die grüne Brühe und hoffe, dass ich bald mit den anderen Kindern draußen spielen kann.
Doch Frau H. gibt keine Ruhe, sie will unbedingt, dass ich die Gemüsesuppe esse.
Ich benetze den Löffel und tue so, als würde ich essen. Irgendwann will sie sicher auch nachhause, denke ich.
Warum muss es ausgerechnet in dieser Woche Gemüsesuppe geben?, frage ich mich, denn normalerweise esse ich nie im Kindergarten mit. Doch diese Woche ist Mama im Krankenhaus und Papa muss bis nachmittags arbeiten .
Betrübt starre ich weiter in die grüne Suppe und nehme dabei den Geruch von Kohl wahr, igitt.
Frau H. schneidet grade ein Motiv für die Laternen aus, die wir zu Sankt Martin basteln. Sie ist so vertieft, dass ich kurz Hoffnung schöpfe, mich in den Garten zu den anderen rausschleichen zu können.
Doch genau in dem Moment kommt Frau L. von der roten Gruppe herein und setzt sich zu ihr.
„Ach herje, da hat aber jemand keinen Hunger, was ?“, sagt sie und schaut mich betrübt an.
Ich nicke und hoffe, sie erlöst mich, doch Pustekuchen.
Somit beobachte ich weiterhin, wie die Gemüsestückchen in der Suppe umher schwimmen und lausche dabei dem Gespräch von den beiden Erzieherinnen.
„Also, was da gestern in Berlin passiert ist mit der Mauer, ich kann das noch gar nicht glauben“, sagt Frau L. und Frau H. stimmt ihr zu.
„Ich hätte das auch nicht gedacht, aber scheinbar ist die DDR nun wirklich Geschichte!“
Ich habe keine Ahnung, welche Mauer die beiden meinen und warum die DDR nun Geschichte sein soll, aber ich habe ja grade auch andere Sorgen.
Während die beiden weiterreden und die Zeit gefühlt stillsteht, träume ich von meinem Puppenhaus und Mamas leckeren Kartoffelauflauf.
Außerdem freue ich mich darauf, meine neueste Kassette anzuhören. Hits für Kids heißt die und da sind viele coole Lieder von noch cooleren Sängern drauf , zum Beispiel David Hasselhoff oder die New Kids on the Block.
Plötzlich ertönt eine mir sehr vertraute Stimme und ich zucke hoch.
„Oh, das sieht nicht grade nach deinem Lieblingsessen aus“, sagt Papa, als er näher kommt.
Ich stehe auf und falle ihm erleichtert in die Arme.
„Sie wollte einfach nicht essen“, sagt Frau H…
„Nicht schlimm, dann gibts gleich Currywurst von der weltbesten Imbissbude!“, antwortet Papa und nimmt meine Hand.
„Gott sei Dank musste ich das nicht aufessen“, murmel ich beim rausgehen.
Als Papa den Motor unseres Golf startet und Richtung Imbissbude fährt, läuft mir bereits das Wasser im Mund zusammen. Mein Magen knurrt so laut, dass man es sicher noch in Amerika hört.
In der Imbissbude angekommen rieche ich Pommesgeruch, herrlich!
Nur wenige Minuten später schlinge ich krosse Pommes mit Ketchup herunter und spieße ein Stück Currywurst mit dem Holzpieker auf. „Na damit bekomme ich dich immer satt“, sagt Papa und beißt ebenfalls zufrieden in seine Pommes.

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In meinem (auf den letzten Drücker geschriebenen :sweat_smile:) Beitrag habe ich mich für die Geschichte eines Jungen aus einer fiktiven Welt entschieden. Warum? Weil mich meine Inspiration zumeist ins Fiktive/Fantastische führt und ich nichts erzwingen wollte, das sich nicht natürlich anfühlt.


Nur manchmal

El’air din Tarondhas ist der gute Sohn. Der Sohn, in dem sich das hohe Ansehen seiner Familie widerspiegelt. Der Sohn, der der Erstgeborene hätte sein sollen.

Er kennt seine Pflichten und folgt immer den Weisungen des Vaters. Selbstverständlich pflegt er keinen ungebührlichen Kontakt mit Untergebenen und gibt sich immer mit angemessener Würde und Autorität.

Und auch wenn El‘air erst sieben Jahre alt sein mag, tobt er nicht herum, erhebt niemals die Stimme und verschwendet seine Zeit nicht mit nutzlosen Tagträumen und Spielereien.

Nur manchmal, wenn sich die Stille der Nacht über das Anwesen senkt, überkommt ihn eine seltsame Stimmung. Und sobald er die Kälte des Bodens unter seinen bloßen Füßen spürt, weiß El’air, dass er es wieder tun wird.

Es ist ein unschuldiger Genuss. Eine Schwäche, von der niemand weiß und von der niemand erfahren wird. Dennoch… Unterwegs in den einsamen Gängen des Anwesens, umgeben von Dunkelheit, die nur der Schein einer Kerze in El’airs Hand durchbricht, ist ihm, als würde er etwas furchtbar Verbotenes tun. Etwas Gefährliches sogar.

Der Gedanke lässt El’airs Herz höherschlagen. Auf eine Weise, die er nicht genau zu benennen vermag.

Im unterirdischen Gewölbe des Anwesens, dort, wo die Decken besonders tief hängen und die kühle Luft durch El’airs Nachtgewandt dringt, lagern alle möglichen Delikatessen des Landes. Darunter auch Nehlfrüchte.

Von diesen nimmt El’air eine – immer nur eine einzige. Die Frucht ist klein zwischen seinen Fingern und von einem strahlenden, fast perfekten Weiß.

Er muss nun vorsichtig sein. Drückt er zu stark, wird die Schale aufplatzen wie die einer Beere. Und dafür ist es noch zu früh.

Erst führt El‘air die Frucht zur Nase, obschon er weiß, dass deren Geruch kaum wahrnehmbar ist. Ein Hauch von Frische. Eine Ahnung von mehr, die sogleich wieder verfliegt. Als wolle die Frucht ihr wahres Wesen tief in sich verbergen.

Langsam legt El’air sie auf seine Zunge, lässt für einen kurzen Moment die kühle Berührung auf sich wirken, das geringe Gewicht. Dann hebt er die Frucht gegen seinen Gaumen, rollt sie hin und her. Ganz sanft nur drückt er gegen den elastischen Widerstand.

Auf seiner Zunge spürt er den Stielansatz. Ein winziges Detail. Ein Bruch der sonst so perfekten Oberfläche, eine stille Rebellion.

Und in einer nun schnellen Bewegung schiebt El’air die Frucht zwischen seine Backenzähne und beißt zu.

Plötzliche Säure füllt seinen Mund wie eine unaufhaltsame Welle, wie ein Sturm. Gleich darauf gefolgt von einem Kribbeln und einem Stechen. In seinen Backen, an seinem Gaumen, auf der Zunge. Tausende von kleinen Punkten. Es tut weh. Aber nur ein wenig.

Gleichzeitig ist El’air, als würde er von prickelnder Frische erfüllt, von sprudelnder Lebendigkeit, und noch während dieser Sturm in ihm tobt, wandelt sich alles. Aus dem Kribbeln bricht Süße hervor, mischt sich mit der Säure zu etwas Neuem. Wunderbarem.

Dies ist der unverhoffte Gesang eines Vogels, der aus fernen Ländern zurückkehrt. Das sanfte Kitzeln eines Grashalms am Bein. Das leise Flüstern des Windes. Das Funkeln des Meeres im Sonnenschein und der ferne Horizont, der immer ein Geheimnis, ein Versprechen zu halten scheint.

El’air atmet tief ein. Er hat seine Augen geschlossen.

Später, als der Geschmack der Nehlfrucht nur eine Erinnerung ist, bleibt El’air noch eine Weile im Gewölbe sitzen.

Ihm ist kalt.


Nachtrag:
Vielen Dank fürs Lesen.

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Bis(s) ins Mark

Düfte, Farben, Geräusche. So vieles erinnert an die Kindheit. Manchmal, wenn ich durch die alte Siedlung laufe, wird die Vergangenheit lebendig.

So wie verschiedene Pflanzen, Blumen und Bäume ihren eigenen Duft verströmen, so ist es auch mit Essen: gebrannte Mandeln, Waffeln mit Puderzucker, die festliche Stimmung auf Weihnachtsmärkten.

Einmal, als junge Erwachsene, wünschte ich mir ein altes Lieblingsgericht von meinem Vater. Nichts Aufwendiges, eher schlicht: Kartoffeln mit Buttermöhren.

Doch anstelle des Wunschgerichts kochte er Hirseauflauf - ich mag keine Hirse! Noch schlimmer war jedoch, dass er Knochenmark reingemischt hatte, in ein „vegetarisches“ Gericht; und das, obwohl ich schon lange Vegetarier war und ihn mehrmals gefragt hatte, ob es wirklich vegetarisch war, da es seltsam roch und aussah.

Es war das letzte Mal, dass ich mir ein Gericht von meinem Vater gewünscht hatte und sein Essen aß.

Ebenso wie 2019 das letzte Jahr gewesen ist, in dem der alte Weihnachtsmarkt mit all seinen Ständen stattgefunden hatte.

Das Leben ist stetige Veränderung, die Zeit vergeht, unaufhaltsam, unwiderruflich.

Nur der gegenwärtige Augenblick gehört einem wirklich, ist er verstrichen, bleibt nur die Erinnerung zurück und wenn die Erinnerungen überhand nehmen, den gegenwärtigen Moment überlagern, dominieren, vergeht das Leben, ohne wirklich gelebt zu haben.

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Spaghettitauchen

Wenn ich an Essen und meine Kindheit denke, dann werde ich ganz oft daran erinnert, was ich alles nicht gegessen haben oder wie einseitig. Und das obwohl meine Mutter sich immer alle Mühe gegeben hat, es jeden recht zu machen. Es war hart. Doch auf eines war immer Verlass. Selbst wenn ich die Gewohnheit hatte, das Gehacktes so gut es ging zwischen den Spaghetti hervorzupulen. Gegessen wurde das Gericht immer. Ein Jahr in dieser Kindheit war besonders. Warum auch immer, wir fuhren als Kinder darauf ab, bei einer Geburtstagsfeier nicht eben jenes altbekannte Apfeltauchen zu betreiben. Nein, nach einem aufregenden Nachmittag mit Spielen wie Topfschlagen, Fangen und auch Schnitzeljagd, versammelten wir uns bei Kerzenschein um den Tisch und bekamen große glänzende Augen. Die Vorstellung mit der roten Soße und den Nudeln Quatsch zu machen, war einfach zu lustig. Und dann war es endlich so weit. Ausreichend Servietten lagen bereit und auch eine Schüssel mit Wasser und einem Lappen standen nicht weit entfernt. Alle Gesichter waren auf das Geburtstagskind gerichtet und die Aufregung stieg. Der Geruch von Tomate, Basilikum und dem stets untergetauchten Lorbeerblatt vernebelte die Luft. Das Gesicht stieß plötzlich runter und alle brachen in Gekicher aus. Rote Farbe und lange Fäden sammelten sich in den Augenbrauen und dem restlichen Gesicht. Der Mund füllte sich mit Wärme und Nudeln. Und dann folgte ein Gesicht nach dem anderen. Bis alle einmal dran waren.
Mehr war es nicht. Trotzdem war es in diesem einem Jahr so viel. Spaß. Verbundenheit. Einfach alles. Und lecker. Denn egal, wie viele verschiedene Arten von Spaghetti schon probiert wurden. Mamas Spaghetti bleiben einzigartig.

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Als ich 13 Jahre alt war, kam mein Vater abends mit einem Reiseprospekt nach Hause.
„Komm, wir suchen uns jetzt mal eine Reise aus:“ sagte mein Vater und setzte sich
auf seinen Fernsehsessel im Wohnzimmer. Wie immer setzte ich mich auf die
Lehne, mit meinen Füßen unter seinen Beinen. „Was hältst den von Sri Lanka?“ Fragte
er mich. Ich blätterte einmal um und sah Barbados.
Wundervoller weisser Sandstrand, der an türkisfarbenes Wasser grenzte. Himmlisch! „Da möchte ich viel lieber hin.“ die Entscheidung fiel schnell.
Was für eine andere Welt. Sie umfing mich mit einer schwülen Wärme, welche die unterschiedlichsten für mich fremd anmutenden Düfte der üppigen Blütenpracht transportierte.
Andere Länder andere Speisen. Darüber hatte ich mir mit 13 Jahren noch keine
Gedanken gemacht. Vorsichtig probierte ich das eine oder andere Gericht, nicht
ohne Vorbehalte.
Dann kam der Abend, an dem unser Barkeeper Clarence uns zum Essen zu sich nach Hause
einlud.
Er brachte uns in ein Dorf voller Strohhütten, wie ich sie damals aus meinen Kinderbüchern
kannte.
Als wir seine Hütte betraten staunte ich nicht schlecht. Es gab einen Kühlschrank und
eine Stereoanlage. Und irgendwo hatte man für uns gekocht. „Ich hab Angst, dass das
Essen eklig ist.“ flüsterte ich meiner Mutter zu.
Da wurde schon ein riesiger Topf von Clarence Mutter auf den Tisch gestellt.
Sie erinnerte mich an die Köchin Guglhupf aus dem Buch Sonny. Diese war
groß und stattlich, sehr lieb mit „ganz vielen Rosinen im Bauch“.
Nun bekam ich einen großen Klacks auf meinen Teller. Ich hielt mich förmlich an meinem
großen Löffel fest, während ich diese bunte Mischung in Augenschein nahm.
Die Grundsubstanz sah aus wie Kartoffelbrei, vielleicht ein wenig heller. Darin sah ich
rote, orange und grüne Merkwürdigkeiten. Was das wohl war? „Das ist Brotfruchtmus,
wie wir ihn hier immer essen.“ sagte Clarence Mutter. Ah, Brotfrucht kannte ich
aus Pipi im Taka Tuka Land. Da ich mich nicht überwand, stemmte sie
erst seufzend ihre Hände in die Hüften, nahm mir den Löffel aus der Hand und
schaufelte sich einen Löffel voll in den Mund. Dann füllte Sie den Löffel erneut und
ehe ich weiter nachdenken konnte, hatte ich das Mus im Mund.
Das Geschmackserlebnis ist schwer zu beschreiben.
Etwas so Andersartiges hatte ich nie zuvor gegessen. Es schmeckte, wie eine Mischung aus
Kartoffeln und Süsskartoffeln. Eigentlich sehr mild. Die Konsistenz war fein und fluffig. Aber da waren diese bunten Merkwürdigkeiten. Jedes hatte eine unterschiedliche Schärfe. Das Gericht war eigentlich lauwarm, aber auf der Zunge fühlte ich Wärme und Schärfe. Kleine hellbraune Pünktchen, sie sich farblich im Mus abhoben, kann ich beschreiben wie eine Mischung aus Muskat, Kreuz- Kümmel und Zimt. Eine Frucht, die wie eine Mischung aus Zitrone und Mandarine schmeckte gab dem Brotfruchtmus noch eine zusätzlich außergewöhnliche Note.
Wieder Erwarten aß ich alles mit Begeisterung auf.
Heute bin ich 59 Jahre alt und viel gereist . Aber diesen Geschmack habe ich nie wieder gefunden.

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