Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Essenserinnerungen aus der Kindheit? Da kommen erst Einzelne, führen zu weiteren und füllen den Kopf. Die meisten positiv, einige negativ. Doch welche ausführlich auskosten, analysieren und beschreiben?

Da gab es den 500 g Sahne-Eis-Becher mit eingestrudeltem Nougat. Den haben meine (deutsche) Oma und ich ab und an vom Metzger aus der Eistruhe geholt und dann genüsslich komplett ausgelöffelt.

Oder dem üblichen kalten Abendbrot bei meinen Eltern. (Es gab nur am Wochenende warmes Essen.) Allein die Tatsache, dass es an regnerischen Tagen einen heißen Matetee dazu gab, rette die Situation.

Obwohl, das Willkommensmahl bei meiner französischen Oma wird am besten passen.

Ein bis zweimal im Jahr fuhren wir zu den Großeltern nach Frankreich. Immer fragte uns Oma: „Und was soll ich Euch zu essen machen, wenn Ihr kommt?“ - Ein kurzer Blick zwischen Papa und mir, ein Kopfnicken, wir waren uns einig: „Deine Nudelsuppe und danach das Suppenfleisch.“ - Die Reaktion meiner Mama war ebenfalls stets dieselbe: „Oh, neee, schon wieder? Immer das gleiche mit Euch.“

In Frankreich ist es üblich, an jedem Abend, drei Gänge zu servieren. 1. Eine Bouillon. 2. Fleisch und Gemüse (aus der Brühe) 3. Käse oder Obst (manchmal beides)

Mama freute sich auf dieses Mahl so, wie ich über kaltes Abendbrot.

„Och, die olle Supp,“ (meine französische Großmutter stammte ursprünglich aus Rheinland-Pfalz) „wollt Ihr nicht was besonderes?“ Ihr Grinsen galoppierte den weiten Weg von Frankreich bis nach Deutschland durch die Telefonleitung. Sie kannte ihre Tochter und versprach an den anderen Tagen auch ihre Lieblingsspeisen zu kochen.

Und dann, im Anschluss an eine stundenlange Autofahrt, kamen wir, meist erst kurz nach Sonnenuntergang bei den Großeltern an. Fuhren von der unbefestigten Landstraße runter auf die Einfahrt, einem schmalen, gewundenen Kiesweg. Das Haus war etwas windschief, deswegen nannte es jeder in meiner Familie ‚das Hexenhäuschen‘. Es lag, von einer hohen Brombeerhecke umgeben mitten in der Kuhweide des benachbarten Bauernhofs.

Das Auto wurde neben dem efeubewachsenen Brunnen abgestellt und schon öffnete sich das Tor zum Blumengarten, der sich an das Haus schmiegte. Oma und Opa standen dort und begrüßten uns mit den üblichen Küsschen links und recht. Und immer kamen wir pünktlich.

Dann betraten wir das Haus. Es bestand damals hauptsächlich aus einem großen Raum, der Küche, Speisezimmer, Wohnraum und Bad in einem war. Und der Geruch aus Essen und ‚wir sind im 2. Zuhause‘ hieß mich willkommen.

Wir wurden sofort genötigt uns zu setzen („auspacken könnt ihr nachher noch, ihr braucht jetzt erstma 'ne Stärkung“).

Die selber gemachte Rinderbrühe (Suppenfleisch, Gartengemüse und Markknochen) mit den Nudeln streichelte die Seele und spülte die anstrengende Autofahrt weg. Ich genoss jeden einzelnen Löffel und die Wärme, die sich damit in mir einnistete.

Dem köstlichen Teller ‚Supp‘ (ein Nachschlag war unnötig) folgte die nächste Leckerei. Das Fleisch und das Gemüse. Karotten, Lauch und Kartoffeln aus dem eigenen Garten. Durch das stundenlange Köcheln war es schlonzig und wunderbar. Dazu gab es den scharfen Dijon-Senf. Der Echte aus Frankreich, das heißt, er ist extrem pikant. Ich nahm immer nur eine winzige Messerspitze davon auf jeden Happen und dennoch stieg mir die Würze angenehm die Nase hoch. Es war ein guter Schmerz. Er kitzelte und biss. Und wer vorher mit einer verstopften Schnupfennase gekämpft hatte, war diese in sekundenschnelle los.

Zum Schluss gab es Nachtisch. Baguette für Käse *, mindestens vier bis fünf verschiedene Sorten, zwei davon vom benachbarten Bauernhof.

Eine wärmende Erinnerung. Sie macht mich hungrig und gleichzeitig traurig. Dieses Essen wird es nie mehr geben. 1. weil es mir nicht möglich ist, es in dieser Form nachzukochen und 2. meine Oma seit vielen Jahren ihren Kochlöffel im Jenseits schwingt.

Dann begnüge ich mich jetzt eben mit einem belegten Brot und Matetee.

  • In Frankreich gibt es viele verschiedene Sorten Baguette. Fürs Frühstück, Fleisch und Sauce, Käse, rohen oder gekochtem Schinken etc.
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Sinnlos

Mein Geruchssinn lässt nach. Den Zauber der Kindheit schmecke ich nicht mehr. Ich werde dicker und dicker und stopfe unbekömmliches Zeug in mich hinein, nicht einmal gierig, nur aus Routine. Ein vergebliches Mittel gegen die Gefühlsleere im Bauch.

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Deine Geschichte hat Bilder in meinem Kopf erzeugt. Ein kleiner Zeichentrickfilm. Auch wenn Du Deine Protagonisten nicht groß beschreibst, habe ich eine klare Vorstellung von Lök und Igelkott.
Sehr schön. :smiling_face_with_three_hearts:

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Der Spitz ist eigentlich kein Hund

Der Spitz ist eigentlich kein Hund. Zumindest ist er kein Haustier im üblichen Sinne und gehört eher in einen Zoo. Hinter Gitter. Damit er nichts anstellen kann.

Die Mutter meines Stiefvaters kochte bei unseren wöchentlichen Besuchen immer ungenießbares Zeug. Diesmal gab es gerührte Eier mit irgend so einem gesunden Gemüse, dass bis zur Unkenntlichkeit verkocht und damit auch bestimmt nicht mehr gesund war. Schon der Geruch verursachte mir Übelkeit.
Nachdem meine Mutter und sie ihre Teller geleert hatten, schickte meine Stiefoma mich in die Küche.
„Da wird einem ja schlecht, wenn man dir beim Essen zusieht. In der Küche kannst du sitzen, bis du schwarz wirst. Das eine sage ich dir. Es wird alles aufgegessen. Glaub ja nicht, dass du hier die Madame spielen kannst.“
Froh, ihren Blicken und spitzen Kommentaren entgegen zu können, saß ich kurz darauf in der Küche vor meinem Teller und stocherte mir der Gabel in dem Brei herum. Die zaghaften Versuche meiner Mutter, mich vor dem Essen zu bewahren, hatte sie ignoriert. Mein Blick schweiften in dem Raum umher, ich suchte eine Möglichkeit, mich meines Essens zu entledigen.
Die Pfanne stand noch auf dem Herd und der Geruch von leicht Angebranntem waberte durch die Küche. Trotzdem war es angenehmer, hier zu sein und nicht die Gegenwart meiner immer nach einem Gemisch aus 4711, Puder und Schweiß duftenden, übergewichtigen Stiefoma ertragen zu müssen. Ständig mäkelte sie an mir herum. Ich konnte es ihr nie recht machen. Sie wurde auch nicht müde, meine Mutter mit Erziehungsratschlägen zu belagern. „Das kann ich dir sagen. Wenn das Gör meine Tochter wäre, dann würde sie mir nicht so einfach davonkommen. Das Balg tanzt dir doch auf der Nase herum.“
Meine Mutter war ein Mäuschen. Sie rutschte auf dem mottigen Sesselrand hin und her und zog es vor, den Redeschwall über sich ergehen zu lassen, hoffend, dass meine Stiefoma sich umgehend beruhigen würde.
Ich, das Balg, hatte inzwischen eine Lösung für mein Problem gefunden. Der Mülleimer! Die Spüle mit dem Unterschrank, in dem der Abfall entsorgt wurde, befand sich direkt neben dem Herd. Als ich ihn öffnete, strömte mir der Geruch von Gemüseresten und Schalen entgegen, die in dem zuvor geschlossenen und durch den Ofen erwärmten Behältnis begannen, vor sich hinzusuppen. Ein paar Fliegen hatten einen Weg in den Schrank und zu den Gemüseresten gefunden.
Bei dem Anblick und den aufsteigenden Gerüchen hatte ich Mühe, die wenigen bereits gegessenen Bissen bei mir zu behalten. Ich unterdrückte die aufsteigende Übelkeit. Etwas verdeckt, unter den Gemüseschalen entledigte ich mich der Reste auf meinem Teller.
Kurz darauf betrat meine Stiefoma die Küche. „Na siehst du. geht doch.“ Triumphierend präsentierte sie das von ihr geläuterte Balg meiner Mutter, die sich mit mir an der Hand von ihrer Schwiegermutter verabschiedete, mich hinter sich herzog und fluchtartig die Wohnung verließ.
„Sie mag mich nicht. Warum müssen wir sie jede Woche besuchen?“ Meine Mutter strich mir über die Haare. „Das stimmt doch nicht. Sie gibt sich immer so viel Mühe beim Kochen. Da möchte sie natürlich, dass wir das wertschätzen.“
Was soll ich sagen. In der darauffolgenden Woche
saß ich, das Balg, wieder eingehüllt von abgestandenen Kochgerüchen in ihrer Küche vor meinem Teller. Der Zorn meiner Stiefoma war über mich hinweggefegt und ich ließ es schweigend über mich ergehen. „Und bilde dir ja nicht ein, du könntest dein Essen wieder in der Mülltonne entsorgen und ich würde es nicht bemerken.“ sie hob ihre Hand. „Diesmal kommst du mi nicht so leicht davon, mein Fräulein“
Mit zunehmender Verzweiflung suchte ich nach einem Ausweg. Mein Blick hetzte durch die Küche, streifte das Sprossenfenster, den Blumentopf, den Mülleimer. Der schied aus. Im Blumentopf vergraben? Oder doch das Fenster? Sollte ich? Immerhin befanden wir uns in der dritten Etage. Ich fixierte die drei Bratwürste auf meinem Teller, könnte ich sie doch einfach wegbeamen. Vielleicht
sollte ich versuchen, sie doch hinunterzuwürgen? Einfach nicht hinschmecken. Das alte Fett stieg mir in die Nase und ich kämpfte mit dem Geschmack nach Galle in meinem Hals. Ich hörte, wie nebenan das Gespräch verebbte und zunehmend schleppender wurde. Gleich würde sie kommen.
Als meine Stiefoma kurz darauf vor mir stand, massig und gewaltig wie immer, wäre ich am liebsten unter den Tisch gerutscht, um einfach nicht da zu sein. Sie inspizierte meinen leeren Teller, um danach den Inhalt des Mülleimers zu überprüfen. „Na siehst du, man muss eben wissen, wie man Kinder erzieht. Das ist leider nicht jedem gegeben.“ Meine Mutter widersprach ihr nie, auch diesmal nicht, legte nur schützend den Arm auf meine Schultern. Wir verabschiedeten uns, doch die Stiefoma meinte, sie würde uns noch bis nach unten begleiten, schließlich müsse sie noch den Mülleimer ausleeren und wolle etwas frische Luft schnappen. Mit sich und der Welt zufrieden stapfte sie vor uns die Treppen hinunter. Unten angekommen, öffnete sich direkt neben uns die Tür von Frau Schuster, die diesen Spitz ihr eigen nannte und im Erdgeschoss wohnte. Sie riss ihre Haustüre auf, als hätte sie schon auf uns gewartet.
„Was ist denn bei Ihnen los?“ Auf den verständnislosen Blick meiner Stiefoma hin, fuhr sie fort. „Man muss sich meinen kleinen, unschuldigen Fredy mal vorstellen. Da sitzt der am Küchenfenster und plötzlich bellt der wie verrückt und führt sich auf, so dass ich ihn kaum noch wieder erkenne. Da bin ich raus und hab nachgesehen, ob ich vor dem Fenster irgendwas entdecken kann, was ihn so aufgeregt hat.
Und stellen Sie sich vor, da liegen drei Bratwürste!! Direkt vor meinem Fenster! Sagen Sie mal, wie geht es denn bei Ihnen zu? Werfen Sie neuerdings Ihre Speisen aus dem Fenster? Das muss man sich ja nicht wundern, wenn der Fredy am Ende einen Herzinfarkt bekommt, weil direkt vor seiner Nase Bratwürste durch die Luft fliegen.“
Die Blicke meiner Stiefoma durchbohrten mich und ich versteckte mich hinter meiner Mutter und ich hätte ihn erwürgen können, diesen Spitz.

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