Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Die Wiedergutmachung

Als Kind war ich nicht die passionierteste Esserin. Nicht nur das ganze stinkende Gemüse, der unfassbar zähe Fleischklumpen oder das monströse Salatblatt, das mir die Kehle verstopfte, sorgten bei mir für Bauchschmerzen während der Mahlzeiten. Auch das enge, fürchterlich familiäre Beisammensein mit den Eltern und meinen beiden Schwestern war befremdlich. Oft mündeten gut gemeinte Gesprächsanwandlungen, wie etwa Fragen nach dem Schultag oder gegenseitige Erinnerungen an Termine und Pflichten, in hitzig-kühle Streits meiner Eltern. Hitzig, weil meine Mutter ununterbrochen und immer verzweifelter auf meinen Vater einredete. Kühl, weil mein Vater schwieg, sie manchmal leise auslachte und hämische Bemerkungen machte.

Meine beiden älteren Schwestern und ich warfen uns dann Blicke zu und mir wurde klar:
Ja, auch heute werde ich meine Portion nicht aufessen können. Schlechtes Wetter kam offenbar so oder so.

Die einzigen Situationen, in denen ich immer alles aufaß, waren die Vesperpausen in der Schule. Hier war etwas anders; hier gab es keine ausweglosen Momente, die mir die Kehle zuschnürten. Hier war das Vesper, das meine Mama mir morgens gemacht hatte, DER Hit!
Und das sah nicht nur ich so. Oft bemerkte ich die neidischen Blicke anderer Kinder, während ich genussvoll in die Symphonie des herrlich krossen Weizenpaninis biss. Es war bestrichen mit der optimalen Lage Butter. Darüber lagen zwei dünne, ja zarte, aromatische Scheiben Käse, gefolgt von drei Gurkenrädchen, um schließlich mit einem saftigen Salatblatt abgerundet zu werden. Es war perfekt.
Da kam kein einziges, schnell zusammengezimmertes Nutellabrot hin, das wussten sie alle - und ich, ich wusste es auch.

Mir war es, als legte meine Mama ihre gesamte Liebe in dieses Vesperweckchen, das sie allein mir zugedacht hatte. Es war der exquisite Ausgleich für alle verdorbenen Abendessen, die sie und mein Vater uns regelmäßig bescherten; ein Geständnis und eine Wiedergutmachung zugleich.

Beiße ich heute in solch ein Vesperbrötchen, das ich mir meist selbst zubereiten muss, muss ich lächeln und werde doch traurig. Was soll ich sagen?
Entschuldigung angenommen.

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Schwattsuer oder als Frau Gottschalk den Krankenwagen rief

„Wir essen heute bei Oma,“ sagt Mama, als ich zur Tür hereinstolpere.

„Juchhu“ Ich pfeffere meinen Ranzen in die Ecke und tanze begeistert durch den Flur. Oma macht die allerbesten Kartoffelpuffer. Knusprig, so dass es kracht beim Reinbeißen, mit Speck und Zwiebeln und selbstgemachtem Apfelmuss. Oder Groten Hans aus der großen Puddingform mit ganz viel süßer Kirschsoße. Oder mit Backobst.

„Was gibt es denn?“ Vor lauter Vorfreude läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Mama zuckt mit den Schulter. „Hat sie nicht verraten. Aber sie hat gesagt, du musst noch etwas für sie einkaufen.“

Ich gehe gerne einkaufen für Oma, sie schickt mich immer in den kleinen Laden von Fräulein Bey und die hat Kinder gern und verteilt Dauerlutscher.

Oma wartet schon an der Haustür und lacht. Sie hat wie immer einen geblümten Nylonkittel an und ihre roten Bäckchen glühen. An Oma ist alles rund und warm. Papa sagt, sie ist wie ein Bollerofen im Winter.

„Was gibt es denn ?“frage ich aufgeregt und schnuppere, doch Oma riecht nicht nach Kartoffelpuffer.

„Etwas ganz besonderes.“ Oma zwinkert mir zu. Dann drückt sie mir eine verbeulte Milchkanne in die Hand.

Ich bin ein bisschen enttäuscht, denn ich hatte mich auf einen Dauerlutscher gefreut und der Milchmann ist griesgrämig, da gibt es gar nichts.

„Hüt giv dat Schwattsuer,“ sagt Oma und schiebt mich auf die Straße.
„Geh mal schnell zum Schlachter und hol zwei Liter Schweineblut.“

Ich stehe auf der Straße und bin so geknickt, dass ich am liebsten laut geheult hätte. Aber neben Omas Haus beugt sich Frau Gottschalk aus dem Fenster und beobachtet mich. Sie sieht alles sagt Papa, sie ist eine alte Schludertante.

Deshalb grüße ich Frau Gottschalk und trödele ganz langsam mit meiner Milchkanne die Straße entlang. Ich bin böse auf Oma. Schwarzsauer ist gruselig und eklig. Ich hasse Schwarzsauer. Nicht nur weil Oma das Blut in einem großen Topf rührt wie eine Hexe in ihrem Hexenkessel. Nein, es schmeckt furchtbar. Es ist sauer, weil Oma Essig hinein kippt. Und wenn sie fertig ist mit Rühren, ist es nicht mehr rot, sondern schwarz und klumpig. Und es fühlt sich schrecklich an auf den Zähnen und auf der Zunge. Stumpf und pelzig. Nicht einmal das Fleisch darin ist lecker. Nierchen und Schweineschwarte. Die Schwarte ist wabbelig und soviel man auch kaut, es wird im Mund immer mehr und man bekommt es nicht heruntergeschluckt.

Doch auch mein langsamstes Schlendern bringt mich ans Ziel und so bekomme ich zwei Liter Blut in meine Milchkanne und die Ermahnung des Schlachters mich zu beeilen, damit es nicht gerinnt. Und dann gibt er mir einen dicken Zipfel Fleischwurst.

Ich gehe die Straße hinunter und aus dem Milchladen kommt Horst. Er ist eine Klasse über mir und schon groß. Horst hat auch eine Milchkanne dabei und grinst mich an. Wir gehen zusammen, denn wir haben den gleichen Weg.

Horst schlenkert mit seiner Kanne herum und ich bewundere ihn. „Ich kann sie über den Kopf drehen,“ prahlt er. „Man muss schnell sein, sonst pütschert alles heraus.“

Horst dreht seine Kanne über den Kopf und ich staune. Er hat nicht einen Tropfen Milch verschüttet.

„Mädchen können das nicht,“ sagt Horst. Jetzt bin ich mit ihm böse, denn Mädchen können alles. Ich schleudere die Kanne, aber ich traue mich nicht, sie ganz schnell zu drehen. Und ehe wir uns versehen, platscht das ganze Blut auf unsere Köpfe.

Kleinlaut stehe ich vor Mama und Oma. Den Krankenwagen, den Frau Gottschalk gerufen hat, haben die beiden weg geschickt.

Oma sieht mich an und ich traue mich nicht, den Kopf zu heben.

“Das hab ich früher auch gemacht“, sagt sie und lacht. „Man muss dabei ganz schnell sein, sonst geht es schief.“

Und dann backt Oma für uns Eierpfannkuchen. Mit ganz viel Zucker und Zimt. Und selbstgemachtem Apfelmuss.

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Vier Löffel Glück

Meine Mutter ist schwer krank. Demenz, Typ Alzheimer, fortgeschrittenes Stadium. Seit die Familie, im Speziellen mein Vater, die Pflege nicht mehr leisten kann, lebt sie in einem Pflegeheim. Ihr geistiger und körperlicher Zustand verschlechtert sich stetig. Mittlerweile sitzt sie im Rollstuhl und seit einiger Zeit verweigert sie die Nahrungsaufnahme. Sie ist rundherum in guter ärztlicher Betreuung und das Pflegepersonal im Heim bemüht sich aufmerksam um sie. Von Ihrem Wesen, ihrer Persönlichkeit, musste ich bereits nach und nach Abschied nehmen. Jetzt muss ich mir eingestehen, dass unabwendbar ihr Körper folgen wird.

Zwischendurch gibt es allerdings immer wieder Momente, da schimmert ihr Wesen doch noch einmal durch und es ergeben sich völlig verblüffende Situationen. Beispielsweise dann, wenn sie mit eisernem Willen ihre Zähne zusammenbeißt, wenn man ihr ein Getränk oder Essen anreicht. Das ist an sich nicht besonders überraschend, denn für ihre Willensstärke war meine Mutter im gesunden Zustand bekannt. Neulich z.B., gab es Erbsensuppe zum Mittag. Natürlich hatte diese keine Ähnlichkeit mit dem legendären Erbseneintopf, den meine Mutter immer für uns gekocht hat. Ein Eintopf, der stundenlang köchelte, da die einzelnen Zutaten nur in einer bestimmten Reihenfolge in den Topf kamen. Jede einzelne musste erst ihren Geschmack entfalten, bevor die nächste folgen durfte. Nur so entfaltet sich der Geschmack, der den Eintopf so einzigartig macht.

Wie gesagt, diese Suppe hier war völlig anders. Damit meine Mutter sie besser schlucken konnte, war sie püriert. Mittelgrün die Farbe, weder dick- noch dünnflüssig die Konsistenz, sähmig halt. Ich schaute mich misstrauisch um, die Suppe der anderen Bewohner sah gut aus und schien zu schmecken. Zumindest löffelten die Damen und Herren, scheinbar zufrieden, ihre Teller leer. Die Schwester, die uns den Teller brachte meinte: „Das mit dem Löffel schafft die Frau Schmitz nicht, da müssen Sie schon nachhelfen.“ Hmm, das hatte ich dieser Tage noch anders erlebt, aber nun gut. Also Löffel füllen, pusten und ran ans Schnütchen. Mich macht es immer etwas nervös, meiner Mutter beim Essen zu helfen. Je nach ihrer oder auch meiner Tagesform, kann das emotional sehr anstrengend sein.

Ich führte den ersten Löffel zu ihrem Mund. Und? Was ist wohl passiert? Meine Mutter biss die Zähne zusammen, drehte den Kopf weg. Ich nahm den Löffel zurück und wartete, bis sich sich mir wieder zuwandte. Ich berührte ganz leicht mit dem Löffel ihre Lippen. Überlegte, ob die Suppe vielleicht doch zu heiß ist und testete das an meinem Handgelenk. Nein, sie war nicht zu heiß. Meine Mutter sagte etwas, was ich nicht verstand. Ich fragte nach, aber natürlich verstand ich auch die Antwort nicht. Es begann ein leichtes Hin und Her von Wortfetzen und unsicheren Blicken. Ich wußte mir nicht zu helfen, außer einen weiteren Versuch zu unternehmen und führte den Löffel wieder zu ihren Lippen. Sie reagierte wie vorher auch, Zähne zusammen, Kopf weg. Doch plötzlich hob sie den rechten Arm und griff zum Löffel. Ich überließ ihr diesen. Mit einer leicht zittrigen Bewegung, tauchte sie den Löffel in die Suppe. Langsam, aber zielgenau, führte sie ihn zum Mund. Saugte die Suppe auf und schluckte sie herunter. Dann ein zweites Mal und auch ein drittes und viertes Mal.

Völlig verblüfft, aber sehr, sehr glücklich, schaute ich ihr dabei zu.
Die Schwester übrigens auch.

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Ja, ich kann mich auch noch gut daran erinnern.

Aber dann bitte ein Vollkornbrötchen … :rofl:

Omas Knödel (mit oder ohne Ei)…

Gleich nachdem ich mit dem Schreiben dieses Textes begann, wurde mir bewusst, dass ich einen entscheidenden Fehler gemacht hatte. Ich sollte mich nicht ausgerechnet spät abends an diesem Schreibexperiment versuchen, wenn sich erste Anzeichen eines Hungergefühls spürbar machen. Ich bekam so einen starken Appetit auf das Objekt der Begierde, dass ich kurzerhand beschloss, erst am nächsten Tag, aber dann ernsthaft, mit dem Schreiben zu beginnen. In jedem Fall aber war das ein sehr deutlicher Beweis dafür, dass Kindheitserinnerungen oft mit leckeren und somit liebgewonnenen Gerichten in Verbindung gebracht werden, oder dass man umgekehrt ein bestimmtes Lebensmittel mit einer bestimmten Situation oder Örtlichkeit assoziiert.

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, verbinde ich Weihnachten immer mit einem Besuch bei meinen Großeltern in Oberfranken. Traditionell gab es am zweiten Weihnachtsfeiertag immer eine Gans, zubereitet mit Blaukraut (Rotkohl) und Serviettenknödel, wobei diese in meiner Familie immer als böhmische Knödel bezeichnet wurden. Schon bei der Anreise stellte ich mir immer vor, wie meine Oma sie liebevoll zubereitete, und nach streng vorgegebener Ruhezeit, sorgfältig in ein Küchentuch gewickelt, in das kochende Wasser gab. Spätestens jetzt, fragte ich mit zunehmender Ungeduld immer wieder nach, wann die Knödel denn endlich fertig seien. Als wir dann feierlich beim Weihnachtsessen am Tisch saßen, schien es das Vorstellungsvermögens meiner Großeltern immer wieder aufs Neue zu übersteigen, dass ich in der Lage war sechs bis sieben Scheiben dieser Knödel zu vertilgen, zusätzlich zum Fleisch und Gemüse. Jedes Mal schienen sie sich zu wundern, wohin die Portionen verschwanden. Wahrscheinlich wünschten sie sich noch einmal ihre Jugend zurück, damit sie auch einmal so richtig zuschlagen konnten, der Kriegsgeneration war so etwas ja in ihrem Alter nicht möglich.

Dieses Gericht konnte nun nur noch mit der „Zeremonie“ überboten wurden, die dann am nächsten Tag folgte. Natürlich bereitete meine Oma immer zwei große Knödelrollen zu, damit auch für den Folgetag noch etwas übrigblieb. Dann gab es nämlich als Resteessen noch Knödel mit Ei, schön in einer Pfanne mit Zwiebeln zubereitet und sauere Gurken als Beilage. Hmmm, da läuft mir schon wieder das Wasser im Mund zusammen, aber glücklicherweise ist es heute noch nicht so lange her, seitdem wir zu Abend gegessen haben, also kann ich den Text zu Ende bringen, ohne in die Versuchung zu geraten, am Kühlschrank vorbeizuschauen.

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Hallo alle miteinander!
Ich bin noch ganz neu hier und hoffe, euch gefällt meine kleine Geschichte. Ist sie wahr? Ist sie erfunden? Guess, I’ll never tell… :wink:

Verhängnisvoller Mittag
Wie es dazu kam, dass ich in einer gigantischen Sitzung im Badezimmer festsaß? Und das in einem Zeitalter, in dem es noch keine Handys zum Zeitvertreib gab sondern nur Papas „Butler Parker“-Hefte? Nun, das ist eine wahrhaftige Horror-Geschichte…

Es war ein typischer Mittwoch. Die Highlights des Tages waren bisher eine langweilige Doppelstunde Geschichte bei Schwester Raphaele – ja, ich ging auf eine von Nonnen geführte Mädchenschule - und ein nicht ganz optimal verlaufener Vokabeltest. Aber hey! Was soll’s? Ein notendurchschnittsenkendes Fach hat noch Keinem geschadet und ich wollte ja schließlich nicht Archäologie studieren. Und den Vokabeltest konnte ich ganz easy mit der nächsten Klassenarbeit wieder ausgleichen. Also alles kein Problem.

Der Weg von der Bushaltestelle nach Hause zog sich wie Kaugummi und es war so ein Wetter, das sich nicht entscheiden konnte zwischen eiskalt und ungemütlich und sonnig, heiß und wolkenlos. Zwiebellook in allen Ehren aber ich geriet dennoch ins Schwitzen mit meinem T-Shirt, meinem tonnenschweren Rucksack und meinen zwei Jacken, die ich auf dem Arm schleppte. Immerhin war unsere Haustür mittlerweile in Sichtweite. Jetzt brauchte ich nur noch einmal um die Ecke zu biegen und schon war die Glastür zum Greifen nahe. Mühselig stapfte ich die letzten Meter bis zur flachen Stufe unseres Hauseinganges und wollte gerade den Klingelknopf drücken, als – was war das? Ich stutzte und versuchte mich zu sortieren, herauszufinden, was mich unterbewusst zu stören schien. War es ein seltsames Geräusch? Ich schloss die Augen und lauschte, konnte aber nichts Ungewöhnliches vernehmen, lediglich der Hund von Frau Brüggemann schien wieder einen Kläff-Anfall in der Ferne zu haben und die Kirchturm-Uhr schlug gerade halb zwei. Das war es also nicht. Ich öffnete wieder meine Augen und sah mich um, suchte meine Umgebung ab nach etwas, das anders war als sonst. Aber auch hier war nichts zu entdecken. Alles wie immer. Und dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schlag! Es war ein Geruch, der mich zurückweichen ließ, der verhindert hatte, dass ich die Türklingel drückte. Oh nein! Bitte nicht! Musste der Tag echt noch schlimmer werden? Mama hatte Dicke Bohnen gekocht. Der Geruch nach ausgebackenen Käsefuß-Turnschuhen erfüllte nun also den ganzen Hausflur und waberte mir durch die Ritze der unten an der Tür schon bis nach draußen entgegen. Unwillkürlich schüttelte ich mich, versuchte mich zu sammeln, bevor ich den Klingelknopf endlich drückte. Es half ja doch nichts. Sonst würde es nur wieder Ärger geben, warum ich so spät kam.

Die Tür summte und ich schob sie auf gegen den Widerstand der schweren Luft, die sich sogleich den Weg ins Freie bahnte. Mit angehaltenem Atem stieg ich die Treppen rauf bis zu unserer Wohnungstür im ersten Stock, streifte meinen Rucksack und mein Jackenbündel ab und flüchtete mich nach einer knappen Begrüßung ins Badezimmer. Missmutig machte ich mich nach dem Händewaschen auf den Weg in die Küche und setzte mich an den kleinen Tisch. Als ich noch die Kondenstropfen an der Fensterscheibe beobachtete stellte Mama mir bereits meinen Teller vor die Nase. „Und? Wie war es in der Schule?“ fragte sie dabei lächelnd. „Gut“ rang ich mir eine Antwort ab und rührte mit meinem Löffel im Essen herum. „Mama, das ist viel zu viel! Ich hab gar nicht so einen großen Hunger!“ maulte ich verzweifelt. „Außerdem weißt du, dass ich Dicke Bohnen hasse!“
„Das ist nicht zu viel. Und es gibt nichts, was an Dicken Bohnen nicht schmeckt. Komm schon. Nun iss mal.“
Es gibt nichts, was an Dicken Bohnen nicht schmeckt? Hatte sie das gerade ernsthaft gesagt? Ich ließ den grünen Glibber von meinem Löffel zurück auf den Teller platschen. Oh man… „Schleimig, jedoch vitaminreich“ hörte ich Timon in meinem Kopf zu Simba sagen. Die Erinnerung an die Szene aus meinem Lieblings-Disneyfilm entlockte mir zwar ein Lächeln, hob meine Gefühle buchstäblich empor, viel zu schnell jedoch landete ich mit meinen Gedanken wieder bei den blöden Bohnen auf dem Boden der Tatsachen. Es war vollkommen klar, dass Mama nicht eher Ruhe geben würde, bis ich nicht wenigstens die Hälfte der Portion gegessen hatte. Also half es nichts. Vielleicht würden die Bohnen diesmal ja doch irgendwie anders schmecken. Und außerdem ändert sich der menschliche Geschmack doch auch hin und wieder. Oder? Früher mochte ich schließlich auch keine Salami und jetzt schon. Möglicherweise ist es ja gar nicht so schlimm, wie ich es vom letzten Mal in Erinnerung hatte. Ich füllte den Löffel erneut und schob ihn mir angewidert in den Mund. Die glibbrige Masse lag nun auf meiner Zunge und jagte mir einen Schauder über den Rücken. Ohne groß nachzudenken, schluckte ich es hinunter. Ja nicht länger auf der Zunge belassen, als irgend nötig! Die großen Hülsenfrüchte in der Masse machten es mir zwar nicht leicht und ich spürte sie jeden Zentimeter meiner Speiseröhre entlangrutschen aber schließlich war es geschafft und der erste Schock überwunden. Puh! Einer erledigt, noch ungefähr 185.000 to go! Ich trank ein Schluck Wasser. Aber der Geschmack ließ sich nicht beirren. Kaum zu beschreiben war der Gesamtgeschmack, lediglich für einzelne Aromen ließen sich Vergleiche finden. Allesamt empfand ich sie als nicht besonders ansprechend. Nein, nicht besonders ansprechend war nichr richtig, eigentlich waren die Aromen für mich wirklich widerlich! Man konnte es sich am ehesten als eine Mischung aus abgestandenem Harzer Käse, herber Aubergine und völlig überwürzter Sardine vorstellen und die Intensität all dieser Aromen war einfach übermächtig! Ich schüttelte mich unmerklich.

Ah, die Mettwurst. Vielleicht konnte die mir etwas Linderung verschaffen. Ich piekste sie mit der Gabel, die links von meinem Teller gelegen hatte, auf und betrachtete sie eingehend. Mist, Nein, auch die Mettwurst war konterminiert worden. Mama hatte sie komplett mitgekocht und nicht einfach nur hinterher mit in den Topf hineingelegt. Verzweifelt schloss ich die Augen und atmete tief durch. Ich versuchte mir vorzustellen, dass anstelle der Dicken Bohnen dort ein leckerer Apfelpfannkuchen mit Zimt und Zucker auf meinem Teller läge. Es sollte ja Menschen geben, deren Vorstellungskraft ganze Berge versetzen kann! Vollkommen unmenschliche Schmerzen und Qualen sollen sie zu erleiden imstande sein, weil ihr trainierter Geist ihnen suggeriert, dass sie in Wirklichkeit gerade auf Hawaii am Strand liegen bei schönstem Sonnenschein, einer leichten, salzig-kühlen Briese und absolut entspannender Ruhe. Wenn also tibetische Mönche zu so einer Geistestäuschung in der Lage sind, dann muss ich das doch auch verdammt nochmal hinbekommen!

Ich weiß nicht, wie ich es geschafft hatte und ob meine Hawaii-Mental-Technik tatsächlich für den ersehnten Erfolg verantwortlich war, aber als ich das nächste Mal auf meinen Teller blickte, hatte ich unglaublicherweise etwas mehr als die Hälfte meiner Portion Ekel-Bohnen aufgegessen. Ich ließ ein leises, erleichtertes Seufzen hören und stand auf. Ich öffnete die Kühlschranktür und bemerkte Mamas fragenden Blick. „Ich möchte nur einen Schluck Milch trinken. Ich hab die Hälfte aufgegessen und bin satt.“ In Wirklichkeit war ich natürlich keineswegs auch nur annähernd satt, aber es reichte mir mit den Bohnen und die Milch war der einzige Weg, den ich kannte, um den Geschmack zu neutralisieren. Nach einem knappen Nicken meiner Mutter nahm ich die Milchtüte aus dem Fach der Kühlschranktür. Mein Blick fiel auf eine Packung Scheibletten-Käse im Fach darüber. Vorsichtig linste ich an der Kühlschranktür vorbei zu meiner Mutter. Sie war bereits mit dem Abwasch beschäftigt. Sehr gut! Dann sieht sie es nicht! Der Tag meint es ja doch noch irgendwie gut mit mir… Schnell griff ich nach der Packung und ließ sie unbemerkt in meinem Hosenbund verschwinden. Ich goss die Milch in mein Glas, stellte die Packung wieder zurück und leerte das Glas noch im Stehen in einem Zug aus. Im Umdrehen sagte ich noch zu meiner Mutter „Ich mach jetzt Hausaufgaben. Hab ein Referat vorzubereiten, also bitte nicht stören, ja?“
„Oh, fleißig, fleißig, mein Schatz. Ich hab dich lieb.“
Augenblicklich hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie angelogen hatte. Selbstverständlich hatte ich kein Referat vorzubereiten, sondern wollte nur ungestört sein, um den Käse zu essen. Dafür werde ich bestimmt irgendwann in der Hölle brutzeln… Wobei, sie vielleicht auch, weil sie genau weiß, wie sehr ich Dicke Bohnen hasse und sie mich trotzdem zwingt, sie zu essen. Wird schon gutgehen…

In meinem Zimmer ließ ich dann nicht wirklich viel Zeit verstreichen, ehe ich hastig die Käsescheiben aus ihren Folien löste und sie gierig verschlang, als hätte ich seit Tagen nichts mehr gegessen. Natürlich hatte ich meine Zimmertür nicht bloß verschlossen, sondern auch zusätzlich noch abgeschlossen – sicher war sicher! Und damit Mama beim Putzen irgendwann nicht zufällig über die Plastikfolien stolperte, stopfte ich sie in eine Butterbrottüte, bevor ich sie in den Mülleimer warf. Satt und zufrieden seufzend ließ ich mich auf mein Sofa fallen und schaltete meinen Fernseher ein. Sehr leise, damit man außerhalb meines Zimmers nichts hören konnte, guckte ich zur Entspannung eine Folge von irgendeiner Serie und ließ meine Gedanken schweifen.

Es dauerte keine zwei Stunden, als plötzlich fürchterliche Bauchkrämpfe einsetzten. Ein Quietschen und Grummeln ließ nichts Gutes erahnen. Als würde ich innerlich zerrissen, so fühlte es sich an! Der gleichermaßen stechende und ziehende Schmerz reichte von meinem Kopf bis in die kleinen Zehen und raubte mir buchstäblich den Atem. Was war das denn jetzt? Hat Thor seinen Hammer auf mich drauf fallen lassen?! Das Aufstehen war fast unmöglich, so weh tat mein Bauch und der Weg zum Badezimmer war eine Tortur. Stück für Stück schob ich meine Füße über die kalten Fliesenrauten im Flur, stets hoffend, dass Mama nichts merkte, da ich sonst natürlich in Erklärungsnot käme.

Da war ich nun also: Gefangen im Badezimmer, mir wünschend, dass Jemand meinen Bauch amputieren und gegen einen neuen austauschen würde. Tja, das hatte ich nun also davon. Eine halbe Portion extradicker Hülsenfrüchte, ein Glas Milch auf Ex und eine Packung Käse obendrauf – das war wohl ganz und gar nicht gut für ein menschliches Verdauungssystem. Und nun saß ich hier und wusste nicht, ob ich den Abend noch erleben würde, nassgeschwitzt und leise keuchend, damit bloß Mama nichts mitbekäme.

Das Abendessen ließ ich aus, nachdem ich Mama sagte, dass ich starke Kopfschmerzen hätte und mich lieber gern hinlegen würde, damit ich morgen auf jeden Fall zur Schule gehen könne, da ich ja das Referat halten wolle… Welch eine Misere! Da lag ich dann also in meinem Bett, der Bauch zwickte und zwackte nach wie vor und ich tat die halbe Nacht kein Auge zu. Geschieht mir wohl ganz recht. Wer lügt und stiehlt und noch mehr lügt verdient es nicht besser…

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Hallo liebe Epochenteiler. Mein erster Schritt wie auf dünnem Papyrus, wacklig, unsicher, nun ja, ich muss erst einmal threaden lernen (vor kurzem habe ich für den Sohn meine Base gechillt, x Dad) ich hoffe, ich finde die Zeit, öfter hier zu sein, denn sonst findet sie mich.

Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Ein Topf voll Magie

Ich höre dich klimpern, klappern, und rühren, in deiner Küche, mit dem so eigenen omanischen Zauber. Ich sehe dich, als wärst du gestern erst gegangen. Doch dieses Haus fühlt sich jetzt so fremd und kalt an, auch wenn ich jede Art von Wärme dort genossen habe. Vorbei!
Ich weiß um jeden Zentimeter, selbst die, hinter den Luken der Abseiten, und doch will ich nichts mehr davon sehen. Die Plünderer fallen schon ein, als Deine Augen noch offen im letzten Blick verweilen. Zu meiner Verwunderung kenne ich jeden von ihnen, denn ich bin mit ihnen groß geworden. Statt deiner zu würdigen, verfallen sie in Streiterei um Ringe, Fernseher und Stillleben. Kamen sie doch sonst, um ihre Wänste zu füllen. Ihre Wünsche, unerträglich maßlos. Als wärst du ein Sternerestaurant um die Ecke, bei dem man nach dem Schmaus die Hand aufhält und sie mit Scheinchen füllt. Zwei Cousinchen linsen um die Ecke, stibietzen auf die Schnelle, was zwei Arme tragen können. Ich frag mich ernsthaft, wozu denn Küchengerät, wo sie stets nur Kochverbrechen anrichten. Sie haben seit jeher Maggi mit Magie verwechselt. Nein, nicht wie du, du bastelst kullinarische Geschenke für Zunge und Gaumen, quasi im Vorbeigehen, mit einer halben Kitteldrehung, hier zack, knete Rind und Schwein zu Hack, nehme Zwiebel nicht so dolle, knack altes Brötchen und hack etwas frische Knoblauchknolle.
Oh, ich weiß, du siehst mich, mit deinen ach so wachen Augen, die mich so oft vor Schlimmerem bewahrt haben, weil sie mehr sahen als sich selbst. In ihrem hellblau spiegeln sich noch immer der Himmel, das Meer und diese große unendliche Welt für mich. Ich denk an dich. Das tue ich oft, sehr oft!
Dein Reich! Deine Küche! Lebensleer. Egal wie viele Marodeure sie auch fassen mag, für mich bleibt es, dein Kosmos. Anders will ich es nicht wahrnehmen. So wie du als meine Oma fortdauerst, denn anders kenne ich dich nicht, als eine weltgewandte, praktische, mystische und magische Frau. Eine Frau, die aus Topfdeckeln und Kochlöffeln ein Schlagzeug für mich baut. Eine die mir zeigt, wie ein späterer Mann selbst seine Knöpfe annäht, oder eine Mehlschwitze anrührt.
Und wieder höre ich dich klimpern, klappern, und rühren, mit deinem so eigenen omanischen Charisma.
Diese Magie schwebt wie eine geatmete Schicht hauchdünnem Pergaments, zwischen den teils antiken Tellern. Sie schwebt wie ein Geistnebel in Töpfen und kreist in deinen immer so speziellen Pfannen, die aussehen, als hättest du mit ihnen einen Krieg gegen eine Legion von Küchenräubern geführt. Auf meine Frage nach deinen Kochbüchern winkst du stets ab und meinst lapidar, du hättest dein Kochbuch im Kopf, mehr braucht’s nicht.
Du sagst: «Heut gibt’s arme Ritter.»
Sofort ziehen mich deine Worte in die bildgewaltige Schwertschwingerwelt. Stolz reiten wir in den Burghof deiner Küche ein, und da, auf dem brennenden Dach des Burgfrieds, brät er auch schon vor sich hin, der arme Ritter Altbrot. Verzweifelt versucht er, deinem flinken Pfannenwender zu entkommen.
Links, rechts und pitsch, patsch, weg von der Pfanne, es spritzt!
Schon verdreht er sich hilflos in heißem Fett und brutzelt sein rohes Leben in der Pfanne gar. Im Zaubersud von Ei, Milch Zucker und Salz wird der arme Edelmann seiner Bestimmung nach, schwindelig geschwenkt. Dem Schicksale folgend, flutscht er flink von Pfanne zu Tisch, kreiselt dampfend auf den Teller in seine letzte Position, vor dem tödlichen Stich meiner Gabel. Seine Brüder folgen ihm nach, im Minutentakt. Noch kauend, mitten im Gaumengenuss deiner Künste, zieht mich deine Hand an den großen Topf.
«Schau schon rein!»
Die Augen springen mir fast hinein, in dieses Festbankett, welches jetzt nur noch in meinen Träumen zubereitet wird, da es so, niemand hinbekommt. Es trägt den schnörkellosen Namen Birn’ Bohn’ und Speck. Wie soll ich mich je entscheiden für deine besten Rezepte? Ich stecke plötzlich fest im Entscheidungssumpf aus Zuckerrübensirup, ja, der dunkle aus deinem Schrank muss es sein, dann lasse ich mich gern ins klebrige Süß fallen und versinken, wer wollte nicht immer schon in süßem Sirup ertrinken. Wie könnt ich je deinen, edlen, ach so wilden unerzogenen, Kalten Hund vergessen? Nur zu gern habe ich ihn Schnitte für Schnitte domestiziert, mich stets mit noch einem Extra-Schnittchen belohnt und ihm Platz und Sitz beigebracht. Nun entscheide dich mal Jung! Zwischen göttlichen Rouladen, Grünkohl mit durchwachsenem Speck? Zwischen Rhabarbergrütze mit Sago und deinem megasaftigem streuseligen Streuselkuchen. Was gäbe ich für deine, für mich, heiligen Heringe, mit Zwiebeln in sauer. Oh nein, da fällt mir der Milchreis mit Zimt und Zucker ein, welcher Teufel hat ihn denn nur erfunden, um des Menschen Bauchfett zu mehren.
Dort schau, vom schwarzen Schmortopf wehen Röstaromen in gelbweißlichen Wölkchen dicht an der Nase vorbei.
Gott du Gütiger! Ist es, was ich denke? Ich darf den Deckel heben. Traue meinen Augen kaum. Weihnachtsgefühle. Die Menge einer ehemals großen Familie bereitet sich auf ein imaginäres Festessen vor. Gemurmel und schräge Witze. Meine Tante tischt auf, Mutter hilft ihr, und du? Du zauberst! Nein Oma, du kochst nicht nur in einer Küche, du schmurgelst Wunder in einer Lukulle. Kaninchen satt!
Geschwind zu Tisch, wird ausgerufen. Rotkohl, frische Kartoffeln, ok, einer will natürlich immer Klöße, doch auch dieser Extrakloß ist vorbereitet. Einer ist immer vor dem Essen schon betrunken, auch für den hast du, wundervolle Oma, vorgesorgt und einen feinen Platz auf der guten Schlafcouch, die mit den alten französischen Gobelinkissen, bereitet. Das Durcheinander von Stimmen hilft mir, mich auf die leckeren Geschmäcker einzuschwingen. Und hier ist alles so immens delikat, dass ich am liebsten alle Speisen mitsamt der Tischdecke abziehen, pürieren und für die Ewigkeit in tausend kleine Fläschchen abfüllen würde. Nur die Decke mit Mahl? Lass uns den ganzen Raum nehmen, die Zeit, die Emotionen, ja, alles Weinen und Lachen, diese ganze melodische Symphonie der Vergangenheit.
Du hast nicht nur kulinarische Sphären geschaffen, du hast die guten Werte dieser Welt, wie Kräuter gepflückt, Respekt, Achtung und die Kostbarkeit des Friedens, den Humor und die wahrhaftige Menschlichkeit, zentrifugiert zu einer Essenz. Wir können sie uns frei zugänglich auf die Erinnerungen träufeln und sie golden machen.
Du hast alles gegeben, dafür schätze ich dich.
Du warst immer für mich da, dafür liebe ich dich.
Aber, du hast etwas ganz Wichtiges vergessen!
Mensch Oma!
Du hast dein Kochbuch mitgenommen!

Vielen Dank für eure Zeit.
Oma sagte, sie ist das Kostbarste, was wir zu geben haben.

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Bei „Brötchen mit Soße für 60 Pfennig“ denke ich als erstes ebenso an meine Kindheit. Vermutlich assoziieren viele Menschen den „Pfennig“ mit vergangenen Tagen. :slightly_smiling_face:


Ich habe früher besonders gern Restaurant gespielt. Mit sehr viel Phantasie, Zeit und Sorgfalt habe ich eine Speisekarte gebastelt. Ein Glas Limonade für 10 Pfennig, ein Glas Wasser für 5 Pfennig, Leberwurstbrot für 20 Pfennig, Gurkenscheiben mit Petersilie für 15 Pfennig, Brötchen mit Soße für 60 Pfennig … Und dann habe ich die Küche in Beschlag genommen. Genauso sorgfältig wie die Speisekarte wurde der ganze Besuch eines Restaurants nachgespielt. Wie ich mich gefreut habe, wenn meine Mama oder meine Oma in mein Restaurant kamen … Ich hatte den Tisch in der guten Stube ganz fein gedeckt, mit weißem Tischtuch und Kerzen und einem selbst gepflückten Blumenstrauß aus dem Garten. Ich begrüßte meine Gäste in meinem Restaurant, überreichte ihnen die Speisekarte und bot schon etwas zu trinken an. Auf meinen kleinen Block schrieb ich mit krummen Buchstaben und grauenhafter Rechtschreibung, was meine Gäste wünschten.
In der Küche war alles vorbereitet, damit ich nicht lange brauchen würde. Die Gurke war bereits geschnitten, wurde nur noch auf einem kleinen Teller schön hergerichtet. Die Leberwurst stand neben dem Brot und wartete darauf, gebraucht zu werden. Schnell, aber ordentlich stellte ich die Wünsche meiner Gäste zusammen.
Und dann lauschte ich hinter der Tür, wann sie wohl fertig mit dem Essen wären. Hin und wieder spähte ich um die Ecke und sah sie noch kauen. Erst, als sie alles verputzt hatten, ließ ich mich wieder blicken und fragte, ob es geschmeckt hätte und ob sie noch mehr wollten.
Auf dem Block, den ich in meinen Hosenbund gesteckt hatte, rechnete ich dann auch ganz akribisch die Rechnung zusammen. So, wie ich es aus dem kleinen Restaurant kannte, in das ich mit meiner Oma immer ging. Keine elektrische Kasse, die einen Zettel bedruckte, sondern ein krakeliger Zettel, auf dem einfach noch ein Strich für das zweite Glas Limonade gemacht wurde.
Ich rechnete meinen eigenen Zettel lieber noch mal nach und brachte meinen Gästen die Rechnung.

Und dann bekam ich die Pfennige für mein Sparschwein!

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Was für eine schöne Idee! Ich habe hier eine Anekdote nach einer wahren Begebenheit.

Kartoffelsalat

»Kannst du mir mal bitte ein Glas Wasser bringen?«, rief meine Oma durch die halbe Wohnung.
»Ja, mache ich«, brüllte ich zurück und ging in die Küche. Noch im selben Moment, indem ich die Tür öffnete, fiel mein Blick auf die große weiße Emailleschüssel auf dem Küchentisch, die mit einem Küchentuch abgedeckt war.
Ich holte ein Glas aus dem Küchenschrank, zögerte kurz, dann öffnete ich die Schublade und fischte nach einem Löffel. Der Kartoffelsalat meiner Oma war zu gut, um nicht davon zu naschen. Das Glas stellte ich auf den Tisch, zog mir einen der Küchenstühle heran, setzte mich und schlug das Küchentuch zurück. Der Salat war noch warm und musst noch ziehen, aber er schmeckte schon jetzt so gut wie erwartet.
Ach, noch ein Löffel. Es war ja genug da, das würde gar nicht auffallen. Genussvoll schloss ich die Augen und schob mir noch einen dritten Löffel in den Mund.
Da hörte ich die Küchentür. Sofort zog ich den Löffel schuldbewusst aus dem Kartoffelsalat und fuhr herum.
»Was machst du denn da?«
Meine Schwester sah mich an und stemmte eine Hand in die Hüften.
»Ähm«, machte ich.
»Und, ist er gut?«, fragte sie, während sie sich ebenfalls einen Löffel holte und sich auf den Stuhl neben mir fallen ließ.
Ich grinste.
»Omas Kartoffelsalat ist einfach der Beste«, sagte ich und schob mir einen weiteren Löffel in den Mund.
»Lass uns das nochmal testen. Nur um sicherzugehen«, meinte sie.
Es fühlte sich fast an wie früher, als wir noch Kinder gewesen waren. Schon damals hatten wir noch in der Küche vom Kartoffelsalat genascht. Das machte jeder in der Familie, wenn man an der Salatschüssel vorbeikam; das war wie ein ungeschriebenes Gesetz. Unsere Oma wusste das und kochte seit einigen Jahren schon immer die doppelte Menge, damit auch ja genug übrig blieb, wenn es dann Essen gab.
Nach ein paar Minuten hielt meine Schwester mit dem vollen Löffel in ihrer Hand inne und starrte an mir vorbei zur Küchentür.
»Ich wollte mal nachsehen, was an einem Glas Wasser so lange dauert«, sagte Oma. »Und, muss noch bisschen Salz an den Salat?«
»Der ist perfekt«, antwortete meine Schwester mit halbvollem Mund.
Oma ging zum Kühlschrank.
»Möchtet ihr Mädchen was vom Erdbeerkuchen? Ich habe euch extra jeweils ein Stück aufgehoben«, meinte sie. Mir war klar, dass das eine rhetorische Frage war, da sie bereits ohne unsere Antwort abzuwarten den Kuchen herausholte. »Liebes, gib doch mal zwei Teller hinter dir raus«, bat sie meine Schwester, die grinsend aufstand und der Bitte nachkam — und uns fürsorglich auch gleich noch zwei Gabeln holte.
Dann aßen wir abwechselnd Kuchen und Kartoffelsalat.
Meine Schwester grinste mich an. »Wie man erkennt, dass wir beide verwandt sind, ohne es zu sagen.«
Ich lachte.
»Komm, wer könnte diesem Kartoffelsalat auch widerstehen«, meinte ich.
Oma stellte die Pfanne für die Schnitzel auf den Herd und drehte sich zu uns um.
»Das ist wahr! Habe ich eigentlich schon einmal die Geschichte vom Kartoffelsalat und Max, dem Zirkuspferd erzählt?«, fragte sie.
Erwartungsvoll sahen wir sie an und schüttelten die Köpfe.
»Als ihr noch mit den Mücken geflogen seid, hatte der Onkel Hans ein Pferd, das hieß Max. Dieses Pferd war ein ganz harmloser Brauner. Aber Max war früher mal im Zirkus gewesen und hatte es faustdick hinter den Ohren. Ich war für paar Tage beim Hans und er hat sich gewünscht, dass ich ihm Kartoffelsalat mache. Ihr kennt die Wohnung von ihm ja noch, da ging man unten zur Tür und gerade die Treppe rauf, quer über den Flur und dann stand man schon direkt in seiner Küche. Ich habe also den Kartoffelsalat zum Abkühlen und Ziehen aufs offene Fensterbrett gestellt. Irgendwas war, so dass er mich raus gerufen hat. Jetzt war es aber so, dass auf der Seite zum Küchenfenster raus die Koppel war, auf der Max stand. Und dieser Gaul hatte nichts Besseres zu tun, als über den Zaun zu springen und die Treppe hinauf in die Küche zu laufen, um den Kartoffelsalat zu fressen«, erzählte sie.
»Nee, nicht dein Ernst«, prustete meine Schwester.
»Und wie habt ihr das Pferd dann wieder aus der Küche gekriegt?«, wollte ich wissen.
»Ja, das war gar nicht so einfach«, meinte Oma und schmunzelte. »Die Treppe rauf ging, aber rückwärts hatte der Max dann Schiss. Das hat über den ganzen Mittag gebraucht, bis wir ihn da ganz langsam wieder runter und zurück auf seine Koppel gekriegt haben.«
»Schade um den schönen Kartoffelsalat«, fand meine Schwester.
Oma lachte.
»Ja, schade um den Kartoffelsalat.«

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Der geniale Mark Twain veröffentlichte einst die Geschichte mit dem Titel „Meine Uhr“.
Mark Twain äußert darin die Vermutung, dass aus all den erfolglosen Kesselflickern, Büchsenmachern, Schustern, Hufschmieden und Maschinisten, ihren beruflichen Fortgang als Uhrmacher suchen würden. Ich habe eine andere Theorie. Diese erfolglosen Leute beglücken uns heute mit fremdländischer Kulinarik. Das schließt Bio-Deutsche erst einmal aus, denn für das Vortäuschen von Sachkenntnis auf diesem Gebiet ist eine fremdländische Herkunft ausgesprochen hilfreich.

Wenn man sieht, wie viel Imbisse, Restaurants, Bistros, Gasthäuser, Lokale, Pommesbuden, Fast Food-Restaurants etc. es heute gibt, welche ihre Küche als türkisch, kurdisch, kroatisch, italienisch, vietnamesisch, indisch, chinesisch, thailändisch, afrikanisch, karibisch, persisch und weiß der Teufel, welcher Herkunft ausgeben, kann man nur den Kopf schütteln. In mir keimt der Verdacht, dass viele der Zugewanderten, Flüchtlinge, Schutzsuchenden und welche Euphemismen es außerdem noch gibt, alle aus dem Hotelfach und der Spitzengastronomie stammen und als Koch mindestens zwei Sterne haben. Auch schießen vegetarische und vegane Beherbergungsstätten aus dem Boden wie die Pilze nach einem langen Regen.
Ich wurde sechs Jahre nach dem heute als Weltkrieg Nummer zwei bezeichneten Massaker geboren. Ich wuchs in Berlin auf und meine ersten Spielplätze waren Ruinen und Bunker. Dies war mir zwar verboten, aber alles Verbotene reizt.

Auch wir aßen Gerichte, welche völlig ohne Fleisch zubereitet wurden. Wir bezeichnen diese Gerichte jedoch nicht als vegan oder vegetarisch, es war einfach normale Ernährung, welche noch nicht zu einer Art Religion erhoben wurde. Ich erinnere mich an Kartoffelpuffer mit Muckefuck, eine Art Kaffee, welcher aus gerösteten Getreidekörnern hergestellt wurde. Auch Milchreis gab es oft und vieles andere fleischlose Essen. Hinzukommt, dass nicht alles in rauen Mengen zur Verfügung stand. Es gab Butter- und Fleischmarken und auch Milch gab es nicht unbegrenzt. In dem Haus, wo wir wohnten, wohnte auch ein Töpfer und Ofensetzermeister. Er hat einen extra Keller, wo er seine Steine und Kacheln einlagerte und außerdem Ziegen hielt. Um sie zu füttern, schnitt er mit seiner Sichel das Gras unter den Wäschestangen, welche dazu dienten, die Wäscheleine zu befestigen. Wenn er dann eine dieser Ziegen schlachtete, gab er großzügig den anderen Hausbewohnern etwas von dem Fleisch ab. Diese Ziegenhaltung mag manchen Menschen merkwürdig anmuten, aber noch in den siebziger Jahren, wurde in Alt-Friedrichsfelde, hinten auf den Höfen Vieh gehalten und Landwirtschaft betrieben.

Es gab damals eine Tradition, auf welche sich alle Beteiligten schon im Vorfeld gewaltig freuten – EISBEINESSEN. Dies veranstalteten Gaststätten für eine Gruppe von Personen auf Bestellung, wobei die Kunden Kleingartenvereine, Angelvereine und ähnliche Zusammenschlüsse aufgrund gemeinsamer Interessen waren.
Zum vereinbarten Termin war entweder an der Tür der Gaststätte das Schild „Geschlossene Gesellschaft“ oder es gab ein Nebenzimmer, wie z.B. im „Kiefholzeck“ in Berlin-Baumschulenweg.
Nachdem alle eingetroffen waren und ein Platz gefunden hatten, wurden die Getränkewünsche aufgenommen, meistens Bier. Dann wurde serviert. Vor jedem wurde ein Teller hingestellt. Darauf befand sich ein gekochtes Berliner Eisbein. Ein Stück am Schinken des Schweines, was bei Karnivoren als Delikatesse gilt. Diese Delikatesse wurde in entsprechender Anzahl (je mehr im Topf, desto besser schmeckt es) mit Suppengrün, Lorbeer, Piment und Zwiebeln aufkochen und dann mit geringer Hitze simmern lassen. Das Geheimnis des Wohlgeschmacks liegt hier, wie so oft, in der Kochzeit. Mit einem Teil des Eisbeinsuds wird Erbspüree gekocht. Dazu dann Petersilienkartoffeln mit ein wenig Eisbeinsud angerichtet. Als Krönung werden Speckwürfelchen in einer Pfanne ausgelassen und diese mit dem ausgelassenen Fett über das Erbspüree gegeben.
So wurden die Teller serviert. Das Eisbein, welches vorher über einer Gasflamme abgesengt wurde, liegt mit der rosigen Haut da. Daneben ein Klacks des Erbspürees, auf welchem ein kleiner See von Fett ist, auf welchem knusprige Speckwürfelchen schwimmen. Und wenn man dann das Eisbein anschnitt, zuerst durch die Fettschicht, welche dann im Mund im besten Fall auf der Zunge schmolz. Und dann kam das magere Fleisch des Eisbeines. Rosig, mit deutlich sichtbaren Fasern, bissfest und wohlschmeckend. Abgerundet wurde das Ganze durch eine gehörige Portion Mostrich, der anderswo Senf heißt. Dazu wurde natürlich das eine oder andere Bier geordert. Als Krönung wurde dann zum Abschluss, zur besseren “Verdauung“, ein Korn oder Doppelkorn aus einem eisgekühlten Glas gekippt.
Da ein Eisbein etwas Besonderes war, freuten sich die Leute wochenlang auf dieses Ereignis und genossen das Ereignis und das Zusammensein. Ein ähnliches Gefühl wird heute versucht durch Team-Building-Maßnahmen zu erreichen. Welch teurer und armseliger Versuch, natürlich gewachsene Gefühle künstlich zu erzeugen.

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Ich konnte nicht glauben, was ich da sah, wobei ich sie zuerst roch: eine cremig-samtige Sosse mit einer feinen Senfsosse, ich leckte mir den Löffel ab, der Fisch dazu war Nebensache. Ich war acht Jahre alt und diese Senfsosse war DAS kulinarische Ereignis meiner Kindheit. Meine Mutter hätte also gekonnt, wenn sie gewollt hätte. Meistens wollte sie allerdings nicht.
Ich hätte damals schon ahnen sollen, dass ich ein Genussmensch bin. Aber bis auf diese Sosse wies lange nichts darauf hin.
Normalerweise sah es so aus: Abendbrot: 2 Scheiben Toast für jeden. Nie mehr, nie weniger. Seeeehr dünn mit Margarine (Butter war zu teuer) bestrichen (kritischer Blick, ob ich auch nicht zu viel nahm) und jeweils eine Scheibe Wurst oder Käse. Ob das wohl der Grund dafür ist, dass ich heute meine Brote (und auch meinen Toast) gerne üppig belege? Goldene Toastscheiben, deren Duft einen direkt hinter der Wohnungstür umfängt und das Ende des Tages einläutet. Riecht es nach Toast, ist alles gut.
Aber dann – alle sechs Wochen roch es anders… nach scharf angebratenem Rindfleisch und Essig. Die Schüssel, gross, silbern und mit einem Küchentuch abgedeckt, stand eine halbe Woche im kühleren Elternschlafzimmer. Und dann kam der Sonntag. Schon morgens wurde die Schüssel wie der heilige Gral in die Küche gebracht, wo sie ihren intensiven Essiggeruch verströmte. Und das Versprechen auf einen mittäglichen Genuss. Der stumm vor sich ging. Während das bei meinem Bruder, meinem Vater und meiner Mutter daran lag, dass sie schlicht nichts zu sagen hatten, genoss ich die Stille, um ganz in den Geschmack einzutauchen. Mürbes Rindfleisch, welches sich mit der Gabel so leicht zerteilen liess, saure, dunkle Sosse (das Beste), Kartoffelknödel, die sich wie ein Kissen mit der Gabel zerdrücken liessen und die köstliche Sosse aufsaugten wie ein Schwamm, dazu Rotkohl, der zwar aus der Dose kam, aber lecker war (damals kannte ich noch nicht den Unterschied zwischen Dosenfutter und Selbstgemachtem, zimtigen, mit geschmorten Apfelstücken versetzten Rotkohl). Nach dem letzten Gabel-lecken, dem letzten fluffigen Klossstück, getränkt mit samtig-saurer Sosse, dem letzten Bissen Dosen-Rotkohl und andächtigem Teller abräumen, seufzen. Wieder sechs Wochen warten……

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Das vorgebene Thema hat mich zu der Einstiegsszene zu einem Kurzkrimi inspiriert.

Als ich die Tür des heruntergekommen wirkenden Reihenhauses aufstieß, Taschenlampe in der einen, die Dienstwaffe in der anderen Hand, schlug mir der widerwärtige Geruch von Kohl, Kartoffeln, ranzigem Öl und schalem Bier entgegen. Ich würgte, taumelte zurück.

Wütendes Gebrüll, panische Schreie. Schmerzen. Blut. Angst. Wie Hagel prasselten die Erinnerungen auf mich ein.

»Hey, alles okay, Kai?«

Der Druck einer Hand auf meiner Schulter brachte mich zurück ins Hier und Jetzt. Ich wandte leicht den Kopf zu meiner Partnerin Annika Neumeier. »Ja, alles gut. Lass uns … einfach weitergehen.«

Ihr Blick blieb besorgt, doch sie nickte und wartete, bis ich mich wieder in Bewegung setzte, folgte mir dann. Unser ziviles Einsatzfahrzeug hatte ich eine Straße weiter geparkt, nachdem wir per Funk mit dem Code 096 – häuslicher Streit – hierherbeordert worden waren. Sowohl Annika als auch ich hatten schon oft mit solchen Fällen zu tun gehabt, doch jedes Mal war es nervenaufreibend, weil wir nie wussten, was uns erwartete. Vom volltrunkenen Frauenschläger bis hin zum durchgedrehten Junkie war uns nichts mehr fremd. Entsprechend vorsichtig verhielten wir uns jetzt, während wir ins zweite Stockwerk hochstiegen. Vor der schlichten Holztür am Ende des Flurs, verunziert durch zahlreiche Kratzer, blieben wir stehen.

»Gibt es auf dieser Etage noch weitere Wohnungen?«, fragte ich leise.

Annika schüttelte den Kopf. »Nein, nur die von den Krügers.«

Wolfgang Krüger, seine Frau Gerda und zwei Kinder. Das hatten uns die Kollegen in der Wache bereits als Info übermittelt. Wolfgang Krüger war in unserer Datenbank, weil er einige Ordnungswidrigkeiten begangen hatte. Kleinkram wie Falschparken, Trunkenheit am Steuer und außerdem prügelte er sich besoffen gerne. Ein richtiger Sonnenschein also. Seine Frau dagegen war noch nicht polizeilich auffällig geworden.

»Okay, du klingelst«, sagte ich. Möglicherweise war Krüger bei einer Beamtin weniger aggressiv. Gerade solche Typen hielten Frauen für schwach und besaßen kaum Respekt vor ihnen. Annika würde ihn aber diesbezüglich schnell eines Besseren belehren. Sie war in Krav Maga ausgebildet und hatte schon so manches Großmaul auf die Matte gelegt.

Sie nickte, drückte auf den abgenutzten Klingelknopf neben der Tür. Das laute Schrillen der altmodischen Klingel weckte vermutlich die Nachbarn im Umkreis von drei Kilometern auf! Krüger hingegen brachte es leider nicht an die Tür.

»Nochmal?«

»Ja.«

Annika klingelte erneut. »Herr Krüger?«, rief sie. »Hier ist die Polizei! Machen Sie die Tür auf!«

Stille.

Wir sahen uns an.

»Eintreten?«

Ich verzog das Gesicht. In Filmen sah das immer so leicht und cool aus, aber in der Realität konnte das bei dem betreffenden Beamten schmerzhafte Prellungen bedeuten, je nachdem, wie stabil die Tür gebaut war. Für gewöhnlich verließen wir uns in solchen Fällen lieber auf die Technik in Form eines hydraulischen Türaufbrechers. Dieses Werkzeug lag allerdings im Kofferraum unseres Einsatzfahrzeugs. Auf der anderen Seite wirkte die Tür nicht so, als würde sie viel Widerstand bieten können.

In diesem Augenblick hörten wir deutliche Kampfgeräusche aus der Wohnung und das Weinen eines Kindes. Scheiße. »Eintreten«, sagte ich grimmig, steckte Waffe und Taschenlampe weg, trat zurück, nahm Maß. Stürmte los und trat mit aller Kraft zu. Zu meiner eigenen Überraschung sprang die Tür sofort auf. Ich zog erneut meine Pistole, versicherte mich, dass Annika mir den Rücken deckte, und betrat die Wohnung.

Der Gestank war überwältigend, Müllsäcke standen überall herum. Aus dem Augenwinkel heraus glaubte ich, Maden in ihnen kriechen zu sehen. Igitt.

»Polizei!«, rief ich und im nächsten Moment überschlugen sich die Ereignisse …

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„Und? Schmeckts?“, fragt Hannah, ihre Augen funkeln wie Zirkonia und warnen mich, nichts Falsches zu sagen.
Ich könnte mich ohrfeigen, dass ich ihr vorgestern von meinem Lieblingsgericht aus Kindertagen erzählt hatte. Erzählt? Bullshit! Geschwärmt habe ich, die verdammten Königsberger Klopse angepriesen habe ich Idiot!
„Doch, ja, fmeckt vorfmüglich“, antworte ich mit vollem Mund, in der Hoffnung, Hannah fällt auf die klägliche schauspielerische Leistung herein. Ich komme mir vor, als wäre ich in einem Alptraum gefangen, bei dem Loriot Regie führt. Warum habe ich ihr nicht einfach, auf ihre Frage nach dem Lieblingsgericht des kleinen Dirk, von irgendeinem belanglosen, einfachen Gericht oder einem Snack aus meiner Kindheit erzählt? Zum Beispiel von dem Brötchen, dass ich mir Mitte der Achtziger in der Bäckerei in der unmittelbaren Nähe der Realschule so oft gekauft habe? Das Brötchen trug einen damals völlig unreflektierten Namen mit dem N-Wort und könnte heute vielleicht als „Schaumkuss-Brötchen“ durchgehen. Frischer Weizenteig, noch ofenwarm, außen eine knusprige Rösche, die Krume umhüllte fluffig den zermatschten, zuckersüßen Schaumkuss. Der simple, süße Genuss, immer begleitet von der Angst, man könne während der geschwänzten Mathestunde mit klebrigem Schoko- und Zuckerschaumbart erwischt werden. Ärger gab es sowieso, aber der war es wert. Das hätte ich Hannah erzählen sollen! Aber nein, die verdammten Königsberger Klopse mussten es sein! Mir fällt plötzlich auf, dass Hannah mich mittlerweile mit hochgezogener rechter Augenbraue mustert, und ebenso fällt mir auf, dass ich seit mindestens fünfzig Sekunden, mitten in einem Tischgespräch, wie hypnotisiert an ihr vorbei glotze.
„Ähm, ist echt lecker, vielleicht ein klitzekleines bisschen anders, als ich es in Erinnerung habe.“
Kaum habe ich den Satz ausgesprochen, wird mir auch schon klar, dass ich einen Fehler gemacht habe.
„Was denn?“, antwortet sie mir mit leicht gepresst wirkender Stimme, die Zirkonia-Blitze regnen auf mich herab. Ich könnte schwören, sie piksen auf der Haut meines Gesichts.
Was habe ich mir nur bei dieser bescheuerten Antwort gedacht? Ich bringe mir ins Gedächtnis, dass Hannah und ich gestritten haben. Nichts wirklich wichtiges, nichts Weltbewegendes, aber eben zu oft, um von einer funktionierenden Beziehung reden zu können. Den letzten Streit hat dann Hannah von Zaun gebrochen und mir vorgeworfen, dass ich nie koche und sie immer, und dass sie genauso viel arbeite wie ich und ich mich deswegen doch verdammt nochmal mehr an der Hausarbeit beteiligen sollte. Ich Vollhonk habe dann als Argument angebracht, dass ich ja immer noch an meinem Debütroman arbeite und das viel Zeit kostet, was der Grund wäre, warum ich kaum Zeit für Hausarbeit habe. Dabei hat sie mit jedem Wort hundertprozentig recht gehabt. Ich fühle mich, absolut zu Recht, als verdammter Chauvi ertappt, der eigentlich schlicht zu faul ist. Also habe ich guten Willen zeigen wollen und vorgeschlagen, auch mal zu kochen. Meine Wahl viel auf rheinsche Reibekuchen mit Apfelkraut und Rübenkraut, als Vorspeise eine deftige Ochsenschwanzsuppe. Mir sind die Riefkooche auch wirklich gut gelungen. Eigenlob an den Koch, in diesem Fall duftet das Lob mehr, als es üblicherweise stinkt. Kartoffeln, Zwiebeln, Eier sowie Muskat und Butterschmalz in einer unübertrefflichen Harmonie in Verbindung mit dem süßen Aufstrich aus Äpfeln und Zuckerrüben. Die Suppe habe ich in memoriam meiner verstorbenen Mutter gekocht, das gabs für uns Kinder zu Hause früher öfters vor den Kartoffelpuffern.
Hannah ist anderer Ansicht. Zu fettig, zu schwer im Magen, der viele Zucker und überhaupt wisse ich doch ganz genau, dass sie weniger Fleisch essen möchte. Ich finde mich gänzlich unverstanden und außerdem sind in der Suppe keine hundert Gramm Fleisch.
Das Ende vom Lied; ein beleidigter Dirk und eine Hannah mit schlechtem Gewissen. Sie bietet mir als Wiedergutmachung an, am nächsten Tag mein Lieblingsgericht für mich zu kochen. Und da sind wir wieder: Zirkoniablitze stechen mein Gesicht und ich will es herausschreien: „Du hast die verdammten Kapern vergessen! Königsberger Klopse ohne Kapern sind Köttbullar in der falschen Sauce, da fehlt einfach total der säuerliche Geschmack der eingelegten Blütenknospen!“
Aber um das Zirkoniabombardement zu beenden, schlucke ich kapernlosen Klops und meinen Ärger herunter. „Nee echt, wirklich superlecker. Und ich habe gerade die perfekte Idee für den passenden Nachtisch! Wir gehen gleich nach dem Essen zum Bäcker!“
Heute werde ich das Mathestunden-Schaumkussbrötchen endlich mal ohne Angst essen. Dafür mit Hannah, mit der ich mich etwas weniger oft streiten sollte.

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Hallo,
hier noch schnell mein Beitrag. Natürlich auf den letzten Drücker, man muss sich selbst doch treu bleiben. Da in einem Rutsch geschrieben, noch ungeschliffen und roh.

Bienenstichschnorrer

„Tschüss, Struppi, ich muss in die Schule!“

Mit einer Umarmung verabschiedete ich mich vom wichtigsten Familienmitglied, dessen wuscheliges Fell herrlich nach Hund roch. Mit wedelndem Schwanz begleitete er mich zur Wohnungstür, wo er mit hängendem Kopf stehen blieb. Schlau, wie er war, wusste er genau, dass er mich nicht begleiten konnte. Ich winkte ihm also noch einmal zu und hopste dann die dunkle Holztreppe hinunter. An den Kehren hakte ich mich mit meiner kleinen Hand in die Streben des Geländers und beschrieb einen schwungvollen Halbkreis, bevor die nächsten Stufen kamen. Die Treppe nur einfach runtergehen? Viel zu langweilig. Zu meinen beliebtesten Disziplinen gehörten auch auf dem Hosenboden die Stufen oder auf dem Geländer hinunterrutschen oder in Gegenrichtung auch hinaufhangeln.
Nach drei Stockwerken war ich unten angekommen.

Heute war ich etwas früher aufgebrochen, und das wollte schon etwas heißen. Denn im Zuspätkommen und etwas auf den letzten Drücker erledigen, war ich Weltmeisterin. Doch der kleine runde Gegenstand in meiner Hosentasche hatte mich angespornt, dieses Mal etwas zeitiger loszugehen. Ich lief durch unseren kleinen Hinterhof zur Vorderseite des Hauses, wo ein schwarzes Gittertor die Grenze des Grundstücks markierte. Fast alle anderen Häuser in unserem Viertel waren genauso aufgebaut. Die Hauswand am Gehweg entlang und an einer der beiden Seiten ein Tor zum Hof. So wirkten die Straßen wie Schluchten, die sich im Sommer aufheizten und im Winter Kanäle bildeten, durch die der kalte Wind pfiff. Trotzdem mochte ich unsere Gegend, Wertachviertel genannt, weil sich parallel zu unserer Straße der namensgebende Fluss befand, wo es sich herrlich spielen ließ. Auch die Häuser gefielen mir. Sie stammten aus der Zeit der Industrialisierung, kaum eines war später als 1900 gebaut worden. Das wusste ich damals natürlich noch nicht, ich liebte es einfach an den Gebäuden entlangzuschlendern und die verschiedenen Fassaden zu betrachten. Heute allerdings ließ ich mir nicht so viel Zeit, schließlich hatte ich vor der Schule noch etwas zu erledigen.

Unser Haus stand an der Ecke zur nächsten Straße und meistens schlug ich diesen Weg am Morgen ein. Heute aber ging ich die Schöpplerstraße entlang bis zum Aubele, einem kleinen Krämerladen, der um diese Zeit noch geschlossen war. Hier konnte man nach links zum Plärrersteg abbiegen, der über die Wertach führte und, wie der Name schon sagte, zweimal im Jahr zum beliebten Volksfest von Augsburg führte. Ich aber musste nach rechts abbiegen, wo am Ende der Straße unsere Schule lag. Vorher jedoch gab es mehrere Klippen der Versuchung zu umschiffen. Drei Stationen gab es hier, wohin, zum Leidwesen der Eltern, viel zu oft unser Taschengeld floss, statt mit einem wehmütigen Scheppern im Bauch des roten Sparschweins zu verschwinden. Mein Schweinchen gab sowieso nur ein müdes Klappern von sich, war sein Vorgänger doch eben erst geschlachtet worden, um von der Dame in der Sparkasse gezählt und in Rollen verpackt zu werden. Die Summe wurde dann ins Sparbuch geschrieben, unerreichbar und schwer greifbar für ein Kind. Da waren mir die zwei Fünzigpfennigstücke, die ich von meinem Opa bekommen hatte schon lieber. Leider musste ich eins von beiden unter den strengen Augen meiner Mutter in den Schlitz am Rücken der Spardose stecken. Das andere durfte ich behalten, zusammen mit dem Ratschlag, nicht alles auf einmal auszugeben. Doch genau das hatte ich vor! Es war mir nur schon immer schwer gefallen, mich zu entscheiden und genau das war auch heute mein Problem. Die fünfzig Pfennig wollten wohl überlegt, mit möglichst großem Lustgewinn ausgegeben werden. Das bedeutete ein genaues Abwägen der Möglichkeiten.

Der erste Blick, wenn man nun einbog, fiel auf die Bäckerei Häusler. Er machte oft das Rennen, einfach, weil die Verkäuferin nett war und beim Abzählen der Pfenniggutzle gerne mal zwei, drei mehr in die Tüte packte. Sie verstand etwas von Kundenbindung. Ich drehte das Geldstück in meiner Hosentasche hin und her. Sollte ich mir hier den Schoko-Schaum-Traum gequetscht in eine knusprige Semmel gönnen? Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Ich konnte regelrecht fühlen, wie die Schokohaut auf meiner Zunge zersplitterte, der Zuckerschaum aus dem gebackenen Drumherum quoll und die Zähne sich letztendlich in die kleine runde Waffel bohrten. Es gab nichts besseres für 35 Pfennig. Außerdem hieß das noch entweder fünf weiße Mäuse oder mindestens 25 kleine runde Bonbons in allen Farben, die man wunderbar mit Freunden teilen konnte. Noch während ich überlegte, kamen vier Schüler aus der fünften oder sechsten Klasse um die Ecke und gingen die Stufen zum Eingang hinauf. Damit hatte sich die Sache erledigt. Sie brauchten sie wahrscheinlich ewig, bis sie fertig waren und ich wusste nicht genau, wie spät es war. Uhren und Uhrzeiten waren so nicht meine Sache. Meistens richtete ich mich nach meinen Freunden, der Sonne oder der Wertach. Letzteres war ganz einfach. Wenn der Fluss am späten Nachmittag langsam anstieg, wussten wir, dass es Zeit war nach Hause zu gehen. Dann nämlich leiteten die Fabriken flussaufwärts das Wasser aus ihren Kanälen, wieder zurück in die Wertach und wir liefen so schnell wir konnten zum Abendessen.

Der Bäcker war also gestrichen. Ich lenkte deshalb meinen Schritt zur anderen Straßenseite, wo eine Glastür in einen winzigen Kiosk führte. Neben Zigaretten, Zeitschriften und anderem Erwachsenenkram, gab es da einiges zu entdecken. Schokoladenriegel, Kaugummi mit Klebebildchen, Styroporflugzeuge zum Zusammenstecken, Biene-Maja-Sticker und Esspapier, fünf Pfennig das Stück. Es gab nur ein Problem! Wie sollte ich mich in der kurzen Zeit entscheiden. Ein Schokoriegel, vier Esspapier und ein Kaugummi? Oder lieber ein Päckchen Sticker und zwei Esspapier oder vielleicht lieber ein Kaugummi dazu? Ihr seht, das hätte dazu geführt, dass ich auf jeden Fall zu spät gekommen wäre!

Ich fasste also einen Entschluss. Es sollte heute etwas Besonderes sein. All mein Geld würde dabei auf einmal draufgehen, aber das war es wert. Ich ging am Kiosk vorbei und hielt an der nächsten Seitenstraße an. Sie trennte das südliche vom nördlichen Wertachviertel und war so etwas wie die Grenze zu meinem Revier. Ich überschritt sie nur, wenn ich zur Schule ging, ansonsten war es fremdes Terrain. Die Schißlerstraße war die „gefährliche“ Straße auf meinem Schulweg, das hieß, es fuhren dort ein paar mehr Autos, weil sie unter der Bahnlinie hindurch ins Nachbarstadtviertel führte. Ich hielt also brav an, sah nach links und rechts und als sich kein Fahrzeug blicken ließ, startet ich durch und hielt erst wieder an der Pestalozzistraße an. So hatte ich ein bisschen Zeit gutgemacht. Hier lag nun unsere gleichnamige Schule, doch meine Schritte führten mich zuerst zur anderen Straßenseite. Dort endlich sollte mein Geldstück eine neue Heimat finden.

Es kostete mich schon einige Überwindung, die Tür zu dem kleinen Lädchen aufzustoßen und hineinzugehen. Es war eine kleine Bäckerei, nicht so groß und hell wie der Häusler und die Frau hinter dem Tresen nicht so freundlich lächelnd. Im Gegenteil, die Dame mit den grauen Haaren und der Brille machte mir ein wenig Angst. Sicher hatte sie Röntgenaugen wie Superman, mit denen sie feststellte, ob man auch genügend Geld dabei hatte, um die Leckereien zu erstehen, die sie, ausgestellt hinter Glas, anbot. Doch jetzt konnte mich nichts mehr von meinem Entschluss abbringen.

„Ja?“ Die Stimme klang auffordernd und ein wenig ungeduldig.

Hatte ich zu lange gezögert? Ich wollte die Herrin der Backwaren nicht verärgern.

„Ein Stück Bnensch“, sagte ich. Neben meiner Nervosität, verhinderte auch meine neue Zahnlücke eine deutliche Aussprache.

„Was willst du? Sprich deutlich, junge Dame!“

Ich spürte, wie mein Gesicht heiß wurde und konnte mir vorstellen, welche Farbe es annahm. Ich holte tief Luft und versuchte es noch einmal.

„Ein Stück Bienenstich, bitte!“

„Na, geht doch.“

Die Dame tauchte hinter den Glaskasten und öffnete ihn auf ihrer Seite. Von der meinigen konnte ich beobachten, wie sie das Objekt meiner Begierde drehte, um mit einem Tortenheber ein Stück davon zu einem Pappteller zu transportieren. Während sie kunstvoll Papier darum schlang, lugte ich nach draußen, um zu sehen, wer schon alles durch das große Tor in den Schulhof ging. Aha, Heike war zu sehen, das bedeutete, mir blieb noch Zeit einen Bissen zu nehmen, bevor die Glocke läutete. Sie war immer sehr pünktlich und ein perfekter Zeitanzeiger für mich.

Als ich mich wieder umdrehte, sah ich, wie die Frau das verpackte Gebäckstück in der Hand hielt und auf etwas wartete. Ich streckte erwartungsvoll die Hand aus, doch das führte dazu, dass sie ihre zurückzog.

„Das macht 50 Pfennig. Du hast doch Geld dabei, oder?“

Wieder wurde ich rot wie eine Tomate. Ich nickte nur, denn Worte wären jetzt bestimmt nicht aus meinem Mund gekommen, zog das Geld aus meiner Hosentasche und schob es mit einem kratzenden Geräusch über den Glaskasten. Dafür überreichte sie mir das raschelnde Päckchen. Mit einer genuschelten Verabschiedung floh ich so schnell wie möglich aus der Höhle des Backdrachens. Schnell überquerte ich die Straße und reihte mich ein in die Massen der hineinströmenden Schüler. Endlich war da auch die große Schuluhr, die mir überraschenderweise zeigte, dass ich noch acht Minuten bis zum Klingeln hatte. Genügend Zeit, um mich über meinen Schatz herzumachen. Ich suchte mir also eine ruhige Ecke und wickelte die süße Versuchung aus der Umhüllung. Trotz der gebotenen Eile, nahm ich mir einen Moment Zeit, um das für mich perfekte Gebäck zu betrachten. Der Bienenstich, bestand aus einem Boden und Deckel aus fluffigem Teig, mit einer köstlichen Sahnecreme dazwischen. Oben drauf war dick Puderzucker gestreut, der einem in die Kehle drang, wenn man so unvorsichtig war, einzuatmen, wenn man hineinbiss. Er war ein wenig gequetscht worden, weshalb an einer Seite Sahne herausquoll. Ich strich mit dem Finger dort entlang und beförderte ihn mitsamt anhängender Köstlichkeit in den Mund. Ich schloss die Augen, und gab mich ganz dem Genuss hin. Jetzt wollte ich mehr. Ich nahm den Bienenstich vorsichtig von seinem Papptablett und wollte gerade in das spitze Ende beißen, als mich jemand von hinten antippte.

„Hallo Sylvia, kann ich was abhaben?“

Er hatte mich gefunden. Theo, der immer wusste, wo es etwas abzustauben gab. Ich drehte mich um, doch das hätte ich nicht tun sollen. Mit großen bettelnden Augen sah er mich an.

„Bitte“, sagte er. „Der ist so lecker und ich trau mich da nicht rein.“

Was soll ich sagen? Ich konnte einfach nicht anders. Seufzend machte ich ein großes Stück vom Rand ab und reichte es dem passionierten Schnorrer. Und so saßen wir an der Seitentreppe und mampften zusammen unseren Bienenstich, bis uns die Schulglocke hineintrieb.

„Das nächste Mal zahl ich“, rief Theo noch und ich nickte, obwohl ich aus leidvoller Erfahrung wusste, dass das nie passieren würde.

Eines Tages hatte die kleine Bäckerei geschlossen und machte nie mehr auf. Ich suchte immer wieder nach einem vergleichbaren Bienenstich, fand aber immer nur süße Mandelkruste statt Puderzucker, was mich lange Zeit sehr traurig machte.

Aber ich habe was anderes gefunden, nämlich den Bienenstichschnorrer. Er ist jetzt Manager in einem Hotel. Was meint ihr, soll ich ihn mal heimsuchen und nach meinem versprochenen Bienenstich fragen?

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Ich hab mir auch einige Gedanken dazu gemacht:

Und Hänsel folgte dem süßen Geruch durch den Wald, achtete weder auf Pfad noch Wurzel. Ich rannte hinter ihm her und Brombeerdornen zogen an meinem Rock und tief hängende Äste griffen in mein Haar. „Hänsel!“, rief ich ihm hinterher, doch er hörte mich nicht. Ich dachte an die Geschichten, die Mama uns erzählt hatte, an die Feen und Hexen, die im Wald hausten und sich von dem Fleisch kleiner Kinder ernährten. Mama hatte uns auch erzählt, wie sehr sie uns liebte.
„Bleib stehen!“, rief ich weniger verzweifelt als wütend. Ein Ast peitschte mir ins Gesicht. Hänsel rannte und machte dabei einen Heidenlärm. Mein Atem rasselte brennend durch meine Lungen und mein Herz schlug so laut, dass es alles andere übertönte. „Es könnte eine Falle sein!“, versuchte ich an seine Vernunft zu appellieren, doch der süße Geruch schien all sein Denken in Besitz genommen zu haben. Vielleicht ist es ein Zauber, so stark, wie er riecht. Auch mir schwirrten die Gedanken. Es roch nach Vanille und buttrigem Fett und gebranntem Zucker. Und mir knurrte der Magen so sehr. Als Vater uns auf Geheiß von Mutter im Wald aussetzte, hatten wir nichts bei uns. Die Nächte waren Finster wie Teer und kalt wie der erste Frost im Jahr. Wir hatten aneinander gekuschelt in Betten aus Moos und Blättern geschlafen. Dennoch hatte ich das Gefühl, auf ewig zu frieren. Nur dieser Geruch schaffte es, dass mir warm ums Herz wurde. Und wo nahm Hänsel die Kraft für seine Geschwindigkeit her?
Das Gehölz endete wie abgeschnitten ebenso wie die hohen Bäume. Sie bildeten einen Kreis und streckten ihre Kronen bis in die Mitte einer Lichtung über … ein kleines Häuschen? Ein Häuschen aus … Kuchen? Ein zauberhafter Glanz aus Wärme und dem Geruch von frisch gebackenen Keksen lag über der Lichtung. Hänsel stand japsend vor mir, seine Augen geweitet und glänzend vor Gier. Ich berührte ihn am Arm. Der verführerische Duft wehte um unsere Köpfe und sponn sich mit weichen Fingern in unsere Gedanken. „Ich weiß, dass wir Hunger haben, aber wir dürfen davon nicht essen. Denk an die Hexen und Feen.“
Hänsel dreht seinen Kopf ein Stück und warf mir einen kurzen, aber scharfen Blick zu. Auch er dachte an Mamas Geschichten. Und ihre Lügen. „Selbst wenn wir sterben, sobald wir davon kosten oder uns der erste Bissen in den Dienst einer Hexe stellt. Wenn wir nichts zu Essen finden, sterben wir eh. Und hier finden wir das Paradies direkt vor unseren Füßen. Es gibt eh niemanden, den es kümmern würde.“
Ich wollte ihm widersprechen, wollte ihm sagen, dass es nicht wahr war und Mama und Papa bestimmt zu Hause auf uns warteten. Aber das konnte ich nicht.
Das Häuschen war wunderlich. Ein Zaun aus Zuckerstangen umgab einen kleinen Garten, in dem Blumen aus buntem Zucker wuchsen und Büsche aus Zuckerperlen und Schokoladenblättern. Ein Pfad aus knackigen Zuckerplatten in Dunkelrot schlängelte sich auf eine dicke Tür aus gebackenem Keks hinzu, die mit Zeichnungen aus buntem Zuckerguss verziert war. Ranken aus Zuckermasse wanden sich an dem braunen Kuchenwänden empor. Die Schindeln des Daches glitzerten in Smaragdgrün, Kirschrot und Perlweiß.
„Das kann nur ein Zauber sein“, hauchte ich, doch Hänsel war schon auf das kleine Gartentor zugelaufen. Auf den Pfosten standen durchsichtige Vögel aus Zitronenbonbons. Glockenblumen aus essbarer Masse wuchsen entlang des Weges. Kleine Bäumchen, deren Blätter ebenfalls vor kristallenem Zucker glänzten, waren voll behangen mit Keksen und Küchlein und Bonbons. Die Stämme der Bäumen bestanden aus bunt gestreifter Zuckermasse. Würzige Aromen stiegen mir in die Nase. Ich erkannte Zimt und Fenchel und Anis von unseren Besuchen auf dem Markt, doch der Rest war mir fremd. Ich hatte diese Sachen auch noch nie probieren dürfen, sondern nur von den Händlern erklärt bekommen und nun lagen sie greifbar vor mir. Hänsel hat recht. Niemand kümmert sich um uns. Ich griff nach einem kandierten Apfel, der von einem der bunten Bäume hing. Die Zuckerkruste knackte und knirschte als ich hineinbiss und ein kleiner Splitter stach in mein Zahnfleisch, doch die kristallene Süße entfaltete sich auf meiner Zunge, gefolgt von dem fruchtigen Saft des Apfels, der süß, aber auch leicht Sauer in meinen Mund floss. Das weiche Fleisch zerfiel in einem Wechselspiel mit der harten Zuckerkruste und ich schmatzte, als der Saft aus meinen Mundwinkeln floss. Ich wollte den ganzen Apfel essen, aber sobald ich die Zuckerkruste abgekaut hatte, war es nur ein normaler Apfel und trotz meines großen Hungers ließ ich ihn fallen und griff nach den Plätzchen, die an einem der Büsche wuchsen. Der erste Bissen war weich und ein buttriges Aroma breitete sich in meinem Mund aus. Ein Hauch von Zitrone folgte und dann biss ich auf eine der harte Zuckerperlen, mit denen das Teilchen dekoriert war. Sie explodierte in meinem Mund und eine weiche, gebrannte Masse floss in meinen Mund. Ich schluckte und schloss die Augen.
Die Wände des Häuschens bestanden aus einem recht festen, würzigen Teig. Ich brach mir von einer Ecke was ab. War das der Ursprung der würzigen Aromen, die in der Luft hingen? Fremde Geschmäcker breiteten sich in meinem Mund aus, während der Kuchen zwischen meinen Zähnen zerbröselte. Zimt schmecke so, wie es roch, warm und herzlich und ein bisschen staubig. Der leicht stechende Geruch … war das Anis? Und die angenehme, meinen Gaumen umschmeichelte Süße – war das Honig? Golden und warm? Das nächste Stück war mit Schokolade bestrichen und während die Schokolade beim Abbeißen brach, mischte sich der Geschmack von dem cremigen Teil mit dem würzigen Kuchen. Es war herrlich.
„Gretel, hier, das musst du probieren!“ Hänsel hielt mir beide Hände gefüllt mit glänzenden bunten Stücken hin. Ich griff mir ein gelbes und biss hinein. Knackige Süße mit weicher Schärfe vereinte sich und zerfloss in meinem Mund zu einem Wechselspiel. „Was ist das?“, fragte ich kauend.
„Früchte, glaub ich. Mit Zucker. Und hier“, er griff in seine Hosentasche und einige der bunten Stücke vielen auf den Boden, weil er eine Hand wegnahm, „hab ich Nüsse.“ Auch er kannte diese Kostbarkeiten vom Markt nur vom Sehen her, wie die Händler sie uns angeboten hatten, wir aber immer ablehnen musste, weil das Geld dazu fehlte.
Ich griff nach den Nüssen und schob mir eine Handvoll in den Mund. „Das ist ja fantastisch!“, sprach ich schmatzend. Die Nüsse knackten weich auf und einige zerbröselten beim Kauen. Verschiedene Richtungen machten sich auf meiner Zunge breit. Einige schmeckten holzig, andere ein bisschen süßlich und manche sogar etwas rauchig. Die nächsten probierte ich einzeln und fand einige Sorten, die mir besonders gut schmeckten.
„Hast du von den Bonbons probiert? Und den anderen kleinen Kuchen dort?“ Hänsel zeigte auf die Bäume, die hinter dem Haus in blaugrün und violett und zitronengelb wuchsen. Ein eigener kleiner Garten mit anderen fremden Früchten.
„Nein“, sagte ich und obwohl ich gerade auf nichts herum kaute, breitete sich ein fahler Geschmack in meinem Mund aus, der die klebrige Süße auf meiner Zunge bitter werden ließ. „Hänsel … ich glaube, wir haben genug. Wir sollten gehen. Das gehört doch bestimmt jemandem.“ Wie töricht von uns, dass wir nicht danach gefragt hatten.
„Warum bleiben wir nicht hier? Vielleicht braucht der Bewohner des Hauses unsere Hilfe bei der Pflege?“
„Hänsel… es wachsen normalerweise keine Bäume aus Zucker und Keksen. Es muss verzaubert sein, also gehört dieser Garten einer -„
„Hexe?“, ertönte da eine erhabene Stimme hinter uns.

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Die Perfektion des Unvollkommenen

»Eine Pizza Diavola mit Extrakäse, bitte.«

Ungeduldig tippte Birger mit seinen Fingern auf den Rand des Bestellterminals. Während des Wartens vernahm er ein leises Summen und Vibrieren, was sich irgendwie beruhigend anfühlte. Schließlich öffnete sich mit mechanischem Surren das Ausgabefach. Der Duft einer frisch gebackenen Pizza drang an Birgers Nase und er sog ihn genüsslich in sich auf. Beinahe andächtig führte er seine Hände an die Pappschachtel, in der sich die ersehnte Speise befand. Er hob sie vorsichtig aus dem Fach, das sich kurz darauf mit dem gleichen Surren schloss, mit dem es sich geöffnet hatte.

Nur wenige Augenblicke später saß Birger auf einer Bank im Bürgermeisterin-Ramona-Schumann-Park im Osten des hannoverschen Stadtteils Pattensen. Über ihm flogen die Personenfähren mit den Pendlern nach Großbremen oder Rhein-Ruhr-Stadt hinweg. Er hatte sich an den stetigen Geräuschpegel schon längst gewöhnt, auch wenn er der Ansicht war, dass sich der Verkehr in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt hatte.

Mit einem angedeuteten Lächeln öffnete er die Pizzaschachtel und ließ den Anblick für einen Moment auf sich wirken. Der Teig bildete einen perfekten Kreis, der Rand war gleichmäßig dick. Wie immer lagen genau zwölf Salamischeiben mit exakt identischem Abstand zueinander auf dem Käse, der die darunterliegende Tomatensoße vollständig bedeckte. Birger musste an manche Matheaufgaben in der Schule denken, die ihn dazu aufforderten, die Anzahl an Salamischeiben pro Pizzastück zu berechnen. Er musste schmunzeln, denn nicht nur die Form und die Anordnung des Belags der Pizza waren makellos.
Auch die Aromen des ersten Bissens wurden akribisch aufeinander abgestimmt. Birger wusste das. Er entwickelte seinerzeit die Rezeptur mit. Er hatte damals allerdings versucht, mehr Authentizität durch weniger Perfektion einfließen zu lassen, aber das war von den Konsumenten nicht gewollt. Zumindest behauptete das die Marketingabteilung der FoodVenders GmbH. Man wolle die vollkommene Komposition für die Sinne, hatte man gesagt, und zwar jedes Mal. Birger war anderer Meinung.

Er erinnerte sich selbst mit seinen 96 Jahren noch an die Pizza aus seiner Kindheit, die er immer gerne in der Trattoria »Ettore e Maria« gegessen hatte. Dort backte man die Pizza noch nach überliefertem kalabrischen Rezept.

Der fluffige Rand war unregelmäßig dick, außen knusprig und an einigen Stellen schon schwarzgebrannt. Das hefige Aroma alleine war schon jeden Bissen wert. Birger mochte den feinporigen Teig am liebsten sehr dünn und kross. Er liebte das leise Knacken, wenn er das dreieckige Pizzastück in der Mitte einknickte und zusammenklappte, um besser abbeißen zu können. Er schmeckte entweder mehr von der fruchtigen Tomatensoße, die mit Oregano und Knoblauch seinem Gaumen schmeichelte, oder vom Fäden ziehenden Mozzarella, der durch seinen milden und cremigen Geschmack seine Seele streichelte. Die typische, grobe Salami mit ihrem schmackhaften Bauchspeck war salzig und hatte mit ihren roten Chilischoten und dem Hauch Salbei eine ganz eigene pikante Note. Jedes Aroma dieser Pizza konnte man herausschmecken - mal mehr, mal weniger.

Die Pizza aus dem Küchenautomaten schmeckte nicht schlecht, aber Birger vermisste die Perfektion des Unvollkommenem, die Überraschung einer unerwarteten geschmacklichen Nuance.
Er schaute auf die Uhr, die ihm direkt in sein rechtes Auge projiziert wurde. Seine Schicht in der Käserei begann in einer halben Stunde. Er nahm die Pizza aus dem Karton, klappte sie zusammen und warf sie in den Recycler neben der Bank.

»Laktose, Gluten, Histamin. Der Mensch fliegt für ein Kaffeekränzchen zum Mars, aber gegen meine Unverträglichkeiten hat er noch nichts Wirksames erfunden.«

Er stand auf und verließ den Park.

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Das Erste, was mir in den Sinn kommt, wenn ich an diesen Abend zurückdenke, ist das gedämpfte Licht in unserem Wohnzimmer. Vermutlich war eine Glühbirne in der Deckenleuchte kaputt, und das ohnehin schon gelb getönte Licht, dass durch die dicken Glasschirme hindurch drang, tat sich schwer in dem von Zigarettenrauch durchzogenen Raum. Wir regten uns nicht auf über sowas.

Unser Esstisch stand unter der Dachschräge, gerad weit genug in den kleinen Raum gerückt, um dahinter sitzen zu können. Darauf vier reichlich abgenutzte Kunststoffbrettchen, ein Flechtkorb mit in Scheiben geschnittenem Mischbrot, Butter, ein wenig Wurst aus dem Supermarkt und ein dickes Glas selbst eingelegte Essiggurken. Und für mich Gelbwurst, die ohne Petersilie. Das war die einzige Wurst, die ich damals gegessen habe.

Die Gelegenheit für ein besonderes Extra auf meinem Brot war günstig an diesem Tag, da meine großen Brüder nicht mit am Tisch waren und ich daher ihren Spott nicht zu befürchten hatte. Wir lieferten uns keinem Ärger aus. Daher schlüpfte ich vom Tisch und suchte in der Küche nach dem Glas Johannisbeergelee, ebenfalls selbstgemacht, das ich statt Butter aufs Brot streichen würde. Es dauerte ein wenig, bis ich sie gefunden hatte, und bei meiner Rückkehr fiel mir auf, dass meine Eltern miteinander stritten. Leise, bissige Worte von meiner Mutter, empörte, lauter werdende Entgegnungen von meinem Vater. Dazwischen meine Schwester und ich im Versuch, uns unsichtbar zu machen. Wir mischten uns nicht ein.

Ich öffnete das Glas, ganz aufgeben wollte ich noch nicht, auch wenn mein Appetit bereits merklich gesunken war. Der Streit steigerte sich schnell diesmal, und ich musste rasch zu einer Entscheidung kommen, ob ich mein Brot fertigstellte oder es sein ließ. Wir konnten gut abschätzen, wie der Streit weiterging, nur nicht den exakten Punkt, wann es zu spät war. Wir lauschten nervös auf jedes Wort, bemüht, uns dennoch nichts anmerken zu lassen, dass wir überhaupt im Raum waren. Hört auf. Hört auf. Hört auf. Musste man nicht eigentlich laut hören, was wir dachten?

Zu meiner Mutter musste es durchgedrungen sein, oder ihr Gespür, wann der Punkt gekommen war, war feiner als meines. Nur ein kurzer Satz von ihr, und ich sprang auf und folgte ihrer Anweisung, lief zur Tür hinaus und die Treppe hinunter in die Wohnung meiner Großeltern. Wir folgten immer aufs Wort. Ich sollte nicht weiter dabei sein, die Elfjährige musste noch nicht alles wissen, die erwachsene Schwester ließ sich nicht mehr wegschicken.

Natürlich waren die Großeltern im Bilde, was oben bei uns los war. Die Decken waren hellhörig im Haus. Mein Erscheinen und mein Anblick tat sein übriges, eiligst lief meine Großmutter zur Treppe, ich musste nichts berichten. Wir redeten nicht über sowas. Zu den nun heftig lauten Stimmen im oberen Stock gesellte sich der bellende Ton meiner Großmutter, und ein schrilles Heulen wie von einem verletzen Tier, das ich nicht einzuordnen wusste. Mein Großvater schob mich mit sich zur Hinterseite der Wohnung, hinaus auf den Balkon. Vermutlich war das der Ort, an dem am wenigsten von oben zu hören war. Ich saß steif auf seinem Schoß, seine riesige Hand umschloss meine noch kindlich knöchernen Finger. Ich weinte nicht, denn wir taten das nicht.

Die Stimmen veränderten sich urplötzlich, es war fast still, bis auf das Heulen. War das tatsächlich noch zu hören, oder blieb nur der Nachhall in unseren Ohren gefangen? Die Haustüre fiel ins Schloss, unser Auto fuhr aufheulend weg. Mich hielt nichts mehr zurück, ich rannte los, zurück nach oben.

Meine Mutter war in Ordnung, nur so wütend wie ich sie kaum kannte. Meine Oma bellte weiter in leisem Ton vor sich hin. Mein Vater war offensichtlich weg. Der heulende Ton aber ging über in rotziges Schluchzen, und fassungslos starrte ich auf meine Schwester, die auf ihrem Stuhl am Esstisch saß – und laut weinte. Das war nicht wirklich, konnte nicht sein. Was nur tat sie?

Meine Hände griffen nach dem Geleeglas und dem Deckel, und verschlossen es mechanisch. Dann glitte es mir aus der Hand, als ich zu meiner Schwester stürmte und mich eng an sie schmiegte. Wir würden die Dinge ändern.

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Oh, noch ein Pastorenkind dabei? Das ist ja fein. Evangelische Pastorenpapas scheinen in ganz Deutschland fleischversessen zu sein und einige mit Genuss, oder? Ganz früher (bin Baujahr 1967, also noch vor meiner Zeit) gab es sogar Ställe in den Pastoreien Norddeutschlands. Vielen Dank für den sinnlichen Text, der hätte fast bei uns im Hause auch so stattfinden können. Fast, weil meine Mutter aus einem Künstlerhaushalt stammte und uns jeden Quatsch erlaubte (wenn niemand hinsah). Angenehm unpatriarchalisch bzw. kontrapunktisch. Aber den Brathähnchengeruch aus der Tüte lieb ich auch heute noch, muss ich gestehen! Danke für die Teilhabe, lieben Gruß.

Erstklassige Idee, eine kalabrische Pizza mit der stereotypen Zukunft zu verbinden, wow! Die Feier des Imperfekten - genau mein Motto. Wirklich ein außergewöhnlicher dialektischer Text, gefällt mir sehr, danke für die Inspiration.

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