Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Wow! Starker Inhalt lebendig geschrieben.,

Geschichten aus Gasthaus Kuschelwarm – Yichas Kuchen
(3k Wörter Light-Novel Geschichte)

Richard bemerkte den süßlich-beißenden Geruch sofort, als er mit einigen Holzscheiten auf zerkratzten Unterarmen, durch die Tür des Gasthauses schritt. Er rümpfte die Nase und warf einen flüchtigen Blick auf Yicha, die an einem Tisch in einer Ecke des Gasthauses saß. Ihre jadefarbenen Augen starrten ausdruckslos ins Leere. Trotz der offenen Tür stank der Raum furchtbar nach Verwesung und Spinat.
Richard schaute die bleiche Gestalt verärgert an, »Ich habe dir schon tausendmal gesagt, daß du in der Nähe der offenen Tür und am besten noch bei offenem Fenster sitzen solltest, wenn du dich hier schon aufhalten musst. Dein Gestank vertreibt uns die Gäste.«
Richard ließ die Scheite polternd neben den Kamin fallen und warf ein kleines Stück in die Glut hinein. Umgehend zischte ein Feuerlump freudig auf und schlürfte mit knisternden Geräuschen an dem frischen Holz. Aus dem Glimmern wurde ein kleines Flackern, dessen Lichtschein die Schatten der Stühle und Tische an den Wänden tanzen ließ.
Tote Augen rollten mit einem bösartigen Funkeln in Richards Richtung, bevor Yicha ihre schneeweißen Finger ausstreckte, um nach ihrer Teetasse zu greifen. Ein schlürfendes Geräusch ertönte, als sie ihren geliebten Matcha Tee trank.
»Welche Gäste?«, fragte Yicha in einen unschuldigen Engelston gleich und sah sich bedeutsam um. »Seit Tagen erschien kein Abenteurer mehr und bevor Nala und die anderen, die Vorräte aus der Stadt geholt haben, könnten wir etwaigen Gästen noch nicht einmal viel anbieten.«
»Wir könnten ja noch Tintenfischringe servieren«, höhnte Richard mit einem Blick auf die Küchentür.
Diese wurde unvermittelt aufgerissen und ein nasser Lappen klatschte lautstark gegen Richards Gesicht, bevor er nur versuchen konnte, dem Wurfgeschoss auszuweichen.
Amüsiert beobachtete Yicha die Szene, als das Unvermeidliche geschah.
Eine gewaltige Welle aus roten Haaren und einigen Tentakeln erschien in der Küchentür. Die Besitzerin besagter Dinge verzog ihr schönes Gesicht zu einer Schnute, »Ich könnte auf den Gedanken kommen, dich unseren Gästen zu servieren. Aber wahrscheinlich hätte jeder nur Magenbeschwerden nach dem ersten Bissen. Zu fettig.« Ein Segment ihrer Tentakel wedelte eine bedeutsame Geste auf Richards Leibesumfang, während zwei feingliedrige Arme sich unterhalb ihres großen Busens verschränkten, sodass dieser etwas nach oben gedrückt wurde. Richard sah hastig weg, konnte aber nicht verhindern, dass das Bild, wie ihr tiefer Ausschnitt ihm gefährlich entgegenquoll, ihn laut schlucken ließ.
»Ich habe mich schon immer gefragt, wie Mensch wohl schmeckt«, warf Yicha hilfreich ein. Sie gab ein schmatzendes Geräusch von sich. Ob sie damit den Gedanken an das Essen unterstrich oder den eben getrunkenen Tee komplimentierte, konnte Richard nicht deuten. Er hoffte auf Letzteres.
»Damals im Schloss, als ich noch…«
Richard verdrehte mit einem entnervten Geräusch die Augen und fiel Yicha hastig ins Wort, als er ihre mädchenhafte Stimme imitierte. »…eine mächtige Prinzessin war, die viele hunderte Jahre im Schloss lebte und durch das Attentat zwar nicht tot, aber zu einem untoten kleinen Mädchen verwandelt wurde, und so weiter und so fort, befolgten immer alle was ich befohlen hatte.«
Yicha schnaufte durch ihre Stupsnase. »Was ich eigentlich sagen wollte«, sie verengte ihren Blick auf Richard, »Es gibt nichts Schmackhafteres als Matcha Tee mit Bolo de Castela.«
»Was soll dieses Bolo de Dingsda denn sein?«, fragte Richard.
»Bolo de Castela«
»Was auch immer«
»Es ist eine Art Kuchen aus…«
»Moment lass mich raten, es enthält Matcha?«
»Bei mir schon.«
»Warum bin ich nicht überrascht.«
»Auf jeden Fall ist - es wunderbar und ich hatte - es schon seit Ewigkeiten nicht mehr gehabt.«
Ihre Augen funkelten amüsiert, als Richard sie schräg von der Seite anschaute.
»Wie wäre es«, unterbrach die Gestalt aus roten Haaren die beiden, »wenn wir heute so einen Matcha-Kuchen backen würden?«
Yichas Miene verfinsterte sich. »Das können wir uns niemals leisten. Matcha habe ich zwar genügend auf Vorrat, aber der Rest an Zutaten ist zu teuer für unsere Gemeinschaftskase. Das wird leider nichts.« Sie seufzte, lehnte sich mit hängenden Schultern zurück und sah dem Feuerlump verträumt zu, wie dieser am Holz nagte.
»Hey, Richi, ich habe da glaube eine Idee«, flüsterte das Wesen mit den Tentakeln, als sie sehr dicht neben ihm herantrat.
Er war immer wieder erstaunt wie schnell und lautlos, Arsula sich mit den Tentakeln fortbewegen konnte, wenn sie wollte. Sonst patschte sie immer schusselig durch die Gegend und blieb mit ihren Saugnäpfen an allem hängen.
Ihre Brust berührte Richards Oberarm und er schluckte heftig, als sie sich noch näher an ihn lehnte und in sein Ohr flüsterte, »Wie wäre es, wenn wir Yi eine Freude bereiten und so einen Kuchen backen?«
»Wir haben kein Geld für die Zutaten. Das hat doch Yi schon gesagt.«
»Ja, aber wir könnten hier in der Nähe jagdt auf die entsprechenden Mobs machen und hoffen, daß die Zutaten droppen.«
»Die Drop-Chance ist viel zu gering. Außerdem klingt das nach einem gefährlichen Abenteuer und ich erinnere mich mit Schrecken an das Letzte. Das ist die Sache einfach nicht wert.«
»Nicht die Sache wert? Wie kann man nur so herzlos sein, Yi ist unsere Freundin.«
»Ich werde mein lebendiges Leben nicht aufs Spiel setzen, nur damit die kleine untote Göre einen Kuchen bekommt.«
Arsula war im Verlauf des Gespräches dermaßen nah an Richard gekommen, dass ihr kirschroter Mund sehr dicht vor seinem schwebte. Er trat hastig einen Schritt zurück und knallte mit dem Schienbein gegen Yichas Tisch, sodass die Teetasse bedrohlich zur Seite kippte. Mit einer fast fahrlässigen Handbewegung hätte Yicha die Teetasse wohl vor dem Umfallen gerettet, aber Richard griff instinktiv und fluchend nach Arsulas ausgestreckten Tentakeln. Dessen beträchtliches Körpergewicht riss Arsula mit zu Boden. Ihr spitziger Aufschrei wurde abrupt beendet, als sie gegen Richard knallte. Bei dem Versuch, sich von Arsula zu befreien, verfingen sich seine Hände in der gewaltigen Masse aus ihren Haaren.
»Aua, zieh doch nicht so fest, du Trampel.«
»Ich versuch doch nur aufzustehen, bleib doch mal still.«
Ein rollendes Geräusch wie von Porzellan auf Holz unterbrach die Bemühungen der Streithähne. Beide erstarrten als der ankommende Laut über ihre Köpfe an Lautstärke und Bedrohlichkeit zunahm. Yicha stand mit zusammengezogenen Augen neben Richard »eine kleine Göre, also?«
Über die Tischkante fiel eine Tasse mitsamt Inhalt.


»Verrate mir mal«, sagte Richard griesgrämig, »wie du dich plötzlich so schnell befreien konntest, und nur ich das stinkende Zeug abbekommen habe.«
Er wrang einen Zipfel seines übergroßen Hemdes aus, dicke grüne Tropfen platschten zu Boden.
»Du hast Yi’s Tee verschüttet, dann kannst du als Wiedergutmachung wohl mir helfen, die Zutaten für den Kuchen zu besorgen«, sagte Arsula gut gelaunt, als beide sich von dem Gasthaus Kuschelwarm entfernten. »Yi wird auf Kuschelwarm aufpassen, bis wir zurückkommen.«
»Mhm.«
»Das wird lustig, vielleicht doppt sogar ein epischer Gegenstand?«
»Mhm, aber sicher.«
Arsula knuffte Richard, »sei doch nicht so eine Musmieschel, ein bisschen Bewegung tut dir außerdem auch mal gut.«
Schlecht gelaunt trollte Richard ihr hinterher. »Was brauchen wir den jetzt eigentlich an Zutaten noch?«
Arsula schaute angestrengt drein, als sie sich zu erinnern versuchte, »Honig, Eier und Milch erhalten wir von den MoovooPeo, aber nur der BAM-Typ droppt alles von guter Qualität. Die Standard-Gegner sind wahrlich nicht die Zeit wert.«
»Und wo finden wir so einen BAM-Typ?«
»Wir müssen zuerst ein normales MoovooPeo finden und dieser wird für uns den BAM rufen, sobald sein Nachwuchs sich in Gefahr wägt.«, Arsula lächelte spitzbübisch und zwinkerte, »Früher oder später wird uns eines schon über den Weg laufen.«
Richard gefiel das Wort Gefahr ganz und gar nicht. In dieser seltsamen Welt bedeutet Gefahr meist, dass etwas Größeres und Stärkeres daher gespawnt kommt. Und sie waren nur zu zweit, ohne jegliche Buffs oder Healer. Und er war im Gegensatz zu Arsula, kein Abenteurer. Selbst Arsula war manchmal nicht sonderlich hilfreich bei diesen Unternehmungen. Wollte sie vielleicht den Gegner alleine durch die Gegend kiten?
Gedankenverloren spazierten beide an gigantische Pilze vorbei, an dessen Rändern ein glitzernder Staub mit einem hellklingenden Flüstern zu Boden rieselte. Lilafarbene Grasbüschel raschelten im Wind und die drei Töchter des Lichts leuchteten als große Kugeln am Horizont. In der Ferne hörte Richard das Zischen, Schnattern und Quackeln verschiedener Tiere. Begleitet wurde das bizarre Orchester aus Tiergeräuschen, von den Geklimper kleiner Glasphiolen, die an Arsulas Gürtel hingen.
Richards Füße schmerzten. Sein Rücken brannte von dem Rucksack, der mit jedem Schritt gegen ihn schlug und er musste feststellen, dass sogar sein hintern anfing weh zu tun. »Wie bei dem dreimal dunklen Drogodru, konnte ein Hintern nur vom Laufen schmerzen«, ärgerte sich Richard.
»Ich brauch eine Pause«, stöhnte er und wischte dicke Schweißtropfen aus seinem Gesicht.
»Nun gut, ein paar Minuten können wir verschnaufen, bleibe hier auf dem Weg, ich werde die nahe Umgebung kurz erkunden. Für alle Fälle.«
Richard hörte gar nicht mehr weiter hin, was Arsula sagte, als sie sich von ihm entfernte. Er war dermaßen erschöpft, dass er so schnell nicht mehr aufstehen würde und er eine ausgiebige Brotzeit bräuchte, um wieder zu Kräften zu kommen.
Braune Einpackblätter raschelten mit dem Grass um die Wette, als er Verpackungen gierig aufriss und zwei große Purrito in den Händen hielt. Speichel floss wie ein ansteigender Fluss bei schweren Regen in seinem Mund zusammen, als er einen Übergroßen bissen davon as. Feuergeröstetes Nachtfleisch in süßsauer creme, garniert in weichen Arkanblättern. Welch ein Hochgenuss. Richard schlang den ersten Purrito in wenigen Happen hinunter. Er spürte einige Haare auf der Zunge und spuckte sie angewidert aus, während er automatisch zum zweiten Purrito griff.
Seine Hand ergriff etwas Pelziges. Hastig zog er sie zurück und starrte verblüfft auf das Ding, das versuchte ein Purrito aus dem Rucksack zu ziehen.
Es sah aus, wie ein übergroßes Küken, das anstatt Federn, mit einem braunen Pelz bedeckt war. Kleine schwarze Knopfaugen schauten erst von Richard, dann auf den zweiten Purrito. Der dunkle Schnabel des Küken-Dings pickte danach und schluckte hastig einige Brocken hinunter.
»Hey, lass das gefälligst, das gehört mir«
Richard wedelte mit seiner Hand herum und riss den Purrito nahezu aus dem kleinen Schnabel des Dings.
Das Küken-Ding gab ein leises herzereißendes Fiepsen von sich und musste mitansehen, wie Richard den größten Rest des Purrito verschlang. Das Ding kratze mit seinem Fuß gegen den Rucksack und machte Anstalten seinen Kopf hineinzustecken.
»Verschwinde, das gehört mir.«
Richard seufzte, als er genervt feststellte, dass das Küken einen weiteren Purrito aus dem Rucksack hervorzog, und damit davon watschelte.
»Das darf wohl nicht wahr sein.«
Richard schnaufte dem Ding hinterher und holte es nach kurzer Zeit ein und zog an dem Purrito. Überraschenderweise war das Ding stärker, als es aussah und zog selbst mit großer Kraftanstrengung.
»Wenn irgendjemand mich sehen würde, wie ich mit einem dahergelaufenem Küken, um mein Essen Seilziehe muss…«
Nach einigen hin und her, riss Richard derart unsanft den Purrito aus dem Schnabel des Undings, dass das Küken mit einem lauten, mitleiderregenden Piepen zu Boden geworfen wurde.
»Das hast du nun davon, mein Rucksack, mein Essen«, schmatzte Richard.
Sein letzter Bissen blieb ihm im Hals stecken, als er das Geräusch in der Ferne hörte.
Ein bedrohliches Brummen. Wie von einer fetten Hummel, bloß um einige Oktaven tiefer. Er konnte spüren, wie der Boden unter ihm vibrierte oder war es die aufkeimende Angst, die seine Beine zittern erlies?
Hektisch schaute Richard sich um. Vielleicht blieb das Brummen in der Entfernung und zog vorüber.
Richard schlich mit bedächtigen Schritten zurück zu seinem Rucksack. Er würde sich kurzerhand hinter einen der großen Pilze verstecken und auf die Rückkehr von Arsula warten.
»Das ist eine großartige Idee«, lächelte er in sich hinein und näherte sich einen der Pilze, als mehrmaliges Piepsen ertönte und das Küken-Ding ihm hinterherrannte. Es klang fast wie eine Anschuldigung.
Richard drehte sich um und konnte seinen Augen nicht trauen. Das Küken-Ding war nicht mehr alleine. Vielleicht hätte er das Ding irgendwie loswerden können oder davonrennen, aber hinter dem Küken flog ein BAM, genau in seine Richtung.
Das Brummen ließ Richards Zähne klappern und seine Brust fühlte sich schwer, sodass er kaum Luft bekam.
Zu seinem Schreck sah das BAM einer verzehrten Hummel ähnlich. Unter seinen vier gewaltigen durchsichtigen Flügeln schien ein kokonartiger Rumpf zu hängen, dass weiter nach unten in einer Art Gesicht endete, dass widerum von einigen pelzähnlichen Auswüchse umgeben war. Den gleichen Pelz, wie das Küken, wie Richard bestürzt feststelle.
»Äh, du kannst alles in dem Rucksack haben, wenn du willst, ich habe sowieso keinen Hunger mehr«, sagte Richard, der trotz knurrenden Magens dem Küken die restlichen Purritos zu warf. Dieser fing eines juchzend auf und rannte glücklich fiepend davon, im Hintergrund kam das BAM näher und näher.
Richard sah entgeistert der Gefahr entgegen. Der von den Flügeln aufgebrachte Wind schlug gegen seinen Körper und hatte ihn fast umgeweht.
»Richi, du hast ein MoovooPeo gefunden und ein BAM angelockt, das hast du gut gemacht«, rief Arsula und stürmte angriffslustig dem BAM entgegen, als sie wie aus dem Nichts hervorgeschossen kam.
Richard brachte sich hinter einen Pilz in Sicherheit. Steckte seinen Kopf hinter dessen Stiel hervor und sah wie Arsula ihre Hand mit dem Data-Ring hob und unter einem Lichtergeschwirr manifestierte sich ein Dreizack.
»Do ut des«, rief Arsula ihren Schlachtruf, packte ihren Dreizack fester und griff an. Haare wirbelten wie wild um sie, als sie mithilfe der Tentakel zu einem gewaltigen Sprung ansetzte. Das Monster drehte in einer geschmeidigen Bewegung in der Luft zu Arsula und zwei gigantische Stacheln flogen wie abgeschossene Armbrustbolzen ihr lautpfeifend entgegen. Ein Geschoss wurde vom Dreizack in der Luft zur Seite geschlagen, während sie dem zweiten spielerisch auswich.
Tief bohrten sich die Geschosse in den Boden und um den Einschlagskrater fing das Grass an zu verwelken. Rauch stieg empor.
Arsula hob ihren Data-Ring, konzentrierte sich kurz, griff nach ihrem Gürtel, an dem einige kleine Glasphiolen hingen, und warf eine Flasche der Kreatur entgegen.
Mit einem Knall zerbrach diese mitten in der Luft und eine schwarze, klebrige Flüssigkeit klatschte gegen die Kreatur. Verzweifelt versuchte dieses, mit den Flügeln zu schlagen, und wütete mit pelzhafte Auswüchse wild um sich.
Arsula durchbohrte einen Flügel, stieß sich von der Kreatur mit einem Rückwärtssalto wieder hoch in die Luft und führte bei dem herunterfallen einen kraftvollen Stich in das kokonartige mittlere Segment der Kreatur. Wütend schrie diese auf und verschoss blindlings weitere Geschosse.
Arsula hob wieder ihren Data-Ring und mit einer schnellen Schlagabfolge, durchbohrte sie das BAM an mehrere Stellen nahezu gleichzeitig. Ein Gemisch, der aus gelben Schleim und Blut bestand, spritzte in alle Richtungen und der letzte Schlag der Angriffscombo, ließ einen knisternden Blitz aus der Spitze des Dreizacks entfahren, der die Kreatur in Stücke zerriss. Ihre Segmente explodierten in gelben Schleim, zerbrochenem Chitinpanzer und Flügelstücke auseinander. Ein großer Schwall Schleim klatschte gegen Richards Gesicht. Angeekelt wischte er über sein Gesicht, als aus dem Nichts eine kurze Siegesmelodie zu hören war.
»Herzlichen Glückwunsch, Abenteurer. Sie haben ein BAM-Level 10 erledigt. Erfahrungspunkte wurden ihrem Konto gutgeschrieben. Etwaige Items wurden gedroppt.«, ertönte eine angenehm weibliche Stimme ringsherum. Arsula schaute vergnügt auf ihren Data-Ring und dann auf den Boden vor sich. Neidisch fragte Richard, »Und? Wurden die Zutaten gedroppt? Irgendwas Gutes gedroppt?«
Arsula grinste ihn breit an. »Wo ist dein Rucksack?«


Richard rief zum ungezählten Male seine Frage zur Küchentür im Gasthaus Kuschelwarm. Und wiederholt bekam er von Arsula dieselbe Antwort zurück. »Er sei gleich fertig«.
Yicha saß Richard gegenüber. Eine Augenbraue ging fragend nach oben, als sie Richards Blick erwiderte.
»Also im Prinzip habe ich ja die meiste Arbeit gemacht. Ich habe praktisch im Alleingang das MovooPeo gerufen, während Arsula sich nur ausgeruht hatte. Sie konnte kaum mit mir Schritt halten. Am Ende hatte sie das Ding durch einen einfachen Spruch blind gemacht und der Rest war ein Kinderspiel. Selbst ich hätte das geschafft.«
»Hättest du einen Data-Ring, wären für dich mit Sicherheit ein paar Erfahrungspunkte drin gewesen«, meinte Yi.
Richard schaute verdrießlich auf seine Finger. Er konnte nicht begreifen, warum ausgerechnet er, bei der damaligen Ankunft in dieser Welt keinen Data-Ring erhalten hatte.
Seine dunklen Gedanken wurden unterbrochen, als die Küchentür aufflog und ein herrlich duftender Kuchen von Arsulas Tentakeln auf dem Tisch abgelegt wurde. Die Abdrücke der Saugnäpfe störten Richard ausnahmsweise nicht, denn der süßliche Geruch mit der sahnigen Note dahinter, strömte verlockend durch den Raum.
Ein weiterer Sturzbach begann in Richards Mund zu entstehen und griff nach einem großem Stück Kuchen.
»Aua«, rief Richard und rieb sich seine Hand. Eine rote Umrandung eines Saugnapfes war darauf sichtbar.
»Yicha darf das erste Stück auswählen, schließlich ist es unser Geschenk an sie.«
»Okay, okay. Aber mach schnell, ich verhungere.«
Yicha nahm sich ein kleines Stück und biss hinein. Träumerisch schloss sie die Augen. Mit gierigen Blick verfolgte Richard jede Kaubewegung.
»Schmeckt genauso wie ich es mir vorgestellt habe. Ausgezeichnete Arbeit Arsula«
Arsula strahlte und errötete. Während Yicha und Arsula jeweils einen dezenten Bissen zu sich nahmen, schaffte Richard, nahezu ein komplettes Stück Kuchen in derselben Zeit zu verschlingen.
Die Honignote deckte den sahnigen Genuss vollends ab. Er hatte angenommen, dass das Matcha alles ruinieren würde, aber das Gegenteil war der Fall, es veredelte die Gesamtnote. Es sah zwar komisch grün aus, aber das ginge schon in Ordnung. »Herrlich«, sagte er und hielt sich die Hand vor dem Mund, um ein Aufstoßen mehr oder weniger dezent damit zu verdecken.
Die Eingangstür wurde mit einem Quietschen aufgemacht und eine freudige Stimme rief, »Wir sind wieder da, die anderen verladen draußen das Zeug noch vom Karren und kommen gleich nach.«
»Hast du alle Vorräte kaufen können?«, fragte Arsula an Nala gewandt.
»Ja«, antwortete Nala und blinzelte mit großen Katzenaugen mehrmals den drei entgegen.
Richard verdrehte die Augen. Hatte sie nun ja gesagt oder nur gemiaut. Das war immer schwer zu sagen. Manche Leute können ihr Rollenspiel wirklich übertreiben.
»Wir hätten dir gerne noch Kuchen angeboten, aber Richard hat eben alles aufgegessen.«
Richard machte ein unschuldiges Gesicht.
»Nein danke, das Kuchengedönse und Süßigkeiten schmeckt mir nicht. Ich frage mich, wie ihr das nur runterbekommen könnt. Ich bleib lieber bei meinen Purritos, freue mich seit Stunden schon darauf.«
»Äh, meinst du die, die in der Küche waren?«
»Mja, warum?«
»Die hat er auch vorhin alle gegessen.«
Gelbe Katzenaugen richteten sich mit einem gefährlichen Funkeln auf Richard. Nicht mehr blinzelnd, sondern fokussierend und angriffslustig. Richard schluckte. »Ich dachte die waren für alle gedacht«
»Das waren sie eigentlich auch, aber du hast ja trotzdem alle verschlungen«
»Dann musst du eben noch mehr machen«
Die anderen verfolgten das Gespräch, als wäre es ein interessantes Ballspiel.
»Richi, du frisst mir noch die Schnurrharre aus dem Gesicht.« Einige ihrer Schnurrhaare wackelten tatsächlich dabei, als sie ihr Gesicht verzog.
»Wenn Arsula nicht das Kochen übernommen hätte, wäre auch genau das passiert. So viele Haare wie du immer überall verlierst und dann immer im Essen landet. Übrigens waren auch im Purrito wieder Haare von dir, das ist ganz schön ekelhaft.«
Ihre Katzenohren zuckten gefährlich. »Hast du gerade gesagt, ich sei ekelhaft?«
Richard lief rot an. »Nein, so meinte ich das nicht.«
»So etwas sagt man nicht zu einer Dame. Na warte, wenn ich dich in meine Pfoten bekomme.«
Nala jagte Richard hinterher, der seiner Körpermasse zum Trotz, beachtlich schnell um die Tische rannte. Arsula lachte und Yicha verzog ihre Mundwinkel zu einem winzigen Lächeln, als sie das Theater beobachtete und nach ihrer Teetasse griff.
Nur der Feuerlump im Kamin nahm keinerlei Notiz von dem Schauspiel und knusperte an ein Stück Holz.

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Die Grünkohlerfahrung

Es waren fast alle da. In der Wohnung meiner Großeltern zu stehen und mit der Restfamilie den Haushalt aufzulösen, erschien mir surreal. Mit meinen 26 Jahren kam ich mir vor wie das kleine Kind von früher. Ich war erwachsen, aber nicht so sehr wie die anwesenden Onkel und Tanten und Mütter. Erinnerungen ploppten auf. Erinnerungen, die sehr verschwommen, durch die Anwesenheit an diesem Ort immer klarer wurden. Die Wahrnehmung war mittlerweile eine andere. Als Kind glaubt man, dass alles immer so bleibt, wie es gerade im Moment ist. Die Entwicklung spürt man kaum, lediglich Erinnerungen zeugen von etwas ganz anderem. An diesem Tag wurde mir das besonders bewusst. Alleine kam ich mir vor. Bei den Großeltern zu Besuch nach langer Zeit. Heute sind sie alle gekommen. Gekommen, um ein Haus zu besuchen. Ich war zu schon länger nicht mehr an diesem Ort. Beim letzten Mal lebte wenigstens sie noch, obwohl sie eigentlich auch schon gegangen war. Sie wurde auf irgendeine Art verrückt, nachdem sie ihn verlor. Am Tag seiner Beerdigung habe ich Omi nach langer Zeit wieder gesehen. Sie war an diesem Tag schon eine andere. Die lange und schwere Krankheit meines Opas kannte ich nur aus Erzählungen meiner Mutter. Wir haben uns lange nicht gesehen. Zu unterschiedlich waren wir. Wir legten wohl beide keinen Wert darauf. Seine Beerdigung war … ich weiß es nicht mehr. Ein Friedhof, ein Priester, eine Holzkiste. Das sieht man in Filmen. An diese Beerdigung kann ich mich nicht erinnern. Dabei war es mein erster Abschied dieser Art. Bei den Begräbnissen, denen ich später beiwohnte, sieht es allerdings ähnlich aus. Am Ende war ich am besagten Tag nur traurig darüber, dass Omi keinen Mann mehr hatte, nach über fünfzig Jahren. Ich hatte keinen Großvater mehr. Als Kind hatte ich noch einen. Einen, zu dem ich aufsah. Einen, das allerlei Zeug gemacht hat, was Kinder für den Moment faszinierte. Als ich älter wurde und zu einem jugendlichen Chaoten heranwuchs, der ich wohl auch heut noch manchmal bin, hatte ich den unwissenden und verklärten Blick verloren. Mama war keine Heldin. Papa war weit weg. Ich kannte ihn nicht und hatte ihn nur einmal gesehen. Opa war auch kein Held mehr für mich. Ich hatte mich vor seinem Tod schon von ihm verabschiedet, ohne dass er oder irgendjemand es gemerkt hätte. Am Ende ist dies jedoch eine andere Geschichte, die auch an einer anderen Stelle erzählt werden sollte. Es geht doch eigentlich nur um meine Omi. Diese in meiner nebulösen Erinnerung immer arbeitende Frau, sie war durch und durch Hausfrau, hatte sich für ihre Kinder, Geschwister, Enkel und besonders für ihren Mann krumm gemacht. Das war scheinbar der Sinn ihres Lebens.

Omi war eine dieser Kittel-Frauen, die man in den siebziger und manchmal noch in den achtziger Jahren durch die Gärten laufen sah, in einem Arm ein Kind oder Enkelkind, im anderen Arm den gefüllten Wäschekorb. An einer Schulter baumelte meistens noch ein Beutel randvoll mit Wäscheklammern. Diese Omis, ich dachte damals, dass die Kittel-Frauen alle Omis wären, waren wie die Häschen aus der Batteriewerbung. Einmal in Gang gesetzt, kannten sie keine Ruhe und legten los, ohne Pause. Nach der Wäsche noch schnell das Essen zubereitet, die Wohnung geputzt, die Kinder und Enkel erzogen. Einkaufen, nicht zu vergessen und die stundenlangen Bügelarien … das war ihr Metier. Als Batterie dienten den Kittelfrauen scheinbar nur Essen, Trinken, ein wenig Schlaf und ihr unglaubliches Pflichtbewusstsein.

Omi war nie krank. Sie konnte es sich, trotz halber Lunge auch nicht erlauben, da ansonsten nahezu alles zusammengebrochen wäre. Es war eine andere Zeit damals. Die Gleichberechtigung stand in den Startlöchern. Dafür hatte Omi aber keine Zeit. Auch bekam sie nur die gefilterten und kommentierten Nachrichten durch meinen Opa mitgeteilt. Seine Sicht der Dinge war eine andere, eine sehr alte Sicht. Oma musste, wie viele Damen in ihrem Alter einfach nur funktionieren. So war das damals. Sie konnte aber wirklich fast alles. Das, was mir von ihr besonders im Gedächtnis geblieben ist, war merkwürdigerweise ihr Essen. Sie war natürlich auch herzlich und kümmerte sich gut um alle. Zumindest habe ich hier leicht verklärte Erinnerungen, die diese Thesen stützen. Sie schenkte mir bei jedem Besuch eine Tafel Schokolade, eingeschlagen in violettem Papier. Auch bekam ich von ihr immer wieder Geld zugesteckt, sogar noch sehr lange. Das Materielle deckte sie ganz gut ab. Ich erfuhr später, dass sie die Taschengelder der Enkel, durch die Haushaltskasse, am Familienvorstand vorbei mogelte. Doppelte Buchführung? Keine Ahnung, wie sie das mit drei Enkelkindern geschafft hat. Opa durfte davon angeblich nichts wissen.

Omi war für uns Enkel eine Wucht. Als Kind hat man allerdings nicht alles mitbekommen. Man war halt noch doof und musste sich nach und nach die Zusammenhänge erschließen. Aber das soll nicht das Thema dieser Erzählung sein. Egal wie alt ich war, egal wie dumm, wie schlau, wie brav, wie rebellisch … eine Sache veränderte sich nie. Omi konnte kochen. In unserer gemeinsam verbrachten Lebenszeit schaffte sie es, fast ausnahmslos gut zu kochen. Ich kann mich nur an wenige Gericht erinnern, die mir nicht geschmeckt haben. Als Kind fragte ich mich immer, warum sie kein Restaurant aufgemacht hat und warum sie diese Kunst nur auf den Alltag und auf Familienfeste angewandt hat. Rückblickend betrachtet fehlte ihr wohl die Zeit. Ich vergaß zu erwähnen, dass fast täglich frisch gebackener Kuchen am nachmittäglichen Kaffeetisch zu finden war. Alles frisch, zumeist mit Obst aus dem eigenen Garten.

Ich möchte nun noch einmal zum Anfang dieser kleinen Geschichte zurück kommen. Omi war tot. Opi war ein Jahr zuvor vorausgegangen. Die Mietwohnung in einer idyllischen Zechenhaussiedlung musste aufgelöst werden. Die Beerdigung meiner Oma lag ein paar Wochen zurück. Die anwesenden Familienmitglieder berieten sich und entschieden, dass der Großteil des Mobiliars veräußert bzw. verschenkt werden soll. Hier war kein Platz für Sentimentalität. Die Möbel waren alt und eher als Kitsch zu bezeichnen, oder sogar als Steigerung davon. Zwei Schränke, recht zeit- und schnörkellos, sollten einen Platz in meiner kleinen Wohnung finden. Das freute mich, da ich finanziell nicht sehr gut aufgestellt war. Ich war inmitten einer Ausbildung und musste nebenbei noch jobben, damit ich meine Wohnung bezahlen konnte und auch ansonsten einigermaßen klarkam. Im Keller fand ich noch eine alte Kommode, die ich für mich beanspruchen durfte. Ich inspizierte am Ende noch den Haushaltskeller. Haushaltskeller ist nicht der richtige Ausdruck. Es war eigentliche eine kleine Katakombe mit Steinbadewanne und Waschmaschine. Unter der Decke waren noch die Schlechtwetterleinen gespannt. In diesem Raum stand auch noch Omas Gefriertruhe. Sie war riesig. Ich erinnerte mich daran, dass ich als Kind von dieser Truhe immer fasziniert war. Jeder den ich kannte, hatte zuhause allenfalls ein Gefrierfach im Kühlschrank. Das Monstrum, das hier vor mir stand, war so groß wie eines jener Exemplare, die man sonst nur aus Supermärkten kannte. Omi hatte viel eingefroren früher. Zum Zechenhaus gehörte damals noch ein großes Gartenstück. Das wurde nach dem Krieg für wenig Geld an Interessierte vermietet oder verpachtet. Opa hatte damals schnell geschaltet und sicherte sich eine kleine Parzelle. Insgesamt war dieses kleine Stück Land so groß wie ein Fußballfeld. Jahrelang baute Opa hier Obst und Gemüse an. Selbstversorger vom Feinsten. Nach der Ernte wurde eingelegt, blanchiert, gekocht, vakuumiert, eingetuppert und dann eingefroren. Das war Omas Job. Da sehr viel geerntet wurde, gab es auch eine große Gefriertruhe.

Es war dieselbe Truhe, die ich an diesem Nachmittag vor mir stehen sah. Sie musste mindestens zwanzig Jahre alt sein. Deutsche Wertarbeit, dachte ich. Dieser Gedanke hätte Opa gefallen. Eine kleine grüne Lampe verriet mir, dass sie angeschlossen und eingeschaltet war. Ich weiß noch, dass ich es war, der die Truhe öffnete. Ich war alleine in diesem Raum. Aufgeregt war ich. Der Inhalt war allerdings enttäuschend. Ich rief ich den Rest der Sippe herbei und zeigte den dürftigen Fund. Es waren mehrere Kuchen, diverse Beutel mit Kohlrabi und Rosenkohl und zwei Plastikdosen, die mit einem Klebeschild versehen waren. Mein Onkel trat neben mich. Er trennte wortlos den Froster vom Netz und teilte dann mit, dass wir die Lebensmittel entsorgen müssen. Die Tatsache, dass Omi vor ihrem Tod schon länger krank war, bedeutete für ihn, dass die eingefrorenen Lebensmittel schon lange an diesem Ort und wohl nicht mehr genießbar waren. Alle anwesenden Erwachsenen, mich eingeschlossen gaben ihm recht. Es musste stimmen. Wir machten uns daran, die Beutel und Dosen zu entsorgen.

Abends saßen wir alle noch beisammen. In einem Stuhlkreis im ehemaligen Wohnzimmer meiner Großeltern. Rückblickend betrachtet, war auch das surreal. Es musste aber sein. Wir waren eine Familie. Dass wir uns nichts zu sagen hatten, war an diesem Abend nicht wichtig. Es wurden alte Anekdoten ausgetauscht. Erinnerungen, die nichts mit meinen zu tun hatten. Jede davon hatte ich mindestens … ich weiß nicht, wie oft gehört. Das musste so sein. Das machte uns wohl zu einer Familie. Ich habe an diesem Abend oft auf die alte Wanduhr geschaut. Ich weiß gar nicht, was aus ihr geworden ist.

Als ich später endlich nach Hause kam, wollte meine damalige Freundin von mir wissen, wie mein Tag war. Ich berichtete knapp. Der Tag war, wie ich es erwartet hatte. Das gab ich ihr zu verstehen. Es war in Ordnung. Ein nettes Familientreffen, mit lustigen Momenten. Ich hatte sie belogen, weil es sie einfach nichts anging. Ich mochte sie am Ende wohl nicht genug. Wir haben uns zwei Jahre später einvernehmlich getrennt. An diesem Abend erzählte ich ihr aber von den Schränken, die wir am nächsten Tag abholen sollten. Dann präsentierte ich ihr noch eine Wildlederjacke mit Strickärmeln, die früher einmal meinem Opa gehörte. Ich hatte das gute Stück nie an ihm gesehen. Nachdem ich wenig ausführlich Bericht erstattete, holte ich eine Plastiktüte aus meinem Rucksack. Sie war etwas feucht. Kondenswasser tropfte auf den Teppich, als ich leicht nervös versuchte, den darin befindlichen Gegenstand herauszuholen. Ich habe ihre fragenden Blicke bemerkt, reagierte jedoch nicht.

Ich drehte den Behälter in meinen Händen. Als ich ihn im Keller heimlich einsteckte, hatte ich kaum Zeit dafür, ihn genauer zu inspizieren. Die Dose war rot. So ein altes Rot, was schon fast orange wirkte. Verschlossen mit einen weißen Deckel. Die klassische Tupperdose von anno Tuck. Auf dem Klebeetikett stand handschriftlich, aber sehr leserlich geschrieben: „Grünkohl/Kartoffeln“. Omas Schrift. Ich glaubte das allerdings nur. Wie ihr tatsächliches Schriftbild aussah, weiß ich nicht. Wer sollte die Dose sonst beschriftet haben?

Ich redete an diesem Abend nicht mehr viel. Wie sich jeder denken kann, habe in dieser Nacht ein denkwürdiges Mahl zu mir genommen. Es war ausgesprochen lecker. Seit ich denken konnte, habe ich viele Gerichte gerne gegessen. Manche habe ich sogar geliebt. Es gab aber auch Mahlzeiten … manchmal bin ich sogar freiwillig ohne Essen ins Bett gegangen. Zu diesen Mahlzeiten gehörte damals, ihr könnt es euch denken … Grünkohl! An diesem Abend wurde ich scheinbar davon geheilt.

Ich habe die Mahlzeit sehr vorsichtig in einem meiner zwei Töpfe aufgewärmt. Danach richtete mir den Inhalt auf einem meiner schönsten Teller an, öffnete mir ein Bier und genoss dieses gehasste Gemüse, samt Matschkartoffeln. Ähnlich wie bei der Zubereitung, ging ich hier sehr achtsam ans Werk. Ich habe jeden Bissen intensiv geschmeckt, gefühlt und geschluckt. Das war ich meiner Oma und mir schuldig. So dachte ich damals. Der Teller war am Ende leer. Ich aß alleine. Teilen wollte ich die Mahlzeit nicht. Ein wenig beleidigt war meine Freundin schon, aber diese Kleinigkeit stand nicht lange zwischen uns. Da gab es wichtigere Themen.

Überrascht, wie vorzüglich mir dieses gehasste Gemüse schmeckte, saß ich später auf meiner durchgesessenen Couch und war mehr als zufrieden. Ein Teil in mir dachte: „Mann, du bist so krank.“ Eine andere Stimme sagte zu mir: „Junge, das war so lecker. Hey, das hat deine Oma gekocht, bevor sie verrückt geworden und dann gestorben ist.“

Es hätte Omi gefreut, mich so zufrieden zu sehen, denke ich. Ihren Grünkohl wollte ich früher nie essen, niemandes Grünkohl. Ich liebte ihre Bratkartoffeln, deftig mit Speck und Zwiebeln, dazu ein gut gebratenes Spiegelei, bei dem das Eigelb herausläuft und sich seine Weg über die Kartoffeln bahnt. Nudeln mit Tomatensoße – das war mein Leibgericht. Das konnte zwar jeder, aber meine Oma am besten. Ihre Frikadellen, die grobe Bratwurst, das gegrillte Hähnchen und nicht zu vergessen … der Braten im Schlauch. Den habe ich zum letzten Mal vor vierzig Jahren gegessen. Es war eine Wucht, genauso wie die handgefertigten Kartoffelklöße, die sie bei besonderen Gelegenheiten servierte. Sie hatte eine Menge Arbeit da reingesteckt und das schmeckte man auch. Ich könnte noch viele doch Leckereien aufzählen, werde jedoch jetzt zum Ende kommen.

Ich denke, dass meine Oma eine Kleinigkeit in Gang gesetzt hat bei mir. Ich weiß nicht, ob es an der Grünkohlerfahrung lag, oder daran, dass ich irgendwann doch erwachsen wurde. Kurz darauf mochte ich zumindest auch Oliven, die ich bis dato immer verabscheute. Ich habe ihnen eine Chance gegeben. Auch Hirtenkäse hatte es mir irgendwann angetan. Dieser war mir als Kind ein Gräuel. Ich habe ihn einfach noch einmal versucht. Eine Lehre hat diese ganze Geschichte nicht. Es ist für mich nur eine schöne Erinnerung, eine Verbindung zu dem Kind und dem jungen Mann, der ich einmal war. Das war es schon.

Nachtrag

Ich hatte irgendwann, als das Internet endlich die Welt erreicht hatte und es auch nach und nach gefüllt war mit allerlei Wissen, den Begriff „Grünkohl“ in die bekannteste Suchmaschine eingegeben. Ich ergänzte meine Suche noch durch die Wörter „Haltbarkeit“, „Gefrierschrank“ und „gegart“. Macht das mal. Hätte ich damals schon Zugriff auf diese Informationen gehabt, wäre mir die Grünkohlerfahrung wohl entgangen. Es war eine schöne Zeit damals.

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Für mich, eine Neunjährige, schmeckt der Aufbruch ziemlich übel. Der Geruch ist sehr ungewöhnlich, er begleitet mich auch heute weiterhin. Ich rieche ihn von Zeit zu Zeit noch immer. Erdig, blutig und ein Hauch widerlich. Der Geschmack, die Textur des Fleisches, so unterschiedlich wie jedes Stück aus dem er besteht. Der Aufbruch wie der Jäger die Innereien des Wildes bezeichnet, z. B. die Leber, die Nieren, die Lunge oder das Herz. Dies Alles soll ja auch ziemlich gesund sein. Für uns Kinder war es einfach nur ungenießbar. Es gibt viele Rezepte zur Zubereitung. Lecker mit Kartoffelbrei und Röstzwiebeln. Guten Appetit!

Das Reh hat vor kurzem noch gelebt. Eine wunderschöne braune und weiße Farbe, eine stattliche Größe. Erschossen, ins Auto geladen und aufgehängt im Keller, blutet es aus. Tropfen für Tropfen. Jede Wärme entweicht. Die Augen sind trüb geworden. Ein metallischer Duft umwirbelt diese bizarre Szene. Wir werden es essen. Nein, nicht das richtige Fleisch. Für uns bleiben nur die Reste übrig. Das Genießbare wird verkauft. Ein Rehbraten oder eine saftige Rehkeule, wird bei einem Ehepaar am Sonntag für ein leckeres Essen mit Blaukraut und Klößen sorgen. Guten Hunger!

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Bedächtig und ehrfürchtig einem fündigen Schatzjäger gleich hob ich das Notizbuch vom staubigen Boden des Dachspeichers auf. Der edle Wildledereinband war mit der Zeit leicht rissig geworden, und als ich vorsichtig die erste Seite des Buches aufschlug, stammelte mein Atem jämmerlich. „Gertrudes Koch- und Backrezepte“ stand da auf dem zaghaft gegilbten Papier in der makellosen, schleifenreichen Handschrift meiner von mir so sehr geliebten Großmutter. Wie sehr hatte ich diese schöne Schrift vermisst, die mehr Ordnung und Adrettheit auszustrahlen vermochte als mein ganzes chaotisches Leben. Meine Oma war vor dreiundzwanzig Jahren hingeschieden, und jener Tag hinterließ bis zum heutigen Tage noch ein kleines schwarzes Loch in meiner Brust. Umsichtig schlug ich die ersten Seiten auf, mir behagten die sorgfältig geschriebenen Zutatenlisten und Rezeptanweisungen. Einer stürmischen Eingebung folgend blätterte ich dann doch schnell im Büchlein, bis meinen Augen die erhofften Wörter gewahr wurden: „Schokoladenküchlein mit flüssigem Kern“. Ein Jauchzen stahl sich aus meinen Lippen, allerdings mit einem traurigen Unterton, der von meiner Wehmut erzählte. Es machte sich eine wohlige Wärme wie jene, die der Ofen von Oma Gertrude ausstrahlte beim Backen dieser zuckrigen Küchlein, in meiner Brust breit. Dieses Gericht war meine Kindheit, und nun hatte ich die Gelegenheit, diese wieder aufleben zu lassen. Ich hielt das Buch an meine Brust und kletterte eilig die Dachbodenleiter runter. Berauscht drängte ich zur Küche. Wie ein wertvolles Artefakt legte ich das Rezeptebuch auf den Küchentisch und las die Zutatenliste. Ich wuselte durch die Küche, eine sommerleichte Melodie auf meinen Lippen, und stellte freudig fest, dass ich alles Benötigte bereits da hatte. Beseelt machte ich mich gleich an die Arbeit. Ich schmolz die Butter und die Schokolade, rührte beides mit Schlagsahne und ein wenig Kaffeepulver zusammen. Die Belohnung folgte alsgleich, denn bei dem Geruch, der sich ausbreitete, konnte ich nicht umhin die Augen zu schließen und sich in Gedanken dem Vergangenen hinzugeben. Süß, schokoladig und schwer roch es damals wie jetzt, mit einer leichten Kaffeenote. Im Winter, sobald ich und Mama die Haustüre öffneten und über die Türschwelle gingen, vernahmen wir diese Duftnoten an besonderen Tagen sogleich. Wir legten freudig unsere Jacken und Schals ab und setzten uns mit lustig grummelnden Mägen an den Tisch. Begierig und aufgeregt schaukelte ich mit den Beinen ein gutes Stück über den Küchenboden, klein war ich noch. Unsere Oma schalt uns, dass wir noch warten werden müssen. Ich konnte er kaum erwarten. Heute würde ich hundert Jahre warten, um noch einmal von meiner Oma getadelt zu werden, mit dieser rauchigen Stimme, die immer so viel Unbeschwertheit als Beigeschmack hinterließ. Nur noch einmal an diesen schweren schwarzen Holztisch mit deutlicher Maserung sitzen können, in der altmodischen aber heimeligen Küche, mit den Kristallgläsern und silbrigen Tabletts drauf. Ich öffnete die Augen im Hier und Jetzt, damit ich nichts anbrennen ließ, formte aus der Masse mehrere Kuchenkerne und tat sie ins Gefrierfach. Dann machte ich mich an die Zubereitung des Teiges, natürlich benutzte ich keinen Mixer sondern handhabte es, händisch umzurühren, und hatte gleich die definierten Unterarme der Mütterchen vor Augen, die den Teig fachmännisch rührten. Schnell den Teig in die Förmchen einlassen, und nach einer Weile, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, tat ich die Küchleinkerne in den Teig und verschloss sie in diese. Dann ging das Ganze in den Ofen – zum Glück zog ich meine Eieruhr auf, denn die ganzen zwanzig Minuten über die das Mahl brauchte stand ich nur davor mit glasigen Augen und war ganz in der Vergangenheit gefangen dank dem sich verbreitendem Aroma und der Wärme. Es war, als würde ich meine eigene Kindsgestalt vernehmen, wie sie lachend an mir vorbeirauschte, auch wenn Rennen in Omas Küche streng verboten war. Und die tiefe Stimme meiner Großmama wieder vernehmen. Sie redete so, wie eine Schildkröte reden würde, wenn sie denn könnte. Krächzend, wohlig, herbststimmig. Und warm wie dieser Ofen aus damaliger Zeit wie auch jener aus jetziger Zeit. Diese Wärme ließ mich in die damalige Zeit gefrieren. Erst das schrille Klingeln der Eieruhr weckte mich aus den Erinnerungen. Für einen gnädigen Moment wusste ich nicht, wo ich war, dann wurde mir aber klar, dass diese Zeit schon lange rum ist, unwiderruflich, so wie die Zeit von meiner Großmutter. Ich wischte mir eine Träne weg, deren Fließen mir nicht bewusst war, und entnahm eilig das Essen aus dem Ofen. Es sah perfekt aus, fluffig und rund. Ich stürzte sogleich das erste Stück kopfüber auf einen Teller. Ich konnte nicht einmal die Geduld aufbringen, mich hinzusetzen. Dann brach ich mit dem Löffel die Hälfte des süßen Gebäcks weg, und sogleich ergoss sich flüssige dunkle Schokolade schnell und wunderbar über den Teller. Ich wusste nicht, ob in diesem Moment das Grinsen von mir kam oder es das erinnerte Grinsen meines früheren Ichs in solchen Momenten war. Wahrscheinlich grinsten wir beide gerade in diesem Moment gleich breit. Ich probierte von der flüssigen Schokolade und dem gebackenen Teig. Es war warm, süß, schwer, magisch, wehmütig - Zeitstrudel. Als die Schokolade leicht hitzig und dick in meinen Hals runterfloss, war es, als hätte das Paradies heute nur für mich geöffnet. Hastig aß ich weiter, und Stück für Stück, je mehr von diesem süßen, buttrigen und mich tief durchwärmenden Geschmack kam, desto mehr wurde ich in die frühen Tage gezogen. Ich fühlte Oma Gertrude damals noch kräftige Umarmung, bei der es zu der Zeit noch nicht absehbar war, wie schwach sie einmal werden sollte aufgrund Gebrechen wenige Jahre später. Ich vergrub meine Nase in ihren nach Lavendelparfüm riechenden Hals –diese aufgebackte, wohlige Wärme, die ihre Umarmung einbrachte. Nach all den Jahren spürte ich das, während buttrig und köstlich die letzten fest gebliebenen Schokoladenbutterstückchen auf meiner Zunge dahinschmolzen wie ich in besagter Umarmung. Der fluffige und samtige Teig schien das Meisterstück vom Ganzen, aber dann kam die Kaffeenote letztendlich und hob das Mahl endgültig auf seinen verdienten Thron. Ich musste von diesem über allem erhabenem Geschmack breit lächeln, gleichzeitig zitterte aber meine Unterlippe trübsinnig, denn ich habe an diesem Tag dank diesem Gericht Erlebnisse von alldem gewonnen, was unwiederbringlich verloren blieb.

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Mein Lieblingsessen.
Ich war ein Mädchen von circa sechs Jahre, als mich meine Großmutter für reif genug hielt, im geräumigen Küchengarten vor unserem Haus mitzuarbeiten.
Eines sonnigen, angenehm warmen Morgens Anfang Mai zeigte sie mir ein Tütchen mit den Worten:
„Da drinnen schlafen die winzigen Samen die im Laufe der nächsten Wochen zu deinem Lieblingsgemüse wachsen. Ich zeige dir was zu tun ist. Nimm vorsichtig ein paar Körner heraus und streue sie in die Furche, die ich vorbereitet habe . Tue es genauso wie ich es dir vorzeige.“.
Gemeinsam legten wir die Samenkörner mit ein bisschen Abstand die schmalen Rillen im Gartenboden. Reihe um Reihe bestückten wir so.
„So, fünf Zeilen dürften ausreichen. Jetzt zu den grünen Kugerln, die du so liebst“.
Sie putzte ihre schmutzigen Hände an der Gartenschürze ab und zog mit einem Holzstäbchen weitere Reihen. Das Prozedere ging mit den Erbsen in gleicher Weise fort.
„Und wann kann ich die denn kosten?“, wollte ich wissen.
„Wenn wir regelmäßig wässern und es warm bleibt, dauert es nur wenige Wochen“, bekam ich zur Antwort.
„Das ist aber sehr lang, oder?“ fragte ich enttäuscht.
Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass Essen angebaut werden muss und mehr oder weniger Zeit braucht um zu wachsen und zu reifen. Jeden Tag bevor ich in die Schule lief, schaute ich nach meinen Schätzchen. Und dann die Überraschung: winzige Blättchen zeigten sich, wuchsen und wuchsen. Unser Vater scherzte, ich solle ein Metermaß nehmen, um Täglich die gewachsenen Millimeter abzumessen. Auch die drei Geschwister lästerten über meinen Eifer. Doch die Oma hielt zu mir. Endlich kam die Zeit der Ernte. Ich durfte ganz alleine die Karotten aus dem Boden ziehen. Auch die Erbsen pflückte ich selbst ab. In der Küche pulte ich mit Omas Hilfe die grünen Kügelchen aus der Schote. Anschließend wuschen wir gemeinsam die Rüben. Staunend stand ich vor dem Gemüse. All das wuchs aus den kleinen Samen. Doch das Beste kam noch. Aus frischen Schalotten, den geschälten Karotten und den Erbsen kochte mir die Oma mein Lieblingsgemüseessen. Noch Petersilie dazu, fertig. Zusammen mit Buttererdäpfeln war dieses Essen für mich das köstlichste, was es gab.
Auch heute noch, mehr als fünfzig Jahre später, liebe ich dieses Gericht. Und was mich besonders freut, meine Enkelin isst es ebenso gerne. Nur das Anbauen mit ihr muss warten. Auch sie sollte erst größer werden.

Mein Lieblingsessen.
Ich war ein Mädchen von circa sechs Jahre, als mich meine Großmutter für reif genug hielt, im geräumigen Küchengarten vor unserem Haus mitzuarbeiten.
Eines sonnigen, angenehm warmen Morgens Anfang Mai zeigte sie mir ein Tütchen mit den Worten:
„Da drinnen schlafen die winzigen Samen die im Laufe der nächsten Wochen zu deinem Lieblingsgemüse wachsen. Ich zeige dir was zu tun ist. Nimm vorsichtig ein paar Körner heraus und streue sie in die Furche, die ich vorbereitet habe . Tue es genauso wie ich es dir vorzeige.“.
Gemeinsam legten wir die Samenkörner mit ein bisschen Abstand die schmalen Rillen im Gartenboden. Reihe um Reihe bestückten wir so.
„So, fünf Zeilen dürften ausreichen. Jetzt zu den grünen Kugerln, die du so liebst“.
Sie putzte ihre schmutzigen Hände an der Gartenschürze ab und zog mit einem Holzstäbchen weitere Reihen. Das Prozedere ging mit den Erbsen in gleicher Weise fort.
„Und wann kann ich die denn kosten?“, wollte ich wissen.
„Wenn wir regelmäßig wässern und es warm bleibt, dauert es nur wenige Wochen“, bekam ich zur Antwort.
„Das ist aber sehr lang, oder?“ fragte ich enttäuscht.
Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass Essen angebaut werden muss und mehr oder weniger Zeit braucht um zu wachsen und zu reifen. Jeden Tag bevor ich in die Schule lief, schaute ich nach meinen Schätzchen. Und dann die Überraschung: winzige Blättchen zeigten sich, wuchsen und wuchsen. Unser Vater scherzte, ich solle ein Metermaß nehmen, um Täglich die gewachsenen Millimeter abzumessen. Auch die drei Geschwister lästerten über meinen Eifer. Doch die Oma hielt zu mir. Endlich kam die Zeit der Ernte. Ich durfte ganz alleine die Karotten aus dem Boden ziehen. Auch die Erbsen pflückte ich selbst ab. In der Küche pulte ich mit Omas Hilfe die grünen Kügelchen aus der Schote. Anschließend wuschen wir gemeinsam die Rüben. Staunend stand ich vor dem Gemüse. All das wuchs aus den kleinen Samen. Doch das Beste kam noch. Aus frischen Schalotten, den geschälten Karotten und den Erbsen kochte mir die Oma mein Lieblingsgemüseessen. Noch Petersilie dazu, fertig. Zusammen mit Buttererdäpfeln war dieses Essen für mich das köstlichste, was es gab.
Auch heute noch, mehr als fünfzig Jahre später, liebe ich dieses Gericht. Und was mich besonders freut, meine Enkelin isst es ebenso gerne. Nur das Anbauen mit ihr muss warten. Auch sie sollte erst größer werden.

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Hallo,
ich kann dich total verstehen. Mein Opa war Förster und Jäger und ab und zu hingen in unserem Keller Rehe, Hasen und Rebhühner. Als ich diese toten Tiere zum ersten Mal sah, bekam ich einen Schreck, der für mein gesamtes restliches Leben reichte. Wobei diese Art der Fleischbeschaffung noch die bessere ist. Besser als in diversen Ställen oder Farmen dahinzuvegetieren. Ich und mein Mann haben vor einigen Jahren beschlossen kein Fleisch mehr zu essen. Uns tut es gut und den Tieren auch.

Über „Deine“ Plundermilch freue ich mich sehr. Auch mich hat dieses vergessene Gericht zu einem Text inspiriert. Deine Geschichte erinnert mich an weitere gemeinsame Kindheitserinnerungen: die Bauernhoftiere. Jetzt habe ich sie wieder vor Augen.

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Deine Geschichte brachte mich direkt wieder zurück zu meiner Oma. Danke dafür.

Der Weihnachtstruthahn

Von den vielen Talenten, diebetonter Text meine Mutter besaß war kochen leider nicht dabei.
Dennoch gab sie nicht auf und versuchte uns, ihren Liebsten, unerbittlich aufs Neue davon zu überzeugen.

So auch an jenem Weihnachtstag. Als ich schon am Morgen in die Küche betrat, erblickte ich den Leichnam des armen Truthahns der augenscheinlich kampflos sein Ende fand, auf dem Küchentresen liegen. Ehe meine Mutter ihn an seinen kahlen Flügelchen packte und unter das laufenden Wasser zum Waschen trug, stellte sie fest, dass er noch seine Innereien schön verpackt in einem Plastiksack in sich hatte. Als hätte das Tier nicht schon genug gelitten, holte sie mit einem beherzten Griff, durch das was vom Schlund noch übrig war, seine verpackten Gedärme heraus. Um ihn sogleich mit einer Mischung aus getrockneten Semmeln, Ei und Gewürzen und das waren verdammt viele Gewürze, wieder bis zum Anschlag zu vollzustopfen.

Kurz vor Endspurt, spendierte meine Mutter der Pute noch eine kräftige Massage mit, ratet mal? Richtig! VIel Gewürz.
In der Zwischenzeit sollte ich den Ofen anheizen. Als ich den Schalter in die vorgegeben Temperatur drehte, konnte man ein immer lauter werdendes Geräusch vernehmen. Man merkte das Gerät arbeitete.

Gespannt warteten wir auch das wohlbekannte Signal in Form eines kleinen Lämpchens, um sodann den Kadaver auf seine letzte Reise zu schicken.

Als dieser sich im Licht des Ofens, wollig warm braunen ließ, schnitt meine Mutter Gemüse, für den Salat. Beim Schneiden der Tomaten konnte man ein leises quietschen hören. Ob sie sich ihrem Schicksal bewusst waren?

Einige Stunden später versammelten wir uns alle erwartungsvoll um den Tisch. Und der Star die Pute betrat die Bühne. Doch sie war nicht alleine, seine Co- Stars, die Tomaten welche, sich mit Paprika und Zwiebeln anfreundeten begleiteten sie.

Von weiten schon konnte man den saftigen Geruch des Vogels vernehmen.
So wagte ich es einen Teil des Kadavers, auf das Teller vor mir zu legen.

Mit meinem Messer durchbrach ich zaghaft Stück für Stück die knusprig marinierte Haut des Vogels und spießte ein wenig davon auf meine Gabel. Jetzt war es so weit der Moment der Wahrheit.
Mein Gehirn wartete schon auf den so vertrauten Geschmack von Kohle. Im Gegenteil jedoch es hatte Pech gehabt, in meinem Mund verbreitete sich ein schmackhaftes Aroma um in einer Explosion durch die Nase zu enden.

Nicht ein Stückchen Fleisch blieb auf den Knochen. Mein Vater fragte verdutzt: " Wie hast du das dieses Mal gemacht?" Meine Mutter Antworte verlegen:" Viele Gewürze"

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Der besondere Weihnachtsbrauch
Endlich war Abend. Der Gottesdienst zu Heiligabend war längst zu Ende. Wir warteten auf unseren Vater. Als Pastor hatte er noch den Gottesdienst in der Nachbargemeinde zu halten. Es war wie jedes Jahr. Warten auf Vater, dann Abendbrot und danach die Bescherung beim festlich geschmückten Tannenbaum. Die Düfte des Abendessens, das es wie jedes Jahr gab, durchzogen das Haus. Seelachsfilet und Bigos – das Gericht, das meine Eltern bereits vor meiner Geburt in Ostpreußen und dann Polen aßen. Bigos, das ist Sauerkraut, gekocht mit Kümmel und Krakauer Wurst, jedoch nach Rezept meiner Großmutter, wie ich später erfuhr.
Heiligabend war alles: Familie, aufeinander warten, besonderes Essen und dann einander beschenken. Aber ein Brauch vor dem Abendessen ist mir in Erinnerung geblieben und erst heute merke ich, wie besonders er war. Er war für meinen Vater sehr wichtig, mit diesem Brauch begann für ihn das Weihnachtsfest in der Familie, nach seinem Dienst an anderen Menschen, ihnen jedes Jahr aufs Neue die Weihnachtsbotschaft nahe zu bringen. Aber hier kam er selbst im Weihnachten an, in seiner Familie.
Der Tisch war gedeckt und Vater endlich da, deutlich erschöpft nach vier Gottesdiensten, aber mit spürbarer Vorfreude. Endlich standen wir um den Tisch herum und mein Vater nahm, wie jedes Jahr, eine kleine braune Schatulle. Er entnahm ihr eine Hostie, so eine kleine, weiße Scheibe in der Art von Esspapier, was in den Kirchen als Brot beim Abendmahl ausgeteilt wird. Dann hielt er das Kästchen zu meiner lächelnden Mutter, die auch eines herausnahm. Sie legten beide aufeinander, blickten sich an, sagten „Frohe Weihnachten“ und brachen sie in der Mitte durch. So teilten sie einander das Brot. Anstatt sie aber zu essen, ging mein Vater zu uns Kindern, der Reihe nach, jedes nahm sich ebenfalls eine Hostie und so brachen wir sie mit Vater und Mutter. Wenn das Gebrochene zu klein war, um erneut geteilt zu werden, wurde es gegessen und eine neue Hostie aus der Schatulle genommen. Jetzt war Weihnachten auch bei uns. Das Essen schmeckte doppelt gut, vielleicht, weil wir schon so lange warten mussten, vielleicht aber auch, weil dieser Brauch etwas in uns bewirkt hatte. Seelachsfilet wie auch Bigos gehören bis heute zu meinen Leibgerichten und auch jetzt, wo ich die Augen schließe, rieche ich dieses Mahl, sitze wieder am Platz neben meiner Mutter, und kann fast meine Freude auf die Bescherung nachfühlen - ja, und sehe sogar den mit Kerzen erleuchteten Weihnachtsbaum.
Erst nach dem Tod meines Vaters habe ich verstanden, dass der Seelachs, eben wie das Teilen der Hostien, für ihn auch eine tiefe Bedeutung hatte. Für mich als Kind war es einfach nur ein außergewöhnliches Abendessen, mein Vater fühlte sich damit auf besondere Weise dem Weihnachtsgeschehen verbunden, denn das Zeichen der Ur-Christen war seit jeher der Fisch.

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Essen ist fertig

Bei meinem Freund Manfred hing ein Spielautomat im Kinderzimmer. Anfang der 70 er Jahre eine Sensation. Die Attraktion, vorrangig auffindbar in hinterfragungswürdigen Nischen der Wirtshäuser. Das Ausmaß: ein Meter in der Länge, einen halben breit und 30 Zentimeter tief. Wir erreichten auf Zehenspitzen den Geldeinwurf. An der Zimmertüre, dicke rote warnende Letter, eine Variation der in der Siedlung üblichen Beschilderung: Glücksspielverbot in öffentlichen Räumen. Auf diesen Unsinn legte sein Vater wert, erklärte mein Freund.

In Pyramidenform angeordnet rotierten zeitgleich drei Scheiben, bedruckt mit Symbolen und Zahlen. Unterhalb des Münzschlitzes ein Kippschalter, der stoppte. Ein begehrtes Ziel, auf Allen das gleiche Symbol wie zum Beispiel: Marienkäfer, Kirschen; oder Zahlen, 40/70/120/ 240, zu sehen. Die Ziffern entsprachen Pfennigen, die Bilder festgelegten Beträgen, meine Fixierung galt den Zahlen.

Ich bekam mit neun Jahren kein Taschengeld, es war schwierig, den geforderten Mindesteinsatz (40 Pfennig) zu organisieren. Manfred lernte mir, das Sparschwein der Volksbank mit einer Stricknadel zu öffnen. Ich erinnere mich an frustrierende Nachmittage, verspielte in dreißig Sekunden meine Barschaft, war pleite. An Erfolgreicheren fielen mit einem unvergessenen, Begeisterung auslösenden Geräusch, Münzen in die Plastikschale. Um weiter zu spielen, mussten drei Scheiben auf 40 stoppen, damit der Mindesteinsatz wieder zur Verfügung stand.

Ich hatte schon beim Betreten des Zimmers ein gutes Gefühl, die Vorahnung einer Glückssträhne. Schnell bekam ich meine 40 Pfennige zurück, die Serie wiederholte sich. Manfred beneidete den Erfolg. Es galt die Vereinbarung, bei Gewinn durfte weitergespielt werden. Die Scheiben stoppten auf 240. Der erste Gedanke, das Bare sofort in der Bäckerei für Süßigkeiten umzusetzen gefiel ihm nicht. Die nächste Runde reduzierte meinen Besitz auf zwei Mark. Die ausgelöste Euphorie führte zum Verlust des Zeitgefühls.

Es läutete, uns fuhr der Schrecken in die Glieder, der Papa. Unheilvolles ahnend schlich Manfred zum Öffnen. Ich spähte im Türrahmen stehend aus dem Zimmer, spürte die Bedrohlichkeit, die sich in gleicher Sekunde bestätigte. Der Vater polterte, ihm wurde nicht schnell genug geöffnet. Als er mich sah, entlud sich die Wut, sein Hass.

Er schlug ihm die Aktentasche, darin die Tupperbox, die Wurstbrote schmierte seine Frau täglich, links und rechts in Gesicht. Das war sein Einstieg, das Vorspiel. Es folgte ein schier unerträglich mit anzusehendes Verprügeln, eine Mischung aus Ohrfeigen und Faustschlägen, dabei traktierte er ihn bis zum Ende des Flurs. Ängstlich schlich ich mich in entgegengesetzter Richtung zur Haustüre. Auf gleicher Höhe mit Täter und Opfer sah ich deren Gesichter aus der Nähe. Der Vater hatte Entartetes und Vernichtendes im Antlitz, markerschütternde Schreie begleitete seine Hiebe. Anfangs brüllte Manfred noch, um seiner Not Ausdruck zu verleihen, dann verstummte er. Ich spürte, er kannte dieses Szenario. Das Gemetzel fand im „ Glücksspielzimmer“, an der Wurzel des Übels statt. Ich schäme mich bis heute, nicht geholfen zu haben, zu intervenieren und deeskalieren, ich flüchtete. An der Haustüre begegnete mir die Mutter mit dem Einkaufskorb. Sie erfasste die Situation blitzschnell. Ich verstand ihr stummes Kopfnicken, sie hielt die Klinke zum Kinderzimmer in der Hand, wartete, bis ich die Wohnung verließ. Es folgte das wiederholte Meisterstück erfolgreicher Deeskalation.

Retrospektiv ein Wunder, welch Brutalität ein Kinderkörper aushält. Vor allem die Schläge ins Gesicht, Manfred hatte großes Glück, von Frakturen abgesehen, keine Gehirnblutung davon zu tragen. Ungeahnt die Auswirkungen auf die Seele.

Meine Mama begrüßte mich mit „ Essen ist fertig“, der Appetit war mir vergangen.

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Müde ziehe ich meine Stiefel an und steige in die dünne Jacke. Die Kabine ist erfüllt vom Nebel aus der Dusche. Das Training war in der Kälte unangenehm wie selten zuvor. Der Atem hatte sich an meinen Augenbrauen und dem noch spärlichen Schnäuzer als Eiskristalle niedergeschlagen, aber das heiße Wasser der Dusche hatte den Reif vertrieben. Aber nun stand nach der heißen Dusche die Heimfahrt bevor. Ich packe mein Trikot, die Fußballschuhe und das nasse Handtuch in die Tasche und verabschiede mich mit einem: „Bis Sonntag!“, von meinen Kammeraden, die alle fußläufig um das Sportheim wohnen. Es kommt ein verhaltenes „Bis Sonntag.“, zurück. Alle sind müde von der langen und langweiligen Laufeinheit. Ich trete vor dem Sportheim zu meinem Mofa und befestige die Tasche mit einem Spanngurt. Es ist bitterkalt und die Scheiben des einzigen Autos auf dem Parkplatz sind zugefroren. Ulli, unser Jugendtrainer wird ordentlich kratzen müssen. Ich starte den widerwillig anspringenden Motor meines alten Mofas. Knatternd spring der Motor an und ich fahre im spärlichen Licht des Frontscheinwerfers los. Nach Fünfzig Metern habe ich den Zustand eines Gefrierhähnchens in der Tiefkühltruhe eines Supermarktes. Der eiskalte Fahrtwind raubt mir die Sicht und ich zittere an der ersten Ampel so sehr, dass die Reflektionen der Lichter im Rückspiegel kurze Linien bilden. Ich fahre so schnell es bei den Straßenbedingungen eben geht und komme 25 Minuten später steifgefroren zu Hause an. Meine Lippen sind aufgesprungen von der Kälte. Ich brauche mehrere Versuche, um den Schlüssel in den Zylinder des Tores einzuschieben. Meine Nase und meine Wangen schmerzen von der kalten Luft und ich stelle das Mofa in die Garage. Ich schließe mit Schwierigkeiten die Haustüre auf und stelle meine Tasche in die Diele. Ich trete selbst ein und steige aus den Stiefeln. Es ist, als hätte ich keine Finger und keine Füße. Die Zehen und die Hände sind völlig unbeweglich und ich stakse wie Pinocchio die Treppe hinauf. Ich gehe ins Wohnzimmer. Der Fernseher ist überlaut und es laufen die Spätnachrichten. Meine Mutter steht sofort auf und geht in das warme Esszimmer. Sie sieht mich durch die halb geöffnete Tür an und fragt: „Hast Du noch Hunger?“ Ich nicke nur und spüre, dass auch mein Nacken von der Kälte steif ist. „Ich mach dir was.“, entscheidet meine Mutter einseitig und geht in die Küche. Ich begrüße meinen Vater, der im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzt und diesen nicht beachtet. Mein Vater sagt: „Junge, es ist zu kalt für das Mofa.“ Er hat recht. Das Esszimmer ist der wärmste Ort im Haus und ich schlüpfe schnell hinein und schließe die Tür zu dem weniger gut temperierten Wohnzimmer, in dem meine Eltern üblicherweise mit selbstgestrickten Wolldecken sitzen. Meine Mutter steht in der hell erleuchteten Küche, die mit einem Durchgang mit dem Esszimmer verbunden ist. Ich setze mich sofort auf den großen und breiten Heizkörper im Esszimmer, der an solchen Tagen gerne als Bank verwendet wird. Die Hitze des Heizkörpers ist für meine kalten Finger und Füße unerträglich und ich löse sofort meine Hände von dem heißen Eisen. Ich höre, wie Wasser sich in einen Topf ergießt und dann das Messer auf dem Schneidbrett. Sofort wird mein Hunger übermächtig. Ich esse nicht in der Schule und bin nur nach Hause gefahren, um mein Sporttasche zu holen. Seit dem Frühstück gab es nichts.

Mein Vater kommt in das Esszimmer. Er schließt schnell die Tür und meine Mutter stellt wortlos das Schneidbrett vor ihn und legt das scharfe Messer daneben. Mein Vater beginnt ohne Worte die Kräuter klein zu schneiden und ich höre wie auf dem Herd Zwiebeln den Weg in die Pfanne finden. Es riecht sofort nach Essen und meine Mutter beauftragt mich: „Holst Du ein Dose Rindfleisch?“ Ich stehe auf und trete den Weg in den kalten Keller an. Meine Füße sind noch immer paralysiert und gehören nicht zu mir. Die Dosen mit diesem billigen Rindfleisch und dem Gelee tragen keine Banderole und sind nur auf dem Deckel bedruckt. Ich angle eine Dose aus dem Schrank im Keller und bringe sie schnell in die Küche, um wieder ins Warme zu kommen. Ich nehme den Dosenöffner und öffne unbeholfen die Dose. Spontan drückt meine Mutter mich an sich und ich erhalte einen Kuss auf die Wange. Meine Halswirbelsäule quittiert die liebevolle aber stürmische Geste mit einem Knacken. Sie ist noch in der Triefkühlphase und weit weg von jeder Beweglichkeit. Meine Mutter wirft Nudeln ins Wasser und eine Menge Salz, die nach meinem Empfinden dem Tagesverbrauch des Winterdienstes unseres Mittelzentrums entspricht. Das Fleisch aus der Dose gelangt zu den Zwiebeln und es zischt, als der Doseninhalt auf dem Topfboden trifft. Sofort steigt eine Dampfwolke auf und hüllt meine Mutter ein. Die Scheibe des Küchenfensters ist beschlagen und ein Kochlöffel beginnt seine Runden in dem Topf zu drehen, in dem das Fleisch und der Schmelz des Aspik rasch zerfallen. Es beginnt zu blubbern. Meine Mutter greift in den Schrank und entnimmt ein kleines Päckchen „Maggi Bratensoße“ und schneidet den Deckel des innere weißen Kartons mit ihrem Knippchen ab. Sie sieht in den Topf und dann landet der Inhalt des Kartons in der Masse. Eiliges Rühren verhindert, dass sich die schnell eindickende Masse am Boden festsetzt. Mein Vater stellt das Brett mit dem feingehackten Schnittlauch auf den Küchenschrank. Meine Mutter rührt in allen Töpfen mit dem einen Kochlöffel und beauftragt mich: „Hol noch ein Glas Apfelkompott!“ Ich trete seufzend einen zweiten Gang in den kalten Keller an und nehme ein Glas des selbstgemachten Kompotts aus dem letzten Jahr aus dem Schrank. Die alten Weggläser sind mit ihren auffällig roten Gummis und ihrem matschigen Inhalt eine oft gesehene Tischbegleitung. Das Glas ist eiskalt und meine Finger und Zehen kribbeln nun, da sie auftauen und durchblutet werden. Ich stelle das Kompott vor meinen Vater, der mit einem Griff an dem Gummi das Glas öffnet. Mit kalten Fingern decke rasch den Tisch und gebe ihm einen Esslöffel für das Kompott und verteile das Besteck und die Teller. Jeder Teller stammt aus einem anderen Service und auch das Besteck ist eine illustre Sammlung verschiedener Epochen. Der Versuch drei gleiche Teller auf den Tisch zu stellen wäre absurd. Nur zu Weihnachten und besonderen Gästen kommt das gute zwölfteilige Service ans Tageslicht. Mein Vater fragt nach der Schule und ich versichere ihm, dass alles in Ordnung sei. Ich bekomme einige Anekdoten aus seiner Schulzeit als Vorspeise. Aus der Küche kommt ein Schwall Dampf, als meine Mutter die Nudeln abgießt und die dampfende Speise auf den runden Tisch stellt. Sie holt sofort den Topf mit der Soße und stellt ihn daneben. Sie nimmt meinen Teller und eine große Portion der Nudeln landet darauf. Eine große Suppenkelle der heißen Soße ergießt sich über dem Berg und der Teller landet vor mir. Das billige Fleisch ist zu einer braunen fasrigen Masse zerkocht, die dickflüssig und zäh durch die nassen Nudeln fließt. Ohne Widerspruch danke ich für einen übergroßen Klecks des Apfelkompotts, in dem sich noch viele feste Stücke des Apfels abzeichnen. Vorsichtig nehme ich mit meinem Löffel ein paar der Nudel mit der Soße auf. Es ist kochend heiß und ich nehme die Masse vorsichtig auf. Die zerkochte wabelige, schleimige Nudel mit der braunen Soße landet auf meiner Zunge und der Geschmack des überkonzentrierten Soßeninstants schockiert meine Geschmacksnerven. „Kann man Salz versalzen?“, frage ich mich. Es ist eine dickflüssige Mischung aus Salz und Soßenbinder. Ich lächle und nehme beim nächsten Löffel viel Kompott und weniger Soße. Die sauer-herbe Note des ungezuckerten Apfels entschärft den mehligen Soßenbinder und die warme Masse heizt mich in minutenschnelle auf. Meine Gedanken gehen ein Jahr zurück zur Apfelernte auf unserem Gartengrundstück. Der Apfel ist eine heimische Sorte und die Apfelernte und das anschließende Verarbeiten der in Wäschekörben gelagerten Ernte ist jedes Jahr ein Ereignis. Der Einmachkessel ist an den Wochenenden von früh bis spät in Betrieb und meine Eltern sitzen stundenlang mit ihren kleinen Knippchen in der Küche und schälen die fleckigen grünbraunen Apfel, bis sich die Schalen und Apfelgehäuse zu hohen Bergen vor ihnen türmen. Ich sehe ihnen oft zu, wenn sie mit den rasiermesserscharfen Messern die knubbeligen und unschönen Früchte in einem Schnitt enthäuten, so dass die gesamte Schale wie eine sich windende Schlange abgeschält wird. Wenn die Äpfel verarbeitet sind beginnt die Ernte der Stangenbohnen, welche im Wesentlichen mit Essig zu sauren Bohnen eingelegt werden. Es gibt in dieser Zeit gefühlt jeden Tag Bohnensuppe, Reibeplätzchen und Apfelmus. Zum Kaffee reicht meine Mutter noch gedeckten Apfelkuchen mit Sahne. Der Keller riecht einen Monat lang nur nach Äpfel, Bohnen und den frisch eingelagerten Kartoffeln der neuen Ernte. Die beiden essen wenig und diskutieren die Qualität der Äpfel aus dem letzten Jahr und erinnern mich an das alljährliche Pflügereignis. Ich stopfe fast zwei Drittel der Nudeln und des Kompotts in mich hinein. Das kalte Kompott mit seiner Säure und seinen festen unzerkochten Apfelstücken und die dunkle heiße Soße mit dem Fasrigen zerkochten Fleisch verbinden sich zu einer sauer-salzigen Delikatesse. Als keine Nudeln mehr im Topf sind, nehme ich das Kompott und forme eine Mulde hinein, die ich mit der Soße fülle. Ich stelle den warmen Teller auf meine linke Hand, damit diese schneller auftaut. Meine Eltern sehen mir zu und berichten sich vom Tag. Beide arbeiten in einer Klinik als Hausmeister und Hauswirtschaftlerin. Mir wird warm und die Kälte weicht endgültig aus meinen Knochen. Meine Mutter steht auf und räumt den Tisch ab. Mein Vater kehrt zu seinem Platz im Wohnzimmer zurück und die in meinem Magen aufsteigende Wärme erdrückt jede weitere Aktivität. Ich gehe in die Küche, in der die frischen Kräuter ungenutzt auf dem Küchenschrank stehen und küsse meine Mutter auf die Wange. Ich verabschiede mich mit: „Gute Nacht.“ Meine Mutter antwortet: „Morgen soll es noch kälter werden. Fahr doch lieber mit dem Bus.“ Ich nehme Kurs auf das Bad und falle erschöpft ins Bett. Wärme steigt in mir auf und drückt mir behutsam die Augen zu.

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Alter Käse

Wer weiß, wie überreifer Camembert schmeckt? Streng, ziemlich scharf. So, dass ich das von meiner Mutter damit belegte Brot verschmähte. Was eine Todsünde darstellte. „Es wird aufgegessen, vorher gibt es nichts anderes!“. Sätze, die wohl die meisten Kinder zu jener Zeit zu hören bekamen. Als Katholik hatte man ohnehin nichts verderben zu lassen, was der liebe Gott uns schenkte. Die Schrecken und Auswirkungen des letzten Krieges steckten den Erwachsenen außerdem noch in den Knochen. Hatte nicht manches Mal ein Bissen Brot über Tod oder Leben entschieden? Besonders „dick“ hatten wir es zudem nicht. Konsequent wurde mir das Brot wieder und wieder vor die Nase geschoben. Die Butter unter dem Käse glänzte immer farbloser, der Käse dunkelte am Übergang zum Edelschimmel unübersehbar und der Geschmack ähnelte immer mehr dem, was es war: vergammelte Milch. Ich aß das Brot nicht am Abend. Ich aß es nicht am nächsten Morgen. Nicht mittags. Dann bekamen meine Eltern Besuch. Meine Mutter und mein Vater hatten Köstlichkeiten gekocht, der Duft schwebte durch sämtliche Räume, auch über mein Käsebrot hinweg. Ich wurde vom festlich gedeckten Tisch entfernt und am Küchentisch zurückgelassen. Allein mit dem vertrockneten und stinkenden Brot vor mir. Meine Sturheit und mein Widerwille brachen völlig in mir zusammen und ich weinte. Laut und herzerweichend. Im Zimmer daneben verstummte die Unterhaltung. Dann kam mein Vater gelaufen und zog das Brettchen mit dem Camembert fort und trocknete mir die Tränen. Dann durfte ich mit am Tisch Platz nehmen, wo mich die fremden Leute neugierig betrachteten. So richtig geschmeckt hat es mir unter diesen Blicken nicht.

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Ja, so ging es meiner Schwester auch. Nach den Erfahrungen mit dem Wildfleisch isst sie nur noch sehr sehr selten Fleisch. Meistens verzichtet sie darauf.

Solche Erfahrungen prägen einen.

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Dankeschön, das freut mich.

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Vielen Dank! Geht runter wie’n Klops :sweat_smile:

Eine Tüte Lakritz

Endlich Freitag! Die ersten Sonnenstrahlen trafen vor wenigen Minuten die kunstvoll erstellte Rennstrecke aus Legosteinen und Bauklötzen. Zwei eindeutig geliebte Autos standen an der Startlinie und warteten geduldig auf den neuen Tag. Bald startet das wilde Rennen wieder. Durch enge Kurven und über die holprige Teppichfliesen-Strecke sausen sie dann Nase an Nase und nie war abzusehen, wer die Ziellinie aus einem blauen Bindfaden, als erster erreichen würde. Neben der Rennstrecke lagen verstreut im Halbdunkel des Zimmers Stofftiere und Spielsteine wild durcheinander. Dazwischen und darunter Hefte und Stifte aus dem umgefallenen Tornister.
Stück für Stück vertrieben die Sonnenstrahlen das Dunkel aus dem Kinderzimmer.

Den Kopf unter der Decke vergraben verbarg sich Pia noch vor dem Tag. Nur noch ein klein wenig länger liegen bleiben, doch der Wecker hatte andere Pläne. Unerbittlich begann er sein Tagwerk mit dem schrillsten Klingeln, das sich Pia nur vorstellen konnte. Blitzschnell erschien eine Hand, die energisch auf den Snooze Taster schlug. ‚Es ist Freitag‘, schoss es ihr durch den Kopf,‚Taschengeld!‘. Mit einem Elan, der vor einer Sekunde noch nicht zu erahnen war, sprang sie aus dem Bett und sprang geschickt über das Gewimmel auf dem Boden hinweg.
„Mama, es ist Freitag“, Pia’s Mutter schaute hinter ihrer Zeitung hervor. „Guten Morgen, ja heute ist Freitag.“ Ihr Kopf verschwand hinter der Zeitung. Diese 5 Minuten, bevor der vollgepackte Tag begann, gehörten ihr und die würde sie sich jetzt noch nicht nehmen lassen. Leicht genervt kam ihre Stimme hinter der Zeitung hervor. „Bist Du den schon im Badezimmer gewesen? Mach dich bitte fertig und komm dann zum frühstücken.“ Pia’s ungeduldiges Zappeln übersehend genehmigte sie sich einen weiteren Schluck Kaffee. „Aber Mama,“ versuchte Pia erneut die Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu erregen, „Freitag, das bedeutet Taschengeld.“ Die folgende Stille ersetzte jedes Wort und Pia hastete zum Badezimmer. Nach den üblichen Schwierigkeiten, alles für die Schule wieder in den Tornister zu packen, der schwierigen Auswahl, welches T-Shirt für den heutigen Tag das richtige ist, warf sie im Flur noch einen Blick in den Spiegel und nickte sich zufrieden zu. Selbst ihre Haare schienen dem Tag freudig entgegen zuschauen, denn entgegen des wilden Gewirrs auf ihrem Kopf hatten sie sich heute fast zu einer Frisur geordnet.

Als sie die Küche betrat, schien sich ihre Mutter noch nicht bewegt zu haben. Eilig setzte sich Pia an den Tisch und begann ihr Brot zu schmieren. „Mama …“ erwartungsvoll blickte Pia auf die Zeitung. Ein Schwall Rauch erschien anstelle einer Reaktion. Etwas lauter versuchte sie es erneut „Mama, … kann ich mein Taschengeld haben.“ „Es liegt an der Spüle und jetzt beeile dich, sonst kommst du noch zu spät zur Schule.“ Das lies sich Pia nicht zweimal sagen. Das Geld stopfte sie in die rechte Hosentasche und mit der linken schob sie sich den Rest Brot in den Mund. „Tschüß, bis heute Abend.“ Ein „Mmh“ quoll hinter der Zeitung hervor.

Die Stufen hinunter waren ein Klacks. Wie jeden Freitag viel Pia der Weg zur Schule leichter. Heute würde der Tag besser verlaufen. Sie war einfach nicht richtig. Sie liebte Fussball und Rugby verstand sich überhaupt nicht darauf, sich wie die anderen Mädchen zu verhalten. Sie spielte lieber mit Autos als mit Puppen und dann war sie auch noch gut im Rechnen. Die Mädchen wollten nicht mit ihr spielen und die Jungen fanden sie blöd. Aber jeden Freitag war das anders. Zielstrebig und beschwingt ging sie die Strasse entlang. Da vorne konnte sie ihr Ziel schon sehen. An der Strasse etwas versteckt war in einem Wohnhaus die kleine Bude, eigentlich hieß es Kiosk aber jeder nannte diese winzige Goldgrube nur Bude. Hier gab es einfach alles … Brausebonbons die so sauer waren, dass man das Gesicht verzog, wenn das Brausepulver auf die Zunge traf. Kokosschokolade, die einzelnen Stückchen schon für 10 Pfennig. Jede Art von Gummibärchen, als Schlangen, als Colaflaschen, als saure Gurken, es war einfach das Paradies für jedes Kinderherz. Für Pia aber gab es jeden Freitag nur die eine Wahl! Lakritze! Die Hand in der Tasche spürte sie die Geldstücke, die ihr einen Tag Freunde in der Schule brachte. „Für 1 Mark Lakritze bitte.“ Die alte Dame hinter der Fensteröffnung lächelte sie an. „Wie immer gemischt?“ „Klar, wie immer.“ Die Papiertüte füllte sich, bis sie oben kaum mehr zu ging. Mit der einen Hand legte Pia die Mark auf den Tisch und mit der anderen angelte sie nach der Tüte.

Jetzt würde es ein guter Tag, diese Tüte Lakritz würde für heute die Welt verändern.

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