Essen ist fertig!
Lisa hantiert in der Küche, als ihre Freundin Barbara zur Tür herein schwebt. Die beiden umarmen und begrüssen sich fröhlich. Barbara setzt sich an die Bartheke, welche die Küche vom Wohnzimmer trennt.
«Magst du auch ein Glas Wein?», erkundigt sich Lisa.
«Oh ja gerne! Du bist schon am Kochen?»
«Ja klar, du weisst ich liebe Essen und dafür nehme ich mir gerne Zeit zum Kochen.» Lisa lacht, während sie Barbara ein Glas in die Hand drückt, mit ihr anstösst und den ersten Schluck aus ihrem Glas nimmt. Sie stellt das Glas hin und widmet sich dem Topf auf dem Kochherd, rührt darin! «Essen ist mein schönstes Hobby. Und in Gesellschaft mit dir nicht zu überbieten … Ich verzichte aber auf Milch wegen meiner Intoleranz. Und - ich liebe traditionelle Gerichte, im Besonderen solche aus Bergregionen.»
«Traditionelle Gerichte aus den Bergen? Wie geht das ohne Milch?» Barbara teilt das Hobby mit Lisa und kennt sich gut aus. Aber nicht so wie Lisa.
«Ja! Die sind voller Milch, ich weiss, und ich erinnere mich da gerade an die Älpler-Maggronen, die ich als Kind regelrecht verschlungen habe. Von meiner Milchintoleranz habe ich damals nichts gewusst.»
«Was sind Älpler-Maggronen?»
«Du kennst die nicht?“, ruft Lisa fassungslos. Sie lässt den Topf sein und schaut mit grossen Augen ihre Freundin an. Sie glaubte, jedes Kind kannte die. „Das ist ein einfaches Gericht mit Hörnli, Kartoffeln und Milch. Meistens mit Speck oder Cervelat drin und viel Käse. Es ist auch einfach zuzubereiten: Du garst Hörnli und Kartoffelwürfel in Salzwasser, sie werden abgeschüttet und in eine feuerfeste Schale gegeben. Ein Stück Speck oder Cervelat wird gewürfelt, angebraten, und unter die Hörnli-Kartoffel-Mischung gegeben. Dann mit viel geriebenem Käse bestreut. Geröstete Zwiebelringe kommen zuletzt oben drauf. Das Ganze wird mit heisser Milch übergossen und im Backofen überbacken, bis der Käse Fäden zieht.»
«Recht einfach! Das könnte sogar ich nachkochen» kommentierte Barbara.
«Das war für mich jedes Mal ein Festessen! Und eines der ersten Gerichte, das ich zubereiten gelernt habe! Und - auf das ich seit zwanzig Jahren freiwillig verzichte!», sagt Lisa mit rollenden Augen.
«Es gibt doch lactosefreie Milch als Ersatz oder Getreidedrinks!»
«Ja, schon, doch wenn keine Milch, dann auch kein Ersatz mit komischen Zusätzen!»
«Dann halt doch Verzicht!», sagte Barbara ergeben.
«Essen ohne Milch und Verzicht? Das gibt’s bei mir nicht! Natürlich habe ich eine Alternative gesucht und mir ist aber nie eine Lösung eingefallen. Das wäre das erste gewesen, auf das ich hätte verzichten müssen … Bis ich im Kanton Graubünden meine Ferien verbracht habe.»
«Aha!»
Inzwischen goss Lisa den Inhalt der Pfanne ab und schichtete ihn in eine gläserne Platte ein. Auf dem Herd duftete es herrlich nach Zwiebeln und Kräutern. Die gab Lisa jetzt über den Inhalt der Platte.
«In der Berg-Gastronomie wird mit sehr viel Milch gekocht. Auf jeden Fall hat mich das motiviert, tiefer in die privaten Kochtöpfe zu schauen. Die traditionellen Gerichte widerspiegeln in der Regel die schwere körperliche Arbeit der Bauern und Handwerker. Die Menschen haben spartanisch gelebt und im Allgemeinen wurde wenig Fleisch, aber viele Mehlspeisen gegessen. Das ist gut nachvollziehbar. Aber – und das wird jetzt spannend – als ich tiefer gegraben habe, habe ich herausgefunden, dass die Mahlzeiten ursprünglich und traditionell zwar fett und schwer verdaulich waren, ansonsten jedoch sehr wenig bis gar keine Milch enthielten.»
Die Platte verschwand im Backofen von Lisa’s Küche.
«Das ist ja verrückt und interessant gleichzeitig!» ruft Barbara aus.
«Fand ich auch! Anfang des 20. Jahrhunderts war diese einheimische Küche auf einmal nicht mehr modern und die „feine Kochkunst“ wurde propagiert. Mit dem Ziel, die ‚barbarische‘ einheimische Küche zu ersetzen. So kam es wohl, dass Milch und Nebenprodukte es in die Küchen schafften und in der Gastronomie die einheimischen Gerichte den Bedürfnissen von Touristen angepasst wurden.» Eine Weile blieb es still in der Wohnung von Lisa. Dann fuhr sie fort:
«Aber als Milchintolerante reise ich ja nicht in den Kanton Graubünden, um asiatisch zu essen, nur weil ich keine Milch vertrage!
Und dann – habe ich eine Spezialität im Puschlav entdeckt! Ein sehr währschaftes, sehr nahrhaftes Eintopfgericht, das eigentlich einer guten Verdauung entgegenwirkt und trotzdem unglaublich köstlich schmeckt - die Pizzoccheri.
Das Spezielle daran sind die Pizzoccheri, eine Teigwarenart aus Buchweizen- und Weizenmehl. Die Farbe ist dunkler als die übliche Pasta. Man kann sie selber zubereiten, dort aber auch im Handel kaufen.»
Barbara hört Lisa aufmerksam zu. «Und wie machst du diese Pizzoccheri?»
«Pizzoccheri werden vermischt mit Mangold, Wirz, Kartoffeln sowie Käse serviert. Das ist die minimalste Version. In der Regel werden weitere saisonale Gemüse wie Karotten, grünen Bohnen und Erbsen beigegeben.»
«Eintopf? Diese Zutaten haben ja alle verschieden lange Kochzeiten!»
«Genau. Deshalb kochst du erst die Pizzoccheri für einige Minuten in viel kochendem Salzwasser. Dann kommen die gewürfelten Kartoffeln, klein geschnittenen Karotten und Bohnen dazu, kochst das zusammen einige Zeit, dann noch Mangold, Wirz dazugeben für etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten. In den letzten paar Minuten gibst du noch Tiefkühlerbsen dazu. Dann Kochwasser abgiessen, das Ganze schichtweise mit geriebenem Käse in eine vorgewärmte Gratinplatte einfüllen. Daneben werden geschnittener Knoblauch, Zwiebelringe und Salbeiblätter in reichlich Butter gebraten. Das verteilst du darüber. Es geht ab in den Ofen, bis der Käse geschmolzen ist.»
«Aber Käse – ist doch Milch! Das verstehe ich jetzt nicht!»
«Gut gereifter Käse ist lactosefrei. Deshalb kann ich den ohne Probleme essen.»
«Das ist ja wie die Älpler-Maggronen – nur andere Zutaten.»
«Fand ich auch! Und deshalb sind das jetzt meine neuen Älpler-Maggronen!» Sagts, stülpt sich Handschuhe über die Hände, öffnet den Backofen und stellt die Form auf den Tisch.
«So liebe Barbara, Essen ist fertig! …