Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Kartoffel

Der Bauernhof ist ein großer fränkischer Hof in U-Form mit einem Eingang auf der linken Seite und einem großen Tor auf der rechten Seite. Wenn wir im Winter nach Hause kamen, war es schon finster und kalt. Im Hof stand der Erpfeldämpfer. Das war ein großer Waschkessel, der mit Holz geschürt wurde und einen eigenen Schlot hatte. Der Kessel wurde täglich mit Kartoffeln gefüllt, die zum Abend fertig gekocht sein mussten. Die Kartoffeln wurden mit Weizenschrot gemischt und dann abends an die Schweine verfüttert. Die Ferkel fielen wie verrückt über diese Leckereien her.
Niemand musste je Hunger leiden.
Wenn du aus der Kälte kommst, dann suchst du dir aus dem Dämpfer zwei oder drei schöne Kartoffeln aus. Du legst sie auf den Teller und ziehst die Haut mit einem Messer ab. Jetzt zerquetscht du sie mit der Gabel. Du drückst dein Messer durch die Butter und nimmst ein Dreieck auf die Klinge. Die Butter setzt du auf die Kartoffel und siehst zu, wie sie schmilzt und in die Kartoffel hineinsickert. Dann nimmst du ein wenig Salz und bröselst es über dein Kunstwerk. Du drückst mit der Gabel die Mischung in die Konsistenz, die du gerade magst. Du beginnst zu Essen und erschmeckst jede Zutat deiner Kreation.

Ich habe keine Angst. Kartoffeln, Butter und Salz sind immer da.

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Hallo Ekner,

Du sprichst mir aus der Seele, denn als Zugvogel habe ich diese, ähnliche und andere Dinge im Ausland ebenfalls erlebt. Und ich war ebenso als Ausländer in den Ländern der Einheimischen unterwegs, habe mich dort wohlgefühlt, hatte manchmal gar das Gefühl, quasi eingemeindet zu sein. Jedenfalls konnte ich Dich gut auf Deiner Reise begleiten.

Gruß

Squai

„Das ist zu teuer.“ Der runzlige Mund flüsterte leise die Worte. Sie stand gebeugt, auf einen abgegriffenen Gehstock gestützt, vor der Auslage der Bäckerei. Eigentlich war sie unauffällig, normal, wie alte Frauen eben so sind, heutzutage, in der Stadt. Aber etwas an ihr war anders. Ihre Augen, sie waren seltsam. Sie brannten. Anders war es kaum zu beschreiben. Ein wahrhaft wütendes Funkeln lag darin, das so garnicht zu ihrer sonstigen Erscheinung passte. Es machte sie so lebendig. Es gab ihr eine Präsenz, die so unerwartet war. Und auch irgendwie unerwünscht. Es zwang mich dazu, mich mit ihr zu beschäftigen, obwohl ich es garnicht wollte. Wen interessiert schon eine fremde alte Frau. Eher unwillig blieb ich stehen, verfolgte sie mit den Augen.

Sie fasste ihren Stock fester und überquerte die Straße. Eine kleine Strecke, ein verkehrsberuhigter Abschnitt. Gegenüber eine Kneipe mit Außenbewirtung, viele Tische für viele Menschen. Wohlfühlen für Profit. Sie setzte sich, offenbar ganz in Gedanken, an einen kleinen Tisch. Dem Köbes beschied sie mit einem kleinen Kopfschütteln, dass sie nichts wolle. Der legte ihr die Hand auf die Schulter und nickte. „Is jut, blievns.“ Diese kleine Zuwendung würde sein Geschäft nicht schmälern. Trotzdem war ich zutiefst erstaunt ob dieser Freundlichkeit. Sie schien es nicht zu bemerken. Ihr Blick war mittlerweile starr nach innen gerichtet, hin und wieder schüttelte sie den Kopf. Die silberfarbenen Löckchen zwangen mir „Wasserwelle“ ins Hirn. Was war es wohl, das ihr jetzt gerade durch den Kopf ging? Alte Kriegserinnerungen? Zweifellos hatte sie den miterlebt, rein altersmäßig. Eine Liebesgeschichte? Hmm, gut möglich. Das war sicher damals dramatischer als heutzutage. Allein diese Standesdünkel. Romeo und Julia never die.

Immer noch in Gedanken versunken, erhob sie sich. Richtete den Blick nach oben, in den strahlend blauen Himmel, dann schüttelte sie den Kopf. Sie warf einen letzten, wütenden Blick in Richtung der Bäckerei, presste die zur Faust geballte Hand an die Lippen und wandte sich ab. Langsam, in ihre Gedanken versunken, ging sie über die Straße. Die andere. Die mit viel Verkehr.

Es war nicht ihre Schuld. Das Auto war viel zu schnell. Sie hatte keine Chance. Ich hätte sie so gerne so viel gefragt.

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Wurstsuppe im Pfarrhaus
Meine Geschichte spielt in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. Diese Zeit kommt mir heute wie ein Traum vor oder wie ein anderes Leben. Wenn ich meinem Enkel von den damaligen Umständen erzähle, schaut er mich zweifelnd und un-gläubig an. „Opa, schwindelst du wieder einmal?“. Es ist nichts geschwindelt!

Meine Familie wurde 1946 aus ihrer Heimat im Sudetenland vertrieben. Sie landete nach einigen Zwischenstationen bei einem evangelischen Pfarrer in einem kleinen Dörfchen in Hessen. Der Pfarrer hatte einen Schreiner gesucht und ihn mit meinem Vater gefunden. Es war ein großer Glücksfall und hat mein ganzes Leben geprägt. Und dazu gehörte auch, dass wir streng-katholischen Flüchtlinge von der evangeli-schen Pfarrersfamilie unglaublich gut unterstützt wurden.

Zurück zu den Umständen. Es gab kein Fernsehen und nur ganz wenige Autos und Radios. Dafür saßen die Leute abends vor ihren Häusern und unterhielten sich. Da es keine Straßenlaternen gab, wurde es abends stockfinster im Dorf. Die ideale Umgebung für einen achtjährigen Jungen für Abenteuer aller Art. Mein Enkel kann sich ein Leben ohne Smartphone und Internet nicht vorstellen.

Der Begriff „Hartes Leben“ traf vor allem im Winter zu. Es gab keine Zentralheizung und wir hatten in der Wohnung unter dem Dachboden nur einen Holzofen. Manch-mal hatte ich Raureif auf meiner Bettdecke. Die sanitären Anlagen waren „Interes-sant“. Die gemeinschaftliche Toilette war ein Stockwerk tiefer über eine steile Holztreppe zu erreichen. Ein Bad gab es gar nicht. Jeden Samstag wurde in der Waschküche der große Waschkessel geheizt und dann badeten die Familienmit-glieder nacheinander in einer großen Blechwanne. Das musste schnell gehen, denn der Letzte sollte auch noch etwas warmes Wasser haben.

Es gab keine Jeans und ich hatte noch nicht einmal lange Hosen. Das ganze Jahr trug ich eine Lederhose. Sie wurde im Winter durch dicke selbstgestrickte Strümpfe ergänzt. Strümpfe für einen Jungen! Unglaublich, aber so war es halt und damals fiel es nicht auf.

Das Pfarrhaus lag in einem riesigen Garten mit Obstbäumen aller Art. Die Quitten-bäume waren für uns neu. Aus dem Quittensaft stellte die Pfarrers-Oma eine wun-derbare fruchtige Süßigkeit, das Quittenbrot, her. Von dem bekamen wir, wie von fast allem, einen Teil ab. Noch heute habe ich den Geschmack von diesem köstli-chen Produkt auf der Zunge.

Nur ein Teil des riesigen Geländes wurde als Gemüsegarten genutzt und der Pfar-rer stellte uns ein großes Stück als Garten zur Verfügung. Auch von den Brombee-ren und Himbeeren durften wir ernten. Unser Garten lieferte einen Großteil unserer Ernährung, denn meine Eltern waren arm wie eine Kirchenmaus und konnten nichts kaufen. Ein anderer Teil kam vom „Stoppeln“. Mit meiner Mutter ging ich auf die abgeernteten Felder und las die Reste auf, die der Bauer liegengelassen hatte. Ein guter Lieferant war der Wald, in dem es Beeren, Pilze und Bucheckern hab. Un-ser „Kühlschrank“ war ein Teil des kühlen Naturkellers mit Lehmboden. Der Pfarrer betrieb ein Bienenhaus und wir bekamen von dem köstlichen Honig immer wieder etwas ab. Bei der Pflege der Bienen und der Herstellung des Honigs durfte ich mit-helfen.

Frühere Pfarrer hatten anscheinend Landwirtschaft betrieben, denn es gab eine riesige Scheune und alte Ställe, die teilweise umfunktioniert waren. Wie zum Bei-spiel die Schreinerwerkstatt und die große Waschküche. Der Konfirmandensaal, der in dem 500 Seelen – Dorf auch zeitweise als Schule genutzt wurde, war der einzige „Neubau“. Nebenbei bemerkt: ich habe am Konfirmandenunterricht teilge-nommen bis meine streng katholischen Eltern entsetzt dahinter kamen. Geschadet hat es mir nichts! Im Gegenteil! Am sonntäglichen evangelischen Gottesdienst durf-te ich aber weiter teilnehmen, da ich den Blasebalg für die Orgel treten musste.

In meiner Familie gab es außer der Bibel kein Buch. Daher war es ein absoluter Glücksfall, als ich in einer Dachschräge die Hinterlassenschaft von Generationen an Pfarrersfamilien fand. Neben anderen Büchern waren auch die „Ilias“ und die „Odyssee“ dabei. Die habe ich bei Kerzenschein nachts verschlungen. Das war möglich, da ich alleine in der Küche auf dem Sofa geschlafen habe. Es war ein Traum! Was kann es für einen Jungen Schöneres geben.

Trotz all dieser Umstände erlebte ich eine wunderbare Kindheit.

„Fleisch“ und „Wurst“ gab es nur ganz selten. An Ostern und Weihnachten schlach-tete mein Vater ein armes Kaninchen. Meine Mutter zauberte daraus köstliche Klei-nigkeiten, die ein paar Tage reichen mussten.
Der kulinarische Höhepunkt kam Anfang Dezember. Ein Metzger aus dem Dorf kam mit diversen Gerätschaften und schlachtete in der Waschküche ein Schwein. Das ist heute undenkbar! Bei diesem Vorgang durften die Pfarrerskinder und ich nicht teil-nehmen. Aber dann wichen wir dem Metzger nicht von der Seite. Wir staunten, was bei dem fachmännischen Zerlegen alles zum Vorschein kam. Wenn ich mich richtig erinnere, haben sich die Mädchen da aber ziemlich schnell verabschiedet. Ein Teil der Bestandteile wurde zerkleinert und kam in eine Wanne. Dort wurden sie gesal-zen, mit allerlei geheimnisvollen Gewürzen versehen und als Rohwürste in Därme gefüllt. In dem großen Waschkessel war inzwischen Wasser heiß gemacht worden und die Würste kamen nacheinander hinein. Bei der Prozedur platzten einige auf und es entstand langsam die köstliche Wurstsuppe. Der Metzger prüfte immer mal den Geschmack und manchmal hat er noch mal eine Wurst angestochen. Nach den Würsten wurden noch diverse Sorten Fleisch zubereitet und auch die Knochen wurden nicht weggeworfen.

Zum Schlachtfestessen waren ein Teil der Dorfkinder eingeladen. Mit denen vertrug ich mich sehr gut und es gab keinerlei Anfeindungen, weil wir Flüchtlinge waren. Im Gegensatz dazu stritten sich ein Teil der Erwachsenen ständig und es gab immer wieder Beleidigungen.
Bei dem Essen gab es zunächst einen Teller Wurstsuppe mit hausgebackenem Brot. Herrlich! Dann Würste und Fleisch satt. Es war das einzige Mal im Jahr, wo ich mich mit Wurst und Fleisch satt essen konnte. Mein Glück war vollkommen, denn ich saß bei dem Essen neben der jüngsten Pfarrerstochter, in der ich unsterblich verliebt war.

Nach dem Essen wurde im Dunkeln auf dem Pfarrgelände Verstecken gespielt. Mit viel Lachen und Gekreische. Leider war der Abend schnell zu Ende. Die Dorfkinder bekamen in den mitgebrachten Milchkannen noch Wurstsuppe für zuhause.

Nie wieder habe ich so gut gegessen!

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Vor der Pommesbude stehen einige an. An regenfreien Tagen lässt sich die Warterei ertragen. Heute tropfen feine Wassertropfen auf mich. Ungeniert bugsiere ich meinen Vordermann. Ein dünner Typ mit einer zu großen Hose. Die sich mit dem Wind bewegt. Seine Hosenbeine flattern. Der Stoff zerrt hin und her und zeigt dünne Beinen. Auf der Straße liegen die ersten gelben Blätter. Der Herbst zeigt, welchen Spaß er hat und mit welchem Schwung er alles durchrüttelt. Schwarze klobige Schuhe sowie eine viel zu große Jacke hängen an meinem Vorgänger.
„Hey, stupse ich ihn nochmal an. Mein Zug fährt gleich. Lässt du mich vor?“
Sein Gesicht starrt mich an. Er scheint furchtbar Hunger zu haben. Kreideweiß mit einem dünnen Kinnbart dringt kein Wort über seine Lippen. Er dreht sich um. Schaut über mich hinweg, als habe er mich überhaupt nicht gesehen. Er ignoriert mich. Auf meine Größe von 1,50 m bin ich mächtig stolz. Seit ich gewachsen bin, kann ich endlich eine Schultasche tragen.
Eine grüne Tasche vollgestopft mit Büchern. Vor einigen Tagen stand Luis Trenker am Bahnhof. Wäre meine Tasche nicht so dunkelgrün und hätte ich einen Kugelschreiber gehabt…, würde ich heute noch sein Autogramm in einem meiner Bücher verstecken. Doch dann drückt mich die Menschenmasse an ihm und seinem Begleiter vorbei.
Der Tag war bis hierher sehr lang. Frühstücken ist eine schwierige Angelegenheit. Irgendwie geht es mir nach dem Genuss von Brot nicht gut. Der Magen drückt. Unwohlsein stellt sich ein. Manchmal wird mir richtig übel. Deshalb schmiss ich mein Vesperbrot, was meine Mutter mir für den Hort machte, häufig weg. Morgens geht überhaupt nichts in meinen Schlund. Brot esse ich meist erst abends, wenn nicht gekocht wird. Überhaupt gibt es bei mir zuhause selten etwas zu Essen, was richtig gut schmeckt. Allmählich wird mir die Warterei zu bunt. Leicht durchnässt stelle ich meine Hand in die Hüfte. Lege ein Manöver nach. In dem ich mich um 180 Grad umdrehe. Nur so, um nach hinten zu sehen, wann mein Zug fährt. Derweil berührt mein Ellenbogen seinen Rücken. Er macht einen Schritt zur Seite. „Du willst Pommes, nur zu. Ich warte.“ Auf was er wartet habe ich nie erfahren. Tatsächlich war die Schlange bei ihm zu Ende. Mit einem Blick um ihn herum, stehen nur noch zwei Leute vor ihm. Bald darauf bin ich dran. „Pommes,“ kommt es gierig aus meinem Mund. Doch die 80 Pfennig für die Tüte Pommes bei der besten Pommesbude Conny, am Bahnhof von Schorndorf, kann ich nicht finden. Ich krame in meinem Mäppchen, drehe an den Stiften. Grabe in meiner Schultasche und finde Münzen. Mit hochrotem Kopf und eiskalten Händen zeige ich Conny meine Handfläche mit 60 Pfennig. Versteht er, dass es für Pommes heute nicht reicht? Er steht da mit einer weißen Metzgerschürze und wendet gemächlich rote Würste auf dem Grill. Sein Bauch spannt alle Knöpfe. Die Schürze ist viel zu eng für ihn. „Bekomme ich dafür etwas.“ Er schaut mich an und sagt. „Currysoße mit Brötchen.“ Wortlos nicke ich. Das Loch in meinem Magen ist so groß. Ich bin froh über diese Mahlzeit. Beschämt vor dem Jungen, der alles mitansieht, lege ich zur Sicherheit das Brötchen in die Schale mit Soße, damit nichts verloren geht. Das Weizenbrötchen kann nichts dafür. Es reicht mir ganz knapp vom Zug nach Hause auf die Toilette. Danach stelle ich fest. Ich müsste endlich mein Taschengeld aufbessern. Es reicht ja weder hinten noch vorne. Ansonsten gibt es erst abends etwas zu essen. So ein ganzer Tag kann sehr lang sein. An manchen Tagen hält mir die Müdigkeit die Treue. Mit 12 Jahren bin ich zwar nicht ausgewachsen, aber Mutti sagt: „Du kannst das, du bist schon groß.“ Seither fahre ich von Beutelsbach nach Schorndorf in die Schule. Zum Glück darf ich in der Schule bleiben, sonst gäbe es mit jedem Umzug auch ein Schulwechsel. Meine Mutter verlässt gegen 6 Uhr das Haus. Anschließend verweile ich in Bummel Minuten. Mal auf die Straße schauen, wer alles vorbei läuft. Oder ich beobachte im Spiegel meine Augen. Ich glaube in Pubille verbirgt sich ein Geheimnis. Natürlich kann ich nur dann hineinschauen, wenn mich niemand sieht. Weil niemals eine Schrift aus dem Auge kommt, oder eine andere Nachricht. Mir nach kurzer Zeit der Nacken schmerzt, erinnere ich mich an die Uhr. Jeden Morgen wird das Anziehen dann eine schnelle Sache.Schnell einen Kaffee trinken, der Rest, der in der Küche steht und Zähne putzen. Kurz darauf renne ich 15 Minuten auf den Bahnhof. Einige Male war es sehr knapp.

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Brot und Liebe

Mein Vater war ein stiller Mann. Er arbeitete viel, sprach zu Hause wenig. Sein Tonfall hatte keine bemerkenswerten Tiefen oder Höhen. Die Launen meiner Mutter ertrug er stumm. Für mich als Kind schien es immer so, als sei er frei von Wut, Freude, Traurigkeit und Spaß gewesen. Und auch frei von Liebe. Von Liebe zu mir.

Je älter ich jedoch wurde, umso mehr spürte ich, dass es anders war. Ich hatte seine Gesten nicht als das wahrgenommen, was sie bedeuteten. Das, was er mir sagen wollte, ließ sich für ihn vielleicht nicht in Worte fassen. Doch er tat Dinge für mich, die ich erst viel später wertschätzen konnte.

Das große Puppenhaus mit den unterschiedlich tapezierten Zimmern, das er als Weihnachtsgeschenk für mich gebaut hat, in wochenlanger Arbeit nach Feierabend heimlich im Keller.

Der Zehn-Mark-Schein, von dem meine Mutter sicher nichts wusste und den er mir am Bahnhof in die Hand drückte, bevor ich für einige Wochen in eine andere Stadt zur Berufsschule fuhr.

Das Abholen von der Dorfdisco um Mitternacht.

Die winzige Portion heißer, salziger Brühwürfelbrühe mit den viel zu weichen Nudeln darin, von mir für ihn auf meinem kleinen, elektrischen Kinderherd gekocht, und die er, so tat er jedenfalls, mit großem Appetit aus einer Tasse löffelte.

Das Hasenbrot. „Papa, hast du mir ein Hasenbrot für mich?“, fragte ich ihn beinahe täglich, immer ungeduldig wartend, wann er von der Arbeit kam. Es war so schön, dieses Leberwurstbrot von Papa zu essen, das er sich morgens mit mehreren anderen Broten geschmiert und in der Brotdose aus Plastik mit zur Arbeit genommen hatte, um es am späten Nachmittag wieder mit nach Hause zu bringen. Ganz weich war es schon geworden, fettig innen wie außen, intensiv mit deftigen Aromen von Leber, Speck, Kräutern und Gewürzen durchzogen und verführerisch danach duftend. Fett an meinen Fingern, Fett an meinen Lippen. Aber ich war ein dünnes Kind mit schlechtem Appetit. Ich durfte das.

Heute, lange Jahre nach seinem Tod, ja, heute glaube ich, dass das Hasenbrot kein Zufall war. Er hatte es extra für mich geschmiert, mitgenommen und aufgehoben, weil ich es so liebte.

Und weil er es liebte, dass ich es liebte.

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Catering des Grauens

Drei Vorträge. Drei Stunden geballte Langeweile. Fünf Redner ohne Leidenschaft für das Thema. Dreißig hungrige Menschen. Mittagszeit.
»Essen gibt es umsonst«, haben sie gesagt. »Da kann man sich den Bauch vollschlagen«, haben sie gesagt. »Richtig lecker«, haben sie gesagt.
Anzugträger stürmen das Buffet.
Das Buffet: Belegte Brötchen. Wurst. Käse. Wurst. Wurst. Käse. Tomate-Mozzarella. Wurst. Käse mit Gurke. Wurst mit Wurst.
Sie steht davor und der Magen knurrt.
Zwanzig Jahre zuvor: Das Abendbrot. Für die Eltern Brot. Käse. Wurst. Alles das, was Anzugträger zwanzig Jahre später ohne Scham in sich hineinstopfen und Witze erzählen, während Krümel aus dem Mund fliegen. Das kleine blonde Mädchen sitzt vor dem weißen, tiefen Teller. Wenn sie aufisst, schaufelt sie gleichzeitig das Bild von Hänsel und Gretel frei. Es gibt Wurst. Mit Tomatensoße. Und das Beste: Nudeln. Das Go-To Abendessen, denn Brot ist langweilig. Ein glückliches Kind am Esstisch.
Eine unglückliche junge Frau am Buffettisch.
Jeder Teller Nudeln war es wert, die Abneigung gegen belegte Brötchen zu entwickeln. Es war einen Versuch wert, sich das Buffet anzusehen. Sie bedient sich am Obst und geht zurück zum Platz. Öffnet die Handtasche und holt den vorbereiteten Pesto-Nudelsalat heraus. Irgendwann wird der Tag kommen, an dem belegte Brötchen nicht mehr die Norm sind. Da ist sie sich sicher.

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Ahoi Brause
Die Verlockung lauert am Ende des Schulwegs.
Aus der Bäckerei an der Ecke dringt staubiges Licht und der Geruch muffiger Brötchen. Geradeaus, dann an der Hauptstraße rechts abbiegen. Das Eiscafe Adria im Winterschlaf - ein Hauch von Sehnsucht an sommerliche Sonntage in nieseliger Nebeldämmerung. Schauerlich lauern Perückenköpfe im schummrigen Licht beim Friseur Weis. Lieber schnell weiter, vorbei an dem Metzger, den die Mutter nie betritt, langsamer werdend am Radladen Altig. Im letzten Licht der erblassenden Straßenlampen glänzt ein blaues Kinderrad, so leicht, so schnell wie der Wind.
Zurückschauend geht es zögernd weiter an der vergilbten Auslage der Reinigung Holzkamp, die strahlend weiße Wäsche verspricht. Neben dran die langweilige Allianzversicherung mit maßanzüglich lächelnden Herren und viel zu viel Text für Zweitklässler auf den Werbeplakaten.
Die Zeit drängt, also schneller vorbei an Eisenhändler, Schneiderei und Apotheke, dann an die an die Hand nehmen, nach links und recht schauen, und im Abgasdunst die letzte Querstraße meistern.
Auf der anderen Straßenseite wächst schon die rotsandsteinerne Schule empor, umrahmt von Mauer und Schulhof mit blätterfegendem Hausmeister.
Doch zuerst müssen wir die Tür vom Schreib- und Tabakwarenladen Werner klingeln lassen, stolpern zur Kassentheke, die kostbaren Groschen verkrampft in den Händen. Schleckmuscheln, Gummikirschen, saure Stäbchen und Lakritzen und mittendrin die Schachtel mit den Tüten mit dem winkenden Matrosen. Himbeere, Zitrone, Orange oder Waldmeister? Natürlich Himbeere!
Für einen Moment süße Glückseligkeit auf der Zunge, prickelnd nach Frucht und weite große Welt schmeckend, aufschäumend, dann leider allzu schnell den letzten Rest aus der Tüte geleckt. Das Prickeln reicht gerade bis zur Ampel. Der Himbeergeschmack verfliegt vor dem Schuleingang.

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Uromas Geheimrezept

„Warum kann ich nicht noch ein bisschen bei euch bleiben? Ich bin auch ganz leise.“
„Für kleine Mädchen ist jetzt Schlafenszeit. Komm, zieh dir den Schlafanzug an, dann schnell Zähneputzen und ab ins Bett mit dir.“
„Mir ist so kalt und das Wasser tut mir an den Fingern weh. In der Stube ist es viel wärmer.“ Mama ist unerbittlich und drängt mich. Ihre kalte Nase streift mich, als sie mir einen Gutenachtkuss auf die Wange drückt. Meine Finger sind genauso kalt wie meine Füße. Ich hoffe, dass meine Eltern auch ganz bald ins Bett kommen, damit ich mich an sie kuscheln und wärmen kann. Verloren suche ich mir ein Plätzchen in dem Bett. Mama verlässt das Schlafzimmer. Sie geht zurück in die warme Stube und lässt mich allein. Die weiße, knisternde Decke türmt sich über mir auf. Mein Gesicht drücke ich in den weichen Bauch von meinem Kuschelbären. Da riecht es nicht so streng nach frischer Wäsche, da kann ich atmen. Tränen kullern auf den Teddy. Uroma hat gesagt, dass ich groß geworden bin, und große Mädchen weinen nicht. Ich lausche auf die Geräusche im Haus. Vorsichtig blinzel ich hinter der Decke in den Raum. Ein zarter Lichtschein dringt vom Mondlicht durch die kleinen Fenster. Ich bewege mich nicht, denn bei jeder Bewegung spüre ich die Kälte der harten Decke, die so anders ist als meine kuschelige Bettdecke daheim. Ich halte die Luft an, aber lange geht das nicht. Mein Blick huscht vom Bett über den Waschtisch zum Kleiderschrank. Ich vermisse etwas auf dem Schrank und so füllt er nur dunkel den Raum. Schritte, das Knacken der Dielen und leise Stimmen. Ich schließe die Augen, reiße sie aber sofort wieder auf. Die Tür öffnet sich und ich starre in das Licht, das vom Flur einfällt. Meine Uroma drückt die Türe weiter auf und kommt herein. Sie trägt ein großes Holzbrett, streckt sich und schiebt das Brett oben auf den Kleiderschrank, bevor sie so leise wie sie ihn betreten hat, den Raum wieder verlässt.
Es dauert einen Moment, doch dann durchströmt der Duft nach Kuchen die Schlafkammer. Er streift mir über die Nase, verdrängt den trockenen Geruch der Bettwäsche und ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus.
Uromas Streuselkuchen.

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Orangen im Glas

Ich muss drei gewesen sein. Dreieinhalb. Aber vielleicht war es auch schon ein Jahr früher. Schließlich lernt man in der Schweiz Skifahren, sobald man einigermaßen sicher stehen kann.
Ich kann nicht behaupten, dass mir das Skifahren besonders gefallen hätte; ich erinnere mich daran, dass mir kalt war, dass ich nass war, dass ich die meiste Zeit wohl im Schnee gelegen hatte, statt auf den Skiern zu stehen.
Eine andere Erinnerung ist aber deutlich besser – und auch deutlicher und besser im Gedächtnis geblieben; es ist eine meiner ersten klaren Erinnerungen: Die Ferienwohnung befand sich im obersten Stock eines alten Hauses und hatte einen Zugang zum Dachboden, auf dem wir Kinder spielen durften. Es roch leicht muffig, nach alten Möbeln, nach noch älterem Holz und nach vergessenen Dingen. Ein lindgrüner abgewetzter Ohrensessel stand da – die Gemütlichkeit schlechthin.
Und dann war da dieser Orangenpunsch. Im Nachhinein muss ich gestehen, dass sich bei mir da zwei Erinnerungen vermischt haben, denn den Punsch gab es bestimmt nicht auf dem Dachboden. Solchen Punsch hatte meine Mutter nie gemacht. Wahrscheinlich haben wir ihn in einem Café getrunken, nach der Skischule.
Es war kein Punsch, wie man ihn heute in einer Gaststätte bekommt – Pulver in einem Beutel zusammen mit einer mehr oder weniger heißen Tasse Wasser. Es war ein Punsch, wie ich ihn zuvor noch nie getrunken hatte – und auch danach nie wieder. Wenn das Licht ins Punschglas fiel, glänzte das Getränk golden, leicht bräunlich orange. Im Glas befanden sich zwei Orangenschnitze und der Dampf, der weißlich aufstieg, verbreitete das Aroma von süßen frisch geernteten Orangen.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich mir beim ersten Schluck die Zunge verbrannte, jedoch nicht so stark, dass ich danach nicht mehr richtig geschmeckt hätte. Das Getränk fühlte sich anschließend warm und geschmeidig an im Mund und auch im Hals. Es war nicht übersüßt, dafür umso aromatischer, erfrischend und wärmend zugleich. Eben einfach: Orangen im Glas.

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Nichts übrig geblieben

An der Gartentür der Hund, so groß wie ein Bär, unter dem stramm gebürsteten Fell ein Muskelpaket, sein Blick dringt bis ins Innerste vor: „Und, was willst du hier?“

Der Eigentümer streicht ihm über den Kopf. Es sei alles gut, der Herr – ich – sei schon in Ordnung. Die Gartentür hat er belassen, wie sie war, auch die Garagentore, er könne nicht alles auf einmal neu machen, das Haus sei ein Werk auf viele Jahre.

Ich folge ihm durch den Garten: Statt Stauden mit roten und weißen Ribiseln und Beeten voller Karotten, Erbsen und Karfiol nun wild wucherndes Gras und Blumen, die Sandkiste zugeschüttet, so wie das Schwimmbad, das dann doch nicht gebaut wurde. Der Hund geht zwischen uns.

Er habe den Heizraum umgerüstet, sagt der Eigentümer, das war das vordringlichste. Die Wurst, die dort jahrelang zum Trocknen gehangen hat, habe der Hund gefressen. Die Gartenhütte wurde ausgeräumt, die Schaukel abgebaut. Der Hund dreht eine Runde, ohne sich zu weit von uns zu entfernen.

Im Vorhaus gedämpfte Beleuchtung, die Wand zur Speisekammer wurde weggerissen, helle Sitzgarnitur statt den Gefrierschränken und Regalen, in denen Essen für ein gefühltes Jahr gelagert waren: Teile eines halben Schweins, zerlegt vom Bauern am Hügel, Saftflaschen und Gläser mit Marmeladen und Kompott, die sich bis an die Decke stapelten.

Aus dem Zimmer nebenan soll ein Sportzimmer werden, sagt der Eigentümer. Dort hat der Onkel damals den Alten gefunden, nachdem er mitten in der Nacht vom Lärm aus dem Schlaf gerissen wurde.

Der Hund legt den Kopf schief, als lauschte er auf etwas.

Der Eigentümer führt uns in die neue Küche, von der alten war praktisch nichts mehr zu gebrauchen gewesen. Die Futter- und Wasserschüsseln für seinen Bärenhund stehen an derselben Stelle wie damals für den Collie, der dem Alten lange Zeit ein treuer Freund war.

Da sehe ich sie sitzen: die Eltern und die Alten, die Onkeln und die Tanten und uns Kleine. Knödel werden aufgetischt, Kraut und Kartoffeln, und Braten vom Schwein aus dem Zimmer nebenan. Aus dem Radio rauschige Musik, am Tisch Gespräche, die wir Kleinen zwar nicht verstehen, aber ins Gelächter stimmen wir mit ein. Manchmal serviert die Großmutter auch Fleisch von den Hasen, die der Alte hinter der Gartenhütte gezüchtet hat. Als ihn der Onkel damals fand, verschenkten sie die Hasen. Der Hund weiß nichts davon.

Im ersten Stock ist die Firma untergebracht, mit getrenntem Zugang, vier Mitarbeiter und noch im Ausbau; wo jetzt die Mitarbeiterküche ist, haben die Mutter und die Tante Marmelade gekocht, fischte der Vater Würstel aus dem Topf, habe ich meinen ersten selbstgebackenen Muttertagskuchen überreicht: „Davon ist nichts übrig geblieben.“

„Was sagten Sie?“

Der Hund schaut sich um, als ob jemand im Raum steht, der nicht gesehen werden will.

„Ich sagte, gehen wir in den Ort etwas essen. Ich habe Hunger.“

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Heringsstipp

Trotz der schrillen Stimme meines Weckers wachte ich entspannt und mit einem Lächeln auf. Das kam selten vor, so dass ich mich darüber wunderte. Doch dann fiel mir mein Traum wieder ein.

Alle waren sie da gewesen, die ganze Familie. Dabei weilten meine Liebsten gar nicht mehr in unserer diesseitigen Welt, sondern existierten irgendwo in einer für uns nicht zugänglichen Sphäre weiter, so hoffte ich es jedenfalls.

Wie zu Zeiten meiner Kindheit in den 1960er Jahren saßen wir in Omas Wohnküche mit den hohen Zimmerdecken. Wie oft hatte ich als kleines Mädchen meinen Kopf in den Nacken gelegt und die Stuckornamente dort oben bewundert. Alles wirkte so vertraut, als sei ich gestern erst dort gewesen. Dabei lagen Jahrzehnte zwischen Traum und Wirklichkeit.
Genauso hatte ich es in meiner Erinnerung bewahrt. Das unüberhörbare Ticken der alten Pendeluhr, auf der Tapete das zarte Blumenmuster in Pastell, das dunkelrote Chaiselongue mit den vielen Kissen und Oma am Herd. Eine wahre Zauberkünstlerin am Kochtopf. Was auch immer sie zubereitete, blieben mir ihre Mahlzeiten als die schmackhaftesten meines Lebens in Erinnerung.

In meinem Traum gab es Heringsstipp, eines meiner Lieblingsgerichte. Auf dem Ofen brodelte bereits das Kochwasser mit den Pellkartoffeln und ein Duft von Apfel, Zwiebel und fangfrischem Fisch zog durch die ganze Wohnung bis ins Treppenhaus. Ich beugte mich mit meiner Nase über die große Servierschüssel. Jetzt mischte sich ein feiner Hauch von Meer unter die anderen Aromen, eine Mischung aus Salz und Seetang. Fast schon meinte ich, in der Ferne das Schreien von Möwen wahrzunehmen.
Die zerkleinerten Zutaten schwammen in der glänzenden weißen Stippe. Oh, sah das lecker aus! Oma streute noch etwas Dill darüber. Seine Frische entfaltete sich sogleich in meinen Geruchszellen, so dass ich mich für den Bruchteil einer Sekunde in einem Kräutergarten wähnte.
Endlich wurde der Tisch gedeckt. Nun dauerte es nicht mehr lange bis zum Essen. Und dann kamen auch schon die dampfenden Kartoffeln auf die Tafel und es wurde aufgetan. Sobald alle Teller gefüllt waren, verstummte das fröhliche Geschnatter meiner Familie. Es schmeckte wunderbar. Oder sollte ich traumhaft sagen?

Der erbarmungslose Wecker katapultierte mich wie immer zur Unzeit in den rauen Alltag zurück. Ich hatte nicht einmal die Chance gehabt, mich würdig von meiner Familie zu verabschieden. Zumal ich nicht wusste, ob ich meine Lieben jemals wiedersähe. Nach meinem eigenen Ableben versteht sich. Und meinen Teller hatte ich auch halb voll zurücklassen müssen.

Trotzdem hallte das Gefühl von kindlicher Geborgenheit im Kreise der Familie noch lange nach. Den ganzen Tag über war ich bester Laune. Was es abends zu Essen gab, wusste ich auch schon.

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In der Hoffnung, dass mein Beitrag nicht in der Flut ertrinkt… :ocean:

Gefühle wiegen mehr, als man denkt

»Jannis steht auf schlanke Mädchen«, höre ich Aria tuscheln. Kaum hat sie die bittere Wahrheit ausgesprochen, dreht sich Laura kichernd in meine Richtung. Ihr Blick huscht über meinen Körper und hinterlässt dort eine Schaudergänsehaut. Ich spüre die dunkle Mischung aus Abwertung, Verurteilung und Schadenfreude auf mir und verschränke die Arme vor meinem Leib. Kann es sein, dass mein Oberteil plötzlich geschrumpft ist? So unauffällig wie möglich zupfe ich es in die Länge, um meinen Bauch, der in diesem Neonröhrenlicht noch weißer erscheint, zu verstecken. Ich hätte heute Morgen doch den ausgeleierten Pullover anziehen sollen. Was habe ich mir nur gedacht?

Der Mann hinter der Theke schiebt im Schneckentempo eine kleine Portion goldgelb glänzender Pommes mit winzigen schimmernden Salzkristallen darauf in meine Richtung. Er hebt dabei schweigend und doch alles sagend eine Augenbraue. Er hat mich nicht einmal gefragt, ob ich Mayonnaise oder Ketchup dazu haben möchte. Ich weiß, was er denkt, was alle hier denken.

»Kein Wunder, dass sie so fett ist.«

»Von nichts kommt nichts.«

»So wird sie nie abnehmen.«

Ich starre die Pommes an. Kurz überlege ich, die 434 Kilokalorien einfach stehen zu lassen und durch den Regen draußen zu verschwinden. Aber ich schaffe es nicht, meine Augen von der Pappschale zu lösen. Es steckt sogar ein Pikser aus Holz oben drauf. So wie früher bei den Portionen, die ich mit meiner Freundin Milly immer beim Freibadkiosk geholt habe.

»Nächster«, schreit der Augenbrauentyp.

Ich sollte die Pommes zumindest mitnehmen, schließlich habe ich sie bezahlt. Teuer bezahlt. Mit Blicken.
Mit einer Hand schnappe ich mir meine Bestellung, mit der anderen versuche ich, mein Shirt an Ort und Stelle zu fixieren. Ich quetsche mich in der hintersten Ecke des Fast-Food-Ladens auf die lederbezogene Bank neben dem Bälleparadies.

Den ganzen Tag nahm ich bisher nur Wasser zu mir, das jeglichen Geschmack aus meinem Mund gespült hat. Zwei Gläser zum Frühstück und zwei Liter am Vormittag. Damit der Hunger endlich verschwindet. Mein Körper lechzt förmlich nach etwas Salzigem. Mein mies gelaunter Magen grummelt und fordert mich zum Essen auf. Vielleicht esse ich eine Fritte. Nur eine. Die lange Dicke, in welcher der Pikser steckt. Am besten, bevor sie kalt wird. Ob sich das auf der Waage bemerkbar macht? Aber irgendwas muss ich schließlich essen. Soll ich wirklich?

»Tu es einfach!«, kreischt mein Magen, also schnappe ich mir das goldene Teilchen und halte es vor meine Nase. Ich schließe die Augen. Es duftet herrlich nach Sommer, Sonnencreme, chlorgetränkten Bikinis und Unbeschwertheit. Fast kann ich den aufgeheizten Teerboden auf meinen Fußsohlen spüren und Milly neben mir gackern hören. Wir machen uns dick Mayo auf unsere Pappschalen, sie formt einen Smiley daraus, ich ein misslungenes Herz. Wir lachen darüber.

»Iss es endlich!«, brüllt es in meinem Ohr. Ich kneife die Augen jetzt fest zu und stecke mir blitzschnell die Fritte in den Mund. Sie ist heiß, viel zu heiß. Frisch aus der Fritteuse eben. Ich beginne zu kauen und knacke die krosse Schicht mit meinen Zähnen. Auf meiner Zunge spüre ich die butterweiche Kartoffelfüllung. Die kleinen Salzkügelchen zerschmelzen und prickeln bittersüß wie Zitrone vom Kinn bis in den Hals hinunter. Genau so sollten Pommes sein. Echte Milly-und-ich-Pommes. Ich kaue eine Ewigkeit und wälze die Kartoffelmasse auf meiner Zunge hin und her, bis sie sich vollständig mit meinem Speichel vermischt hat und der Geschmack und die Erinnerungen langsam verschwinden.

Als ich die Augen öffne, steht ein übergewichtiger kleiner Junge vor mir, schlürft durch einen Strohhalm an seiner XXL-Cola und gafft mich an.

»Jannis steht auf schlanke Mädchen«, höre ich Arias Stimme in meinem Kopf. Sofort meldet sich mein schlechtes Gewissen. Tränen schießen mir in die Augen. Ich lasse alles stehen und liegen und stürme aus dem Laden. Ich renne nach Hause und haste im Badezimmer auf die Waage.
Gott sei Dank, ich habe zwar nicht abgenommen, aber auch nicht zugenommen. Die Waage zeigt immer noch fünfundvierzig Kilo.

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Hühnerduft mit Frostfüßen

Oma putzte die Schneeflocken aus meiner Mütze und wuselte mit dünnen Fingern meine Haarpracht zurecht. Ich liebte es an ihren Haaren zu riechen, während sie mir die Stiefel auszog. Jedes Mal ein anderer, betörender Küchenduft. Mit meiner Nase in ihren Haaren trug sie mich in die große Kochstube.

Die warme Backröhre am uralten Herd öffnete ihr riesiges Maul und meine rotgefrorenen Füße wurden von Oma hineingesteckt. Wie ein Braten ohne Topf saß ich da auf der Ofenklappe und Zimtduft aus der Kakaotasse stieg in mein Gesicht. Langsam tauten meine Füße auf und die Sahne mit Kakao dran rutschte genüsslich vom Löffel in meinen Mund.
Oh!, das Huhn!“, hörte ich sie Opa zurufen und gleich darauf argwöhnisch fragen: „Ist es dieses Mal auch richtig tot? Nicht das es mir wieder vom Tisch hüpft.“ Opa antwortete mit festem Ton: „Deinen Messern ist ja zum Glück noch keines entkommen.“ Er schlurfte zum Schrank. „Kannst sicher sein, diesmal ist es richtig tot.“ Opa goss sich einen Schnaps ein und zwinkerte mir zu: „Ich hab´s gekitzelt und es ist nicht wieder aufgewacht.“ Lachend ließ er uns mit dem leblosen Federvieh in der Küche zurück.

„Sti-hille Nacht, heiiilige Nacht ...“ zauberten sich die kleinen Engelsstimmen aus dem Radio in meine Ohren und lullten auch die Oma ein. Die rupfte andächtig und im Takt dem armen Ding die braunen Federn aus.
Mit Kakao in meinen Händen und kleinen Engeln in meinen Ohren sah ich Oma zu, wie sie sorgsam, ja fast liebevoll das Messer ansetzte, dem Huhn ins Hinterteil stach und eine faustgroße Öffnung hineinschnitt. Sie griff hinein und zog Dinge heraus, die ich noch nie gesehen hatte. Meine Kehle weigerte sich augenblicklich, dieses wunderbare Getränk weiterhin in meinen Magen zu befördern. Braune Bäche flossen rechts und links aus meinem Mund. „Schau mal, Kleines. Das ist der Darm. Siehst du, wie lang so ein Hühnerdarm sein kann?“ Oma schaute mich mit Unterrrichtsmiene an und demonstrierte mir seine Länge in allen Einzelheiten.
Ich trank für eine Weile meinen Kakao mit geschlossenen Augen.

Oma liebte es, das Huhn vor seinem Gang in den Ofen so richtig gut mit allerlei Leckereien zu füllen. Sie schmierte immer zuerst ein dickes Stück gute Butter an die Innenseiten. So richtig viel. Darauf hielten die Kräuter gut und die machten das Fleisch so zart, dass es später beim Essen förmlich auf meiner kleinen Zunge zerschmolz und fast ohne Kauen die Kehle hinunterrutschte.
Sie nahm auch gerne einige der Innereien und legte sie mit der Füllung wieder zurück ins Innere. Sie wendetet das kleine glitschige Hühnerherz zuerst in Semmelbrösel, wickelte es in Speck und schob es mit den Nieren und der Leber zwischen Möhrenstreifen, frische Mangoldblätter und duftenden Koriander. Ein kleiner roter Apfel verschloss die Öffnung am Hühnerhintern. „Damit auch alles drinnen bleibt.“, sprach sie mit gewichtiger Stimme. Oma ging ins Nebenzimmer und holte aus ihrem Nähschränkchen eine dicke Nadel und einen langen schwarzen Faden. „Schau her! Mit Stichen über Kreuz näht man das Hinterteil wieder zu. Dann bleibt der Saft drin und kann alles schön zart machen. Siehst du? Einmal so und wieder zurück.“
Ich habe nie so ganz gerne zugeschaut, aber Oma meinte immer, dass würde sich einprägen und schließlich hätte sie auch auf diese Art Kochen gelernt.

Außen herum rieb sie das Huhn mit Zimt ein und spickte es mit Zitronen- und Orangenscheiben. Das sah lustig aus, weil sie dafür Zahnstocher nahm und das Huhn nun wie ein Igel aussah.
Früchteduft waberte durch die Küche, hüllte das tote Huhn, die Oma und mich in orientalische Wohligkeit. Das Huhn und ich tauschten die Plätze und Oma zog mit fürsorglichem Lächeln rote, selbstgestrickte Socken und Lammfellpantoffeln über meine Füße. Der Hühnerigel verschwand im riesigen Maul der Backröhre.

Nach einiger Zeit nahm sie dem halbgaren Huhn die Zitronen- und Orangenscheiben wieder weg und dafür übergoss sie es mit einer Marinade aus Butter, Honig und Kardamom. Ich konnte hören, wie das Gemisch brutzelnd in die heiße Haut eindrang und als Oma das Huhn am Ende aus der Röhre zog, hatte es eine knusprig-duftende, goldbraune Kruste.

Jedes Mal, wenn ich heute das Huhn mit Butter, Honig und Kardamom übergieße, bin ich froh, dass mir das Huhn nie vom Tisch gehüpft ist. Und ich kann immer noch ihr Lächeln sehen, als sie das erste Mal in meinem Restaurant ihr Weihnachtshühnchen aß.

 

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Das Familienessen

Es ist Sonntag und Oma Inge steht in der Küche um das Festessen vorzubereiten. Sie freut sich riesig, weil all ihre Kinder, vier an der Zahl, zugesagt haben vorbei zu kommen. Der Duft von selbst gebackenem Apfelkuchen zieht schon durch die Wohnung. Der Tisch ist bereits gedeckt und da klingelt es auch schon. Paul steht vor der Tür. In Begleitung seiner neuen Freundin. Oma Inge begrüßt sie herzlich und stellt schnell ein zusätzliches Gedeck auf den Tisch. Kaum fertig klingelt es schon wieder. Lena ist da. In Begleitung ihrer beiden Kinder Max und Sophie. Der Babysitter hat kurzfristig abgesagt, aber sie wollte trotzdem kommen. Schließlich gibt es nirgendwo so gutes Essen wie zu Hause. Max (7) und Sophie (9) umarmen ihre Oma fest und stürmen hinein, da sie ihren Onkel gehört haben. Schon poltern die nächsten die Treppe hinauf. Tom und Nina kommen gleichzeitig an und rufen schon durch das Treppenhaus: „Wir haben eine Überraschung für dich, Mutti.“ Hinter Ihnen erspäht Inge Franz, ihren Bruder, den sie sehr, sehr selten sieht, da er etliche hundert Kilometer weit weg wohnt. Seine Frau ist natürlich auch mit dabei. Nachdem sich die Freude des Wiedersehens gelegt hat, verschwindet Inge in der Küche, um den Kuchen und Kekse aufzutischen. Zum Glück habe ich immer einen großen Vorrat an Keksen, denkt sie sich und betrachtet begeistert die große Gesellschaft, die sich an ihrem Tisch versammelt hat. In der Zwischenzeit haben ihre Kinder den Tisch ausgezogen, noch mehr Gedecke aus der Vitrine geholt und haben sich noch zwei zusätzliche Stühle von der lieben Nachbarin ausgeliehen. Kaum steht der Kuchen auf dem Tisch ist er auch schon ratzfatz aufgegessen. Ein lebhaftes Gespräch entwickelt sich und Inge verschwindet wieder in der Küche.

Zwei Stunden später, genau um 18 Uhr ist das Essen fertig. Ein saftiger Braten, Knödel und Rotkraut. Alle Gäste laden sich ihre Teller voll und genießen das gute Essen. Nur Oma Inge sitzt still und lächelnd auf ihrem Platz und beobachtet nur. Sie ist selig ihre Familie um sich zu haben und genießt das fröhliche Treiben. Die Lobgesänge auf das gute Essen wollen gar nicht aufhören. Satt und glücklich lehnen sich alle zurück. Inge will aufstehen, um den Tisch abzuräumen, doch Paul fragt: „Sag mal Mutti, wo ist eigentlich die Katze?“ Sonst ist Mimi doch immer da wenn wir am Tisch sitzen und Essen und streicht um unsere Beine. Heute habe ich sie noch gar nicht gesehen. Inge stutzt und wundert sich: „Die habt ihr doch gerade gegessen.“

Innerhalb von Sekunden sprangen alle auf und rannten in Richtung Badezimmer.

Oma Inge schüttelt den Kopf und flüstert leise: „Was hätte ich denn tun sollen. Auf so viele Gäste war ich nicht vorbereitet und Hunger soll niemand leiden.“ Max umarmt sie fest und sagt: „ Nicht schlimm, Oma. Das hat wie Hühnchen geschmeckt.“

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Wie kann ich meinen Beitrag jetzt einstellen? Ich habe mich neu angemeldet und es funktioniert leider nicht. Was soll ich tun?

Danke für die rasche Antwort.

Essen ist fertig!

Lisa hantiert in der Küche, als ihre Freundin Barbara zur Tür herein schwebt. Die beiden umarmen und begrüssen sich fröhlich. Barbara setzt sich an die Bartheke, welche die Küche vom Wohnzimmer trennt.

«Magst du auch ein Glas Wein?», erkundigt sich Lisa.

«Oh ja gerne! Du bist schon am Kochen?»

«Ja klar, du weisst ich liebe Essen und dafür nehme ich mir gerne Zeit zum Kochen.» Lisa lacht, während sie Barbara ein Glas in die Hand drückt, mit ihr anstösst und den ersten Schluck aus ihrem Glas nimmt. Sie stellt das Glas hin und widmet sich dem Topf auf dem Kochherd, rührt darin! «Essen ist mein schönstes Hobby. Und in Gesellschaft mit dir nicht zu überbieten … Ich verzichte aber auf Milch wegen meiner Intoleranz. Und - ich liebe traditionelle Gerichte, im Besonderen solche aus Bergregionen.»

«Traditionelle Gerichte aus den Bergen? Wie geht das ohne Milch?» Barbara teilt das Hobby mit Lisa und kennt sich gut aus. Aber nicht so wie Lisa.

«Ja! Die sind voller Milch, ich weiss, und ich erinnere mich da gerade an die Älpler-Maggronen, die ich als Kind regelrecht verschlungen habe. Von meiner Milchintoleranz habe ich damals nichts gewusst.»

«Was sind Älpler-Maggronen?»

«Du kennst die nicht?“, ruft Lisa fassungslos. Sie lässt den Topf sein und schaut mit grossen Augen ihre Freundin an. Sie glaubte, jedes Kind kannte die. „Das ist ein einfaches Gericht mit Hörnli, Kartoffeln und Milch. Meistens mit Speck oder Cervelat drin und viel Käse. Es ist auch einfach zuzubereiten: Du garst Hörnli und Kartoffelwürfel in Salzwasser, sie werden abgeschüttet und in eine feuerfeste Schale gegeben. Ein Stück Speck oder Cervelat wird gewürfelt, angebraten, und unter die Hörnli-Kartoffel-Mischung gegeben. Dann mit viel geriebenem Käse bestreut. Geröstete Zwiebelringe kommen zuletzt oben drauf. Das Ganze wird mit heisser Milch übergossen und im Backofen überbacken, bis der Käse Fäden zieht.»

«Recht einfach! Das könnte sogar ich nachkochen» kommentierte Barbara.

«Das war für mich jedes Mal ein Festessen! Und eines der ersten Gerichte, das ich zubereiten gelernt habe! Und - auf das ich seit zwanzig Jahren freiwillig verzichte!», sagt Lisa mit rollenden Augen.

«Es gibt doch lactosefreie Milch als Ersatz oder Getreidedrinks!»

«Ja, schon, doch wenn keine Milch, dann auch kein Ersatz mit komischen Zusätzen!»

«Dann halt doch Verzicht!», sagte Barbara ergeben.

«Essen ohne Milch und Verzicht? Das gibt’s bei mir nicht! Natürlich habe ich eine Alternative gesucht und mir ist aber nie eine Lösung eingefallen. Das wäre das erste gewesen, auf das ich hätte verzichten müssen … Bis ich im Kanton Graubünden meine Ferien verbracht habe.»

«Aha!»

Inzwischen goss Lisa den Inhalt der Pfanne ab und schichtete ihn in eine gläserne Platte ein. Auf dem Herd duftete es herrlich nach Zwiebeln und Kräutern. Die gab Lisa jetzt über den Inhalt der Platte.

«In der Berg-Gastronomie wird mit sehr viel Milch gekocht. Auf jeden Fall hat mich das motiviert, tiefer in die privaten Kochtöpfe zu schauen. Die traditionellen Gerichte widerspiegeln in der Regel die schwere körperliche Arbeit der Bauern und Handwerker. Die Menschen haben spartanisch gelebt und im Allgemeinen wurde wenig Fleisch, aber viele Mehlspeisen gegessen. Das ist gut nachvollziehbar. Aber – und das wird jetzt spannend – als ich tiefer gegraben habe, habe ich herausgefunden, dass die Mahlzeiten ursprünglich und traditionell zwar fett und schwer verdaulich waren, ansonsten jedoch sehr wenig bis gar keine Milch enthielten.»

Die Platte verschwand im Backofen von Lisa’s Küche.

«Das ist ja verrückt und interessant gleichzeitig!» ruft Barbara aus.

«Fand ich auch! Anfang des 20. Jahrhunderts war diese einheimische Küche auf einmal nicht mehr modern und die „feine Kochkunst“ wurde propagiert. Mit dem Ziel, die ‚barbarische‘ einheimische Küche zu ersetzen. So kam es wohl, dass Milch und Nebenprodukte es in die Küchen schafften und in der Gastronomie die einheimischen Gerichte den Bedürfnissen von Touristen angepasst wurden.» Eine Weile blieb es still in der Wohnung von Lisa. Dann fuhr sie fort:

«Aber als Milchintolerante reise ich ja nicht in den Kanton Graubünden, um asiatisch zu essen, nur weil ich keine Milch vertrage!

Und dann – habe ich eine Spezialität im Puschlav entdeckt! Ein sehr währschaftes, sehr nahrhaftes Eintopfgericht, das eigentlich einer guten Verdauung entgegenwirkt und trotzdem unglaublich köstlich schmeckt - die Pizzoccheri.

Das Spezielle daran sind die Pizzoccheri, eine Teigwarenart aus Buchweizen- und Weizenmehl. Die Farbe ist dunkler als die übliche Pasta. Man kann sie selber zubereiten, dort aber auch im Handel kaufen.»

Barbara hört Lisa aufmerksam zu. «Und wie machst du diese Pizzoccheri?»

«Pizzoccheri werden vermischt mit Mangold, Wirz, Kartoffeln sowie Käse serviert. Das ist die minimalste Version. In der Regel werden weitere saisonale Gemüse wie Karotten, grünen Bohnen und Erbsen beigegeben.»

«Eintopf? Diese Zutaten haben ja alle verschieden lange Kochzeiten!»

«Genau. Deshalb kochst du erst die Pizzoccheri für einige Minuten in viel kochendem Salzwasser. Dann kommen die gewürfelten Kartoffeln, klein geschnittenen Karotten und Bohnen dazu, kochst das zusammen einige Zeit, dann noch Mangold, Wirz dazugeben für etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten. In den letzten paar Minuten gibst du noch Tiefkühlerbsen dazu. Dann Kochwasser abgiessen, das Ganze schichtweise mit geriebenem Käse in eine vorgewärmte Gratinplatte einfüllen. Daneben werden geschnittener Knoblauch, Zwiebelringe und Salbeiblätter in reichlich Butter gebraten. Das verteilst du darüber. Es geht ab in den Ofen, bis der Käse geschmolzen ist.»

«Aber Käse – ist doch Milch! Das verstehe ich jetzt nicht!»

«Gut gereifter Käse ist lactosefrei. Deshalb kann ich den ohne Probleme essen.»

«Das ist ja wie die Älpler-Maggronen – nur andere Zutaten.»

«Fand ich auch! Und deshalb sind das jetzt meine neuen Älpler-Maggronen!» Sagts, stülpt sich Handschuhe über die Hände, öffnet den Backofen und stellt die Form auf den Tisch.

«So liebe Barbara, Essen ist fertig! …

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Sehr olfaktorisch und emotional erzählt, hat mir sehr gut gefallen und Gusto gemacht.

Itza

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  1. Beschreibe ein Essen aus deiner Kindheit, eines das du geliebt hast oder vielleicht eine Mahlzeit des Grauens.

Jeder Tag der Woche war angefüllt, verplant und einer Hauptaufgabe zugeordnet, die Woche für Woche nach ihrer Bestimmung erledigt und abgehakt wurde. Dazu gehören auch Speisen, die es nur an bestimmten Tagen geben konnte. An einem Samstag gab es traditionell immer ein einfaches Gericht, das keine lange Vorbereitungszeit in der Küche benötigt. Und schon durch seine Einfachheit zu etwas Außergewöhnlichem wurde.
Es sind die Jahre, in denen wir Kinder samstags Schule und Unterricht bis 12 oder 13 Uhr hatten. Auch mein Vater gingt samstags seinem Job als Buchhalter in einer Maschinenfabrik nach. Nur meine Mutter verbrachte diesen Vormittag ohne störende Kinder zu Hause. Es war ihr Putztag und sie wirbelte viele Stunden mit dem Staubtuch, Besen und einem feuchten Hader durch unsere kleine Vierzimmer Wohnung.
Sie nutzt gekonnt die Zeit, ungestört die Wohnung auf Vordermann zu bringen und den Wochenendeinkauf auf dem Markt zu erledigen. Frisches Gemüse, Rohkost, Salate, Obst der Saison schleppt sie in großen Taschen, ausreichend für die ganze Woche, nach Hause.
Doch das Essen an den Samstagen, ihrem Putztag, fällt spärlich und eher ungesund aus. Da bleibt keine Zeit, um lange in der Küche zu stehen und zu kochen. Da wir alle an diesem Tag zu unterschiedlichen Zeiten hungrig nach Hause kamen, wurde das ¬ Brötchen in heißem Kakao – Essen erfunden. Es war fast wie ein Festessen für uns. Wann gab es schon Brötchen auf dem Tisch. Die waren im Vergleich zum Brot viel zu teuer und machten auch nicht richtig satt. Doch an diesem Tag verkaufte der Bäcker eine große Tüte Milchbrötchen zum Sparpreis, kurz bevor er mittags seinen Laden fürs Wochenende abschloss.
Und so kam es, dass eine Topf heißer Kakao auf dem Herd stand, wenn wir nach Hause kamen, auf dem eine dicke Schicht Haut schwamm und mir schon beim Geruch des Süßen Kakaos und dem Anblick der Haut, übel wurde. Mein Magen zog sich z einem Knoten zusammen, mir wurde innerlich heiß, und in meinem Mund sammelte sich Spucke. Das kannte ich, ein sicheres Vorzeichen, dass ich mich gleich übergeben musste. Ich hasste heißen Kakao mit Haut und noch dazu das Süße. Ich verzog mich auf unser Minitoilette, die man zum Glück abschließen konnte und verbrachte dort die nächste viertel Stunde. Erst als die Geräusche in der Küche weniger wurden, kam ich aus meinem Versteck, linste in die Küche. Nur meine jüngere Schwester saß noch auf einem Hocker am Küchentisch und schob sich ein triefendes Stück ihres Brötchen, das sie davor in ihre Kaba Tasse getaucht hatte, in den Mund. Das war für mich der ideale Zeitpunkt. Vom heißen Kaba gab es nur noch einen lauwarmen Rest ohne Haut, meine beiden mit Butter beschmierten Milchbrötchen lagen erwartungsvoll im Brotkorb und meine Tasse stand leer auf dem Tisch. Ich holte mir kalte Milch aus dem Kühlschrank, mischte sie mit dem Rest der lauwarmen in meiner Tasse und rührte nur wenig Kaba hinein, so dass eine blass braune Milch entstand, in die ich mein Brötchen ditschte, gierig hinein biss und mit lautem Geräusch die Flüssigkeit aus dem aufgeweichten Brötchen einsaugte, um anschließend den Geschmack der Butter auf der Zunge zergehen zu lassen. Weich löste es sich auf, sobald ich es tiefer in meinem Mund einsog und schnell schluckte. Das war genau die Mischung, die für mich richtig war. Zum Schluss verspeiste ich mein zweites Milchbrötchen ohne Milch, biss herzhaft hinein und genoss diesen einmaligen Geschmack im Mund von echter Butter auf einem Brötchen.
Es hat viele hässliche Diskussionen und viele Zeiten auf der Toilette gebraucht, bis mir meine Mutter erlaubte, mein Samstagsessen so anzurichten und zu verspeisen, wie es für mich erträglich wurde.

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Was ist es, das manche Texte so unglaublich echt erscheinen lässt? So lebendig, obwohl es sich objektiv wirklich nur um Buchstaben auf einem Bildschirm handelt und ich ohnehin nie wissen werde oder wissen muss, wie viel von dem, was hier geschrieben steht, wirklich passiert ist? Ich glaube, es sind Details wie dieses:

Großartig.

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