Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Am Samstag wurde immer gebadet. Die Mutter schrubbte uns nacheinander in der Zinkwanne ab. Am wichtigsten schien die Sauberkeit unsrer Rücken zu sein, denn diesen widmete sie sich besonders intensiv und reinigte sie sorgfältig Zentimeter um Zentimeter. „Mach jetzt die Augen zu, sonst brennt es“, sagte sie, goss warmes Wasser über meinen Kopf und wusch mir die Haare, die sie anschließend mit einem Tuch antrocknete. Dann wies sie mich an, aus der Wanne zu steigen und hüllte mich in ein angewärmtes Duschtuch. Schön waren diese Samstage, wenn der Vater seine Abrechnungen beim Verlag in der Großstadt abgegeben und anschließend beim Kaufhof in der Lebensmittelabteilung noch ein paar Köstlichkeiten besorgt hatte. Mein Bruder und ich hatten nun Bademäntel an und deren Kapuzen auf dem feuchten Haar. „Ihr könnt Euch schon mal hinsetzen“, sagte die Mutter, „das Abendbrot ist so gut wie fertig.“ Vor Rainer und mich stellte sie eine große Tasse mit heißem Kakao, und für jeden zwei Hälften von frischen Brötchen, die sie am Nachmittag beim Bäcker geholt hatte, bevor sie anschließend noch beim Metzger vorbeischaute. Die eine Brötchenhälfte war bestrichen mit Kalbsleberwurst, auf der anderen lag eine Scheibe Tilsiter Käse, feinporig und würzig und ganz bestimmt so wunderbar schmeckend wie seinerzeit in der Heimat, welche die Eltern nach dem Krieg hatten verlassen müssen. Ich biss in das Wurstbrötchen und nahm sofort einen Schluck des Getränks und dessen sahnige Süße ging augenblicklich eine wunderbare Symbiose mit der würzigen Leberwurst ein. Auch der Käse und das süße Getränk passten sehr gut zuseinander und schmeckten so köstlich wie immer. Wenn ich dann im Bett war, in das der Vater eine Wärmflasche gelegt hatte, fühlte ich mich wohlig, geborgen und wunschlos glücklich.

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Geschmorte Butterpilze
Immer wenn der würzige Geruch geschmorter Butterpilze durch unser Haus schwebt und meine Nase verwöhnt, muss ich an meine Großeltern denken. Ich sehe noch heute vor mir, wie Oma in der Küche stand und wie sie auf dem Gasherd in einer schwarzen Pfanne in einem Bett glasiger Zwiebeln, diese braunen Pilze schmorte.
Meist gab es dazu eine dicke Stulle mit ordentlich Butter darauf und eine herzhaft duftende Pilzmahlzeit ließen wir uns schmecken.
Oma war eine hervorragende Köchin.
Herbstzeit ist Pilze Zeit.
Manchmal fuhr ich mit ihnen zusammen in den Wald und wir ernteten früh morgens, an den geheimen Stellen, die nur sie kannten, diese schlüpfrigen braunen Kappen.
In kleinen Körben wurden sie gesammelt und noch am selben Tag von den Mitbringsel des Waldes befreit.
Frisch zubereitet schmecken sie am besten.
Wer macht das noch heutzutage und noch weniger kennen sich mit der Bestimmung aus?
Meine Großeltern wussten das noch alles und teilten ihr Wissen gern.
Ich stand oft mit Oma, die ich liebevoll zusammen mit dem Namen unserer Heimatstadt nannte, am Herd und sie erzählte mir, wie es früher war. Zwischendurch reichte sie mir zum Probieren die Gabel und fragte den Koch in Ausbildung, ob eine Zutat fehlte.
Herbstzeit ist die Zeit der Vergänglichkeit.
Im nächsten Jahr ist es 40 Jahre her, als der Freund meiner Großeltern vor mir an der Haustür stand und meine Eltern sprechen wollte.
Obwohl ich ihn gut kannte, hatte er keine Worte für mich übrig und ging stattdessen mit ernster Miene an mir vorbei.
Der anschließende Weinkrampf meiner Mutter, den ich durch die verschlossene Stubentüre hörte, wollte nicht abebben.

Erst am nächsten Tag erfuhr ich von dem schrecklichen Autounfall an dem unbeschrankten Bahnübergang gleich im Nachbarort und von der Lokomotive die weit nach dem Aufprall zum Stehen kam.
Im Kofferraum des Fahrzeugwracks fand man zusammengequetschte Körbe mit köstlichen Butterpilzen.

Müritzer

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Seitenwind – 1. Woche.

Thema: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig.

Currywurst-Pommes rot-weiß

Brötchen mit Soße für 60 Pfennig? Was für ein, na, nennen wir es mal ausgefallenes Thema.

Was soll man damit anfangen?

Ich meine, was soll man mit dem Brötchen und mit der Soße anfangen? Und dann auch noch beides für 60 Pfennig, wo man doch gar nicht weiß, was man bekommt. Oder würdet ihr das Portemonnaie zücken und einen Betrag auf den Tisch legen, wenn ihr nicht wisst, was es dafür gibt?

Also, ich zahle an der Pommesbude erst, wenn ich sehe, was ich kriege. Warum Pommesbude? Na ja, vielleicht sollte ich einflechten, dass ich mit Brötchen eher den Bäcker assoziiere, aber bei meinem bekomme ich keine Soße. An der Pommesbude kann ich die Wurst im Brötchen bekommen und auf den Pommes verschiedene Soßen. Deshalb kam ich auf die Pommesbude. Zurück zum Bezahlen.

Currywurst-Pommes auf der Theke, erst dann fließt die Knete.

Gut, Currywurst-Pommes ist nicht Brötchen mit Soße. Das würde der Jupp an meiner Lieblingsbude mir zwar machen, aber er würde mich ganz sicher blöd dabei angucken. Nicht, weil er blöd ist, das wäre jetzt falsch verstanden, nein, der Jupp ist ein super Typ, sondern weil er denken würde, ob es mich jetzt auch erwischt hat.

Den Gedanken kann ich einfach erklären. Der Jupp muss bei immer mehr Kunden Aufklärung betreiben. Nicht in Essensachen, sondern bei der Bezahlung. Keiner von den Fragenden hat eine Ahnung, ob er in Zukunft für sein Bürgergeld mehr Pommes bekommt als heute für sein Harz-4. Jupp hat schon überlegt, ob er eine neue Menükarte anfertigt. Eine mit drei Währungsspalten beim Preis, Euro, Hartz-4 und Bürgergeld. Ich habe ihm geraten, noch ne vierte dazu zu nehmen - Kredit.

„Warum?“, hat er mich gefragt.

„Na, überleg doch mal Jupp“, habe ich ihm geantwortet, „mit den Zinsen kannst du doch jetzt wieder mehr verdienen als mit Pommes und Wurst.“

„Und wieviel Zinsen soll ich dann nehmen?“

„Zehn Prozent“

„Zehn Prozent pro was?“

„Pro Monat.“

„Für Pommes genau so viel wir für Wurst? Wurst ist doch besser. Muss doch dann auch teurer sein, oder?“

„Ne, Jupp, mach nicht sowas“, habe ich ihm geraten, „es muss einfach zu rechnen sein. Deine Kunden haben bestimmt nicht immer ‚nen Taschenrechner dabei.“

„Ne, bestimmt nicht. Viele wissen doch gar nicht, wie so ein Ding funktioniert. Sprechen doch nicht alle deutsch, weißt du. Ich kann ja nicht auch noch den Übersetzer für Mathe machen.“

„Lass gut sein, Jupp. Nimm einfach zehn Prozent und fertig.“

„OK, hört sich eigentlich auch gut an. Wenn ich dann genug mit den Zinsen verdiene, brauche ich ja keine Pommes mehr verkaufen.“

„Dann schießt du dir aber selbst ins Knie, Jupp. Worauf willst du denn Zinsen berechnen, wenn du nichts verkaufst.“

„Na, da sieht man wieder mal, warum ich hinter der Theke stehe und du davor“, hat er auf meinen Einwand gekontert. „Weil du kein Geschäftsmann bist.“

„Und was heißt das jetzt?“

Ich war ehrlich verdutzt, weil ich ihm wirklich nicht ganz folgen konnte. Deshalb habe ich das gefragt.

„Jetzt denk du aber mal nach, Junge.“

Jupp hatte plötzlich einen Ausdruck im Blick, so einen überlegenen, der mich irritierte. Zudem stand er hinter seiner Verkaufstheke auch noch höher als ich, was es nicht einfacher für mich machte, mich noch wohlzufühlen. Also musste ich schnell einen schlauen Spruch loswerden.

„Das ist mir zu hoch, Jupp. Ich kann deiner Genialität als Geschäftsmann nicht folgen. Erklär es mir doch einfach. So, wie du es deiner Frau erklären würdest.“

„Jetzt komm mir nicht mit Else, ja. Wenn ich der das sagen würde, hätte ich gleich die Pfanne am Kopf. Du kennst sie doch. Die hat Temperament.“

„Jupp, erklär es dann eben nicht Else, sondern mir. Ich habe keine Pfanne dabei.“

„Na, dann hör mir mal zu. Wenn ich ‚ne Currywurst mit Pommes verkauf, kriege ich vier Euro dafür. Mich kostet das Zeug, mit Einkauf, Energie, Miete und so weiter, drei Euro. Bleibt mir also noch einen Euro übrig. Davon wollen Vatter Staat noch was abhaben, die Krankenkasse und die Rentenversicherung. Am Ende sind’s noch vierzig Cent, die in meine Tasche wandern.“

„OK, das habe ich verstanden. Betriebswirtschaft, erstes Lehrjahr. Aber wie funktioniert jetzt deine Alternative ohne Verkauf?“

„Hör doch erst mal zu, bis ich fertig bin“, zeigte sich Jupp genervt. „Vierzig Cent in meiner Tasche, das sind zehn Prozent von dem, was auf der Karte steht. Dafür mach ich die ganze Arbeit und trage das Risiko. Bei deinem Vorschlag verdiene ich auch zehn Prozent. Und das nach BAT.“

„Was heißt den jetzt BAT?“

„Du bist wirklich kein Geschäftsmann. Tarif, wenn du verstehst, was ich meine?“

„Nee. Was für ein Tarif soll das sein? Du bist doch kein Angestellter. Du bist selbständig.“

„Klar bin ich selbständig. BAT, das heißt ‚Bar Auf Tatze‘. Kapiert?“

„Kapiert. Du meinst Schwarzgeld. Aber ohne Verkauf nützt dir auch dein BAT nix.“

„Doch. Ist ja noch nicht alles. Warum soll ich die Arbeit haben und das Risiko tragen. Ich vermiete die Butze hier und übernehme nur die Finanzierung der Käufe. Dann bin ich nicht mehr der Jupp aus der Pommesbude, dann bin ich Jupp, der Finanzdienstleister. Ich sehe schon meinen Namen auf den Visitenkarten. Dein Vorschlag ist gut. Ich glaube, das mach ich.“

„Nein, Jupp, mach es besser nicht.“

Mein Versuch ihn zu bremsen schien nicht gut bei ihm anzukommen.

„Ja was denn nun? Zinsen oder nicht Zinsen? Warum soll ich das jetzt doch nicht machen?“

„Weil du dann dein Geld nicht mehr wiedersiehst.“

„Wieso das nicht?“

„Weil du dein Geld für die Bratwurst und die Pommes zur Not einklagen kannst. Als Kredithai musst du schon selbst sehen, wie du drankommst. Für das Metier bist du viel zu gutmütig.“

„Mist. Und wie soll ich dann mal weiterkommen?“

„Bleib bei deinen Pommes und der Currywurst. Das sind die besten in der ganzen Stadt. Vergiss das mit den Zinsen. War ein scheiß Vorschlag von mir.“

„Schade“ hat Jupp noch gesagt, „wäre ja auch zu schön gewesen.“

Ich habe dann bezahlt und bin gegangen.

Womit wir wieder beim Thema währen. Es ging ums Bezahlen. Sechzig Pfennig, glaube ich. Hätte der Jupp eh nicht genommen. Der nimmt keine Pfennige. Er will alles auf Euro aufrunden.

Jetzt fällt mir aber auf, dass ich doch einen kleinen Rückzieher machen muss. Das ist mir jetzt peinlich, aber es muss sein. ‚Man‘ habe ich eingangs geschrieben. ‚Man‘ ist aber ziemlich unpräzise. Verallgemeinert zu sehr. Woher soll ich wissen, was andere damit anfangen können? Deshalb ziehe ich mein ‚man‘ zurück und ersetze es durch ‚ich‘. Dann stimmt’s. Dann ist es präzise.

Wenn man es genau nimmt, oder ich es genau nehme, ist aber das ganze Thema unpräzise.

Brötchen mit Soße für 60 Pfennig!

Was ist daran präzise? Was sollen das für Brötchen sein? Oder ist es nur ein Brötchen? Weizen- oder Roggenbrötchen? Mit Käse überbacken oder mit Körnern? Oder ganz ohne? Rosinenbrötchen könnten es auch noch sein, aber Rosinen mit Soße? Pah, das würde selbst ich nicht essen. Also schließen wir die Kombi mal aus.

Und überhaupt, was ist dann mit Schrippen? Sind das auch Brötchen? Oder mit Weckle? Wie sollen Berliner und Schwaben verstehen, worum es geht?

Womit auch schon die Soße ins Spiel kommt. Welche Soße? Die Soße auf Schrippen in Berlin sollte sich doch traditionell von der auf Weckle im Süden unterscheiden. Im Westen würde man wahrscheinlich Ketchup oder Senf nehmen. Oder Mayo. Und dann stellt sich bei der Soße noch die Frage nach dem wie viel. Wie viel Soße passt auf welches Brötchen? Oder wie die Dinger hier auch immer genannt werden sollen. Wenn ich die Soße bezahlen soll, dann will ich auch wissen, wie viel Soße ich kriege. Basta.

Ich verspüre Schweißtropfen auf meiner Stirn. Bezahlen. Sechzig Pfennig. Meine Gedanken rotieren. Das Unpräzise hat mich im Würgegriff und ich nähere mich der Verzweiflung. Was soll ich zu diesem Thema schreiben? Ich weiß es nicht.

Aber dann erkenne ich, dass tatsächlich doch etwas Präzises im Thema steckt. Sechzig!

Da steht eine Zahl, an der es nichts zu deuteln gibt. Sechzig. Oder doch? Schreibt man kurze Zahlen nicht aus? Nein, nein, nein. Davon will ich jetzt nichts wissen.

Ich bin froh, einen Anker gefunden zu haben. Vielleicht fällt mir etwas ein, wenn ich mich an der Zahl Sechzig festhalte, wenn ich mich an ihr aus dem Schlamassel ziehe. Sechzig. Aber sechzig was?

Ich nähere mich dem nächsten Abgrund unpräziser Formulierungen. Da steht doch Pfennig, oder? Pfennig. Igitt. Wer weiß denn schon noch, was das ist. Ne, was das war, muss es richtig heißen. Den gibt’s ja nicht mehr.

Nur, selbst wenn man sich erinnert, welchen Pfennig meinen die? West oder Ost? Ich vermute, die meinen den Westpfennig. Im Osten sagten die ja nicht sechzig Pfennig, sondern sechzig Pfennige. Was zeigt, dass sich die Ossis präziser auszudrücken wissen als die Wessis. Sechzig ist nun mal plural und deshalb heißt es in der Kombination Pfennige und nicht Pfennig.

Also, wenn ich mich hier so schreiben lese, dann verstehe ich, warum mir zu dem Thema nichts einfällt. Wenn meine Frau mir Anweisungen erteilt, dann sind die immer präzise. Man könnte auch sagen, eindeutig. Da weiß ich was mit anzufangen. Da schreibe ich auch schon mal einen ganzen Einkaufszettel einfach so runter. In null Komma nichts.

Aber zu Brötchen mit Soße für sechzig Pfennig, da fällt mir nichts ein, was ich schreiben könnte.

Quatsch mit Soße, da hätte ich was mit anfangen können. Das wäre so schön redundant. Man wäre nicht so festgelegt. Oder verheddere ich mich da gerade?

Seid mir nicht böse. Ich bin selbst traurig darüber, dass ich nicht wirklich etwas beitragen kann.

Euer Jos Balo

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Die Leckerei einer fremden Welt

Es zergeht auf meiner Zunge wie ein Stück Butter in der Pfanne. Es schmeckt aromatisch wie eine frischgegrillte Lende und dennoch sanft und süßlich wie ein Bonbon. Die braune, intensive Farbe lässt es mich schon von Weiten erkennen, die Leckerei der Götter, das auserwählte Mahl … und wie immer treibt es mir den Speichel in den Mund.
Die Konsistenz ist mal weich und mal hart – das bestimmt das Verfallsdatum – aber mit jedem Bissen geht ein Licht in meinem Herzen auf und ich fühle mich selbst wie ein Gott in den Weiten des Universums.
Es lullt mich ein wie ein Lagerfeuer, es zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Es erwärmt meine Seele und füllt meinen Magen …
Es handelt sich um mein Katzenknabberstäbchen.
Und ich bin der Kater Tim.

(Mal etwas ganz anderes – das Lieblingsessen von meinem Kater. Ob ich für diesen Text ein Stück Knabberstäbchen probieren musste? Das lass hier mal offen und danke für deine Aufmerksamkeit!)

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Der Schneehund

Ich kann mich erinnern. Ich lächelte, als wir uns auf den Heimweg machten. Es war ein wundervoller Nachmittag mit meinen zwei Schwestern im Schnee gewesen. Mama hatte uns erlaubt, zum nahe gelegenen Berg zum Schlittenfahren zu gehen. Wir hatten im Vorfeld besser unerwähnt gelassen, dass wir nicht den flacheren, sondern den steilen Berg hatten fahren wollen. Jetzt waren wir nass, durchgefroren und müde. Trotzdem schleppten wir uns nicht nach Hause, stattdessen waren wir von dem besonderen Tag, mit dem erzeugen von Schneeengeln, Fahrspuren in der unberührten Schneedecke und dem Bau eines improvisierten Schneehundes sehr zufrieden – Schneemänner sind schließlich was für kleine Kinder.
Natürlich gab es für unsere ältere Schwester Alex zu Hause direkt ein Donnerwetter. Wir waren stundenlang weg gewesen, es war bereits viel zu dunkel und offenbar war ich so durchgefroren, dass meine Lippen schon blau waren.
Während wir uns umzogen und die nassen Sachen direkt auf den Wäscheständer über der Badewanne aufhängten, bereitete Mama uns in der Küche eine heiße Suppe zu und der Duft köstlich verlockender Fleischbrühe zog durch die Wohnung.
»Wenn ihr eure Hände wascht, dann nur mit kaltem Wasser«, mahnte sie, als sie vorbeischaute, um das Chaos auf dem Wäschereck zu entwirren, welches wir hinterlassen hatten.
Ich nickte, drehte das Wasser ganz kalt und teste die Temperatur.
»Noch nicht«, sagte ich zu meinen Schwestern, denn noch war es warm. Obwohl ich nicht die Jüngste war, aber wohl die kleinste, stand ich auf dem Holzschemel und koordinierte das geschehen.
Nach einer Weile testete ich das Wasser wieder.
»Noch nicht«, sagte ich erneut. »Es ist warm.«
Mama beugte sich über uns hinweg und teste selbst. »Eiskalt. Ihr könnte euch die Finger waschen und dann zum Essen kommen.«
»Aber das Wasser ist doch warm!«, widersprach ich altklug und Mama strich mir über das Haar.
»Natürlich, mein Schatz. Es ist warm, weil du ganz kalte Fingerchen hast. Darum kaltes Wasser. Hättest Du warmes genommen, du hättest nicht gemerkt, wie heiß es ist, und dir womöglich die Finger verbrannt.«
Sofort herrschte ein dichtes Gedränge am Waschbecken, weil meine Schwestern das auch gleich austesten wollten.
Irgendwann, als meine Finger zu kribbeln begangen, trocknete ich sie ab und schlurfte als letzte in die Wohnküche. Denn die mollig warme Wohnung war so schön einlullend und am liebsten hätte ich mich wie ein Kätzchen zum Schlafen an den Kamin gelegt.
Meine jüngere Schwester Sylvia hatte den Löffel bereits erwartungsvoll in der Hand und Mama schöpfte jedem von uns eine Kelle dampfend heißer Nudelsuppe in den Teller. »Also«, sagte sie. »Jetzt erzählt mal. Hattet ihr Spaß?«
Wir plapperten wild darauf los. Berichteten vom älteren Nachbarsjungen, der versucht hatte, uns alle einzuseifen und gegen uns drei keine Chance gehabt hatte. Wir erzählten stolz von dem sitzenden Schneehund. Na gut. Vielleicht war es auch ein verunglückter Schneemann gewesen und wir hatten einfach das Beste daraus gemacht.
Das unzusammenhängende Geplapper am Tisch wurde nur hin und wieder von dem Geräusch der Löffel unterbrochen, wenn sie klirrend gegen das Geschirr stießen … und dem lautstarken HATSCHI von Alex, als sie niesen musste.
»Iiiiihhhh«, quiekte Sylvia. Dann zeigte sie mit dem Löffel auf Alex und begann herzhaft zu lachen.
Nun konnte ich es auch sehen. Eine lange Suppennudel, die ihr wie ein Rotzfaden aus dem rechten Nasenloch hing.
»Was ist los?«, fragte sie wohl aufgrund meines angeekelten Gesichtsausdruckes.
Mama konnte sich das Lachen ebenfalls kaum verkneifen. »Also … da … du hast da … warte!« Sie reicht ihr ein Taschentuch.
Sylvia hingegen hatte den Löffel weggelegt und hielt sich die Nase zu.
»Was machst du?«, fragte ich sie.
»Ich will auch meine Nudeln durch die Nase essen!«, rief sie begeistert.
Mama lachte. Sylvia machte weiter. Alex putzte sich verschämt die Nase. Und ich? Ich hatte keinen Hunger mehr. Und Nudelsuppe konnte ich ab sofort auch nur noch mit dieser Erinnerung essen. Aber immerhin kann ich sie wieder essen.

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Ich finde Deinen Text über die weitergereichten Pralinen auf eine Weise verstörend, dass ich immer wieder beim Scrollen daran hängenbleibe. :thinking: Gedanken und Glaubenssätze, die ungewollt weiterleben in den folgenden Generationen…auch ein spannendes Thema, das zu ergründen.

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Schöne Story, ich mag beides sehr gerne, aber Sauerkraut würde vorne liegen.

Wundervoll fühlbar geschrieben und beschrieben. Die Kids heute würden es wohl deep nennen.

Drei Groschen

Kleine Füße tappen flott,
die Mutter ruft „Herr Gott,
nicht so schnell die Treppe runter!“
„Ich pass auf“, erschallt es munter.

Tür auf - raus geht’s in die Welt,
in der Faust erstes Taschengeld.
Kunterbunt wird’s eingetauscht werden,
es locken die himmlischen Genüsse auf Erden.

An der Straße ganz konzentriert
werden die Messing-Münzen studiert.
Eins und Null und Eichenblatt,
keine glänzt mehr, sind alt und matt.

Stürmisch durch die Tür der Bäckerei,
in Riesengläsern wartet die Nascherei.
Hoch oben auf ihrem gläsernen Thron
fördern sie den Speichelfluss schon.

Münzen klimpern auf der Zahlschale.
Selbst gezahlt - zum ersten Male!
Vielfarbige Leckerei wandert voller Güte
in die noch glatte Butterbrottüte.

Fünf Pfennig gibt’s wieder zurück,
in die Hose wandert´s Kupferstück.
Jetzt gibt’s nur noch Eins, was zählt:
Was wird aus der Tüte zuerst gewählt?

Saure Zunge, Schleckmuschel und Brause
wird nun ganz ohne Atempause
auf der niedrigen Mauer am Haus
zum köstlichen Zuckerschmaus.

Noch heute gibt es die Bäckerei,
die Mauer und buntes Allerlei.
Doch jetzt steh ich erwachsen daneben,
wenn Kinderhände die Münzen geben.

Sehe vor mir wieder mein kleines Ich,
Schau wehmütig und lächle innerlich.
So viel hat sich verändert, manches ist geblieben.
Wie schnell ist mein Boot im Lebensfluss getrieben!

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Beitrag Seitenwind 1

Die Siedlung oben auf dem Hügel sah so anders aus, als in Maries Erinnerungen. Wohl standen die 1960 erbauten Häuser noch an gleicher Stelle, aber sie hatten ihre bunten Farben verloren und auch die Gitter an den Balkonen waren verschwunden. Was machten wohl heute Kinder, die ihren Schlüssel vergaßen. An den jetzigen Verkleidungen war es ihnen schwer, durchs offene Fenster einzusteigen.

Auch den großen Rasenflächen war viel Raum genommen. Dort, wo Marie inmitten der johlenden Kinderschar jeden Winter Höhlen in den am Wegrand aufgetürmten Schnee bauten, parkten heute Autos. Der Volleyballplatz, auf dem die Erwachsenen Mannschaften bildeten, im ersten Winter vergeblich versuchten, den Kindern eine Eisbahn zu gießen, war nicht mal mehr zu erahnen.

Dafür reckten die einst kleinen Laubbäume heute groß und stark ihre wundervollen Kronen dem blauen Himmel entgegen. Es gab heute keine Kuhherden mehr auf den unteren Wiesen, was war wohl aus den plötzlich aufspringenden Feldhasen geworden, die arglose Wiesenläufer erschreckten? Sie sah nur noch dichtes Buschwerk. Da könnte man tolle Hütten bauen. Schau an, Marie schmunzelte, unseren Platz gibt es noch.

Auf der Bank vor dem kleinen, kaum noch als solcher zu erkennenden Sandkasten, sah sie sich wieder mit den Freundinnen und den Puppenkindern spielen und erinnerte sich, wie sie, endlich die neuen Rollschuhe an den Füßen, von hier aus zum Wettrennen mit den Jungen startete. Sie waren so viele Kinder, es gab dennoch kaum Streit. Sie spielten in großen Gruppen Völkerball, Verstecken und Fangen oder bewiesen ihr Können beim Gummitwist, die ganze Kindheit spielte sich draußen ab.

Ja es war lang her, dass sie hier ins eigene Leben startete. Kindergarten, Schule, Ausbildung, Arbeit, da kam sie nur noch besuchsweise nach Hause.

Diesen Monat wurde ihr nach 45 Jahren die erste Rente überwiesen. Stets musste sie der Notwendigkeit, nicht dem eigenen Interesse folgen.
Wie schön es da doch war, einfach nur unbeschwert Kind unter Kindern zu sein.
Der letzte von drei Eingängen im dritten Block war ihrer gewesen. Drei Stufen zur Haustür, eine Treppe zur Wohnung. Das Zuhause jetzt nicht betreten zu können, fühlte sich seltsam an. Aber da lebten jetzt fremde Menschen wie in all den Nachbarwohnungen auch.
Marie und ihre Geschwister waren in alle Winde zerstreut, verloren jeden Kontakt zueinander, seit der Tod das Familienzentrum im Elternhaus auflöste. Was blieb, waren die Bilder einer Kindheit, von der Erinnerung oft genug einen Hauch schöner gemalt, als sie wirklich waren. Warum auch nicht.
Alles war seither in Veränderung und irgendwie fühlte es sich auch wie gestern an.
Da auf den Stufen saßen sie zur Erntezeit mit der Mutter, zupften Körbeweise den frischen Erdbeeren ihre grünen Blättchen ab, befreiten Beeren von ihren Rispen, schnippelten Obst und Gemüse. Alles musste in die vorbereiteten Gläser passen. Irgendwas aber störte diese Erinnerungsbild.
Der Blick suchte zu ergründen, was. An den fehlenden Gardinen konnte es nicht liegen, auch wenn es das bei Mama nie gegeben hätte, aber da, das Küchenfenster war geschlossen.
Gefühlt stand es früher immer offen, Papa am Herd brauchte frische Luft und erfüllte so die ganze Nachbarschaft mit verlockenden Düften vieler Köstlichkeiten, die seine Kinder oft genug nur mäkelnd aßen. Das sollte sich mit dem Älterwerden ändern.
Natürlich konnte auch Mama richtig gut kochen, aber Hausarbeit ganz ohne oder mit nur wenigen maschinellen Hilfsmitteln nahm wesentlich mehr Zeit in Anspruch. Anfangs waren die Kinder keine große Hilfe.
Wie sie das geschlossene Fenster so betrachtete, ging Marie in Gedanken auch schon die eigene Essenswunschliste durch. Sie wusste längst, das gleiche Rezept schmeckt Zuhause einfach viel besser. Lieblingsessen ohne Frage waren und blieben ihr Mamas Beschißbohnen. Den Namen hatte Papa erfunden und die Kinder fanden das superlustig, zumal solche Worte sonst verboten waren.
Im Familiengarten wuchsen aus roten Blüten blaue Bohnen, wurden groß und größer, ohne diese ekligen Fäden zu bilden, wie ihre Artgenossen.
Das ganze bunte Essen nur Show, lernten die Geschwister schnell. Rot waren die Kartoffeln nur, bis man ihnen die Schale abzog, im kochenden Wasser verwandelte sich das wundervolle Blau der Bohnen noch bevor sie zusammen mit gehakten Zwiebeln in der Pfanne landeten in ein gewöhnliches grün. Papa hatte recht, wirklich alles Beschiss, zumal Mamas Pilzbohnen auch noch ganz ohne Pilze auskamen, da hielt er sich lieber an seine wohlgeformten Buletten. Für die Tochter brauchte es die nicht, es blieb ihr auch ohne das ultimative Lieblingsessen.
Da stand sie nun mit der traurigen Einsicht, es bringt nichts, das Fenster anzustarren, Vater wird es nicht öffnen und rufen reinkommen, Hände waschen, Essen ist fertig. Schade.
Aber dann hatte Marie eine Idee. Den Konsum unten an der Ecke gab es ja noch und es war Sommer, Erntezeit.

Maries winzige Küche besaß kein Fenster, auch ihre Kinder kamen nur noch besuchsweise, doch das tat den roten Kartoffeln mit Beschißbohnen keinen Abbruch. Einzig dieses Quäntchen Besonderheit, musste sie sich eingestehen, das fehlte nach wie vor und trotzdem, gleich morgen wird sie das handgeschriebene Kochbuch der Eltern aus dem Regal nehmen, es für die eigenen Kinder mit deren Lieblingsrezepten fortführen. Es war Regen angesagt und viel Zeit hatte sie jetzt auch.

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Vielen Dank, ich freue mich sehr über deinen wertschätzenden Kommentar.

Die Brötchen vom Bäcker Baumann

Jeden Samstag ging ich zur Bäckerei Baumann in die Ebertystraße 23. Die Backstube öffnete um sechs und um sieben Uhr die Bäckerei. Die Brötchen waren schnell ausverkauft, darum musste ich früh aufstehen und mich beeilen. Nicht, dass ich mich beschweren möchte, ich stand gerne früh auf, weil die Welt um diese Zeit noch still vor sich hin weilte, während die Menschen noch schliefen.
Die ersten Kunden stellten sich bereits um sechs Uhr vor der verschlossenen Ladentüre an, so auch ich. Ein Brötchen kostete damals in den achtziger Jahren fünf Pfennig. Ein Knüppel sieben und ein doppeltes Brötchen zehn Pfennige. Für ein Brot bezahlte ich eine Mark und zehn Pfennige.
Der Tresen war hoch für mich. Zu dieser Zeit war ich ungefähr zehn- elf Jahre alt. Ich streckte mich auf Zehenspitzen, um das Geld der Verkäuferin in die Hand zu legen. Sie bedienten die Kunden zu zweit, während eine weitere Verkäuferin eine Tüte nach der anderen voll packte. Die Kasse klingelte im Sekunden tackt, wenn die Verkäuferin die Lade öffnete und wieder schloss. Um acht Uhr war der Ansturm- Spuk vorbei und die Brötchen ausverkauft. Wer dann kam, kaufte auch Brot und Kuchen.
Irgendwann sah ich einen Jungen mit einer Brötchentüte im Arm aus dem Hauseingang kommen. Die Ladentür öffnete erst in einer halben Stunde, so dass ich meinen Platz in der Reihe riskierte und voller Neugier durch die Haustür lief. Ich schlich durch den Hausflur bis zur Hintertür. Gleich rechts stand die Tür zur Backstube offen. Überall lag Mehlstaub verstreut. Es duftete nach frisch gebackenen Brötchen und Brot. Mein Magen knurrte und das Wasser lief in meinem Mund. Der Eingang war durch ein Holzbrett versperrt. Als mich ein Bäckergeselle sah, fragte er nur: „Wieviel?“, und ich antworte: „Zehn.“
Ich kaufte immer zehn Brötchen und bezahlte fünfzig Pfennige dafür. Das Geld klimperte in einer kleiner Pappschachtel, als der Bäckergeselle das fünfzig Pfennigstück hinein warf.
Mein Herz jubelte, als ich die Brötchentüte nahm, die er mir reichte. Ich war eine der ersten Kunden mit frischen warmen Brötchen in der Hand. Und das noch vor Ladenöffnung.
Langsam ging ich nach Hause. Wie immer, griff ich in die Tüte und langte nach dem obersten Brötchen. Warm lag es in meiner Hand und roch nach gebackenem Hefeteig. Die weiche dünne Kruste knackte sachte in meinem Mund auf. Je länger ich den zarten salzigen Teig in meinen Wangentaschen ließ, um so süßer wurde der Brei. Da ich nicht mehr als ein Brötchen essen durfte, ließ ich mir Zeit. Ich hüllte das Brötchen aus und aß als erstes den weichen Hefeteig. Dabei knetete ich den Teig zu einem Ball in meiner Hand und biss immer nur ein Krümelchen ab. Zum Schluss kam die Kruste dran, die mit jedem Bissen in meinem Mund knackte.
Von nun an, kaufte ich immer vor sieben Uhr in der Backstube meine Brötchen und musste nie wieder warten.

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Golgatha

„Iiiiih“, machte meine kleine Schwester, die nach dem Gottesdienst gerne ihr hartgekochte Sonntags-Eidotter in Salz wälzte, das sie wiederum aus der überflüssigen Eiweißhülle eines 10-Minuten-Stein-Eies herauspulte. „Sieht aus wie Eiter!“
Ich wurde rot. Mein Lieblingsessen stand vor mir, aber ich durfte es niemandem sagen. Wenn es doch wie … aussah? Nicht dran denken. Der süßsaure Geruch trieb meinen Speichel unter der Zunge zusammen. Ich sabberte und stierte hypnotisch wie unsere Katze, sobald sie frisch Gehacktes - halb und halb - roch, das Mutter manchmal in einem Körbchen an die Deckenlampe der alten Pastorei hängte. Manchmal gelang es dem Vieh, vom Tisch aus so hoch und weit zu springen, dass es sich am Korb knurrend und fauchend und wild schaukelnd festhalten konnte, aber nie gelangte es an den Inhalt.
Im Gegensatz zu mir jetzt, die ich in den großen Stahlkochtopf auf dem Tisch stierte und den Duft einsog. Ein paar Kartoffeln dampften auf meinem Teller, egal, die waren Nebensache. Aber nur fast, denn ohne Kartoffeln war es nicht perfekt. Mutter betonte stets, dass meine schöne Schwester den Namen einer Rose besaß und ich den einer Kartoffelsorte trug. Auch gut. Ich war der bodenständige Typ, nicht der schöne. Mit den besseren Noten in der Schule, ha! Rache ist süßsauer (und sieht anscheinend wie Eiter aus). Sei´s drum. Es ging um Wichtigeres – Beutejagd!

„Für jeden zwei“, die Mutter hatte meinen begehrlichen Blick wohl gesehen, denn ich begann noch vor dem Tischgebet, die armen, unscheinbaren Erdäpfel ungebührlich zu zerknietschen. Mein Vater bestand darauf, dass Herr Knigge den Einsatz von Messern bei Kartoffeln strengstens verboten hatte. Meine Frage, was denn die Strafe wäre, falls man es trotzdem täte, ließ er unbeantwortet. Also stocherte und stampfte ich die Erdäpfel leidenschaftlich mit der Gabel zu Tode. Nimm dies, du Wurm! Gleich wirst du ertränkt im süßen Eitersaft, in dem vereinzelt Totenköpfe auftauchten, sobald man mit der Kelle nach ihnen angelte. Erst das Tischgebet, `Tschuldigung.

Misstrauisch beäugten Schwester, Vater und Katze das glubschige Eiweiß der Senfsoßen-Zwiebelpampe – mit guter Butter! – in der Mitte des Tisches und versuchten, die Beschaffenheit dessen, was sie sahen, auf kulinarische Tauglichkeit abzuschätzen. Drehte sich ein Ei um die Längsachse, dann ahnte man zuweilen einen Schatten im schädelig glatten Weiß. War er grünblau, dieser Schatten, oder goldgelb wie ein Sonnenuntergang? Verlorene Eier wurden roh in kochende Senfmehlschwitze geschlagen, aber unsere Eier, ja UNSERE Eier wurden punktgenau vorgekocht, seit unser Dad einen Eierkocher von einem seiner Streifzüge im Baumarkt mitgebracht hatte. Das Ding stand meist nutzlos rum, aber heute… ja, heute war sein Einsatz! Die alles entscheidende Frage lautete: Wie lange waren theoretische sechs Minuten der automatischen Uhr geteilt durch acht Eier – und was war das reale Ergebnis? Wie Duellanten taxierten wir uns gegenseitig und die schwimmenden Gummibälle.
„Wer seins nicht will, gibt´s mir! Ich mag Totenschädel“, trompetete ich.
„Kannste haben, wenn´s innen flüssig is“, zischte meine Schwester. „So wie dein Hirn.“
„Nicht streiten, Kinder, sonst müsst ihr selbst kochen“, Mutter war´s gewohnt und teilte mit der Kelle geschickt jedem zwei glänzende Eier mit Soße satt aus.
„Heute kein Fleisch dazu, nein?“, fragte enttäuscht der hungrige Vater, der fand, dass er als Pfarrer sonntags eine besondere Belohnung verdient hatte. „Ich mach mir ne Wurststulle dazu.“ Er stand auf, wir hörten Brotkasten, Schublade und Kühlschrank klappern.
„Soße!“, lechzte ich, „Soooooßääääää!“ Kurze Pause meinerseits, abwartend, ob sich mein Wunsch von allein erfüllte. „Bitte“, ergänzte ich, als meine Mutter mit diesem speziellen Flackern in den Augen ebenfalls zögerte.

Endlich! Eier mit Senfsoße und Kartoffeln, Kartoffeln mit Senfsoße und Eiern. Beherzt stach ich in das Ei, das mir am nächsten lag. Mitnichten rollte das glitschige, federnde Gummitier unter meiner Attacke fort, nein! Im Gegenteil, brav blieb es liegen und duldete den gierigen Mordversuch. Simsalabim, auch das zweite öffnete mir bereitwillig sein Innerstes, als hätte es auf diesen Moment gewartet: Herrlich unendlich weich die Konsistenz des nachgiebigen Äußeren, und endlich!, endlich Farbe im System! Genüsslich quoll das Sattgelbe heraus und mischte sich mit dem unansehnlichen blassbeigen Brei auf meinem Teller.
Mit Triumphgeheul blickte ich das konsternierte Schwesterchen an, welches wiederum strafend auf die Mutter sah.
„Sechs Minuten?“, fragte der Herr des Hauses, nun mit Wurstbrot bewaffnet. „Bist du sicher?“
Vater und Schwester liebten ihr Ei durchgehärtet wie Epoxidharz, Mom und ich bevorzugten es innen flüssig. Sechs Minuten waren ein Kompromiss. Es stand 2:2 und Team flüssig hatte gewonnen! Meine Eier waren perfekt. Die Katze neben mir hypnotisierte mich, bis ich einen Löffel Eigelb in ihren olfaktorischen Einzugsbereich platzierte. Geschickt und ohne ein einziges Mikrogramm zu vergeuden, leckte sie alles auf und wanderte herausfordernd zum nächsten Geschäftspartner. Ich hatte gewonnen: Es stand 3:2.

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Die Reispfanne

Endlich Freitag, der letzte Tag der Woche war geschafft. Der Wind pfiff um ihre Ohren. Sie zwang ihre müden Beine, erneut in die Pedalen zu treten. Auf dem Hügel angekommen, duckte sie sich, hob ihren Körper an und sauste hinunter.
Mit einem ratschenden Geräusch hielt sich vor ihrem Elternhaus an. Der Kofferraum des Autos stand sperrangelweit offen. Er war gefüllt mit Joghurt, Käse, Wurst, Cornflakes, Brot, Tomaten, Broccoli und vielen weiteren Lebensmitteln. Jana rollte mit ihrem Fahrrad am Auto vorbei. Etwas Silbernes blitzte in ihrem Augenwinkel auf. Sie drehte sich um und erblickte ein kleines Gläschen. Es versteckte sich unter den anderen Einkäufen. Doch das geriffelte Stück Glas, das im Tageslicht reflektierte, stach in Janas Auge. Ein leichter Schwindel überkam sie. Ihre Faust drückte den Lenker zusammen.
„Hallo Jana“, rief ihre Mutter, die aus dem Garten lief, um den nächsten Schub an Lebensmitteln ins Haus zu tragen. Jana nickte ihr zu. Sie versuchte zu lächeln, doch merkte selbst, wie sich ihr Gesicht zu einer Grimasse verzerrte. Sie fuhr in den Garten, stellte das Rad ab und packte mit an. Mit zwei vollen Armen trug sie die restlichen Lebensmittel in die Küche.
„Mama, ich hab‘ alles“, rief sie schnell, bevor ihre Mutter erneut zur Tür lief. Sie lud all die Packungen und Dosen ab und half ihrer Mutter, einzuräumen. Leise ließ sie dabei das silberne Gläschen in ihrer Jackentasche verschwinden.

„Du musst mir helfen“, tippte Jana auf ihrem Smartphone an ihre Freundin, nachdem sie in ihr Zimmer gegangen war. „Meine Mama möchte ES wieder machen. DAS Essen“. Sie drehte in ihren Haaren, zwirbelte sie und strich hindurch. Das Handy piepste.
„Soll ich vorbei kommen?“, stand auf dem Display.
Jana grinste.
„Ja“, schrieb sie und atmete durch.

Kurze Zeit später stand ihre beste Freundin Marie vor der Tür. Sie kicherte, als sie eintrat, und sie schlichen schnell in Janas Zimmer. Jana schloss ab und hielt Marie das Gläschen hin. Ihr Magen zog sich zusammen.
Marie lachte. „Was sollen wir tun?“
Jana zuckte mit den Schultern.
„Wegwerfen?, schlug Marie vor.
„Nein, meine Mutter wird es im Müll finden, sobald sie bemerkt, dass es weg ist“, murmelte Jana.
„Verstecken?“
„Hm“, machte Jana. „Nur wo? In meinem Zimmer ertrag ich es nicht.“
„Du bist doch bescheuert“, lachte Marie wieder und schüttelte den Kopf. „Aber was dann?“
„Oh man, ich weiß es nicht. Und wenn ich es vergraben muss, ich kann dieses scheußliche Essen nicht mal riechen!“, meckerte Jana.
„Das ist es!“, bemerkte Marie.
„Was?“
„Begraben! Wir werden es einfach begraben!“. Maries Augen strahlten.
Jana prustete los.
Damit war es beschlossen. Sie zogen sich an, verstauten das Gläschen und liefen zur Tür.
„Jana, wo gehst du hin?“, fragte ihre Mama, die plötzlich im Flur stand. „Ach, Marie, du bist auch da!“, sagte sie und sah Jana mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Ja, wir gehen noch einmal kurz raus. Sind gleich wieder da“, erklärte Jana und nahm die Türklinke in die Hand.
„Es gibt nachher Essen. Marie, möchtest du bei uns essen?“, fragte Janas Mutter.
„Ja, gern“, antwortete Marie. Jana sah Maries breites Grinsen und presste ihre Lippen aufeinander, um nicht schon wieder loszulachen. Sie rannten raus über die Straße bis in den naheliegenden Wald. An einem dürren Baum fanden sie einen Platz. Jana nahm die kleine Schaufel aus der Tasche, die sie sonst für ihr Aquarium benutzte und sie gruben ein Loch in die Erde.

Jana betrachtete das Gläschen, in dem die beigen, dünnen Sprossen schwammen. Labbrig bewegten sie sich mit dem schaukelnden Einlegwasser. Wie ein Fischschwarm schwappten sie rauf und runter.
Jana erinnerte sich an das schmatzende und glucksende Geräusch, wenn sich diese schleimigen Fäden zwischen den Reiskörnen rieben und sich hindurchschlängelten. Jede Gabel war durchzogen von diesen Würmern, die triefend herunter hingen, sobald man die Gabel anhob. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
Unzählige Male saß sie vor diesem Teller. Jeden einzelnen Reiskorn und jedes Paprikastück pulte sie heraus. Meistens hatte der Schleim der Sprossen das gesamte Essen überzogen, sodass sie gegen den Würgereflex ankämpfen musste. Wie bei langen Autofahrten schluckte sie ständig ihren Speichel herunter und trank Wasser, um die immer heißer werdende Spucke loszuwerden. Ihr Hals wurde schmaler und schmaler, bis sie befürchtete, nicht mal mehr genug Luft zu bekommen. Sie schüttelte sich.
„Jana!?“, ertönte die Stimme ihrer Freundin. Sie schaute auf und bemerkte, dass sie nur dagesessen und das Gläschen angestarrt hatte. Mit kalten und schwitzigen Fingern fasste sie das Gläschen am Deckel und legte es in das Loch.
„Du muss es schon aufmachen, wir können ja nicht das ganze Glas begraben“, meinte Marie.
„Mach du bitte“, krächzte Jana. Marie kicherte und drehte den Deckel auf. PLOPP. Mit einem Ruck platschten die weichen Sprossen hinaus und spritzten auf den Erdboden. Blubbernd versickerte das Wasser. Jana schluckte.
Schnell schoben sie die Erde wieder darüber und Marie packte das leere Gläschen wortlos in ihren eigenen Rucksack.
„Danke“, sagte Jana leise.
Marie zwinkerte ihr zu.

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Oh, ich kenne dieses Gefühl, auch wenn ich nie so angeraunzt wurde. Toll beschrieben, sehr dicht und unmittelbar „gefühlsübertragend“!

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Cooler Text - mal was ganz Anderes!

Marün -Salod

Wenn du in der Wachau aufwächst, dann gibt es zwei Dinge, um die sich das Leben strukturiert: Wein und Marillen - letzteres authentisch als Marün bezeichnet und bei unseren - angeblich gleichsprachigen - Nachbarn besser als Aprikose bekannt.

Die Saison der Marille beginnt eigentlich im April mit der Marillenblüte. Nach Monaten des Nebels und der Grautöne, gibt es erste Sonnenstrahlen und plötzlich bekommen die Obstgärten weiß-rosa Dächer aus Marillenblüten aufgesetzt. Für die Bauern - und in der Wachau hatte in meiner Kindheit jeder irgendwo Marillenbäume stehen, auch wenn schon lange nicht mehr hauptberuflich Bauer - beginnt aber gleichzeitig das Bangen, ob nicht doch noch einmal Frost in der Nacht komme und die Hälfte des potenziellen Ertrages zunichte mache.

Mein Oma, hauptberufliche Landwirtin, hatte ohnehin den Wachauer-Optimismus gepachtet und meinte jedes Jahr: „Ist ja nix dran.“

Der richtige Ausnahmezustand beginnt dann im Juli. Es werden die Leitern aufgestellt und die Zisteln in die Bäume gehängt, gepflückt und geklaubt. Und dann eingekocht, eingefroren, gebacken, verkauft und schließlich aus den nicht mehr anderweitig verwertbaren Früchten die Maische angesetzt für den Marillenschnaps.

Es gab jeden Sommer meiner Kindheit: Marillenknödel, Marillenkuchen, Palatschinken mit Marillenmarmelade, Marilleneisknödel, Marillentopfenstrudel,…

Marillenernte hieß für meine um ein Jahr ältere Cousine und mich aber auch, dass die Erwachsenen so mit Arbeit eingedeckt waren, dass für uns Kinder, die noch dazu Sommerferien hatten, die große Freiheit begann. Aber natürlich blieben auch meine Cousine und ich von der Marillen-Hysterie nicht verschont und wir kreierten unser ganz eigenes Marillenrezept, den Marün-Salod (Marillensalat). Und das ging so: Marillen entweder selbst ernten oder einfach aus einer Obstkiste mit bereits abgeernteten Marillen stibitzen und sich damit unbemerkt, wenn alle anderen bei der Ernte waren, in Omas Küche schleichen. Zur Marillen-Zeit herrschte auf Omas Hof reger Betrieb, seit dem Morgen war Verwandtschaft mit der Ernte Im Einsatz und das hinterließ auch Spuren in der Küche. Meistens standen noch irgendwo Reste des Frühstücks oder es waren Vorbereitungen für das Mittagessen getroffen worden. Kurz gesagt, es machte nichts, wenn wir Geschirr herräumten und es dann vielleicht nicht säuberlich abwuschen oder zurückstellten, eine Schüssel mehr oder weniger fiel niemandem auf. So etwas wäre in der Küche meiner Eltern unmöglich gewesen! Zurück zum Rezept: Man hatte also zwischen acht und zwölf Marillen ergattert, schnitt diese meistens in Achtel. Die ideale Marille löste sich wie von selbst vom Kern, ohne zu „gatschig“ (=weich) zu sein. Dann kamen die schön geschnittenen Marillen in eine Schüssel und wurden mit etwas Zucker (oder manchmal auch etwas mehr Zucker) und einer Limonade zu einem schönen „Salat“ vermengt. Bei Limonade verwendete man das, was in Omas Kühlschrank vorrätig war, meist irgendetwas total Überzuckertes mit Maracuja- oder Zitrone- oder Orange- Geschmack. So suggerierte es zumindest das leuchtfarbige Etikett der Flasche - der tatsächliche Geschmack hatte mit diesen Südfrüchten kaum etwas gemein, vielleicht passte gerade deswegen jede Limonade so herrlich zu unserem Salat. Genüsslich löffelten wir dann unseren Salat und besprachen, was wir wohl als nächstes auf die Beine stellen würden. Wir waren jedes Mal aufs Neue begeistert von unserer kulinarischen Kreation. Ich kann heute nicht mehr nachvollziehen, dass uns diese Mischung nach dem Verzehr nicht für längere Zeit ans stille Örtchen fesselte. Aber Marillen muss ich ehrlich gesagt heute nicht mehr unbedingt haben.

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Schöne Story, mir fehlt die Beschreibung, wie die Kartoffelstücke gemundet haben. Was macht sie fantastisch schmeckend? (Beschreiben, nicht behaupten)

Sehr gute Beschreibung! Da bekomme ich gleich Appetit nach einem meiner eigenen Äpfel aus dem Garten. LG Antje

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Schönen Abend miteinander, dann werfe ich meinen Laienpenny auch mal in den Hut.

Zwiebelsaft, die Geißel der Menschheit

Es gibt kulinarische Erfahrungen, die einen nachhaltigen Eindruck auf einen machen können. Oft schon durfte ich das bei anderen beobachten, etwa wenn es um gewisse Internetpersönlichkeiten geht, die Curryketchup nicht als Ketchup bezeichnen, sondern als Kindheit aus der Falsche. Oder auch, um das Medium zu wechseln, Bewegtbilder in gezeichneter beziehungsweise animierter Form, in dem jeder Bissen einer Speise eine Art orgiastischen Taumel auszulösen scheint. Da reicht ein »Hm, lecker!« schon gar nicht mehr aus. Da geht es mit Mach 3 auf eine Reise in die Stratosphäre, samt einer darauf folgenden Geschmacksexplosion, die selbst Alfred Nobel vor Neid erblassen lassen würde.
Tiefgreifende Erfahrungen also, die das Verhältnis eines Menschen zum Essen auf eindrucksvolle Art und Weise beeinflussen. In meiner kurzen Geschichte geht es allerdings nicht um eine, die mich auf den Mond gebeamt hätte, nein, sondern um eine die mir nahezu die gesamte Gattung der Lauchgewächse vergällt hat. Streng genommen handelt sie auch nicht von einer Mahlzeit, sondern von einer weit verbreiteten Zutat. Das corpus delicti ist die Zwiebel und offensichtlich muss sich die Natur etwas dabei gedacht haben, dieses unflätige Gewächs unter die Erde zu verbannen.
Ich erinnere mich noch recht genau, an die Ereignisse, die zu meinem Martyrium, mit diesem Vertreter der Lauchfamilie führten. Ich war damals noch ein junger Bub, zwölf oder dreizehn Jahre alt, als wir einen Anstandsbesuch bei unseren Verwandten antraten. 600 km mit dem Zug, queer durch Deutschland und eine Reisezeit von etwa 9 Stunden. Von der Reise selbst ist mir zwar relativ wenig in Erinnerung geblieben, aber das monotone Rattern und Klappern des Regional-Expresses, der stundenlang über die Gleise holperte, verführt einen nur allzu leicht dazu, einfach mal die Augen für längere Zeit geschlossen zu halten.
Lediglich die letzten Kilometer, die ich im Wachzustand verbrachte, hinterließen bleibenden Eindruck. Das Land war unglaublich flach, keine nennenswerten Hügel oder Berge weit und breit. So ziemlich der komplette Gegensatz zur gewohnten heimischen Umgebung. Ich sollte vielleicht anmerken, dass es zum Zeitpunkt unserer Reise Juni war und der Weizen erntebreit auf den schier nicht enden wollenden Feldern stand.
Es ist schon kurios, was für Spiele der Verstand einem manchmal zu spielen drängt. Denn in just jenem Moment, in dem ich das güldene Meer bewunderte, erwachten in mir Bilder eines Films, den ich kurz zuvor gesehen hatte, zu neuem Leben. Ich meine natürlich die Endszene aus Gladiator und zeitgleich setzte ein imaginäres Orchester an die ikonische Musik, in Dauerschleife, abzuspielen. Heute bin ich mir sicher, dass das eine Art unterbewusste Vorwarnung gewesen sein muss.
Den Anfang machte ein schummriges Gefühl, kurz nach unserer Ankunft bei Onkel und Tante. Dem folgte meine Nase, die urplötzlich meinte einen Marathon laufen zu müssen, dicht gefolgt von 40 Grad Fieber. Ein toller Start. Aber alles nur halb so wild, um den Worten meines Onkels zu folgen, denn er wusste genau, was zu tun wäre.
Was er meinte, wurde mir schon am nächsten Morgen offenbart. Neben meinem Teller auf dem gedeckten Frühstückstisch wartete ein Glas, gefüllt mit einem etwas dubios wirkenden Inhalt. Merkwürdig trüb war die durchsichtige, etwas grün-gelbliche Flüssigkeit und funkelte mich schon aus einiger Entfernung bösartig an. Mein Onkel legte mir väterlich die Hand auf die Schulter und nickte mir emsig zu. »Nase zu und in einem Zug!«, war sein Rat begleitet von einem verschmitzten Grinsen. Unnötig zu erwähnen, dass dieses Anraten mich erst recht stutzig machte.
Dennoch folgte ich seinem Ratschlag blauäugig und oh boy. Kaum war die etwas dickflüssige Masse, die ekelhaft süß und nach Zwiebel schmeckte runtergewürgt, bemerkte ich schon, dass meine Magen wohl auch noch ein Wörtchen in dieser Sache mitzureden hatte. Es erfüllt mich mit einem vielleicht unangebrachten Stolz, aber das war das erste und einzige Mal, dass ich mein innerstes großflächig und unter Zeugen auf und über einem gedeckten Tisch der Öffentlichkeit zugänglich machte.
Zwiebelsaft* war es, der mir Nichtsahnenden untergejubelt wurde und die Drahtzieher hinter diesem arglistigen Anschlag wurden postwendend mit den Konsequenzen ihres gut gemeinten, aber schändlichen Handelns konfrontiert. Wenigstens ein kleiner Sieg im Namen der ausgleichenden Gerechtigkeit.
Der Fairness wegen muss ich trotzdem gestehen, dass mein Onkel doch nicht ganz unrecht hatte, als er meinte, dass es helfen würde. Irgendetwas muss in diesem lichtscheuen und garstigen Unkraut drinnen sein, denn bereits am selben Abend war das Fieber verschwunden und nur der Schnodder bliebt etwas länger. Nichtsdestotrotz heiligt der Zweck die Mittel nicht, denn bekanntermaßen ist ein ganz bestimmter Weg mit guten Absichten gepflastert.
Seitdem ist es mir nicht mehr möglich, Zwiebeln oder zwiebelartiges Gemüse zu essen, ohne dass ein Würgreflex einsetzt. Für mich zumindest hat sich die Aussage als wahr erwiesen, dass manche Dinge besser niemals ans Tageslicht kommen sollten, das gilt für meinen Mageninhalt, wie auch für die Zwiebel. Die darf gerne unterirdisch und fernab aller Blicke fröhlich vor sich hinzwiebeln.

  • Für diejenigen, die nicht wissen, was Zwiebelsaft ist: Man nehme eine oder mehrere Zwiebeln, schneide diese in zwei, oder vier und gebe großzügig Zucker darüber. Dann lässt man das Ganze eine Weile ruhen, so dass die Zwiebeln richtig saften und am Ende entsteht ein Gift, dass tatsächlich recht gut gegen schnupfen und Erkältungen wirkt.

Mfg, P.D.Schönherr

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