Das war eine sehr schöne und heitere Geschichte. Sehr gut gelungen. Ich hoffe auf weitere schöne Geschichten.
Eine kulinarische Reise um die Welt
„Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“, sagt man.
Ich liebe Essen in jeglicher Form und Ausprägung. Außerdem liebe ich Reisen.
Essen und Reisen sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Möchtest Du ein Land und seine Kultur wirklich verstehen, so musst Du seine Speisen und Getränke kosten, und zwar so, wie sie dort gegessen werden. Ungeschönt und nicht für Touristen aufbereitet. Bestenfalls mit den Menschen, die dort zuhause sind.
Neben einem robusten Magen, empfiehlt es sich auch eine gut ausgestattete Reiseapotheke für Notfälle mitzuführen. Allerdings ist es häufig notwendig auf örtliche Medikamente zurück zugreifen. Wegen des speziellen Keimspektrums.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich die oft zitierte Regel, „Schäl es, koch es oder vergiss es“, mehrfach mutwillig verletzt habe. Glücklicherweise sind fast nie Komplikationen aufgetreten.
Neben meiner angeborenen Neugier habe ich auch noch eine gute Erziehung genossen. Daher fällt es mir schwer Menschen, die mich zum Essen einladen und mich voller Stolz (bestenfalls) bekochen, vor den Kopf zu stoßen. Ich empfinde das als eine unverzeihbare Verletzung der Gastfreundschaft.
Daraus resultierend esse ich klaglos alles, was man mir vorsetzt.
Aber genug der Vorrede!
Es begab sich also zu einer Zeit, da reiste ich nach Italien. Um genau zu sein, nach Apulien, in den tiefsten Süden. Es war Mai und die gesamte Region lag noch in dem seligen Schlummer, der für die Vorsaison dort typisch ist. Sprich, es waren nur ein paar ziemlich gelangweilte Einheimische und wir zwei einsamen Touristen da. Mein Reisebegleiter hatte entfernte Verwandtschaft dort unten und somit hatten wir gleich irgendwie Anschluss.
„La Famiglia“ war also hocherfreut, uns als Gäste zu Tisch begrüßen zu dürfen und tischte dementsprechend gewaltig auf.
Da mein Italienisch nicht besonders war, hielt ich es für eine gute Strategie, auftretende Kommunikationslöcher mit Kauen zu füllen.
Das erste Gericht war, wie könnte es anders sein, ein Teller mit Pasta. Nudeln mit Tintenfisch in Tinte.
Gemäß meinem besagten Gastfreundschaftsgrundsatz langte ich ordentlich zu. Was leider bei unseren Gastgebern einen Teufelskreis aus tellernachfüllen und zufriedenem Nicken auslöste.
Nach dem zweiten Teller wurde mir bewusst, dass es sich bei der Pasta möglicherweise erst um die Vorspeise handelte. Höflich aber bestimmt konnte ich gerade verhindern, dass mir ein drittes Mal Tintenfischpasta gereicht wurde.
Da wir natürlich auch schon den regionalen Wein verköstigt bekommen hatten, war die Stimmung entsprechend gelöst und die sprachliche Barriere bröckelte zusehends.
Onkel Flavio hatte mich scheinbar schon in sein Herz geschlossen und mir einen 10 Liter Kanister seines nicht etikettierten aber dennoch schmackhaften Weines vermacht.
Natürlich kam er nicht umhin, mir zu zeigen, wie er seinen Lebensunterhalt verdiente.
Flavio war Fischer. Aber er fing nicht einfach nur Fische. Er fischte eine wahrhaft erlesene Delikatesse aus dem Meer.
In dem Augenblick, als Flavio mit einem blauen Plastikeimer aus seinem Hinterzimmer kam, schwante mir, dass mich meine Prinzipien in Schwierigkeiten gebracht hatten.
Mit vor Stolz geschwellter Brust und hoch aufgerichtet, knallte Flavio den Eimer vor mir auf den Esstisch und reichte mir einen kleinen silbernen Löffel.
Alle Gespräche waren plötzlich verstummt und alle Augen auf mich gerichtet. Flavio deutete einladend auf den Eimer.
Zögerlich näherte ich mich dem Ding und blickte über seinen Rand. Halb in Erwartung von irgendetwas Lebendigem angefallen zu werden.
Es dauerte einen Augenblick, bis ich realisierte, dass sich Seeigel in dem Eimer tummelten.
Ich habe später etwas darüber gelesen. Eine Delikatesse, sehr teuer…und der Stolz meines Gastgebers.
„Es lebe die Gastfreundschaft!“, dachte ich, griff beherzt in den Eimer und zog ein kleines schwarzes Meerestierchen hervor. Während meine Gastgeber mich neugierig beobachteten, überlegte ich fieberhaft, wie ich den stacheligen Gesellen nur mit einem Löffel bewaffnet erlegen sollte.
Ich will zu Erläuterung kurz Insiderwissen preisgeben, welches mir glücklicherweise damals fehlte.
Seeigel sind im Mittelmeerraum noch immer eine teure und begehrte Delikatesse.
Man schneidet sie mit einer speziellen Schere in zwei Hälften und entfernt die Mundöffnung. Darunter verbergen sich die Innereien und die schreiend orangefarbenen Gonaden. Also die Geschlechtsdrüsen. Die Innereien des Igels werden mit dem Löffel direkt aus der Schale gelöffelt oder alternativ mit einem Stück Brot heraus gewischt. Einen Spritzer Zitrone harmoniert auch sehr schön mit dem Igel. Traditionell wird zu Seeigel Rotwein getrunken, da der Alkohol desinfizierend wirkt, falls sich Keime im Tier befinden. Seeigel werden nämlich roh verzehrt.
Flavio kam mir zwischenzeitlich freundlicherweise schon zur Hilfe und zerteilte den Seeigel mit seiner Seeigelschere. Orangenes Seeigelfleisch leuchtete mir entgegen und beherzt stieß ich den Löffel hinein. Zur Konsistenz sei gesagt, dass sie sich irgendwo zwischen Auster und Wackelpudding bewegte. Noch immer herrschte Totenstille am Tisch. Vielleicht auch andächtiges Schweigen.
Ich hob den Löffel vor mein Gesicht, ganz zufällig in die Nähe meiner Nase und nahm einen Atemzug. Fisch und Meersalz.
Ich schloss die Augen in der Hoffnung, meine Gastgeber würden diese Geste als einen Ausdruck höchsten Genusses interpretieren.
Öffnete dann den Mund und schob den Löffel Glibber hinein.
Eine Geschmacksexplosion nie gekannter Intensität erfolgte auf meiner Zunge.
Der salzige, intensive Fischgeschmack, machte es mir schwer, einen angemessenen Gesichtsausdruck beizubehalten.
Irgendwie bekam ich es hin zu schlucken.
Dann öffnete ich die Augen.
Alles blickte mich erwartend an.
Ich lächelte.
„Molto bene“, brachte ich hervor.
Plötzlich jubelte die gesamte Gesellschaft, als hätte Italien gerade die Fußballweltmeisterschaft gewonnen. Man klopfte mir auf die Schulter und einen Moment hatte ich Angst, dass man mir weitere Seeigel anbieten würde. Aber glücklicherweise genießt man Seeigel wohl sparsam.
Ich ahne nicht, welche Folgen es haben wird, als mein Vater mir eine kleine Schüssel mit Plundermilch bringt. Er hat sie vom Dorf mitgebracht, in dem er groß geworden ist, und es ist mein Lieblingsessen, frische, unbehandelte Milch, die lange genug stehen gelassen wird, um sauer zu werden und eine halb feste, halb flüssige Form anzunehmen, kleine Bröckchen inklusive. Den besonderen Reiz bekommt das Ganze aber durch den Zucker, der darüber gestreut wird.
Es ist mein Lieblingsessen, mein Trostessen. Und Trost habe ich nötig in diesem Moment, denn es ist erst einige Stunden her, seit ich, sechsjährig, von einer ambulanten Polypenoperation zurückgekehrt bin. Erst mein drei Jahre jüngerer Bruder, dem ich zuschauen musste, und dann ich; meine Mutter, die versprochen hat, dabei zu sein, ließ sich ins Wartezimmer schicken.
Ich strahle, als ich die Plundermilch esse. Danach baue ich auf einem Tablett auf meinem Schoß meine Bauernhoftiere auf, verliere mich in ihnen. Und dann strahle ich nicht mehr. Denn dann wird mir schlecht, und meine so schön arrangierte Phantasiewelt versinkt unter meinem übel riechenden Mageninhalt.
Tränen laufen mir sofort übers Gesicht, als ich sehe, wie all das, was ich aufgebaut habe, ein so tragisches, trauriges Ende nimmt. Noch während ich daliege und mich schäme, weil ich meinen Körper nicht kontrollieren konnte, höre ich in der Küche nebenan meine Mutter mit meinem Vater schimpfen. Als hätte er wissen müssen, dass Milch sich mit Äthernarkosen nicht verträgt.
Ich habe Mitleid mit meinem Vater, der mir nie etwas Böses getan hat, mich in den Wald mitgenommen, mit mir auf Hochsitzen Rehe beobachtet hat. Im Gegensatz zu meiner Mutter.
Vielleicht war es daher auch aus Protest ihr gegenüber, oder aus Trotz, dass Plundermilch weiterhin mein Lieblingsessen blieb. Nicht gleich in den nächsten Tagen, aber bald danach.
Nur übergeben konnte ich mich danach jahrzehntelang nicht mehr, ganz egal, wie schlecht mir auch war.
Maultaschen mit Curryketchup und Käse
Es duftet in der Küche nach Gemüsebrühe, darin schwimmen die Maultaschen. Doch das Highlight entsteht dieses Mal nicht in der Küche, sondern am Esstisch. Auf dem Tisch stehen die heißen Maultaschen, die Ketchupflasche, ganz wichtig, es muss Curry-Ketchup sein, und der geriebene Käse. Jetzt heißt es für alle Familienmitglieder Maultaschen auf dem Teller klein schneiden, Ketchup und Käse drauf und alles gut verrühren. Die Vollendung findet das Ganze in der Mikrowelle, wodurch der Käse sich traumhaft mit dem Ketchup vermischt und sich in eine wohlriechende, cremige Soße verwandelt. Das Geschmackserlebnis wird mir für immer im Gedächtnis bleiben, es ist einfach perfekt. Das absolute Highlight sind dann noch einige knusprige Röstzwiebeln als Topping. Dieses Essen muss man einfach lieben. Das Seltsame, jedes Mal wenn ich Freunden davon erzählte, und das tat ich sehr oft, schauten diese mich irritiert an und erklärten meinen Geschmackssinn für verrückt. Selbst schuld, sie hätten es einfach mal probieren müssen. Mein Vater hat dieses Essen in die Familie gebracht und mein Bruder und ich haben es dankend aufgenommen. Meine Mutter war immer schon die Vernünftige und Gesundheitsbewusste, sie aß ihre Maultaschen in der Brühe. Sicherlich auch lecker, aber allein der Vergleich ist schon absurd.
Eines Tages schnitt ich meine Maultaschen auf meinem Teller klein, wie jedes Mal schon hungrig und begierig auf das kommende Essen. Doch da passierte es. Auf meinem Teller lag die zerteilte Maultasche, doch statt eines glatten Schnitts, ragte eine Vene aus meiner zerschnittenen Maultasche. Ich erschrak unfassbar. Vielleicht war es auch ein anderes Teil des Tieres, von dem das Fleisch in der Maultasche stammte. Auch egal, ich schrie und brach unmittelbar in Tränen aus. Ich war damals schon abgeneigt gegen allzu tierähnliche Fleischprodukte und konnte meine Emotionen nicht bändigen. Ich schluchze vor Schreck und Unfassbarkeit. Mein leckerstes Lieblingsessen, zerstört durch das Ekligste, was ich mir vorstellen konnte. Meine Eltern waren erschrocken, bis sie verstanden, was sich auf meinem Teller abspielte. Es hat sie jede Menge Überredungskunst gekostet, bis ich überzeugt war, dass das ein absoluter Einzelfall war und garantiert nie mehr vorkommen würde. Ganz egal, für diesen Abend war mein Essen verdorben.
Das nächste Mal, als es Maultaschen gab, ich war wieder erholt vom letzten Schock, fing ich an wieder in großer Vorfreude meine Maultaschen zu zerschneiden. Diese Geschichte wird mir niemand glauben, aber es war wie beim letzten Mal. Ein ähnliches Stück Tier ragte aus meiner Maultasche heraus. Ich war noch aufgelöster als das erste Mal und schwor mir nie wieder eine Maultasche aus Fleisch anzurühren. Jeder Versuch meiner Eltern mich zu beruhigen oder zu beschwichtigen, war zwecklos. Da mein Vater aber nicht auf dieses leckere Essen verzichten wollte, war die Zeit der vegetarischen Maultaschen in unserer Familie geboren.
Es gab Maultaschen, ich schnitt voller Vorfreude, den Geruch der Gemüsebrühe in der Nase, meine Maultaschen in kleine Stücke. Liebevoll verteilte ich den Ketchup und den Käse darauf und stellte alles in die Mikrowelle. Als der heiße Teller mit dieser cremigen, wohlriechenden, genial schmeckenden Käse-Ketchup-Soße vor mir stand, garniert mit einigen Röstzwiebeln, schloss ich die Augen und genoss den Moment. Darauf hatte ich nun sehr lange gewartet. Ich nahm die erste Gabel und spürte meine Geschmacksknospen explodieren. Einfach perfekt.
Kalbsnieren in Sherryrahm
Ich wachte nicht in meinem Bett auf. Mama und Papa hatten mich in der Silvesternacht bei „Onkel Robert und Tante Bella“ geparkt, genauer, auf einer Sonnenliege im Kinderzimmer ihrer Tochter Sabine. Wir schliefen dick eingemummelt tief und fest, während die Großen sich ein Glas nach dem anderen genehmigten und ihr Lachen immer lauter wurde. Papa ließ sich dann mitten in der Nacht von der Polizei mit einem Streifenwagen in die Klinik bringen, Mama durfte mit. Von da aus waren es fünf Minuten zu Fuß nach Hause, 1967 ging so etwas noch.
In der fremden Wohnung suchte ich am nächsten Morgen fünf Minuten das Klo, rüttelte auch ein bisschen an der abgeschlossenen Schlafzimmertür von Onkel und Tante - zwei Arbeitskollegen meines Papas, die auch häufig bei uns zuhause abends laut lachten.
„Ich komme gleich!“, rief es durch die Tür. Wenig später fand ich das Klo, und als ich fertig war, stand Onkel Robert mit der Schürze von Tante vor dem Bauch in der Küche und wühlte im Kühlschrank.
„Ich esse Toast mit Aprikosenmarmelade“, sagte ich und machte ein entschlossenes Gesicht. Doch Onkel Robert hatte anderes im Sinn.
„Ahh-ja, da haben wir sie schon! Lecker Nierchen!!“
Ich kannte Kalbsleber, aber was waren „Nierchen“? Tante Bella kam in die Küche.
„Du willst doch nicht jetzt im Ernst Nieren flambieren?“, fragte sie den Onkel, nachdem sie zwei Flaschen gesehen hatte, die neben dem Herd in Bereitschaft standen. „Der Junge ist neun, der fällt uns in Ohnmacht!“
Inzwischen war Sabine wach geworden, in die Küche getappst und hatte die Flaschen gesehen. „Uähh, Nierchen!“ Sie drehte sich um, wusste was kommen würde und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Du musst die nicht essen, Bienchen, das hatten wir doch schon besprochen.“
Tante Bella strich über den blonden Schopf ihrer Tochter, die sich anschließend in ihr Zimmer trollte und das Buch weiter las, in dem es um eine Seemannstochter ging, die Pferde hochheben konnte.
„Ich weiß nicht, was verkehrt ist an flambierten Nierchen in Sherryrahm. An einem Neujahrsmorgen, mit einem Glas Champagner - superlecker!“ Der Onkel ging nochmal an den Kühlschrank und holte eine grüne bauchige Flasche heraus. „Willst du auch einen Schluck?“, fragte er die Tante, aber die blieb bei Kaffee, Wasser und Alka Seltzer.
Jetzt wurde es langsam ernst. Onkel Robert war Arzt und erklärte mir schnell die Anatomie einer Niere, während er das sie umgebende Fett entfernte und die erste in Scheibchen schnitt.
„Siehst du?“, fragte er mich und zeigte mit der Messerspitze auf einen Teil des braunen Gewebes. „Da kommt das Blut rein, und hier kommt dann das Pipi raus, haha!“ Er hatte Spaß an seinen Erklärungen und nahm einen großen Schluck aus einer Trinkschale, in der es zart blubberte.
„ROBERT!“ Die Tante war gar nicht begeistert und schimpfte mit dem Onkel.
Der ließ sich jetzt nicht mehr ablenken, schwenkte eine Pfanne, in der Butter und Olivenöl heiß geworden waren und warf endlich die Nierenscheibchen hinein. Die Butter roch nach Nuss, das mochte ich. Die schnellen ruckartigen Bewegungen, mit denen der Onkel die Nierchen in der Pfanne herumwarf, beschäftigten mich. Ob ich jemals so viel Kraft haben würde eine volle Pfanne mit einer Hand hin und her zu schlenkern?
„Jetzt komm mal vom Herd weg!“, befahl die Tante und zog mich am Kragen meines Nickis nach hinten. „Gleich wird’s gefährlich …“
Der Onkel nahm eine Flasche, die ich aus der Fernsehwerbung kannte und schüttete einen großen Schluck davon in die Pfanne, dann gab es plötzlich ein bengalisches Feuer. Blaue Flammen loderten kurz auf, bevor sie erst gelb wurden und dann verschwanden.
„Und nun noch die Sahne!“, erklärte der Onkel, rührte sanft und aufmerksam in der Pfanne herum, bis er ein Brettchen nahm und mit der Pfanne im Esszimmer verschwand.
„Frühstück ist fertig!“, tönte es laut, und ich atmete den letzten Rest des unbeschreiblichen Duftes in der Küche ein, bevor ich mich dorthin setzte, wo die Kindertasse stand. Sabine saß bereits vor einem Butterbrot mit Schokostreuseln und wartete darauf, hineinbeißen zu dürfen.
Tante Bella guckte mich skeptisch an. „Willst du wirklich Nierchen zum Frühstück? Du kannst auch was anderes …“ Ich guckte den Onkel an und schüttelte den Kopf. „Danke, ich probiere das, und wenn ich es nicht mag, lasse ich es liegen. Das sind die Regeln bei uns zu Hause.“ Onkel Robert zog eine Augenbraue hoch, Tante Bella schritt zügig ein. „Natürlich, mein Kleiner, Bienchen muss das nicht essen, dann musst du es auch nicht.“
Ich bekam ein Toastbrot und einen Löffel der Nierchen. Meine Mama hat mir später erzählt, dass Tante Bella sich kaum einkriegen konnte, weil ich Onkel Robert fast die halbe Pfanne leergegessen hatte. „Das gibt’s doch nicht … in dem Alter, also wirklich“, hatte sie gesagt und an mir zweifelnd unruhig an ihrem Dutt genestelt. Mit Onkel Robert habe ich Jahre später noch häufig Nierchen gegessen, Sabine hatte die Schokostreusel inzwischen gegen Kirschpralinen mit Schuss getauscht. Vielleicht haben wir uns auch deshalb recht schnell aus den Augen verloren.
Sie bereitete sich in ihrer Kochnische ein ärmliches Mahl. Erbsen mochte sie besonders gern. Fleisch konnte sie sich nicht leisten. Oder sie hätte auf ihr tägliches Glas Bier verzichten müssen, um sich hin und wieder einen Schweinebraten kaufen zu können. Doch wozu? Mehr Freude bereiteten ihr die Science-Fiction-Filme, die sie jeden Samstag im ersten Programm zeigten.
In seinem goldenen Anzug aus einem Guss hob er sich kaum von dem Flugobjekt ab, das er soeben verlassen hatte. Kein Antrieb, keine Tragflächen, kein Fahrwerk. Eine Oberfläche, so glatt wie sie von keinem Menschen auf der Welt je zuvor geschliffen worden war. Seinem zwei Meter fünfzig großen Begleiter fehlten Gesicht und Hörorgane, doch vermochte er seine Umgebung in Sekundenschnelle zu scannen.
Die Ziehung der Lottozahlen wollte sie sich anschauen, beim Wort zum Sonntag noch einmal die Erbsen aufwärmen und sie gemütlich bei «Der Tag, an dem die Erde stillstand» aufessen. Der Pfarrer begann in typisch schwülstiger Art. Sie stellte den Herd an, lauschte schläfrig den seligen Worten, vergaß die Erbsen.
Positivanalyse: fehlende Abwehreinheiten. Nirgends lauerten Gefahren durch menschliche Spezies in der Umgebung der Landestelle. Ungehindert machten sie sich auf den Weg in Richtung der Lichter, in deren Nähe sie die Existenzwaben des Homo sapiens vermuteten. Schon bald schmerzten ihre Geh-Einheiten, die nur in den seltensten Fällen zum Einsatz kamen.
Der Geruch von Angebranntem stieg ihr in die Nase. Schlaftrunken sah sie Außerirdische auf dem Weg zu …
Und auch das Wesen im goldenen Anzug und sein riesiger Begleiter wurden durch den bisher unidentifizierten Geruch angelockt.
Jahre später nahm sie die «Schwarze Erbse», eine Auszeichnung für die Wegbereitung außergalaktischer Völkerverständigung, entgegen. Bis zu ihrem Tod zweifelte sie am Verstand der verantwortlichen Politiker.
Opas Küche
Das Mädel mit Zahnlücken und geflochtenen Zöpfen, das Oma und Opa in der Küche half, wurde hier lebendig. Jetzt war ich wieder zu Hause und dieses Mal wollte ich für immer bleiben. Genauso wie in Kindertagen war ich glücklich, wenn der Dampf aus den Töpfen aufstieg und frisch gemahlener Pfeffer und Muskat in der Nase kitzelten. Die Haare inzwischen praktisch kurz, doch die Jeans sind geblieben, genau wie das heimelige Gefühl zwischen Gasherd und Steinzeug-Fliesen. Opa stand jeden Tag am Herd und bekochte die Gäste, die mit ihm in die Jahre kamen. Er setzte mit bayerischer Küche auf Tradition. Rezeptvorschläge, die ich während meiner Lehrjahre ausgetüftelt hatte, lehnte Opa Helmut ab.
„Ich glaube dir, dass in München Tofu auf der Speisekarte steht. Überleg mal, der Maier Sepp und die anderen vom Stammtisch essen doch keinen Tofu. Du darfst gerne ein neues Dessert aussuchen. Da sind unsere Gäste probierfreudig“, erklärte er mir. Damit war das Thema erledigt. Mit Nachspeisen umgarnte ich ihn, süßen Verführungen widerstand er selten. Bei Mousse au Chocolat schmolz er dahin, wie die dunklen Schokoladenstücke im Wasserbad. Leider hatte ich keine Gelegenheit mehr, ihm von meinen Ideen zu erzählen, denn Sonntag war der einzige Tag der Woche, an dem die Wirtsstube gut gefüllt war.
An diesem Sonntag kochten wir für eine große Familienfeier, eine Verlobung. Tante Hilde und Tochter Lea halfen in der Küche aus.
„Nele, hast du die Eismasse kühl gestellt?“
„Ja, ist erledigt.“
„Hilde und Lea, ihr putzt den Salat. Nele, du rührst die Salatsoße an.“ Aus Balsamico, frischem Orangensaft, Ahornsirup, mittelscharfem Senf und Olivenöl rührte ich das Salatdressing. Orangenzesten verfeinerten die Vinaigrette. Ich kostete das Dressing. Fruchtige Süße der Orange traf auf milde Säure des Balsamico mit einer Spur Kubebenfeffer. Gaumenschmeichler.
„Nele, lass mich die Soße probieren.“ Ich tunkte einen Dessertlöffel in die Schüssel mit der sämigen Marinade. Mein Blick verfolgte, wie er den Löffel langsam aus dem geschlossenen Mund herauszog und sich von seinen Augen abwärts ein Lächeln ausbreitete.
„Würzig und fruchtig, mit genau der richtigen Konsistenz. Fast perfekt. Es fehlt Pfeffer. Hast du die Walnüsse schon angeröstet?“
„Wird gleich erledigt. Zuerst muss ich die Orangen filetieren, dann röste ich die Nüsse.“ Ich hatte das Gefühl, mich wie in Sirup zu bewegen, wo hingegen Opa ruhig und beständig arbeitete, wie eine Küchenmaschine. Opa Helmut stand schon Jahrzehnte in der Küche, sein Leben lang. Eilig brachte ich Essig und Öl zurück in den Vorratsraum. Die Ölflasche rutschte mir vor dem Regal aus der Hand und krachte auf die Fliesen. Vorsichtig packte ich die großen Scherben in einen Eimer, die kleinen sammelte der Handfeger ein. So gut es eben ging, wischte ich das Öl mit der Küchenrolle auf. Für das Hauptgericht gab es eine Menge vorzubereiten. Hand in Hand arbeiteten wir unser Pensum ab. Opa lief mit weit ausholenden Schritten an mir vorbei Richtung Vorratsraum.
„Ja Sacklzement, wer hat denn hier was verschüttet, zum Donnerwetter?“, polterte er. Ich hörte einen Aufprall und drehte mich um.
„In der Eile habe ich nicht alles aufgewischt …“ Meine Worte blieben mir im Hals stecken, als ich sein schmerzverzerrtes Gesicht sah. Er lag ausgestreckt auf den Fliesen. Ich eilte zu ihm, um ihm hoch zu helfen. Keine Chance. Mit Tante Hildes Hilfe hievten wir Opa auf einen Stuhl. Aschfahl saß er in unserer Mitte.
„Tut mir leid …“ Weiter kam ich nicht, mit einem Knödel im Hals und tränenden Zwiebelaugen verstummte ich, weil mich sein Blick traf. Opas Stimme war leise, aber fest: „Nutzt jetzt nix. Die Gäste warten! Lea, hol die Brezenknödel aus dem Kühlraum und brate sie bei mittlerer Hitze im Butterschmalz an. Hilde, schau gleich nach dem Wildschweingulasch, wenn es köchelt, gib die Zartbitterschokolade hinzu. Lass mich dann die Soße probieren, ob Gewürze fehlen. Die Maronen würfeln und dazugeben. Nele, der Salat soll raus. Ist er fertig? Auf Geht‘s!“, kommandierte Opa. Ich marinierte die Salatblätter, richtete Chicorée, Radicchio und Feldsalat in Schüsseln an. Gab dann Walnüsse und Orangenfilets obendrauf. Opa scheuchte uns mit seinen Anweisungen durch die Küche und überprüfte, wie ein Vorkoster alles, bevor serviert wurde. Das Zepter fest in der Hand. Die verschiedensten Aromen schwebten Tönen gleich durch die Luft
„Meine Schmerzen werden stärker. Lea, ruf bitte einen Sanka“, bat Helmut, dessen Gesichtsfarbe sich immer mehr seiner Kochjacke anglich. Kaum war der Hauptgang zu seiner Zufriedenheit auf den Tellern angerichtet, traf das Rettungsteam ein. Die Sanitäter legten Opa auf die Trage und schoben ihn zum Krankenwagen. Ich stand daneben, meine Hände kneteten imaginären Teig und die Zähne walkten die Lippen. Hoffentlich ist nichts gebrochen. Lea zog mich zurück in die Küche. Konzentriert richtete ich die Dessertteller an. Ich löste das Schokoladensoufflé aus der Form und portionierte das cremige Eis, gespickt mit Nusssplittern. Ein Klecks landete auf der Arbeitsfläche. Superlecker. Lea reichte mir die Waffelherzen. Zusammen mit filetierten Orangenspalten, Granatapfelkernen und roter Beerensoße garnierte ich die Nachspeise. Der herb süße Schokoladenduft, Nuss und fruchtige Aromen vermischten sich und umschmeichelten meine Nase. Voilà, der krönende Abschluss. Teller an Teller reihten sich die Desserts aneinander, wie der Knoblauch am Zopf, zur Ausgabe bereit. Ich gönnte mir zartschmelzendes Eis und eine Tasse Kaffee, schwarz und heiß. Erschöpft ließ ich mich auf einen Küchenstuhl fallen. Wie konnte ich nur so fahrlässig sein? Hilde war kurz nach dem Rettungswagen losgefahren. Hoffentlich ruft sie bald an.
„Ist Eis übrig?“, fragte Lea.
„Ein kleiner Rest ist in der Maschine. Magst du Kaffee?“
„Nein. Wir haben das gut hinbekommen, finde ich. Gibt es Nachricht von Opa?“
„Leider nicht.“ Wir verputzten das restliche Eis und tauschten Neuigkeiten über Freunde aus dem Städtchen aus.
„Hast du jetzt schon vegetarische Kochrezepte ausprobiert?“, fragte Lea.
„Nein, leider nicht. Ich habe so viele Ideen und Rezepte im Kopf, davon will Opa nichts hören. Du kennst ihn doch. Neues steht seiner Tradition im Weg. Seine Gewohnheiten sind festgefahren, Veränderung fällt ihm schwer.“
„Normalerweise kommen Opas Freunde und Bekannte zum Essen. So viele Gäste wie heute waren schon lange nicht mehr da. Vielleicht lässt er sich mit der Zeit auf Neuerungen ein“, munterte Lea mich auf. Wir putzten die Küche, jeder in der eigenen Gedankenblase. Die Gastrospülmaschine spuckte im Zehn-Minuten-Takt heiße Geschirrlawinen aus, die wir aufräumten. Endlich erlöste mich mein Handy.
„Helmut ist im OP, die Schenkelhalsfraktur wird operiert. Ich fahre nach Hause und packe ihm eine Tasche für seinen Krankenhausaufenthalt.“
„Die Gäste sind gegangen. Ich war so leichtsinnig. Ist Opa sauer auf mich?“
„Nein, das glaube ich nicht. Besuche ihn doch und rede mit ihm“, schlug Tante Hilde vor.
Einige Tage später saß ich an Opas Krankenbett, er wirkte älter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Unsicher vermied ich es, ihm in die Augen zu sehen.
„Nele, was ist los?“, bohrte er.
„Ich bin schuld an deinem Unfall, weil ich das Öl nicht richtig aufgewischt habe?“
„Das lässt sich nicht mehr ändern, das nächste Mal bist du bestimmt sorgfältiger. Ich bin so froh, dass du wieder zu Hause bist. Komm, setz dich. Willst du mir von deinen Ideen erzählen?“ Endlich hatten wir einmal ein wenig Zeit. Ich weihte ihn in meine Pläne zur Umgestaltung ein und er hörte mir zu, bestärkte mich.
„Pack es an und halte mich auf dem Laufenden.“ Ich bemerkte, wie müde er aussah.
„Jetzt ruh dich aus. Du wirst sehen, in einigen Wochen stehst du wieder in der Küche. Beim nächsten Besuch bringe ich dir Apfelstrudel mit Vanillesoße nach Omas Rezept mit, dann kommst du schnell wieder auf die Beine.“ Ich umarmte ihn und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, die Stärkere von uns beiden zu sein.
Ich esse gerne … ich esse gerne gut, vielleicht fällt es mir deshalb so schwer mich für ein essen zu entscheiden. Die schönsten Erinnerungen sind für mich nicht die Gerichte, die ich gegessen habe, sondern die Momente und die Freunde, mit denen ich das Essen zusammen genossen habe.
Eine lustige Erinnerung:
Mein Verlobter hat mich an meinem 27sten Geburtstag besucht und wir wollten in Berlin Currywurst essen gehen, doch dann hat es angefangen zu regnen. Jeder andere hätte vielleicht gesagt,
„Zum Mitnehmen bitte“, nicht wir. Wir sind geblieben, haben uns einfach untergestellt, haben in Ruhe gegessen. Und nebenbei sogar noch die Leute beobachtet, die hektisch durch den Regen rannten und unsere Späße darüber gemacht.
Eine rührende Erinnerung:
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals jemand sich die Mühe gemacht hat, mir einen Kuchen zu backen. Obwohl ich mir einen Kuchen von ihm gewünscht habe, konnte ich die Tränen der Rührung nicht zurückhalten. Mein Verlobter betont nur immer wieder
„Es ist doch nur ein einfacher Sandkuchen, den kann ich halt am besten.“ Für mich ist es so viel mehr und das versteht er einfach nicht. Dieser Kuchen war so locker und fluffig und das beste war, der Kuchen war mit seiner Liebe für mich gemacht.
Und last but not least, eine positive Überraschungs-Erinnerung:
Ich habe bereits unzählige Anime gesehen und Manga gelesen in denen Takoyaki gegessen wurde und ich habe mich immer gefragt, was das ist und wie das schmeckt. Die Frage nach dem
„Was ist das?“, ließ sich ganz schnell beantworten. Es ist eine Teigkugel in der ungefähren Größe einer Pflaume mit einem kleinen Stück Oktopusarm innen drin. Bei der Sache nach dem Geschmack war es dann nicht ganz so einfach. Ich bin überhaupt kein Fischfan, doch die Neugierde siegte und natürlich wollte ich meine Loyalität als Anime Fan Unterbeweis stellen. Also habe ich an einem kalten Wintertag, auf einem japanischen Weihnachtsmarkt in Berlin „Einmal Takoyaki, bitte“, gesagt. Und was soll ich sagen? Es hat sich alles gelohnt, das Warten in der Kälte und das Geld war es mir auch wert. Nicht wirklich des Geschmacks wegen, der war nicht so berauschend. Sondern einfach, weil ich von Leuten umringt war, die das Gleiche lieben wie ich, Anime. Dieses kleine Stückchen Anime/Japan Feeling ist es mir wert, wenn ich auf einer Anime-Messe oder einem anderen japanischen Event bin, mindestens eine kulinarische Spezialität aus dem Land der aufgehenden Sonne zu essen.
Hiermit verabschiede ich mich für heute und wünsche allen eine gute Nacht.
Eisbein
Eisbein bei meiner Oma, das war immer lecker. Theoretisch. Denn im Grunde genommen hatte ich dafür nichts übrig. So gar nicht. Überhaupt nicht. Noch nie.
Doch bei Oma war man sehr gerne. Auch wenn es Eisbein gab.
Dann kam McDonald’s. Zumindest im Osten. Keine Ahnung, wie lange es das schon im Westen gab. Und jeder wusste, dass es ungesund war. Doch die Kinder wollten hin, egal wie viele Transfette sie mit ihrem Happy Meal zu sich nahmen. Es ging ja letztendlich um das Spielzeug darin. Oder nicht?
Ich war genauso. Ich war früher furchtbar oft bei McDonald’s. Heutzutage aber nicht mehr.
Heute esse ich gesünder (wenigstens rede ich mir das ein). Heute mache ich mehr Sport (naja, nicht ganz). Heute ist alles besser. Außer natürlich bei meiner Oma.
Auch wenn Eisbein genauso ungesund ist, würde ich es heute gerne wieder bei meiner Oma essen. Doch das geht nicht mehr. Sie starb früh mit 63 vor unzähligen Jahren. Seitdem habe ich nie wieder Eisbein gegessen.
Und das werde ich auch nie wieder.
Danke herzlich! Das ist so ein Punkt, wo sich meine Fantasie dann doch verweigert: Alle Geschirrspüler heißen Minna, alle Möwen heißen Emma - muss ein Fall von Prinzipientreue sein (oder Altersstarrsinn?). Vile Grüße von meiner Minna an deine Minna!
Astrid
**Lämmerleiden**
**Eine kleine Erinnerung an meine Kindheit**
Was soll ich bloß schreiben?
Ratlos schaue ich auf die leeren Seiten und krame in meinen Erinnerungen.
Natürlich, sicher, ich hätte mir irgendeine Geschichte ausdenken können, in der ich dann, schwups, von irgendwoher auch ein, zu diesem Thema passendes Essen einbauen hätte können. Aber so richtig will mir dieser Gedanke nicht gefallen, weil ich nun einmal Stur bin und mir in den Kopf gesetzt habe, das diese, meine noch ungeschriebene Geschichte, unbedingt der Wahrheit entsprechen müsse.
Sicher, da gab es die, von uns Kindern so heiß geliebten „Matschbrötchen“ (Brötchen mit Schokokuss), mit denen wir von Tante Grete, ihres Zeichen Inhaberin des kleinen und einzigen Laden unseres Dorfes, zuverlässig und in stets ausreichender Menge versorgt wurden. Oder ich könnte von meiner Oma berichten, die mir und meinen Geschwistern gerecht und immer reihum, unser Lieblingsessen zubereitete.
Na ja, aber für eine ganze Geschichte wird mir das nicht reichen, denke ich. Selbst dann nicht, wenn ich sie ein wenig ausschmücken würde und ein paar Halbwahrheiten und die eine oder andere Übertreibung unterrührte. Nein, sicher nicht. Mehr als ein paar Sätze würde ich so nicht
zusammenbekommen.
Mhm, Ratlosigkeit.
Aber dann, ganz plötzlich sind sie da, all die Lämmer meiner Kindheit und innerlich schlage ich mir selbst kräftig gegen die Stirn. Warum fallen einem diese Dinge nicht sofort ein und warum musste man so lange vergeblich in seiner Vergangenheit herumwühlen?
Es ist wie verhext!
Lämmer? Sehe ich die unausgesprochene Frage in deinem Gesicht.
Ja, Lämmer!
Und es waren viele, ungezählt viele!
Auch wenn, ja wenn es wohl andere waren als du, liebe Leserin, lieber Leser, nun vielleicht vermuten magst. Aber ich denke, ich lasse diese Lämmchen durchgehen, denn schließlich,
irgendwie muss ich diese leeren Seiten ja vollgeschrieben bekommen. Ich hoffe, auch du wirst
meine Lämmchen mit Wohlwollen betrachten und nicht allzu enttäuscht sein davon, das man sie
weder streicheln konnte (am besten gar nicht erst berühren), noch fröhliches Mähen aus ihren
Mäulern drang, denn die einzigen Laute, die man manchmal in ihrer nähe zu hören bekam, waren Klagelaute und diese kamen meistens von uns selbst.
Aber na ja, am besten ich fange ganz von vorne an, denn so liest es sich besser und viel leichter. Es muss ja schließlich irgendein Sinn dahinter stecken, warum man Geschichten mit dem ersten Satz beginnt und mit dem letzten zu Ende gehen lässt und alles andere, was zwischen diesen beiden Sätzen passiert, einfach in die Mitte packt.
Also der Reihe nach:
Damals, als ich noch ein kleiner Junge war, gab es keine Frau in unserem Dorf, die all die leckeren Kuchen und Kekse zu Hause selbst im Backofen buk, was einfach daran lag, dass zu meiner Zeit die Herde und Backöfen noch mit Holz oder Kohle angeheizt wurden. Ja, um das Mittagessen zuzubereiten oder den Sonntagsbraten knusprig braun werden zu lassen, dafür reichten die damaligen Herde und Backöfen wohl aus, aber Kuchen und Kekse, das war eine ganz andere Sache. Da musste man ganz besonders aufpassen und das Feuer im Herd ließ sich schlecht dazu überreden, ein wenig Rücksicht auf all diese Leckereien zu nehmen, machte sich vielleicht sogar einen Spaß daraus, einfach alles verkohlen zu lassen, so das all diese guten Dinge leicht selbst wie Kohlen ausschauen konnten und die dann, man kann es niemandem verübeln, keiner mehr essen wollte.
So rührten, quirlten und mischten die Frauen dann den Teig zu Hause in der Küche an, drapierten alles auf Backbleche oder in Backformen und trabten dann mit all diesen Blechen, Formen und Behältnissen zum Bäcker, der sie dann in seinen riesigen Ofen schob, indem unter der Woche Brot gebacken wurde, bis all die feinen Backwaren, goldgelb und duftend, irgendwann wieder zum Vorschein kamen und so, fix und fertig, wieder nach Hause getragen werden konnten.
Diese Backtage fanden immer samstags statt und, sofern ich mich recht erinnere, einmal im Monat.
Du kannst dir nicht vorstellen, wie das duftete!
Fast alle Frauen des Dorfes kamen nämlich an diesen Samstagen gleichzeitig zum Bäcker und der Ofen verströmte so, viele Stunden lang, den köstlichsten Duft, der allmählich durch unsere Straßen zog und sich über unser ganzes Dorf legte. Es roch wie an Weihnachten, Geburtstag und Ostern zusammen - einfach unbeschreiblich!
Die Frauen, wenn sie auch sonst oft über all die viele Hausarbeit schimpften, liebten diese Tage, denn so konnten sie, während sie darauf warteten, dass ihre Zaubereien endlich fertig wurden, mit all den anderen Frauen den neusten Tratsch und Klatsch austauschen und den, das kannst du mir gerne glauben, gab es auch in unserem kleinen Dorf zu Hauff.
Tja und dann war da noch, dass unter den Frauen unseres Dorfes ein Wettstreit entbrannt war,
welche wohl den leckersten, duftensten und schönsten Kuchen zubereiten konnte. Nun ja, diesen Wettstreit gab es nicht wirklich und ganz offiziell, so das es auch niemals eine Siegerin gab, und doch wussten alle davon, dass die Frauen nicht einzig deshalb buken um die Kaffeetafeln an Sonn - und Feiertagen zu füllen, sondern auch und gerade, um ihre vermeintlichen Konkurrentinnen auszustechen. Keine dieser Frauen hätte dieses jemals zugegeben und trotzdem machten alle mit und natürlich, auch meine Mutter trat regelmäßig zu diesen Wettbewerben an und wurde, wenn man ihren Worten glauben durfte, die immer und einzige, wenn auch heimliche Gewinnerin, denn meine Mutter wurde für ihre Koch und Backkunst immer sehr gelobt, meistens von ihr selbst.
Es war kurz vor Ostern und wie meine Mutter nun dazu gekommen ist, dass weiß ich nicht, aber
irgendwann lagen auf unserem Küchentisch vier Backformen die, noch ganz neu und silbrig
glänzend, eine ungewöhnliche Form besaßen, denn alle vier stellten Lämmer da, die man als solche ganz deutlich erkennen konnte, denn alles an ihnen war am richtigen Platz, so wie es die Natur halt vorschrieb: Die Statur stimmte, Ohren, Augen, ein leicht spitz zulaufendes Maul, angedeutete Beine und Hufe und selbst das Fell hatte seine vorgeschriebenen leichten Wellen. Einfach Perfekt, wenn es sich denn nicht um Backformen, sondern um irgendwelche Figuren gehandelt hätte, die man irgendwohin drapierte, um den Staub der näheren und weiteren Umgebung zuverlässig anzuziehen. Aber es waren halt doch nur Backformen, mit deren Hilfe meine Mutter wohl annahm, den Backwettbewerb nicht nur als heimliche, sondern als einzige, wirkliche und von allen anderen Frauen bewunderte Siegerin und Göttin aller Backstuben für alle Ewigkeit, oder zumindest für die nächsten Jahre, unangefochten zu gewinnen.
Meine Mutter, um sich nicht die Blöße geben zu müssen, dass ihre Lämmchen schon in der
Backstube des Bäckers, vor aller Augen zusammenfallen würden, begann auch sogleich alle
möglichen Zutaten zusammenzusuchen, diese auf dem Küchentisch auszubreiten, Schüsseln,
Tiegel, Rührlöffel bereitzulegen, sich selbst eine Schürze umzubinden und die Experimente beginnen zu lassen.
Sie mischte, knetete, verwarf, mischte und knetete erneut und schob, sobald sie in der Annahme war, dass richtige Rezept gefunden zu haben, testweise alles in den Ofen unseres Herdes, der zwar wenig geeignet zum Backen war, dessen Unzulänglichkeiten aber der Wissenschaft und Forschung nicht im Wege stehen durfte.
Nun ja, es dauerte.
Die ersten Teige quilten fast noch flüssig aus den Formen heraus. Die nächsten gingen nicht richtig auf oder fielen, sobald man eine der Formen öffnete, in sich zusammen. Die nächsten Versuche wurden nicht wirklich besser. Zwar wurde die konsistent annehmbar, aber der Teig weigerte sich vehement dagegen, sich ordentlich in der ihm zugedachten Form auszubreiten und alle Lücken, Kanten und Ecken pflichterfüllend auszufüllen. Heraus kamen dann seltsame Gebilde, die jedem Kunstatelier zur Ehre gereicht hätten.
Aber dann, nach vielen Stunden der Forschung und Entwicklung, ward es wirklich geschafft und so standen sie da, vier wunderschöne Lämmchen, perfekt, wie die Formen aus denen sie entsprungen waren. Noch nackt und ohne fröhlich umherblickende dunkle Augen, ordentlich in Reih und Glied, mitten auf dem Küchentisch unter den stolzen Augen meiner Mutter, die sofort Puderzucker und warmes Wasser mit einem Spritzer Zitronensaft zusammenrührte um ihre Nacktheit zu bedecken. Also die Nacktheit der Lämmchen, nicht ihre eigene, nicht das es da vielleicht zu Missverständnissen kommt.
Meine Mutter hatte nicht unbedacht gerade vier dieser Formen angeschafft, denn so konnte sie gleich vier Fliegen mit einer Klappe schlagen, um es mal, frei nach dem tapferen Schneiderlein, auszudrücken, denn ab da bekamen meine drei Geschwister und ich an jedem Osterfest, an jedem Geburtstag, manchmal selbst zu Weihnachten oder überhaupt so zwischendurch, eines dieser, dick mit Zuckerguss bestrichenen Lämmchen geschenkt, bei dessen Anblick uns Kindern immer etwas unwohl wurde und unsere Freude über dieses Geschenk dreist gelogen.
Irgendwann standen sie überall herum - in unseren Kinderzimmern, auf Tischen und Fensterbänken und einmal habe ich sogar eines im Badezimmer gefunden und heimlich im Wäschekorb versteckt. Vorsichtshalber ganz tief unten.
Das Rezept für den Teig kann ich dir hier an dieser Stelle, leider nicht übermittelt, denn meine
Mutter weilt schon nicht mehr unter uns und ich kann sie deshalb nicht danach fragen, um sie
darum zu bitten. Aber es sollte nicht schwer sein, dieses selbst herauszufinden, denn noch heute
sorgen dessen Zutaten dafür, dass Brücken nicht einstürzen, Tunnel nicht einfach in sich
zusammenfallen und selbst die schwersten Schwerlaster über den Asphalt unserer Straßen
dahinbrausen können.
Der einzige der einmal den Mut aufbrachte, eines dieser Lämmchen zu kosten, war mein Vater. Ich habe ihn damals sehr dafür bewundert.
Manche behaupten sogar heute noch, dass ich aus unserem Dorf irgendwann wegzog, nur weil mir diese Lämmchen über den Kopf wuchsen. Aber das muss ich hier an dieser Stelle mit aller
Entschiedenheit bestreiten, denn dabei handelt es sich wirklich nur um ein Gerücht!
Ob meine Mutter diesen Backwettstreit mit ihren Lämmchen wenigstens gewann, möchtest du
wissen?
Nun ja, ganz abwegig ist das nicht, aber wenn sie ihn gewann, dann nicht sehr oft und nicht für
lange Zeit, denn schon bald und noch bevor meine Kindheit zu ende war, wurde auch unser Dorf modern. Die einfachen Kohleherde verschwanden bald aus den Küchen der Häuser und wurden gegen neue, mit Gas oder Elektrizität betriebene ersetzt und die Frauen mussten nun nicht mehr
allmonatlich mit ihren Blechen, Backformen und Behältern zum Bäcker wandern, sondern konnten zu Hause bleiben und dort Backen. Viele von ihnen haben das sicherlich bedauert.
Auch tauchte irgendwann, mitten auf dem Dorfplatz die erste, damals noch gelbe Telefonzelle auf und meine Tante bekam als allererste und für ein paar Jahre auch einzige, ihren ganz eigenen
Anschluss und ihr ganz eigenes Telefon. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.
Oh ja, da darf man gar nicht so genau drüber nachdenken… oder doch?
Sehr gelungen, das Gedicht!
Danke!
Oh, das kenne ich: „…tief im Flanell atme ich Seife und Papa…“. Ich vermisse meinen Papa auch so sehr, auf Schritt und Tritt treffe ich auf Erinnerungen. Das ist von dir so unglaublich schön beschrieben, so fein und wortgewandt. Du hast ihm ein Denkmal gesetzt.
LG Astrid
Eine ungewöhnliche Frühstücks-Kreation
Diesen Satz musste ich mehrmals lesen, um ihn zu verstehen.
In der fremden Wohnung suchte ich am nächsten Morgen fünf Minuten das Klo, rüttelte auch ein bisschen an der abgeschlossenen Schlafzimmertür von Onkel und Tante - zwei Arbeitskollegen meines Papas, die auch häufig bei uns zuhause abends laut lachten.
Am meisten verwirrt hat mich das „laut lachten“.
Dein Schluss ließ mich schmunzel. Sabine mit Kirschpralinen mit Schuss werden mir in Erinnerung bleiben.
Der Volksmund weiß: Du bist, was du isst und Liebe gehe durch den Magen. Dabei stellen sich dem Gourmet die Fragen, wer denn dann nun wen da esse? Wenn die Liebe jenes sei, was gegessen, werde man nun selbst der Liebende, weil man ebendiese aß? Und, grundsätzlich, verhalte sich die Liebe vielleicht gar analog zum Essen und dem damit einhergehenden Spaß? So speise und liebe man in der Früh wie der Kaiser, mittags – mit Glück – noch wie der König und am Abend schlussendlich nur noch wie ein Bettler? Und verdürben vielleicht auch in der Liebe viele Köche die heißen Breie, um die immerfort die Katze schleiche, bevor allesamt die Suppe auslöffeln mussten, die sie sich einzubrocken wussten? Schließlich und endlich müsse doch stets gegessen werden, was auf den Tisch komme! Wenn auch nicht so heiß, wie es gekocht – pardon – geliebt wurde. Und während diese Butter bei den Fischen langsam in der Pfanne verrückt wurde, wagte besagte Liebe weiter den Gang durch ihren Magen. Bis sie zäh wie Leder war und zu einem Schatten ihrer selbst gerann. Prost Mahlzeit dann!
Der Geruch von Sonntag
Es riecht nach Zitrone. Dampf steigt auf, es zischt. Wenig später, ein Piepsen ertönt. Unter schwerem Eisen kommt etwas zum Vorschein. Rund, flach, leicht gebräunt. Und dieser Duft, dieser betörende Geruch. Nichts riecht bezaubernder für mich als eine frisch gebackene Waffel. Geladen mit Kindheitserinnerungen glücklicher Tage.
Ich erinnere mich an den runden Holztisch. An die herzförmigen einzelnen Waffelstücke, die ich mir mit meinen Geschwistern zu teilen hatte. Runde um Runde, bis der Teig aufgebraucht war. Das Dampfen des Teigs, die Duftwolke der fertigen Waffel, das Schlingen des eigenen Anteils, das Warten auf Nachschub. Die Freude, wenn andere Familienmitglieder einem noch ein weiteres Stück zukommen ließen. Meist mein Vater. Nicht, weil er satt gewesen wäre, oder es nicht mochte. Einfach, weil er es toll fand, wie ich mich an einem Waffelstück so erfreuen konnte.
In der Regel aß ich sie mit Zimt und Zucker. Vorab gemischt, mit hohem Zimtanteil. Beim Beißen spürte ich manchmal die Zuckerkristalle. Das Knirschen. Manchmal machte ich Ausnahmen und nahm Puderzucker. Das Geräusch des Zerstäubens ist noch immer in meinen Ohren. Und die klebrigen Finger danach, ich spüre sie auch jetzt. Unangenehm, aber es wert. Es kam auch vor, dass ich die Waffeln mit Schokocreme kombinierte. Natürlich nur die eine Marke mit N und Ella am Schluss. So sehr ich diesen Aufstrich auch liebte, die Kombination mit einer Waffel war doch irgendwie unbefriedigend. Vielleicht, weil der Geschmack nach Schokolade zu sehr dominierte.
Bei uns war Sonntag Waffeltag. Nicht jeden Sonntag. Aber viele Sonntage. Sehr viele Sonntage. Weil es so einfach ging. Und so schnell. Meine Mutter brauchte nicht vorplanen und vorab etwas in den Backofen schieben. Wir konnten einfach nach dem üblichen Sonntagsspaziergang nach Hause zurückkehren, an den Cafétisch sitzen und innerhalb weniger Minuten war der Waffelteig fertig und das Waffeleisen betriebsbereit.
Bei uns ist auch heute noch sonntags Waffeltag. Bei uns, also meiner eigenen Familie. Nicht jeden Sonntag, aber an vielen. Dann mache ich Waffelteig, weil’s so schnell geht, und so unkompliziert ist. Eisenwaffeln hat mein 4-Jähriger sie mal genannt. Der Teig ist fast derselbe. Die abgeriebene Zitronenschale, der Minischuss Rum, nur statt Milch Pflanzendrink. Und dann riecht’s wieder nach Kindheit. Und schmeckt nach Vertrautem.
Liebes Papyrus-Team, danke für den Seitenwind und diese Schreibanregung. Es hat Spaß gemacht, mal wieder ins Schreiben zu kommen!
Ein besonderes Gyros überbacken …
Eine Woche nach der von dir ausgesprochenen Trennung bin ich freiwillig gegangen. Ich konnte es nicht ertragen, mit der Frau die ich so unendlich Liebe an einem Tisch zu sitzen und so zu tun als wäre alles in Ordnung. Du bist wie ausgewechselt. Als hättest du dich verwandelt in eine komplett andere Person. …so kühl, so abwesend.
Also nahm ich mir meine Zahnbürste und ein paar Sachen und ging. Ich wusste nicht wohin mit meiner zerbrochenen Seele aber Hauptsache raus. Zwei Tage habe ich dann im Büro verbracht, bis ich ein Zimmer im Schwesternwohnheim anmieten konnte.
Nun wandle ich, noch im Traum gefangen und langsam aufwachend auf den Spuren unserer gemeinsamen Zeit. Es ist wie ein Realisieren und Abschied nehmen zugleich. Am Wochenende steh ich mit einem Glas Alt und einem Meenzer beim Uerige und am Donnerstag geh ich zum Bingo. Nur eben allein und alles wie in Trance.
Die Zeit vergeht überhaupt nicht.
Es ist schon erstaunlich, wie ein Körper sich in so kurzer Zeit verändern kann. Der rapide Gewichtsverlust und der extreme Schlafmangel führen dazu, dass ich mich jeden Morgen beim Blick in den Spiegel so erschrecke, dass ich für den Rest des Tages wach bin. Die Zeitschrift Brigitte sollte das Mal als Blitzdiät ihren Leserinnen vorschlagen. Ich brauchte diese jetzt nicht wirklich, da ich in den letzten 1 ½ Jahren stetig abgenommen hatte. Aber es ist etwas, worauf ich wieder aufbauen und neu anfangen kann … haha. Noch dazu kommt, dass ich mich mitten in den Wechseljahren befinde. Was für ne super Kombi, kann ich nur empfehlen … macht Lust und so richtig Laune. Dabei fällt mir der Spruch einer Kollegin deren Humor und Art ich sehr mag ein – in bestimmten Situationen pflegt sie zu sagen „Und ich kotz im Strahl.“ Sorry für die Ausdrucksweise aber genau dies fühle und empfinde ich gerade mehrmals täglich. Mein Magen dreht sich ständig und mir wird schwindelig von den Millionen Fliegen die in meinen Kopf schwirren.
Diese viele Zeit die ich jetzt für mich habe verbringe ich damit, diese Millionen Fliegen in meinem Kopf in Gedanken umzuwandeln und in Worte zu fassen. Ich lese in unseren WhatsApp Verlauf, den ich noch vollständig habe. Die ersten elf Wochen unserer Liebe reichen aus, um die gesamten vier Jahre zu beschreiben. Es war ein ständiges Auf und Ab. Ich war so gefesselt von dir bis zum Schluss, dass es mir nicht aufgefallen ist. Auch das ist etwas, was ich nie für möglich gehalten habe – blind vor Liebe zu sein.
Heute ist unser Tag… Es ist der 16. April. Ich sitz am Anleger bei einem Glas Alt immer noch mit einem Funken Hoffnung in mir. Hier am Anleger standen wir uns vor vier Jahren das erste Mal gegenüber. Ich kam viel zu spät und du hast geduldig auf mich gewartet. So nervös wie wir waren, gingen wir so gelassen, wie es eben ging aufeinander zu. Wir erkannten uns und grinsten uns schüchtern an. Und das war es… ich verliebte mich sofort und dachte nur, ok die nächste Zeit wird stressig und unruhig. Ich bin eigentlich ein sehr ruhiger und ausgeglichener Mensch und wusste sofort, dass es so erstmal nicht sein wird. Wieder so eine Vorahnung.
Nach einer heftigen Zeit der Trauer merke ich wie meine Lebensgeister sich langsam zurückmelden. Bei dem Hörbuch „Ich bin dann mal weg“ von Happe, gönne ich mir ein Gyros überbacken und sitze laut lachend in meiner Zelle. Es hat gut getan nochmal am Anleger gewesen zu sein und alles Revue passieren zu lassen. Auch wenn ich es noch immer nicht verstehe wieso, weshalb, warum so werde ich es doch akzeptieren müssen.
Diese Magie, dieses Funkeln, dieses Strahlen, diese Nähe, diese Zärtlichkeit, diese Wärme, diese LIEBE ist weg… einfach weg. KNALL…
Das Schweinegedicht
(Spoiler: Nichts für empfindliche Gemüter (oder Mägen))
Wer kennt es nicht? Man hat die ganze liebe Familie zu einer sommerlichen Geburtstagsfeier eingeladen und möchte sich natürlich nicht nur als Gastgeber von seiner cremigsten Sahneseite zeigen, sondern auch in Punkto der aufgetischten Speisen imponieren. Aller vegetarischen und veganen Bemühungen der letzten Jahre zum Trotz bedeutet ein Feiertagsessen in Deutschland immer noch: Braten, große („anständige“) Portionen, sollte gut zu Bier passen. Ich teile mit euch die Erinnerung an ein besonderes Festessen im Jahr 2014, an dessen „Speck“-takel ich teilgenommen habe. Es fand in einer thüringischen Kleinstadt statt. Die Gastgeberin feierte ihren achtzigsten Geburtstag und hatte die Verwandtschaft zum Grillschmaus in ihren Garten geladen. Wie es lange Tradition ist, sollte ein gewaltiger Schweinebraten am Spieß die Festlichkeit dieses Ereignisses bezeugen und alle deutschen Bäuche vor Glückseligkeit anschwellen lassen. Doch der Tag wollte nicht ganz so anlaufen, wie sich die beiden Organisatoren, die stolze Jubilarin und ihr rühriger Sohn (der Koch), sich das ausgemalt hatten. Es brach Angstschweiß aus, Hände wurden verzweifelt über dem Kopf zusammengeschlagen, alle Götter der Erde wurden um Unterstützung angefleht. In dieser stressigen Situation mit Nerven, die blank lagen, ist spontan ein Gedicht entstanden, das noch am selben Abend den Gästen heiß und fettig (also quasi frisch aus dem Ofen, ohne viel Feinschliff) serviert wurde. Ich habe es der Einfachheit halber „Das Schweinegedicht“ genannt und es erinnert mich noch immer augenzwinkernd an diesen besonderen Tag in Thüringen.
Das Schweinegedicht
Wenn zu einem großen Feste
Geladen ist eine Vielzahl Gäste,
Darf‘s schon ein ordentlicher Braten sein.
Dazu nehme man traditionell - ein Schwein!
Gedreht und gebraten auf dem Rost -
Wird’s eine knusprig-edle Kost.
Dachte sich auf der Koch vom Haus
Und wählte mit Bedacht den Laden aus.
Sagt’s ganz konzentriert, ganz akkurat:
„Halten Sie das Tier für mich parat.
Nur vorgebacken sollte es schon sein,
Sonst warten wir zu lange auf das Schwein.“
Genickt, aufgeschrieben, abgehakt -
Zufrieden verließ der Koch den Markt.
Dachte die Tage an allerlei Organisation
Als bald nahte der große Tag schon.
Das Wetter brachte Kühle und Nass,
Draußen zu sitzen wäre kein Spaß.
Auch ein Zelt hätte da keinen Sinn,
Es schwämme auf dem Fluss nur dahin.
„Mit dem Schweinegrill wird’s schon passen“,
Meint der Koch, nimmt’s gelassen.
Doch dann kommt das Tier nach Haus
Und allen hier erschauert’s und graut’s.
Es hat zwar sein Bein für uns gelassen,
Nur ist‘s roh, wir können‘s kaum fassen.
Wie soll‘s bei diesem Wetter schmoren,
Der ganze Tag wär doch verloren!
Der Koch ruft noch den Dorfbäcker an,
Kann er‘s vielleicht richten, der gute Mann?
Doch es scheint zu spät zu sein,
Es bleibt roh das dicke Schwein.
Schließlich, nach einem guten Rat,
Schreitet der Koch entschlossen zur Tat.
Nimmt die Säge, schneidet ein Stück,
15 Kilo bleiben zurück.
„So wird‘s in unser’n Ofen passen,
Dort können wir’s erst garen lassen“,
Meint der Koch, schiebt‘s hinein mit Kraft,
Atmet auf, es ist doch geschafft.
Nun, es brät der dicke Schenkel
Und hungrig schielt der große Enkel.
Nach zwei Stunden ist‘s noch roh,
„Komm, wir bringen‘s in den Zoo,
Werfen‘s den Löwen hin zum Fraß,
Das wäre doch ein Schweinespaß!“
„Nix da! 4 Stunden darf‘s noch haben!“,
Meint die Mutter, es knurrt der Magen.
Und der Koch wringt mit den Händen
„Wie soll ich 15 Kilo wenden?“
Dann langsam - es bildet sich die Kruste,
Ihr Duft weht hinfort den Fruste.
Frieden kehrt ins Herz zurück,
Wir dürfen träumen vom Bratenglück.
Nun dreht sich‘s warm im Feuerschein,
Des Tieres rechtes Hinterbein,
Kitzelt den Gaumen der verehrten Gäste.
Zu solch einem Braten gehört dies Feste.
Und heute und in diesem Haus,
Stoßen wir an - auf euch und den Schmaus.
Ich finde es einen interessanten Ansatz, diese Metaphern miteinander zu verknüpfen. Die Suppe auslöffeln - eine Ehe aushalten? Da kommen viele Bilder hoch.
Schon in der Schule hatte ich sehr viel Spaß daran, nach vorgegebenen Texten oder Stichwörtern eine kreative Geschichte zu formen. (Was ich auch seit der Schule nicht mehr gemacht habe und ziemlich lange her ist)
Voller Vorfreude schau ich heute Abend also auf das Thema und was muss ich sehen? Es geht um Essen! Bei allem was ihr hättet aussuchen können, bin ich auf das Thema „Essen“, am wenigsten vorbereitet.
Nicht weil ich mir die Beschreibung nicht zutraue, sondern weil ich einfach für mein Leben gerne esse und ich mich nicht entscheiden kann, welches von all den Herrlichkeiten ich nehmen möchte… Aus Trotz weil dem so ist, schreibe ich einfach und banal über:
Döner
Wenn ich eines mit Sicherheit weiß in meinem Leben, dann das Liebe durch den Magen geht! Zumindest ist dies bei mir der Fall.
Allerdings wusste ich das nicht immer zu schätzen. Wenn wir einmal zurückgehen in meine Schulzeit, so habe ich nie die Begeisterung meiner Mitschüler über den berühmten „Döner“ geteilt. So kommt es also, dass meine erste Erfahrung mit dieser Materie, wohl oder übel in einer diesbezüglichen Bude und unter Einfluss diverser Freunde stattfand.
Ich werde nie die von Knoblauchsoße geschwängerte Luft vergessen, die meine Nase wie ein Regenwurm hochkroch, als wir die Tür öffneten und zur Theke traten.
Ich konnte förmlich die Wärme auf meinem Gesicht spüren, die von dem glänzend braunen Fleisch am Drehspieß zu kommen schien.
Als ob dies nicht schon genug wäre, um mein kleines Herz zum Staunen zu bringen, so bemerkte ich die vielen verschiedenen Farben der Zutaten, die sich vor mir in der Theke erstreckten.
Nach den knappen Worten: „Drei Döner, bitte.“, begann der Mann auch gleich seinem Handwerk nachzugehen.
Sorgsam nahm er sein Messer zur Hand und schnitt die blassen, mit Sesam gespickten Fladen zur Hälfte auf und schob sie in einen Ofen. Als nächstes, drehte er an einem kleinen Rädchen neben dem Drehspieß, sodass sich bald ein fast überhörbares Bruzzelgeräusch zu erkennen gab, welches das Aroma des Fleisches direkt in unsere jungen Nasen trieb.
Die Folge daraus waren Münder voll Spucke und inniger Erwartung auf das bevorstehende kulinarische Erlebnis.
Fasziniert beobachte ich, wie er langsam und Stück für Stück, wie ein Schäfer seinem Schaaf die Wolle, dem Drehspieß langsam und mit bedacht das Fleisch abschnitt.
Geschickt wie der Mann war, holte er die drei, nun goldgebräunten, Fladen aus dem Ofen und stellte mir die eine und entscheidende Frage:
„Mit allem?“
Mit großen, vor Ehrfurcht gebietenden Augen, starrte ich ihn an und antwortete so höflich wie ich konnte: „Hä?“
Mein Freund schob sich vor mich mit einem kennenden Blick und entgegnete: „Mit allem!“.
Mit allem…
Mein Herz raste wie wild. Ich wusste nicht dass das tatsächlich eine Option war?!
Mit allem!
Der Mann nahm seine Greifzange und begann zuerst einen großen Haufen tiefbraun glänzendes Fleisch in das Fladenbrot zu stopfen, dicht gefolgt vom knackig frischen Salat. Man konnte gut sehen, dass er frisch war, weil er immer noch feucht von seinem Wasserbad glitzerte.
Als nächstes waren die Tomaten dran. Mit äußerster Präzession, nahm er zu meiner größten Freude, zwei große und grobe Scheiben des runden Gemüses und verfrachtete es in sein dampfendes Grab. Zu meiner etwas negativen Überraschung blieb es allerdings bei den zwei Scheiben. Im nachhinein betrachtet, scheint mir das eine Art Dönerkodex zu sein.
Es sind immer zwei Tomatenschnitze. Keine mehr, keine weniger.
Er tunkte seine Zange in das Zwiebelgefäß und lies eine große Menge davon in den Fladen fallen. Manche hätte er wohl damit verschreckt, aber nicht mich, so dachte ich stolz. Ich mochte Zwiebeln sehr.
Dann noch eine Ladung knackiges grob gehobeltes Rotkraut und der Mann lies zu meiner Verwirrung sein Instrument sinken, um nach dem kleinen Schöpflöffel zu greifen.
Hatte er nicht gesagt „Mit allem“?
Was war mit den Gurken oder dem Mais? Was mit dem Schafskäse und der Peperoni?
Verdrießlich und der Vorfreude etwas betrübt, gelang ich das erste mal in meinem Leben zu der Erkenntnis, dass „mit allem.“, keineswegs auch „mit allem!“ bedeutete.
Als die penetrante Knoblauchsoße endlich auf meinem vollgestopften Fladen thronte, kam noch die letzte: „Scharf?“ Frage, des Verkäufers, auf die ich mit geschwollener Brust und voller Überheblichkeit: „Ein bisschen.“, antwortete.
Zwei Minuten später saßen wir mit unserer neuen dampfender Errungenschaft auf einer Parkbank und begannen das Alupapier aufzureißen.
„Naja…“, beginne ich seufzend zu meinen Freunden gewannt. „Ich versteh ehrlich gesagt den ganzen Trubel um den Döner nicht wirklich. Ich meine, klar, er ist schon ziemlich groß und sieht gut aus, aber die Leute sollten nochmal im Duden nachschlagen was ‚mit allem‘ bedeutet!“
Niedergeschlagen schlug ich meine Fangzähne in das Fladenbrot.
Sofort spürte ich die Wärme im Mund und das perfekte Zusammenspiel von Fleisch, Zwiebeln, Kraut, Soße und Tomaten.
Einzelne unscheinbare Komponenten, die zusammen eine Geschmacksexplosion in meinem Mund bildeten! Das Brot schön kross im Vergleich zu den weichen Zutaten im inneren.
„OK.“, sagte ich mit vollgestopften Mund zu meinen Freunden. „Ist vielleicht doch ganz gut.“.
Währenddessen wischte ich mir mit dem Handrücken die kostbare Soße vom Kinn, die wegen der Tomaten neben, statt in meinen Mund geflossen war.