Es war einst ein weiser Mann, der in der Nähe des Waldes wohnte. Maurice lebte dort allein und verbrachte die meiste Zeit des Tages damit, im Schatten seines Lieblingsbaumes zu sitzen, den Flattergesprächen der Vögel zu lauschen, die in der großen Eiche ihr kuschliges Zuhause gefunden hatten. Wenn die Sonne unterging und die Abendkühle sich leise unter die Kleidung zu schleichen begann, begab er sich in sein Haus, um den Kamin anzufeuern. Sein Kater Bruno schlich ihm bereits um die Beine, sein Abendmahl erschnurrend.
Maurices Haus stand nicht gerade in der Nähe der kleinen Stadt, wodurch sich nur selten Gäste zu ihm verirrten. Allerdings kam es schon manchmal vor, dass Leute kamen, um sich bei Maurice einen Rat zu holen. Sie schätzten seine große Weisheit. Gern hätte er öfter Besuch gehabt, denn er liebte es, lange und interessante Geschichten zu erzählen. Doch meistens saß er am Abend allein vor seinem Kamin und erzählte Kater Bruno alles, was er am Tage erfahren hatte.Von den geschwätzigen Vögeln, die von den Zugvögeln zu berichten wussten, dass sie sich schon mehrfach zur Vorbereitung der langen Reise in den Süden getroffen haben. Vom Wind, der als Erster bemerkte, dass die Getreidehalme seiner Kraft nicht mehr lange standhielten und bald geerntet würden. Vom ewig plappernden Regen, der jetzt schon vorhersagte, dass er sich ab Anfang November in Schneeschauer verwandeln und alles in strahlendes Weiß tauchen würde.
So gab es viel zu erzählen, während er Bruno das dichte Fell kraulte und der Abend irgendwann zu Ende ging.
Eines Tages allerdings geschah etwas Ungewöhnliches.
Bruno lauschte wie jeden Abend selig schnurrend den endlosen Geschichten. Doch bald merkte er, wie sein Herrchen, der weise Mann, immer leiser und leiser wurde, bis Maurice schließlich ganz zu reden aufhörte und grummelnd eingeschlafen war. Maurice hatte nicht bemerkt, wie der Schlaf sanft in seine Augen geschlichen und ihm die Lider zugedrückt hatte.
Die unwirklich bunten Blumen, das Schwirren von ihm unbekannten Wesen, die sich mit kaum wahrnehmbar fortbewegten, seine plötzliche Leichtigkeit, dies alles verwirrte ihn.
„Wo bin ich?“
Maurice ging einen langen Weg entlang, der von seltsamen Pflanzen gesäumt war, die ihm als passionierter Gärtner fremd waren. Immer wieder hörte er sich sagen:
„Wo ist mein Seelengefährte, ich möchte endlich meinen Seelengefährten oder noch lieber meine Seelengefährtin finden, damit ich nicht mehr so allein mit Bruno bin.“
Es rauschte in der Ferne und Maurice sah einen kleinen Bach. Als er in das Wasser stieg, glaubte er, es nicht berühren, nicht hineintreten zu dürfen. Er hatte das Gefühl, er würde das Wasser verschmutzen, so unendlich rein war es.
„Gut, so werde ich dennoch hineinsteigen.“
Es fühlte sich so weich, anschmiegsam und belebend, einfach glücklich an. Die Wesen, die immerfort um ihn herum schwebten, ermunterten ihn, tiefer in das Wunderwasser einzutauchen. Er hörte die Worte: „Geh, liebster Maurice, geh. Lass alle Angst von dir abgleiten, wir sind bei dir, wir beschützen dich, geh, liebster Maurice, geh…“
Wie durch eine fremde Hand behutsam geführt ließ er sich tiefer und tiefer hineinsinken, bis er erst ganz leise, dann immer kräftiger eine zarte Melodie hörte. Es schien, als ob die Musik nicht nur um ihn herum, sondern auch in ihm, im Wasser, einfach überall wäre und ihn wie eine Federwolke einhüllte.
„Nun stell dir deine Seelengefährtin oder deinen Seelengefährten vor. Wer soll es sein, wen wünscht du dir für die Liebe deines Herzens?“
Maurice war sich unschlüssig. Wie sollte er sich so plötzlich entscheiden für einen Seelengefährten oder eine Seelengefährtin?
„Was rät dir die Stimme deines Herzens, liebster Maurice, was rät sie dir?“
„Mein Herz rät mir zu meiner Seelengefährtin.“
„Gut, dann wirst du sie auch finden:“
Die Musik wurde lauter und lauter, schwoll zu einem wirbelnden Orkan an und schien Maurice weit wegzutragen. Dann war es still. Nichts drehte sich mehr, ein eher leiser Ruf klang zu ihm, wie durch dicke Nebelwände aus sehr, sehr weiter Ferne herüber.
Maaaauuuurrrriiiiccceeee, Maaaauuuurrrriiiiccceeee …
Er spürte etwas Weiches und feenhaft Zartes auf seiner Stirn, öffnete die Augen, und schaute verblüfft in die blau strahlenden Augen seiner Jugendliebe Moira, die ihn gerade mit einem Kuss geweckt hatte.
„Weißt du, Maurice, ich glaube manchmal, dass du mein Seelengefährte bist, auch wenn wir uns bisher so selten gesehen haben.“
„Moira, du hier?“
„Ja, liebster Maurice, und ich denke, es wäre gut für uns beide, wenn du nicht mehr länger so allein mit Bruno hier in dem Haus lebtest. Das tut deinem Herzen nicht gut. Ich würde mich freuen, wenn wir mehr Zeit miteinander verbringen würden, du und ich. Hier und bei mir.“
Maurice wusste nicht, ob er träumte oder wachte.
„Kneif mich mal, Moira, kneif mich mal. Ich kann einfach nicht glauben, dass du hier bist, hier, in meinem Haus, jetzt!“
Moira sah in schelmisch an. „Du weißt doch, ich war immer schon für Überraschungen zu haben.“
„Warte mal, ich werde dich jetzt in die Arme nehmen und wenn du es wirklich bist, dann …“
„Dann ?“
Maurice drückte sie fest an sich. Ihre Augenpaare begannen sich ineinander zu verlieren, während sich ihre Lippen immer näher kamen, um den heißen Hauch zu spüren, den die wild schlagenden Herzen mit schwerem Atmen hervorstießen.
„Moira, so viele Jahre sind seither vergangen.“
„Ja, Maurice. Lass uns deshalb nicht weitere wundervolle Zeit verlieren.“
Maurice spürte die Lippen, die er so sehr geliebt hatte und die ihm jetzt wie damals die Sinne raubten, ihm den Boden unter den Füßen wegzogen, ihn in die wundervolle Welt der Feen trugen. Seine Wangen streiften Moiras Haar, welches wie zufällig ihren Hals freigab, den er mit seinen vor Erregung zitternden Händen sanft streichelte.
Alles war wieder da, alles, jede kleinste Stelle ihres wundervollen Körpers, alles.
„Oh, Maurice, wie habe ich mich nach dir gesehnt, so endlos lange Zeit.“
„Moira, weißt du eigentlich, dass du meine Traumfee bist? Ich habe gerade geträumt und in meinem Traum von einer Fee erfahren, dass ich meine Seelengefährtin finden werde. Und nun bist du wirklich hier. Warst du etwa diese Fee?“
Moira lächelte nur sanft.
„Ach, Maurice“, hauchte sie und
nahm sich ein Stück weiße Schokolade…