Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

:joy:
da bin ich sowas von bei dir.

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Danke! Na ja, ich dachte, letztlich geht es um das Thema. Ich fühlte mich einfach frei, diese Geschichte in Gedichtform zu erzählen. Kochkünste sind bebebescheiden, Chaos ist vorprogrammiert, und ich bin gefangen in einer Koch-Dauerschleife…
LG Astrid

da kann ich mich auch dran erinnern.
Bei uns gab’s dann Sülze, Leber- und Blutwurst u. v. m.
Nur das Gehirn - das ekelt mich noch heute.
Und wenn ich so drüber nachdenke: Beinstumpen, Rüssel, Ohren und Ringelschwanz, die aus dem Topf für die Sülze rauslugten.
Kaum zu glauben, dass bei dem üblen Geruch und Anblick doch so leckere Sachen bei rauskamen :sunglasses:

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Hallo, liebe Papyrus-Autorinnen und Papyrus-Autoren, ich bin neu hier in der Community und grüße Sie alle.

Zum ersten Seitenwind-Thema habe ich zufällig einen Text in meinem Archiv gefunden. Hier ist er:

"Leisten Sie sich eine gute „Informationsköchin“!

Meinen „Meisterbrief“ erwarb ich im Jahr 2000 an der Hochschule für „Informationskoch-Technik“. Ich bringe insgesamt mehr als 30 Jahre Erfahrung in meinem Fachgebiet mit, davon 10 Jahre als Aroma-“Informationsköchin“.
Früher kochte ich am liebsten Anleitungsmenüs an Sicherheitsbeilagen.

Die Informations-Esskultur meiner Leser-Gäste hatte ich jahrelang analysiert.
Meine Interviews mit ausgewählten Konstrukteur-Beiköchen waren sehr effizient.

Die fertigen Informations-Zutaten lagerte ich gleich nach der Ernte in meinem Fachwissenskeller und verwendete sie kurz vor der Zubereitung frisch.

Für die Sicherheits-Beilagen verwendete ich ausschließlich selbst gebackene Textbrote, garniert mit karottenroten und safrangelben Konsumhinweis-Käsescheiben und scharfen Piktogramm-Radieschen.

Meine Anleitungsteige rührte ich aus naturbelassenen Wissens-Rohstoffen ohne künstliche Überfluss-Aromen und Designer-Hefen an. Essentielle Zutaten wie bio-logisches Produkt-Fotogemüse verbesserte die Verständlichkeit. Ich würzte nur mit Kommentar-Pfeffer und Terminologie-Salz. Die Rosinen aus Handlungsanweisungen und Resultats-Angaben, die meine Leser-Gäste sich gerne herauspickten, gab ich zum Schluss bei. Die fertigen Teige schmeckte ich mit einigen Gläsern Lese-Wein sowie ein paar Tropfen Revidier-Gewürz ab. Dann füllte ich sie in standardisierte Teig-Formen und schob sie in meinen Spezialbackofen. Dort wurden sie acht Stunden bei 360 Grad gebacken.

Inzwischen kreierte ich für das Catering-Event einige Schalen voll feinster Rohkost-Salatwerbung und lud einige Leser-Gäste zu Verkostungen ein.

Die gebackenen Anleitungen arrangierte ich auf sauber beschrifteten Ordner-Tellern mit Übersichtsmenü und stellte sie auf ein Print-Büffet, umrahmt von leckeren Produkt-Fruchtsalat-Schüsseln.

Wer als Leser-Gast an meinem Tisch saß, wurde nicht mit fetten, zu stark gesalzenen Informationsspeisen überfüttert oder mit einem üppigen Fünfgang-Wissensmenü gestopft. Er konnte sich am Print-Büffet appetitliche Informationshäppchen und Wissensfilet-Stücke aussuchen, delikat gewürzte Detailsaucen wählen, ab und zu einen Schluck Erläuterungswein dazu schlürfen, eine Sicherheitsbeilage knabbern und Schluck für Schluck zum nächsten Kapitel-Gang schreiten.

Für festliche Erstinstallationsanlässe pflegte ich saftige Tutorial-Stückchen und schmackhafte Lernmodul-Torten zu backen und mixte farbenfrohe Content-Cocktails dazu.
Als Meisterin der sinnlichen Wissensgenüsse verwöhnte ich meine Leser-Gäste mit Verständnis-Schokoladen, Bild-Pralinen und Aha-Effekt Konfekt mit außergewöhnlicher Wirkung.

Dazu kredenzte ich kühle Informationsweine in Sicherheitskaraffen, die aus den Katakomben meines Normenkellers stammten.

Meine Anleitungsmenüs waren garantiert leicht verdaulich, enthielten stets genügend Wissensvitamine und waren auch nach längerer Aufbewahrungszeit noch frisch und wieder verwendbar.

Wer zum Nachtisch noch Lust auf ein übersichtliches Crème-Literatur-Verzeichnis hatte, wurde nicht enttäuscht. Auch wer sich ein Zitats-Angaben-Obsttörtchen munden lassen wollte oder eine Bildverzeichnis-Traubenschale wählte, wurde mehr als informations-gesättigt.

Ich wünschte allen Gästen einen guten Leseappetit.

Autorin: Kalliope, © copyright 16.10.2014, alle Rechte vorbehalten.

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Bin ganz frisch hier. Vielleicht habt ihr ein wenig Lesevergnügen mit meinem Beitrag.

Pommes mit Soße

Die Kneipe gibt’s schon seit vielen Jahren nicht mehr. Das Haus war damals schon recht baufällig, weil im Krieg in der Nähe einige Bomben explodierten. Heute steht ein Kaufhof an dieser Stelle, aber wenn ich dran vorbei laufe, sehe ich noch ganz genau, wo der Eingang mit den 3 verwaschenen Sandsteinstufen war. Ich sehe noch die etwas bröckelige graue Fassade, die Fenster mit den leicht morschen Rahmen, an denen die Farbe abblättert und verblasst und das alte, verwitterte Wirtshausschild „Zum Erbsenschwind“, das ich aber damals als 4-jähriger Bub noch nicht lesen konnte.

Und dann bin ich auch schon der kleine Bub, der an Opas Hand die Kneipe betritt. Rechts eine meterlange hohe dunkle Theke. Dahinter der Wirt mit seinem riesigen Schnauzbart, unter dem ein Zigarrenstummel munter vom einen in den anderen Mundwinkel wandert. Er nickt Opa freundlich zu, denn Opa hat nach dem Krieg bis zur Rente hier noch ein paar Jahre bedient.

Diese alten Kneipen hatten allesamt einen ureigenen Geruch, der sich aus dem Mobiliar, dem gerauchten Tabak der Gäste und dem Geruch der verkochten Speisen aus der Küche zusammen setzte. Mit dem Geruch vom Thekenholz, den Stühlen und Tischen kam ich klar, aber schlimm war der Zigarettenqualm und wenn dann auch noch zwei oder drei Gäste an so einem billigen Stumpen nuckelten, dann war das schon eine echte Qual. Am liebsten wäre ich dann gleich wieder raus gerannt. Eine Straße weiter war da ein kleiner Spielplatz. Aber da war auch noch ein anderer Duft, der da ganz schwach aus der Küche in die Gaststube wehte. Der Duft, der mich tapfer gegen den anderen Dunst ankämpfen ließ.

Opa setzte sich zu den Gästen am Stammtisch und ich durfte an einem kleinen Tisch weiter hinten in der Gaststube Platz nehmen. Bei den „Alten“ mit am Stammtisch sitzen? Nein, das ging gar nicht.

„Hallo Bernhard. Für dich ein Bier und für den Kleinen wie immer?“ Opa nickte das ab und ich rutschte ungeduldig an meinem kleinen Tisch hin und her. Der erste Teil von „wie immer“ war eine kleine Apfelsaftschorle. Diese war für mich eher eine Nebensache und nur der Vorbote von Teil zwei.

Dann war es endlich so weit. Teil zwei wurde mir serviert. Auf einem großen weißen Teller lag da nun eine große Portion Pommes vor mir. Goldgelb vom Frittierfett gebräunt und mit gewellten Kanten. Nirgendwo anders hatte ich bisher Pommes mit diesen gewellten Kanten gesehen. Die gab’s nur hier im Erbsenschwind. Zum Verfeinern des Geschmacks hatte der Wirt eine Würzmischung drüber gestreut. Was das war, wusste ich damals absolut nicht, aber diese Würzmischung der Marke Eigenbau passte fantastisch zu diesen gewellten Fritten. Doch die Krönung zu diesem Gericht war die Soße. Die mir damals wie heute immer noch unbekannte Zusammensetzung schmeckte in Verbindung mit diesen Pommes für mich einfach sagenhaft. Ich hätte die bis zum Platzen reinschaufeln können! Also los! Dran! Drau! Drüber! Ich hab das erste Stäbchen auf die Gabel gespießt und ordentlich in die Soße getunkt. Nur noch ein kurzes Stück bis zur Futterklappe, aber da rempelt mich plötzlich ein Passant an. Zack! Zurück in der Jetztzeit.

Noch heute probiere ich gelegentlich genau diese Soße hin zu bekommen. Ich habe da auch schon recht brauchbare Ergebnisse erreicht, aber diese Erbsenschwindwirtsupertunke bekomme ich einfach nicht hin. Noch habe ich nicht aufgegeben…

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Weil mich der Prompt gleich so in meine Kindheit geschickt hat, gibts jetzt einen eeeetwas langen Text :slight_smile: Hoffe er gefällt euch.

“Ich will da nicht raus.”

Miris Stimme schallt unter den Treppenstufen und droht die ganze Schule zu alarmieren. Sie sitzt nicht ganz im hintersten Eck, wo sich Staub und Schokoriegel-Verpackungen und anderer Müll sammeln, aber weit genug, dass ich mich mit unter die Treppen quetschen muss, um sie zu erreichen.

Ein bemitleidendes Lächeln spielt um meine Lippen. “Ich glaube, das ist unumgänglich.”
Die Treppen sind eindeutig zu niedrig. Dabei kann ich mich noch genau erinnern, wie ich mich als Kind selbst hierhin geflüchtet habe - damals zum Spielen, nicht zum Weinen.

Das Miri den Tränen nahe ist, kann ich durch den Schutzwall ihrer Pulloverärmel hindurch hören. Nasal und verstopft murmelt sie etwas, das ich nur gerade so noch verstehen kann.
“Ich bleibe hier.”

“Nur wegen ein paar Jungs?”, frage ich, obwohl mir sofort klar ist, dass das die falsche Frage ist. Miri ist fast zwei Jahrzehnte jünger als ich und für sie ist “nur” die ganze Welt.

Sie schaut zu mir hoch, als stünde der Weltuntergang bevor. Rot unterlaufene Augen und eine zitternde Unterlippe. Mit einem Seufzen lasse ich mich zu Boden sinken. Ich kann die dichte Staubschicht spüren, die an meiner Handfläche kleben bleibt, aber Miri zu Liebe ignoriere ich es.

“Hör mal, ich weiß, dass das, was die Jungs gesagt haben, nicht in Ordnung ist”, meine ich im ruhigen Ton, während hinter uns Jugendliche mit verwirrten Blicken vorbeigehen, und ich verstehe, dass du dich verletzt von ihnen fühlst. Würde mir genauso gehen. Aber weißt du, wie du es denen am Besten zeigen kannst?”

Miri schaut mich unsicher an.

“Indem du dich nicht davon unterkriegen lässt. Typen wie Lars und Philip, die wollen dich doch nur unter die Treppe scheuchen. Wenn du ihnen wirklich den … ehem, wenn du ihnen die Zunge rausstrecken willst, dann mach weiter. Immer weiter.”

Mit einem schallenden Schniefer wischt sich Miri die Tränen weg. Ich kann ihr ansehen, dass die Sache nicht einfach so gefressen ist. Es ist fast, als würde ihr kleines Herz über den Boden zu mir kullern und sich nach meinem Schutz sehnen. Wie viele Kinder sind mir schon über den Pausenhof gefolgt, weil sie kein anderes Gefühl für Sicherheit finden konnten. Weil es im Schatten eines Lehrers nun mal sicherer ist, als alleine auf einem Schulhof voller fremder (und meist zorniger) Kinder.

“Weißt du was?”, schlage ich vor und stehe auf, wobei ich mir den Kopf haue, “ich weiß ganz genau, wie ich dir wieder gute Laune bereiten kann.”

Mit ausgestreckter Hand warte ich auf Miri’s Reaktion. Sie zögert, aber letztendlich erhebt sie sich und nimmt meine Hand. “Was denn?”

“Heute ist Kuchenverkauf!”

Die Pausenhalle ist mit ihrem dimmen Licht und den nur weniger gut funktionierenden Heizungen nicht der bequemlichste Raum der Schule. Heute aber treibt es die Schüler trotzdem hierhin - und nicht nur, um die Ausfallstunden zu prüfen. An einer Reihe von Tischen stehen die Neuntklässler mit stolzen Gesichtern. Vor ihnen eine Reihe an Kuchen und Muffins. Und auf einer Seite backen die Schüler*Innen sogar Waffen, die das ganze Schulgebäude mit herrlichem Duft erfüllen. Aber wonach es mich zieht, ist eine meiner Schülerinnen in Bio.

Ich führe Miri an den Stand und deute auf einen noch prall gefüllten Teller: “So. Wenn das deine Sorgen nicht verfliegen lässt, dann weiß ich auch nicht.”

Miri starrt ahnungslos den Teller an. “Brötchen?”

“Mit Schaumküssen”, verkünde ich mit mehr Stolz, als ich in meinem Alter über so ein Essen präsentieren sollte. Aber was soll ich machen - manchmal haut ein süßes Gericht auch den besten Lehrer aus den Latschen. “Das sind Matschbrötchen.”

Matschbrötchen sind das einfachste Gericht und waren in meiner Jugend der größte Hit beim Kuchenverkauf. Du musstest nicht mal viel machen - ein Brötchen aufschneiden, einen Schaumkuss darunter und zusammenpressen, bis die Marshmallow-Füllung hervorquillt. Knusprige Waffel, süße Füllung und ein füllendes Brot.

“Hat uns Herr Langbrecht beigebracht”, erklärt Mareike, meine Schülerin, stolz. “Frau Rosholt ist nicht überzeugt. Sagt, wir kriegen Karies davon.”

“Das kriegt ihr von allen anderen auch”, sage ich schmunzelnd.

“Absolut. Und die Matschbrötchen gehen weg wie heiße Semmel!”

Miriam ist weiterhin verdutzt am Starren. Ich beuge mich zu ihr herab, eine Hand noch immer um ihre geschlungen und ein warmes Lächeln auf den Lippen. “Und? Denkst du, das wäre etwas für dich?”

Verunsichert schaut sie zwischen mir und Mareike hin und her. Nach einem Moment Zögern nickt sie und Mareike reicht uns ein Brötchen mit Tuch darum gewickelt.

“Ist manchmal etwas klebrig”, erklärt sie und leckt sich demonstrativ die Fingerspitze.

Miriam nimmt das Brötchen und mustert es mit einer Faszination, die ich auch einmal mit mir getragen haben muss. Neugierde und Hunger und ein süßer Zahn, die alle befriedigt werden wollen. Mit einem großen Bissen reißt sie ein Stück ab, was die Füllung nur noch mehr zum hervor quillen bringt.

Fast schon angespannt warten ich und Mareike, bis Miri herunter geschluckt hat.

“Na?”, frage Mareike letztendlich, “lecker?”

“Bombe!”, entgegnet Miri mit funkelnden Augen. “Danke, Herr Langbrecht.”

Ich schüttele nur den Kopf: “Nicht dafür. Jetzt genieß noch etwas deine Pause, in Ordnung? Das hast du verdient und das wird es den Jungs so richtig zeigen.”
Miri hält inne, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie meine Seite jetzt schon verlassen soll. Letztendlich nickt sie und huscht durch die Masse, bis ich sie nicht mehr sehen kann.

Es wird nicht das letzte Mal sein, dass sie Zuflucht unter den Treppen sucht. Aber vielleicht konnte ich ihr suggerieren, dass sie immer bei mir und den anderen Lehrern zur Hilfe kommen kann. Dass es jemanden gibt, der ihr Gehör schenkt und manchmal auch etwas Süßes.

“Das macht dann 1,50€, Herr Langbrecht.”

Mir fallen bald die Augäpfel aus dem Kopf. “Na, ihr habt die Preise aber ganz schön angehoben, seit ich euch erklärt habe, was Matschbrötchen sind.”

“Man muss ja irgendwie um die Runden kommen”, entgegnet Mareike mit einem breiten Grinsen. “Ich weiß noch, als sie mich mit Matschbrötchen aufheitern wollten. Hat damals nur nicht so gut geklappt, hm?”
“Weil ihr Gourmet-Banausen und eure Mitschüler*Innen nicht mal wusstet, was es ist”, antworte ich und reiche ihr das Geld. “Aber wenn ich etwas hier hinterlassen werde, dann die Legende des Matschbrötchens, das jeden Seelenschmerz heilen kann.”
Mareike nickt: “Und das werden wir auch nie mehr vergessen.”

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Im Kartoffelbergwerk

Würzige Saucen-Bäche mäandern am Fuße des Kartoffelbergwerks, das ich mit einer Mischung aus Respekt und Argwohn betrachte. Das einzige Essen, das bei mir Übelkeit auslöst, sind Kartoffeln mit ihrem eigentümlich muffig-erdigen, mehligen Geschmack. Eine Kartoffel ohne Beilage im Mund würde ich am liebsten wieder ausspucken.
In Verbindung mit Omas pfeffriger Bratensauce verwandeln sich die Kartoffeln in eine Sinfonie von Weltformat, in eine berauschende Geschmackskomposition zweier Kunstwerke, jedes das perfekte Puzzlegegenstück des anderen.
Schweigend schließe ich die Augen und halte inne. Meine Geschmacksnerven verbreiten in der Mundhöhle ein wohliges Kribbeln. Vergessen sind alle Hausaufgaben der Welt. Worauf hatte ich mich vor dem Essen gefreut? Ach ja, auf die Arbeit am neuen Legotechnik-Auto, aber die kann noch warten.
Gedanken verlassen schwebend wie auf Seifenblasen die Grenzen meines Bewusstseins. Ich werde nicht einmal bemerken, wie sie zerplatzen.
Ich betrachte den Kartoffelberg und lächele. Die Kostbarkeiten aus dessen Inneren werde ich langsam abtragen, wie es sich bei einem Bergwerk gehört. Nach und nach schöpfe ich die Schätze und begieße sie mit dem Bratenelexier. Ich verstehe, wie Obelix sich fühlen muss. Diese Sauce ist der reinste Zaubertrank. Doch was wäre ein Bergwerk ohne Kohle? Eine berechtigte Frage für einen Jungen aus einer Zechenstadt.
Ich probiere vom ersten Kohl(e)schatz am Tellerrand, dem mit niedlichen Apfelstücken gespickten Rotkohl, der nach den gemütlichen Kerzenschein-Filmabenden im Wohnzimmer von Oma und Opa schmeckt. Wenn ich dort in dem für mich reservierten Sessel sitze, reicht mir Oma immer klein geschnittene Äpfel. „Hier, Äpfel sind gesund“, sagt sie dann.
Genüsslich schiebe ich mir mit dem Messer etwas Rosenkohl auf die Gabel, kaue auf einem der winzigen Apfelstücke und entdecke einen weiteren Kohl(e)schatz. Sorgfältig entferne ich den Stab aus der Kohlroulade, die auf dem Teller das Zentrum einnimmt, koste von den Wirsingblättern mit einer speckig-senfigen Note, wie nur Omas sie erschaffen.
Ich beiße in das harmonisch gewürzte Hackfleisch. Wieder schließe ich die Augen. Die Sinfonie erreicht den Höhepunkt.
Oma bescherte mir ein herzhaftes Gericht zu meiner Mini-Bergmannsschicht. Glückauf!

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Haiku

Gebrannte Mandeln.

Zuckerwattengespinste.

Pures Kindheitsglück.

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Erinnerungen an die Zeit von Abendbrot bei Oma

Kennt ihr noch die Zeit, damals, als die Welt noch in Ordnung war? Erinnert ihr euch genau an diese Worte vieler älterer Menschen, als ihr noch sehr jung oder jugendlich wart. Hat man nicht über genau diese Worte innerlich geschmunzelt und keinerlei Verständnis gezeigt? So oder so geht es vielen inzwischen auch. Wir werden jetzt zu den älteren und erinnern uns an alte Bräuche, Rituale und was uns früher bewegt oder begeistert hat.

Erst vor ein paar Tagen ist mir ein längst vergessenes Abendbrot-Ritual eingefallen, aus der Zeit als ich bei meiner Oma aufwuchs. Es gab nicht wie heute üblich jeden Tag eine warme Speise. Am Abend gab es oft ganz schlicht und einfach „Abendbrot“. Es gab auf dem Tisch ein paar Scheiben Brot vom Bäcker, Butter die auf einer orangefarbenen Butterschale lag und die ein oder andere Wurst. Sicher auch Gemüse wie Tomaten oder Gurken. Aber daran erinnere ich mich nicht mehr. In diesem Alter habe ich noch einen weiten Bogen um sehr viele sicher gesunde Lebensmittel gemacht.

Aber an eine Köstlichkeit kann ich mich bestens erinnern. Es war immer auch ein Glas Griebenschmalz vom Metzger im Kühlschrank. Für alle die Griebenschmalz nicht kennen, ihr habt echt etwas verpasst! Ihr habt vielleicht auch eine Zeit verpasst, in der man noch kein modernes Cerankochfeld oder Toaster hatte, sondern ganz einfach die Heizplatten vom Küchenherd verwendete. Auf einer vorgeheizten Herdplatte hat man sein dünn mit Griebenschmalz bestrichene Brotscheibe direkt aufgelegt. Schnell wurde die Küche und somit auch der Essbereich von einem angenehmen Duft frisch geröstetem Brot geflutet. Gleichzeitig wird das Griebenschmalz flüssiger und zieht leicht in das Brot ein. Gleichzeitig konnte man beobachten, wie die vielen feinen knusprigen und bereits gerösteten Zwiebelstückchen im Griebenschmalz auf dem Brot sichtbarer wurden. Mit der Zeit hat man als Kind gelernt, das Brot genau im richtigen Moment von der Herdplatte zu nehmen, um ein knuspriges, aber nicht verbranntes Brot zu erhalten. Voller Vorfreude auf den ersten krachenden Biss und die vielen knusprigen Zwiebelstückchen die zwischen den Zähnen explodieren, biss man schlussendlich fröhlich hinein. Das Beste jedoch, wir sind alle auch mit einer so einfachen Mahlzeit immer satt geworden. Für mich ist Griebenschmalz auf dem Brot als Kind ein Highlight gewesen. Ich bin froh, dass ich mich wieder an dieses einfache, aber leckere Abendgericht erinnern konnte. Zum Glück gibt, es Griebenschmalz auch heute noch zu kaufen. Probiert es doch selber einfach einmal aus. Vielleicht kommen hier bei dem ein oder anderen auch Erinnerungen aus der Kindheit auf.

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Der Kartoffelbrei

Ich kam nach Hause. Ich wusste schon, etwas Dunkles würde auf mich lauern als ich die Altbauwohnung im ersten Stock betrat und ES roch. Finster öffnete sich vor mir der Flur, der dank dreieinhalb Meter hoher Decke von meinem Vater mit einem Zwischenstockwerk ausgestattet worden war. Es war vier Uhr nachmittags und ich kam von der Schule. Meine Geschwister waren noch nicht zu Hause oder schon wieder weg, auf jeden Fall war meine Mutter da und hatte gekocht.
Wenn ich bemerken darf, meine Mutter kann nicht kochen. Es gab meistens Dosenspagetti, aber heute hatte sie sich Mühe gegeben. Es gab Instant-Kartoffelbrei mit Röstaromen, fragt mich nicht, wie sie das hinbekommen hatte. Dazu gab es Erbsen aus der Dose. Liebevoll auf den Teller geklatscht war das traurige Ergebnis nicht besonders ansehnlich, wobei die schwarzen, verbrannten Kartoffelbreistücke und die knatschigen, kalten grünen Erbsen einen schönen Kontrast zu dem rotzgelben Kartoffel-Wasser-Gemisch darstellten.
Nun bin ich niemand der schreiend Reißaus nimmt, wenn ihm Dosenspagetti oder Ähnliches vorgesetzt werden und so machte ich mich tapfer daran, diese unheilige Gemengelage zu verspeisen. Langsam aber sicher, methodisch aber ohne allzu genau hinzuschauen, wanderte das „Essen“ in meinen Mund und unter Umgehung der Geschmacksrezeptoren in den Magen, wobei ich hoffte, dass das ungesalzene Gemisch von der Magensäure an weiterer Genese gehindert würde. Ich sah mich schon in einen kartoffelbreigelben Blob mit verbrannten Stückchen und grünen Erbsenfragmenten verwandelt, der loszog die Menschheit, allen voran meine Mutter, zu vernichten.
Dann endlich, nach fünf Minuten der Qual, hatte ich es geschafft, der Teller war leer.
„Möchtest du noch etwas?“, fragte meine Mutter.
„Nein, Danke“, lehnte ich höflich ab.
In diesem Moment explodierte meine Mutter förmlich. Mit einem Schwung war der Topf mit dem Kartoffelbrei in ihrer Hand und schon flog das Edelstahlkochutensil auf mich zu und traf das Fenster über mir. Gelber Matsch flog in einer synchronen Choreographie des Grauens durch die gesamte Küche, während der Topf vom Fensterglas abgewiesen wurde und taumelnd dem Ruf der Schwerkraft folgend auf der Bank neben mir landete.
Da ich zwar tapfer aber nicht dumm bin, rutschte ich von der Bank unter den Tisch. Doch hatte ich gerade die Hälfte des Weges zurückgelegt, mein Kopf befand sich dort, wo eben noch mein Bauch gewesen war, als meine Mutter mit der Gabel mit den drei langen Zinken ausholte und wie ein Messerwerfer par excellence, das Futtergerät auf mich schleuderte. Knapp zwei Zentimeter über meinem Scheitel bohrte sich die Gabel mit den Zinken in die hölzerne Rückwand der Sitzbank und blieb dort, tief hineingedrungen, stecken.
Meine Mutter verlor für gut fünf Minuten die Fähigkeit rational zu denken. Ich trat stehenden Fußes den Rückzug an und verschwand, als wäre der Teufel hinter mir her, aus der Wohnung. Draußen an der frischen Luft ließ ich das Geschehene Revue passieren und befand, alles in allem hätte es deutlich schlechter laufen können. So ging ich, fröhlich eine Weise pfeifend, ins Glacis und schaute dort den Enten zu, die in den Wassergräben spielten und schnatterten.
Euer Draky

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Flashback

Gelangweilt schlendere ich durch den Supermarkt, kaum Menschen sind vor Ort, ob es daran liegt, dass es in Strömen regnet? Oder weil es schon dunkel ist?
Manche haben vielleicht auch einfach kein Geld mehr, ist ja immerhin schon gegen Ende des Monats. Ich ziehe mir einen der Einkaufswagen hinaus und freue mich, dass ich heute keine Münze brauche, das kalte Metall des Korbs erinnert mich an den Geruch von Rost und ich frage mich, wie viele Hände ihn heute bereits fuhren. Mit den Schultern zuckend gehe ich durch den Einlass. Ich laufe die Regale ab, während meine Augen über die angebotene Ware wandern. Zuerst begrüßt mich das Gemüse. Die Tomaten sorgsam aufgereiht, die Schlangengurken auf einem Haufen daneben gestapelt. Das rillige Grün, welches ich ertaste, leicht, wenn nicht sogar nur angedeutet, von einem feinen Braun durchzogen. Gegenüber das Obst. Bunt und knackig liegt es da. Die Äpfel, die ich mit den Fingern abtaste, sind fest und rund. Ihr gewachster Körper glänzt leicht im Licht und lässt einen Hauch von Film auf meinen Fingerkuppen zurück. In der Luft mischen sich die Gerüche, jedoch haftet in meiner Nase vor allem der Duft des Lauchs. Ich schreite weiter. Beim Brot angekommen suche ich mir ein dunkles aus und während ich es mit den Händen leicht zusammendrücke, nicke ich zufrieden. Die Fluffigen sind mir die Liebsten. Also wandert es in meinen Korb. Ich laufe am Kühlregal vorbei, wo Sahne und Pudding ebenso wie Joghurts aufgereiht sind, in den Gang nebenan, wo sich Schokoaufstrich und Marmelade befinden. Ich mache langsam, schau mir alles Stück für Stück an. Erdbeermarmelade. Obwohl sie nicht geöffnet ist, rieche ich sie und habe sofort das Gefühl sie auf meiner Zunge zu schmecken. Aprikosenkonfitüre. Deren gelb-orange vielversprechend durch das Glas schimmert. Jedoch mag ich sie nicht, ich fand sie schon immer zu bitter. Erdnussbutter, nie probiert. Ich fahre mit den Fingern die Behälter ab, plötzlich zuckt es in meiner Hand, ich nehme das gelbe Pöttchen auf. Ein Nebel setzt sich vor meine Augen, während ich es betrachte. Als der Nebel verschwindet, sehe ich wie durch ein Fenster auf meine Vergangenheit. Im hier und jetzt, ist es wohl so, dass ich einfach wie in Starre auf das Regal schaue mit dem Papierpöttchen in der Hand. In meinem inneren folgt mein Blick gerade meinem siebenjährigen ich, wie ich im Garten meiner Großeltern spiele. Ich trage die lila Cordhose, die ich so innig geliebt habe mit einem Mickey Mouse Sweater. Mein kurzgeschnittenes Rotblondes Haar schimmert im letzten Sonnenlicht des gerade zu Ende gehenden Tages im Oktober. In der Luft liegt schon die Frische des Winters und verspricht eine wundervolle Zeit.
Oma ruft, ich höre es wie hinter Watte. Als mein ich losläuft wechselt sich meine Ansicht. Nun erlebe ich es aus den Augen des Kindes. Seltsam wie groß wieder alles ist. Meine Nase kalt, ebenso wie meine Ohren. Als ich um die Ecke rase, fliegen Tauben erschrocken hoch, die sich gerade noch an der Futterstelle bedient hatten. Während ich das Haus durch die Balkontür betrete, schlägt mir die Wärme des Hauses entgegen. Opa sitzt am Couchtisch, der Fernseher ist an, Oma bringt die Kanne Tee aus der Küche hinein. Aufgrund seiner Farbe gehe ich von Hagebutte aus. „Händewaschen.“, sagt sie knapp jedoch liebevoll zu mir. Im Bad umspült das Wasser, meine kalten kleinen Finger. Ich genieße es kurz und hüpfe durch den Flur zurück ins Wohnzimmer. Opa immer noch auf der Couch, nimmt die Fernbedienung und wechselt das Programm. Der Gong der Tagesschau klingt kraftvoll durchs Zimmer. Er achtet nicht auf mich. Oma gießt mir Tee ein und verkündet „Guten Appetit.“ Schweigend warte ich. Opa nimmt sich eine Scheibe Brot auf das vor ihm liegende schon in die Jahre gekommene Holzbrettchen. Mit dem Messer fährt er langsam in die Butter und streicht sie dann liebevoll auf das Weißbrot ebenso den Körnerkäse, den er mit einem Löffel aus dem Plastikpott kratzt. Zum Schluss kommt das Rübenkraut hinauf. Die Sprecherin der Tageschau berichtet über einen Mann, der Russland besucht. Ich versteh davon nichts und schaue wieder zu Opa rüber. Er schneidet gerade das Brot sorgsam in mehrere kleine Quadrate. Schiebt mir das Brettchen rüber und lächelt dabei. Ein Lächeln was ich heute das letzte Mal erleben werde. Ich beiße ins Brot. Der kalte klumpige Käse ein Kontrast zum klebrigen süßen Rübenkraut. Wie hab ich das geliebt! Wie konnte ich das je vergessen? Während ich noch kaue, werde ich fortgerissen aus meiner Erinnerung. Eine Kassiererin steht neben mir. Mit erschrockenem Gesichtsausdruck, meinen Arm leicht schüttelnd. „Alles in Ordnung? Geht es Ihnen gut?“, will sie wissen. Ich neige meinen Kopf, so das ich sie anschauen kann. Sie lässt meinen Arm los, auf ihrem Gesicht macht sich Erleichterung breit. Lächelnd antworte ich „Alles gut.“ Ich packe das Rübenkraut zum Brot in den Wagen, den ich daraufhin wortlos weiterschiebe.

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Zuckernudeln
Es war einmal, vor einigen Jahrzehnten. Nicht nur die Zeit war eine andere, auch die Normen beim Essen. Eine dieser Normen war, das der Teller leergegessen werden musste. Er kannte es nicht anders. Dies war für ihn meist kein Problem, wenn er ihn sich selbst füllte. Nun war er zu Besuch bei seiner Großmutter. Und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, für ihn seinen Teller zu füllen. Mit seinem Lieblingsgericht. Mit Zucker bestreute gebratene Nudeln. Frisch aus der Pfanne. Ein großer Haufen in einen ihrer richtig tiefen Teller. Er würde ihn locker schaffen und vielleicht bekam er noch einen Nachschlag.
Gerade eben hatte seine Großmutter ihm davon einen tiefen Teller vor ihm auf den Tisch hingestellt und leicht mit Zucker bestreut. Dampfend stieg ihm nun der Duft in die Nase. Seine Gabel fuhr in die obere Schicht der Nudeln hinein. Ein Haufen der knusprigen Nudeln verankerte sich in den Gabelzinken. Hob sich auf der Gabel in seinen Mund hinein. Die Zuckerschicht knirschte leicht. Ein Genuss.
Genüsslich zerkleinerte seine Zähne die knusprigen Nudeln. Schluckte den entstehenden Brei genüsslich in den Magen hinunter, wobei er eine wohltuende Wärme in der Speiseröhre verspürte. Die Aromen flossen durch seine Nase hinaus. Hinterließen einen Wohlgenuss, zu dem er kurz die Augen schloss.
«Dir schmeckt es?», fragte Großmutter.
Er konnte nur nicken und hob die nächste gefüllte Gabel zum Mund.
«Du kannst dir aus der Pfanne nachnehmen. Ich muss noch die Wäsche unten abhängen. Habe ich Frau Michaelsen versprochen.»
Seine Großmutter verschwand vom Herd, den sie ausgestellt hatte. Die heiße Pfanne würde ihren Inhalt warmhalten. Sein Teller leerte sich indessen geschwind. Bis er ein schwammiges Gefühl anstatt des Krossigen zwischen den Zähnen spürte. Er verzog leicht den Mund. Beim nächsten Bissen spürte er die Feuchte neben dem Zucker und den Nudelteig. Ein Blick auf die Gabel zeigte ihm einen Fettfilm. Nein, bitte nicht.
Er kannte die Vorliebe seiner Großmutter beim Kochen und Braten. Ihre Gerichte mussten sattmachen und schmecken. So kannte sie es aus der alten Zeit. Ihrer Zeit. Die Zeit des Mangels. Aus der heraus sie eine Vorliebe für Fett entwickelt hatte. Er hatte nicht daran gedacht und als er ihr heute Morgen sein Lieblingsgericht nannte. Seine Mutter achtete darauf, dass kaum Fett in der Pfanne war. Er mochte durchaus Fett, aber nicht in flüssiger Form.
Er schob die Gabel unter die Nudeln und hob sich etwas empor. Sah das flüssige Fett. Die untere Schicht der Nudeln schwamm auf dem Fett. Dieses triefte von der hochgehobenen Gabel. Der vormals leckere Duft veränderte sich. Vorsichtig schob er einige wenige Nudeln der obersten Schicht auf seine Gabel. Führte sie langsam zum Mund. Nahm dabei den Duft des Fetts auf. Er verdrängte den der Nudeln und des Zuckers.
Er ließ die Gabel sinken. Nahm erst mal keine weiteren Nudeln auf. Der Appetit verging ihm immer mehr. Was konnte er tun? Den Rest der fettigen Nudeln in den Mülleimer kippen? Nein. In den Ausguss? Das würde nicht funktionieren. In die Toilette? Ja, das wäre eine Möglichkeit. Sollte er? Er sah auf den Teller hinab. Viel war es nicht mehr, dass in ihm befand. Wenn er die Nase beim Essen schloss, würde er das Duftliche nicht mehr wahrnehmen. Sein Gewissen regte sich. Augen zu und durch! Er konnte nichts anderes tun. Der Teller musste leergegessen werden. Eine Tortur, die all das leckere und schöne vom Beginn, in das Vergessen drängte.
Als seine Großmutter wieder in der Küche erschien, saß er zurückgelehnt im Stuhl. Ein leerer Teller vor ihm auf dem Tisch. Sein Bauch voll.
«Nachschlag?»

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Sehr bewegend. Ich hoffe, dass du das nicht wirklich erleben müsstest.

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Ein sehr gelungener Schluss! Leider triffst du die Situation sehr genau auf den Punkt.
(Ich bin nicht sicher, ob mir am Ende ein Punkt besser gefallen hätte.)

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Der Milchreis und der unbeliebte Nachbar!
Die Schulbustüren öffnen sich quietschend und ich springe den Treppenabsatz hastig hinunter. Es sind nur wenige hundert Meter bis zu unserer Haustür. Zu Hause angekommen drücke ich eilig die Küchentür auf und rufe meiner Mutter hungrig entgegen, was es denn Leckeres zum Mittagessen gäbe.
Mit einem Lächeln im Gesicht erwidert sie, das meine Schwester sich heute Milchreis mit Zimt und Zucker gewünscht hatte und ein großer Topf übrig sei.
Augenblicklich waren die gute Laune und der Appetit auf ein anständiges Mittagsmahl verflogen, da ich Milchreis bis heute nicht als Hauptspeise anerkenne.
Mein knurrender Magen ließ mich auf den Küchenstuhl sinken und der Kopf überlegte wild, wie ich meine Mutter um eine Extrawurst in Form von Nudeln mit Ketchup bitten konnte.
In diesem Moment klopfte es an die Küchentür und unser Wochenendnachbar und Exil-Berliner Diethard trat ein. Obwohl er in Berlin ein erfolgreicher Radiologe war, nutzte er seine Besuche in seiner alten Heimat um sich geizig, wie er war, schnorrend bei den Nachbarn durch zu futtern.
So auch an dem heutigen Tag. Meine Mutter freundlich zugewandt wie immer, bat ihm einen Kaffee oder Glas Wasser an. Der Schnorrer vor dem Herrn lehnte höflich ab und hatte schon den Topf Milchreis im Blick. Einen Teller der leckeren Milchspeise würde er aber sehr gerne nehmen entgegnete er. Da die Gutmütigkeit meiner Mutter ihre Grenzen hatte, kam ich unverhofft ins Spiel.
Sie sagte Diethard, dass ich noch nichts gegessen hatte, und großen Hunger habe und sie nicht abschätzen konnte ob es für uns beide reichen würde.
Ein kurzer Blick in den Topf ließ mich erahnen, dass mindestens drei Portionen übrig waren. Da ich meinen Nachbarn nicht sonderlich mochte, hatte ich keine andere Wahl und meine Mutter tischte mir eine doppelte Portion des gehassten Milchreises auf. Mit viel Zimt und Zucker verschlang ich unter den gierigen Blicken meines Nachbarn ein Löffel nach dem anderen. Nachdem der Teller leer war, fragte mich meine Mutter, ob ich den Rest noch esse oder ob Diethard den Milchreis haben könnte.
Aus den Augenwinkeln murmelte ich etwas von großem Hunger und eh ich mich versah, war der Rest Milchreis auf meinem Teller gelandet. Beim dritten Löffel verabschiedete sich mein Nachbar, da er merkte, dass heute nichts zu schnorren war, und ich sank mit vollem Bauch auf den Stuhl zurück.
Nachdem der ungeliebte Nachbar weg war, nahm mich meine Mutter in den Arm. Sie sagte das sie stolz auf mich sei und dass ich den Rest nicht mehr aufessen müsste und es am nächsten Tag Nudeln mit Ketchup geben würde.
Unsere Hündin Kira freute sich über die unverhoffte Zwischenmahlzeit und ich habe bis heute keinen Milchreis mehr angerührt.

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Durch die rauchgeschwängerte Luft zuckten bunte Lichtstrahlen: blau, rot, grün, lila, blitzend und grell. Mit einem Glas in der Hand stand ich neben Kya und lauschte mit halbem Ohr, wie sie sich angeregt mit ihren Freunden unterhielt, während ich die Leute um uns herum beobachtete.

Die BodyComp, ein Teil des Unterhaltungsprogramms, hatte soeben begonnen und immer mehr Menschen strömten herbei, angelockt von der lauten Musik, hypnotisch blinkenden Lichtern und den halbnackten Männern. Die spärlich bekleideten Typen warfen sich auf der Bühne in Positur, ließen ihre aufgepumpten Muskeln spielen und grinsten mit strahlend weißen Zähnen in die Menge. Ich beobachtete das Ganze nur mäßig interessiert, während Kya und ihre Freundinnen neben mir von einem Kicheranfall in den nächsten rutschten. Als es Zeit für die Abstimmung war, murmelten sie fleißig den Namen ihres Favoriten in ihre ID_Implantate. Ich lächelte nur höflich und hielt Ausschau nach dem nächsten Schwebetablett mit Häppchen.

Meine Zurückhaltung blieb natürlich nicht unbemerkt. „Was ist los, Sally?“ Kya stieß mich leicht in die Rippen und zeigte auf einen der Kandidaten, der prompt ihren Blick bemerkte und ihr eine Kusshand zuwarf. „Er sieht doch super aus, findest du nicht?“

„Jaah“, sagte ich gedehnt. „Kann sein.“

„Noch was zu trinken?“ Die Stimme von Clarke ließ mich aufblicken. Kopfschüttelnd hob ich mein fast volles Glas. Bisher hatte ich es nicht über mich gebracht, das viel zu süße Getränk hinunterzukippen. Während er die Bestellungen der anderen in sein ID_Implantat sprach, sammelte ich ein paar Häppchen von einem der Schwebetabletts, die mit ihrer kostbaren Fracht durch die Menge lavierten. Das sorgfältig zubereitete Essen war eine willkommene Alternative zu den täglichen Nahrungskapseln. Zumindest das war ein eindeutiger Pluspunkt für dieses ganze dumme Fest. Ich bewunderte ein in Rot und Grün gehaltenes Häppchen, bevor ich es in den Mund steckte. Es schmeckte süß und fruchtig, nach südlichem Obst oder Sonnenlicht.

Nicht, dass ich eines dieser beiden Dinge schon einmal in natura gesehen hätte.

Was genau ich da verspeiste, konnte ich gar nicht sagen. Da heutzutage weder Landwirtschaft noch Tierzucht oder -haltung möglich waren, wurde das Essen künstlich im Labor hergestellt, und um es besonders ansprechend zu präsentieren, hatte man die Häppchen farblich verändert und geschmacklich optimiert. Man konnte ihnen nicht mehr ansehen, welchen natürlichen Ursprung sie einst besessen hatten. Schmecken taten sie dennoch.

„Iss langsam, Sally, sonst verschluckst du dich!“ Kya lachte, als ich mir ein weiteres Häppchen in den Mund stopfte und beinahe ohne zu kauen runterschluckte. „Niemand isst dir etwas weg.“

Ich zuckte mit den Schultern; um zu antworten, war mein Mund zu voll. Alte Angewohnheiten ließen sich eben nur schwer ablegen.

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Der Milchreis steht duftend auf dem Tisch
Klein Julchen strahlt & gluckst ganz munter
Die Himbeere liegt - darunter.

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Wir waren fünf Kinder, wie die Orgelpfeifen. Der Vater fuhr meist am Sonntag Abend auf Montage, die Mutter war zuhause, kümmerte sich mehr schlecht als recht um uns Kinder und saß meist im Wohnzimmer, die Zeigefinger und Mittelfinger ausgestreckt am Radiorecorder.
Egal ob Toni Marschall, Heino, oder Roland Kaiser, sie wurden alle auf Kassette aufgenommen zum späterem anhören.
Santa Maria, schallte es lautstark vom Couchtisch, gefolgt von Heute Hau’n Wir auf die Pauke. Schlager ohne Ende von morgens früh, bis abends spät.
Dazwischen bölkten wir Kinder, dann grölte die Mutter, weil sie wegen unserem Lärm mal wieder den Anfang vom Lied verpasst hatte.

Es wurde Essenszeit und uns knurrte der Magen.
Wir wussten alle, während eines Liedes durfte man nicht stören. Da sass die Mutter starr wie ein gespannter Flitzbogen auf der Couch, die Finger knapp oberhalb der Kassettenrecordertasten.
Also hieß es, eine Pause abwarten und schnell mitteilen, was ist, bevor das nächste Lied anfing.
Jürgen Marcus schmetterte :Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben", gefolgt von Christian Anders , dessen Zug auf dem Weg nach nirgendwo war.
Dann, eine Pause, mit Geplapper vom Moderatoren.
Schnell stürmten wir das Wohnzimmer und schubsten uns gegenseitig aus dem Weg.
Jeder wollte der Erste sein.
Hunger!
Es war schon Nachmittag und das Frühstück war schon ausgefallen wegen Juliane Werding und Conny Kramer.
Wir hatten zwar keine Ahnung, wer die Beiden waren, jedoch, bei DEM Lied durfte niemand von uns stören, ohne dass der Kochlöffel geschwungen wurde. Alternativ auch, falls der Holzlöffel nicht in Reichweite war, der Dr. Scholl Holzpantoffel. Tat beides weh und wir vermieden solche Zusammenstösse.

Während der Moderator irgendwelche Geschichten zum Besten gab fragten wir vorsichtig an, ob wir etwas essen dürften.

Die Mutter schaute unwirsch und etwas glasig in unsere Richtung, erhob sich dann wie in Zeitlupe und ging ohne ein Wort zu sagen aus dem Wohnzimmer Richtung Küche.
Wir freuten uns, denn das knurren unserer Mägen war kaum mehr zu überhören.

Schnell folgten wir der Mutter um zu schauen, was es geben würde.
Sie bückte sich zum Küchenunterschrank und zog eine Dose Ravioli in Tomatensoße aus dem Regal.
Wir rieben uns schon die Bäuche, dass war ein Essen, ganz nach unserem Geschmack.
Die Muter drehte die Herdplatte an und stellte die Dose auf den Herd.
„Essen gibt es gleich“, raunzte sie in unsere Richtung.
Dann ging sie schnell wieder ins Wohnzimmer, aus dem Marianne Rosenberg lauthals Er ist nicht wie du trällerte.

Wir verkrümelten uns in das Kinderzimmer und tobten auf den Betten herum.
Die Mutter war beschäftigt, folglich konnte niemand mit uns schimpfen.
Nach einer Weile, wir hatten vor lauter rumtoben die Zeit vergessen, gab es einen lauten Knall.
Erschrocken schauten wir uns an und rannten, neugierig wie wir waren den Flur entlang in die Küche.
Wie angewurzelt blieben wir im Kücheneingang stehen. Die Küche war in eine tomatige Tropfsteinhöhle verwandelt. Von der Decke dröppelten Teigtaschenreste und Soße. Die Wände waren über und über mit roten Tomatenflecken bespritzt und oben auf dem Küchenschrank lag die zerfetzte Raviolidose.
Ein Fall für eine Grundsanierung.
Die Mutter hatte abgewartet bis Howard Carpendale sein Glück gefunden hatte, dann kam sie laut stampfen in die Küche geeilt.

Als erstes verteilte sie ein paar saftige Ohrfeigen und schrie uns dann an, dass der Übeltäter sich melden sollte.
Wir versicherten ihr das niemand von uns irgendwas gemacht hatte, aber sie glaubte uns nicht.
Sie schickte uns ins Kinderzimmer und schrie lautstark das es heute nichts zu essen geben würde. Strafe musste sein.

So schlichen wir traurig und hungrig ins Bett und hofften auf den nächsten Tag. Leise flüsternd erzählten wir uns was wir alles essen würden. Es war ein Donnerstag, und wir wussten, vor Freitag Abend würde die Mutter nicht vom Sofa aufstehen um was zu Essen zu kochen.
Einer von uns schlich sich etwas später in die Küche. Hungrige knurrende Mägen wollten besänftigt werden.
Udo Jürgens besang Ihre Einsamkeit und wir fühlten uns noch viel einsamer.
Kurz darauf konnten wir ausgiebig schmausen, es wurde eine Packung Zwieback gefunden die wir heimlich unter der Bettdecke knabbern konnten.
Während " Eine Freude vertreibt hundert Sorgen" von Chris Roberts spielte, schliefen wir ein.

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Von Klumpen und glibberiger Haut

“Plätscher plätscher Feder, Wasser mag doch jeder, geh schon mal nach Haus, er kommt ein Tröpfchen später Lal-la la-la la-la“.

Ich habe den fröhlichen Singsang der männlichen Stimme mit leicht niederländischem Akzent heute noch in den Ohren. Ganz unweigerlich zaubert mir die Melodie ein Lächeln auf die Lippen.

Es war Ende der 90er und ich, ich war zehn Jahre alt. Eine Zeit in der meine größte Sorge darin bestand, welches Kuscheltier ich wann wohin mitnehme. Eine schöne und unbeschwerte Zeit.

Jeden Samstagmorgen saß ich am Kopfende des großen Tisches meiner Oma. Die dunkle warme Stube, in der es nach Franzbranntwein und Zartbitterschokolade roch, war mein zweites Zuhause.
Es war ein kleiner Raum mit niedrigen Decken und schweren Holzmöbeln, einem kleinen Sofa und knarzenden Holzstühlen.
Gegenüber des Tisches, am anderen Ende des Raumes, flimmerte ein alter Röhrenfernseher und die Gasheizung zu meiner linken zischte leise und beständig.

Vor mir stand immer eine große Tasse heiß dampfende Milch, auf der sich nach und nach eine glibberige, leicht gelbliche Haut bildete, die ich gewöhnlich mit chirurgischer Präzision herausfischte und genüsslich aß.

Zeichentrickfilme im Schlafanzug bei Oma schauen, kaum ein Gedanke macht mich glücklicher.
Wenn ich mich in meinen kleinen Körper zurückversetze und meinen Kopf nach links drehe kann ich sie sehen. Oma steht in ihrer Blumenschürze am Herd und kocht. Der Schneebesen in ihrer schwachen Hand schlägt schnell gegen den blau emaillierten Topf. Sie lächelt mich an während sie den heissen Schokoladenpudding in die bunten Plastikförmchen füllt und diese zum abkühlen in den Kühlschrank stellt.

Omas Schokoladenpudding war der Inbegriff von Kindheit. Vollmundig und voller Klumpen. Ja richtig gelesen, Klumpen. Kleine, köstliche Stücke reinstes Schokoladenpulver, eingebettet in einer cremigen Hülle.
Nie wieder habe ich so etwas leckeres gegessen wie im zarten Alter von zehn Jahren, auf dem knarzenden Holzstuhl meiner Oma, während mich im Hintergrund die nette niederländische Stimme sanft verabschiedet:
„Ich war schon öfter fröhlich, ganz fröhlich, ganz fröhlich, doch so verblüffend fröhlich, war ich bis heut’ noch nie“

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Schweiß tropft mir die Stirn runter.
In Zeitlupe stecke ich meinen Schlüssel in das Schloss, bevor ich die Haustüre dan leise öffne. Im Flur überzeuge ich mich, dass meine Mutter mich nicht sieht.
„Tina, bist du schon da?“ Höre ich sie aus der Küche fragen.
„JA!“ Antworte ich ihr schnell, bevor ich in mein Zimmer renne, die Türe mit einem lauten Knall schließe und meine Schultasche quer durchs Zimmer werfe.
Die weise Tüte, die in meiner Jacke steckt, halte ich immer noch nervös fest.
Jetzt. Jetzt kann ich sie endlich herausholen. Langsam ziehe ich diese aus meiner Jacke raus, während sie leise raschelt. Mit den Augen auf der Tüte geheftet, spüre ich, wie sich der Speichel in meinem Mund vermehrt. Ein Glücksgefühl überkommt mich beim Reingreifen. Das ledrige Gefühl in den Fingern und der Duft nach Apfel bringen mich dazu, unaufhörlich zu grinsen. Ich blicke auf meine Hand, in der sich nun zwei grüne Gummischlangen befinden. Gierig stopfe ich diese in den Mund. Während ich auch die restlichen Schlangen verdrücke bin ich mir sicher, dass richtige getan zu haben, als ich die zwei D-Mark von Mama, nicht fürs Pausenessen ausgegeben habe.

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