Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Ahoi Brause
Die Verlockung lauert am Ende des Schulwegs.
Aus der Bäckerei an der Ecke dringt staubiges Licht und der Geruch muffiger Brötchen. Geradeaus, dann an der Hauptstraße rechts abbiegen. Das Eiscafe Adria im Winterschlaf - ein Hauch von Sehnsucht an sommerliche Sonntage in nieseliger Nebeldämmerung. Schauerlich lauern Perückenköpfe im schummrigen Licht beim Friseur Weis. Lieber schnell weiter, vorbei an dem Metzger, den die Mutter nie betritt, langsamer werdend am Radladen Altig. Im letzten Licht der erblassenden Straßenlampen glänzt ein blaues Kinderrad, so leicht, so schnell wie der Wind.
Zurückschauend geht es zögernd weiter an der vergilbten Auslage der Reinigung Holzkamp, die strahlend weiße Wäsche verspricht. Neben dran die langweilige Allianzversicherung mit maßanzüglich lächelnden Herren und viel zu viel Text für Zweitklässler auf den Werbeplakaten.
Die Zeit drängt, also schneller vorbei an Eisenhändler, Schneiderei und Apotheke, dann an die an die Hand nehmen, nach links und recht schauen, und im Abgasdunst die letzte Querstraße meistern.
Auf der anderen Straßenseite wächst schon die rotsandsteinerne Schule empor, umrahmt von Mauer und Schulhof mit blätterfegendem Hausmeister.
Doch zuerst müssen wir die Tür vom Schreib- und Tabakwarenladen Werner klingeln lassen, stolpern zur Kassentheke, die kostbaren Groschen verkrampft in den Händen. Schleckmuscheln, Gummikirschen, saure Stäbchen und Lakritzen und mittendrin die Schachtel mit den Tüten mit dem winkenden Matrosen. Himbeere, Zitrone, Orange oder Waldmeister? Natürlich Himbeere!
Für einen Moment süße Glückseligkeit auf der Zunge, prickelnd nach Frucht und weite große Welt schmeckend, aufschäumend, dann leider allzu schnell den letzten Rest aus der Tüte geleckt. Das Prickeln reicht gerade bis zur Ampel. Der Himbeergeschmack verfliegt vor dem Schuleingang.

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Uromas Geheimrezept

„Warum kann ich nicht noch ein bisschen bei euch bleiben? Ich bin auch ganz leise.“
„Für kleine Mädchen ist jetzt Schlafenszeit. Komm, zieh dir den Schlafanzug an, dann schnell Zähneputzen und ab ins Bett mit dir.“
„Mir ist so kalt und das Wasser tut mir an den Fingern weh. In der Stube ist es viel wärmer.“ Mama ist unerbittlich und drängt mich. Ihre kalte Nase streift mich, als sie mir einen Gutenachtkuss auf die Wange drückt. Meine Finger sind genauso kalt wie meine Füße. Ich hoffe, dass meine Eltern auch ganz bald ins Bett kommen, damit ich mich an sie kuscheln und wärmen kann. Verloren suche ich mir ein Plätzchen in dem Bett. Mama verlässt das Schlafzimmer. Sie geht zurück in die warme Stube und lässt mich allein. Die weiße, knisternde Decke türmt sich über mir auf. Mein Gesicht drücke ich in den weichen Bauch von meinem Kuschelbären. Da riecht es nicht so streng nach frischer Wäsche, da kann ich atmen. Tränen kullern auf den Teddy. Uroma hat gesagt, dass ich groß geworden bin, und große Mädchen weinen nicht. Ich lausche auf die Geräusche im Haus. Vorsichtig blinzel ich hinter der Decke in den Raum. Ein zarter Lichtschein dringt vom Mondlicht durch die kleinen Fenster. Ich bewege mich nicht, denn bei jeder Bewegung spüre ich die Kälte der harten Decke, die so anders ist als meine kuschelige Bettdecke daheim. Ich halte die Luft an, aber lange geht das nicht. Mein Blick huscht vom Bett über den Waschtisch zum Kleiderschrank. Ich vermisse etwas auf dem Schrank und so füllt er nur dunkel den Raum. Schritte, das Knacken der Dielen und leise Stimmen. Ich schließe die Augen, reiße sie aber sofort wieder auf. Die Tür öffnet sich und ich starre in das Licht, das vom Flur einfällt. Meine Uroma drückt die Türe weiter auf und kommt herein. Sie trägt ein großes Holzbrett, streckt sich und schiebt das Brett oben auf den Kleiderschrank, bevor sie so leise wie sie ihn betreten hat, den Raum wieder verlässt.
Es dauert einen Moment, doch dann durchströmt der Duft nach Kuchen die Schlafkammer. Er streift mir über die Nase, verdrängt den trockenen Geruch der Bettwäsche und ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus.
Uromas Streuselkuchen.

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Orangen im Glas

Ich muss drei gewesen sein. Dreieinhalb. Aber vielleicht war es auch schon ein Jahr früher. Schließlich lernt man in der Schweiz Skifahren, sobald man einigermaßen sicher stehen kann.
Ich kann nicht behaupten, dass mir das Skifahren besonders gefallen hätte; ich erinnere mich daran, dass mir kalt war, dass ich nass war, dass ich die meiste Zeit wohl im Schnee gelegen hatte, statt auf den Skiern zu stehen.
Eine andere Erinnerung ist aber deutlich besser – und auch deutlicher und besser im Gedächtnis geblieben; es ist eine meiner ersten klaren Erinnerungen: Die Ferienwohnung befand sich im obersten Stock eines alten Hauses und hatte einen Zugang zum Dachboden, auf dem wir Kinder spielen durften. Es roch leicht muffig, nach alten Möbeln, nach noch älterem Holz und nach vergessenen Dingen. Ein lindgrüner abgewetzter Ohrensessel stand da – die Gemütlichkeit schlechthin.
Und dann war da dieser Orangenpunsch. Im Nachhinein muss ich gestehen, dass sich bei mir da zwei Erinnerungen vermischt haben, denn den Punsch gab es bestimmt nicht auf dem Dachboden. Solchen Punsch hatte meine Mutter nie gemacht. Wahrscheinlich haben wir ihn in einem Café getrunken, nach der Skischule.
Es war kein Punsch, wie man ihn heute in einer Gaststätte bekommt – Pulver in einem Beutel zusammen mit einer mehr oder weniger heißen Tasse Wasser. Es war ein Punsch, wie ich ihn zuvor noch nie getrunken hatte – und auch danach nie wieder. Wenn das Licht ins Punschglas fiel, glänzte das Getränk golden, leicht bräunlich orange. Im Glas befanden sich zwei Orangenschnitze und der Dampf, der weißlich aufstieg, verbreitete das Aroma von süßen frisch geernteten Orangen.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich mir beim ersten Schluck die Zunge verbrannte, jedoch nicht so stark, dass ich danach nicht mehr richtig geschmeckt hätte. Das Getränk fühlte sich anschließend warm und geschmeidig an im Mund und auch im Hals. Es war nicht übersüßt, dafür umso aromatischer, erfrischend und wärmend zugleich. Eben einfach: Orangen im Glas.

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Nichts übrig geblieben

An der Gartentür der Hund, so groß wie ein Bär, unter dem stramm gebürsteten Fell ein Muskelpaket, sein Blick dringt bis ins Innerste vor: „Und, was willst du hier?“

Der Eigentümer streicht ihm über den Kopf. Es sei alles gut, der Herr – ich – sei schon in Ordnung. Die Gartentür hat er belassen, wie sie war, auch die Garagentore, er könne nicht alles auf einmal neu machen, das Haus sei ein Werk auf viele Jahre.

Ich folge ihm durch den Garten: Statt Stauden mit roten und weißen Ribiseln und Beeten voller Karotten, Erbsen und Karfiol nun wild wucherndes Gras und Blumen, die Sandkiste zugeschüttet, so wie das Schwimmbad, das dann doch nicht gebaut wurde. Der Hund geht zwischen uns.

Er habe den Heizraum umgerüstet, sagt der Eigentümer, das war das vordringlichste. Die Wurst, die dort jahrelang zum Trocknen gehangen hat, habe der Hund gefressen. Die Gartenhütte wurde ausgeräumt, die Schaukel abgebaut. Der Hund dreht eine Runde, ohne sich zu weit von uns zu entfernen.

Im Vorhaus gedämpfte Beleuchtung, die Wand zur Speisekammer wurde weggerissen, helle Sitzgarnitur statt den Gefrierschränken und Regalen, in denen Essen für ein gefühltes Jahr gelagert waren: Teile eines halben Schweins, zerlegt vom Bauern am Hügel, Saftflaschen und Gläser mit Marmeladen und Kompott, die sich bis an die Decke stapelten.

Aus dem Zimmer nebenan soll ein Sportzimmer werden, sagt der Eigentümer. Dort hat der Onkel damals den Alten gefunden, nachdem er mitten in der Nacht vom Lärm aus dem Schlaf gerissen wurde.

Der Hund legt den Kopf schief, als lauschte er auf etwas.

Der Eigentümer führt uns in die neue Küche, von der alten war praktisch nichts mehr zu gebrauchen gewesen. Die Futter- und Wasserschüsseln für seinen Bärenhund stehen an derselben Stelle wie damals für den Collie, der dem Alten lange Zeit ein treuer Freund war.

Da sehe ich sie sitzen: die Eltern und die Alten, die Onkeln und die Tanten und uns Kleine. Knödel werden aufgetischt, Kraut und Kartoffeln, und Braten vom Schwein aus dem Zimmer nebenan. Aus dem Radio rauschige Musik, am Tisch Gespräche, die wir Kleinen zwar nicht verstehen, aber ins Gelächter stimmen wir mit ein. Manchmal serviert die Großmutter auch Fleisch von den Hasen, die der Alte hinter der Gartenhütte gezüchtet hat. Als ihn der Onkel damals fand, verschenkten sie die Hasen. Der Hund weiß nichts davon.

Im ersten Stock ist die Firma untergebracht, mit getrenntem Zugang, vier Mitarbeiter und noch im Ausbau; wo jetzt die Mitarbeiterküche ist, haben die Mutter und die Tante Marmelade gekocht, fischte der Vater Würstel aus dem Topf, habe ich meinen ersten selbstgebackenen Muttertagskuchen überreicht: „Davon ist nichts übrig geblieben.“

„Was sagten Sie?“

Der Hund schaut sich um, als ob jemand im Raum steht, der nicht gesehen werden will.

„Ich sagte, gehen wir in den Ort etwas essen. Ich habe Hunger.“

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Heringsstipp

Trotz der schrillen Stimme meines Weckers wachte ich entspannt und mit einem Lächeln auf. Das kam selten vor, so dass ich mich darüber wunderte. Doch dann fiel mir mein Traum wieder ein.

Alle waren sie da gewesen, die ganze Familie. Dabei weilten meine Liebsten gar nicht mehr in unserer diesseitigen Welt, sondern existierten irgendwo in einer für uns nicht zugänglichen Sphäre weiter, so hoffte ich es jedenfalls.

Wie zu Zeiten meiner Kindheit in den 1960er Jahren saßen wir in Omas Wohnküche mit den hohen Zimmerdecken. Wie oft hatte ich als kleines Mädchen meinen Kopf in den Nacken gelegt und die Stuckornamente dort oben bewundert. Alles wirkte so vertraut, als sei ich gestern erst dort gewesen. Dabei lagen Jahrzehnte zwischen Traum und Wirklichkeit.
Genauso hatte ich es in meiner Erinnerung bewahrt. Das unüberhörbare Ticken der alten Pendeluhr, auf der Tapete das zarte Blumenmuster in Pastell, das dunkelrote Chaiselongue mit den vielen Kissen und Oma am Herd. Eine wahre Zauberkünstlerin am Kochtopf. Was auch immer sie zubereitete, blieben mir ihre Mahlzeiten als die schmackhaftesten meines Lebens in Erinnerung.

In meinem Traum gab es Heringsstipp, eines meiner Lieblingsgerichte. Auf dem Ofen brodelte bereits das Kochwasser mit den Pellkartoffeln und ein Duft von Apfel, Zwiebel und fangfrischem Fisch zog durch die ganze Wohnung bis ins Treppenhaus. Ich beugte mich mit meiner Nase über die große Servierschüssel. Jetzt mischte sich ein feiner Hauch von Meer unter die anderen Aromen, eine Mischung aus Salz und Seetang. Fast schon meinte ich, in der Ferne das Schreien von Möwen wahrzunehmen.
Die zerkleinerten Zutaten schwammen in der glänzenden weißen Stippe. Oh, sah das lecker aus! Oma streute noch etwas Dill darüber. Seine Frische entfaltete sich sogleich in meinen Geruchszellen, so dass ich mich für den Bruchteil einer Sekunde in einem Kräutergarten wähnte.
Endlich wurde der Tisch gedeckt. Nun dauerte es nicht mehr lange bis zum Essen. Und dann kamen auch schon die dampfenden Kartoffeln auf die Tafel und es wurde aufgetan. Sobald alle Teller gefüllt waren, verstummte das fröhliche Geschnatter meiner Familie. Es schmeckte wunderbar. Oder sollte ich traumhaft sagen?

Der erbarmungslose Wecker katapultierte mich wie immer zur Unzeit in den rauen Alltag zurück. Ich hatte nicht einmal die Chance gehabt, mich würdig von meiner Familie zu verabschieden. Zumal ich nicht wusste, ob ich meine Lieben jemals wiedersähe. Nach meinem eigenen Ableben versteht sich. Und meinen Teller hatte ich auch halb voll zurücklassen müssen.

Trotzdem hallte das Gefühl von kindlicher Geborgenheit im Kreise der Familie noch lange nach. Den ganzen Tag über war ich bester Laune. Was es abends zu Essen gab, wusste ich auch schon.

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In der Hoffnung, dass mein Beitrag nicht in der Flut ertrinkt… :ocean:

Gefühle wiegen mehr, als man denkt

»Jannis steht auf schlanke Mädchen«, höre ich Aria tuscheln. Kaum hat sie die bittere Wahrheit ausgesprochen, dreht sich Laura kichernd in meine Richtung. Ihr Blick huscht über meinen Körper und hinterlässt dort eine Schaudergänsehaut. Ich spüre die dunkle Mischung aus Abwertung, Verurteilung und Schadenfreude auf mir und verschränke die Arme vor meinem Leib. Kann es sein, dass mein Oberteil plötzlich geschrumpft ist? So unauffällig wie möglich zupfe ich es in die Länge, um meinen Bauch, der in diesem Neonröhrenlicht noch weißer erscheint, zu verstecken. Ich hätte heute Morgen doch den ausgeleierten Pullover anziehen sollen. Was habe ich mir nur gedacht?

Der Mann hinter der Theke schiebt im Schneckentempo eine kleine Portion goldgelb glänzender Pommes mit winzigen schimmernden Salzkristallen darauf in meine Richtung. Er hebt dabei schweigend und doch alles sagend eine Augenbraue. Er hat mich nicht einmal gefragt, ob ich Mayonnaise oder Ketchup dazu haben möchte. Ich weiß, was er denkt, was alle hier denken.

»Kein Wunder, dass sie so fett ist.«

»Von nichts kommt nichts.«

»So wird sie nie abnehmen.«

Ich starre die Pommes an. Kurz überlege ich, die 434 Kilokalorien einfach stehen zu lassen und durch den Regen draußen zu verschwinden. Aber ich schaffe es nicht, meine Augen von der Pappschale zu lösen. Es steckt sogar ein Pikser aus Holz oben drauf. So wie früher bei den Portionen, die ich mit meiner Freundin Milly immer beim Freibadkiosk geholt habe.

»Nächster«, schreit der Augenbrauentyp.

Ich sollte die Pommes zumindest mitnehmen, schließlich habe ich sie bezahlt. Teuer bezahlt. Mit Blicken.
Mit einer Hand schnappe ich mir meine Bestellung, mit der anderen versuche ich, mein Shirt an Ort und Stelle zu fixieren. Ich quetsche mich in der hintersten Ecke des Fast-Food-Ladens auf die lederbezogene Bank neben dem Bälleparadies.

Den ganzen Tag nahm ich bisher nur Wasser zu mir, das jeglichen Geschmack aus meinem Mund gespült hat. Zwei Gläser zum Frühstück und zwei Liter am Vormittag. Damit der Hunger endlich verschwindet. Mein Körper lechzt förmlich nach etwas Salzigem. Mein mies gelaunter Magen grummelt und fordert mich zum Essen auf. Vielleicht esse ich eine Fritte. Nur eine. Die lange Dicke, in welcher der Pikser steckt. Am besten, bevor sie kalt wird. Ob sich das auf der Waage bemerkbar macht? Aber irgendwas muss ich schließlich essen. Soll ich wirklich?

»Tu es einfach!«, kreischt mein Magen, also schnappe ich mir das goldene Teilchen und halte es vor meine Nase. Ich schließe die Augen. Es duftet herrlich nach Sommer, Sonnencreme, chlorgetränkten Bikinis und Unbeschwertheit. Fast kann ich den aufgeheizten Teerboden auf meinen Fußsohlen spüren und Milly neben mir gackern hören. Wir machen uns dick Mayo auf unsere Pappschalen, sie formt einen Smiley daraus, ich ein misslungenes Herz. Wir lachen darüber.

»Iss es endlich!«, brüllt es in meinem Ohr. Ich kneife die Augen jetzt fest zu und stecke mir blitzschnell die Fritte in den Mund. Sie ist heiß, viel zu heiß. Frisch aus der Fritteuse eben. Ich beginne zu kauen und knacke die krosse Schicht mit meinen Zähnen. Auf meiner Zunge spüre ich die butterweiche Kartoffelfüllung. Die kleinen Salzkügelchen zerschmelzen und prickeln bittersüß wie Zitrone vom Kinn bis in den Hals hinunter. Genau so sollten Pommes sein. Echte Milly-und-ich-Pommes. Ich kaue eine Ewigkeit und wälze die Kartoffelmasse auf meiner Zunge hin und her, bis sie sich vollständig mit meinem Speichel vermischt hat und der Geschmack und die Erinnerungen langsam verschwinden.

Als ich die Augen öffne, steht ein übergewichtiger kleiner Junge vor mir, schlürft durch einen Strohhalm an seiner XXL-Cola und gafft mich an.

»Jannis steht auf schlanke Mädchen«, höre ich Arias Stimme in meinem Kopf. Sofort meldet sich mein schlechtes Gewissen. Tränen schießen mir in die Augen. Ich lasse alles stehen und liegen und stürme aus dem Laden. Ich renne nach Hause und haste im Badezimmer auf die Waage.
Gott sei Dank, ich habe zwar nicht abgenommen, aber auch nicht zugenommen. Die Waage zeigt immer noch fünfundvierzig Kilo.

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Hühnerduft mit Frostfüßen

Oma putzte die Schneeflocken aus meiner Mütze und wuselte mit dünnen Fingern meine Haarpracht zurecht. Ich liebte es an ihren Haaren zu riechen, während sie mir die Stiefel auszog. Jedes Mal ein anderer, betörender Küchenduft. Mit meiner Nase in ihren Haaren trug sie mich in die große Kochstube.

Die warme Backröhre am uralten Herd öffnete ihr riesiges Maul und meine rotgefrorenen Füße wurden von Oma hineingesteckt. Wie ein Braten ohne Topf saß ich da auf der Ofenklappe und Zimtduft aus der Kakaotasse stieg in mein Gesicht. Langsam tauten meine Füße auf und die Sahne mit Kakao dran rutschte genüsslich vom Löffel in meinen Mund.
Oh!, das Huhn!“, hörte ich sie Opa zurufen und gleich darauf argwöhnisch fragen: „Ist es dieses Mal auch richtig tot? Nicht das es mir wieder vom Tisch hüpft.“ Opa antwortete mit festem Ton: „Deinen Messern ist ja zum Glück noch keines entkommen.“ Er schlurfte zum Schrank. „Kannst sicher sein, diesmal ist es richtig tot.“ Opa goss sich einen Schnaps ein und zwinkerte mir zu: „Ich hab´s gekitzelt und es ist nicht wieder aufgewacht.“ Lachend ließ er uns mit dem leblosen Federvieh in der Küche zurück.

„Sti-hille Nacht, heiiilige Nacht ...“ zauberten sich die kleinen Engelsstimmen aus dem Radio in meine Ohren und lullten auch die Oma ein. Die rupfte andächtig und im Takt dem armen Ding die braunen Federn aus.
Mit Kakao in meinen Händen und kleinen Engeln in meinen Ohren sah ich Oma zu, wie sie sorgsam, ja fast liebevoll das Messer ansetzte, dem Huhn ins Hinterteil stach und eine faustgroße Öffnung hineinschnitt. Sie griff hinein und zog Dinge heraus, die ich noch nie gesehen hatte. Meine Kehle weigerte sich augenblicklich, dieses wunderbare Getränk weiterhin in meinen Magen zu befördern. Braune Bäche flossen rechts und links aus meinem Mund. „Schau mal, Kleines. Das ist der Darm. Siehst du, wie lang so ein Hühnerdarm sein kann?“ Oma schaute mich mit Unterrrichtsmiene an und demonstrierte mir seine Länge in allen Einzelheiten.
Ich trank für eine Weile meinen Kakao mit geschlossenen Augen.

Oma liebte es, das Huhn vor seinem Gang in den Ofen so richtig gut mit allerlei Leckereien zu füllen. Sie schmierte immer zuerst ein dickes Stück gute Butter an die Innenseiten. So richtig viel. Darauf hielten die Kräuter gut und die machten das Fleisch so zart, dass es später beim Essen förmlich auf meiner kleinen Zunge zerschmolz und fast ohne Kauen die Kehle hinunterrutschte.
Sie nahm auch gerne einige der Innereien und legte sie mit der Füllung wieder zurück ins Innere. Sie wendetet das kleine glitschige Hühnerherz zuerst in Semmelbrösel, wickelte es in Speck und schob es mit den Nieren und der Leber zwischen Möhrenstreifen, frische Mangoldblätter und duftenden Koriander. Ein kleiner roter Apfel verschloss die Öffnung am Hühnerhintern. „Damit auch alles drinnen bleibt.“, sprach sie mit gewichtiger Stimme. Oma ging ins Nebenzimmer und holte aus ihrem Nähschränkchen eine dicke Nadel und einen langen schwarzen Faden. „Schau her! Mit Stichen über Kreuz näht man das Hinterteil wieder zu. Dann bleibt der Saft drin und kann alles schön zart machen. Siehst du? Einmal so und wieder zurück.“
Ich habe nie so ganz gerne zugeschaut, aber Oma meinte immer, dass würde sich einprägen und schließlich hätte sie auch auf diese Art Kochen gelernt.

Außen herum rieb sie das Huhn mit Zimt ein und spickte es mit Zitronen- und Orangenscheiben. Das sah lustig aus, weil sie dafür Zahnstocher nahm und das Huhn nun wie ein Igel aussah.
Früchteduft waberte durch die Küche, hüllte das tote Huhn, die Oma und mich in orientalische Wohligkeit. Das Huhn und ich tauschten die Plätze und Oma zog mit fürsorglichem Lächeln rote, selbstgestrickte Socken und Lammfellpantoffeln über meine Füße. Der Hühnerigel verschwand im riesigen Maul der Backröhre.

Nach einiger Zeit nahm sie dem halbgaren Huhn die Zitronen- und Orangenscheiben wieder weg und dafür übergoss sie es mit einer Marinade aus Butter, Honig und Kardamom. Ich konnte hören, wie das Gemisch brutzelnd in die heiße Haut eindrang und als Oma das Huhn am Ende aus der Röhre zog, hatte es eine knusprig-duftende, goldbraune Kruste.

Jedes Mal, wenn ich heute das Huhn mit Butter, Honig und Kardamom übergieße, bin ich froh, dass mir das Huhn nie vom Tisch gehüpft ist. Und ich kann immer noch ihr Lächeln sehen, als sie das erste Mal in meinem Restaurant ihr Weihnachtshühnchen aß.

 

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Das Familienessen

Es ist Sonntag und Oma Inge steht in der Küche um das Festessen vorzubereiten. Sie freut sich riesig, weil all ihre Kinder, vier an der Zahl, zugesagt haben vorbei zu kommen. Der Duft von selbst gebackenem Apfelkuchen zieht schon durch die Wohnung. Der Tisch ist bereits gedeckt und da klingelt es auch schon. Paul steht vor der Tür. In Begleitung seiner neuen Freundin. Oma Inge begrüßt sie herzlich und stellt schnell ein zusätzliches Gedeck auf den Tisch. Kaum fertig klingelt es schon wieder. Lena ist da. In Begleitung ihrer beiden Kinder Max und Sophie. Der Babysitter hat kurzfristig abgesagt, aber sie wollte trotzdem kommen. Schließlich gibt es nirgendwo so gutes Essen wie zu Hause. Max (7) und Sophie (9) umarmen ihre Oma fest und stürmen hinein, da sie ihren Onkel gehört haben. Schon poltern die nächsten die Treppe hinauf. Tom und Nina kommen gleichzeitig an und rufen schon durch das Treppenhaus: „Wir haben eine Überraschung für dich, Mutti.“ Hinter Ihnen erspäht Inge Franz, ihren Bruder, den sie sehr, sehr selten sieht, da er etliche hundert Kilometer weit weg wohnt. Seine Frau ist natürlich auch mit dabei. Nachdem sich die Freude des Wiedersehens gelegt hat, verschwindet Inge in der Küche, um den Kuchen und Kekse aufzutischen. Zum Glück habe ich immer einen großen Vorrat an Keksen, denkt sie sich und betrachtet begeistert die große Gesellschaft, die sich an ihrem Tisch versammelt hat. In der Zwischenzeit haben ihre Kinder den Tisch ausgezogen, noch mehr Gedecke aus der Vitrine geholt und haben sich noch zwei zusätzliche Stühle von der lieben Nachbarin ausgeliehen. Kaum steht der Kuchen auf dem Tisch ist er auch schon ratzfatz aufgegessen. Ein lebhaftes Gespräch entwickelt sich und Inge verschwindet wieder in der Küche.

Zwei Stunden später, genau um 18 Uhr ist das Essen fertig. Ein saftiger Braten, Knödel und Rotkraut. Alle Gäste laden sich ihre Teller voll und genießen das gute Essen. Nur Oma Inge sitzt still und lächelnd auf ihrem Platz und beobachtet nur. Sie ist selig ihre Familie um sich zu haben und genießt das fröhliche Treiben. Die Lobgesänge auf das gute Essen wollen gar nicht aufhören. Satt und glücklich lehnen sich alle zurück. Inge will aufstehen, um den Tisch abzuräumen, doch Paul fragt: „Sag mal Mutti, wo ist eigentlich die Katze?“ Sonst ist Mimi doch immer da wenn wir am Tisch sitzen und Essen und streicht um unsere Beine. Heute habe ich sie noch gar nicht gesehen. Inge stutzt und wundert sich: „Die habt ihr doch gerade gegessen.“

Innerhalb von Sekunden sprangen alle auf und rannten in Richtung Badezimmer.

Oma Inge schüttelt den Kopf und flüstert leise: „Was hätte ich denn tun sollen. Auf so viele Gäste war ich nicht vorbereitet und Hunger soll niemand leiden.“ Max umarmt sie fest und sagt: „ Nicht schlimm, Oma. Das hat wie Hühnchen geschmeckt.“

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Wie kann ich meinen Beitrag jetzt einstellen? Ich habe mich neu angemeldet und es funktioniert leider nicht. Was soll ich tun?

Danke für die rasche Antwort.

Essen ist fertig!

Lisa hantiert in der Küche, als ihre Freundin Barbara zur Tür herein schwebt. Die beiden umarmen und begrüssen sich fröhlich. Barbara setzt sich an die Bartheke, welche die Küche vom Wohnzimmer trennt.

«Magst du auch ein Glas Wein?», erkundigt sich Lisa.

«Oh ja gerne! Du bist schon am Kochen?»

«Ja klar, du weisst ich liebe Essen und dafür nehme ich mir gerne Zeit zum Kochen.» Lisa lacht, während sie Barbara ein Glas in die Hand drückt, mit ihr anstösst und den ersten Schluck aus ihrem Glas nimmt. Sie stellt das Glas hin und widmet sich dem Topf auf dem Kochherd, rührt darin! «Essen ist mein schönstes Hobby. Und in Gesellschaft mit dir nicht zu überbieten … Ich verzichte aber auf Milch wegen meiner Intoleranz. Und - ich liebe traditionelle Gerichte, im Besonderen solche aus Bergregionen.»

«Traditionelle Gerichte aus den Bergen? Wie geht das ohne Milch?» Barbara teilt das Hobby mit Lisa und kennt sich gut aus. Aber nicht so wie Lisa.

«Ja! Die sind voller Milch, ich weiss, und ich erinnere mich da gerade an die Älpler-Maggronen, die ich als Kind regelrecht verschlungen habe. Von meiner Milchintoleranz habe ich damals nichts gewusst.»

«Was sind Älpler-Maggronen?»

«Du kennst die nicht?“, ruft Lisa fassungslos. Sie lässt den Topf sein und schaut mit grossen Augen ihre Freundin an. Sie glaubte, jedes Kind kannte die. „Das ist ein einfaches Gericht mit Hörnli, Kartoffeln und Milch. Meistens mit Speck oder Cervelat drin und viel Käse. Es ist auch einfach zuzubereiten: Du garst Hörnli und Kartoffelwürfel in Salzwasser, sie werden abgeschüttet und in eine feuerfeste Schale gegeben. Ein Stück Speck oder Cervelat wird gewürfelt, angebraten, und unter die Hörnli-Kartoffel-Mischung gegeben. Dann mit viel geriebenem Käse bestreut. Geröstete Zwiebelringe kommen zuletzt oben drauf. Das Ganze wird mit heisser Milch übergossen und im Backofen überbacken, bis der Käse Fäden zieht.»

«Recht einfach! Das könnte sogar ich nachkochen» kommentierte Barbara.

«Das war für mich jedes Mal ein Festessen! Und eines der ersten Gerichte, das ich zubereiten gelernt habe! Und - auf das ich seit zwanzig Jahren freiwillig verzichte!», sagt Lisa mit rollenden Augen.

«Es gibt doch lactosefreie Milch als Ersatz oder Getreidedrinks!»

«Ja, schon, doch wenn keine Milch, dann auch kein Ersatz mit komischen Zusätzen!»

«Dann halt doch Verzicht!», sagte Barbara ergeben.

«Essen ohne Milch und Verzicht? Das gibt’s bei mir nicht! Natürlich habe ich eine Alternative gesucht und mir ist aber nie eine Lösung eingefallen. Das wäre das erste gewesen, auf das ich hätte verzichten müssen … Bis ich im Kanton Graubünden meine Ferien verbracht habe.»

«Aha!»

Inzwischen goss Lisa den Inhalt der Pfanne ab und schichtete ihn in eine gläserne Platte ein. Auf dem Herd duftete es herrlich nach Zwiebeln und Kräutern. Die gab Lisa jetzt über den Inhalt der Platte.

«In der Berg-Gastronomie wird mit sehr viel Milch gekocht. Auf jeden Fall hat mich das motiviert, tiefer in die privaten Kochtöpfe zu schauen. Die traditionellen Gerichte widerspiegeln in der Regel die schwere körperliche Arbeit der Bauern und Handwerker. Die Menschen haben spartanisch gelebt und im Allgemeinen wurde wenig Fleisch, aber viele Mehlspeisen gegessen. Das ist gut nachvollziehbar. Aber – und das wird jetzt spannend – als ich tiefer gegraben habe, habe ich herausgefunden, dass die Mahlzeiten ursprünglich und traditionell zwar fett und schwer verdaulich waren, ansonsten jedoch sehr wenig bis gar keine Milch enthielten.»

Die Platte verschwand im Backofen von Lisa’s Küche.

«Das ist ja verrückt und interessant gleichzeitig!» ruft Barbara aus.

«Fand ich auch! Anfang des 20. Jahrhunderts war diese einheimische Küche auf einmal nicht mehr modern und die „feine Kochkunst“ wurde propagiert. Mit dem Ziel, die ‚barbarische‘ einheimische Küche zu ersetzen. So kam es wohl, dass Milch und Nebenprodukte es in die Küchen schafften und in der Gastronomie die einheimischen Gerichte den Bedürfnissen von Touristen angepasst wurden.» Eine Weile blieb es still in der Wohnung von Lisa. Dann fuhr sie fort:

«Aber als Milchintolerante reise ich ja nicht in den Kanton Graubünden, um asiatisch zu essen, nur weil ich keine Milch vertrage!

Und dann – habe ich eine Spezialität im Puschlav entdeckt! Ein sehr währschaftes, sehr nahrhaftes Eintopfgericht, das eigentlich einer guten Verdauung entgegenwirkt und trotzdem unglaublich köstlich schmeckt - die Pizzoccheri.

Das Spezielle daran sind die Pizzoccheri, eine Teigwarenart aus Buchweizen- und Weizenmehl. Die Farbe ist dunkler als die übliche Pasta. Man kann sie selber zubereiten, dort aber auch im Handel kaufen.»

Barbara hört Lisa aufmerksam zu. «Und wie machst du diese Pizzoccheri?»

«Pizzoccheri werden vermischt mit Mangold, Wirz, Kartoffeln sowie Käse serviert. Das ist die minimalste Version. In der Regel werden weitere saisonale Gemüse wie Karotten, grünen Bohnen und Erbsen beigegeben.»

«Eintopf? Diese Zutaten haben ja alle verschieden lange Kochzeiten!»

«Genau. Deshalb kochst du erst die Pizzoccheri für einige Minuten in viel kochendem Salzwasser. Dann kommen die gewürfelten Kartoffeln, klein geschnittenen Karotten und Bohnen dazu, kochst das zusammen einige Zeit, dann noch Mangold, Wirz dazugeben für etwa fünfzehn bis zwanzig Minuten. In den letzten paar Minuten gibst du noch Tiefkühlerbsen dazu. Dann Kochwasser abgiessen, das Ganze schichtweise mit geriebenem Käse in eine vorgewärmte Gratinplatte einfüllen. Daneben werden geschnittener Knoblauch, Zwiebelringe und Salbeiblätter in reichlich Butter gebraten. Das verteilst du darüber. Es geht ab in den Ofen, bis der Käse geschmolzen ist.»

«Aber Käse – ist doch Milch! Das verstehe ich jetzt nicht!»

«Gut gereifter Käse ist lactosefrei. Deshalb kann ich den ohne Probleme essen.»

«Das ist ja wie die Älpler-Maggronen – nur andere Zutaten.»

«Fand ich auch! Und deshalb sind das jetzt meine neuen Älpler-Maggronen!» Sagts, stülpt sich Handschuhe über die Hände, öffnet den Backofen und stellt die Form auf den Tisch.

«So liebe Barbara, Essen ist fertig! …

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Sehr olfaktorisch und emotional erzählt, hat mir sehr gut gefallen und Gusto gemacht.

Itza

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  1. Beschreibe ein Essen aus deiner Kindheit, eines das du geliebt hast oder vielleicht eine Mahlzeit des Grauens.

Jeder Tag der Woche war angefüllt, verplant und einer Hauptaufgabe zugeordnet, die Woche für Woche nach ihrer Bestimmung erledigt und abgehakt wurde. Dazu gehören auch Speisen, die es nur an bestimmten Tagen geben konnte. An einem Samstag gab es traditionell immer ein einfaches Gericht, das keine lange Vorbereitungszeit in der Küche benötigt. Und schon durch seine Einfachheit zu etwas Außergewöhnlichem wurde.
Es sind die Jahre, in denen wir Kinder samstags Schule und Unterricht bis 12 oder 13 Uhr hatten. Auch mein Vater gingt samstags seinem Job als Buchhalter in einer Maschinenfabrik nach. Nur meine Mutter verbrachte diesen Vormittag ohne störende Kinder zu Hause. Es war ihr Putztag und sie wirbelte viele Stunden mit dem Staubtuch, Besen und einem feuchten Hader durch unsere kleine Vierzimmer Wohnung.
Sie nutzt gekonnt die Zeit, ungestört die Wohnung auf Vordermann zu bringen und den Wochenendeinkauf auf dem Markt zu erledigen. Frisches Gemüse, Rohkost, Salate, Obst der Saison schleppt sie in großen Taschen, ausreichend für die ganze Woche, nach Hause.
Doch das Essen an den Samstagen, ihrem Putztag, fällt spärlich und eher ungesund aus. Da bleibt keine Zeit, um lange in der Küche zu stehen und zu kochen. Da wir alle an diesem Tag zu unterschiedlichen Zeiten hungrig nach Hause kamen, wurde das ¬ Brötchen in heißem Kakao – Essen erfunden. Es war fast wie ein Festessen für uns. Wann gab es schon Brötchen auf dem Tisch. Die waren im Vergleich zum Brot viel zu teuer und machten auch nicht richtig satt. Doch an diesem Tag verkaufte der Bäcker eine große Tüte Milchbrötchen zum Sparpreis, kurz bevor er mittags seinen Laden fürs Wochenende abschloss.
Und so kam es, dass eine Topf heißer Kakao auf dem Herd stand, wenn wir nach Hause kamen, auf dem eine dicke Schicht Haut schwamm und mir schon beim Geruch des Süßen Kakaos und dem Anblick der Haut, übel wurde. Mein Magen zog sich z einem Knoten zusammen, mir wurde innerlich heiß, und in meinem Mund sammelte sich Spucke. Das kannte ich, ein sicheres Vorzeichen, dass ich mich gleich übergeben musste. Ich hasste heißen Kakao mit Haut und noch dazu das Süße. Ich verzog mich auf unser Minitoilette, die man zum Glück abschließen konnte und verbrachte dort die nächste viertel Stunde. Erst als die Geräusche in der Küche weniger wurden, kam ich aus meinem Versteck, linste in die Küche. Nur meine jüngere Schwester saß noch auf einem Hocker am Küchentisch und schob sich ein triefendes Stück ihres Brötchen, das sie davor in ihre Kaba Tasse getaucht hatte, in den Mund. Das war für mich der ideale Zeitpunkt. Vom heißen Kaba gab es nur noch einen lauwarmen Rest ohne Haut, meine beiden mit Butter beschmierten Milchbrötchen lagen erwartungsvoll im Brotkorb und meine Tasse stand leer auf dem Tisch. Ich holte mir kalte Milch aus dem Kühlschrank, mischte sie mit dem Rest der lauwarmen in meiner Tasse und rührte nur wenig Kaba hinein, so dass eine blass braune Milch entstand, in die ich mein Brötchen ditschte, gierig hinein biss und mit lautem Geräusch die Flüssigkeit aus dem aufgeweichten Brötchen einsaugte, um anschließend den Geschmack der Butter auf der Zunge zergehen zu lassen. Weich löste es sich auf, sobald ich es tiefer in meinem Mund einsog und schnell schluckte. Das war genau die Mischung, die für mich richtig war. Zum Schluss verspeiste ich mein zweites Milchbrötchen ohne Milch, biss herzhaft hinein und genoss diesen einmaligen Geschmack im Mund von echter Butter auf einem Brötchen.
Es hat viele hässliche Diskussionen und viele Zeiten auf der Toilette gebraucht, bis mir meine Mutter erlaubte, mein Samstagsessen so anzurichten und zu verspeisen, wie es für mich erträglich wurde.

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Was ist es, das manche Texte so unglaublich echt erscheinen lässt? So lebendig, obwohl es sich objektiv wirklich nur um Buchstaben auf einem Bildschirm handelt und ich ohnehin nie wissen werde oder wissen muss, wie viel von dem, was hier geschrieben steht, wirklich passiert ist? Ich glaube, es sind Details wie dieses:

Großartig.

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Am Samstag wurde immer gebadet. Die Mutter schrubbte uns nacheinander in der Zinkwanne ab. Am wichtigsten schien die Sauberkeit unsrer Rücken zu sein, denn diesen widmete sie sich besonders intensiv und reinigte sie sorgfältig Zentimeter um Zentimeter. „Mach jetzt die Augen zu, sonst brennt es“, sagte sie, goss warmes Wasser über meinen Kopf und wusch mir die Haare, die sie anschließend mit einem Tuch antrocknete. Dann wies sie mich an, aus der Wanne zu steigen und hüllte mich in ein angewärmtes Duschtuch. Schön waren diese Samstage, wenn der Vater seine Abrechnungen beim Verlag in der Großstadt abgegeben und anschließend beim Kaufhof in der Lebensmittelabteilung noch ein paar Köstlichkeiten besorgt hatte. Mein Bruder und ich hatten nun Bademäntel an und deren Kapuzen auf dem feuchten Haar. „Ihr könnt Euch schon mal hinsetzen“, sagte die Mutter, „das Abendbrot ist so gut wie fertig.“ Vor Rainer und mich stellte sie eine große Tasse mit heißem Kakao, und für jeden zwei Hälften von frischen Brötchen, die sie am Nachmittag beim Bäcker geholt hatte, bevor sie anschließend noch beim Metzger vorbeischaute. Die eine Brötchenhälfte war bestrichen mit Kalbsleberwurst, auf der anderen lag eine Scheibe Tilsiter Käse, feinporig und würzig und ganz bestimmt so wunderbar schmeckend wie seinerzeit in der Heimat, welche die Eltern nach dem Krieg hatten verlassen müssen. Ich biss in das Wurstbrötchen und nahm sofort einen Schluck des Getränks und dessen sahnige Süße ging augenblicklich eine wunderbare Symbiose mit der würzigen Leberwurst ein. Auch der Käse und das süße Getränk passten sehr gut zuseinander und schmeckten so köstlich wie immer. Wenn ich dann im Bett war, in das der Vater eine Wärmflasche gelegt hatte, fühlte ich mich wohlig, geborgen und wunschlos glücklich.

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Geschmorte Butterpilze
Immer wenn der würzige Geruch geschmorter Butterpilze durch unser Haus schwebt und meine Nase verwöhnt, muss ich an meine Großeltern denken. Ich sehe noch heute vor mir, wie Oma in der Küche stand und wie sie auf dem Gasherd in einer schwarzen Pfanne in einem Bett glasiger Zwiebeln, diese braunen Pilze schmorte.
Meist gab es dazu eine dicke Stulle mit ordentlich Butter darauf und eine herzhaft duftende Pilzmahlzeit ließen wir uns schmecken.
Oma war eine hervorragende Köchin.
Herbstzeit ist Pilze Zeit.
Manchmal fuhr ich mit ihnen zusammen in den Wald und wir ernteten früh morgens, an den geheimen Stellen, die nur sie kannten, diese schlüpfrigen braunen Kappen.
In kleinen Körben wurden sie gesammelt und noch am selben Tag von den Mitbringsel des Waldes befreit.
Frisch zubereitet schmecken sie am besten.
Wer macht das noch heutzutage und noch weniger kennen sich mit der Bestimmung aus?
Meine Großeltern wussten das noch alles und teilten ihr Wissen gern.
Ich stand oft mit Oma, die ich liebevoll zusammen mit dem Namen unserer Heimatstadt nannte, am Herd und sie erzählte mir, wie es früher war. Zwischendurch reichte sie mir zum Probieren die Gabel und fragte den Koch in Ausbildung, ob eine Zutat fehlte.
Herbstzeit ist die Zeit der Vergänglichkeit.
Im nächsten Jahr ist es 40 Jahre her, als der Freund meiner Großeltern vor mir an der Haustür stand und meine Eltern sprechen wollte.
Obwohl ich ihn gut kannte, hatte er keine Worte für mich übrig und ging stattdessen mit ernster Miene an mir vorbei.
Der anschließende Weinkrampf meiner Mutter, den ich durch die verschlossene Stubentüre hörte, wollte nicht abebben.

Erst am nächsten Tag erfuhr ich von dem schrecklichen Autounfall an dem unbeschrankten Bahnübergang gleich im Nachbarort und von der Lokomotive die weit nach dem Aufprall zum Stehen kam.
Im Kofferraum des Fahrzeugwracks fand man zusammengequetschte Körbe mit köstlichen Butterpilzen.

Müritzer

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Seitenwind – 1. Woche.

Thema: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig.

Currywurst-Pommes rot-weiß

Brötchen mit Soße für 60 Pfennig? Was für ein, na, nennen wir es mal ausgefallenes Thema.

Was soll man damit anfangen?

Ich meine, was soll man mit dem Brötchen und mit der Soße anfangen? Und dann auch noch beides für 60 Pfennig, wo man doch gar nicht weiß, was man bekommt. Oder würdet ihr das Portemonnaie zücken und einen Betrag auf den Tisch legen, wenn ihr nicht wisst, was es dafür gibt?

Also, ich zahle an der Pommesbude erst, wenn ich sehe, was ich kriege. Warum Pommesbude? Na ja, vielleicht sollte ich einflechten, dass ich mit Brötchen eher den Bäcker assoziiere, aber bei meinem bekomme ich keine Soße. An der Pommesbude kann ich die Wurst im Brötchen bekommen und auf den Pommes verschiedene Soßen. Deshalb kam ich auf die Pommesbude. Zurück zum Bezahlen.

Currywurst-Pommes auf der Theke, erst dann fließt die Knete.

Gut, Currywurst-Pommes ist nicht Brötchen mit Soße. Das würde der Jupp an meiner Lieblingsbude mir zwar machen, aber er würde mich ganz sicher blöd dabei angucken. Nicht, weil er blöd ist, das wäre jetzt falsch verstanden, nein, der Jupp ist ein super Typ, sondern weil er denken würde, ob es mich jetzt auch erwischt hat.

Den Gedanken kann ich einfach erklären. Der Jupp muss bei immer mehr Kunden Aufklärung betreiben. Nicht in Essensachen, sondern bei der Bezahlung. Keiner von den Fragenden hat eine Ahnung, ob er in Zukunft für sein Bürgergeld mehr Pommes bekommt als heute für sein Harz-4. Jupp hat schon überlegt, ob er eine neue Menükarte anfertigt. Eine mit drei Währungsspalten beim Preis, Euro, Hartz-4 und Bürgergeld. Ich habe ihm geraten, noch ne vierte dazu zu nehmen - Kredit.

„Warum?“, hat er mich gefragt.

„Na, überleg doch mal Jupp“, habe ich ihm geantwortet, „mit den Zinsen kannst du doch jetzt wieder mehr verdienen als mit Pommes und Wurst.“

„Und wieviel Zinsen soll ich dann nehmen?“

„Zehn Prozent“

„Zehn Prozent pro was?“

„Pro Monat.“

„Für Pommes genau so viel wir für Wurst? Wurst ist doch besser. Muss doch dann auch teurer sein, oder?“

„Ne, Jupp, mach nicht sowas“, habe ich ihm geraten, „es muss einfach zu rechnen sein. Deine Kunden haben bestimmt nicht immer ‚nen Taschenrechner dabei.“

„Ne, bestimmt nicht. Viele wissen doch gar nicht, wie so ein Ding funktioniert. Sprechen doch nicht alle deutsch, weißt du. Ich kann ja nicht auch noch den Übersetzer für Mathe machen.“

„Lass gut sein, Jupp. Nimm einfach zehn Prozent und fertig.“

„OK, hört sich eigentlich auch gut an. Wenn ich dann genug mit den Zinsen verdiene, brauche ich ja keine Pommes mehr verkaufen.“

„Dann schießt du dir aber selbst ins Knie, Jupp. Worauf willst du denn Zinsen berechnen, wenn du nichts verkaufst.“

„Na, da sieht man wieder mal, warum ich hinter der Theke stehe und du davor“, hat er auf meinen Einwand gekontert. „Weil du kein Geschäftsmann bist.“

„Und was heißt das jetzt?“

Ich war ehrlich verdutzt, weil ich ihm wirklich nicht ganz folgen konnte. Deshalb habe ich das gefragt.

„Jetzt denk du aber mal nach, Junge.“

Jupp hatte plötzlich einen Ausdruck im Blick, so einen überlegenen, der mich irritierte. Zudem stand er hinter seiner Verkaufstheke auch noch höher als ich, was es nicht einfacher für mich machte, mich noch wohlzufühlen. Also musste ich schnell einen schlauen Spruch loswerden.

„Das ist mir zu hoch, Jupp. Ich kann deiner Genialität als Geschäftsmann nicht folgen. Erklär es mir doch einfach. So, wie du es deiner Frau erklären würdest.“

„Jetzt komm mir nicht mit Else, ja. Wenn ich der das sagen würde, hätte ich gleich die Pfanne am Kopf. Du kennst sie doch. Die hat Temperament.“

„Jupp, erklär es dann eben nicht Else, sondern mir. Ich habe keine Pfanne dabei.“

„Na, dann hör mir mal zu. Wenn ich ‚ne Currywurst mit Pommes verkauf, kriege ich vier Euro dafür. Mich kostet das Zeug, mit Einkauf, Energie, Miete und so weiter, drei Euro. Bleibt mir also noch einen Euro übrig. Davon wollen Vatter Staat noch was abhaben, die Krankenkasse und die Rentenversicherung. Am Ende sind’s noch vierzig Cent, die in meine Tasche wandern.“

„OK, das habe ich verstanden. Betriebswirtschaft, erstes Lehrjahr. Aber wie funktioniert jetzt deine Alternative ohne Verkauf?“

„Hör doch erst mal zu, bis ich fertig bin“, zeigte sich Jupp genervt. „Vierzig Cent in meiner Tasche, das sind zehn Prozent von dem, was auf der Karte steht. Dafür mach ich die ganze Arbeit und trage das Risiko. Bei deinem Vorschlag verdiene ich auch zehn Prozent. Und das nach BAT.“

„Was heißt den jetzt BAT?“

„Du bist wirklich kein Geschäftsmann. Tarif, wenn du verstehst, was ich meine?“

„Nee. Was für ein Tarif soll das sein? Du bist doch kein Angestellter. Du bist selbständig.“

„Klar bin ich selbständig. BAT, das heißt ‚Bar Auf Tatze‘. Kapiert?“

„Kapiert. Du meinst Schwarzgeld. Aber ohne Verkauf nützt dir auch dein BAT nix.“

„Doch. Ist ja noch nicht alles. Warum soll ich die Arbeit haben und das Risiko tragen. Ich vermiete die Butze hier und übernehme nur die Finanzierung der Käufe. Dann bin ich nicht mehr der Jupp aus der Pommesbude, dann bin ich Jupp, der Finanzdienstleister. Ich sehe schon meinen Namen auf den Visitenkarten. Dein Vorschlag ist gut. Ich glaube, das mach ich.“

„Nein, Jupp, mach es besser nicht.“

Mein Versuch ihn zu bremsen schien nicht gut bei ihm anzukommen.

„Ja was denn nun? Zinsen oder nicht Zinsen? Warum soll ich das jetzt doch nicht machen?“

„Weil du dann dein Geld nicht mehr wiedersiehst.“

„Wieso das nicht?“

„Weil du dein Geld für die Bratwurst und die Pommes zur Not einklagen kannst. Als Kredithai musst du schon selbst sehen, wie du drankommst. Für das Metier bist du viel zu gutmütig.“

„Mist. Und wie soll ich dann mal weiterkommen?“

„Bleib bei deinen Pommes und der Currywurst. Das sind die besten in der ganzen Stadt. Vergiss das mit den Zinsen. War ein scheiß Vorschlag von mir.“

„Schade“ hat Jupp noch gesagt, „wäre ja auch zu schön gewesen.“

Ich habe dann bezahlt und bin gegangen.

Womit wir wieder beim Thema währen. Es ging ums Bezahlen. Sechzig Pfennig, glaube ich. Hätte der Jupp eh nicht genommen. Der nimmt keine Pfennige. Er will alles auf Euro aufrunden.

Jetzt fällt mir aber auf, dass ich doch einen kleinen Rückzieher machen muss. Das ist mir jetzt peinlich, aber es muss sein. ‚Man‘ habe ich eingangs geschrieben. ‚Man‘ ist aber ziemlich unpräzise. Verallgemeinert zu sehr. Woher soll ich wissen, was andere damit anfangen können? Deshalb ziehe ich mein ‚man‘ zurück und ersetze es durch ‚ich‘. Dann stimmt’s. Dann ist es präzise.

Wenn man es genau nimmt, oder ich es genau nehme, ist aber das ganze Thema unpräzise.

Brötchen mit Soße für 60 Pfennig!

Was ist daran präzise? Was sollen das für Brötchen sein? Oder ist es nur ein Brötchen? Weizen- oder Roggenbrötchen? Mit Käse überbacken oder mit Körnern? Oder ganz ohne? Rosinenbrötchen könnten es auch noch sein, aber Rosinen mit Soße? Pah, das würde selbst ich nicht essen. Also schließen wir die Kombi mal aus.

Und überhaupt, was ist dann mit Schrippen? Sind das auch Brötchen? Oder mit Weckle? Wie sollen Berliner und Schwaben verstehen, worum es geht?

Womit auch schon die Soße ins Spiel kommt. Welche Soße? Die Soße auf Schrippen in Berlin sollte sich doch traditionell von der auf Weckle im Süden unterscheiden. Im Westen würde man wahrscheinlich Ketchup oder Senf nehmen. Oder Mayo. Und dann stellt sich bei der Soße noch die Frage nach dem wie viel. Wie viel Soße passt auf welches Brötchen? Oder wie die Dinger hier auch immer genannt werden sollen. Wenn ich die Soße bezahlen soll, dann will ich auch wissen, wie viel Soße ich kriege. Basta.

Ich verspüre Schweißtropfen auf meiner Stirn. Bezahlen. Sechzig Pfennig. Meine Gedanken rotieren. Das Unpräzise hat mich im Würgegriff und ich nähere mich der Verzweiflung. Was soll ich zu diesem Thema schreiben? Ich weiß es nicht.

Aber dann erkenne ich, dass tatsächlich doch etwas Präzises im Thema steckt. Sechzig!

Da steht eine Zahl, an der es nichts zu deuteln gibt. Sechzig. Oder doch? Schreibt man kurze Zahlen nicht aus? Nein, nein, nein. Davon will ich jetzt nichts wissen.

Ich bin froh, einen Anker gefunden zu haben. Vielleicht fällt mir etwas ein, wenn ich mich an der Zahl Sechzig festhalte, wenn ich mich an ihr aus dem Schlamassel ziehe. Sechzig. Aber sechzig was?

Ich nähere mich dem nächsten Abgrund unpräziser Formulierungen. Da steht doch Pfennig, oder? Pfennig. Igitt. Wer weiß denn schon noch, was das ist. Ne, was das war, muss es richtig heißen. Den gibt’s ja nicht mehr.

Nur, selbst wenn man sich erinnert, welchen Pfennig meinen die? West oder Ost? Ich vermute, die meinen den Westpfennig. Im Osten sagten die ja nicht sechzig Pfennig, sondern sechzig Pfennige. Was zeigt, dass sich die Ossis präziser auszudrücken wissen als die Wessis. Sechzig ist nun mal plural und deshalb heißt es in der Kombination Pfennige und nicht Pfennig.

Also, wenn ich mich hier so schreiben lese, dann verstehe ich, warum mir zu dem Thema nichts einfällt. Wenn meine Frau mir Anweisungen erteilt, dann sind die immer präzise. Man könnte auch sagen, eindeutig. Da weiß ich was mit anzufangen. Da schreibe ich auch schon mal einen ganzen Einkaufszettel einfach so runter. In null Komma nichts.

Aber zu Brötchen mit Soße für sechzig Pfennig, da fällt mir nichts ein, was ich schreiben könnte.

Quatsch mit Soße, da hätte ich was mit anfangen können. Das wäre so schön redundant. Man wäre nicht so festgelegt. Oder verheddere ich mich da gerade?

Seid mir nicht böse. Ich bin selbst traurig darüber, dass ich nicht wirklich etwas beitragen kann.

Euer Jos Balo

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Die Leckerei einer fremden Welt

Es zergeht auf meiner Zunge wie ein Stück Butter in der Pfanne. Es schmeckt aromatisch wie eine frischgegrillte Lende und dennoch sanft und süßlich wie ein Bonbon. Die braune, intensive Farbe lässt es mich schon von Weiten erkennen, die Leckerei der Götter, das auserwählte Mahl … und wie immer treibt es mir den Speichel in den Mund.
Die Konsistenz ist mal weich und mal hart – das bestimmt das Verfallsdatum – aber mit jedem Bissen geht ein Licht in meinem Herzen auf und ich fühle mich selbst wie ein Gott in den Weiten des Universums.
Es lullt mich ein wie ein Lagerfeuer, es zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Es erwärmt meine Seele und füllt meinen Magen …
Es handelt sich um mein Katzenknabberstäbchen.
Und ich bin der Kater Tim.

(Mal etwas ganz anderes – das Lieblingsessen von meinem Kater. Ob ich für diesen Text ein Stück Knabberstäbchen probieren musste? Das lass hier mal offen und danke für deine Aufmerksamkeit!)

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Der Schneehund

Ich kann mich erinnern. Ich lächelte, als wir uns auf den Heimweg machten. Es war ein wundervoller Nachmittag mit meinen zwei Schwestern im Schnee gewesen. Mama hatte uns erlaubt, zum nahe gelegenen Berg zum Schlittenfahren zu gehen. Wir hatten im Vorfeld besser unerwähnt gelassen, dass wir nicht den flacheren, sondern den steilen Berg hatten fahren wollen. Jetzt waren wir nass, durchgefroren und müde. Trotzdem schleppten wir uns nicht nach Hause, stattdessen waren wir von dem besonderen Tag, mit dem erzeugen von Schneeengeln, Fahrspuren in der unberührten Schneedecke und dem Bau eines improvisierten Schneehundes sehr zufrieden – Schneemänner sind schließlich was für kleine Kinder.
Natürlich gab es für unsere ältere Schwester Alex zu Hause direkt ein Donnerwetter. Wir waren stundenlang weg gewesen, es war bereits viel zu dunkel und offenbar war ich so durchgefroren, dass meine Lippen schon blau waren.
Während wir uns umzogen und die nassen Sachen direkt auf den Wäscheständer über der Badewanne aufhängten, bereitete Mama uns in der Küche eine heiße Suppe zu und der Duft köstlich verlockender Fleischbrühe zog durch die Wohnung.
»Wenn ihr eure Hände wascht, dann nur mit kaltem Wasser«, mahnte sie, als sie vorbeischaute, um das Chaos auf dem Wäschereck zu entwirren, welches wir hinterlassen hatten.
Ich nickte, drehte das Wasser ganz kalt und teste die Temperatur.
»Noch nicht«, sagte ich zu meinen Schwestern, denn noch war es warm. Obwohl ich nicht die Jüngste war, aber wohl die kleinste, stand ich auf dem Holzschemel und koordinierte das geschehen.
Nach einer Weile testete ich das Wasser wieder.
»Noch nicht«, sagte ich erneut. »Es ist warm.«
Mama beugte sich über uns hinweg und teste selbst. »Eiskalt. Ihr könnte euch die Finger waschen und dann zum Essen kommen.«
»Aber das Wasser ist doch warm!«, widersprach ich altklug und Mama strich mir über das Haar.
»Natürlich, mein Schatz. Es ist warm, weil du ganz kalte Fingerchen hast. Darum kaltes Wasser. Hättest Du warmes genommen, du hättest nicht gemerkt, wie heiß es ist, und dir womöglich die Finger verbrannt.«
Sofort herrschte ein dichtes Gedränge am Waschbecken, weil meine Schwestern das auch gleich austesten wollten.
Irgendwann, als meine Finger zu kribbeln begangen, trocknete ich sie ab und schlurfte als letzte in die Wohnküche. Denn die mollig warme Wohnung war so schön einlullend und am liebsten hätte ich mich wie ein Kätzchen zum Schlafen an den Kamin gelegt.
Meine jüngere Schwester Sylvia hatte den Löffel bereits erwartungsvoll in der Hand und Mama schöpfte jedem von uns eine Kelle dampfend heißer Nudelsuppe in den Teller. »Also«, sagte sie. »Jetzt erzählt mal. Hattet ihr Spaß?«
Wir plapperten wild darauf los. Berichteten vom älteren Nachbarsjungen, der versucht hatte, uns alle einzuseifen und gegen uns drei keine Chance gehabt hatte. Wir erzählten stolz von dem sitzenden Schneehund. Na gut. Vielleicht war es auch ein verunglückter Schneemann gewesen und wir hatten einfach das Beste daraus gemacht.
Das unzusammenhängende Geplapper am Tisch wurde nur hin und wieder von dem Geräusch der Löffel unterbrochen, wenn sie klirrend gegen das Geschirr stießen … und dem lautstarken HATSCHI von Alex, als sie niesen musste.
»Iiiiihhhh«, quiekte Sylvia. Dann zeigte sie mit dem Löffel auf Alex und begann herzhaft zu lachen.
Nun konnte ich es auch sehen. Eine lange Suppennudel, die ihr wie ein Rotzfaden aus dem rechten Nasenloch hing.
»Was ist los?«, fragte sie wohl aufgrund meines angeekelten Gesichtsausdruckes.
Mama konnte sich das Lachen ebenfalls kaum verkneifen. »Also … da … du hast da … warte!« Sie reicht ihr ein Taschentuch.
Sylvia hingegen hatte den Löffel weggelegt und hielt sich die Nase zu.
»Was machst du?«, fragte ich sie.
»Ich will auch meine Nudeln durch die Nase essen!«, rief sie begeistert.
Mama lachte. Sylvia machte weiter. Alex putzte sich verschämt die Nase. Und ich? Ich hatte keinen Hunger mehr. Und Nudelsuppe konnte ich ab sofort auch nur noch mit dieser Erinnerung essen. Aber immerhin kann ich sie wieder essen.

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Ich finde Deinen Text über die weitergereichten Pralinen auf eine Weise verstörend, dass ich immer wieder beim Scrollen daran hängenbleibe. :thinking: Gedanken und Glaubenssätze, die ungewollt weiterleben in den folgenden Generationen…auch ein spannendes Thema, das zu ergründen.

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Schöne Story, ich mag beides sehr gerne, aber Sauerkraut würde vorne liegen.