Eine Bonusrunde - das ist toll. Dann lasse ich den Nikolaus zum Schluss mal noch einen raushauen. Sozusagen als Weihnachtsgeschenk für alle, die es haben wollen.
Begegnung mit der dritten Art
Sechster Dezember 2022. Das Taxi hielt gegen drei Uhr fünfzehn in der Nacht vor der Einfahrt zum Haus. Geschlagene fünf Minuten brauchte Max, um genug Geld in den Taschen seiner Hose und Jacke zusammen zu kramen und die Fahrt zu bezahlen. Dann öffnete er die Tür des Taxis und versuchte auszusteigen. Weil ihm das nach ein paar Versuchen nicht gelang, stiegt der Fahrer des Taxis genervt aus und half ihm aus dem Wagen und auf die Beine. Während das Taxi davonfuhr, benötigte Max noch einmal drei Minuten für die fünfzehn Meter bis zur Haustür. In seinem Zustand war dies eine echte Herausforderung.
Vor der Haustür angekommen kramte Max erneut in seinen Taschen. Vergeblich suchte er darin nach dem Schlüssel, um die Tür zu öffnen und ins Haus zu kommen. Schließlich fand er ihn doch noch. Allerdings nicht in seinen Taschen, sondern zwischen seinen Zähnen. Bei der Suche nach dem Geld war er ihm schon im Taxi in die Hände gefallen. Instinktiv hatte er ihn sich zwischen die Zähne geschoben, weil er ahnte, dass er ihn gleich brauchen würde.
Im Besitz des Schlüssels versuchte er nun diesen ins Schloss zu bekommen, was sich als nicht ganz einfach herausstellte. Er fand das verdammte Schlüsselloch nämlich nicht. Nach vielen vergeblichen Versuchen lehnte er sich rücklinks an die Haustür und rutschte nach unten, gen Boden. Bis er schließlich auf der Fußmatte zu sitzen kam. Ungläubig starrte er auf den Schlüssel in seiner Hand.
„Du altes Drecksding, du, ähm“, fluchte er, „Was soll der Mist, hey, ich muss da rein, klaro.“
Mit dem letzten Wort seiner Beschimpfung des Schlüssels fielen ihm der Kopf nach vorn und das Kinn auf die Brust. Augenblicklich war ein gurgelndes Schnarchen zu vernehmen. Allerdings war niemand in der Nähe, der es hörte und ihn auf seine missliche Lage hätte hinweisen oder ihm gar behilflich sein können.
Gegen halb vier reagierte sein Körper auf die Kälte, die ihm längst von den Beinen über das Gesäß bis in den Nacken gekrochen war. Nur, weil er plötzlich heftig zu zittern begann, war er aufgewacht und versuchte jetzt unbeholfen auf die Beine zu kommen. Er drehte sich auf die Knie, stützte sich mühsam an der Haustür ab und kam langsam hoch. Weil sein Gesicht dabei fast an der Tür klebte bekam er das Türschloss in sein verklärtes Blickfeld, nachdem er noch vor Kurzem so vergeblich gesucht hatte.
„Ha, da bist du M-m-m-m Miststück ja. Wu-wu-wusste ich doch, dass da so eins sein muss. Puh, is mir k-k-kalt.“
Nach einigen weiteren Versuchen, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen, gelang es ihm tatsächlich und die Tür öffnete sich.
Wie ein räudiger Hund schlich er über die Schwelle und schloss die Tür hinter sich leise, als wolle er niemanden im Haus wecken. Dabei wusste er, dass es dort niemanden gab, den er hätte wecken können.
Da er komplett durchfroren war, beschloss er nicht gleich ins Bett zu gehen, sondern sich im Wohnzimmer erst noch einen wärmenden Schnaps zu gönnen. Als er die Zimmertür öffnete, erschrak er jedoch. Das noch funktionierenden Reste von Adrenalin in seinem Blut vermittelten ihm das Gefühl, wieder nüchtern zu sein.
Ein merkwürdig verkleideter Mann befand sich in dem Raum und hantierte an dem, von Max so geliebten, aber kümmerlich wirkenden Gummibaum herum.
„Hey“, brüllte Max ihn an, „lass den Herbert in Ruh, du Sack, der gehört mir.“
Erschrocken fuhr der Unbekannt herum und blickte Max mit aufgerissenen Augen an.
„Aber, ähm, Entschuldigung“, stammelte er, „ich wollte doch nur, ähm. Na, ich habe halt den Christ-, ähm den Weihnachtsbaum gesucht.“
„Na klar, was auch sonst, Alter. Bist du blöde? Sieht mein Herbert etwa aus wie ein Weihnachtsbaum?“
„Nein, nein, natürlich nicht, aber es ist kein anderes Bäumchen hier im Raum“
„Sach nich Bäumchen zu meinem Herbert, ja. Dat ist nen ausjewachsenen Jummibaum. Der is sons beleidicht.“
„Oh, das möchte ich aber nicht. Ich wollte ihn doch nur etwas schmücken.“
„Schmücken? Ich schmück dich gleich, Bürschchen. Sach ma, wer bis’n du überhaupt?“
„Ich bin, ähm, aber du kennst mich doch, ich bin der Weihnachtsmann. Mich kennt doch jeder.“
„Ja-ja, so siehse auch aus, wie’n Weihnachtsmann, mit deinem roten Frack, der Zippelmütze und dem angeklebten Bart.“
„Mein Bart ist nicht angeklebt, der ist echt. Und alles andere an mir auch.“
„Na klar, alles echt. Ich bin auch echt – echt besoffen. Vielleicht habe ich schon Hallos, wenn du weiss, was ich meine. Wie bisse eigentlich hier reinjekommen? Durch’n Kamin?“
„Nein, natürlich nicht. Das Haus hat doch keinen Kamin. Hier wird doch mit einer Wärmepumpe geheizt.“
„Ach ja, hasse Recht, hab ich grad nich dran gedacht.“
„Ich bin vorne durch die Tür reingekommen, genau wie du.“
„Ne, was? Durch meine Tür? Und woher hasse den Schlüssel?“
„Ich besitze einen Universalschlüssel. Der passt zu allen Schlössern, die es gibt. Sonst kämme ich ja oft nicht in die Häuser.“
„Du wills mich doch verarschen, oder? Sowas gibt’s doch gar nicht.“
„Doch, doch, sowas gibt es. Es ist ein kleines Gerät, das mit KI funktioniert.“
„KI? Spinner. Ich hab noch nie was von nem KI-Schlüssel gehört.“
„Ja, das glaube ich dir. Ihr fangt hier auf der Erde ja erst mit KI an und steckt damit noch mitten in den Kinderschuhen, aber wir da oben nutzen sie schon seit Ewigkeiten.“
„Oh Mann, ich glaub, ich muss das Saufen sein lassen.“
„Das wäre bestimmt gut. Saufen macht nur Probleme.“
„Hah, da sieht man mal wieder, dass du keine Ahnung hast. Saufen macht keine Probleme, sondern schafft sie aus der Welt.“
„Das glaube ich eher nicht. Es versteckt sie nur für eine Weile hinter einem Vorhang, aber wenn der sich öffnet, sind sie alle wieder da.“
„Klugscheißer. So Typen wie dich hab ich gefressen. Was willst du überhaupt hier?“
„Nach meinem Routenplan wohnen hier Maike und Sascha, sechs und acht Jahre alt, und denen wollte ich was zum Nikolaustag bringen. Das ist schließlich mein Job.“
„Alter, du bist ja noch blöder, als ich dachte. Hast nen KI-Schlüssel aber deinen Routenplan wahrscheinlich noch mit Excel gemacht, wa?“
„Nein, das vermutest du falsch. Die Route macht uns auch die KI, aber warum siehst du das so negativ?“
„Ganz einfach, weil es hier keine Maike und keinen Sascha mehr gibt, klar?“
„Nein, das ist mir tatsächlich nicht klar. Was ist denn passiert?“
„Abgehauen.“
„Bitte?“
„Na, abgehauen halt. Die Alte hat sich mit den Blagen vom Hof gemacht.“
Weil die Unterredung schon eine Weile dauerte und noch kein Ende abzusehen war, hatten Max in einen Sessel und der Nikolaus auf dem Sofa Platz genommen.
„Ich nehme an, wegen deiner Sauferei.“
„Klar, weshalb sonst.“
„Warum hast du es dann nicht einfach sein lassen? Wann war das denn?“
„Du kannst Fragen stellen. Woher soll ich das wissen? Und abgehauen sind se im Sommer.“
„Das tut mir leid. Wo kommst du denn jetzt gerade her?“
„Von ner Feier.“
„Ah, verstehe, von der Weihnachtsfeier in der Firma wahrscheinlich.“
„He? Wat denn für ner Firma? Ich war in’ner Kneipe.“
„Ach so. Ich dachte, in der Firma, in der du arbeitest.“
„Du bis ja vielleicht schräg drauf. Ich arbeite in keiner Firma. Ich bin selbständich.“
„Oh, ich wollte dir nicht zu nahetreten. Womit bist du denn selbständig?“
„Harz-vier, ähm, ne, Bürgergeld heißt dat ja jetz.“
„Ah, das ist hart, aber eine richtige Selbständigkeit ist das ja eher nicht.“
„Jetzt werd bloß nich noch frech, sons schmeiß ich dich gleich raus.“
„Nein-nein, das brauchst du nicht, ich gehe von ganz alleine. Es ist mir schon peinlich genug, dass ich hier bei der Arbeit ertappt wurde.“
„Hast jetzt wohl en schlechtes Gewissen, wa? Brauchse aber nich haben. Hab schon lange niemanden mehr hier jehabt, mit dem ich so viel quatschen konnte. Woll’n wir nich noch zusammen einen nehmen? Ich hab nen echt jutes Körnchen da.“
„Nein danke, besser nicht. Ich darf betrunken keinen Schlitten fahren.“
„Man, jetzt lass doch mal den Scheiß. Is doch grad so gemütlich hier. Kannst auch hier auf dem Sofa pennen.“
Max gähnte ungeniert und sah sich dabei um. Irgendwo im Raum musste doch auch diese verflixte Decke liegen. Er hatte sie schon lange nicht mehr benutzt, aber deshalb konnte sie nicht einfach weg sein. Der Nikolaus dachte jedoch nicht daran, sein Angebot anzunehmen und hauchte ihm ein wenig Müdigkeit entgegen.
„Ich habe das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst. Ich bin wirklich der Nikolaus. Ich kann nicht einfach hier schlafen, schließlich habe ich noch eine lange Tour zu erledigen. Es gibt noch viele Kinder, die auf mich warten.“
„Du armer Sack. Auf mich warten keine Kinder, nur morgen Abend Harry, der Wirt.“
Zu mehr Konversation reichte es dann bei Max nicht mehr. Er war plötzlich wieder sehr müde und fiel in seinem Sessel in einen tiefen Schlaf.
Gegen elf Uhr wachte er aus einem Schlaf wieder auf, der in einem EEG glatt als Narkose durchgegangen wäre.
Max rieb sich irritiert die Augen, blinzelte in den Raum hinein und suchte nach Orientierung.
Nach ausgedehnten Zechtouren, wie am Vorabend, war er es gewohnt, die Fäden nicht gleich wieder knüpfen zu können. Die Lücken in seinem Gedächtnis ließen sich dann nicht einfach so schließen. Das war auch an diesem Morgen so, doch diesmal war irgendetwas anders. Nur was es war, das wollte sich ihm nicht wirklich offenbaren.
Kaum, dass er dann glaubte seine Sinne wieder im Griff zu haben, tauchte ein Bild eines Weihnachtsmanns vor seinem geistigen Auge auf und wollte diesen Platz nicht wieder räumen. Eine Weile und einen starken Kaffee später war Max sich sicher, dass ihm der Kerl kürzlich irgendwo über den Weg gelaufen war. Dabei dachte er jedoch nicht an den Wirt, der den ganzen Abend über mit einer dämlichen roten Mütze auf dem Kopf hinter dem Tresen gestanden hatte.
„Vielleicht war es der Taxifahrer“, grübelte er, „oder Jemand, der mir auf dem Weg zum Taxistand in die Quere gekommen ist.“
Klarheit erlangte Max jedoch nicht.
Nach einer Weile weiteren Grübelns schüttelte er sich, ging ins Bad und wusch sich das Gesicht länger als sonst mit kaltem Wasser ab. Danach schaute er sich eine Weile im Spiegel an, der auch mal wieder geputzt werden müsste. Sein Gesicht wirkte matt und kraftlos. Die rot geäderten Augen verliehen ihm den Ausdruck eines Alions und die leicht gerötete Nase deutete eine Erkältung an, die aber keine war.
„Man Alter, siehst du heute wieder scheiße aus. Ich denke, es ist an der Zeit, das Saufen an den Nagel zu hängen.“
Bei all seiner Trübnis kam ihm in den Sinn, dass er seinen einzigen Freund Herbert schon lange nicht mehr gegossen hatte. In einem Anflug von Fürsorge, füllte er ein Glas bis zur Hälfte mit dem feuchten Labsal. Als er damit zurück ins Wohnzimmer kam, fühlte Max sich schon ein wenig besser, doch als er seinem Herbert das Wasser verabreichen wollte, stutzte er.
An einem der, von altem Staub bedeckten Blätter seines Freundes hing ein gänzlich staubfreier, glitzernder Weihnachtsstern an einem ebensolchen Band.
„Was ist das denn?“, fragte er sich, „Wo kommt der denn her? Von mir kann der wohl nicht sein.“
Doch dann erklärte Max es sich so, dass er das Ding wohl aus der Kneipe mitgebracht haben und in der Nacht in einem Anflug von Sentimentalität Herbert ans Blatt gehängt haben musste. Sicher war er sich dabei jedoch nicht. Allerdings hatte er nach Sauftouren schön öffters irgendwelches Zeug mit nach Hause gebracht, von dem sich nicht mehr klären ließ, woher es stammte.
Dann sah er den Zettel, der vor Herberts Topf lag. Max hob ihn auf und las sich vor, was draufstand.
„Lieber Max, es freut mich sehr, dich kennengelernt zu haben. Du hast mir viel von dir erzählt und ich bin mir sicher, dass du es schaffen wirst, vom Alkohol los zu kommen. Um dir zu helfen muss ich dich jedoch auf eine Sache hinweisen, in der du dich selbst in die Irre redest, obwohl dir längst klar ist, was richtig wäre. Es ist die Annahme, dass auf dich keine Kinder warten. Doch sie warten auf dich. Es sind Maike und Sascha. Sie warten nur nicht auf den, der du bis eben noch warst. Sie warten auf ihren Vater, auf den Mann, den sie einmal geliebt haben und den sie gerne wieder lieben würden. Auf den Mann, der sie beschützt und der dafür sorgt, dass sie zu guten Menschen heranwachsen können. Also tu, was du dir vorgenommen hast und bleib stark, denn es wird nicht einfach für dich werden. Aber es wird sich für dich und vor allen Dingen für deine Kinder lohnen. Vielleicht sogar auch für deine Frau. Viel Erfolg und alles Gute wünscht dir ein Freund, der es gut mit dir meint.“
Bevor Max den ungeklärten Fragen, von wem der Zettel stammen könnte und was er sich vorgenommen haben soll, weiter nachgehen konnte, klingelte es an der Haustür. Der Postbote stand davor und begrüßte Max mit einem mitleidigen Blick. Die ziemlich übel riechende Alkoholfahne hatte er schon registriert, bevor die Tür noch ganz geöffnet war.
„Guten Tag Herr Wunderlich. Ich habe hier einen Brief für Sie. Ich wollte ihn nicht einfach vor die Tür ins Nasse legen, aber in Ihren Briefkasten bekomme ich ihn nicht mehr rein. Sie sollten ihn vielleicht mal wieder leeren.“
„Ja, danke“, stammelte Max in einem Anflug von Peinlichkeit und nahm den Brief entgegen, „werde ich gleich nachher mal machen.“
Doch bevor er das Zugesagte tat, trug er den Brief bedächtig ins Wohnzimmer und legte ihn vorsichtig auf dem Tisch dort ab. Max war, als ginge von dem Brief etwas Magisches aus, dass ihn in seinen Bann zog, und traute sich deshalb nicht, ihn gleich zu öffnen. Doch dann gab er sich einen Ruck und riss ihn auf.
„Herzlich willkommen Herr Wunderlich“, las er, „wir freuen uns sehr, dass sie sich unserer Selbsthilfegruppe anschließen wollen und den Mut aufbringen, sich aus den Fängen des Alkohols zu befreien. Wir werden Sie nach Kräften dabei unterstützen und …“
Gegen Ende des Briefes stand noch eine wichtige Information für Max.
„Wir treffen uns das nächste Mal am 7. Dezember um 16 Uhr und freuen uns darauf, Sie in unserer Runde persönlich begrüßen zu dürfen.“
Den ganzen Nikolaustag über fühlte sich Max, als sei er in Watte gehüllt. Die Gerichtsshow im Fernsehen schaute er sich zwar wieder an, aber irgendwie war es ihm diesmal egal, worum es darin ging. Auch seine Lieblingssendung ‚Auf Streife‘ holte ihn nicht in seinem Sessel ab und plätschert nur beiläufig dahin. Gegen achtzehn Uhr schaltete er den Fernseher aus und machte sich für den Abend fertig.
Die Nikolausfete in seiner Kneipe sollte um acht beginnen und mit dem Bus brauchte er eine halbe Stunde um dorthin zu gelangen. Als er um zehn nach acht die Kneipe betrat, war die Party schon in vollem Gange. Wahrscheinlich waren einige Gäste schon um sechs oder sieben Uhr gekommen, weil sie es nicht erwarten konnten, sich ihre Dröhnung abzuholen. Max sein Stammplatz an der Theke war aber noch frei.
„Nabend, Harry“, begrüßte Max den Wirt, der wieder oder immer noch die hässliche rote Nikolausmütze auf dem Kopf trug, die so überhaupt nicht zu seinem aufgequollenen und aschfahlen Gesicht passen wollte.
„Hi Max“, grüßte der Wirt zurück, „bis spät dran heute. Pils und Körnchen, wie immer?“
„Ne, Harry, lass mal stecken. Heute nicht.“
„Wat is los, Max?“, antwortete der Wirt erstaunt, „Is doch Nikolaus oder bisse etwa krank?“
„Ja und nein, ähm oder doch. Ich meine, Nikolaus ist klar und das mit dem Krank sein stimmt wohl auch, Habe ich nur lange nicht gemerkt.“
„Du sprichs in Rätseln, Kumpel, nu red ma Klatext?“
„Ach Harry, ich glaube, dass verstehst du nicht. Ich bin nur gekommen, um meinen Deckel von gestern zu bezahlen. Was kriegst du von mir?“
Der Wirt kramte mürrisch in einer Schublade herum und fingerte einen eng bekritzelten Deckel daraus hervor. Darauf, ihn zusammen zu rechnen, verzichtete er. Sein geübtes Auge war schneller, als jede Rechnerei.
„Gib mich fünfunsechzich. Komm’se gut wie wech, Max.“
Max gab ihm siebzig Euro und sagte, dass es so stimme, was der Neugier des Wirtes neue Nahrung verlieh.
„Man, Junge, was is los? Nu sach schon. Jetz machse mich ganz krank.“
„Nix ist los, Harry, ich bin nur heute aufgewacht und habe gemerkt, dass ich mit dem Saufen endlich aufhören muss.“
„Ne, Max, dat kann‘ze mir nicht antun. Du bist doch hier der beste Kunde.“
„War, Harry, ich war vielleicht der bester Kunde, aber jetzt bin ich es nicht mehr.“
„Dat wird ja immer schlimmer. Erst dieses mist Coronading und jetz haus du auch noch ab. Wie soll dat den weitergehn mit mir? Und was machs du dann?“
„Ganz einfach, Harry, ich hole mir meine Familie zurück. Solltest du vielleicht auch mal versuchen. Ich kann dir eine Adresse geben, wo du Hilfe bekommst.“
„Ne, lass jut sein, Max. Bei mir ist der Zuch längst abjefahrn. Nach fufzehn Jahrn will mich meine Alte nich mehr zurück, aber dir drück ich die Daumen. Janz feste.“
So trennten sich die Wege von Max und Harry, dem Wirt. Doch sie sollten sich nicht für ewig aus den Augen verlieren.
Schon ein Jahr später, kurz vor Weihnachten, trafen sie sich wieder.
„Nein, das glaube ich jetzt nicht. Harry? Was machst du denn hier?“, fragte Max seinen alten Weggefährten, als der unerwartet in der Gesprächsrunde der Selbsthilfegruppe auftauchte.
„Hi Max, Heide is doch noch ma zurück jekommen. Se jibt mich noch ne letzte Chance, aber ich muss dafür die Kneipe drangeben.“
„Das ist ja eine tolle Nachricht, Harry. Wie kam es dazu?“
„Oh man, so ganz richtich kann ich dir dat gar nich ma sagen. Ich hatte neulich so‘ne Bejegnung mit der dritten Art, weiße. Nur war die Art nich wie die in den Film, so mit dünnen Körpern und dicken kahlen Köppen, sondern sahn aus wie der Weihnachtsmann, mit son Bart und so.“
„Ah, verstehe, Harry, so eine Begegnung hatte ich auch mal. Ich glaube, du brauchst mir dazu nichts weiter erklären. Bei mir ist eh schon der leise Verdacht entstanden, dass sich der Weihnachtsmann ganz gezielt bei seiner Arbeit erwischen lässt. Wohl immer, wenn er sieht, dass er uns anders nicht mehr kriegen kann.“
„Versteh ich nich. Was meinze damit, Max?“
„Später, Harry, später. Mach erstmal ein halbes Jahr hier mit, dann können wir wieder drüber reden. Jetzt finde ich es schön, dass du hier bist. Ich habe deine Sprache schon echt oft vermisst. Übrigens, ich habe wieder einen Job und Weinachten feiern wir zuhause das erste Mal wieder alle zusammen.“
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