Seitenwind Bonuswoche 8: Weihnachtlicher Ausrutscher

Gerade noch mal davon gekommen

So leise wie nur irgend möglich, schlich ich mich die Treppen hinauf, in den ersten Stock. Vorbei an einer kleinen Statue und zur ersten Schlafzimmertür. Die Türklinke ließ sich geräuschlos runterdrücken. Ein kurzer Blick, das Bett war leer. Ich ging hinein. An der Kommode zog ich die Schubladen heraus und durchwühlte sie sorgfältig. Dabei tastete ich nach möglichen Schätzen. Meistens fand ich ein paar Goldketten unter der Unterwäsche. Ein Knarren hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um.
„Ups“, sagte der Weihnachtsmann. „gerade dachte ich mir, dass ich was gehört habe. Hätte ich gewusst, dass Du noch nicht schläfst, mein Kind… so was ist mir schon ewig nicht mehr passiert! Du solltest eigentlich schon schlafen!“ Mit einem lauten dumpfen Poltern setze der große bärtige Mann einen riesigen Sack ab, klopfte sich den Schnee von den Handschuhen und streckte mir einen entgegen. „Claus. Santa Claus.“, stellte er sich mit einer melodischen Stimme vor. Ich sah zu, wie ich den Handschuh von Santa packte, beherzt schüttelte und hörte mich gleichzeitig sagen: „Angenehm! Tom Brandy, mein Name!“ Ich hatte keine Erklärung, warum ich so blöd war und meinen Namen verraten hatte.
„Tom Brandy, mein Junge! Bist Du umgezogen? Hatte ich nicht vor ein paar Jahren Dir zur Warnung die Rute unter den Baum legen müssen? Na! Ich verwechsle da was, glaube ich.“ Er lachte. Eine Alkoholfahne stob mir entgegen. Verdattert sah ich ihn an, dann etwas panisch zum geschlossenen Fenster hinter mir. Der Weihnachtsmann griff sich plötzlich in seine Jackentasche. Ich war wie erstarrt. Er zog einen großen bunten Keks heraus. Ich atmete kurz auf. „Hier, nimm einen und lass ihn Dir schmecken!“ Santa streckte mir den Keks entgegen. Ich nahm ihn. Santa Claus sah mich erwartungsvoll an. Da biss ich hinein und spürte sofort einen kleinen Schmerz in meinem linken Backenzahn. Der Keks war verdammt hart. Nach ca. einer Minute hatte ich ihn mit größter Mühe runtergewürgt. Der Weihnachtsmann hatte mich nicht aus den Augen gelassen und grinste nun zufrieden. „Ich wusste, dass sie gut sind. Lecker, hm? Hier, nimm noch einen!“ Ich nahm erneut einen Keks, drehte mich um, warf ihn in die Fensterscheibe und sprang aus dem Fenster, kam auf die Beine und rannte weg.

Es knirscht auf den Dielen.
Becker dreht den Kopf zur Tür:
„Wer schleicht hier herum?“
Eine sanfte Stimme ertönt:
„Der Nikolaus ist da.“
Becker kramt hastig in seiner Tasche.
„110,… Warteschleife… Mist! …Wenn man sie mal braucht…“
Er schmeißt das Händi unwirsch in die Ecke.
Der Ankömmling rückt eine klein geratene Mitra auf seinem kahlen Kopf zurecht und klopft schwarzen Staub aus seinem aufwendig bestickten Mantel.
Becker muß niesen.
„Hast du die Terrassentür aufgehebelt?“
„Ich nehme immer den gleichen Weg.“
„Ich habe meine alte Dienstpistole in der Tasche. Verschwinde zu deinen schlecht bezahlten Kollegen.“
„In deiner Tasche steckt nur ein benutztes Taschentuch.“
Becker blickt überrascht auf.
„Außerdem habe ich keine Kollegen. Ich bin der einzige.“
„Aufschneider! Was auch immer du in diesem Sack herum schleppst, nimm es wieder mit.“
„Schade. Es ist nur für dich bestimmt. Und sehr alt.“
„Was heißt alt?“
„Bei uns ist fast alles alt. Die Generationen von Typen, die herum hocken und nicht wissen, wie sie die Zeit…hmm, ich schweige besser.“
„Generationen von Typen? Was redest du Quatschkopf da?“
" Nun ja, … Ich habe vor kurzem mit Karl gesprochen." „Karl? Mein Nachbar?“
„Nein. Es war Karl, … der Große. Wirklich ein großes Tier. Trifft sich von Zeit zu Zeit mit Kollegen. Maximilian, Friedrich, Wilhelm, Hirohito, Dschingis Khan, oft noch andere. Ich serviere dann die Getränke.“
Becker wird laut:
„Mieser Aufschneider…verschwinde! Verschwinde augenblicklich mit Sack und Pack!“
Ein Seufzer… Wieder Ruß in der Luft.
Becker niest.

Wunsch ist Wunsch

Ich saß auf der Toilette und checkte gerade die Klicks und Likes meines letzten Youtubevideos auf meinem Handy, als eine raue Stimme aus dem Wohnzimmer prustete: „Nein, nicht da hin! Du kannst das Rote doch nicht neben das Orangene legen! Denk doch mal nach, Kerl!“

Ich zog mir die Hose hoch und schloss den Deckel des WCs mit äußerster Vorsicht – bloß keinen unnötigen Lärm verursachen. Ganz langsam drückte ich die Klinke der Badtür herunter und lugte durch den Türspalt ins Wohnzimmer.
Was ich da sah, raubte mir den Atem. Rasch schaltete ich die Kamera meines Smartphones ein und startete die Videoaufnahme. Ein dicker Kerl mit roter Bommelmütze saß da in meinem Fernsehsessel und verschlang meine Kekse. Während dessen schoben kleine dürre Wichte in Ringelsocken und grünen Jäckchen riesen Pakete vor dem Tannenbaum hin und her. Schwitzend stöhnten sie: „So, Chef?“

„Mhm, naja …“, begann er mit der Hand nach der Keksschale neben sich greifend, „Legt das kleine Grüne lieber auf das dünne Gelbe – aber unbedingt um 45 Grad zum Kamin gedreht, dann wirkt die Schleife besser!“ Der nächste Keks verschwand in seinem Schlund.
Eine tiefe brummige Stimme rief aus dem Kamin: „Achtung, ich komme jetzt!“
Dann bebte der Boden des Wohnzimmers. Ich spürte es bis ins Bad – meine Zahnbürste klapperte kurz im Zahnputzbecher. Eine riesen Aschewolke wallte durch das Wohnzimmer. „Mein schöner Teppich!“, flüsterte ich. Ich wäre fast aus dem Bad gestürmt, doch was ich dann erblickte, ließ mich erschaudern. Ein hochgewachsenes, haariges Wesen mit Ziegenhörnern kroch aus meinem Kamin. „Wo sind die bösen Kinder?“, rief es.
„Psst, Krampus! Bist du wohl leise! Hier gibt es gar keine Kinder. Die sind nebenan bei Müllers! Geh schon mal rüber!“
„Aber hier die heißen auch Müller“, rechtfertigte sich Krampus.
„Ja, geh einfach zu den Nachbarn.“
Das riesige Geschöpf, das schon arg an Chewbacca erinnerte, trampelte durch das Wohnzimmer. Dabei warf es den Weihnachtsbaum um und riss die Weihnachtsdeko vom Regal. Der dicke Kerl im Sessel schimpfte mit vollem Munde: „Mensch, pass doch auf, ey!“
Kalter Wind pfiff durch das Wohnzimmer, während die kleinen Männer – mussten wohl Wichtel sein – sich abmühten, den Baum wieder aufzurichten. „Und mach die Tür zu!“ Es knallte, dass die Fenster erzitterten.
„Die demolieren mir meine ganze Einrichtung“, stellte ich leise fest. Weiter hielt ich die Kamera auf die Geschehnisse im Wohnzimmer.
Ich hoffte inständig, dass meine Glaskugeln nicht alle zerbrochen sind. Langsam schafften die kleinen Elfen es, den Weihnachtsbaum wieder hinzustellen, da brüllte Krampus durch den Kamin: „Nebenan wohnen aber keine Kinder.“ Jetzt erhob sich der Dicke endlich von meinem Sessel, rückte seinen schwarzen Gürtel zurecht, stopfte sich noch einen Keks in seinen Mund und polterte zum Kamin. War das wirklich der Weihnachtsmann? Er wirkt viel mehr wie ein verschwitzter, graubärtiger Obdachloser. Wo hat er seinen roten Mantel? Oder ist das wirklich nur eine Idee von Coca Cola? Mit einer Hand stützte er sich gegen den Kaminschacht und rief: „Bist du dir sicher, dass du bei Familie Müller warst?“
„Ja, das ist nur ein altes Ehepaar“, antwortete Krampus, „Waren die vielleicht böse und ich nehme die statt der Kinder mit?“
„Welche Hausnummer war das?“
Es polterte auf dem Dach hin – und bald darauf wieder zurück. Dann rief es von oben: „Hausnummer fünfzehn.“
Der Weihnachtsmann nahm seine Mütze ab und fluchte: „Verdammt, warum müssen die alle gleich heißen?“ Dann richtete er wieder das Wort an Krampus und rief: „Geh mal zu Hausnummer siebzehn – die heißen auch Müller!“
Es polterte erneut auf dem Dach. „Oh die Kekse. Bin mal kurz auf der Toilette ihr Kleinen. Macht schon mal Ordnung!“, befahl der Weihnachtsmann und kam mir entgegen.
Jetzt werde ich dem mal so richtig die Meinung geigen! Niemand hinterlässt mein Wohnzimmer so dermaßen dreckig. Er riss die Tür auf und … sah mich mit dem Smartphone im Badezimmer stehen. Er rührte sich nicht, der Schock war ihm ins Gesicht geschrieben. Er fühlte sich ertappt. Mein verunstaltetes Wohnzimmer machte mich rasend. Ich sagte: „Na, ho-ho-hol mal fix den Staubsauger und einen Eimer Wasser mit Fit und reinige mein Wohnzimmer!“
Der Dicke baute eine brüchige Fassade auf und sprach von oben herab: „Sonst was?“
Meine folgenden Worte kamen eher unüberlegt, aber direkt: „Sonst erzähle ich allen Kindern, was für ein verfressener, fauler Sack du bist und, dass Krampus viel cooler ist als du? Ach ja, und das Ding mit dem roten Mantel scheint ja auch gelogen. Außerdem kann ich dieses Video bei Youtube hochladen.“
„Ok, ok, ok… mach mal ganz ruhig, mein Guter. Lass uns das wie Erwachsene klären. Meine Hauselfen sind ja schon dabei, alles wieder zu reinigen. Deine Wohnung wird hinterher blitzen und funkeln, wie noch nie. Und, hey … was wünschst du dir am meisten?“
Ich wusste genau, was ich mir jetzt wünschte. Denn Wunsch ist Wunsch und ich hatte den Weihnachtsmann so richtig an der Angel.
„Ich wünsche mir, dass du dich endlich dran machst und sofort mein Wohnzimmer schrubbst. Und zwar dalli!“
„Wird gemacht!“ Eilend stapfte der Weihnachtsmann zurück ins Wohnzimmer und nahm den kleinen Wichten einen Lappen weg und begann, zu putzen. Ich hielt alles mit meiner Handykamera fest. Auch Krampus kam zurück in die Wohnung und brüllte: „Ich finde die Nummer siebzehn nicht. Wo ist …“ Er verstummte, als er mich mit der Handykamera und den Weihnachtsmann den Boden putzend sah.
„Ähm, was ist hier los? Warum putzt du die Wohnung und er filmt dich dabei?“
„Frag nicht so blöde“, schimpfte der Weihnachtsmann, „und mach einfach mit!“
Mit schoss da noch eine Frage durch den Kopf: „Weihnachtsmann, verrate mir doch mal, warum du eigentlich keinen roten Mantel trägst.“
„Ich habe dir gesagt, du musst das jetzt durchziehen!“, merkte Krampus an und erntete einen harten Ellenbogen dafür.
Coca Cola wollte, dass ich den in ihrem Werbespot trage. Ich fand den von Anfang an doof. Aber diese braune Brühe schmeckt mir einfach zu gut und ich ließ mich auf einen Deal ein.
„Ah, ja“, das klang interessant und ich hatte alles aufgezeichnet auf meinem Smartphone.

Und so putzten der Weihnachtsmann und Krampus mein Wohnzimmer.
Dies war definitiv mein bestes Weihnachtsfest.

Eine Bonusrunde - das ist toll. Dann lasse ich den Nikolaus zum Schluss mal noch einen raushauen. Sozusagen als Weihnachtsgeschenk für alle, die es haben wollen.

Begegnung mit der dritten Art

Sechster Dezember 2022. Das Taxi hielt gegen drei Uhr fünfzehn in der Nacht vor der Einfahrt zum Haus. Geschlagene fünf Minuten brauchte Max, um genug Geld in den Taschen seiner Hose und Jacke zusammen zu kramen und die Fahrt zu bezahlen. Dann öffnete er die Tür des Taxis und versuchte auszusteigen. Weil ihm das nach ein paar Versuchen nicht gelang, stiegt der Fahrer des Taxis genervt aus und half ihm aus dem Wagen und auf die Beine. Während das Taxi davonfuhr, benötigte Max noch einmal drei Minuten für die fünfzehn Meter bis zur Haustür. In seinem Zustand war dies eine echte Herausforderung.

Vor der Haustür angekommen kramte Max erneut in seinen Taschen. Vergeblich suchte er darin nach dem Schlüssel, um die Tür zu öffnen und ins Haus zu kommen. Schließlich fand er ihn doch noch. Allerdings nicht in seinen Taschen, sondern zwischen seinen Zähnen. Bei der Suche nach dem Geld war er ihm schon im Taxi in die Hände gefallen. Instinktiv hatte er ihn sich zwischen die Zähne geschoben, weil er ahnte, dass er ihn gleich brauchen würde.

Im Besitz des Schlüssels versuchte er nun diesen ins Schloss zu bekommen, was sich als nicht ganz einfach herausstellte. Er fand das verdammte Schlüsselloch nämlich nicht. Nach vielen vergeblichen Versuchen lehnte er sich rücklinks an die Haustür und rutschte nach unten, gen Boden. Bis er schließlich auf der Fußmatte zu sitzen kam. Ungläubig starrte er auf den Schlüssel in seiner Hand.

„Du altes Drecksding, du, ähm“, fluchte er, „Was soll der Mist, hey, ich muss da rein, klaro.“

Mit dem letzten Wort seiner Beschimpfung des Schlüssels fielen ihm der Kopf nach vorn und das Kinn auf die Brust. Augenblicklich war ein gurgelndes Schnarchen zu vernehmen. Allerdings war niemand in der Nähe, der es hörte und ihn auf seine missliche Lage hätte hinweisen oder ihm gar behilflich sein können.

Gegen halb vier reagierte sein Körper auf die Kälte, die ihm längst von den Beinen über das Gesäß bis in den Nacken gekrochen war. Nur, weil er plötzlich heftig zu zittern begann, war er aufgewacht und versuchte jetzt unbeholfen auf die Beine zu kommen. Er drehte sich auf die Knie, stützte sich mühsam an der Haustür ab und kam langsam hoch. Weil sein Gesicht dabei fast an der Tür klebte bekam er das Türschloss in sein verklärtes Blickfeld, nachdem er noch vor Kurzem so vergeblich gesucht hatte.

„Ha, da bist du M-m-m-m Miststück ja. Wu-wu-wusste ich doch, dass da so eins sein muss. Puh, is mir k-k-kalt.“

Nach einigen weiteren Versuchen, den Schlüssel ins Schloss zu bekommen, gelang es ihm tatsächlich und die Tür öffnete sich.

Wie ein räudiger Hund schlich er über die Schwelle und schloss die Tür hinter sich leise, als wolle er niemanden im Haus wecken. Dabei wusste er, dass es dort niemanden gab, den er hätte wecken können.

Da er komplett durchfroren war, beschloss er nicht gleich ins Bett zu gehen, sondern sich im Wohnzimmer erst noch einen wärmenden Schnaps zu gönnen. Als er die Zimmertür öffnete, erschrak er jedoch. Das noch funktionierenden Reste von Adrenalin in seinem Blut vermittelten ihm das Gefühl, wieder nüchtern zu sein.

Ein merkwürdig verkleideter Mann befand sich in dem Raum und hantierte an dem, von Max so geliebten, aber kümmerlich wirkenden Gummibaum herum.

„Hey“, brüllte Max ihn an, „lass den Herbert in Ruh, du Sack, der gehört mir.“

Erschrocken fuhr der Unbekannt herum und blickte Max mit aufgerissenen Augen an.

„Aber, ähm, Entschuldigung“, stammelte er, „ich wollte doch nur, ähm. Na, ich habe halt den Christ-, ähm den Weihnachtsbaum gesucht.“

„Na klar, was auch sonst, Alter. Bist du blöde? Sieht mein Herbert etwa aus wie ein Weihnachtsbaum?“

„Nein, nein, natürlich nicht, aber es ist kein anderes Bäumchen hier im Raum“

„Sach nich Bäumchen zu meinem Herbert, ja. Dat ist nen ausjewachsenen Jummibaum. Der is sons beleidicht.“

„Oh, das möchte ich aber nicht. Ich wollte ihn doch nur etwas schmücken.“

„Schmücken? Ich schmück dich gleich, Bürschchen. Sach ma, wer bis’n du überhaupt?“

„Ich bin, ähm, aber du kennst mich doch, ich bin der Weihnachtsmann. Mich kennt doch jeder.“

„Ja-ja, so siehse auch aus, wie’n Weihnachtsmann, mit deinem roten Frack, der Zippelmütze und dem angeklebten Bart.“

„Mein Bart ist nicht angeklebt, der ist echt. Und alles andere an mir auch.“

„Na klar, alles echt. Ich bin auch echt – echt besoffen. Vielleicht habe ich schon Hallos, wenn du weiss, was ich meine. Wie bisse eigentlich hier reinjekommen? Durch’n Kamin?“

„Nein, natürlich nicht. Das Haus hat doch keinen Kamin. Hier wird doch mit einer Wärmepumpe geheizt.“

„Ach ja, hasse Recht, hab ich grad nich dran gedacht.“

„Ich bin vorne durch die Tür reingekommen, genau wie du.“

„Ne, was? Durch meine Tür? Und woher hasse den Schlüssel?“

„Ich besitze einen Universalschlüssel. Der passt zu allen Schlössern, die es gibt. Sonst kämme ich ja oft nicht in die Häuser.“

„Du wills mich doch verarschen, oder? Sowas gibt’s doch gar nicht.“

„Doch, doch, sowas gibt es. Es ist ein kleines Gerät, das mit KI funktioniert.“

„KI? Spinner. Ich hab noch nie was von nem KI-Schlüssel gehört.“

„Ja, das glaube ich dir. Ihr fangt hier auf der Erde ja erst mit KI an und steckt damit noch mitten in den Kinderschuhen, aber wir da oben nutzen sie schon seit Ewigkeiten.“

„Oh Mann, ich glaub, ich muss das Saufen sein lassen.“

„Das wäre bestimmt gut. Saufen macht nur Probleme.“

„Hah, da sieht man mal wieder, dass du keine Ahnung hast. Saufen macht keine Probleme, sondern schafft sie aus der Welt.“

„Das glaube ich eher nicht. Es versteckt sie nur für eine Weile hinter einem Vorhang, aber wenn der sich öffnet, sind sie alle wieder da.“

„Klugscheißer. So Typen wie dich hab ich gefressen. Was willst du überhaupt hier?“

„Nach meinem Routenplan wohnen hier Maike und Sascha, sechs und acht Jahre alt, und denen wollte ich was zum Nikolaustag bringen. Das ist schließlich mein Job.“

„Alter, du bist ja noch blöder, als ich dachte. Hast nen KI-Schlüssel aber deinen Routenplan wahrscheinlich noch mit Excel gemacht, wa?“

„Nein, das vermutest du falsch. Die Route macht uns auch die KI, aber warum siehst du das so negativ?“

„Ganz einfach, weil es hier keine Maike und keinen Sascha mehr gibt, klar?“

„Nein, das ist mir tatsächlich nicht klar. Was ist denn passiert?“

„Abgehauen.“

„Bitte?“

„Na, abgehauen halt. Die Alte hat sich mit den Blagen vom Hof gemacht.“

Weil die Unterredung schon eine Weile dauerte und noch kein Ende abzusehen war, hatten Max in einen Sessel und der Nikolaus auf dem Sofa Platz genommen.

„Ich nehme an, wegen deiner Sauferei.“

„Klar, weshalb sonst.“

„Warum hast du es dann nicht einfach sein lassen? Wann war das denn?“

„Du kannst Fragen stellen. Woher soll ich das wissen? Und abgehauen sind se im Sommer.“

„Das tut mir leid. Wo kommst du denn jetzt gerade her?“

„Von ner Feier.“

„Ah, verstehe, von der Weihnachtsfeier in der Firma wahrscheinlich.“

„He? Wat denn für ner Firma? Ich war in’ner Kneipe.“

„Ach so. Ich dachte, in der Firma, in der du arbeitest.“

„Du bis ja vielleicht schräg drauf. Ich arbeite in keiner Firma. Ich bin selbständich.“

„Oh, ich wollte dir nicht zu nahetreten. Womit bist du denn selbständig?“

„Harz-vier, ähm, ne, Bürgergeld heißt dat ja jetz.“

„Ah, das ist hart, aber eine richtige Selbständigkeit ist das ja eher nicht.“

„Jetzt werd bloß nich noch frech, sons schmeiß ich dich gleich raus.“

„Nein-nein, das brauchst du nicht, ich gehe von ganz alleine. Es ist mir schon peinlich genug, dass ich hier bei der Arbeit ertappt wurde.“

„Hast jetzt wohl en schlechtes Gewissen, wa? Brauchse aber nich haben. Hab schon lange niemanden mehr hier jehabt, mit dem ich so viel quatschen konnte. Woll’n wir nich noch zusammen einen nehmen? Ich hab nen echt jutes Körnchen da.“

„Nein danke, besser nicht. Ich darf betrunken keinen Schlitten fahren.“

„Man, jetzt lass doch mal den Scheiß. Is doch grad so gemütlich hier. Kannst auch hier auf dem Sofa pennen.“

Max gähnte ungeniert und sah sich dabei um. Irgendwo im Raum musste doch auch diese verflixte Decke liegen. Er hatte sie schon lange nicht mehr benutzt, aber deshalb konnte sie nicht einfach weg sein. Der Nikolaus dachte jedoch nicht daran, sein Angebot anzunehmen und hauchte ihm ein wenig Müdigkeit entgegen.

„Ich habe das Gefühl, du nimmst mich nicht ernst. Ich bin wirklich der Nikolaus. Ich kann nicht einfach hier schlafen, schließlich habe ich noch eine lange Tour zu erledigen. Es gibt noch viele Kinder, die auf mich warten.“

„Du armer Sack. Auf mich warten keine Kinder, nur morgen Abend Harry, der Wirt.“

Zu mehr Konversation reichte es dann bei Max nicht mehr. Er war plötzlich wieder sehr müde und fiel in seinem Sessel in einen tiefen Schlaf.

Gegen elf Uhr wachte er aus einem Schlaf wieder auf, der in einem EEG glatt als Narkose durchgegangen wäre.

Max rieb sich irritiert die Augen, blinzelte in den Raum hinein und suchte nach Orientierung.

Nach ausgedehnten Zechtouren, wie am Vorabend, war er es gewohnt, die Fäden nicht gleich wieder knüpfen zu können. Die Lücken in seinem Gedächtnis ließen sich dann nicht einfach so schließen. Das war auch an diesem Morgen so, doch diesmal war irgendetwas anders. Nur was es war, das wollte sich ihm nicht wirklich offenbaren.

Kaum, dass er dann glaubte seine Sinne wieder im Griff zu haben, tauchte ein Bild eines Weihnachtsmanns vor seinem geistigen Auge auf und wollte diesen Platz nicht wieder räumen. Eine Weile und einen starken Kaffee später war Max sich sicher, dass ihm der Kerl kürzlich irgendwo über den Weg gelaufen war. Dabei dachte er jedoch nicht an den Wirt, der den ganzen Abend über mit einer dämlichen roten Mütze auf dem Kopf hinter dem Tresen gestanden hatte.

„Vielleicht war es der Taxifahrer“, grübelte er, „oder Jemand, der mir auf dem Weg zum Taxistand in die Quere gekommen ist.“

Klarheit erlangte Max jedoch nicht.

Nach einer Weile weiteren Grübelns schüttelte er sich, ging ins Bad und wusch sich das Gesicht länger als sonst mit kaltem Wasser ab. Danach schaute er sich eine Weile im Spiegel an, der auch mal wieder geputzt werden müsste. Sein Gesicht wirkte matt und kraftlos. Die rot geäderten Augen verliehen ihm den Ausdruck eines Alions und die leicht gerötete Nase deutete eine Erkältung an, die aber keine war.

„Man Alter, siehst du heute wieder scheiße aus. Ich denke, es ist an der Zeit, das Saufen an den Nagel zu hängen.“

Bei all seiner Trübnis kam ihm in den Sinn, dass er seinen einzigen Freund Herbert schon lange nicht mehr gegossen hatte. In einem Anflug von Fürsorge, füllte er ein Glas bis zur Hälfte mit dem feuchten Labsal. Als er damit zurück ins Wohnzimmer kam, fühlte Max sich schon ein wenig besser, doch als er seinem Herbert das Wasser verabreichen wollte, stutzte er.

An einem der, von altem Staub bedeckten Blätter seines Freundes hing ein gänzlich staubfreier, glitzernder Weihnachtsstern an einem ebensolchen Band.

„Was ist das denn?“, fragte er sich, „Wo kommt der denn her? Von mir kann der wohl nicht sein.“

Doch dann erklärte Max es sich so, dass er das Ding wohl aus der Kneipe mitgebracht haben und in der Nacht in einem Anflug von Sentimentalität Herbert ans Blatt gehängt haben musste. Sicher war er sich dabei jedoch nicht. Allerdings hatte er nach Sauftouren schön öffters irgendwelches Zeug mit nach Hause gebracht, von dem sich nicht mehr klären ließ, woher es stammte.

Dann sah er den Zettel, der vor Herberts Topf lag. Max hob ihn auf und las sich vor, was draufstand.

„Lieber Max, es freut mich sehr, dich kennengelernt zu haben. Du hast mir viel von dir erzählt und ich bin mir sicher, dass du es schaffen wirst, vom Alkohol los zu kommen. Um dir zu helfen muss ich dich jedoch auf eine Sache hinweisen, in der du dich selbst in die Irre redest, obwohl dir längst klar ist, was richtig wäre. Es ist die Annahme, dass auf dich keine Kinder warten. Doch sie warten auf dich. Es sind Maike und Sascha. Sie warten nur nicht auf den, der du bis eben noch warst. Sie warten auf ihren Vater, auf den Mann, den sie einmal geliebt haben und den sie gerne wieder lieben würden. Auf den Mann, der sie beschützt und der dafür sorgt, dass sie zu guten Menschen heranwachsen können. Also tu, was du dir vorgenommen hast und bleib stark, denn es wird nicht einfach für dich werden. Aber es wird sich für dich und vor allen Dingen für deine Kinder lohnen. Vielleicht sogar auch für deine Frau. Viel Erfolg und alles Gute wünscht dir ein Freund, der es gut mit dir meint.“

Bevor Max den ungeklärten Fragen, von wem der Zettel stammen könnte und was er sich vorgenommen haben soll, weiter nachgehen konnte, klingelte es an der Haustür. Der Postbote stand davor und begrüßte Max mit einem mitleidigen Blick. Die ziemlich übel riechende Alkoholfahne hatte er schon registriert, bevor die Tür noch ganz geöffnet war.

„Guten Tag Herr Wunderlich. Ich habe hier einen Brief für Sie. Ich wollte ihn nicht einfach vor die Tür ins Nasse legen, aber in Ihren Briefkasten bekomme ich ihn nicht mehr rein. Sie sollten ihn vielleicht mal wieder leeren.“

„Ja, danke“, stammelte Max in einem Anflug von Peinlichkeit und nahm den Brief entgegen, „werde ich gleich nachher mal machen.“

Doch bevor er das Zugesagte tat, trug er den Brief bedächtig ins Wohnzimmer und legte ihn vorsichtig auf dem Tisch dort ab. Max war, als ginge von dem Brief etwas Magisches aus, dass ihn in seinen Bann zog, und traute sich deshalb nicht, ihn gleich zu öffnen. Doch dann gab er sich einen Ruck und riss ihn auf.

„Herzlich willkommen Herr Wunderlich“, las er, „wir freuen uns sehr, dass sie sich unserer Selbsthilfegruppe anschließen wollen und den Mut aufbringen, sich aus den Fängen des Alkohols zu befreien. Wir werden Sie nach Kräften dabei unterstützen und …“

Gegen Ende des Briefes stand noch eine wichtige Information für Max.

„Wir treffen uns das nächste Mal am 7. Dezember um 16 Uhr und freuen uns darauf, Sie in unserer Runde persönlich begrüßen zu dürfen.“

Den ganzen Nikolaustag über fühlte sich Max, als sei er in Watte gehüllt. Die Gerichtsshow im Fernsehen schaute er sich zwar wieder an, aber irgendwie war es ihm diesmal egal, worum es darin ging. Auch seine Lieblingssendung ‚Auf Streife‘ holte ihn nicht in seinem Sessel ab und plätschert nur beiläufig dahin. Gegen achtzehn Uhr schaltete er den Fernseher aus und machte sich für den Abend fertig.

Die Nikolausfete in seiner Kneipe sollte um acht beginnen und mit dem Bus brauchte er eine halbe Stunde um dorthin zu gelangen. Als er um zehn nach acht die Kneipe betrat, war die Party schon in vollem Gange. Wahrscheinlich waren einige Gäste schon um sechs oder sieben Uhr gekommen, weil sie es nicht erwarten konnten, sich ihre Dröhnung abzuholen. Max sein Stammplatz an der Theke war aber noch frei.

„Nabend, Harry“, begrüßte Max den Wirt, der wieder oder immer noch die hässliche rote Nikolausmütze auf dem Kopf trug, die so überhaupt nicht zu seinem aufgequollenen und aschfahlen Gesicht passen wollte.

„Hi Max“, grüßte der Wirt zurück, „bis spät dran heute. Pils und Körnchen, wie immer?“

„Ne, Harry, lass mal stecken. Heute nicht.“

„Wat is los, Max?“, antwortete der Wirt erstaunt, „Is doch Nikolaus oder bisse etwa krank?“

„Ja und nein, ähm oder doch. Ich meine, Nikolaus ist klar und das mit dem Krank sein stimmt wohl auch, Habe ich nur lange nicht gemerkt.“

„Du sprichs in Rätseln, Kumpel, nu red ma Klatext?“

„Ach Harry, ich glaube, dass verstehst du nicht. Ich bin nur gekommen, um meinen Deckel von gestern zu bezahlen. Was kriegst du von mir?“

Der Wirt kramte mürrisch in einer Schublade herum und fingerte einen eng bekritzelten Deckel daraus hervor. Darauf, ihn zusammen zu rechnen, verzichtete er. Sein geübtes Auge war schneller, als jede Rechnerei.

„Gib mich fünfunsechzich. Komm’se gut wie wech, Max.“

Max gab ihm siebzig Euro und sagte, dass es so stimme, was der Neugier des Wirtes neue Nahrung verlieh.

„Man, Junge, was is los? Nu sach schon. Jetz machse mich ganz krank.“

„Nix ist los, Harry, ich bin nur heute aufgewacht und habe gemerkt, dass ich mit dem Saufen endlich aufhören muss.“

„Ne, Max, dat kann‘ze mir nicht antun. Du bist doch hier der beste Kunde.“

„War, Harry, ich war vielleicht der bester Kunde, aber jetzt bin ich es nicht mehr.“

„Dat wird ja immer schlimmer. Erst dieses mist Coronading und jetz haus du auch noch ab. Wie soll dat den weitergehn mit mir? Und was machs du dann?“

„Ganz einfach, Harry, ich hole mir meine Familie zurück. Solltest du vielleicht auch mal versuchen. Ich kann dir eine Adresse geben, wo du Hilfe bekommst.“

„Ne, lass jut sein, Max. Bei mir ist der Zuch längst abjefahrn. Nach fufzehn Jahrn will mich meine Alte nich mehr zurück, aber dir drück ich die Daumen. Janz feste.“

So trennten sich die Wege von Max und Harry, dem Wirt. Doch sie sollten sich nicht für ewig aus den Augen verlieren.

Schon ein Jahr später, kurz vor Weihnachten, trafen sie sich wieder.

„Nein, das glaube ich jetzt nicht. Harry? Was machst du denn hier?“, fragte Max seinen alten Weggefährten, als der unerwartet in der Gesprächsrunde der Selbsthilfegruppe auftauchte.

„Hi Max, Heide is doch noch ma zurück jekommen. Se jibt mich noch ne letzte Chance, aber ich muss dafür die Kneipe drangeben.“

„Das ist ja eine tolle Nachricht, Harry. Wie kam es dazu?“

„Oh man, so ganz richtich kann ich dir dat gar nich ma sagen. Ich hatte neulich so‘ne Bejegnung mit der dritten Art, weiße. Nur war die Art nich wie die in den Film, so mit dünnen Körpern und dicken kahlen Köppen, sondern sahn aus wie der Weihnachtsmann, mit son Bart und so.“

„Ah, verstehe, Harry, so eine Begegnung hatte ich auch mal. Ich glaube, du brauchst mir dazu nichts weiter erklären. Bei mir ist eh schon der leise Verdacht entstanden, dass sich der Weihnachtsmann ganz gezielt bei seiner Arbeit erwischen lässt. Wohl immer, wenn er sieht, dass er uns anders nicht mehr kriegen kann.“

„Versteh ich nich. Was meinze damit, Max?“

„Später, Harry, später. Mach erstmal ein halbes Jahr hier mit, dann können wir wieder drüber reden. Jetzt finde ich es schön, dass du hier bist. Ich habe deine Sprache schon echt oft vermisst. Übrigens, ich habe wieder einen Job und Weinachten feiern wir zuhause das erste Mal wieder alle zusammen.“

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Harte Landung

Die Nacht war klirrend kalt und sternklar. Nein, nicht ganz, eine große graue Wolke schwebte am Himmel. Warum war nur genau eine zu sehen und woher kam sie? Aha, bei genauem Hinschauen war ein Rentiergespann vor einem Schlitten zu erkennen, auf dem ein alter, bärtiger Mann saß. Er trug einen roten Mantel mit einem Pelzbesatz an Saum und Kapuze, in der Farbe seines Bartes. Die Wolke schwebte mitsamt Weihnachtsgespann langsam gen Erde. Kurz vor dem Landemanöver verdampfte das sanfte, graue Kissen, und die Rentiere mit dem alten, bärtigen Mann erlebten einen harten Aufprall. Ringsherum sah der Herr im roten Mantel hohe Wände. Er fühlte sich wie in einem Kasten eingesperrt.

„Verdammt, jetzt bin ich gefangen, was ist das hier. Ich muss doch die Geschenke für Familie Huber ausliefern“, schimpfte er vor sich hin. und er geriet in Panik. Die Rentiere schnaubten in die kalte Winterluft und ihr Atem kondensierte in der Luft.

Dann sah er eine Person auf den Käfig zulaufen, die von Weitem brüllte: „Hey, was machen Sie in meinem Swimmingpool. Sie haben die Abdeckplane zerfetzt, hoffentlich sind sie gut versichert.“

„Ach Gott, ich bin in einem Pool? Zum Glück ist kein Wasser darin. Darf ich mich vorstellen, ich bin der Weihnachtsmann.“

„Haha, das kann jeder behaupten, außerdem gibt es keinen Weihnachtsmann“, amüsierte sich der Schwimmbadbesitzer jetzt.

„Oh doch. Sehen Sie meine Rentiere vor meinem Schlitten, das hier ist Rudolph mit der roten Nase.“ Rudolph blökte laut. Der Weihnachtsmann nahm einen braunen Sack von der Schulter, öffnete ihn und zeigte die bunten Pakete.

„Hmmm, soll ich Ihnen das wirklich glauben? Wohin wollen sie die Geschenke denn bringen?“

„Zur Familie Huber, die haben zwei Kinder, ein Mädchen, einen Jungen und den Hund Benny. Für jeden habe ich ein Geschenk.“

„Oha, das ist doch hier bei uns. Dann will ich Ihnen mal helfen, aus dem Pool auszusteigen. Den Rentieren gebe ich Wasser und etwas zu fressen.“

Herr Huber schickte eine WhatsApp an seine Frau, dass sie bitte mit Hundefutter und Wasser zum Pool kommen solle. Fünf Minuten später kam sie an und wunderte sich über die eigenartige Bitte ihres Mannes, indem sie fragte: „Wozu brauchst Du Hundefutter, unser Benny hat schon gefressen.“

„Schau mal dort. Denen müssen wir helfen herauszukommen, und die Rentiere haben Hunger und Durst von der weiten Reise.“

Frau Huber machte große Augen und staunte: „Gibt es doch einen Weihnachtsmann? Wir sollten leise sein, die Kinder schlafen schon. Sie dürfen die Aktion hier nicht mitbekommen.“

Mit großen Mühen befreiten sie das gesamte Weihnachtsgespann und gaben den Tieren zu trinken und zu fressen. Der Weihnachtsmann legte die Geschenke für die gesamte Familie unter den geschmückten Tannenbaum, und vom Hausherrn bekam er noch Glühwein und Lebkuchen als Stärkung. Nach dieser schwierigen Aktion trat der Mann im roten Mantel wieder in den Garten, ging zu seinem Schlitten mit den Rentieren und pfiff leise. Eine neue Wolke schwebte heran, das Gespann stieg auf und der Mann rief in die Dunkelheit: „Zur Familie Berger bitte.“ Zum Glück haben die kein Schwimmbad im Garten, dachte er bei sich, das wird hoffentlich eine weiche Landung.

Oh Du Fröhliche …

Ich schwang die Gerte und sie landet mit einem Klatscher auf dem schönsten Po der Welt. Während der Treffer eine rote Markierung hinterließ, stöhnte meine Süße erregt auf. „Oh himmel, ich bin ab sofort lieb und artig“, keuchte sie verhalten erregt und wand sich hingebungsvoll auf der Couch.
Hinter mir ertönte ein Geräusch aus der Feuerecke. Dort quälte sich gerade ein mittelgroßer Mann mit Rauschebart und roter Kluft aus dem offenen Kamin. Er starrte mich an – ich starrte ihn an. Er starrte sie an – sie starrte mit glänzenden Augen auf die Wand vor sich, immer noch mit ihren Händen im Sofarücken verkrallt. Dafür zeigte sie ihre wundervolle Rückseite mit den leichten Zeichnungen. „Bitte versuch es weiter“, seufzte sie verlangend. „Etwas mehr bitte.“
Ich war nur noch perplex. Dafür fing sich der Besuch umso rascher. Mit drei Schritten war er bei mir, nahm mir die Gerte aus der Hand und ließ sie schwungvoll auf ihr hellrotes Bäckchen knallen. „Ogott, ja – genau so“, stöhnte meine Süße voller Sehnsucht.
Er reichte mir das Instrument zurück. Ich sah sein Zwinkern in den Augen. Dann raunte er mir zu. „Mit der richtigen inneren Haltung ist nicht so schwer, Wünsche zu erfüllen. Höre auf ihre Stimme, fühle ihren Atem. Ihr Körper sendet Dir Signale. Sei aufmerksam. Dann passt es! Sieh es wie einen gemeinsamen Tanz. Beide müssen den gleichen inneren Schwung mitbringen.“
Ich nahm benommen die Gerte entgegen. Er nickte mir aufmunternd zu. Dann versuchte ich es. Patsch! Sie stöhnte erneut auf und zuckte unter dem Hieb zusammen. „Ich werde artig sein“, hauchte sie, während ihr Körper erbebte. Und wirklich hörte ich das erregte Vibrieren in ihrer Stimme deutlicher als zuvor.
Der Rotgekleidete nickte. Als wollte er mich loben. Dann schlich er zum Baum, legte dort drei Päckchen ab und glitt auf leisen Sohlen wieder zum Kamin. Sein Finger deutete auf meine Frau und dann formte er Zeigefinger und Daumen zu einem Ring als Zeichen höchster Anerkennung. Lächelnd zwinkerte er mir erneut zu, holte mit einer Hand scheinbar aus und schlug mit einer imaginären Gerte zu.
Ich folgte seiner Aufforderung und wieder landete ein gezielter Hieb auf der dargebotenen Kehrseite direkt vor mir. Ihr Stöhnen kam aus dem tiefsten Inneren und ließ keinen Zweifel an dem Lustrausch meiner geliebten Gattin. „Bitte noch einen“, flüsterte sie mit erbebender Stimme.
Ich sah zum Kamin. Niemand mehr da. Ich sah zurück zu meiner reizvollen Frau vor mir und gab ihr einen wohl dosierten letzten Hieb. Noch während sie ihren lustvollen Stöhnlaut hervorpresste, drehte sie sich um und küsste mich wild und leidenschaftlich. Den Rest will ich verschweigen.
„So gut wie bei den letzten drei warst Du noch nie“, sagte sie mir später. „Genau richtig und voller Gefühl. Einfach wow. Als hättest Du meine Wünsche endlich verstanden. Danke!“ Wieder küsste sie mich mit großer Zartheit. „Frohe Weihnachten.“
Sie lächelte mich seelig an. Dann raunte sie: „Und beim nächsten Mal tauschen wir die Rollen.“

Christmas Hazelnut flavor

„Nur noch einen Tropfen. Nimm das, du Mistkerl“, flüstere ich. Wer sagt’s denn. Tropfen Nummer fünf verlässt die Glasflasche mit dem hübschen Etikett. Ich kenne niemanden, der seinen Latte Macchiato nicht mit Hazelnut flavor mag. Nussig im Abgang, das verleiht dem Ganzen die besondere Note. Er wird es lieben, ganz gewiss.

Heiligabend. Ich habe alles vorbereitet. So wie früher, nur dass nichts mehr so ist wie früher. Zwischen damals und heute liegt eine Sekretärin, seine Sekretärin in unserem Ehebett. Konnte ja niemand ahnen, dass das Mädels-Wochenende wegen Magen-Darm früher endet.

Es klingelt an der Tür. Ich streiche über den Stoff meines Paillettenkleides. So lasset die Spiele beginnen.
„Heey, gut siehst du aus.“ Er umarmt mich wie eine Stoffpuppe. Bussi links, Bussi rechts.
„Pünktlich wie immer.“ Wie ich dieses Geheuchel hasse. Ich unterdrücke meinen Würgreiz und zwinge mich zu einem Lächeln. „Komm rein.“
Er hängt seine Lederjacke an die Garderobe. Ganz selbstverständlich, wie früher. Dreist.
„Latte Macchiato?“ Er wird nicht ablehnen. Und dann rufe ich als besorgte Ex-Frau den Notarzt. Hohoho. Es ist so viel Zeit vergangen, wie soll ich da noch seine Nussallergie auf dem Zettel haben?
„Gern.“ Sein Grübchen zuckt.
Naiver kleiner Junge. Du hast nichts dazu gelernt. Ich schiebe ihn Richtung Küche. „Ich habe schon alles vorberei…“ Das Wort bleibt mir im Hals stecken.
In meiner Küche steht ein dicker alter Mann mit weißem Bart und roten Klamotten. Er lehnt lässig an meiner Kochinsel und schlürft den Latte Macchiato. Das ist jetzt nicht sein Ernst. „Was zur Hölle tun SIE in meiner Küche? Und warum trinken Sie seinen Latte Macchiato?“ Das Glas ist leer. Mein Ex versteckt sich hinter meinem Rücken. Natürlich, habe ich ernsthaft etwas anderes erwartet?
„Kurzer Zwischenstopp. Nur kurz aufwärmen. Ich hab ganz kalte Hände.“ Er streckt mir seine Hand entgegen. „Fühl mal.“
Ich fühle nicht. Spinnt der Typ völlig? „Ich rufe die Polizei. Sie sind ein Einbrecher.“
„Nö. Ich bin der Weihnachtsmann.“ Er streicht durch seinen Bart. „Und ihr zwei Hübschen, könnt euch echt mal zusammen reißen. Valerie, Tom, ja, genau euch meine ich.“ Er zeigt ernsthaft auf mich und meinen Ex. Der spinnt. Woher kennt der überhaupt unsere Namen?
Tom runzelt die Stirn.
„Da staunt ihr was?“ Der vermeintliche Weihnachtsmann wirft einen Jutesack auf die Arbeitsplatte, kramt wild darin herum. Er hält mir ein goldenes Päckchen entgegen. „Hier für euch.“
Ich greife danach, ziehe an der Schleife. Ein Buch. Stefanie Stahl, Das Kind in dir muss Heilung finden.
Ich sehe ihn an. Tom grinst breit. Wenigstens jetzt könnte er ja mal was sagen.
„Bitte bis 31.01. lesen, die Fragen schriftlich beantworten und zum Termin am 05.02. mit in meine Praxis bringen.“ Er reicht mir eine Visitenkarte. Paartherapeut - Claus Santa.
„Frohe Weihnachten!“ Er klopft auf die Arbeitsplatte und lässt mich mit 32 Fragezeichen zurück.
Tom grinst immer noch. Ich möchte schreien.

Es ist schon viele Jahre her, aber ich erinnere mich noch genau an jenen besonderen Weihnachtsabend, der mein Herz mit Freude und Staunen erfüllte. Das war eine Zeit, als ich noch ein kleiner, aufgeweckter Junge von acht Jahren war.

Es begann alles an einem eiskalten Weihnachtsabend. Die Sterne funkelten am Himmel, und der Schnee glitzerte im Licht der Straßenlaternen. Die Vorfreude auf Geschenke und das festliche Beisammensein hingen in der Luft. Meine Eltern und ich hatten den Abend mit Weihnachtsliedern und Geschichten verbracht, und schließlich wurde ich ins Bett geschickt.

Mitten in der Nacht erwachte ich jedoch mit Durst. Mein Mund fühlte sich an, als wäre er mit Watte gefüllt. Das Knarren der alten Holzdielen hallte durch das Haus, als ich mich aus meinem Bett schlich und mich auf den Weg zur Küche machte. Ich hatte nur einen Gedanken im Kopf: ein Glas Wasser.

Das Haus war still und dunkel, und ich versuchte, so leise wie möglich zu sein. Als ich die Treppe hinunterging, hörte ich plötzlich ein Geräusch aus dem Wohnzimmer. Es war, als würde jemand Kekse knabbern und Milch schlürfen. Neugierig schlich ich mich näher.

Das Wohnzimmer war nur einen Schritt entfernt, und ich konnte einen Blick um die Ecke werfen. Und da sah ich ihn – den Weihnachtsmann, mitten in unserem Wohnzimmer! Er saß auf dem Sofa, ein Glas Milch in der Hand und einen Teller mit Keksen vor sich. Mein Herz schlug so laut, dass ich fürchtete, der Weihnachtsmann würde es hören.

Ich versteckte mich blitzschnell hinter der Wohnzimmertür und lauschte seinem fröhlichen „Ho ho ho“. Der Weihnachtsmann schien sich prächtig zu amüsieren, während ich mich fragte, ob ich nicht vielleicht noch träumte. Aber das leichte Kribbeln in meiner Nase und der kalte Boden unter meinen Füßen bestätigten mir, dass dies die Realität war.

Entschlossen, nicht entdeckt zu werden, wartete ich geduldig hinter der Tür. Doch der Weihnachtsmann schien einen sechsten Sinn zu haben, denn jedes Mal, wenn ich dachte, der Weg sei frei, stand er plötzlich auf, um noch mehr Kekse zu holen oder sich einen weiteren Schluck Milch zu gönnen.

Es wurde zu einem skurrilen Katz-und-Maus-Spiel zwischen mir und dem Weihnachtsmann. Jedes Mal, wenn ich dachte, ich könnte unbemerkt nach oben gehen, stand er auf und durchkreuzte meine Pläne. Es war fast so, als ob er mein Vorhaben erahnen konnte.

Schließlich wagte ich einen weiteren Versuch. Als der Weihnachtsmann wieder tief in sein Keks-und-Milch-Vergnügen vertieft war, schlich ich mich zur Treppe. Doch kurz bevor ich den ersten Schritt nach oben machen konnte, hörte ich erneut ein „Ho ho ho“. Dieses Mal war es so nah, dass ich die warme Atemluft des Weihnachtsmannes auf meinem Nacken zu spüren schien.

Um nicht entdeckt zu werden, versteckte ich mich in einem dunklen Schatten, während der Weihnachtsmann im Raum umherblickte. Ich hielt den Atem an, und mein Herz schlug schneller als je zuvor. Der Weihnachtsmann lächelte und setzte sich wieder auf das Sofa. Er hatte mich nicht gesehen.

In diesem Moment wurde mir klar, dass der Weihnachtsmann vielleicht gar nicht so unberechenbar war, wie ich dachte. Vielleicht spielte er mit mir, hatte seinen Spaß daran, das neugierige Kind zu überraschen. Die Sorge vom Weihnachtsmann ertappt zu werden, war längst einer Mischung aus Aufregung und Staunen gewichen.

Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, beschloss ich, dem Weihnachtsmann keinen weiteren Schabernack zu bereiten. Stattdessen wollte ich ihm einfach dabei zuschauen, wie er seine Pause genoss. Doch als ich mich langsam dem Wohnzimmer näherte, hörte ich plötzlich ein weiteres „Ho ho ho“ – dieses Mal jedoch direkt hinter mir.

Ich drehte mich um und stand dem Weihnachtsmann gegenüber. Sein Lächeln war so warm wie die Lichter am Weihnachtsbaum. Er reichte mir die Hand und sagte: „Ich dachte, es wird Zeit, dass wir uns richtig kennenlernen, kleiner Freund.“

Wir setzten uns zusammen auf das Sofa, und der Weihnachtsmann erzählte mir von seinen Abenteuern, von den vielen Kindern, die er besucht hatte, und von den freudigen Momenten, die er erlebte. Ich konnte nicht anders, als fasziniert zuzuhören. Er war viel mehr als nur ein Geschenkebringer – er war ein Bote der Freude und des Miteinanders.

Wir teilten die Kekse und die Milch, und ich erzählte dem Weihnachtsmann von meinen Träumen und Wünschen. Es war ein magischer Moment, der meine kindliche Seele tief berührte. Doch wie es bei magischen Momenten so ist, verflogen sie viel zu schnell.

Der Weihnachtsmann stand auf, um seinen Sack zu packen. Ich begleitete ihn zur Tür und spähte in die stille Nacht hinaus. Der Schnee glitzerte im Licht des Mondes, und die Sterne schienen besonders hell. Der Weihnachtsmann lächelte mich an und sagte: „Bleib neugierig und offen für das Wunderbare, mein kleiner Freund.“

Mit diesen Worten verschwand der Weihnachtsmann in der Dunkelheit, und ich kehrte zurück ins Haus. Als ich die Tür schloss, spürte ich, dass diese Nacht nicht nur eine unvergessliche Begegnung war, sondern auch eine, die mein Herz für immer mit der Magie von Weihnachten erfüllt hatte.

Und so, meine lieben Enkel, endet die Geschichte von der Nacht, in der ich den Weihnachtsmann beim Kekseessen erwischte. Lasst euch solche magischen Momenten nicht entgehen und denkt immer daran, dass die wahre Freude darin besteht, sie zu teilen und das Wunderbare in jedem Augenblick zu erkennen. Frohe Weihnachten!

Glitzerzucker heilt keine Wunden

„In der Weihnachtsbäckerei, gibt es manche Leckerei…“ Wie ich Rolf Zuckowski liebe. Schon als Kind bin ich mit meiner Mama um den Küchentisch gehopst und habe lauthals mitgesungen. Vierzig Jahre später wische ich mir die erste graue Haarsträhne aus der Stirn und sehe in die strahlenden Augen meines Sohnes. Anton hat sich soeben für das kleine Eichhörnchen entschieden, das er ausstechen möchte. „Zwischen Mehl und Milch, macht so mancher Knilch….“ Er ist so süß und er sieht aus wie sein Vater, wenn er sich so hochkonzentriert auf die Zunge beißt. Paul, wir vermissen dich. Pauls Foto unter Antons Kopfkissen ist so zerknittert, dass er kaum mehr zu erkennen ist. Paul starb an Antons 8. Geburtstag. Ein Autounfall auf dem Weg nach Hause. Ein LKW ist frontal in seinen Passat gekracht, er hat keine Chance gehabt. Das ist jetzt zwei Jahre her. Das Leben muss weitergehen, mit unfassbar vielen Tränen, aber immer öfter auch mit einem Lächeln.
„Mama, wir brauchen mehr Glitzer.“ Anton hält mir eine leere Plastikdose entgegen.
Glitzerzucker auf Wunden streuen, wenn doch alles nur so einfach wäre. „Moment, ich hole neues.“ Ich wische mir die Mehlhände an meiner Schürze ab und stiefele auf den Flur Richtung Speisekammer. Anton war so tapfer. Er ist wirklich ein zauberhaftes Kind.
Die Diele knarzt. Nanu, habe ich die Tür zur Speisekammer nicht richtig zugemacht? Sie ist einen Spalt breit geöffnet. Es rumpelt. Ich verlangsame meine Schritte, halte die Luft an. Ein Rascheln, gefolgt von einem Seufzen. Da ist jemand in meiner Speisekammer. Vorsichtig greife ich nach Antons Hockeyschläger. Wie gut, dass er seine Sachen nach dem Training so achtlos in den Flur geworfen hat. Ich werde nie wieder schimpfen. Leise, bloß keine Geräusche verursachen, jetzt nur nicht niesen. Ich pirsche mich an. Noch zwei Schritte. Mein Herz turnt auf einem Trampolin. Paul, warum bist du jetzt nicht da? Ich kralle mich am Hockeyschläger fest, blicke durch den Spalt. Ein dicker Mann in roten Klamotten, mit Mütze und Rauschebart löffelt eine Dose Ravioli. Kalt, aus der Dose, mit einem Suppenlöffel. „Was zur Hölle tun Sie in meiner Speisekammer?“
Vor Schreck fällt ihm der Löffel aus der Hand. „Tschuldigong, isch hafte Hungfer.“ Er schluckt, wischt sich ein Brocken Ravioli aus dem Bart. „Verzeihung. Ich hatte Hunger.“
„Hunger? Sie sind ein Einbrecher.“ Ich greife nach meinem Handy, wähle die 110.
„Halt stopp, nicht die Polizei rufen. Ich bin Weihnachtsmann. Sie wissen schon, der echte.“ Er streckt mir seine Handfläche entgegen.
Vergiss es, im Leben gebe ich dir nicht mein Handy. „Das kann ja jeder sagen.“
„Schon, aber nicht jeder weiß, dass der 10. August 2005 der schönste Tag in deinem Leben war.“ Er beißt sich auf die Unterlippe.
Mein Handy rutscht mir aus der Hand, fällt zu Boden. Ich breche in Tränen aus. Unser Hochzeitstag. Da war die Welt noch in Ordnung. Der Hockeyschläger landet auf dem Handy. Dass das Display gesprungen ist, stört mich nicht. Woher kennt der Typ unseren Hochzeitstag?
„Schschsch, ist ja schon gut.“ Der Typ nimmt mich in den Arm, streicht über mein Haar. Er riecht nach Weihrauch.
Verdammte Axt, was zur Hölle tue ich hier? Ich löse mich aus seiner Umarmung und starre ihn an.
„Paul bat mich, dir das zu geben.“ Er hält mir einen Stapel grüner Umschläge unter die Nase. „Für jeden Geburtstag bis zu seinem 18., Anton soll wissen, dass Paul ihn über alles geliebt hat.“
Ich greife die Umschläge. Meine Finger sind eiskalt. Pauls Handschrift formt in eckigen Buchstaben den Namen unseres Sohnes.
„Und der hier, der ist für dich.“ Der Weihnachtsmann gibt mir einen roten Umschlag.
Für Kristin. Paul hat mich nie Kristin genannt, eher Hase oder Schatz. Ich reiße die Lasche auf, überfliege den Text. Ich sinke auf die Knie, wie in Zeitlupe, unfähig zu sprechen. Es rauscht in meinen Ohren. Ich rolle mich auf dem Fußboden zusammen, schreie, ohne dass ein Ton meine Kehle verlässt.
Als ich mich wieder aufrichte, ist der Weihnachtsmann verschwunden. Was bleibt, ist dieser Brief.
Kristin, es war kein Unfall. Krebs ist ein mieser Verräter.

24 Dezember – 14 Uhr

„Was machen sie da?“ stotterte ich nicht überzeugend, als ich mein Badezimmer betrat. Der Weihnachtsmann hatte mir seinen Rücken zugekehrt und antwortete mit tiefer, leiser Stimme.
„Entschuldigung, ich bin spät dran.“
„Wenn überhaupt sind sie zu früh. Es ist zwei Uhr und die Bescherung findet erst um 18:00 statt. Und bestimmt nicht hier im Badezimmer.“

„Es tut mir wirklich leid, aber ich muss mich beeilen.“ Der Mann drehte sich zu mir um, ich klappte den Klodeckel runter und setzte mich erstmal hin.
„Du liebe Güte, gibt es jetzt auch Weihnachtsfrauen?“ Der Kerl in dem roten Gewand war geschminkt, und frag nicht wie. Es fehlte wohl nur noch der Lidstrich am linken Auge, den Pinsel hatte er oder sie noch in der Hand. Bart und eine weiße Perücke lagen im Waschbecken. Meine komplette Karnevalskosmetik war auf der Ablage verteilt und es glitzerte nicht nur in seinem oder ihrem Gesicht, sondern vom Fußboden bis zur Dusche.
„Wer sind sie? Von hinten Weihnachtsmann, von vorne Olivia Jones.“
„Fast. Alle denken, ich könnte von dem einen Tag im Jahr leben. Und jeder möchte um 18:00 pünktlich die Geschenke unter dem Baum haben. Wie bitte schön soll das gehen. Ich bin auch nur ein Mensch – und gerade sehr gestresst.“

„Sagen sie nicht, sie haben noch einen Zweitjob.“
„Bin sozusagen Wanderarbeiter. Dieses Jahr für mehrere Wochen hier. Mein Auftritt ist schon in vier Stunden und ich muss die ganze Straße noch beschenken.“ Sein Tonfall wurde weich und brüchig und gleichzeitig kullerte aus dem rechten Auge eine schwarz glitzernde Träne, aus dem linken ein klarer Tropfen.
Ich stand auf, ging zu ihm hin und fragte: „Darf ich sie umarmen?“ und er nickte nur. Ich umschlang die stattliche Erscheinung und wir hielten uns minutenlang fest.
„Jetzt machen sie sich aber flott fertig, ich räum das hier gleich schon auf.“ Ich löste mich von ihm, klopfte ihm auf die Schulter und ließ ihn allein.
Fünfzehn Minuten später sah ich ihn mit wallendem rotem Haar und auf Highheels grazil in Richtung Schlitten entschwinden.
Unter dem Weihnachtsbaum lag ein Umschlag mit zwei Karten für:

The magical Christmas - Die große Weihnachtsshow
*Pulverfass Cabaret *
Reeperbahn Hamburg

Ich bin kein Gott

Prokrastination, das schwere Wort, welches jeder aber irgendwo mal für sich erlebt. Es legt sich wie eine schwere Decke über den Körper, der eigentlich gerade etwas wichtiges zu erledigen hätte. Prokrastination gibt es in unterschiedlichsten Variationen. Ich kann nur aus der Sicht des Autors davon berichten. Und da ist es ganz einfach. Je weiter eine Deadline für ein Buch weg ist, desto weniger arbeite ich daran. Lass mich zu leicht ablenken. Ich bin mal einem Schmetterling, der an meinem Arbeitszimmerfenster vorbei geflogen ist, eine halbe Stunde gefolgt. Fand ihn einfach schön. Am Ende habe ich eine Stunde wieder nach Hause gebraucht. Ich stand mitten im Wald, ohne Smartphone und wusste nicht, wo es zurück in die Zivilisation ging.
Jetzt sitze ich hier und schreibe diesen Geistertext. Er hat nichts mit der eigentlichen Handlung meines Buches zu tun. Es ist auch eher unwahrscheinlich, dass diese Zeilen jemals jemand zu lesen bekommt.
Es ist kurz vorm heiligen Abend, die Familie ist außer Haus und ich habe mir das Ziel gesetzt, bis zum Ende des Jahres noch zwanzig Seiten zu schreiben. Dann geht das Ganze zu meinem Lektor. Ich sitze also hier vor meinem Laptop und schreibe diesen Geistertext, in der Hoffnung, dass mir gleich noch was Sinnvolles einfällt. Habe die Rollos herunter gelassen, nur meine Lavalampe am Schreibtisch und das Licht des Laptops sorgen für leichte Schatten in meinem Arbeitszimmer.
Zweihundertdreißig Wörter Geistertext, pure Ablenkung.

Mit einem Mal höre ich ein seltsames Geräusch aus dem Wohnzimmer. Möglicherweise Holz, das arbeitet. Sind erst vor kurzem in unser frisch gebautes Haus gezogen. Holzkonstruktion, sehr natürlich. Knackt natürlich auch hier und da. Das muss so.
Höre wieder etwas. Glaube, es kommt aus der Küche. Okay, offnes Wohnkonzept. Im Grunde ist es ein großer Bereich dort. Habe nach der kurzen Zeit aber schon herausgefunden, von wo welches Geräusch kommt.
Texte kurz meiner Frau, ob sie doch schon wieder zu Hause sind und mich nur nicht stören wollten. Aber nein, die kommen erst Übermorgen zur Bescherung wieder.
In meiner Magengegend rumort es etwas und ich erinnere mich daran, dass sie mir einen Teller Kekse auf die Theke in der Küche gestellt hat. Wenn ich schreiben will, bereitet sie immer solche Kleinigkeiten für mich vor. Liebe das.
Ich öffne die Tür des Arbeitszimmers und daraufhin knallt es aus dem Wohnzimmer, als bricht eine komplette Abteilung Ikea Regale in sich zusammen. Ein tiefer Schrei hallt durch das Haus und eine Kugel unseres Weihnachtsbaumes rollt langsam an mir vorbei. Ich bleibe wie angewurzelt stehen und lausche. Höre das brummeln von einer Person, die sich, dem rascheln zu urteilen, versucht aus dem Weihnachtsbaum zu befreien.
Fragen Sie mich nicht, warum ich nicht sofort die Polizei rufe oder etwas zur Selbstverteidigung suche. Die Neugierde packt mich einfach und ich gehe links um die Ecke, um einen Blick auf den Eindringling zu erhaschen.
Ungläubig erblicke ich einen älteren Herren, der sich soeben wieder auf die Beine gekommen ist und sich noch ein paar Tannennadeln von seinem roten Mantel entfernt. Ich muss hier nicht groß beschreiben, wer da steht. Glauben kann ich es aber nicht. Als er mich sieht, meine ich denselben Unglauben in seinem Blick zu erkennen.
»Michael, was machst du denn hier,« spricht der Mann mich direkt an. »Hier sah alles dunkel aus. Ich dachte ihr wärt alle in Darmstadt.« Er hält sich seinen Zeigefinger ans Ohr und spricht in ein Lippenmikrofon, was wie aus dem Nichts erschienen ist. »Rudolph, hier Big Daddy, wir haben hier ein Problem. War für die 21 nicht Leerstand angekündigt?« Er hört einen Moment zu, nickt ein paar Mal und richtet seine Aufmerksamkeit dann wieder auf mich. »Also gut, irgendwas ist hier schief gelaufen,« sagt er entschuldigend, »wir dachten, ihr macht alle einen Ausflug zu Freunden. Deshalb wollten wir hier ein paar Geschenke da lassen.« Er spricht zu mir, als wäre es das Normalste der Welt, dass er hier steht. Ich fühle mich irgendwie blockiert. Hätte so viel zu sagen, bekomme aber kein Wort heraus. Gleichzeitig fühlt es sich aber auch völlig natürlich an. Er redet weiter. »Du fragst dich sicher tausend Sachen. Lass mich schnell erklären. Also äh, die Kurzfassung. Ich kann nicht jedes Jahr überall sein. So sehr sich der Aberglauben auch hält. Aber ihr helft einfach alle so gut mit und das wissen wir zu schätzen in der Firma.« Er setzt sich auf das große L-Sofa und gibt mir mit einem einladenden Wink zu verstehen, es ihm gleich zu tun. Wie zwei alte Bekannte sitzen wir da und wie aus dem Nichts habe ich ein Glas Milch in der Hand. »Wir haben daher das »vielen Dank« Programm ins Leben gerufen. Recherchieren jedes Jahr, wo wir tätig werden können, und dieses Jahr wart ihr halt dran. Dass das jetzt so gelaufen ist, tut mir wirklich leid.« Er schaut an mir vorbei zum demolierten Weihnachtsbaum. »Das mit dem Baum, puh, dass war was. Ich hab mich so erschrocken als du die Tür auf gemacht hast. Dachte ein Einbrecher steigt ein.« Er schnippst mit den Fingern und als ich mich Umdrehe, steht der Baum wieder in voller Pracht vor dem Fenster. Mein Blick wandert zur Küche und ich erblicke den Teller mit den Keksen. Nur ohne die Kekse.
»Ah, ja. Ich dachte, die Kekse wären für mich. Alte Angewohnheit,« erklärt er entschuldigend. Endlich finde ich meine Stimme wieder, als ich mich wieder zu ihm drehe.
»Schon gut,« ist aber auch gerade das Einzige, was mir einfallen will. Er lächelt mich großväterlich an und ich gehe gerade davon aus, dass er mir mit einem Fingerschnippen neue Kekse herzaubert. Er scheint meinen Gedanken zu erahnen und legt mit einem breiten Grinsen den Kopf schief.
»Junge, ich bin doch kein Gott. Die Kekse bekomme ich niemals so gut hin, wie deine Frau.« Wir müssen beide lachen und stehen gleichzeitig auf, als wäre das ein ganz natürlicher Satz vor einem Aufbruch gewesen. Ich bringe ihn zur Tür. Dort dreht er sich zu mir um und reicht mir die Hand. Ich ergreife sie und das ist der Moment, wo ich zwei weitere Wörter heraus bekomme.
»Big Daddy?«
Er muss laut lachen. Ein altes, gutmütiges Lachen, das durch das ganze Haus schallt. »Ach weißt du, die Rentiere haben sich den Codenamen ausgedacht. Ändert sich jedes Jahr, es macht ihnen Spaß.« Ich nicke nur. Total logisch, denke ich mir.
Er verlässt das Haus und ich schaue ihm noch kurz hinterher. Er geht tatsächlich auf einen Schlitten zu, der in unserer Einfahrt parkt. Eine Gruppe Rentiere davor gespannt, mit Fliegerbrillen und Schals. Sie scheinen sich zu unterhalten. Als sie startklar sind, nickt mir doch tatsächlich das vordere der Tiere lässig zu. Seine Nase beginnt rot zu blinken und alle setzen sich in Bewegung.
Niemand in der Nachbarschaft scheint hiervon irgendetwas mitzubekommen. Die sind aber auch leise.
Und dann sind sie weg.
Ich gehe wieder ins Wohnzimmer und schaue mir den Baum an. Ein paar schön verpackte Geschenke liegen drunter. Wie erklärt man das?
Ist nicht wichtig, denke ich mir. Ich setze mich zurück an den Schreibtisch, merke, wie die Erinnerung an das eben Geschehene schon zu verblassen scheint. Seltsam.
Schreibe es schnell auf in diesem Geistertext. Den eventuell niemand jemals lesen wird.

Ich habs, ich stelle ihn gleich in ein Autorenforum. Viele gute Leute, die auf Geschichten stehen. Es ist zwar passiert, aber es glaubt mir ja sowieso niemand. Aber vielleicht gefällt es einigen.
So kurz vor Weihnachten. Nach so einem Jahr.
Wir brauchen mehr schöne Geschichten. Das ist hoffentlich eine davon.

Frohe Weihnachten ihr Lieben

Das Fest der Familie

So kann es wirklich nicht weitergehen.

Meterhoch stapeln sich die Kartons im Kofferraum, während ich versuche die Klappe zu schließen. Keine Chance. Als wollte sie, dass ich auch noch mein letztes Geld für einen Anhänger ausgebe. Natürlich. Weil es ja meine Schuld ist, dass jeder in der Familie auch noch drei bis zwölf Kinder mitbringt und die Blagen alle erwarten, auch von mir ein Geschenk zu bekommen. Und was bekomme ich? Rechnungen, eine dreckige Wohnung und nerviges Geschrei. Fest der Liebe? Pah. Ein Fest der Hiebe würde ein paar von denen ganz guttun. Weiß schon, warum ich keine Kinder habe.

Es knirscht, als ich mich mit dem vollen Gewicht gegen das Auto lehne und die Klappe endlich einrastet. Hoffentlich nur eines der billigen Plastikspielzeuge und nicht etwas an meinem Auto. Nach der Einkaufstour kann ich mir die Reparatur garantiert nicht mehr leisten. Und es fehlt noch ein Baum, Zutaten für das Weihnachtessen, Dekoration. Verdammt. Hoffentlich ist die Bank in Weihnachtsstimmung, wenn ich ihnen erklären muss, das Konto wieder überzogen zu haben. Ich sollte jedem meiner Geschwister eine meiner Rechnungen schenken.

Wie bin ich nur auf die bescheuerte Idee gekommen, ihnen anzubieten bei mir zu feiern? Die kleinsten Fehler verfolgen einen für Jahre. Fehler aus Jahren, in denen ich noch einen Job hatte. „Aber es war so schön, letztes Jahr, das sollten wir wiederholen.“ Für dich vielleicht. Deine Wohnung sah danach nicht aus wie nach einem Anschlag. Aber ich kann ihnen doch auch nicht einfach nein sagen. Für was für einen Versager würden sie mich halten?

„Fahr, du Idiot!“, brülle ich das Auto vor mir an, während ich mich durch den endlosen Feierabendverkehr quäle. Ein Plastikschwert piekt mich in die Schulter. In einer Woche wird es doch nur in der Ecke liegen. Einfach kurz nach Hause, alles ausladen und auf die nächste Odyssee.

Wenig später schiebe ich die Geschenke genau so sanft in den Aufzug, wie ich sie auch in den Kofferraum gepackt habe. Keine Zeit für Vorsicht. Wehe, es will jetzt auch noch jemand dazu steigen.

Meine Wohnungstür ist offen. Habe ich sie offengelassen? Soll mir nur recht sein, dann muss ich sie nicht – mit Kartons beladen – aufschließen. Mit dem Fuß schiebe ich einige Kisten hinein. Das Licht ist auch noch an. Na toll.

Und dann stehen wir uns gegenüber. Auge in Auge. Einige Sekunden lang sind wir beide wie erstarrt, überrascht den anderen zu sehen. Klischeehafter könnte es nicht sein. Roter Mantel, langer Bart, ein rundes Gesicht, und eine Brille auf der Nase. In der Hand…meine Mikrowelle.

„Ernsthaft.“, ist das einzige was ich zustande bringe. „Es ist kein Geld im Haus. Glaub mir, ich habe schon geschaut. Die Mikrowelle ist übrigens kaputt.“

Er stellt sie langsam auf dem Boden ab, dann schaut er auf den gigantischen Stapel Kartons in der Tür. Wieder zu mir. Unruhe in seinen Augen. „Tut mir leid.“, murmelt er. Die Stimme könnte fast die eines Weihnachtsmanns sein, warm und rund, wie ein Großvater, der Geschichten erzählt. „Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Meine Kinder…“ Er schaut noch einmal auf den Stapel Kartons. „… du verstehst? Habe meinen Job verloren.“

Ich verstehe. Sehr gut sogar. „Und das Kostüm?“

„Fällt weniger auf. So viele Weihnachtsmänner in der Stadt unterwegs.“

„Nimm es.“, sage ich und deute mit dem Kopf auf den Stapel. „Brauchst es wahrscheinlich mehr als die Blagen meiner Geschwister.“

So wie er mich anschaut, glaubt er mir kein Wort. Warum sollte er auch? Wer schenkte schon seinem Einbrecher die Mühsam zusammengesammelten Geschenke. Ich. Keine Lust mehr auf die Familie. Keine Lust auf verwöhnte Bratzen, die mich anschreien, weil ihr Dino die falsche Farbe hat. So sahen die halt aus, du undankbares Stück… Die beste Gelegenheit dieses Weihnachtsfest zu dem besten seit Jahren zu machen. Allein. „Klar. Die Hausratsversicherung haben sie noch nicht gekündigt. Und meine Geschwister haben deutlich mehr Geld als wir beide, die kommen klar.“

„Also. Ich. Ähm. Danke?“

„Keine Ursache.“

„Du wirst nicht die Polizei rufen?“

„Hab dich nie gesehen. Kam hier an, Tür war offen, Geschenke weg. Am besten nimmst du noch ein paar andere Sachen mit.“

„Du verarscht mich.“

„Nein. Hör zu. Meine Familie gibt einen Dreck auf mich, aber deine scheint besser zu sein. Du bekommst ein Weihnachtsfest, ich werde meins los und bekomme Geld von der Versicherung. Win-Win.“ Oh nein. Jetzt bricht er auch noch in Tränen aus. Fühlt sich fast ein bisschen gut an, wenn auch etwas seltsam. Immerhin ist er ein Einbrecher.

„Danke.“, sagt er durch die Tränen. „Du weißt nicht was mir das bedeutet.“ Mühsam schiebt er die Kartons in Richtung Aufzug und zieht die Tür hinter sich zu. Schade eigentlich, dass er das Schloss nicht auch noch aufgebrochen hat. Alles für die Versicherung.

Langsam lasse ich mich in meinen abgewetzten Sessel sinken und ziehe mein Handy. Wähle. Es tutet und die gewohnte Stimme meiner Schwester meldet sich. Im Hintergrund kitschige Weihnachtslieder und Kindergekreische. „Du wirst mir nicht glauben, was passiert ist.“, sage ich und versuche mein Grinsen herunterzukämpfen und niedergeschlagen zu klingen.

„Wir müssen die Feier bei mir leider absagen.“

Die Magie von Weihnachten

Es war der Tag vor Heiligabend und ich war mit den letzten Vorbereitungen für das Fest beschäftigt. Das Haus war ein einziges Chaos aus Geschenkpapier, Tannenzweigen und Weihnachtsschmuck. Plötzlich meldete sich mein Hund lautstark und ungeduldig, er musste dringend raus.
Ich seufzte frustriert und beschloss, eine kurze Pause einzulegen um mit ihm Gassi zu gehen.
Also schnappte ich mir die Leine und öffnete die Tür, ohne zu ahnen, was mich draußen erwartete.

Kaum hatte ich die Tür geöffnet, stieß ich unglücklicherweise mit dem Weihnachtsmann zusammen. Er erschrak so sehr, dass er ausrutschte und zu Boden fiel. „Alles in Ordnung?“ rief ich besorgt und eilte ihm zu Hilfe. Doch bevor er antworten konnte, hörten wir plötzlich Schritte auf dem Bürgersteig.
Panik ergriff den Weihnachtsmann und er sah sich hektisch um. „Das sind die Elfen! Die dürfen mich nicht sehen“, flüsterte er panisch. Verwirrt sah ich ihn an und versuchte zu verstehen, was hier vor sich ging. Doch bevor ich eine Frage stellen konnte, tauchten tatsächlich kleine Gestalten am Ende der Straße auf.
Die Elfen waren klein und flink, ihre grünen Mützen leuchteten im Licht der Straßenlaternen. Sie kamen immer näher und schienen den Weihnachtsmann zu suchen. „Schnell!“, flüsterte der Weihnachtsmann hastig. „Wir müssen uns verstecken!“
Ich zögerte keine Sekunde und zog den Weihnachtsmann in mein Haus. Wir huschten durch den Flur und versteckten uns im Schrank unter der Treppe. Mein Herz klopfte laut vor Aufregung, während wir dort eng aneinander gekauert saßen und die Elfen immer näher kamen.

Plötzlich hörten wir Stimmen vor der Haustür. Die Elfen hatten die Wohnung betreten und waren auf der Suche nach dem Weihnachtsmann. Ich hielt den Atem an und betete, dass sie uns nicht entdecken würden. Aber dann geschah etwas Unerwartetes.
Wir hörten Bello, meinen Hund, bellen. Verwirrt und ängstlich wagten wir einen Blick nach draußen und konnten es kaum fassen: Wie gebannt starrten die kleinen Wesen auf meinen Bello.
Diese Ablenkung nutzte der Weihnachtsmann, um aus dem Schrank zu schlüpfen und mir ein Zeichen zu geben, ihm zu folgen. Leise schlichen wir durch das Haus, immer darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden.
Schließlich kamen wir in den Garten, wo sein Rentiergespann stand. Die Rentiere schnaubten aufgeregt und warteten darauf, loszufliegen. Der Weihnachtsmann half mir in den Schlitten und setzte sich neben mich. „Wir müssen hier schnell weg“, flüsterte er eindringlich.
Mit einem Ruck setzte sich der Schlitten in Bewegung und hob ab. Wir flogen über die Dächer der Häuser, während die Elfen noch mit Bello beschäftigt waren. Der Weihnachtsmann lenkte das Gespann geschickt durch die Nacht, während ich mich an ihn klammerte und versuchte, meine Aufregung zu unterdrücken.

Nach einer Weile ließ der Weihnachtsmann die Rentiere langsamer werden und landete sanft auf einem schneebedeckten Feld in der Nähe meines Hauses. Dankbar lächelnd drehte er sich zu mir um und half mir aus dem Schlitten. „Danke für deine Hilfe“, sagte er freundlich. „Ohne dich hätten mich die Elfen bestimmt gefunden.“
Ich lächelte zurück und bedankte mich für das aufregende Abenteuer.

Der Weihnachtsmann erzählte mir, dass die Elfen manchmal neugierig seien und ihm gerne bei der Arbeit beobachten würden. Aber es sei wichtig, dass sie nicht wüssten, wo er sich aufhalte, wenn er die Geschenke verteilt, um den Zauber der Weihnacht zu bewahren.
Mit einem letzten Winken stieg der Weihnachtsmann wieder in seinen Schlitten und ließ die Rentiere erneut abheben. Der Schlitten glitt elegant durch die Luft, während ich dem Weihnachtsmann nachsah und mich fragte, ob das alles wirklich passiert war.
Als der Schlitten am Horizont verschwand, kehrte ich langsam nach Hause zurück. Die Elfen waren verschwunden und die Straße lag still und verlassen da. Bello lag in seiner Ecke und schlief. Ich schloss die Tür hinter mir und ließ das Erlebte auf mich wirken.
Es war ein unvergessliches Abenteuer gewesen, das ich mit dem Weihnachtsmann erlebt hatte. Ich konnte kaum glauben, dass ich ihm tatsächlich geholfen hatte, sich vor den neugierigen Blicken der Elfen zu verstecken.

Mit einem Lächeln machte ich mich wieder an die letzten Vorbereitungen für die Feierlichkeiten. Doch diesmal hatte ich eine ganz besondere Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von einer unerwarteten Begegnung mit dem Weihnachtsmann und einem gemeinsamen Abenteuer, das meine Vorfreude auf Weihnachten noch mehr entfacht hatte.
Und so feierte ich an Heiligabend nicht nur die festliche Zeit im Kreise meiner Lieben, sondern auch den Zauber und die Magie von Weihnachten, die mir in diesem Jahr auf ganz besondere Weise begegnet waren.

TW

Scheiß Weihnachten

DEFEAT. Genervt lies ich meinen Kopf auf meine Arme sinken. Schon wieder ein Game verloren. Heute war wirklich nicht mein Tag.
Gähnend sah ich auf die Uhr. 23:44 Uhr. So´n Mist, immer noch der 24. Ich hasse diesen Tag. Immer lief nichts, wie es laufen sollte. Und dann noch der ganze Weihnachtsscheiß. Liebe und Besinnlichkeit, von wegen.
Jedes Jahr aufs neue. Egal wie mies und ätzend sich die Menschen den Rest des Jahres verhalten. Für ein paar Wochen im Jahr ändert man das. Diese Heuchler! Zum Kotzen.
Und dann gibt es da ja noch diese Menschen, die an den Weihnachtsmann glauben. Ich meine, jetzt mal im ernst. Ein alter Mann, im roten Mantel, mit Mütze und Vollbart, fliegt auf einem von Rentieren gezogenen Schlitten durch die Nacht. Steigt in dein Haus ein, um dir Geschenke unter den Weihnachtsbaum zu legen, aber nur wenn du Brav warst. Und der dann einfach wieder geht. Klar. Wer kam da drauf.
Verdammt, ich sollte mich nicht so viel darüber aufregen. Ändern kann ich es sowieso nicht. Damit stand ich auf, nahm mein Weinglas und trank es leer.
Am besten hole ich mir noch mal etwas Wein und zocke danach noch ein, zwei Runden Valorant, bevor ich schlafen gehe. Immerhin muss ich mich morgen mit meinen „tollen“ Verwandten herumschlangen. Noch so etwas, was ich an dieser Zeit im Jahr so hasse.
Mit meinem Weinglas bewaffnet, ging ich aus meinem Zimmer. Meine Eltern schliefen schon. Gerade als ich die Treppe herunterlaufen wollte hörte ich etwas. Waren das Schritte?
War einer meiner Eltern doch noch wach?
Gequält verzog ich das Gesicht. Ich hatte keinen Bock auf irgendwelche Diskussionen. Doch die würde es zweifelsfrei geben, wenn die mitbekommen würden, dass ich noch wach war.
Ich holte mein Handy raus, machte die Taschenlampe an und schlich so leise wie möglich die Treppe runter in die Küche. Dort holte ich aus dem Kühlschrank die halbvolle Weinflasche und schenkte mir großzügig ein. Danach stellte ich die Flasche zurück, drehte mich um und ging zum Esstisch. Auf diesem stand eine Schüssel voller Süßigkeiten. Das einzig gute an der Weihnachtszeit, waren nun mal die ganzen Leckereien, die extra dafür gemacht wurden.
Ich hatte mir gerade einen Lebkuchen geschnappt, als nebenan ein klirren ertönte. Was zum Teufel. Ich biss ein Stück vom Lebkuchen ab und lief zur Wohnzimmertür. Sie war nur angelehnt. Vorsichtig schielte ich in den Raum. Die Lichterkette vom Baum war an, sie war die einzige Lichtquelle. Der ganze andere bunte Weihnachtsdekoscheiß war komischerweise aus.
Ich konnte niemanden im Raum sehen. War hier doch niemand gewesen? Oder war die Person gerade wieder hoch gegangen? Vorsichtig öffnete ich die Tür, stopfte mir den Rest den Lebkuchens in den Mund und betrat den Raum. Dabei schaltete ich meine Handytaschenlampe aus und steckte dieses zurück in mein Hosentasche.
Aus dem Augenwinkel sah ich etwas aufblitzen, in der hinteren ecke des Raumes, neben einem Sessel lag ein Scherbenhaufen. Na toll. Aus der Küche holte ich die Kehrschaufel und machte mich daran dann miste aufzuräumen. Nachdem ich das meiste weg hatte, sah ich noch einmal unter dem Sessel nach. Darunter lag natürlich eine Scherbe. Um keinen Lärm zu verursachen, legte ich mich auf den Boden und versuche nach der Ding zu greifen. Als ich sie gerade hatte, spürte ich auf einmal einen warmen, feuchten Atem an meinen Nacken. Erschrocken zuckte ich zusammen, drehte mich ruckartig um, setzte mich auf und suchte den Raum mit den Augen ab.
Da war niemand…Aber was…
Meine panischen Gedanken wurden durch einen stechender Schmerz in meiner Hand unterbrochen. Geschockt, sah ich auf meine Hand runter.
Mir wurde schlecht. Die Scherbe steckte in meiner Handfläche, nein sie durchbohrte sie regelrecht. Ich musste durch den Schreck die Hand zusammengeballt haben.
Mit wackeligen Beinen stand ich auf und taumelte in die Küche. Das ich dabei den ganzen Boden mit meinem Blut versaute, war mir egal. Zitternd machte ich das Licht an, bevor ich zum Waschbecken ging und meine Hand genauer ansah. Meine Finder waren voller Blutiger schnitte. Während die Scherbe aus der Mitte meiner Hand herausragte. Mit flatternden Fingern umfasste ich diese, zählte innerlich auf drei und zog sie raus. Ein schrei verließ meine Lippen. Doch es war mir egal. Tränen rannen unkontrollierbar über meine Wange, während ich mit meiner Gesunden Hand meine Verletzt Hand unter kaltes Wasser hielt, um die Wunde auszuspülen.
5 min Später hatte ich es geschafft meine Hand notdürftig zu verbinden und stand nun, immer noch Weinend und Schluchzend, an der Küchenzeile. Ich nahm mein vergessenes Weinglas und exte dieses. Was für ein verdammter Scheißtag!
Mein Blick viel auf die Blutspur, die ich hinterlassen hatte. Na toll… Es sah aus, als hätte ich jemanden abgestochen. Seufzend schnappte ich mir einen Lappen und machte mich daran, das Blut zu entfernen.
,Verdammt nochmal! Warum ist das so viel? Und warum geht das so beschissen weg!" Mir war es in der zwischen zeit wirklich schnuppe, ob meine Eltern wach wurden, oder nicht. War sowieso schon ein Wunder, das die noch nix mitbekommen hatten. Nachdem ich den Küchenboden endlich sauber hatte, sah ich auf die Uhr. 00:33 Uhr. Toll. So beschissen wie der eine Tag endet, beginnt der andere. Ich war immer noch etwas zittrig auf den Beinen, weshalb ich mir ein Glas Wasser einschenkte und es in einem Zug leer trank. Dabei viel mein Blick auf die drecks Scherbe, die immer noch auf der Spüle lag. Ich stutze, sie war kleiner geworden. Irritiert nahm ich sie und betrachtete sie genauer. Erst jetzt viel mir auf, wie kalt sie war, war das Eis… Was zu Teufel…Das war doch nicht möglich…
Schnell ging ich zum Wohnzimmer, dass konnte nicht sein. Warum sollten da Eisscherben liegen, dass war einfach nicht möglich!
Als ich das Wohnzimmer betrat, blieb ich abrupt stehen. Vor dem Weihnachtsbaum stand Jemand. Ich schluckte. Was ging hier ab?
Die Person war ca. 2 m groß, sehr rundlich um die Taille, trug einen roten bodenlangen Mantel, eine rote Weihnachtsmütze und weiße Handschuhe. Wobei ich nur eine behandschuhte Hand sehen konnte, da die Person die andere angehoben hatte.
Ich kniff mir in die Seite. Träume ich? Oder spielte mir hier jemand einen Streich?
Spontan tippte ich auf letzteres und wurde wütend. Wahrscheinlich was das dort mein Vater, der sich einen Spaß erlauben wollte, da ich ja so ein Weihnachtsmuffel bin.
Ich wurde wütend, trat einen schritt vor und sagte laut: ,Ernsthaft? Du verkleidest dich als Weihnachtsmann und stellst dich mitten in der Nacht ins Wohnzimmer, um mich zu erschrecken! Das kann doch nicht dein ernst sein!" Während ich das sagte, war ich immer näher an die Person herangetreten und stand nun direkt hinter ihm. Als ich ihn gerade berühren wollte. Drehte er sich ruckartig um, was mich zurückweichen lies.
Mir blieb fast das Herz stehen, bei dem was ich da sah. Das war nicht mein Vater, nein… das war etwas anderes….Schneeweise Haut, schwarze Augen, ein weißer Vollbart, wobei dieser nicht mehr wirklich weiß war. Er war voll mit getrocknetem Blut. Ich konnte mich nicht bewegen, Nur zusehen. Der Mann begann zu Lachen. Das bekannte „ho ho ho“, nur dieses mal klang es seltsam verzerrt. Er hob eine seiner Hände, sie war auch mit Blut befleckt, und winkte mir damit grinsend zu. Dabei kamen spitze raubtierhafte Zähne zum Vorschein. Panisch drehte ich mich um und rannte in Richtung Küche. Gerade als ich die Tür erreicht hatte, wurde ich an den Haaren zurück gerissen, und mein Kopf wurde brutal gegen den Türrahmen geschmettert. Ein knacksen. Meine Beine gaben unter mir nach. Ich fiel kraftlos zu Boden. Meine Sicht wurde unscharf…das letzte was ich sah waren die schwarzen Stiefel des Mannes…

Grinsend nahm der Horrorweihnachtsmann den Körper der bewusstlosen, stopfte ihn in seinen großen Sack, welchen er sich über die Schulter warf und ging in den Flur, wo ein großer spiegel stand. Ein, zwei mal tippte er diesen an, bis sich die Oberfläche zu verändern begann und nun nicht mehr das Siegelbild des Mannes zeigte, sondern eine verschneite Landschaft. Ein letztes mal drehte er sich um und rief: „HO! HO! HO!“ Bevor er sich rückwärts durch das Portal schmiss und verschwand…

Mara war müde. Es war schon ziemlich spät am Abend. Ihr Freund würde erst morgen zurückkommen. Er war beruflich noch im Ausland. Beide freuten sich auf die gemeinsame Zeit im Advent. Sie würden es sich richtig gemütlich machen. Mit Weihnachtsplätzchen und selbstgemachtem Punsch würden sie eingekuschelt in flauschige Decken am warmen Kachelofen sitzen und Arm in Arm Weihnachtsliedern lauschen. Mara hatte schon die geliebten alten Schallplatten vom Dachboden geholt, eine Auswahl getroffen und den Plattenspieler auf seinen angestammten Platz zur Weihnachtszeit gestellt. Gedankenverloren stand sie ihm Schlafzimmer vor dem großen Spiegel und probierte das neue rote Negligé an, das sie als Überraschung für Tom gekauft hatte. Er liebte die Farbe rot an ihr, während sie eigentlich lieber schwarz oder nachtblau trug.

Ein Schnurren holte Mara aus ihren Gedanken zurück in die Wirklichkeit. Nikolaus, ihr Kater, war ins Zimmer geschlichen und forderte nun seine Streicheleinheiten. Sie hob ihn hoch und sofort kuschelte er sich in ihre Arme. Gemeinsam gingen sie über den Flur in die Küche. Hier füllte Mara Nikolaus Schälchen mit Futter und nahm noch ein paar Leckerlis für ihn aus der Dose. Mit dem Kater auf dem Arm, dem Schälchen Futter in der einen Hand und den losen Leckerlis in der anderen, balancierte sie vorsichtig barfuß zum warmen Kachelofen. Dort setzte sie sich hin, stellte Nikolaus sein Schälchen auf die Bank neben sich und öffnete die Hand mit den Leckerlis. Sofort ging Nikolaus Köpfchen zu den Leckerlis und Mara musste laut lachen. So kannte sie ihren Schmusetiger.

Nachdem auch das Näpfchen leer war, kuschelte sich Nikolaus wieder auf Maras Schoß. Derweilen war es draußen Nacht geworden. Durch die Fenster konnte man das Funkeln der Sterne sehen. Mara begann wieder in Gedanken zu versinken, während sie Nikolaus sanft über sein Fell strich und die wohlige Wärme des Kachelofens genoss.

Doch! Was war das? Hatte sie da nicht gerade ein Geräusch gehört? Nach einem kurzen Moment angestrengten Lauschens, schüttelte Mara den Kopf. Sie hatte sich wohl geirrt. Sicher hatte nur irgendwo ein Balken ihres alten Hauses geknarzt.

Da! Da war wieder dieses Geräusch. Auch Nikolaus hob sein Köpfchen und stellte die Ohren. Mara bemerkte wie sich sein Rücken unter ihrer Hand anspannte und schon sprang er von ihrem Schoß. Während er um die Ecke in den angrenzenden Wintergarten flitzte, fühlte sich Mara nicht mehr ganz so wohl. Anspannung überkam sie. Es wird doch nicht jemand im Haus sein? Das war aber eigentlich nicht möglich. Sie hatte alle Türen sorgfältig abgeschlossen, wie immer. Und Tom kam ja erst morgen nach Hause. Er hatte die Ankunftszeit des Fluges bereits mitgeteilt. Sie hatten ausgemacht, dass Mara ihn abholen kommen würde. Dann brauchte er nicht noch umständlich mit drei weiteren Nahverkehrszügen fahren. Außerdem konnte sie es kaum abwarten ihren Liebsten endlich wieder zu sehen.

Langsam erhob sich Mara und ging vorsichtig Schritt um Schritt barfuß zur offenen Durchgangstür. Es war mucksmäuschenstill. Kein Atemzug war zu hören. Wo war eigentlich Nikolaus? Kein Tapsen, kein Maunzen. Einfach nichts. Nur Maras Herz klopfte so laut, dass sie Angst hatte gleich einen Kollaps zu erleiden. Angespannt ging sie den nächsten Schritt in den Wintergarten.

Was sie aber dort sah, hätte sie nicht in ihren kühnsten Träumen erwartet. Auf dem Boden unter dem Weihnachtsbaum in der Ecke, saß der Nikolaus. Nein nicht ihr Kater. Ein Nikolaus. Sie konnte ihn nur von hinten sehen. Einige Geschenke lagen schon ordentlich dekoriert auf dem ausgelegten grünen Samt. Mara sah sich um. Die Tür war verschlossen. Wie war dieser Nikolaus hier hereingekommen und vor allem, wer war das überhaupt? Und was machte er da?

Noch bevor sie fertig überlegen konnte, was zur eigenen Verteidigung geeignet war, hörte sie das zufriedene Schnurren ihres Katers. Wieso war Nikolaus eigentlich so friedlich? Normalerweise war er Fremden gegenüber nicht so aufgeschlossen. Aber Nikolaus schien Nikolaus zu kennen. Und jetzt sah sie ihn auch, wie er von irgendwoher aus dem roten Gewand erschien und sie zufrieden ansah.

In dem Augenblick drehte sich der Nikolaus, der hier absolut nichts verloren hatte, um. Erschrocken sah er Mara an und Mara blieb fast das Herz stehen. Im nächsten Moment erinnerte sie sich daran, dass sie ja nur das rote Negligé, also eigentlich nichts, anhatte. Hektisch schaute sie sich um, mit welcher Decke sie sich etwas mehr anziehen konnte und griff in ihrer Not zur Weihnachtstischdecke, die schon fertig gebügelt bereit lag. Schnell hielt sie den Stoff notdürftig vor sich.

Nikolaus störte das nicht, er kam durch den Raum zufrieden auf sie zugelaufen und strich ihr um die nackten Beine. Im nächsten Moment stand der Fremde auf und ging langsam auf sie zu. Offenbar hatte er sich von seinem Schock schneller erholt. Mara aber stand völlig erstarrt im Raum und wagte kaum zu atmen. Beim Blick in seine blauen Augen, die von den angeklebten Augenbrauen, der Perücke und dem üppigen weißen Bart umgeben waren, fiel es Mara wie Schuppen von den Augen. Was machst du denn hier? Mara erholte sich nur mühsam von dem Schreck zu nächtlicher Stunde, während der kunstbärtige Nikolaus sie erreicht hatte und ihr Kater ihr weiter um die Beine strich.

Mara öffnete ihre Arme und es war ihr jetzt völlig egal, dass die gebügelte Weihnachtsdecke zu Boden fiel und noch mehr Knicke abbekam. Nikolaus stob zur Seite, als er den Stoff spürte und verzog sich zum Kachelofen. Er wusste, dass er jetzt unerwünscht war. Mara nahm ihren Nikolaus in die Arme und küsste ihn überschwänglich. Also den Kunstbart. Weiter kam sie nicht. Jetzt mussten beide lachen. Tom zog schnell den Bart aus, bevor er seinen Schatz erneut in die Arme nahm. „Ist meine Überraschung gelungen?“, fragte Tom. „Ich konnte es nicht mehr abwarten, habe früher Schluss gemacht und konnte früher fliegen. Mara nickte und küsste ihn innig, bis ein klägliches Miauen sie daran erinnerte, dass ja noch der einzig echte Nikolaus da war, der sich gerade sehr einsam fühlte.

**Weihnachtswunsch
„*Papa, ich habe noch einen Wunsch an den Weihnachtsmann.“
„Und der wäre?“
„Ein fernlenkbares Spielauto. Bei Kevin habe ich so eines gesehen.“
„Da bist du ziemlich spät dran. Dein Wunschzettel ist längst weg. Der Weihnachtsmann hat jetzt vollauf zu tun. Und die Post wird kaum noch rechtzeitig ankommen.“
Ich war enttäuscht und bettelte: „Probiere es doch noch!“
Der 24. war da. Den Weihnachtsbaum hatten wir im Wohnzimmer aufgestellt und gemeinsam geschmückt. Dabei ist mir eine Silberkugel heruntergefallen und zersprungen. „Pass doch besser auf“, zürnte mein Vater. „Tut mir leid, sie ist einfach werggerutscht.“
Vater rief die Mutter aus der Küche. „Schau dir das an, was der Junge fertigbringt.“
Sie kam mit Kehrblech und Besen und fegte die silbrigen Splitter zusammen und holte zuletzt noch den Staubsauger und murmelte: „Die Baumnadeln müssen auch weg.“ Ich wurde nach oben in mein Zimmer geschickt, sollte mich ausruhen, bleiben, bis ich gerufen würde.
Ich hatte nun Zeit, mir vorzustellen, welche Wünsche in Erfüllung und mit dem Gedanken, dass es kein Spielauto gibt, anzufreunden.

Es begann zu dunkeln. Jetzt muss der Weihnachtsmann unten im Wohnzimmer in Gange sein. Ein auf- und abrasselndes und zugleich sirrendes Geräusch klang von unten herauf. Was war das? Ich konnte mich nicht zurückhalten und löschte das Licht, öffnete leise die Tür und schlich zur Treppe.

Das Geräusch war deutlicher. Dann knallte es ein wenig und Stille. Ich beugte mich tiefer. Mir gingen die Augen über. Nun machte ich den Fehler, ging noch eine Stufe weiter, während das Geräusch wieder einsetzte. Ein schwarzgrünes Gefährt schoss auf die Treppe zu und mein Vater und ich, wir, starrten uns an. Er ließ die Hände sinken und ein kleiner Antennenstab deutete auf mich. Der Blick meines Vaters verdüsterte sich. „Das ist doch die Höhe!“, fauchte er.
Blitzschnell drehte ich mich, stürmte die Treppe hoch und rief: „Du hast mich belogen. Du bist selbst dein Weihnachtsmann“ .Ich hörte noch meinen Vater brüllen: „So, das war‘s. Du bleibst heute in deinem Zimmer!“

Ich schmiss die Tür zu, warf mich aufs Bett und weinte, bis ich müde wurde und einnickte.
Zu mir kam ich, als es an die Tür klopfte und meine Mutter Felix rief …

Wem habe ich heute eine Freude gemacht?

Die Frage kam mir in den Sinn.

Ist sie gut? Ist sie belanglos? Oder gar schlecht?

Ach, darüber will ich mir keine Gedanken machen! Sollen das doch die Philosophen tun! Ich für mich entscheide: Diese Frage ist gut, denn sie lässt mich nachdenken über den Sinn meines Daseins und des Miteinanders. Und sie lässt mich nachdenken, was ich zu diesem Miteinander beitrage. Und was Freude ist und Liebe.

Ja, das nehme ich mir vor: Mich vor dem Schlafengehen fragen, wem ich an diesem Tag eine Freude gemacht habe.

Nicht nur am 24. Dezember. Auch nicht am 25. Nein, schon am 1. Januar. Und dann am 2. Und am 3. ebenso. Jeden Tag.

Warum?

Vielleicht ist dann ja jeden Tag Weihnachten? Jeden Tag ein Fest der Liebe und der Freude? Und wenn auch nur für ein paar Minuten?

Soll man mich doch sehen! Soll man doch wissen, dass es mich gibt, mich, den Weihnachtsmann, der dazu da ist, Freude zu bereiten. Dann kommen sie für einen Moment herunter von dem Alltag, dem Stress und der Sorge um das tägliche Brot. Denn wer mich sieht, der hat ein Lächeln im Gesicht. Auch, wenn er mich nicht erkennt, weil ich aussehe, wie jeder andere …

Ja, jeden Tag ein Stück Weihnachten!

Wem habe ich heute eine Freude gemacht?

Die Wahrheit über den Weihnachtsmann

Es gibt keinen Weihnachtsmann, der die Geschenke bringt. Beziehungsweise, es gibt ihn nicht so, wie wir unseren Kindern erzählen. Woher ich das weiß? Nun, man sollte meinen, jede erwachsene Person weiß das. Bei mir verhält sich die Sache jedoch etwas anders. Ich habe den Weihnachtsmann getroffen. Und doch ist es wichtig, dass wir unseren Kindern das Märchen von ihm weiterhin erzählen. Warum? Ich werde es euch erzählen …

Es war der 23. Dezember vor vier Jahren. Meine beiden Kinder lagen bereits im Bett und mein Mann war bei seinen Eltern, die Hilfe mit ihrer schlecht funktionierenden Heizung brauchten. Bevor ich selbst schlafen ging, begann ich damit, die Geschenke für die Kinder unter den bereits geschmückten Weihnachtsbaum zu legen. Damals glaubten meine Beiden noch, dass der Weihnachtsmann die Geschenke bringt.
Zufrieden betrachtete ich das Bild, das sich mir bot: Der Weihnachtsbaum war behangen mit roten und goldenen Kugeln, in der Luft hing der Geruch nach Tanne und meinen selbstgebackenen Plätzchen und das bunte Papier verbarg die Überraschungen für die Kinder. Ich hatte sie unter großem Stress online bestellt und in der Stadt ergattert und ein kleines Vermögen dafür ausgegeben. Doch da mein Mann und ich allgemein gut verdienten und wir dieses Jahr beide mehr Weihnachtsgeld bekommen hatten, konnten wir es uns leisten. Auch die Großeltern, Tanten und Onkel waren spendabel gewesen und hatten mir Geld gegeben, um den Kindern ihre langen Wunschzettel zu erfüllen. Ja, ich gebe zu, ich hatte mit dem Geschenkeberg übertrieben. Aber für mich gibt es nichts Schöneres, als den Kindern an Weihnachten Freude zu bereiten und ihre leuchtenden Augen zu sehen. Aufs Geld geschaut habe ich kein einziges Mal. Das sollte sich bald als glücklicher Zufall herausstellen.
Nachdem ich also mein Werk getan hatte, legte ich mich ins Bett. Ich wusste, dass die Nacht kurz werden würde, denn die Kinder würden wegen der Vorfreude auf den Weihnachtsabend nicht lange in den Betten bleiben. Während ich in den Halbschlaf abdriftete, fiel mir ein, dass ich ein Geschenk für meinen Sohn vergessen hatte. Weil es so groß war, hatte ich es im Keller zwischen alten Umzugskartons versteckt. Ein weiteres Mal verließ ich den Raum und schlich an den Kinderzimmern vorbei nach unten. Noch ehe ich Richtung Kellertreppe abbiegen konnte, hörte ich ein Rumpeln und Scharren aus dem Wohnzimmer. Alarmiert griff ich zum Besen und betrat das Wohnzimmer. In meinen Gedanken kam ich gar nicht auf die Idee, dass ein Einbrecher diese Geräusche verursachen könnte. Ich rechnete mit der Nachbarskatze, die die Kinder manchmal heimlich zu uns hineinließen. Umso überraschter war ich, als ich einen Mann mit rotem Mantel über meinen Geschenkeberg gebeugt vorfand, der gerade ein Paket, das für meinen Sohn bestimmt war, in seinen Jutesack lud. Und wenn ich sage, dass er einen roten Mantel anhatte, meine ich nicht diese künstlichen Filzweihnachtsmannkostüme. Er trug ein sehr edles Gewand aus feinster Seide, das aufwendige goldene Stickmuster an den Säumen aufwies. Eigentlich war es eher eine Robe denn ein Mantel. Mir entfuhr ein Schrei, ich packte meinen Besen, schleuderte ihn auf den Eindringling zu und rannte zur Tür zurück. Auf magische Art und Weise manifestierte sich der Mann mit dem grauen Bart vor mir und versperrte mir den einzigen Weg hinaus. Ein kühler Duft zog in meine Nase, der mich an frisch gefallenden Schnee erinnerte. Mein Herz blieb beinahe stehen, als ich mich in der Falle sah. Kein Ton entrann meiner Kehle. Der Mann legte den Finger auf seine Lippen und bedeutete mir, still zu sein. Selbst wenn ich gewollt hätte, meine Kehle war wie zugeschnürt und ich wusste damals bereits, dass der Eindringling dafür verantwortlich war. Durch Zauberei drückte mich eine unsichtbare Hand aufs Sofa.
»Das tut mir leid, du hättest mich nicht sehen sollen«, sagte der Mann ruhig mit angenehm tiefer Stimme und mit einem Mal war ich völlig entkrampft, als wäre er ein alter Freund, den ich zum Tee erwartet hätte.
»Dir wird nichts geschehen, aber ich muss dich ruhigstellen. Ich will nicht auch noch von deinen Kindern entdeckt werden. Sie wären nicht erfreut darüber, dass ich ihre Geschenke nehme«, erklärte er, während er damit weitermachte, ein paar Päckchen in seinen Sack zu packen.
»Wieso stehlen Sie die Geschenke für meine Kinder?«, verlangte ich flüsternd zu wissen. Lauter konnte ich nicht sprechen und auch sonst war ich bewegungslos.
»Weil … Nun ich bin der Weihnachtsmann. Der echte.«
»Wäre das so, würden Sie Geschenke bringen und nicht nehmen.«
Er deutete auf den Berg. »Noch mehr Geschenke? Ist das dein Ernst?« Der Mann blickte mich an und schien etwas abzuwägen. »Weißt du, früher … Also vor vielen, vielen Jahren, da habe ich Kinder mit Äpfeln und Nüssen überrascht. Und mit kleinen Holzschnitzereien, getrockneten Blumen und allem, was der Wald sonst noch hergab. Kannst du dir vorstellen, dass es eine Zeit gab, in der sich die Kinder und Eltern wahnsinnig über solche Geschenke gefreut haben?« Er lächelte wehmütig und fuhr fort: »Irgendwann war den Eltern das nicht mehr genug, sie begannen eigene Geschenke dazuzulegen. Spielsachen aus Plastik wie Puppen und andere teuer hergestellte Dinge. Und das, was ich zu geben hatte, wurde immer weniger beachtet. Mit der Zeit haben die Eltern und Verwandten meine Aufgabe komplett übernommen und ich wurde nicht mehr gebraucht. Meine Existenz wurde zu einem Mythos. Selbst mein Name, Nikolaus, ist vielen gar kein Begriff mehr. Zumindest nicht außerhalb meines Gedenktages am 6. Dezember. Welch eine Ironie, dass Erwachsene dafür gesorgt haben, dass ich nicht mehr kam, aber in meinem Namen ihre Kinder mit teuren Überraschungen bedenken …«
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, den ich mühsam versuchte hinunterzuschlucken. Ich teilte die Traurigkeit und Enttäuschung über diese Wendung, als würden sich Nikolaus‘ Gefühle auf mich übertragen. Über sein Gesicht huschte nur kurz ein dunkler Schatten, dann loderte Kampfgeist auf. Akribisch verschnürte er den Sack und setzte sich dann in den Sessel vor mich. »Nach vielen Jahren der totalen Abwesenheit, in der ich die Welt beobachtet habe und die viele Ungerechtigkeit gesehen habe, habe ich entschlossen, dass sich etwas verändern muss. Ich habe mir eine neue Aufgabe gesucht. Mir war bewusst, dass ich niemanden mehr mit den Gaben des Waldes erfreuen konnte. Nicht einmal die Augen der ärmsten Kinder beginnen bei meinen Geschenken zu leuchten, wenn um sie herum so viele Spielsachen unter den Weihnachtsbäumen liegen. Da habe ich entschieden, dafür zu sorgen, dass die Geschenke der Kinder ein wenig gerechter verteilt werden. Ich nehme von denen, denen es gut geht so wie euch und bringe es den ärmeren Kindern, deren Eltern kein oder wenig Geld für Geschenke haben. So mache ich das schon seit vielen Jahren. Ist dir je aufgefallen, dass Geschenke fehlten?«
Ich schüttele den Kopf.
»Dann habe ich gute Arbeit geleistet. Denn irgendwo haben Kinder Geschenke gefunden, von denen die Eltern nicht wussten, wer sie dort hingelegt hat.«
Der Gedanke, dass ich nicht nur meine eigenen Kinder an Weihnachten beschenkte, sondern dank Nikolaus unabsichtlich auch andere, sorgte für ein warmes Gefühl in meinem Inneren. Dieser Mann belebte den eigentlichen Sinn von Weihnachten für mich neu. Als wusste er, was ich dachte, verzog er großmütig das faltige Gesicht und erhob sich aus seinem Sessel. »Ich könnte dich jetzt alles vergessen lassen. Aber das werde ich nicht tun. Heute nehme ich nicht nur von euch, ich schenke dir das Wissen um mich und meine Existenz. Du weißt nun, dass es mich gibt, aber du weißt auch, dass du nächstes Jahr wieder Geschenke für deine Kinder kaufen musst.«
Ich nickte rasch und versuchte ihm mit Blicken meine Dankbarkeit zu zeigen. »Im Keller ist noch ein großes Geschenk, das eigentlich mein Sohn bekommen sollte. Vielleicht …«
Nikolaus schüttelte den Kopf. »Nein, dieses Geschenk musst du ihm schenken. Er wird sich sehr darüber freuen und viele schöne Erinnerungen entwickeln, an die er als Erwachsener gerne denken wird. Ich nehme nur die Geschenke, die bald ohnehin keine Beachtung mehr finden.«
»Das weißt du?«, entfährt es mir fasziniert.
Er grinst. »Natürlich. Ich bin der Weihnachtsmann. Frohe Festtage, Liebe und Gesundheit wünsche ich dir und deiner Familie.«
Er schnippte mit den Fingern und löste sich im selben Moment vor meinen Augen auf. Hufgetrappel und das Schellen kleiner Glöckchen erklangen dumpf in meinen Ohren, dann löste sich meine Starre und ich blieb mit einem Gefühl zurück, als würde ich vor einem lodernden Kamin sitzen.

Seitdem stelle ich wieder Kekse und Milch ins Wohnzimmer. Neben die Geschenke, die ich jedes Jahr für meine Kinder staple und hoffe, dass Nikolaus genug für die Armen findet. Und seitdem macht es mich traurig und glücklich zugleich, wenn mir andere Menschen sagen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Traurig, weil es eine Lüge ist. Und glücklich, weil er so auch in Zukunft viele Geschenke für die Kinder haben wird, denen es schlecht geht.

Die Kunst des Hörens

Es war eine ruhige Nacht in der ländlichen Gegend weit weg von der Hektik der Stadt. Ein sanfter Schneefall tauchte die Landschaft in ein glitzerndes Weiß, während der Mond am Himmel stand und sein silbernes Licht über die freistehenden Häuser warf. Die Dunkelheit wurde von den schimmernden Schneekristallen und dem geheimnisvollen Glanz des Mondes durchbrochen.

Am Rand des Dorfes, in einem abgelegenen Haus inmitten dieser winterlichen Idylle schloss Holger leise die Tür des Kinderzimmers. Bedacht darauf seine beiden kleinen Kinder nicht wieder zu wecken, bewegte er sich langsam und zog in Zeitlupe sanft die Tür zu. Seine einjährige Tochter und sein zweieinhalbjähriger Sohn waren eingekuschelt in ihren Schlafsäcken, nach einem aufregenden Tag und einer kurzen Gute-Nacht-Geschichte, vor Erschöpfung schnell eingeschlafen und schlummerten nun friedlich vor sich hin.

Ruhig ging er an den Zimmern seiner beiden Teenager vorbei, um auch ihnen eine Gute Nacht zu wünschen. Die beiden raunten ihm nur ein genervtes „Gute Nacht Papa“ zu und signalisiertem ihm, dass sie gerade mit anderen Dingen beschäftigt waren, bei denen er sie nur störte. Holger schmunzelte innerlich über seine beiden Pubertiere und erinnerte sich zurück an die Zeit, als es sein 15-jähriger Sohn und seine 13-jährige Tochter genauso schön wie seine beiden Kleinen fanden, wenn er sie abends ins Bett gebracht hatte.

Müde stieg er die Wendeltreppe ins Erdgeschoss hinab und ließ sich in seinen bequemen roten Ledersessel fallen, der in seinem Wintergarten stand. Es knisterte ein behagliches Kaminfeuer im Wohnzimmer, während der Duft von Tannennadeln die Luft erfüllte. Holger blickte durch das große Panoramafenster hinaus in das Schneetreiben. Der Mond warf sein mildes Licht auf die schneebedeckten Hügel und Felder, die sich bis zum Horizont erstreckten.

Mittlerweile sah man dem 45-jährigen die emotionalen Strapazen der letzten Monate an. Sein Körper war ausgemergelt und sein eingefallenes Gesicht von zwei tiefen Furchen geprägt. Traurig blickte er auf den leeren Sessel neben sich, während er sich von dem kleinen Beistelltisch zwischen den beiden Sesseln, eine Zigarette aus der darauf liegenden Schachtel nahm und sie sich anzündete. Es war kurz vor Weihnachten und Holger verstand die Ereignisse dieses Jahres immer noch nicht. Er nahm einen tiefen Zug und blies den Rauch langsam aus, als er aus dem Wohnzimmer einen dumpfen Schlag wahrnahm und aus seinem Sessel hochschreckte.

Forschend lief Holger ins Wohnzimmer, um nachzusehen, was wohl die Ursache für das Geräusch gewesen sein könnte. Er fragte sich, ob sich etwa eines der Pubertiere zu ihm nach unten verirrt hatte, was mehr als ungewöhnlich wäre. Er entdeckte jedoch nur den festlich geschmückten Tannenbaum mit glänzenden Kugeln und funkelnden Lichtern, der den Raum weihnachtlich erhellte.

Weit und breit war niemand zu sehen und alles sah genauso aus wie immer. Holger konnte sich nicht erklären, was das Geräusch verursacht haben konnte.

„So langsam drehst du durch“, begann er kopfschüttelnd ein Selbstgespräch mit sich zu führen. Er drehte seinen Kopf zu dem kleinen Spiegel, der an der Wand hing und blickte in seine traurigen blauen Augen. „Was ist bloß aus dir geworden!? Jetzt hast du schon akustische Halluzination! Fehlt nur noch, dass du Stimmen hörst.“

„Was ist so schlimm daran, Stimmen zu hören und ihnen vielleicht sogar zuzuhören?“ Holger riss seine Augen weit auf und traute seinen Ohren nicht. Hatte er das gerade wirklich gehört? Er drehte sich um und schaute in die Richtung, aus der er glaubte, die Frage gehört zu haben. Langsam trat hinter dem Weihnachtsbaum eine Person in seine Richtung hervor. Sie hob langsam die Hände, deutete ihm, dass er leise sein soll, und ging sachte auf ihn zu. Holger rieb sich die Augen. Er konnte nicht glauben, was er vor sich sah. Vor ihm stand ein Mann in seinem Alter mit blauen Haaren, die zu einem Irokesenschnitt gestylte waren, und einem roten Dreitagebart. Gekleidet war die Person in einen hellblauen Anzug mit pinkfarbenem Pelzbesatz. Die Farbe seiner Stiefel und seines Gürtels waren farblich an den Pelzbesatz angepasst.

„Wer bist Du?“, stammelte Holger irritiert und konnte immer noch nicht glauben, was er da mitten in seinem Wohnzimmer vor sich sah.

„Wir haben kurz vor Weihnachten! Wer könnte ich wohl sein?“, beantwortete sein Gegenüber freundlich lachend seine Frage.

„Never ever bist du der Weihnachtsmann“, blaffte Holger ihn an.

„Wieso? Weil ich nicht im Coca-Cola-Style rum schleiche?“, nahm der Weihnachtsmann ihn auf die Schippe. „Zurück zu meiner eigentlichen Frage. Was ist daran so schlimm Stimmen zu hören und ihnen zuzuhören?“ Holger hielt einen kurzen Moment inne, um die Informationen zu verarbeiten. Er nahm die Wärme und das Knistern aus dem Kamin wahr und plötzlich durchströmte ihn eine unerwartete innere Ruhe. Draußen verstärkte der Schnee die Stille und die Welt schien in diesem Moment eingefroren zu sein.

Der fremde Mann durchbrach die Stille: „Die meisten Menschen haben verlernt zuzuhören. Sie hören weder der eigenen Stimme noch der von anderen Menschen richtig zu. Ich bin heute hier, um dir zuzuhören, Holger. Du siehst traurig und müde aus.“

„Das bin ich auch“, erwiderte dieser ihm und erzählte weiter. „Meine Frau und ich haben uns Anfang dieses Jahres getrennt und es fühlt sich nicht gut an. Ich vermisse sie jeden Tag und jetzt an Weihnachten ist es noch schlimmer. Mir ist es wichtig, dass unsere Kinder ein schönes Weihnachtsfest haben. Ich danke dir für die Unterstützung mit den Weihnachtsgeschenken. Ich nehme an, deswegen bist du eigentlich hier.“

Der Weihnachtsmann schüttelte nur den Kopf und antworte ihm mit fester Stimme: „Wieder hast du nicht richtig zugehört. Was helfen die ganzen materiellen Dinge? Sie lösen nicht den Schmerz, den du in dir verspürst. Sie verändern auch nichts an deiner Situation oder der eurer gemeinsamen Kinder. Das wahre Glück im Leben entfaltet sich durch die Macht der Liebe. Sie ist das stärkste Band, welches Menschen miteinander verbindet“.

Holger dachte darüber nach, was ihm der rotbärtige Mann mit dem Irokesenschnitt damit vermitteln wollte.

„Ich verstehe, was du meinst. Trotzdem hat das Band nicht gehalten. Also gibt es die Macht der Liebe nicht wirklich, wenn das Band so einfach reißen kann und daraus so viel Schmerz entsteht“, widersprach er überzeugt, um die Aussage seines Gesprächspartners zu widerlegen.

Sanft und mit gütigem Blick lächelte der Weihnachtsmann ihn an und entgegnete ihm: „Holger, du hast es immer noch nicht verstanden. Wenn sich das wahre Glück durch die Macht der Liebe entfaltet, dann muss man die Liebe pflegen. Nur so bleibt ihre volle Macht erhalten, wird stärker und zerreißt nicht.“

Verärgert und mit hochrotem Kopf schrie Holger den Weihnachtsmann an: „Du erzählst nur Schwachsinn. Es war alles in Ordnung. Wir hatten eine glückliche und harmonische Beziehung. Es gab keinen Grund, dass das Band gerissen ist und wir uns verloren haben.“ Die freundliche Miene des fremden Mannes veränderte sich und er blickte Holger nun mit ernstem Blick tief in die Augen. Dem vierfachen Vater wurde schlagartig mulmig. Hatte er sich gerade so gehen lassen, dass die Gefahr bestand, seine Kinder geweckt zu haben? Er, der alles für seine Kinder tat und nur das Beste für sie wollte?

„Du kannst froh sein, dass ich für deine Kinder die Welt um dich eingefroren habe und sie von deiner Vorstellung hier nichts mitbekommen. Ich möchte dich fragen, was glaubst du, ist der Schlüssel zur Macht der Liebe und damit zum wahren Glück im Leben? Überrasch mich positiv, ob du bereits was gelernt hast,“ forderte ihn der Weihnachtsmann auf, seine Frage zu beantworten.

Holger runzelte die Stirn und verdrehte genervt seine Augen. Seine Gedanken wirbelten wild umher. während er versuchte, die Bedeutung der Frage zu erfassen. Vielleicht war es die Jahreszeit oder einfach der magische Augenblick, dass er den Impuls des Weihnachtsmannes so besonders wahrnahm.

Mit einem freundlichen Lächeln durchbrach der Weihnachtsmann die Stille: „Holger, das Zuhören ist eine Kunst, die oft überhört wird. Es geht nicht nur um das Hören von Worten, sondern um das Verstehen von Emotionen und das Entschlüsseln der Botschaften dahinter. Deine innere Stimme führt dich auf den Weg des Verstehens.“

Holger, noch immer unsicher, nickte nachdenklich. "Aber was genau soll ich verstehen?“

Der Weihnachtsmann lief in den Wintergarten und setzte sich auf einen der beiden roten Sessel und lud Holger ein, sich ihm anzuschließen. Er deutete mit seiner Hand auf Holgers Lieblingsplatz, der sich daraufhin zu ihm setzte. „Die Magie von Weihnachten liegt nicht nur in Geschenken und Lichtern, sondern auch im Verständnis füreinander. Deine innere Stimme erinnert dich daran, dass das Herz eines jeden Menschen eine Geschichte erzählt, die gehört werden möchte.“

Langsam atmete Holger tief ein und aus. Er spürte, wie seine Lungen mit frischem Sauerstoff geflutete wurden und sein Geist und Körper ruhiger wurde. Langsam schloss er seine Augenlider und blendete alles um sich herum aus, um sich zu fokussieren. Jetzt war er ganz bei sich und spürte sein Herz, dass kräftig und regelmäßig schlug. Plötzlich nahm er seine innere Stimme wahr und hörte zu. Vorsichtig öffnete er wieder seine Augen und fühlte sich im ersten Moment so gut wie lange nicht mehr.

„Ich habe den Schlüssel gefunden“, verkündete er stolz, um gleich darauf mit traurig-brüchiger Stimme fortzufahren: „Doch es ist zu spät; ich hätte ihn früher gebraucht,“ Eine Träne bahnte sich über seine Wange. „Ich habe bereits den wichtigsten Menschen in meinem Leben verloren.“

„Holger, es ist nie zu spät, das Richtige zu tun. Glaubst du denn nicht an Weihnachtswunder? Schau mal auf die Uhr. Wir haben 7 Uhr morgens und heute ist Heiligabend. Denk immer daran, die wahre Freude liegt im Teilen von Liebe und Verständnis. Ich wünsche deiner Familie und dir ein schönes Fest der Liebe. Frohe Weihnachten,“ gab ihm der Weihnachtsmann augenzwinkernd einen letzten Ratschlag und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

„Guten Morgen Papa“, rief es aus dem Flur. Holger drehte sich um und sein dreijähriger Sohn sprang im entgegen. Er nahm ihn hoch, drückte ihn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Als die beiden sich umdrehten war das Wohnzimmer leer.

„Papi, heute ist Weihnachten. Ich kann es kaum abwarten. Heute Abend gibt es Geschenke. Was machen wir bis dahin?“ fing der kleine Mann an aufgeregt zu erzählen und zu fragen. Holger antwortete ihm nur: „Das größte Geschenk ist doch, dass wir uns haben. Komm, wir wecken deine Geschwister und machen einen Ausflug.“

Schmunzelnd ließ Holger die Beschwerden seiner Pubertiere über sich ergehen, wie er sie, denn an Weihnachten so früh für einen Ausflug wecken könne. Ihn konnte das nicht aus der Ruhe bringen oder seine gute Laune vermiesen, die er hatte.

10 Minuten später erreichten sie bereits ihr Ausflugsziel. Der frisch gefallene Schnee glitzerte im Mondlicht und das Haus schien von einer zauberhaften Atmosphäre umgeben zu sein.

„Was wollen wir denn bei Mama? Bist du jetzt durchgedreht?“ maulten die Großen ihn an, während ihr kleiner Bruder bereits zur Haustür rannte und Holger ihm mit der Babyschale, in der ihre kleine Schwester lag, hinterherging. Der kleine Mann klingelte Sturm an der Haustür, die Jennifer, seine Mutter, verdutzt öffnete und irritiert fragte: „Was wollt ihr denn hier?“

„Keine Ahnung, frag Papa,“ blaffte die ältere Tochter und rollte die Augen.

Holger schaute ihr mit einem warmen Blick tief in die Augen.

„Jennifer, ich habe den Schlüssel zur Macht der Liebe, zu unserer Liebe. Wenn du möchtest, können wir unser Band wieder reparieren und immer stärker machen,“ erzählte er ihr euphorisch. Seine Frau blickte sehr skeptisch.

„Holger, wir hatten das schon. Wie soll das funktionieren? Es ist so viel vorgefallen,“ wollte sie von ihm wissen. Langsam ging er auf sie zu und flüsterte ihr ins Ohr: „Der Schlüssel zur Macht der Liebe und einem festen Band liegt darin, dass wir unsere eigene Stimme nicht unterdrücken und uns gegenseitig zuhören. Es ist unsere Verbindung und die Möglichkeit unsere Freuden und Sorgen zu teilen.“

Jennifer blickte ihn ungläubig an. „Wir haben immer miteinander gesprochen und haben es trotzdem nicht geschafft. Was soll sich denn geändert haben und diesmal anderes sein?“, frage sie ihn. Sie versuchte ihn, mit ihren Worten, abzuwehren und keine Nähe mehr zwischen den Beiden entstehen zu lassen, wodurch eine unangenehme Stille entstand.

Das erlebte ihrer gemeinsamen Vergangenheit, als sie vor 2 Jahren begannen, nicht mehr aufeinander achtzugeben, schmerzte sie zu sehr. Die Beiden haben nur noch gearbeitet und für ihre Kinder gelebt und sich dabei völlig aus den Augen verloren.

"Zuhören bedeutet nicht nur, Worte zu hören, sondern die Seele des anderen zu verstehen und Verständnis zu teilen. Unsere innere Stimme erinnert uns daran, dass wir richtig zuhören müssen, um die Gefühle des anderen zu verstehen und für ihn da sein zu können.“, durchbrach Holger die Stille mit sanfter Stimme.

Sie sahen sich gegenseitig tief in die Augen. Jennifer schluchzte leicht und beide hatten Tränen in den Augen. Jennifer verstand, was Holger ihr damit sagen wollte, und nickte stumm. Holger nahm sie fest in seine Arme und flüsterte: „ich werde immer auf dich Acht geben.“ Seine Frau schloss ihre Augen und küsste ihren Mann sanft auf seine Lippen.

Gemeinsam ging die Familie ins Haus. Irritiert blickte Holger zum Weihnachtsbaum, unter dem einige Geschenke für die Kinder lagen. Er blickte zu Jennifer und sah, dass sie genauso irritiert über die Geschenke unter dem Baum war wie er. Schmunzelnd dachte er sich, es war eine Nacht, in der sich die Magie von Weihnachten in jedem Schneekristall und den Herzen widerspiegelte. Der Zauber von Weihnachten hatte eine neue Bedeutung für ihn bekommen – das Geschenk des Zuhörens und des Verstehens. Und so verweilten sie als Familie umgeben von Liebe und Licht, während draußen der Schnee erneut leise vom Himmel fiel.

Sinterklaas kommt ohne Waffen

Singend fasse ich den Klopfer an Ebenezer Scrooges Tür an:

‚Morgen kommt der Weihnachtsmann,
Kommt mit seinen Gaben.

Trommel, Pfeifen und Gewehr,

Fahn’ und Säbel, und noch mehr,

Ja, ein ganzes Kriegesheer
Möcht’ ich gerne….‘

Der schön geschmiedete, jetzt leider verbeulte Griff fällt mit lautem Getöse zu Boden.

„Warum lärmst du hier so rum, kann ich nicht wenigstens hier meine Pause in Ruhe verbringen?“

„Oh, pardon, ich bin die Verwalterin dieses Hauses und inspiziere die Räumlichkeiten, um eventuell noch Flüchtlinge hier einzuquartieren.“, antworte ich auf die Frage und blicke in das empörte Gesicht eines bärtigen Mannes.

„Aber Gegenfrage:‘Was machen Sie in einem fremden Haus?‘“

„Warum betätigst du den Klopfer, wenn du glaubst, dass niemand hier wohnt?“

„Ich muss jedes mal an die Geschichte von Dickens denken, wenn ich mich kümmern soll und da gehört das Berühren des Klopfers dazu!“
„So, so, du kennst also den Inhalt des Märchens?“

„In und auswendig! Deshalb habe ich ja den Verwaltungsjob bekommen. Doch jetzt sagen Sie endlich, wer Sie sind und lassen mich zudem meine Arbeit machen, ja?“ Mit diesen Worten schiebe ich den seltsamen Herrn beiseite und betrete das Haus. Modrig riecht es hier, aber mit ordentlichem Lüften und einem guten Reinigungstrupp ließe sich das schnell beheben. Gottseidank ist es dieses Jahr zu Weihnachten nicht so ungemütlich wie damals und ich entriegele alle Fenster im Erdgeschoss, stoße die Läden auf. Ah!

Der Alte sieht mich durchdringend an und mustert mich von oben bis unten.

„Nun, ich bringe den Kindern morgen die Weihnachtsgeschenke und es ist meine letzte Station, bevor ich wieder los muss.“

„Und Sie heißen?“, frage ich ein wenig zu arglos, obwohl seine Kleidung im neuen Licht von draußen erahnen lässt, dass es sich um einen Weihnachtsmann handeln muss. Er ist doch nicht etwa der Echte?

„Ja, ich bin es tatsächlich!“, errät er meine Gedanken. „Aber ich nenne mich lieber Christkind oder der Geist der Weihnacht, denn die Menschen vergessen leider heutzutage, dass der Grundgedanke ja sein soll, dass der Erlöser ihnen geschenkt wurde. Übrigens ist die erste Strophe deines Liedes völlig daneben. Warum singst du so einen alten Mist?“

„Na ja, so war das damals halt und wenn ich hierhin komme, bin ich von jener Zeit wie gefangen.“, stottere ich verlegen.

„Na gut. Kannst du mir jetzt helfen, die Geschenke aus dem Kamin zu ziehen, sie stecken leider fest. “ Empört klopft er sich den Ruß vom Mantel. „Lässt du ihn nie reinigen?“

Völlig verdattert, eile ich mit ihm in das obere Stockwerk und sehe viele kleine Geschenke, auch Briefe, die es durch den schmalen Schacht geschafft habe und jetzt wild durcheinander auf dem Boden verstreut sind. Ich nähere mich dem schmiedeeisernen Rahmen und bestaune die Reliefs, die rundum angebracht sind und bei näherer Betrachtung biblische Szenen darstellen. Kain und Abel, Noah mit seiner Arche, Adam und Eva, David mit seiner Schleuder, Moses, der das Meer teilt, die 10 Gebote, die Krippe erkenne ich, andere sind mir nicht geläufig oder es fällt mir spontan keine ein. So wirkungsvoll habe ich mir die Kamineinfassung nicht vorgestellt.

„An die Arbeit, junge Frau. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, um rechtzeitig zur Bescherung fertigzuwerden.“, ermuntert mich der Weihnachtsmann und beide bücken wir uns in den Kamin und schauen nach oben in den verstopften Schacht.

„Ach, du lieber Himmel.“, entfährt es mir. „Können Sie die denn nicht hinunter zaubern?“

„Auch wenn ich durch den Himmel mit dem Schlitten fahre, kann ich trotzdem nicht zaubern! Außerdem sollte sich die Menschheit mal bescheiden und nicht immer größere Geschenke auf ihre Wunschzettel schreiben! Ich muss ja schon Lieferdienste einspannen, um den Schlitten nicht zu überladen.“ Und nach einer kleinen Pause: „Leider habe ich mich ein wenig verkalkuliert, was die Größe der Geschenke in dieser Straße angeht.“

Ich durchsuche die Rumpelkammer und finde tatsächlich ein Stocheisen und gemeinsam und unter Schweiß gelingt es uns, ein Geschenk nach dem anderen herauszustochern. Schön sehen sie jetzt allerdings nicht mehr aus.

„Shit happens!“, bemerkt der Weihnachtsmann lakonisch und schüttelt meine verdreckte Hand. „Ich danke dir sehr. Jetzt hab’ ich auch noch Zeit, mit dir zusammen noch einen Kinderpunsch zu trinken. Was meinst du?“ Er holt einladend eine Thermoskanne und zwei Becher aus seiner weiten Manteltasche heraus.
„Gern! Erzählen Sie doch währenddessen, was Sie sich von der Menschheit zukünftig erwarten? Vielleicht kann ich ja eine Botschafterin des Weihnachtsmannes, Christkindes, Geist der Weihnacht sein?“

Er füllt die Tassen mit dampfender Flüssigkeit, reicht mir eine und nach einem genüsslichen Schluck beginnt er seinen Monolog:

„Weißt du, eigentlich bringt der Nikolaus am 6. Dezember die Geschenke für die Kinder, um ihre Not zu lindern. Das ist in den Niederlanden heute noch so und ich bin froh, dass ich durch ihn Entlastung erfahre. Erst Martin Luther und seine Evangelikalen hatten was gegen die Heiligenverehrung und deshalb gibt es in weiten Teilen das Christkind. Dort werden auch die Gaben selbst zuweilen als Christkind bezeichnet. Gott schickt nämlich seinen Sohn Jesus Christus, um den Menschen echte Freude, tiefen Frieden und wirkliche Vergebung zu ermöglichen. Deshalb beschenken sich die Menschen auch untereinander.

Die Niederländer brachten den Sinterklaas als Migranten mit nach Amerika und daraus wurde dann der Santa Claus, der Weihnachtsmann. Der populäre Mythos des Weihnachtsmanns heute geht zurück auf das 1823 anonym veröffentlichte Gedicht ‚The Night before Christmas‘ und dann kam die Kommerzialisierung durch Coca Cola…“ Hier verdreht das Weihnachtswesen die Augen und nimmt einen weiteren Schluck aus seiner Tasse, was ich ihm nachtue.

„Schön finde ich persönlich die Geschichte des aus Mondlicht entstandenden Ayas Ata, was soviel wie Frostvater bedeutet.“ Wieder eine Trinkpause.

„Die Erzählung aus diesem Gebäude von Ebenezer Scrooge und seinen Begegnungen mit den Geistern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht hat eine zeitlose Botschaft über Liebe, Mitgefühl und Großzügigkeit. Es ist ein starkes Beispiel dafür, wie wir uns durch Mitgefühl und Nächstenliebe verwandeln können. JedeR der Geister repräsentiert eine andere Facette der Feiertage, aber der gegenwärtige Geist der Weihnacht zeigt Scrooge die Bedeutung von Freude, Güte und Mitgefühl im Hier und Jetzt. Er verkörpert die warme, einladende Essenz des Festes und erinnert uns daran, dass die Freude an der Gegenwart und die Fürsorge für andere oft der wahre Geist der Feiertage sind.“

„Aber die Fronten sind überall verhärtet, Egoismus mehr den je vorherrschend. Der Faschismus überall ebenfalls. Der Klimawandel unumkehrbar. Was könnte die Menschheit dazu bewegen, sich auf ihre Tugenden zu besinnen?“, werfe ich ein.

„Das ist eine komplexe Frage, die viele Facetten hat. Es scheint, als wären Egoismus und Polarisierung tatsächlich in vielen Bereichen präsent. Die Rückbesinnung auf Tugenden erfordert oft einen kollektiven Wandel und eine bewusste Anstrengung, um Verständnis, Empathie und Mitgefühl zu fördern. Manchmal können persönliche Handlungen den Anfang machen. Indem wir selbst Mitgefühl und Verständnis praktizieren, können wir andere inspirieren, ähnliche Tugenden zu kultivieren. Bildung und Aufklärung spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wenn wir die Menschen über die positiven Auswirkungen von Empathie, Zusammenarbeit und Toleranz aufklären, könnten wir eine Kultur des Respekts und der Solidarität fördern. Es ist auch wichtig, dass Führungspersonen und Institutionen Verantwortung übernehmen, um eine inklusivere und mitfühlendere Gesellschaft zu fördern. Ein respektvoller Dialog, der Vielfalt anerkennt und fördert, kann dazu beitragen, Fronten zu öffnen und Brücken zwischen verschiedenen Ansichten zu bauen.“ Wieder denkt der Weihnachtsmann nach: „Krisen wie die COVID-19-Pandemie haben gezeigt, dass sie sowohl das Schlimmste als auch das Beste im Menschen hervorbringen können. Während einige Situationen zu mehr Spaltung führen können, können andere Krisen dazu beitragen, dass Menschen sich solidarisieren und gemeinsam nach Lösungen suchen. Eine Umweltkatastrophe ungeahnten Ausmaßes könnte eine ähnliche Wirkung haben. Sie könnte eine Dringlichkeit und eine gemeinsame Anstrengung hervorrufen, um die Umwelt zu schützen, Ressourcen nachhaltiger zu nutzen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen.

Dieses Szenario würde sicherlich eine große Chance bieten, die Menschheit mit den Konsequenzen ihres Handelns zu konfrontieren und die Bedeutung von Verantwortung und Umsicht zu betonen. Es könnte auch eine Botschaft darüber vermitteln, wie eure Handlungen, selbst die vermeintlich kleinen oder gut gemeinten, unvorhergesehene und weitreichende Auswirkungen haben können.“ Pause.

„Deine Idee als Botschafterin zu agieren und die Weihnachtsgeschichte um Ebenezer Scrooge und den Geist der Weihnacht zu benutzen, um die Menschen zusammenzubringen, gemeinsam eine Lösung für die entstandenen Umweltprobleme zu finden, ist eine inspirierende Wendung.“

„Wie wäre es, als ersten Schritt einen neuen, zusätzlichen Festtag zu etablieren, an dem sich über Glaubensgrenzen hinweg, alle Menschen sich gegenseitig Gutes tun?“, frage ich, von seinem Vortrag angetan.

„Diese Idee ist sehr symbolträchtig und könnte eine starke Resonanz haben. Das gegenseitige Geschenk wird nicht Konsum sein, sondern die Verpflichtung eines jeden Menschen, sich in die Gesellschaft einzubringen. Das Symbol dafür könnte ein ungewöhnlicher Stein sein, den man sich gegenseitig überreicht und der einen besonderen Platz in der Wohnung erhält als Mahnung, was alles Geschehen kann. Er soll daran erinnern, dass jedeR Einzelne eine Rolle dabei spielt, eine bessere Welt zu schaffen.“

Mit diesen Worten erhebt sich der Weihnachtsmann, öffnet die Haustüre, pfeift seine Rentiere herbei und belädt im Erdgeschoss seinen Schlitten. Er umarmt mich aufmunternd und überreicht mir den Türklopfer, der immer noch auf dem Boden liegt, mit den Worten: „Das ist mein ‚Geschenkestein‘ an dich, damit du unsere Begegnung und die Botschaft dahinter niemals mehr vergisst und du in unserem Sinne handelst.“