Donni, der Weihnachtsschreck
Weihnachten ist Bestrafung. Für mich.
Jedes Jahr wählt der feine Herr Nikolaus von Myra unter uns Göttern, wer den Weihnachtsmann spielen muss. Glück ist dann immer, einen Gefallen bei Apate einlösen zu können. Niemand kennt bessere Täuschungen, um sich der heiligen Wahl des Nikolaus zu entziehen.
Pech ist, die Wahrheit zu sagen. Laut zu sagen.
Ist der olle Römer Nikolaus nicht voll glühender Begeisterung für die Geschichten vom Zottelkopf Homer? Als Dank für meine kleine Litertaturkritik fiel das heilige Los in diesem Jahr auf mich. Wie das Darmverarbeitungsendergebnis einer Friedenstaube. Warum die fliegenden Ratten als Friedenssymbol bei den Menschen gelten, weiß sicherlich auch der olle Homer. Der lebt ja bekanntlich im Schlaraffenland und ihm fliegen die Täublein schon gebraten in den Mund.
So ergebe ich mich der heiligen Qual, äh Wahl; auch um nicht Frau Perchtas Zorn auf mich zu ziehen. Ist sie doch eine Busenfreundin vom feinen Herrn Nikolaus und ganz ehrlich: Wer will schon die Wilde Jagd im Nacken wissen?
Ich schultere den schweren, so richtig schweren Sack des Weihnachtsmanns und komme nieder auf die Erde. Auf meiner eigenen Schneeflocke! Von wegen fliegender Schlitten und Renntiere. Alles nur Lug und Trug vom Nikolaus, nur fauler Köder. Riecht stark nach Apates Werk. Auch gibt es keinen federleichten Zaubersack, aus dem einfach die Geschenke heraus gezogen werden können. Nö, alle Gaben für die kleinen Gebetsmühlen soll ich selbst aussuchen und einpacken. Und tragen!!
Ich entscheide mich für Kohlen. Spenden Wärme oder eignen sich auch zum Malen. Und nur Kohlen für alle. So vermeide ich Neid und Zank unter Geschwistern am Heiligabend. Ich muss mich selbst loben für diese erstklassigen Überlegungen. Donni, wenn Du nicht schon ein Gott wärst…
Ich stapfe über verschneite Wege. Über Felder und Wiesen. Und auch Wälder. Reimt sich so schön auf Felder. Auf der Suche nach den Menschieleins. Um die feine Gabe der Kohle zu bringen, Artigkeit und Fleiß zu belohnen. Während ich durch diesen Traum einer Winterlandschaft wandele, muss ich immer wieder innehalten und mich selbst für meine Arbeit loben. Was für ein Winterwetter. Das ist schon keine Arbeit mehr, das ist höchste Kunst. Wenn ich nicht schon ein Gott wäre…
Endlich ist in der Ferne ein Lichtfetzen zu sehen. Ich spute mich, da nur noch ein paar Milliarden an kleinen Gebetslieferanten auf die Bescherung warten. Zum Licht gehört eine Menschenbehausung, die so schief ist, wie der Wind gerade. Aber ihnen gefällt es, denke ich und hämmere gegen die Tür. Ich habe nie verstanden, weshalb die anderen Götter immer durch den Kamin in die Häuser gehen. Feuer beißt auch Götter, frag mal Hephaistos. Das Weihnachtskostüm ist natürlich auch nur geliehen vom Knauser Nikolaus und für Brandlöcher und Verschmutzungen muss ich selbst aufkommen. Krieg mal den Ruß aus dem Grün. Vom Brandgeruch ganz zu schweigen.
Niemand öffnet, obwohl Licht zu sehen ist. Der Weihnachtsmann (also ich) wartet nicht, weshalb ich die Tür aufreiße. Nur ein Schritt, ein Schritt vom Dunklen ins Helle, aus der Kälte in die Wärme und schon stehe ich fast mitten im Raum. Mehrere Menschieleins sitzen um einen Tisch und starren mich an. Die Münder offen. Keine Regung, keine Bewegung.
Ich schaue mich im Wohnraum um.
Bilder des Schreckens.
So viel Grauen in einer so kleinen Hütte.
Sie hatten eine Tanne gemordet und in eine Ecke geschleift. Sollen die Dryaden sie doch holen. Unter dem Baumkleid liegen Schachteln, die in buntes Papier einschlagen sind. Vermutlich um den blutigen Baumstumpf zu verbergen, um das Entsetzen ihres Baumschlachtens zu verschleiern. An den Tannenzweigen hängen Essensreste und silberne Metallabfälle. Soll niemand sehen, was es einst war. Viel Spaß mit den Dryaden!
Neben dem Feuerloch in der Wand steht ein Glas mit weißer, übelriechender Flüssigkeit. Daneben ein Teller mit hellbraunen Dingern, deren krude Formen keinen Rückschluss auf den Ursprung zulassen. Widerlich. Über der rußigen Feuerstelle hängt auch noch ihre Schmutzwäsche. Und das an einem Feiertag! Diese Menschieleins…
Sie starren mich immer noch an, am Tisch sitzend. Mit offenen Mündern. Halten sie mich etwa für einen Zahngott? Erwarteten Sie von mir eine Zahnreinigung? Zeigt her Eure Zähne? Vor ihnen stehen Teller mit gelblichen Matsch und länglichen, braunen Stangen. Ich will gar nicht wissen, was das ist. So eklig.
Mit göttlicher Stimme sage ich den Vers der Weihnacht auf, um die Bescherung einzuläuten.
„Von draußen komme ich her,
trage einen Gabensack so schwer.
Artigkeit und Fleiß,
sind der Geschenke Preis.
Sagt mir, was ist Euer Herzens Begehr,
und einen Wunsch ich Euch gewähr‘.“
Die großen Menschieleins bleiben weiterhin stumm, aber die kleinen erwachen aus der Starre. Das Zauberwort ist Geschenk.
„Ich möchte Malstifte, lieber Weihnachtsmann,“ piepst eine kleine Stimme.
„Hier für Dich,“ sage ich und gebe dem kleinen Menschieleins ein großes Stück Kohle. Vor lauter Glück kommt ihm Wasser aus den Augen.
„Und ich wünsche mir die Geschichte vom kleinen Spatz, der seine Freunde sucht,“ piepst eine anderes Stimmlein. Eine wirklich tolle Geschichte, muss ich sagen und gebe der kleinen Gebetsmühle ein längliches Stück Kohle. „Male dem kleinen Spatz doch ein paar Freunde! Da wird er sich freuen, wenn er hier vorbei fliegt.“ Bevor ich sehen kann, wie sehr sich übers Geschenk gefreut wird, zupft eine Kinderhand an meinem Rock.
„Und ich möchte…“
„Ja,“ sage ich und überreiche dem kleinen Menschieleins ein Stück Kohle.
Noch ein forderndes Stimmchen. „Und ich möchte ein Rennpferd, lieber Weihnachtsmann!“
„Weihnachten ist keine Bestellung,“ entgegne ich belehrend und gebe ihr ein herrliches Stück Kohle, das besonders schön glänzt.
Es will kein Ende nehmen. Mehr und mehr. Jetzt sind die kleinen Menschieleins aber so richtig wach und Wunsch reiht sich an Wunsch.
„Und ich will…“
„Und ich will noch…“
„Und ich will…“
„Und ich will auch noch…“
Genug ist genug. Ich kapituliere und werfe den Gabensack in den Raum, wodurch die kleine Horde von mir ablässt, um jetzt ordentlich Geschenkebeute zu machen. Ich nutze den Freiraum zur Flucht und laufe schneller als Pheidippides von Marathon nach Athen. Ist mir alles egal. Lieber die Wilde Jagd im Nacken, als am Festtag der Geschenke kleine Menschieleins am Rockzipfel.
Weihnachten ist Bestrafung. Für mich.