Rausch oder Realität?
Mit einem Glühwein in der Hand stehe ich hier alleine auf dem Weihnachtsmarkt. Es ist mein zweiter. Aus irgendeinem Grund ist die Musik aus. Meine beiden Kindern sind bereits abgehauen.
Was mache ich hier?
Mir ist kalt und ich fühle mich einsam. Über ein halbes Jahr ist es her, dass ich mich von meinem Mann getrennt habe. Ein Choleriker und Schläger, der mich des öfteren misshandelt hat. Ich bin froh, dass ich da weg bin, aber in Momenten wie diesen frage mich, ob eine toxische Beziehung nicht sogar besser als Einsamkeit ist.
Ich leere meinen Glühwein und schleiche davon. Auf dem Nachhauseweg kommen mir die Tränen. Bislang dachte ich, dass die ersten Wochen der Trennung die schlimmsten sind, doch gerade fühle ich mich, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Das Singledasein ist nichts für mich und auf einen neuen Mann kann ich mich auch nicht so einfach einlassen.
Die Kinder haben sich bereits in ihre Zimmer zurückgezogen. Der Glühwein steigt mir zu Kopf, mir ist schwummrig. Ich gehe in die Küche und mache mir einen Tee.
Während ich mich an der warmen Tasse aufwärme, versuche ich die schlechten Gedanken zu vertreiben und an etwas schönes zu denken. Letzte Woche habe ich einen jungen Mann in der Sauna getroffen, wir haben uns sofort gut verstanden und dazu hat er einen knackigen Hintern. Gerne hätte ich einmal zugepackt. Ich muss grinsen und mir wird warm, wenn ich daran denke.
Er ist deutlich jünger als ich, hat sein Leben noch vor sich, wünscht sich eine Familie und Kinder, doch meine Familienplanung ist bereits abgeschlossen. Ich weiß nicht einmal seinen Namen und dennoch habe ich das Gefühl, dass wir uns schon ewig kennen.
Werde ich ihn überhaupt wiedersehen?
In meinen Gedanken ist mir gar nicht aufgefallen, dass ich mir schon eine Zeit lang über den Oberschenkel fahre und sich ein Gefühl der Lust in mir breit gemacht hat. Ich schließe die Augen und träume mich weg. Nach kurzer Zeit hat sich meine Erregung gesteigert und habe Verlangen nach meinen Rabbit bekommen. Ich gehe ins Wohnzimmer, lege mich auf mein Schlafsofa und hole Rabbit aus dem geheimen Fach im Nachttisch.
Ich lösche das Licht, schließe die Augen und gebe mich meiner Lust hin.
Während ich mich immer mehr dem Höhepunkt zubewege, höre ich plötzlich ein Geräusch. Das werden doch wohl nicht die Kinder sein. Ruckartig öffne ich die Augen. Vor mir sehe ich einen roten Bademantel. Nein, das ist ein Typ der sich als Weihnachtsmann verkleidet hat. Mir stockt der Atem, am liebsten würde ich schreien, doch ich bin zu geschockt.
„Oh, entschuldige, ich dachte es wäre niemand zuhause“, brummt der Alte.
Mir fehlen immer noch die Worte.
„Könnte ich ihre Toilette benutzen? Mein Reizdarm macht mir zu schaffen.“
„Wie sind sie überhaupt hier reingekommen?“
„Können wir das später besprechen? Es ist wirklich dringend.“
Er wirkt sehr gequält. Das Brummen und Gurgeln seines Bauches ist von weitem hörbar. Mit dem Finger zeige ich ihm den Weg zur Toilette und mit einer Mischung aus Hüpfen und Watscheln eilt er davon.
Schnell ziehe ich mir etwas an und schnappe mir den Baseballschläger, den ich zur Sicherheit neben der Tür stehen habe. Während ich vor der Toilettentür warte, höre ich das gequälten Brummen seines Darms, sodass ich Angst bekomme, die Schüssel könnte bersten. Als sich sein Darm nach ein paar Minuten beruhigt habt, kommt er mit erleichtertem Gesichtsausdruck aus dem Badezimmer.
„Das war allerhöchste Eisenbahn. Vielen Dank. Tut mir Leid, dass ich sie so überfallen habe“
„Wer sind die eigentlich und wie kommen sie in meine Wohnung?“
„Ich bin der Weihnachtsmann und … naja mein Reizdarm hat sich gemeldet und da das hier die einzige Wohnung ohne Licht war, dachte ich, dass keiner da ist und es bestimmt keinen stört, wenn ich kurz die Toilette benutze.“
Was redet der da? Er behauptet er wäre der Weihnachtsmann. Tatsächlich ist sein Kostüm sehr detailgetreu, auch der Bart wirkt echt.
„Aber wie sind sie hereingekommen?“
„Durch Zauberei!“
„Sie sind ein professioneller Einbrecher.“, bricht es aus mir heraus. Ich richte einen Baseballschläger zum Schlag aus.
„Nein wirklich. Ich kann mich in Häuser teleportieren. Warum denken alle, dass mit dem Schlitten durch die Lust zu fliegen und sich unsichtbar zu machen normal ist, aber teleportieren nicht.“
Ich bin völlig verdutzt. Er meint das wirklich ernst.
„Ich weiß es ist noch etwas hin bis Weihnachten, aber ich habe ein Geschenk für dich.“
Auf seiner Hand erscheint goldener Staub, der sich zu einem kleinen, weißen Präsent materialisiert.
„Du darfst es öffnen.“
Es streckt mir seine Hand entgegen und grinst mich an. Ich lasse meinen Schläger sinken.
Was ist da gerade passiert?
Ich glaube der Glühwein ist mir zu sehr in den Kopf geschossen. Dennoch nehme ich das Päckchen in die Hand und öffne es behutsam.
„Ich weiß dass du dich in letzter Zeit sehr einsam fühlst, Silke.“
Woher kennt er meinen Namen?
„Deswegen habe ich ein Freundschaftsband für dich. Egal wem du es schenkst, ihr werdet für ewig Freunde bleiben. Eine wahre und echte Freundschaft, bei der man über alles reden kann und immer ein offenes Ohr hat. Vielleicht findest du auch einen Freund, der dir Zärtlichkeit und Zweisamkeit schenkt.“
Ich nehme das Armband heraus und betrachte es skeptisch. Ein magisches Armband, das einem ewigen Freundschaft schenkt. Das ist zu schön um wahr zu sein.
„Du solltest dir aber gut überlegen, wem du es schenkst, denn die Freundschaft wird für immer halten und du hast keinen zweiten Versuch.“
„Wie weiß ich, wer die richtige Person ist?“
„Das wirst du erkennen, wenn der Moment gekommen ist. Ich muss jetzt los. Pass auf dich auf Silke und habe ein schönes Weihnachtsfest.“
Bevor ich antworten kann, verwandelt es sich in goldenen Staub und ist verschwunden.
Ich betrachte wieder das Armband und frage mich wer dieser echte Freund sein könnte.
Möglicherweise der junge Mann aus der Sauna?
Mein Magen grummelt, der Glühwein will wieder raus. Und während ich über der Schüssel hänge, wächst in mir die Gewissheit alles nur geträumt zu haben.