Seitenwind Bonuswoche 8: Weihnachtlicher Ausrutscher

Last-Minute-Desaster

Da steht er also, in seinem knallroten Anzug mit einem riesigen Sack voller Geschenke. Er sieht mich an, ich sehe ihn an, und wir beide wissen, dass das hier gerade nicht der ideale Moment für ein vorweihnachtliches Treffen ist, denn es ist Heiligabend und ich stecke bis zum Hals im Dekomarathon. Mein Grinchpyjama ist im Einsatz, während ich verzweifelt versuche, den Weihnachtsbaum in letzter Minute zu schmücken, weil morgen früh die ganze Familie zu Besuch kommt.
„Ähm, hallo?“, stottere ich, und zupfe an dem giftgrünen Oberteil. „Du bist ein bisschen früh dran, oder?“
„Zeitzonen, meine Liebe, Zeitzonen. Jedes Jahr dasselbe Problem. In Australien haben sie schon gefeiert und ich dachte, ich gönne mir hier eine kleine Pause.“
Ich schaue auf die Uhr und überlege kurz, ob ich ihn bitten soll, woanders die Hände in den Schoß zu legen. Zu viel Stress, zu wenig Zeit.
„Schmückst du immer in letzter Minute“, fragt er und grinst.
„Ja“, gebe ich zu, die Hände an den Hüften. „Und?“
„Ich dachte, ich könnte dir helfen“, sagt er und zieht einen pinken Glitzerstern aus dem Sack. „Den hier wollte ich sowieso jemandem schenken.“
Ich schaue den Weihnachtsmann ungläubig an. „Einen pinken Glitzerstern? Ernsthaft?“
„Ja“, verteidigt er sich und hält den Stern triumphierend in die Höhe. „Und?“
Wir brechen beide in Gelächter aus. Der Weihnachtmann und ich, in meinem halb geschmückten Wohnzimmer umgeben von Chaos, Lametta und Lichterketten.
„Also gut“, sage ich schließlich. „Du kannst mir helfen.“
Wir schnappen uns die restliche Deko und machen aus meinen Last-Minute-Desaster einen unvergesslichen Abend.
Und als draußen die Sterne am Himmel funkeln, entscheide ich, dass wir das ungewöhnlichste Duo sind, das je einen Baum geschmückt hat. Aber hey, es ist schließlich Weihnachten.

Verdammt, jetzt schlafen die Kinder seelenruhig und ich bin aufgewacht. Ich hätte wirklich weniger Wein trinken sollen.

Schlaftrunken schiebe ich meine Füße aus dem warmen Bett. Grrr ist das kalt. Im dunkeln wanke ich richtung Badezimmer.

Zum Glück scheint der Mond durch das Fenster. So kann ich genug sehen und muss nicht das furchtbar helle Licht anmachen. Knatschend öffne ich Badezimmertür. Hier muss mal dringend etwas getan werden. In meinen Gedanken setze ich die knatschende Tür auf meiner imaginären To-Do-Liste ganz nach oben.

Ein Räuspern lässt mich zusammen fahren. Der Schreck fährt mir durch die Glieder und ich bleibe wie erstarrt stehen.

„Hier ist besetzt“, brummt eine dunkle Stimme von der Toilette.

Meine zitternde Hand tastet nach den Lichtschalter. Da ist er. Die Sekunde, bis die Energiesparlampe richtig leuchtet, kommt mir wie eine Ewigkeit vor.

Endlich Licht! Kurz kneifen mein Gegenüber und ich unsere Augen zusammen. Dann haben sich unsere Augen an das helle Licht gewöhnt und wir starren uns gegenseitig an.

Das ist ja wohl ein schlechter Scherz!

Vor mir sitzt der Weihnachtsmann mit herunter gelassener Hose auf der Toilette.

Nach dem ersten Schock meldet sich meine Blase zurück.

„Dauert es noch lange?“, frage ich genervt. „Ich muss auch mal!“

Der Weihnachtsmann greift sich das Toilettenpapier, steht auf, spült und wäscht sich die Hände.

„Bin schon fertig. Ich wünsche noch eine gute Nacht!“

Und schon schließt sich die Badezimmer hinter dem Weihnachtsmann mit einem lauten knatschen.

Erleichtert lasse ich mich auf die Toilette plumpsen. Das war jetzt wirklich dringend!

Weihnachten ist auch nicht mehr das, was es mal war

Ein kurzes Piepen, dann bin ich drin. Dank Uber-XMAS muss ich mich gar nicht beeilen. Die Geschenke, über das Jahr hinweg bestellt, mit QR-Code versehen und beim Zustellungs-Wichtel hinterlegt, sollten längst unterm Baum liegen.

Auf leisen Sohlen schleiche ich ins Haus. In meinem Rucksack klappern dumpf die Tupperware-Dosen aneinander. Neben der Repräsentationspflicht ist dies meine eigentliche Aufgabe an Weihnachten: das Essen einzusammeln. Überall werden neuerdings Kekse, Milch und Karotten für die Rentiere hingestellt.

Pfft! Rentiere werden seit mindestens 20 Jahren nicht mehr benutzt, da gab’s Ärger mit dem Tierschutz (irgendwas wegen dem Stresslevel durch die Glöckchen) und außerdem waren die nicht klimaneutral. Alle reden immer von Kühen, aber so ein Rentier produziert auch nicht gerade wenige Methangase.

Durch den neuen Geschäftsverteilungsplan hat jede Weihnachtsperson (m/w/d) ein kleineres, gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichendes Gebiet. Und, wie gesagt, die Wichtel übernehmen die eigentliche Arbeit.

Die Gewerkschaft argumentiert deshalb, dass die Wichtel Anspruch auf Kekse, Milch und Karotte hätten, aber das wird jedes Mal abgeschmettert. Irgendein cleverer Anwalt hat die Wichtelverträge so geschrieben, dass sie dankbar sein müssen, überhaupt die Weihnachtszimmer betreten zu dürfen.

Ich sehe mich um, die Kerzen am Baum tauchen das Wohnzimmer in warmes Licht. An der Treppe zum ersten Stock steht ein Teller mit Spritzgebäck (lecker!), Mandelmilch (och nä) und Gurken (nette Abwechslung). Vorsichtig ziehe ich eine Dose aus dem Rucksack und verstaue die Plätzchen darin.

„Finger weg! Keine Bewegung.“
Ich erstarre. Oben am Treppenansatz steht ein Mann, Trainingshose, kein Oberteil, und zielt mit einer Waffe auf mich. Langsam kommt er die Treppe herunter.

„Sie legen sofort die Plätzchen zurück.“
„Aber ich bin der Weihnachtsmann!“ protestiere ich.
Der Mann blickt mich verächtlich an.
„Ja, das reden Sie sich gerne ein, was? Die Geschenke hat aber jemand ganz anderes gebracht! Oh, gucken Sie nicht so, der Wichtel und ich haben uns gut unterhalten. Was Sie und Ihre Organisation da treiben ist kriminell!“ Seine Stimme bebt vor Entrüstung. Der Lauf der Waffe ist noch immer auf mich gerichtet.

„Sie verstehen nicht“, stammele ich, „es gibt neue Vorgaben…“
„Ach so? Die besagen, dass Wichtel im Mindestlohnsektor ausgebeutet werden können und Sie sich an den Gaben der Kinder vergreifen? Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte!“ donnert der Mann.

Die Hände erhoben, gehe ich langsam einen Schritt zurück.
„Okay, okay, wissen Sie was, ich gehe einfach!“ sage ich beschwichtigend. „Ich lasse die Kekse und alles hier stehen, und verschwinde!“ Ein nervöses Lachen entfährt mir.

Die Augen des Mannes verengen sich zu schmalen Schlitzen.
„Oh, Sie finden das also lustig! Sie werden erwischt und ziehen dann einfach zum nächsten Haus wo Sie sich weiter vollstopfen mit Sachen die Ihnen nicht gehören.“ Er schleicht um mich herum, ich muss den Kopf drehen, um die Pistole im Blick zu behalten.

„Nein“, sagt der Mann, „für Sie ist dieser Weihnachtsabend hier zu Ende.“ Er kommt mit seinem Gesicht so nah an meins, dass sich unsere Nasen fast berühren.
„Ausziehen!“ brüllt er, und ein Spuckeregen benetzt meine Wangen.
„W-was?“
„Sie haben mich schon verstanden. Klamotten aus, SO-FORT!“ Er wedelt mit der Pistole vor meinem Gesicht herum.
„Okay, ist ja gut“, murmele ich und ziehe die Jacke und Hose aus.
„ALLES!“ zischt er. Ich gehorche. Erst als ich splitterfasernackt vor ihm stehe, sieht er zufrieden aus.

„So, jetzt wissen Sie auch, wie sich so ein Wichtel fühlt, wenn er am Ende des Monats auf sein Konto guckt.“
„Nackt?“ frage ich verwirrt.
„Gedemütigt!“ faucht der Mann und scheucht mich mit der Pistole zur Haustür hinaus. Ich stehe im Schnee und friere. Hinter mir wird die Tür zweimal abgeschlossen. Erst dann fällt mir auf, dass mein Rucksack noch drinnen ist.

Weihnachten ist auch nicht mehr das, was es mal war.

Das wird wohl nichts mit Günni

Beleidigt starre ich auf die selbst gebastelten Leuchtplaneten über meinem Kopf und wünsche mir es wäre morgen. Ich kann nicht schlafen. Meine Decke ist zu warm, ich muss aufs Klo und morgen ist Weihnachten. Mit der Zunge spiele ich an meinem Wackelzahn und meine Hände kneten Henri, den Stoffigel. Ich weiß gar nicht wie viel Uhr wir haben, aber Mama hat mich bestimmt schon vor hundert Stunden ins Bett gebracht. Mindestens. Die Bibi Blocksberg CD ist auch schon einmal ganz durchgelaufen.

Ob der Weihnachtsmann schon da war? Ich weiß gar nicht wie er immer ins Haus kommt und wenn er schon einen Schlüssel hat, warum er dann nur an Weihnachten da ist. Lina sagt, den Weihnachtsmann gibt’s gar nicht, aber Lina ist auch doof. Sie ist nur sauer, weil sie nie was bekommt. Ich bekomm immer was, weil ich immer nett zu allen bin. Dieses Jahr will ich einen Stoffpapagei, den will ich Günni nennen und mit Henri verkuppeln. Eigentlich wollte ich einen echten, aber Mama hat Nein gesagt.

Mama schläft und Papa kommt erst nächste Woche wieder. Der ist auf Geschäftsreise, auch wenn ich nicht weiß was man da macht und warum das an Weihnachten ist. Aber auf jeden Fall kriegt das dann ja niemand mit, wenn ich kurz gucken gehe. Nur ob der schon da war. Weil dann kann ich vielleicht schlafen. Ich mach ja nichts auf. Wirklich nicht. Ich muss ja eh nur aufs Klo.

Nach zweimal Strampeln hab ich die Decke vom Bett gekickt und stehe auf. Ohne Decke ist es irgendwie kalt. Aber ich find meinen Schlafanzug toll, weil der ist gestreift und blau. Und Blau ist meine Lieblingsfarbe, auch wenn Mädchen Rosa mögen sollen. Lina mag Rosa.

„Patsch, patsch, patsch“ macht es, als meine nackten Füße Henri und mich die Treppe runter tragen. Ich laufe am Klo vorbei und lunze ins Wohnzimmer - und halte Henri und mir schnell den Mund zu. Vor dem schönsten Weihnachtsbaum der Welt - weil ich den ausgesucht und geschmückt hab - hockt der Weihnachtsmann und verteilt Geschenke!

Ich hab’s gewusst! Meine Finger fangen an zu kribbeln und ich muss grinsen. Das erzähl ich sowas von Lina.

Aber der Weihnachtsmann hat irgendwie gar keinen Bart und gar keine Mütze und gar keinen Mantel. Und dick ist der halt auch nicht. Ist das ein Ersatz-Weihnachtsmann? Vielleicht ist der richtige krank. Ist ja kalt draußen. Oma ist auch ständig krank. Oder die teilen sich auf, damit alle ihre Geschenke bekommen (außer Lina halt). Aber warum kommt dann nur der Ersatz-Weihnachtsmann zu mir? Enttäuscht gehe ich einen Schritt auf ihn zu. Es macht nochmal „Patsch“ und er dreht sich erschrocken um.

Hä? Das ist nicht der Weihnachtsmann. Das ist Papa. Der Weihnachtsmann hat mir Papa geschenkt? Oh.

Das wird wohl nichts mit Günni.

Rockstar Vibes

Muuuuuah, der Sound ist mega. AC/DC for president. Die Anlage war jeden Cent wert. Ich springe vom Sofa auf den Sessel, vom Sessel auf den Teppich und wieder zurück aufs Sofa. Yeeeeeeeeeaaah yeeeeeeeeaaaaaah. Easy come, easy go. Muuuuuaaaahhhh. Ich zupfe die Luft-Seiten, als gäbe es kein Morgen. Ich bin ein Rockstar, schüttle mein schulterlanges Haar im Takt. Slippin‘ high, slippin‘ low. Yeeeah. Meine imaginäre Harley Benton wirbele ich durch die Luft. Meine Fans liegen mir zu Füßen. Klar bekommst du ein Autogramm von mir. Du willst auch ein Kind von mir? Nimm dir am Eingang eins weg. Da stehen genug rum. Yeeeeah. Durch meine Adern fließt purer Heavy Metal.

„Hrrchhrrch.“ Ein Typ mit weißem Bart und roten Klamotten räuspert sich.
WTF? Er steht mitten in meinem Wohnzimmer. Ich starre ihn an, unfähig auch nur irgendetwas zu sagen. Einbrecher. Ich muss die Polizei rufen. Was wenn er eine Waffe hat? Ablenken, ich muss ihn ablenken und dann vorsichtig an das Smartphone auf der Kommode kommen. Nur zwei Meter. Ich springe vom Sofa und stolpere rückwärts. Nur noch einen Meter bis zur Kommode.
„Sebastian, ich freue mich sehr, dass aus dir so ein musikalischer junger Mann geworden ist.“ Er streicht seinen Bart glatt und stellt einen Jutesack auf das Laminat. „Das Keyboard von Fisher Price, das ich dir zu deinem ersten Weihnachtsfest geschenkt habe, war also doch richtig.“
Ich schlucke. Erinnern kann ich mich an das Ding nicht mehr, kenne es nur von Fotos. Woher weiß der Gauner das?
„Und dann deine erste Konzertgitarre zu deinem 8. Weihnachtsfest. Hach, was war ich stolz. Du bist so begabt.“ Er bückt sich und kramt im Jutesack, dabei wischt er sich etwas aus dem Auge.
Die Konzertgitarre und ich. Liebe auf den ersten Blick. Ich habe die Gitarrenstunden an der VHS geliebt. Kein Jahr später habe ich die erste E-Gitarre in der Hand gehalten. Er ist nicht ernsthaft der echte Weihnachtsmann oder? Himmel. Woher soll er sonst das ganze Zeugs wissen?
„Basti, das ist für dich.“ Er reicht mir einen roten Umschlag. Seine Zahnlücke blitzt auf.
Mechanisch greife ich nach dem Umschlag, klappe die Lasche nach oben und ziehe einen Zettel heraus.
<<DU BIST IN DEN BLIND AUDITIONS.>>
Yeeeeeeahhh. Yeeeah. Yeaaaah. Ich kreische und falle dem Weihnachtsmann um den Hals. Meine Bewerbung bei The Voice wurde berücksichtigt. Endlich komme ich groß raus. Yeeeah. Yeeeah. Yeeeah.

I saw Mommy killing Santa Clause

Ich zerlegte gerade meinen Mann, als es draussen im Wohnzimmer laut rumpelte.
Vorsichtig öffnete ich die Badezimmertür und spähte hinaus.
Alles war voller Qualm. Vor dem Kamin rappelte sich eine übergewichtige Gestalt ächzend in die Höhe. Der Kerl trug einen roten Anzug, falsche weiße Haare und eine lächerliche rote Zipfelmütze auf dem roten Kopf.
Als er mich im Türrahmen sah, zuckte er zusammen. Er richtete sich auf und setzte zu einem keuchenden “Hoh, Hoh-” an. Aber als sein Blick auf meine fleckige Schürze und das Messer in meiner Hand fiel, blieb ihm sein Spruch im Hals stecken. Er musste erst ein paarmal schlucken, bevor er noch ein drittes fragendes “-Hoh?” hervorstoßen konnte. “Was … was machen Sie da?”, fragte er.
Ich ging langsam auf ihn zu, er trat einen Schritt zurück. Hastig klaubte er den Sack auf, der neben ihm am Boden lag und hielt ihn vor sich.
“Was ich da mache??” Ich zeigte mit der Klinge auf ihn. “Die Frage ist doch wohl, was du hier machst?” Ich musterte ihn von oben bis unten. “Ah ja”, nickte ich spöttisch, “ich sehe schon… Sehr originelle Verkleidung für eine Diebestour!”
“Diebestour?” Er schaute mich verständnislos an. “Aber… Aber ich bin doch-”
“Na klar”, lachte ich auf. “Der Weihnachtsmann, oder? Das kannst du deinen anderen ‘Kunden’ erzählen!”
Ich ging weiter auf ihn zu. Er stand da jetzt mit eingezogenem Kopf, in die Ecke gedrängt zwischen Kamin und Fernsehregal.
“Aber ich bin doch wirklich…” Seine Stimme zitterte. Er blickte unruhig zwischen mir und der Badezimmertür hin und her. Plötzlich erstarrte er.
Ich drehte mich um und folgte seinem Blick. Im sanften Schein der indirekten Beleuchtung sah es gar nicht so schlimm aus: nur ein bisschen Blut und ein nackter Fuß, der über den Rand der Wanne lugte.
“Freundchen”, seufzte ich. “Du hast dir leider die falsche Zeit und den falschen Ort für deinen Einbruch ausgesucht!”
Er keuchte laut auf.
Ich schaute ihm tief in die Augen. “Schsch…”, sagte ich sanft.
Er entspannte sich und hob den Kopf ein wenig.
“Wir haben Glück”, flüsterte ich ihm ins Ohr, während ich schnitt. “In meiner Wanne ist auch noch Platz für dich.”
Sein Wimmern klang wie ein immer müder werdendes “Hoh … hoh … hoh …”

Weihnachtsnacht

Nach einem langen, arbeitsreichen Tag wollte Maja es sich noch für ein Stündchen auf der Couch gemütlich machen. Mit Tee, Weihnachtsplätzchen, Ihrer Kuscheldecke und einem guten Buch. Doch schneller als geplant übermannt der Schlaf sie.

Vom Kamin her ist kein beruhigendes Knistern mehr zu hören. Schläfrig kuschelt sie sich fester in die Wolldecke und zieht sie sich über den Kopf. An der Hand spürt sie dabei einen schwachen, aber eiskalten Luftzug, welcher die Glöckchen am Baum sachte läuten lässt.

Erschreckt zuckt sie zusammen. Wo kommt der Luftzug her? Ein Einbrecher?

Flach atmend und zitternd lauscht sie den Geräuschen. Vor Kälte? Vor Angst? Vielleicht vor Beidem.

Das Knistern von Papier ist zu hören. Dann ein Geräusch welches schwer einzuordnen ist. Kauen und Schlucken ist zu hören und ein tiefes, zufriedenes Grunzen. Diese Stimme ist ihr fremd und doch gleichzeitig nicht. Sie klingt friedlich und liebevoll.

Die Angst ist auf einmal wie weggeblasen. Leise erhebt sie sich von der Couch und geht in Richtung des Esszimmers. In Richtung des Tannenbaums und der Geräusche. Da sitzt er. Futtert die selbstgebackenen Plätzchen aus der Dose mit den Rentieren drauf.

Die Sekunde fühlt sich an wie eine Ewigkeit.

Vor Schreck springt er auf.

Pausen sind in der Heiligen Nacht für den Weihnachtsmann nicht vorgesehen. Doch hin und wieder wird auch er schwach und stärkt sich an besonders leckerem Gebäck.

Irgendwie das beste Weihnachten

Gero war ärgerlich. Die Leute wurden immer gewiefter. Jetzt hatten sie schon sowas wie eine Bürgerwehr eingerichtet, unterrichteten sich gegenseitig per Benachrichtigungen in ihren Handys, wenn Unbekannte in der Straße auftauchten. Man war nirgendwo mehr sicher und der Job wurde immer anstrengender. Während es früher gereicht hatte, ein paar Tage lang die Gegend auszukundschaften, brauchte er jetzt Wochen. Und wenn er einmal von jemand Misstrauischem gesehen wurde, konnte er von vorn anfangen. Die Mutigen schicken dann nur einfach jemand anderen, aber seine Leute waren eben vorsichtiger. Langsam fragte er sich, ob der Aufwand sich überhaupt noch lohnte. Er war jetzt schon in der dritten Straße, zwei andere waren quasi verbrannt. Irgendwann schloss sich auch das Zeitfenster und dann konnten sie alles ganz abblasen. Aber so weit war es noch nicht.
Immerhin war es der 23. Dezember und er hatte schon eine Idee.

Elke war 76. Über Jahrzehnte hatte sie Heiligabend in Familie verbracht. In Familie hieß, dass Elke bereits im Oktober schaute, welche Geschenke sie ihren Kindern, ihrem Mann Jürgen, ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Schwiegereltern, ihrer Schwester und ihrer Freundin zu Weihnachten schenken könnte. Später kamen noch die Schwiegerkinder und Enkel dazu. Sie plante zudem ein Weihnachtsmenü (drei Gänge!), das jedes Jahr etwas anders und besonders ausfallen sollte. Sie richtete das Häuschen für alle Gäste fein her - vorher - und nachher natürlich auch wieder. Und selbstverständlich hatte sie bereits im Vorfeld eine Reihe verschiedener Weihnachtskekse und einen großen Stollen gebacken. Kurz gesagt, Weihnachten, so sehr Elke es auch liebte, hielt ein riesiges Pensum an Planung, Arbeit und Stress für sie bereit.

So hatte Weihnachten ihr schleichend Jahr für Jahr immer weniger Freude gemacht. Zudem zeigte die Familie Auflösungserscheinungen. Ihre Eltern und Schwiegereltern lebten schon lange nicht mehr. Mit ihrem Sohn hatte sie sich aktuell zerstritten. Ihre Tochter war zwischenzeitlich nach Chile gezogen. Die Enkel, die nicht in Chile waren, wollten inzwischen lieber mit Freunden feiern.
Und Jürgen war im vergangenen Jahr sehr plötzlich gestorben.

So hatte Elke dieses Jahr entschieden, sich zum Weihnachtsfest mit ihrer Studienfreundin Judith in einer aus der Zeit gefallenen Pension im Harz einzumieten und alte Gefühle der Ungebundenheit wieder aufleben zu lassen. Am 23. Dezember in aller Frühe sollte es losgehen. Es schneite schon tagelang. Erst als Elke auf dem Bahnsteig stand, stellte sie fest, dass ihr gebuchter Zug ausfiel. Der Versuch auf den späteren Zug auszuweichen scheiterte, weil auch der nicht fuhr. Und dann hieß es, der Verkehr auf dieser Strecke werde aufgrund der Wetterlage und entstandener Schäden am Gleisbett bis auf Weiteres vollständig eingestellt.
Völlig durchgefroren blieb ihr nichts anderes übrig, als wieder nach Hause zu fahren, am frühen Nachmittag, einen Tag vor Heiligabend.
Judith war bereits in der Pension angekommen und war nun ebenso allein wie Elke. Das Fest, so entschieden die beiden trotzig, wollten sie sich jetzt erst recht nicht vermiesen lassen.

Gero hatte sich einen Weihnachtsmann-Anzug besorgt, so richtig mit Bart, Kapuze, Gürtel und Sack. Der Sack war das Wichtigste, ungemein praktisch. Heute, am Heiligabend, fiel er mit Sicherheit auch den paranoidesten Nachbarn nicht als alarmierend auf. Dass der Weihnachtsmann in einem Transporter vorfuhr war zwar etwas seltsam, aber bei diesem Wetter vielleicht auch nicht allzu ungewöhnlich.
Er hatte sich das Haus mit der Nummer 14 ausgesucht. Da war gestern eine offensichtlich alleinstehende Frau mit Koffern losgezogen. Nun war da allerdings Licht. Das hatte vermutlich nichts zu sagen, die Menschen hatten heutzutage überall Zeitschaltuhren. Auch etwas, das seinen Job verkomplizierte.

Elke hatte es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Sie hatte sich aus der Gefriertruhe zwei Hühnerbeine aufgetaut, ein Glas Apfelrotkohl aus dem Keller geholt und in Ermangelung von Kartoffeln oder Klößen, einfach Spiralnudeln dazu gemacht. Die Sauce hatte sie mit Bratensaft, Butter, einem Schuss Wein und etwas Lebkuchengewürz improvisiert. Anstelle eines Weihnachtsbaums hatte sie einfach den Adventskranz noch einmal neu mit Kerzen bestückt. Dass er schon etwas nadelte, sah man im weichen Licht der sanften Beleuchtung nicht. Kekse hatte Elke auch dieses Jahr gebacken, um sie in den Harz mitzunehmen. Nun standen sie in einem Schälchen, das die Form eines Weihnachtsbaums hatte, auf dem Tisch. Die Adventskranzkerzen leuchteten friedlich. Gerade hatte sie sich den Kaffee aus der Maschine geholt und sich wieder aufs Sofa gesetzt, da blinkte auch schon ihr Tablet: Judith rief wie abgemacht per Video an.
„Frohe Weihnachten“, frohlockte Judith ein wenig zu angestrengt fröhlich als Elke von einem Geräusch abgelenkt wurde. Und Judith sagte aus dem Tablet: „Oh, bist Du doch nicht allein? Wer war denn der Weihnachtsmann eben?“ Elke spürte wie ihr Panik durch den Körper schoss. Sie sprang auf, ließ das Tablet mit Judith stehen und blickte sich hämmernden Herzens um.

„Mist“, dachte Gero als er Elke im Wohnzimmer sah. Dann hörte er Judiths Stimme und fluchte innerlich: „Verdammt, die ist noch nichtmal allein!“ Vorsichtig begann er, sich rückwärts zurück zu ziehen, um das Haus so lautlos zu verlassen, wie er hineingekommen war.

Elke stand wie versteinert. Zu sehen war niemand, aber sie fühlte, dass jemand im Haus war. Der Puls schlug ihr in die Schläfen. Plötzlich gab es ein ohrenbetäubendes Gerumpel als sei etwas Großes, Schweres heruntergefallen und mehrfach aufgedotzt. Automatisch stürzte Elke los: Ein Weihnachtsmann lag unten am Fuße der Kellertreppe. Er schrie: „Ahhhrr, aua!“ und stöhnte.
Elkes Puls begann sich etwas zu beruhigen. Auch wenn sie kaum glauben konnte, was sie sah - besonders gefährlich war der Mann vermutlich nicht mehr. Sie hörte sich sagen: „Wie sind sie hier reingekommen? Sind sie verletzt?“ Gleichzeitig dachte sie, was für eine idiotische Frage das sei. Natürlich musste er sich irgendwie verletzt haben, so wie er vor Schmerz stöhnte.
"Elke! Was ist los, Elke?, hörte sie Judith aus dem Tablet rufen.
„Ich glaube, ich habe mir den Fuß gebrochen“, wimmerte der Weihnachtsmann, „und meine Schulter hat auch irgendwas, tut wahnsinnig weh.“
„Ich rufe den Notarzt“, sagte Elke während sie ins Wohnzimmer zurückging, um das Tablet mit Judith und das Telefon zu holen.
„Nein, das ist nicht nötig, es geht schon wieder“, drang die Stimme vom Weihnachtsmann gepresst aus dem Keller hinauf.
„Oh, Gott, ist er abgestürzt?“ fragte Judith als Elke die Kamera in Richtung Kellerabsatz wendete.
„Ich guck’ mir das mal an“, sagte Elke und stellte das Tablet mit Judith auf eine der untersten Treppenstufen, so dass sie alles mitbekam.

Und so begannen Elke und Judith in Gemeinschaftsarbeit den Weihnachtsmann zu verarzten. Gebrochen war der Fuß ihrer Meinung nach nicht, eher gezerrt, und er schwoll schon kräftig an. Die Schulter schien ihnen ausgekugelt zu sein. Nach heftiger Diskussion zu dritt nahm Elke doch allen Mut zusammen und kugelte sie unter Judiths Anleitung erstaunlich erfolgreich wieder ein. Nachdem sie noch die Schürfwunden desinfiziert und mit Pflaster versehen hatte, fragte sie ratlos: „Und nun?“
„Nach Hause gehen kann er ja nicht,“ gab Elke zu bedenken, „der Fuß passt ja nicht mehr in seinen Stiefel.“
„Haben sie vielleicht einen Schnaps für mich auf den Schreck?“, fragte der Weihnachtsmann.
„Ja, ich glaube, ich könnte jetzt auch einen vertragen, dann kommen sie mal mit hoch.“
„Ich hol’ mir hier auch einen“, warf Judith ein. Und der Weihnachtsmann zog sich langsam und mühevoll Stufe für Stufe am Geländer nach oben.

So kam es, dass Elke, der Weihnachtsmann und Judith aus dem Harz zugeschaltet, bei Kaffee, Keksen und Schnaps Weihnachten feierten. Sie sangen alle Weihnachtslieder, die sie kannten, rekonstruierten zweite und dritte Strophen, versuchten sich in Mehrstimmigkeit, erzählten sich Geschichten, wahre und ausgedachte, und lachten so albern und befreit wie schon lange nicht mehr.

Irgendwann sagte der Weihnachtsmann: „Übrigens, ich heiße Gero.“
„Wer hatte sie eigentlich beauftragt, Gero?“, fragte Judith. „Und wieso war ihr Sack eigentlich leer?“, fügte Elke an.
„Ach, ich habe mich nur im Haus geirrt.“, sagte Gero. Der Alkohol zeigte schon Wirkung. So fiel weder Judith noch Elke auf, dass ihre Fragen dadurch nicht beantwortet waren.

Es war schon spät als Elke Gero ein Taxi rief. Judith und Elke verabschiedeten sich müde, aber glücklich, kurz nachdem Gero aus der Haustür war.
Gero hievte sich hinkend mit dem zweiten Stiefel in der Hand in das Taxi. Während er sich in den weichen Sitz fallen ließ, schoss ihm sonnenklar durch den Kopf: „Das war’s. Endgültig. Jetzt schmeiß’ ich den Job.“

Alle drei waren sich einig, dass dies irgendwie das beste Weihnachtsfest seit Jahren gewesen war.

Der Deal mit dem Weihnachtsmann

Lisbeth war schlecht gelaunt, wie jedes Jahr an Heiligabend. Ach, wäre es nur schon vorbei. Alle waren mit den Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt und im Stress. Alle, außer sie, die im Rollstuhl saß und ihr fünfjähriger kleiner Bruder, Kevin. Sogar Diana, ihre ältere Schwester hatte keine Zeit, denn sie übte Weihnachtslieder, die sie später alle singen würden. Lisbeth beschloss, ihrem Bruder Gesellschaft zu leisten und machte sich auf den Weg zu Kevins Zimmer. Als sie am Wohnzimmer vorbei kam, hielt sie an und traute ihren Augen nicht:
Ein dicker Mann in einem roten Mantel kniete vor dem Weihnachtsbaum, in einer Hand hielt er einen riesigen Sack, in der anderen Hand ein Geschenk.
»Hey, wer sind Sie!«, rief Lisbeth. Der Mann stand ruckartig auf und drehte sich um.
»Du kannst mich sehen?«, fragte der Fremde, der wie der Weihnachtsmann gekleidet war.
»Sie sind doch hier, oder? Natürlich kann ich Sie sehen. Was machen Sie hier?«, fragte Lisbeth weiter. Seltsamerweise verspürte sie keine Angst.
»Also, das ist nicht, wonach es aussieht, ähm …«
»Wonach sieht es denn aus?«, unterbrach sie den Alten. »Nun, ich … ähm … ich bin der Weihnachtsmann, das solltest du doch wissen, aber wieso kannst du mich sehen?«, fragte er erneut und sah etwas ratlos aus.
»Der Weihnachtsman, wer’s glaubt.«, lachte Lisbeth. »Nun, es käme auf einen Versuch an …«, antworte er.
»Wie? Auf was für einen Versuch denn?«, fragte Lisbeth etwas verwirrt.
»Es käme auf einen Versuch an, an den Weihnachtsmann zu glauben.«, antwortete der Bärtige.
»Nein, ich glaube nicht an Weihnachten, oder den Weihnachtsman. Ich bin froh, wenn das alles vorbei ist. Jedes Jahr der gleiche Quatsch. Man schenkt sich irgendwelchen Kram, den man ohnehin nicht braucht. Weihnachten ist nur noch für Kinder etwas Tolles, die können sich noch freuen.«
»Du bist ebenfalls noch ein Kind«, sagte der Alte und steckte das Geschenk, das er immer noch in der Hand hielt, geistesabwesend in seinen Sack.
»Ich wusste es!«, rief Lisbeth »Sie sind ein Dieb, ich rufe jetzt um Hilfe«.
»Hoppla, äh … tut mir Leid, das war …«
»… Macht der Gewohnheit?«, unterbrach Lisbeth den Weihnachtsdieb, erneut.
»Nein, das war keine Absicht.« Der Alte holte das Geschenk wieder aus dem Sack und legte es unter den Baum. Lisbeth nutzte die Gelegenheit und nahm die Weihnachtsbaum-Spitze vom Tisch. »Sie haben doch tatsächlich vergessen, die Spitze anzubringen.«, dachte sie noch und drohte dem alten Zausel damit.
»Du glaubst doch nicht, du könntest mich damit angreifen?«, fragte der Verkleidete belustigst.
»Nun, es käme auf einen Versuch an …«, machte Lisbeth den Alten nach und grinste ihn dabei angriffslustig an. Da fing er plötzlich an, schallend zu lachen.
»Ok, der Punkt geht an dich.«, sagte er und fügte hinzu: »Ich werde dir beweisen, dass ich wirklich der Weihnachtsmann bin.« Er fuhr fort: »Dein Name ist Lisbeth Sommer, du bist 12 Jahre alt und …«
»Kunststück, mein Name steht auf dem Päckchen, welches Sie einsacken wollten und mein Alter ist auch nur gut geraten.«, unterbrach sie ihn nun zum dritten Mal, doch der Mann ließ sich nicht beirren und sprach einfach weiter: »Du hast dir die komplette Diskographie von Queen gewünscht, aber deine wahren Wünsche sind ganz andere: Du möchtest wegen deiner Krankheit nicht von allen wie ein rohes Ei behandelt werden, du wünscht dir, dass dein Vater endlich eine Festanstellung bekommt, dass deine Schwester die Anerkennung mit ihrer Schulband erhält, die sie verdient, dass dein Bruder endlich seinen Sprachfehler überwindet, und nicht zu letzt, wünscht du dir auch etwas mehr Frieden in der Welt.«
Lisbeth stand der Mund offen, das konnte ein Einbrecher im Weihnachtsmann-Kostüm nun wirklich nicht wissen. »Woher wissen Sie das alles?«, flüsterte sie.
»Wie ich schon sagte, ich bin es wirklich und wenn du noch einen Beweis brauchst, schau mal auf die Uhr.«, antwortete er.
»Sie ist stehen geblieben – 18:23 Uhr und 18 Sekunden. Wie kann eine Digitaluhr stehen bleiben?« Lisbeth war nun total verwirrt.
»Wie kann der Weihnachtsmann, an nur einem Tag, alle Kinderwünsche erfüllen?«, stellte er eine Gegenfrage.
»Indem er die Zeit anhalten kann …«, gab Lisbeth zögerlich zurück. »Du bist ein sehr kluges Kind.«, antwortete der Mann, von dem nun Lisbeth überzeugt war, den Weihnachtsmann vor sich zu haben.
Nun wurde sie von Ehrfurcht ergriffen und sagte: »Sie sind es wirklich … oh … es tut mir so leid, ich wusste ja nicht … und all die Sachen, die ich über Weihnachten gesagt haben…« Der Weihnachtsmann lächelte Lisbeth an und sagte: »Schon gut, ist schon vergessen.«
»Wieso kann ich Sie sehen?«, war es nun an Lisbeth zu fragen.
»Es liegt wohl daran, dass du in die Herzen der Menschen sehen kannst, genau wie ich. Das ist mir jetzt klar geworden«, antwortete er ihr. »Du verabscheust das Weihnachtsfest, weil es nur noch um Profit geht. Ich verabscheue das ebenfalls.«
Lisbeth traute ihren Ohren nicht und sagte: »Gerade fing ich an, Ihnen zu glauben. Machen Sie es jetzt bloß nicht kaputt.«
Der Weihnachtsmann gluckste und sagte: »Nein, du hast recht. Alle drehen wie auf Kommando durch, als käme Weihnachten jedes Jahr so überraschend, dabei ist ja Zeit genug um sich darauf vorzubereiten. Am Ende darf alles dann der Weihnachtsmann richten.« Er fuhr fort: »Weißt du wer die glücklichsten Menschen an Weihnachten sind? Das sind nicht die mit den größten Wünschen. Es sind die, die sich was aus tiefsten Herzen wünschen und ich meine es geht hier nicht um materielle Dinge«
Lisbeth dachte über die Worte des Weihnachtsmanns nach und forderte dann: »Ok, beweisen Sie’s!«
Jetzt war es am Weihnachtsmann etwas verwirrt zu schauen und er fragte: »Wie, bitte?«
»Sie können mein Geschenk behalten, dafür erfüllen Sie mir nur einen der Wünsche, die Sie aufgezählt haben, egal welchen. Es würde mir sogar reichen, wenn Oma und Opa zu Besuch kämen.«, sagte Lisbeth und sah dem Weihnachtsmann fest in die Augen. Er betrachtete sie sorgfältig und stellte dann fest: »Dir ist das Ernst.«
»Ja, vollkommen, oder bin ich zu fordernd? Ich möchte wirklich nicht aufdringlich sein«, entschuldigte sich Lisbeth sogleich.
»Nein, überhaupt nicht. Alle deine Wünsche sind machbar, aber du musst dich für einen Wunsch entscheiden.«, sagte der Mann.
»Also haben wir einen Deal?«, fragte Lisbeth freudig.
»Ja, wir haben einen Deal.« Der Weihnachtsmann hielt ihr die Hand hin und Lisbeth schlug ein.
»Nun gut.«, sagte er feierlich. »Schließe die Augen und denke fest an den Wunsch, den ich dir erfüllen soll.«, forderte er Lisbeth auf.

Lisbeth schloss die Augen für eine knappe Minute. Als sie die Augen öffnete, sagte sie: »Ok, ich habe mich für einen …«
Sie unterbrach sich, denn der Weihnachtsmann war nicht mehr da. Lisbeth sah sich um. Ihr Geschenk unter dem Baum fehlte und ihre Uhr zeigte 18:24 Uhr und 7 Sekunden und lief wieder.
»Mit wem sprichst du, Lisbeth«, fragte ihre Mutter, die plötzlich in der Tür stand. »Ach mit niemandem, ihr habt die Baumspitze vergessen.«, lenkte Lisbeth ab, aber ihre Mutter hörte ihr gar nicht zu, denn sie fragte: »Lisbeth hör mal, ähm … ich habe viel zu tun und … naja ich dachte vielleicht könntest du mir etwas zur Hand gehen … also nur …« Sie kam ins Stottern, doch Lisbeth lächelte und sagte. »Ich helfe dir gerne. Ich könnte ja den Tisch decken, wenn du magst.« Ihr Mutter strahlte und sah ziemlich erleichtert aus und Lisbeth freute sich über die Aufgabe.

Eine Stunde später saßen alle am festlich gedeckten Tisch. Die Hektik hatte sich gelegt, die Festtagsente war ein Gedicht, das Radio spielte Weihnachtslieder, Dianas Keyboard war für das spätere Weihnachtslieder-Singen aufgebaut und die Christbaum-Spitze war nun auch an ihrem Platz. »Vielleicht wird es doch noch ganz schön.«, dachte sich Lisbeth.
»Papa, was ist los?«, fragte Diana ihren Vater. »Du grinst schon den ganzen Abend.«
»Nun, ich muss euch etwas sagen.«, rückte er zögerlich mit der Sprache heraus und alle sahen ihn gespannt an. Er fuhr fort: »Ich hatte einen Anruf von meinem Chef und ich bekomme ab Januar eine Festanstellung und sogar ein höheres Gehalt.«
Alle klatschten und freuten sich. Als sich der Trubel etwas gelegt hatte, sagte er zu Diana: »Übrigens, in der Post war ein Brief für dich, hier bitte. Post an Heiligabend, stellt euch mal vor.« Diana nahm verdutzt den Brief und begann ihn zu lesen.
Mutter sagte: »Ich habe auch noch eine freudige Nachricht: Oma Kathie und Opa Günther kommen uns am 2. Weichnachtsfeiertag besuchen. Ist das nicht toll?«
Da rief plötzlich Diana: »Oh, wie geil!« Alle sahen sie an. »Der Brief von der Schule …«, fuhr sie fort. »Wir bekommen endlich einen Proberaum für die Schulband, sogar mit Schlüssel!« Diana war außer sich, vor Glück.
Mutter sagte plötzlich: »Seid mal kurz still, die bringen gerade was Wichtiges im Radio.« Und drehte etwas lauter.
»… soeben erfahren, dass die Kampfhandlungen mit sofortiger Wirkung eingestellt werden. Die Anführer beider Seiten sind bereit, sich an einen Verhandlungstisch zu setzten. Wollen wir hoffen, dass somit ein jahrelanger Konflikt, bald der Vergangenheit angehört …«
»Na, wenn das mal kein tolles Weihnachten ist, die guten Nachrichten reißen nicht ab.«, sagte der Vater und drehte das Radio wieder leiser. Da fragte Kevin plötzlich: »Aber warum ist Lisi dann so traurig?«, und sah Lisbeth an, die Tränen in den Augen hatte.
»Kevin, du hast ›traurig‹ gesagt und nicht wie sonst ›taulig‹. Oh, ich werde deinen Sprachfehler vermissen.«, sagte Diana, aber niemand hörte ihr zu.
»Lisbeth, was ist denn, mein Schatz.«, fragte die Mutter besorgt. Lisbeth wischte sich die Tränen aus den Augen und sagte: »Nichts, ich freue mich so, über all die guten Nachrichten.« Vater sagte etwas bekommen: »Nun es gibt auch eine schlechte Nachricht: Was dein Geschenk angeht, Lisbeth … es gab da … nun ja …«, aber Lisbeth lächelte nur und sagte: »Nun, der Weihnachtsmann wird sich sicher auch über gute Musik freuen. Alle erwarten Geschenke vom Weihnachtsmann, aber er erhält nie ein Geschenk.« Die Eltern sahen sich an, wusste aber nichts darauf zu erwidern.
Lisbeth erklärte weiter: »Ich brauche kein Geschenk, ich habe schon mehr Geschenke erhalten, als ich verdient habe. Dies ist mein schönstes Weihnachten.«, endete sie und nun brach sie vollends in Tränen aus. Alle kamen, um Lisbeth zu umarmen.

Sie lagen sich noch in den Armen, als der Radiosprecher verkündete:
»Und nun ein besonderer Weihnachtswunsch: Herr W. aus N. wünscht sich von Queen - ›Thank God It’s Christmas‹, für Lisbeth, ein Mädchen, dass den wahren Weihnachtsgedanken in Ihrem Herzen trägt.«

32 Minuten

»Ich kann nur Wohnungen. Ausschließlich. Und vor allem: alleine. Ich mache alles alleine, verstehste? Wenn dann einer die Nerven verliert, das geht gar nicht. Hektiker und Psychos kannste vergessen. Ich verlass mich nur auf mich selbst. Da bin ich immer am besten mit gefahren.
Partner fängt mit P an, wie Probleme, und die brauch´ ich ums Verrecken nicht.
Recherche und Observation, damit fängt´s mal an. Das Objekt genau beobachten, Plan entwerfen, Material besorgen und los. Geduld ist gefragt. Ohne Ausdauer wirste nicht alt. Wann sind die Bewohner weg, wie lange, lohnt sich das Ganze? Muss alles abgeklärt sein.

Ich gucke ja gerne diese Heist-Filme.
Was? Nicht feist, Heist! Das is so ein Genre, weißt du. Nee, weißte nich, ich merk´ das schon. Also so eine Kategorie quasi. Kein Krimi, kein Thriller, im Heist wird haargenau gezeigt, wie son Überfall vorbereitet wird. Haste Ocean Eleven gesehen? Das ist voll Heist. Am besten ist dieser uralte Film Rififi. Die Einbruchszene dauert 32 Minuten, ganz ohne Musik; die Kollegen bohren ein Loch in den Boden und steigen in die Wohnung darunter ein und knacken den Geldschrank. Is schwarz-weiß, aber spannend!

Wie ich auf dieses Haus gekommen bin? Reiner Zufall. Ich stehe zufällig in diesem schnieken Vorort beim Bäcker und höre, wie der Typ beim Bezahlen sagt, dass er über Weihnachten auf Malle ist. Ich den beobachtet, was soll ich dir sagen: ein Glücksfall. Der wohnt alleine in diesem Bungalow, ist Schönheitschirurg mit eigener Privatklinik und sammelt Kunst.
Und da hab ich meine Grundsätze sausen lassen. Das war der Fehler überhaupt. Wie gesagt, ich kann Wohnungen. Aber für ein Objekt mit High-Tech- Alarmanlage, Kameras und Bewegungsmelder brauchte ich einen Spezialisten und hab Erkan mit ins Boot geholt.

Jetzt pass auf: Wir da rein. Alles läuft wie geplant. Erkan knackt die Anlagen, telefoniert kurz mit dem Sicherheitsdienst, alles ein Versehen, bla, bla, bla. Wir wollen uns gerade aufteilen- ich unten die Bilder und kleinen Skulpturen, er oben die Uhrensammlung, dann zusammen den Safe knacken. Da höre ich im Kamin ein Knacken und seltsame Geräusche. Ich denk: Verdammt, rauscht da jetzt ein Vogel runter ins Wohnzimmer? Was soll ich dir sagen:
Rumms, steht da ratz fatz der Weihnachtsmann vor uns.
Sieht uns, und hat schon ´ne Knarre in der Hand. Erkan verliert die Nerven und türmt. Ich kann dem Weihnachts-Clown den Arm mit der Waffe hochreißen, ziehe ihm blitzschnell Maske und Mütze ab- ja verdammte Hacke, da ist das Mike!
Scheiße! Da denkst du, du machst den großen Fang, hast aber erst einen Schisser an der Backe und dann den Weihnachtsmann, der nix bringt, sondern mit dem du noch alles teilen musst.
Mike sitzt drei Zellen weiter.
Und? Was treibt dich her?
Oh, das Signal. Jetzt geht´s erst mal los. Hofgang!«

Der Geist der vergessenen Weihnacht

Es ist dunkel, als ich von der Arbeit komme. Es ist immer dunkel. Ich bin alleine, als ich von der Arbeit komme, aber ich bin immer alleine. Schon merkwürdig, dass wir in so großen Gruppen zusammenleben, uns in den U-Bahnen beinahe stapeln und trotzdem so einsam sind. Ich drehe den Schlüssel im Schloss der metallenen Wohnungstür und tausche das kalte Licht des Flurs gegen die warme Dunkelheit der Einzimmerwohnung. Für einen Moment gleiten meine Finger hoffnungslos verirrt über die Raufasertapete der Wand neben, dann finden sie den kühlen Kunststoff des Lichtschalters und meine Wohnung flackert ins Leben. Ich lege meine Aktentasche auf die kleine Küchenzeile neben dem Waschbecken und nehme den Laptop heraus.

Ich arbeite lieber im Büro, aber das ist heute abgeschlossen. Also lege ich den Laptop auf den Küchentisch, den einzigen Tisch und stelle den Stuhl so hin, dass mein Blick auf dem Fenster gegenüber der Wohnungstür liegt und nicht auf meinem ungemachten Bett. Ich hänge meine Jacke über den Stuhl und fahre den Laptop hoch.

Etwas rumpelt, ich glaube auf dem Dach. Für einen überdrehten Moment denke ich an den Weihnachtsmann. Überlege, wie er versucht, in den Schornstein zu kommen, der selbst für Tauben zu gut verbarrikadiert ist, dann herrscht wieder Stille.
Der Weihnachtsmann. Verloren in Gedanken taste ich mit einer Hand durch meine Jacke. Wann ist eigentlich Weihnachten? Muss schon in ein paar Tagen sein. Meine Finger schließen sich um die glatte Form meines Handys und ich schaue auf das Display.

23:53
24.12.2023

Heute? Ganz vergessen. Zwei verpasste Anrufe habe ich auch. Von meinem Vater und von meiner Schwester. Ist es wirklich schon ein Jahr her? Haben wir seit meinem Geburtstag miteinander gesprochen, nein, seit Silvester? Es fällt mir schwer, mich zu erinnern. Kopfschüttelnd lege ich das Handy neben dem Laptop auf den Tisch, das Display nach unten. Ich sollte weiterarbeiten.

Ein Zischen wie von einem leckenden Gasrohr ertönt und verklingt wieder. Ich runzle die Stirn. Es ist, als wolle alles an diesem Abend mich davon abhalten produktiv zu sein. Ich wende mich wieder dem Laptop zu, da ertönt ein schmatzendes Geräusch direkt aus der Wand. Ich schlage mit der Hand auf den Tisch und stehe auf. Langsam reicht es. Das schmatzende Geräusch bewegt sich weiter durch die Wand in Richtung der Lüftungsschlitze über der Tür. Ein Tropfen einer ölig schwarzen Substanz rollt aus dem Gitter und hinterlässt eine teerartige Spur auf der Tapete. Ein zweiter folgt ihm, dann ein dritter. Immer mehr quillt aus dem Lüftungsschacht und sammelt sich in einer Pfütze am Boden, die so schwarz ist wie die Nacht. Für einen Moment glaube, ich sogar Sterne in ihr erkennen zu können, dann richtet sich die Pfütze plötzlich auf.
Ein Rauschen erfüllt mich. Es beginnt in den Ohren und sickert langsam in den Kopf. Ich versuche, zu verstehen, was ich sehe, doch je mehr ich mich anstrenge, desto lauter wird das Rauschen, durchdringt mich, löst mich von der Welt.
Ein Heulen, so fern, dass ich es meine Ohren beinahe nicht erreicht bearbeitet meine Trommelfelle mit einem Presslufthammer. Meine Gedanken werden für einen Moment weiß, dann finde ich mich an die Tischkante gelehnt wieder. Meine Augen suchen nach dem Ding, das aus dem Lüftungsschacht gequollen ist, finden aber nur eine dunkle, klebrig anmutende Spur, die von der Tür direkt auf mich zuführt!
Bevor mein Blick ihr weiter folgen kann, legt ein Arm sich um meine Schulter, dann ein Weiterer und ein weiterer und ein weiterer. Meine Gedanken setzen für einen Moment aus, denn – Es ist ein angenehmes Gefühl. Ich spüre eine Nähe, von der ich nicht gewusst habe, dass sie mir fehlte, während dort, wo die Arme liegen, eine warme, klebrige Substanz meinen Pullover durchweicht. Einige Minuten bewegt sich keiner von uns. An den Tisch gelehnt blicke ich in den Raum und sehe doch nichts.

„Weißt du, ich wollte mir eigentlich einen Weihnachtsbaum kaufen“, sage ich, ohne genau zu wissen wieso. „Keinen großen.“ Ich lache. „Der hätte ja auch gar nicht in die Wohnung gepasst. Nein, einen Kleinen, den ich auf den Tisch stellen kann. Vielleicht einen Setzling aus dem Wald. Eingetopft. Ich hätte versuchen können mich bis nächstes Jahr um ihn zu kümmern und dann hätten wir gemeinsam feiern können – also er und ich - falls ich es wieder nicht nach Hause schaffe.“ Ich zucke mit den Schultern. „Aber ich schätze, ich hatte keine Zeit dazu. Ich habe selten Zeit für mich. Es ist merkwürdig, wie man so alleine lebt und trotzdem nie für sich selbst Zeit hat, oder? Arbeitest du?“
Als Antwort erhalte ich ein Geräusch, das klingt wie ein sterbendes Schwein, nur rückwärts, aber ich fühle mich trotzdem verstanden.
„Es tut gut mit dir zu reden, weißt du das? Du bist ein wirklich guter Zuhörer.“ Ich straffe meine Schultern. Etwas Glibschiges rinnt über meinen unteren Rücken und fällt mit einem hörbaren Platschen zu Boden. „Es gibt ein paar Dinge die sich ändern müssen!“
Ich stehe auf und sehe meinen Besucher an. Etwas stimmt nicht mit ihm. Sind es seine Haare, nein, er hat keine Haare. Seine Arme, nein. Seine Beine. Aber hat er überhaupt Beine? Je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker wird der Druck auf meinen Ohren, von dem ich bis jetzt gar nicht bemerkt habe, dass er da ist. Die schwarze Silhouette scheint zu zucken und ist noch im gleichen Moment über mir. Ein Gewicht drückt meinen Körper und meinen Verstand nieder. Meine Augen brennen, sie stehen in Flammen! Dann, Schwärze.

Ich klappe den Laptop zu und werfe einen verwunderten Blick auf den zierlichen Tannenbaum, der in einem kleinen Tontopf neben dem Fenster steht. Er ist geschmückt mit bunten Kugeln, die im Licht der Kerzen glänzen wie gefrorene Seifenblasen. Auf seiner Spitze sitzt ein goldener Stern. Ich habe wirklich zu viel gearbeitet, wenn ich mich nicht einmal daran erinnern kann den Baum doch geholt zu haben. Nächstes Jahr lasse ich es langsamer angehen. Und ich schreibe meiner Familie. Nein, ich fahre bei ihnen vorbei. Sie werden sich freuen.

Konkurrenz

Dass der Bart so kratzt und stinkt, hätte mir auch mal jemand sagen können. Und der Stoff erst… dann hätte ich für dieses Kostüm bestimmt keine Dreißig Euro hingelegt. Von wegen richtig gute Qualität. Naja, für heute wird´s reichen…
Ich zupfe den Bart zurecht, wodurch eine Portion fisseliger Polyesterhaare in meinen Mund eindringt, die ich sofort versuche mit der Zunge wieder heraus zu befördern. Leise knurrend richte ich den großen braunen Leinensack auf meiner Schulter und schleiche weiter.
Mit spitzen behandschuhten Fingern drücke ich sanft die Türklinke herunter und öffne die Tür. Hier müsste es sein. Der Duft von Tannennadeln, Mandarinen und ausgepusteten Kerzen weht mir entgegen, es riecht nach Weihnachten. Ich schließe lautlos die Tür hinter mir und lasse den Sack auf den Boden gleiten.

Plötzlich wird es für einen kaum wahrnehmbaren Moment hell im Raum, eine kühle Brise umweht mich und meine Nase kitzelt. Ich presse verzweifelt meine Zunge an den Gaumen, um nicht zu niesen. Ein Rumpeln ertönt, dann steht plötzlich eine Person im Weihnachtsmannkostüm vor mir. Ich stolpere einen Schritt zurück und stoße gleichzeitig hervor:

„Wer zum Teufel sind Sie denn? Wo kommen Sie her?“

„Dasselbe könnte ich Sie fragen“, erwidert die Person mit dröhnender Stimme.

„Ich…ich bin der Weihnachtsmann!"

„Das denke ich nicht. Denn ich bin der Weihnachtsmann. Und ich komme gerade aus meinem Schlitten.“

„Na klar…wie sind Sie hier reingekommen?“

„Mit Elfenstaub durchs Dach.“

„Ah, klar. Sind Sie hier eingebrochen?“

„Dasselbe wollte ich Sie gerade fragen, junger Mann.“

„Was? Das…das ist lächerlich! Ich wollte gerade meine Geschenke verteilen!“

„Aus einem leeren Sack?“

„Wie bitte? Der ist ni…“

Eine leises Schaben unterbricht das Gespräch, die Wohnzimmertür öffnet sich und eine große Person betritt den Raum. Im Weihnachtsmannkostüm. Mit einem Leinensack über der Schulter. Ein Moment absoluter Stille folgt.
„Wer sind Sie?! Was machen Sie hier?!“, fragt die Person hörbar angespannt und mit einem Hauch von Panik in der Stimme. „Der Weihnachtsmann“, antworten wir gleichzeitig und ich spüre, wie ich anfange zu schwitzen.
„Verarschen Sie mich nicht! Ich ruf die Polizei!“, stößt der Mann hervor, verlässt den Raum, drückt die Wohnzimmertür zu und lässt ein Klacken ertönen, als er die Tür abschließt. Scheiße.

Inmitten von Weihnachtsduft bleibe ich mit dem anderen Typen zurück. „Frohe Weihnachten, Weihnachtsmann“, dröhnt dieser amüsiert, zieht vier Geschenke aus seinem Sack und legt sie behutsam unter den Tannenbaum. Dann greift er in seine Manteltasche, wirft Glitzerstaub in die Luft, schnipst einmal und verschwindet in einem hellen Lichtblitz. Meine Nase kitzelt. Dieses Mal niese ich, ist jetzt ja eh egal.

Heiße Weihnachten

Wie jedes Jahr findet bei Müllers das Weihnachtsgrillen im Garten statt. Alle Nachbarn sind geladen und mit Glühwein wird es immer lustig und laut. Ich bin das erste Mal dabei und aufgeregt. Meine weiße Haut ist das Markenzeichen der Feinen. So haben uns die Menschen am liebsten, versichert mir mein Nachbar. Spaß und eine bronzene Hautfärbung haben mir die anderen versprochen und dabei so komisch gekichert. Hmm.

Aha, jetzt geht es los. Müllers schmeißen den Grill an. Ich spüre die Hitze und werde hibbelig. Ob es weh tut? Mir wird kotzübel, was, wenn ich das nicht aushalte? Mein Nachbar guckt mich grinsend an.

Plötzlich sehe ich Meier von nebenan im Weihnachtsmannkostüm. Er schleicht heimlich im Haus von Müller rum und kommt dann unschuldig pfeifend in den Garten. Frech rümpft er die Nase: „Mensch, Paul, guck mal, da hat sich doch eine mit grünen Flecken reingeschmuggelt. Igitt. Zum Glück noch rechtzeitig gesehen“ sagt Meier-Weihnachtsmann und wirft mich mit Schwung in einen Eimer, der in der Ecke steht. Auuwa! Was soll das? Ich will zu den anderen!

Gleich darauf zischt und brutzelt es. Die Feinen haben es gut, die werden jetzt schön braun. Doch was ist das? Ein Stöhnen und Jammern, Wehklagen, Fett spritzend drehen sie sich windend! Hilfe! Hört das denn niemand? Müllers und Meier-Weihnachtsmann nicht, die erzählen sich Witze und lachen. Jemand spielt „Stille Nacht“ und übertönt die ploppenden Geräusche, wenn Brät auf Hitze trifft.

Bin so froh, dass mich Weihnachtsmann-Meier in den Eimer geschmissen hat. Win-Win würde ich sagen, hab ihn ja nicht verpetzt, dass er im Haus rumgeschlichen ist. Am besten, mir ist weiterhin übel.

Weihnachten einmal anders

Wieder so ein Weihnachtsabend. Im Dunkel der Nacht sitze ich einsam und verlassen in meinem Sessel. Ich gieße mir ein letztes Glas hinter die Binde, ehe mich der Schlaf übermannt.
Versunken in meinem Sessel erwache ich aufgeschreckt. Ein Knacken dringt an mein Ohr. Träume ich oder ist das die Wirklichkeit. Das kann nicht sein. Da steht tatsächlich im Schein der Sternenlichter nicht weit von mir der Weihnachtsmann. Nicht etwa mit Paketen, sondern mit einem großen Brecheisen und einem Rucksack in der Hand. Ein kalter Wind streift mich von der Terrassentür her. Sofort springe ich auf. Freund Weihnachtsmann ist bereits zu weit ins Zimmer vorgedrungen und will gerade seine Taschenlampe anknipsen. Der Rückzug ist ihm versperrt. Ich befürchte schon, dass er mir mit dem Stahl einen drüber zieht. Ein Griff zur Stehlampe als Abwehrstock, durchzuckt mein Gehirn.
Jetzt bemerkt mich der Weihnachtsmanneinbrecher. Erschrocken steht er wie versteinert da. Der Schein der Lampe gleitet von oben nach unten an mir herab. Ob meiner nicht gerade kleinen Statur stiert er mich an. Ansonsten ist keine weitere Regung ihm anzumerken. Ich reiße das weitere Vorgehen an mich.
„Guten Abend, Weihnachtsmann. Du hast dich wohl in der Wohnung geirrt. Ich bin hier alleine und ich glaube nicht, dass du mir etwas bringen willst. Dein leerer Sack deutet mehr auf ein Befüllen des selbigen.“
„Mein Freund, du magst recht haben“, entgegnet er mir. „Eigentlich deutete nichts auf eine Belegung der Wohnung hin. Überall ist alles festlich beleuchtet. Da hat es unsereiner schwer, etwas Brauchbares zu finden.“
„Wieso kommst du als Weihnachtsmann? Ist so ein Kostüm nicht hinderlich bei den Streifzügen?
„Gerade damit fällt man überhaupt nicht auf. Rennen doch heute so viele damit durch die Gegend. Außerdem benötige ich nur ein paar Kleinigkeiten, um über die nächsten Tage zu kommen.“
„Ach, so siehst du das. Was sind bei dir die Kleinigkeiten? Mein Geld, mein Schmuck oder gar die elektronischen Geräte. Erst einmal alles durchwühlen und einen Saustall veranstalten?“
„Nein, nein! Von der Art bin ich nicht. Mein Ziel ist der Kühlschrank und die Kühltruhe. Das geht am schnellsten und ist leicht zu finden.“
„Aha, also Mundraub, wie man hergebracht sagt.“
„In der Art, mein Freund.“
Na, wenn wir Freunde sein wollen, dann leg erst einmal dein Brecheisen ab.“
Etwas widerwillig legt er das Eisen auf den Couchtisch. Ich könnte es nehmen und mich für den bisherigen Schaden an meiner Tür revanchieren. Doch es überkommt mich die Lust, diese trostlose Nacht mit diesem Kerl zu verbringen.
„Dann setz dich in den Sessel. Heute bekommst du erst Flüssiges. Ich hol’ noch schnell ein Glas.“
Brav sitzt der in dem großen Sessel. Dazu stelle ich den eingegossenen Alkohol. Einen brutalen Verbrecher kann ich wirklich nicht erkennen.
„Na dann prost! Auf Weihnachten mit uns beiden.“
Mit einem Zug kippt der den hochprozentigen Schnaps ohne mit der Wimper zu zucken in sich hinein. Übung hat der jedenfalls, denke ich spontan.
Nach dem dritten Glas wird er gesprächig. All seine Vergangenheit offenbart er mir. Ich bin dabei und zeige auch mein Leiden. So weit sind wir gar nicht entfernt. Nur, dass ich auf dem Pfad der Tugend bleibe.
Tief in der Nacht packe ich den halben Kühlschrank in seinen Sack. Ich verabschiede ihn durch die Vordertür nach draußen.
„Das nächste Mal darfst du ruhig bei mir klingeln lieber Weihnachtsmann“, lalle ich beim Abschied. Hick!

Es ist wirklich ärgerlich, dass es immer weniger Kamine gibt. Und wenn, dann haben sie nur noch Fake-Schornsteine mit dünnen Rohren drin oder eklige Sperren, irgendwelche Filter für die Umwelt und Tierschutzgitter. Die moderne Welt macht es mir wirklich nicht einfach! Aber mein Q – jaaaa, das hat James Bond von mir geklaut! – hat mir neue Zaubertricks gezeigt, mit denen ich durch alle Fenster und Türen komme. So leicht werdet ihr mich nicht los! Dafür liebe ich meinen Job viel zu sehr.

Nun stehe ich wieder vor einer Haustür von einem Haus ohne Kamin und zücke Trick Nummer 1. Q hat es Scheckkarte genannt und sie extra für mich rot lackiert mit einem Sternmotiv. Ich habe lange geübt und nun verschaffe ich mir Einlass und schleiche ins Haus. Sofort werde ich umhüllt von herrlichen Düften und ich schnuppere genüsslich. Vanille, Zimt, Apfel, Orange … schon stehe ich in der Küche und stibitze vergnügt grinsend einen Zimtstern aus einer Blechdose. Im Kühlschrank entdecke ich jede Menge vorbereiteter Dinge für ein feines Weihnachtsessen. Bratapfeljoghurt? Ich kann nicht widerstehen, finde einen Löffel und verputze ihn genüsslich. Nun zieht es mich in das große Wohnzimmer und dort bleibe ich wie angewurzelt stehen. Potzblitz! Da ist ein Kamin! Allerdings ist er künstlich, das erkenne ich erst auf den zweiten Blick. Direkt daneben steht ein riesiger Weihnachtsbaum, bunt geschmückt und ich entdecke gerührt kleine, von den Kinderhänden der kleinen Zwillinge gebastelte Sterne.

Ich stelle meinen Sack ab und will gerade mit meiner Arbeit beginnen, als mich Schritte zusammenfahren lassen. Die Wohnzimmertür öffnet sich wieder und der Teeniesohn des Hauses schlurft herein. Schnell drücke ich mich in eine Lücke zwischen Weihnachtstanne und Kamin und erstarre. Es ist doch viel zu spät! Selbst er sollte im Bett liegen! Aber nein, er sieht sich um und entdeckt mich sofort. Verflixt, was hat der Bursche im Dunkel für gute Augen! Ich halte den Atem an und starre einfach geradeaus. Ich bin nicht da! Staunend kommt der Junge langsam auf mich zu und bleibt so dicht vor mir stehen, dass ich nur die Lippen schürzen müsste, um seine Nase zu küssen. Aber ich halte durch, starre gerade aus und ertrage es, wie er mich betrachtet, an meinem Bart zupft, meinen Augenbrauen… AUA! Bursche, das ist alles echt! Lass das! Nun stochert er mit dem Zeigefinger in meinem Bauch herum. Mein starrer Blick wird etwas runder. Ja, ich habe ein kleines bisschen zugenommen, na und? Das ist Bodyforming und in meinem Beruf wichtig. Nimm deine Flossen von meinem Bauch und verschwinde, mir geht die Luft aus!
„Abgefahren.“, murmelt er schließlich und schüttelt den Kopf. Er hält mich für eine lebensgroße Puppe. Uff! Ganz vorsichtig atme ich die angehaltene Luft aus und nur meine Augen folgen ihm, als er durch das Zimmer zu einem Schrank geht. Er öffnet ihn und holt eine Flasche guten alten Whisky heraus. Meine Augen weiten sich entgeistert, als er sie öffnet und direkt aus der Flasche trinkt. Er ist erst 15! Das kann ich nicht zulassen! Was mach ich nur? Er schüttelt sich am ganzen Körper nach dem ersten kleinen Schluck, was mich grinsen lässt. Haha! Geschieht dir recht, mein Junge. Doch dann kommt der nächste Schock. Er hockt sich vor den alten Schreibtisch seines Vaters und zückt eine Scheckkarte! Was zum… Q! Er hat dich beklaut? Er kennt den Trick? Und spielt an der verbotenen Tür mit den nicht jugendfreien Inhalten! Das geht eindeutig zu weit.
„Das solltest du nicht tun!“, platzt es aus mir heraus. Der Junge springt hoch, die Flasche noch in seiner Hand und nun ist er derjenige, der starrt. Kann ich auch! Wir starren beide.
„Heilige Scheiße!“, keucht er schließlich, sodass ich zusammenzucke.
„Fluchen solltest du auch nicht. Das gehört sich nicht, zum Donnerwetter!“
„Du fluchst doch selber!“
„Ich habe die Flüche erfunden! Das sind alles meine! Also lass es einfach!“, fauche ich zurück. Er zieht die Augen schmal zusammen und kommt in einem bedrohlichen Schleichgang auf mich zu.
„Du verkleidest dich als Weihnachtsmann und brichst bei uns ein, du Sackgesicht?!“ knurrt er nun. Zugegeben, ich bin beeindruckt. Einmal weil er Mut hat und einmal weil er wirklich gut fluchen kann.
„Verkleiden? Bist du noch ganz dicht? Ich BIN der Weihnachtsmann!“ Verärgert reiße ich ihm den Whisky aus der Hand und setze die Flasche an. Er sieht mir mit offenem Mund zu, während ich die halbe Flasche leere. Dann zerrt er sie mir wieder aus der Hand.
„Alki was? Hast du ne Ahnung, wie teuer der ist?“ Ich breite die Arme aus.
„Wenn du deinen Vater schon beklaust, dann machs halt richtig und nicht mit so einem Minischluck. Wegnehmen ist wohl cooler als schenken, was?“ Wir funkeln uns an. Ich weiß, ich bin gerade nicht ganz fair.
„Was für ein Problem hast du?“, frage ich rundheraus. Der Junge sieht mich groß an und ich spüre, dass er schwankt zwischen dem kindlichen Wunsch, mich als der anzuerkennen, der ich wirklich bin oder dem erwachsenen Wunsch, Hilfe zu rufen und mich als Einbrecher anzuzeigen. Aber seine Fassade bricht zusammen.
„Ich habe kein Geschenk für meine Mutter.“, seufzt er. Mir bricht fast das Herz, denn ich höre seinen Schmerz. Die Flasche landet in meiner Hand und ich setze sie wieder an. Ich weiß ,dass er ein Künstler ist. Ein Sprayer. Und auch verantwortlich für viele besprühte Hauswände. Nun sind ihm seine Farben ausgegangen für das große Kunstwerk, das er seiner Mutter schenken wollte. Die Geschäfte haben geschlossen. Mit einem energischen Ruck stelle ich die Flasche beiseite, greife in meinen Geschenkesack und drücke ihm ein dickes Paket in die Arme. Das Klickern der Metallkugeln in den Spraydosen ist deutlich zu hören. Er starrt mich mit offenem Mund an und merkt nicht, dass ich ihm gekonnt die Scheckkarte aus seiner Gesäßtasche klaue.
„Verschwinde einfach und mach deine Arbeit zu Ende. Sie ist wichtig!“, knurre ich und mache eine Kopfbewegung Richtung Tür.
„Echt jetzt?“ Seine Stimme krächzt. Ich ziehe meine buschigen Brauen zusammen und starre bereits wieder finster.
„Du bist wirklich der liebe, gute Weihnachtsmann!“ Blitzmerker!
„Ich bin nicht lieb! Lieb ist die große Schwester von nett! Hau schon ab!“ Ich kann richtig gut knurren und offenbar habe ich ihn damit beeindruckt. Er rennt aus dem Zimmer und stolpert nicht gerade leise die Treppe hoch.
Die Geschenke sind schnell verteilt. Unter anderem Leinwände und weitere Farben für den jungen Burschen. Den Whisky nehme ich mit, der ist wirklich gut. Die Karte auch… ich muss mit Q ein ernstes Wörtchen reden.

Als die Tanne fast durchs Fenster flog

Martha W. mochte Weihnachten nicht. Missmutig knabberte sie an den trockenen Supermarktkeksen und starrte die winzige Tanne in der Zimmerecke an. In einer schwachen Minute hatte sie diese heute Morgen erworben, weil sie als Restexemplar reduziert gewesen war und Martha W. wenigstens einmal so tun wollte, als würde sie die Bräuche mitmachen. Martha W. besaß keine Christbaumdeko, daher hatte sie Alufolie in Streifen geschnitten und über die stacheligen Äste gelegt. Selbst im Schummerlicht sah es jämmerlich aus. In einem Schuhkarton hatte sie eine Lichterkette aus Kindertagen gefunden, doch die meisten Lichter funktionierten nicht mehr. Zumindest brannte auf dem Wohnzimmertisch ein Teelicht neben der aufgerissenen Kekstüte.
Während Martha W. immer mehr Krümel in ihrem Schoß sammelte, klebte ihr Blick unentwegt an dem Bäumchen. Was hatte sie bloß geritten, dieses hutzelige Ding zu kaufen? Allein der Duft vermochte es, ihren innerlich brodelnden Kessel zum Überlaufen zu bringen … was auch genau in diesem Moment geschah. Martha W. sprang aus dem Sessel auf, stürmte zu dem Bäumchen, ergriff es und zerrte es bis zum nächstgelegenen Wohnzimmerfenster, das sie beim Öffnen fast aus der Verankerung riss. Dann hievte sie das Bäumchen auf die Fensterbank und schob. In diesem Moment hörte sie eine Stimme. »He, Sie da, was soll denn das?« Martha W. fuhr herum. In dem zweiten Wohnzimmerfenster hing ein Mann und zwängte sich ächzend herein. Er murmelte etwas wie »zu kleine Öffnungen und zu viel Fastfood«. Jedenfalls hing er wie die Tanne nun im Fensterrahmen.
»Könnten Sie mir mal helfen?«, fragte er schließlich. Martha W. seufzte. Kaum versuchte sie, ein bisschen Weihnachten in ihr Leben zu lassen, wurde sie gleich mit Wahnsinn bestraft. In diesem Moment ging Martha W. noch davon aus, dass sie halluzinierte. Doch als der fremde Mann in ihrem Fenster fast schon flehte, ihn aus der misslichen Lage zu befreien, wurde sie unsicher. Sie ließ los. »Halt!«, schrie der Mann auf. »Der Baum!« Martha W. erschrak so sehr, dass ihre Hand hervorschnellte und die Tanne vor ihrem Sinkflug bewahrte. »Also gut«, sagte der Mann im Fenster gequält. Er schien eine Position gefunden zu haben, die zwar unbequem, aber absturzsicher war. »Dieser Abend ist schon bescheiden genug gelaufen. Da brauche ich echt nicht noch sowas.« Martha W. sah fragend zu ihm herüber. »Die Leute sind nicht zufriedenzustellen, geifern nach teuren Geschenken, die sie dann ungenutzt lassen, umtauschen oder wegwerfen.« Martha W. ging langsam ein Licht auf, es war allerdings das falsche. Der Bart, das Kostüm … ein Dieb, ein Räuber, ein Mörder, dem Anlass entsprechend gekleidet – natürlich musste ihr das heute passieren. Hätte sie doch bloß dieses Bäumchen nicht gekauft.
»Wissen Sie, da ruft doch so ein Gör bei der Polizei an, weil ihm die Geschenke nicht passen, die ich unter den Baum gelegt habe. Die wiederum ruft bei mir an und gibt mir eine Verwarnung. Eine Verwarnung für den Weihnachtsmann, können Sie sich das vorstellen?!« Noch wagte es Martha W. nicht, in diese seltsame Situation hinein zu sprechen. »Dann hab ich noch dieses eine letzte Päckchen zu verteilen, bevor ich Feierabend machen kann, und muss jetzt mit ansehen, wie die Empfängerin den Weihnachtsbaum aus dem Fenster wirft! Wo soll ich denn jetzt das Päckchen hinlegen, verraten Sie mir das mal?!«
Die Wut von Martha W. wandelte sich zunehmend in Mut. »Meinen Sie etwa mich, Sie unverschämter Eindringling?«, fragte sie und fühlte sich gleich ein paar Zentimeter größer. Immerhin sprach sie gerade mit jemanden, der ihr zwar an den Kragen wollte, aber im Fenster feststeckte. Der Mann seufzte. »Ich hab es zwar heute schon ein paar Mal gesagt, aber ja: Ich bin es wirklich. Der Bart ist echt, der Bauch leider auch, sonst wäre ich längst im Zimmer. Der Schlitten vor Ihrem Fenster ist auch keine Illusion …« Bei dieser Aussage schielte Martha W. verstohlen nach draußen und glaubte, ein paar ungewöhnliche Konturen, Lichter und eine leuchtend rote Nase zu erspähen. Dies verunsicherte sie noch mehr. »Also, wären Sie so freundlich, holen diese verd… Tanne wieder rein und helfen mir dann?« »Sie haben hier ja wohl gar keine Forderungen zu stellen«, entgegnete Martha W. und ließ die Tanne noch ein paar Zentimeter weiter aus dem Fenster rutschen, um die Reaktion des Mannes zu genießen. Er schien ernsthaft erschrocken zu sein. »Na schön«, sagte sie. Sie zog das um einige Nadeln ärmere Bäumchen zurück ins Zimmer und hörte ein erleichtertes Aufatmen. Dann näherte sie sich vorsichtig dem Mann im Fenster. Was hatte sie schon zu verlieren? Mit vereinten Kräften war die Engstelle kurz darauf passiert und der Weihnachtsmann kletterte erleichtert herein. Er baute sich vor Martha W. auf, strich Mantel und Bart glatt und wollte gerade sein Sprüchlein aufsagen, da winkte Martha W. ab. »Geschenke brauche ich nicht.« Sie ließ den verdutzten Weihnachtsmann stehen, schlurfte in die Küche und kam kurz darauf mit zwei warmen Glühweinen zurück. Dann lud sie ihn ein, es sich auf der Couch bequem zu machen, während sie sich in den Sessel sinken ließ.

So saßen die zwei von Weihnachten vollends Frustrierten bis spät in die Nacht zusammen, plauderten über dies und das und schliefen schließlich ein. Am nächsten Morgen erwachte Martha W. mit verspannten Gliedern im Sessel. Ihr Blick glitt zu dem Tannenbaum, den sie am Abend achtlos auf dem Boden liegen gelassen hatte. Er stand nun aufrecht, geschmückt mit einer wunderschön funkelnden Lichterkette und ein bisschen Lametta. Die Alufolie war verschwunden. Unter dem Baum lag ein einzelnes kleines Päckchen. Doch Martha W. öffnete es erst Wochen später. Das größte Geschenk hatte sie bereits erhalten: Martha W. mochte Weihnachten jetzt ein bisschen. Vielleicht würde sie sich nächstes Jahr wieder ein Bäumchen kaufen. Vielleicht.

Der fehlende Schlitten

Ich wurde mitten in der Nacht von einem polternden Geräusch geweckt. Leise schlüpfte ich aus meinem Bett und schlich neugierig die Treppe in das Erdgeschoss hinunter.
Aus dem Wohnzimmer hörte ich leises Fluchen. Ohne Licht zu machen, trippelte ich auf Zehenspitzen an die Tür heran und legte eine Hand auf die Klinke. Mein Herz trommelte wie ein wild gewordener Tambourin gegen die Innenseite meines Brustkorbs, als ich tief durchatmete und dann mit einem Ruck die Tür aufriss.
Meine Hand lag schon auf dem Lichtschalter, als eine Stimme im Dunkeln rief: «Nein kein Licht. Bitte?»
Ich versuchte in dem dunklen Zimmer etwas zu erkennen. Undeutlich erkannte ich die Umrisse des Weihnachtsbaums, des Sofas oder des kleinen Esstisches, den irgendwann ins Wohnzimmer verfrachtet hatte und dort geblieben war. Einer der Stühle des Esstisches lag umgestossen auf dem Boden, das war wohl das Poltern gewesen, das mich geweckt hatte. Und neben diesem umgeworfenen Stuhl stand eine Gestalt.
Ich konnte zwar nur ihren Umriss erkennen, aber sie war gross, sehr gross.
«Und warum nicht?», fragte ich ohne die Hand vom Lichtschalter zu nehmen.
Die Gestalt schien um Wort zu ringen, «Weil äh, weil…, na ja. Also die Sache ist… Ich bin der Weihnachtsmann.
«Das ist ja unglaublich.», rief ich freudig überrascht aus, «Ich habe so viele Jahre lang versucht dir aufzulauern und bin immer eingeschlafen. Und nun gelingt es mir doch noch, als erwachsener Mann, ohne dass ich es beabsichtigt hätte. Krieg ich ein Autogramm? Kann ich deinen Schlitten sehen? Kann ich vielleicht sogar ein Stück mitfahren?»
«Äh nein.», sagte der Weihnachtsmann etwas verlegen, «Das geht leider nicht, denn ich habe noch so viel vor und eigentlich darf ich ja sowieso nicht gesehen werden, das zerstört den Zauber. Darum geh doch bitte wieder in dein Bett und schlaf weiter. Ich deponiere hier noch die Geschenke und räume schnell auf und muss dann auch schon weiter.»
«Ja aber…», sagte ich und wollte ihn nicht so schnell gehen lassen.
«Bitte.», flehte der Weihnachtsmann.
«Na gut.», murmelte ich und schlich die Treppe hinauf.
In meinem Zimmer angelangt konnte ich aber nach allem was geschehen war nicht gleich schlafen gehen und da es in meinem Zimmer etwas stickig war, öffnete ich das Fenster und öffnete die Fensterläden. Frische, kalte Nachtluft drang in mein Zimmer. Ich atmete tief ein und fröstelte ein wenig. Ich schaute über die Vorstadt hinweg in der ich lebte. Kleine Einfamilienhäuser mit mehr oder weniger gepflegten Gärten reihten sich aneinander. Und jetzt mitten in der Nacht stand über all dem der Mond, der sein fahles Leuchten vom wolkenlosen Himmel über die Stadt goss.
Das silbrige Licht des Mondes brachte den Schnee auf meinem Vorplatz zum Glitzern und beleuchtete den schwarzen Kastenwagen, der dort stand.
Moment mal. Ich besass gar kein Auto. Ich mochte sie nicht und da ich mit dem Velo innerhalb von 20 Minuten zur Arbeit und in die Stadt kam, braucht ich auch keins. Wem gehörte dieser Kastenwagen? Und wenn das in meinem Wohnzimmer wirklich der Weihnachtsmann war, wo war dann sein Schlitten?
«Der Typ hat mich angelogen.», zischte ich mit zornig zusammengekniffenen Augen. Ich ging zu meiner Zimmertür und schloss sie ab. Dann nahm ich mein Handy, rief bei der Polizei an und meldete, dass ich einen Eindringling in meinem Haus habe.
Der freundliche Polizist, der meinen Anruf entgegennahm sagte, dass sie gleich eine Streife vorbeischicken würden. Es wäre sowieso schon eine in der Nähe, da in dieser Nach schon in zwei andere Häuser eingebrochen worden sei. Ich solle warten und mich am besten in einem Zimmer einschliessen.
Nach dem Anruf trat ich wieder ans Fenster und sah, wie eine grosse, sehr grosse Gestalt, die einen schwarzen und keinen roten Mantel trug, einen riesigen Sack aus meinem Haus schleppte.Die Gestalt schleppte den Sack zum Kastenwagen, öffnete eine der hinteren Türen und wuchtete den Sack in den Wagen, in dem sich offenbar schon andere Säcke befanden.
Bevor die Gestalt jedoch in den Kastenwagen einsteigen konnte, raste ein Polizeiwagen heran. Die Sirene hatten die Beamten offenbar nicht eingeschaltete, um den Dieb nicht zu warnen.
Der Gauner ergab sich ohne Gegenwehr und sobald er Handschellen trug, schloss ich meine Zimmertür auf, zog Schuhe an und ging zu den Polizisten hinaus um ihnen zu danken.
In zwei der drei Säcken, die die Polizei im Kastenwagen sicherstellte, befand sich das Diebesgut der zwei anderen Einbrüche. Im dritten befanden sich meine Playstation, mein Thermomix, meine Kaffeemaschine und diverse kleinere Wertgegenstände, sowie ein wenig Bargeld, dass ich zum Einkaufen in einem kleinen Portemonnaie in der Küche deponiert hatte.
«Wisst ihr,», sagte ich zu den Polizisten, «zuerst glaubte ich ihm ja, dass er der Weihnachtsmann sei, aber dann sah ich aus dem Fenster und sah diesen Kastenwagen und da wusste ich, dass er log, denn wer hätte schon davon gehört, dass der Weihnachtsmann mit einem schwarzen Kastenwagen unterwegs ist.»
«Müsste der Schlitten nicht auf dem Dach landen?», fragte der eine Beamte und lachte freundlich.
Ich wurde aber plötzlich unsicher und schielte schnell zu meinem Dach hinauf. Zum Glück befand sich aber auch dort kein Schlitten.

Der Weihnachtsmann bei der Arbeit

Jan horchte auf. Er lag im Bett und spitzte die Ohren. Er hatte doch etwas gehört, oder irrte er sich? Er lauschte in die Stille hinein. Nichts. Und doch plötzlich hörte er ein Poltern aus dem Erdgeschoss. Da war jemand im Haus. Er schlug lautlos seine Bettdecke um, schlüpfte aus dem Bett und schlich sich auf Zehenspitzen zu der Treppe. Wieder ein Geräusch. Dieses Mal schien etwas umgefallen zu sein. Vorsichtig ging er die Treppe hinunter, umschiffte die knarzende Treppe, die ihn vielleicht verraten hätte.

Mutig stellte er sich in den Türrahmen des Wohnzimmers, drehte das Licht auf und konnte seinen Augen nicht trauen. Vor ihm stand ein Mann mit weißem Bart, einem roten Mantel mit weißem Kragen, schwarze Stiefel bis zu den Knien, einen breiten, schwarzen Gürtel, der seinen dicken Bauch zusammen zu halten schien und eine rote Mütze mit einer weißen Quaste am Ende.

„Was bist Du den für ein Clown“ entfuhr es seinen Lippen. Der ältere Herr machte große Augen, fühlte sich sichtlich ertappt bei seinem Einbruch. Ruhig antwortete dieser „Ich bin der Weihnachtsmann“. Jan fing laut zum Lachen an „Ja klar, Opi und ich bin Rudolf, das Renntier! Hast Dich wohl verirrt. Du bist nämlich hier in Europa und da bringt das Christkind und nicht der Weihnachtsmann die Geschenke“.

Jan mit seinen vierzehn Jahren glaubte weder an das Christkind noch an den Weihnachtsmann. Er ließ sich sicher nicht verarschen von dem Eindringling vor ihm. Er stemmte seine Arme in die Hüften, um bedrohlicher in seiner Erscheinung zu wirken. Der alte Mann sagte mit einer tiefen, aber wohlklingenden Stimme „Hör mal zu, Jan“ „Woher kennen Sie meinen Namen?“ fragte er verwundert. „Ich kenne den Namen aller Kinder auf der Erde. Es tut mir leid, dass ich Dich geweckt und erschreckt habe. Ich werde älter und blöderweise bin ich etwas schwerfälliger geworden. Dann kommt noch hinzu, dass sich das Christkind krankgemeldet hat und ich jetzt auch noch Europa beliefern muss.“

„Sagen Sie, geht es Ihnen nicht gut. Ich würde eigentlich die Polizei rufen, aber vielleicht wäre die Rettung die bessere Option?“ „Ich brauche keine Rettung. Ich muss meine Arbeit erledigen. Unzählige Kinder warten noch auf die Geschenke, die ich hier in meinem Sack habe.“ „Fast hättest Du mich gehabt, Alter. Aber ich bin doch kein Idiot! Wie sollen denn in deinen Sack die ganzen Geschenke für alle Kinder auf der Welt reinpassen? Das bringt Dich jetzt in Erklärungsnot, was? Hast nicht gedacht, dass ich ein so schlaues Kerlchen bin.“ Stolz streckte er die Brust nach vorne, selbst begeistert von seiner Intelligenz und Auffassungsgabe.

„Jan. Lass es gut sein. Du warst ein braver Junge dieses Jahr. Hast deiner Mutter wenig Sorgen bereitet. Unter dem Weihnachtsbaum habe ich bereits alles abgelegt für Dich. Du kannst gerne in meinen Sack reinschauen, damit Du mir glaubst.“ „Und dann steckst Du mich in den Sack und entführst mich?“ fragte Jan jetzt kleinlaut, in dem Bewusstsein, dass er alleine im Haus mit diesem seltsamen Mann war. Der angebliche Weihnachtsmann machte seinen Sack auf und breitete ihn so weit es ging auseinander. Er trat einen Schritt zurück und ließ sich in den Sofasessel fallen. „Komm schon, Jan. Es passiert Dir nix. Schau rein und dann wirst Du verstehen.“

Seine Neugier war schon immer sein Verhängnis gewesen und jetzt konnte er ihr wieder nicht widerstehen. Er musste wissen, was in dem Sack da drinnen war, koste es was es wolle. Langsam trat er näher an den Sack heran und schaute hinein. „Wow!“, stieß er ungläubig hervor. In dem Sack waren Geschenke gestapelt, unendlich viele, nicht zum Zählen. Und der Sack hatte keinen Boden, sondern schien bis hinab in die Tiefen der Erde zu reichen. Jan blickte auf und starrte den sitzenden Mann auf seinem Sofa an. „Was soll das, das gibt es nicht. Was ist das für ein Trick“. „Jan, das ist kein Trick. Ich bin der Weihnachtsmann. Das hatte ich Dir doch schon gesagt. Geh jetzt schlafen. Ich bin schon viel zu spät dran. Ich muss meine Arbeit heute noch schaffen, sonst werden viele Kinder traurig sein“. Jan war vollkommen irritiert, murmelte dann ein „Danke, für die Geschenke“ vor sich hin, drehte sich um und ging rauf in sein Zimmer. Er hoffte inständig, dass dies nur ein Traum war. Wenn er das in der Schule morgen erzählen würde, würden die ihn in die Klapsmühle einweisen. Lieber er erzählte niemanden von dem Erlebten. Nur ein Traum redete er sich ein und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Der Weihnachtsmann schaute Jan nach, wie er sich langsam entfernte. Er schüttelte den Kopf. Manchmal wünschte ich, dass ich etwas Anständiges gelernt hätte, dann müsste ich mich nicht mit diesen Neunmalklugen herumschlagen. Ich werde alt. Früher wäre mir das nicht passiert, dachte er wehmütig. Langsam rappelte er sich hoch, nicht ohne Schmerzen in seinen alten Knochen zu spüren, schulterte seinen Sack und verließ dieses Haus durch die Türe. Warum sollte er sich noch durch den Kamin zwängen, wenn Jan ihn doch eh während seiner Arbeit gesehen hatte. Er lächelte. Es wurde Zeit einen Nachfolger zu suchen und dem Christkind würde er morgen seine Meinung geigen.

Wie (un)weihnachtlich

Da ist er. Dieser eine Abend. Man kann ihn nicht verpassen. Seit August werden im hiesigen Radiosender die Tage rückwärts gezählt. Seit September gibt´s Lebkuchen im Supermarkt. Toll.
Für Familien ist das Ganze sicher eine riesen Sache. Für mich nicht. Ich bin keine Familie. Als Nicht-Familie verweigere ich das Feiern dieser aus den Fugen geratenen Geburtstagsparty.
Ich feiere anders. Weil ich heute frei habe und morgen auch. Und übermorgen erst. Also Beene hoch, Amerika!
Das heiße Bad war gut, nun trocknet die Kohlemaske im Gesicht. Während in der Mikrowelle mein x-ter Lülü Verzehrtemperatur erreicht, setz ich die Mütze auf und schlüpfe in ein paar Gartenclogs.
Noch eine gemütliche Zigarette auf der Terrasse, bevor ich mit Papyrus in eine andere Welt reise. Meine Art der Besinnlichkeit.
Draußen ist es mittelkalt, nass und windig. Klägliche Schneereste reflektieren Nachbars bunte Beleuchtung. Drüben wird hörbar gezankt. Ich lächle leise, während ich zum Gartenstuhl schlurfe.
An der Fluppe ziehend, lasse ich mich fallen … und lande auf einem Körper. Vielmehr in einem Körper. Die ausladende Mitte gibt mächtig nach.
Hochspringen, brüllen, Kippe in den Eindringling stecken – alles eine Bewegung. Innerlich ziehe ich den Hut vor mir.
Wild hopsend wedle ich mit der ausgedrückten Kippe vor dem Fremden herum. Der Bewegungsmelder reagiert. Licht enthüllt die Szenerie. Auf meinem Gartenstuhl hockt ein ausladender Typ im Weihnachtsmannkostüm. Mit beiden Händen hält er sich ein Auge und wiegt wimmernd vor und zurück.
»Spinnst du?«, kommt es anklagend vom Stuhl.
»Ich? Wieso denn ich? Was machen sie hier?«
Der Typ schielt einäugig zu mir hoch und erschrickt sichtlich.
»Alter…«, murmelt er.
Ich bin kurz beleidigt, strecke dann entschlossen das Kinn vor und frage lauter:
»Was machen sie hier?«
»Ich sitze.«
»Ah. Nee, is klar. Warum genau?«
»Ich denke.«
»Wollen sie mich verarschen? Raus hier, sonst hol ich die Polizei!«
Der Typ lässt sein Gesicht los und sieht mich an.
»Hast du ne Kippe ins Auge bekommen oder ich? Guck doch mal hin! Ich bin der Weihnachtsmann und jetzt bin ich verletzt!« Er fängt wieder an zu wimmern.
Ich lache auf.
»Armes Hascherl! Das kommt davon, wenn man auf fremden Terrassen abhängt!«
»Das kommt davon, wenn man nen SCHEIß Kamin mit nem SCHEIß rechten Winkel im Kaminrohr hat!«
Ich schaue genauer hin. Der Typ sieht lädiert aus. Die ehemals rote Robe ist verdreckt, im Bart haben sich regelrechte Rußblätter verfangen. Der Kartoffelsack neben ihm weißt einen großen Dreiangel auf. Vielleicht…
»Gesetzt den Fall…«, setze ich an.
Der Rote linst hoffnungsvoll aus seinem Musauge.
»Ja?«
»Gesetzt den Fall, du bist der Weihnachtsmann.«
»Ja!«
»So kannst du nicht weiter.«
»Ist mir klar. Gegenüber geht gerade nicht. Die müssen erst zu Ende zanken und bei dir geht´s auch nicht. Du bist ungläubig.«
»Bin ich, aber sozial.«, grinse ich und halte den ausgestreckten Zeigefinger in die Luft.
Wir beide sind uns schnell einig. Während der Weihnachtsmann meinen Lülü bekommt, bringe ich Mantel und Kartoffelsack wieder auf Vordermann.
Als er geht, dreht er sich noch einmal um.
»Ein Geschenk hab ich nicht für dich.«, sagt er bedauernd, »Aber halt mal still.«
Seine warme Hand legt sich auf meine Stirn. Und auf einmal sind sie da – die Bilder der Vergangenheit.
Duftende Kekse, liebevolle Augen und leise Musik. Eine alles umarmende Wärme. Das Weihnachten der Kindheit findet seinen Weg in meine Erinnerung und ich weiß – nichts wird anders aber alles ein klein wenig schöner.

Euch allen schöne Weihnachten!

###Die Rosenquarzkette

Sie hatten ihr gesagt, dass alles gut werden würde, wenn sie nur fest daran glaube. Trotzdem war Mama gestorben. Sita war nicht mit zur Christmesse gegangen. Ihre Tante und der Onkel haben keine eigenen Kinder und waren als Neueltern überfordert gewesen, ob man Sita alleine lassen könne. Allerdings war Sita in den letzten Wochen um Jahre gealtert und niemand behandelte sie wie ein Kind. Die Schwester ihrer Mutter hatte sie sofort zu sich geholt, als Mama ins Krankenhaus musste. Der Mann der Tante schweigt sie stets mitfühlend an und nickt, als wolle er ihr zustimmen, auch, wenn sie gar nichts gesagt hatte.

Sie nimmt die Boxen für die Christbaumkugeln. Sie hatten den Baum erst gestern Abend geschmückt. Sita nimmt die Kugeln vorsichtig vom Baum und verpackt sie in das Seidenpapier. Die Kugeln legt sie in die Fächer der Box. Sie ist leise, aber schnell.

„Nanu!“, poltert es hinter ihr.
Im Türrahmen steht ein als Weihnachtsmann verkleideter Mann, vermutlich der Nachbar.
„Ich bin etwas zu alt für den Weihnachtsmann. Die beiden sind auch in der Kirche, es ist gerade keiner da.“
„Was machst Du denn da? Nimmst Du die Kugeln ab?“
Sita fühlte sich ertappt. Sie wollte nur ein Zeichen setzen, dass dieses Jahr kein Weihnachten wie jedes Jahr gefeiert werden kann. Dass Weihnachten ohne Mama einfach nicht stattfindet. Dass der schönste Baum nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass Mama gestorben ist. GESTORBEN. Da muss Weihnachten mal ein Jahr pausieren.
„Ich denke nicht, dass Sie das was angeht. Ist es wirklich so vereinbart, dass Sie hier rein schleichen? Weiß Tante Margret das?“
„Du glaubst nicht an den Weihnachtsmann, hm?“
„Ich? Ich glaube an gar nichts mehr. Ich habe geglaubt, dass sie meiner Mutter helfen können, aber sie ist trotzdem tot. Ich glaube sicherlich nicht daran, dass ein Mann auf einem Schlitten alle Kinder der Welt in einer Nacht besuchen kann. Ich bin 10 Jahre alt, ich habe schon viel gesehen.“
„Das glaube ich dir sofort, mein Kind. Übrigens besuche ich nicht alle Kinder in einer Nacht. Ich habe viele Helferlein und die besuchen quasi alle Kinder. Ich besuche nur die wenigen, die mich jedes Jahr besonders brauchen. Kinder, die ein Wunder brauchen.“
Sita rollte genervt mit den Augen. Von einem möglichen Wunder hatten die Ärzte auch gesprochen, als Mutters Fieber gesunken war. Aber es kam doppelt so schlimm zurück. Sie schluckt den Klos im Hals hinunter und atmet tief ein, so kann sie Tränen unterdrücken. Das hat sie in den letzten Wochen gelernt. „Muss ich die Kugeln jetzt wieder aufhängen? Da vorne stehen übrigens die Kekse, nehmen Sie sich ruhig welche, es sind genug da.“

Der Weihnachtsmann nimmt sich einen Keks und beißt beherzt ab. „Das sind nicht die Kekse deiner Tante, das ist das Rezept deiner Mutter!“
Sita lässt erschrocken eine Kugel fallen, aber sie fällt weich auf den Teppich und rollt nur hinter den Zeitungsständer am Sessel des Onkels. „Woher wissen Sie das? Die habe ich gebacken, nach ihrem Rezept.“
„Oh, ich kenne alle Keksrezepte aller Mütter und das hier hat mir immer gut gefallen. Da ist ein Schuss Sahne drin, oder?“ Er kniet sich zu Sita auf den Teppich. „Sita, ich bin wegen Dir hier. Dein Weihnachtsgeschenk hat dich noch nicht erreicht und das muss ich natürlich persönlich erledigen.“
Sita schaut auf den halb abgeschmückten Baum. „Mach dir darum keine Sorgen, Sita, der Baum ist nicht wichtig. Ich verrate dich nicht. Die Kette ist sehr schön.“
Sita seufzt, sinkt in den Schneidersitz und umfasst die Rosenquarzkette. „Die ist von meiner Mama. Anscheinend. Nach ihrem Tod musste unsere Wohnung sehr schnell geräumt werden. Meine Tante hat nach schönen und persönlichen Erinnerungen für mich gesucht. Sie dachte, die Kette würde mir helfen. Ich kenne die aber gar nicht, die Kette ist irgendwie leer. Ich fasse sie an, aber ich spüre meine Mama nicht.“
„Mehr hast du nicht von ihr?“
„Es konnte nichts gefunden werden. Mein Onkel hat ihr Handy und den Computer durchsucht, aber wir finden die Fotos nicht.“
„So!“, sagt der Weihnachtsmann und klopft sich auf die Oberschenkel, „das ist wirklich traurig, aber ich habe nicht so viel Zeit. Du musst dann jetzt kurz mitkommen, für dein Geschenk.“
„Können Sie Tote auferwecken?“
„Natürlich nicht.“
„Dann brauche ich ihr Geschenk nicht.“
„Das entscheide mal, wenn du es ausgepackt hast.“
Den angebissenen Keks legt er auf die Kommode, nimmt ihre Hand und nach einem kurzen Schwindel, landen beide in einem dunklen Lagerraum. Der Weihnachtsmann zieht an einem Seil und das Licht geht an. „Hier lagern die Sachen deiner Mama. Deine Tante hat noch nichts aussortiert, ihr ging das vermutlich auch zu schnell.“
„Ist das hier ein Traum?“
„Ja und nein. Also ja, das ist ein Traum, aber der Raum ist echt und wir sind wirklich hier.“
„Innerhalb meines Traumes.“
„Eher innerhalb deines Unterbewusstseins. Ich bin ja echt und der Raum auch, also können wir nicht in deinem Traum sein.“
„Das…“
„Ja, das macht keinen Sinn, das sagen alle Kinder, jaja.“
Sita sieht ihr Fahrrad und greift nach dem Lenker. „Nicht anfassen, Sita! Der ist kalt und feucht vom Kondenswasser. Wenn wir kalt und feucht anfassen, wachen wir manchmal aus unseren Träumen auf!“ Der Weihnachtsmann watet durch die Kartonstapel. Mit seiner Robe bleibt er hier und da hängen und stößt den einen Karton vom anderen. Zielsicher greift er sich einen Karton und kommt zu Sita zurück. „Das ist er, das ist Dein Geschenk. Um es zu öffnen, musst du an eine direkte Verbindung mit deiner Mutter denken!“
Er klatscht in die Hände und alles wird schwarz.

Sita kommt nur langsam zu sich. Sie ist auf dem Boden im Wohnzimmer eingeschlafen, jemand hat sie mit einer Decke zugedeckt. Sie richtet sich auf. Der Weihnachtsbaum ist komplett entschmückt und steht dunkel und grün in der Ecke. Sie blickt in das Gesicht des Onkels. „Margret ist dir nicht böse. Wenn du keinen Baum möchtest in diesem Jahr, dann geht es auch ohne. Aber lecker gegessen wird trotzdem.“
Die Tante kommt rein und schaut Sita tief in die Augen. Beide versuchen zu lächeln, es gelingt keinem. „Da ist noch ein zusätzliches Paket gekommen, ich weiß gar nicht, von wem das ist.“ In diesem Moment fällt Sitas Blick auf einen angebissenen Keks auf der Kommode. Ruckartig dreht sie sich um: „Was?“
Kann das wirklich wahr sein? Mit großen Schritten geht sie auf das Paket zu, es ist der Karton aus Mamas Lager. Zitternd öffnet sie die Schachtel und es ist eine Kiste mit einem Zahlenschloss drin. Die direkte Verbindung zu ihrer Mama, schießt es Sita in den Kopf. Direkte Verbindung. Langsam dreht sie die Zahlen auf 3386, die Kurzwahl, mit der Sita ihre Mutter auf dem Handy anrufen konnte. Mama war immer ans Telefon gegangen. Die Kiste geht auf.

Die Tante atmet erschrocken ein: „Das sind ihre Tagebücher!“ Der Onkel greift nach einer kleinen, durchsichtigen Box, vielleicht waren da mal Büroklammern drin gewesen. „Ich denke, wir haben ihre Speicherkarten mit den Videos und Fotos gefunden.“ Sita findet Briefe, Zeichnungen, Ohrringe, kleine Figuren und Zettelchen. Ein Schatz.
Nachdem sie alles einmal in die Hand genommen hatte, fällt Sitas Blick auf die Christbaumkugel neben dem Zeitungsständer am Sessel des Onkels. Sie hebt die Kugel auf und schaut zur Tante. „Ich denke, ich würde den Baum doch gerne schmücken.“ Die Tante nickt und der Onkel hat innerhalb weniger Minuten den Schmuck ausgebreitet, damit die beiden sich austoben können.
Sita wühlt sich den Abend durch die Kiste und sie findet ein besonderes Foto: Mama mit Sita im Krankenhaus, offensichtlich ist Sita erst wenige Minuten alt. Und die Mama trägt die Rosenquarzkette.
Der Weihnachtsmann hat ihre Mama zum Leben erweckt, obwohl er sagte, er kann das gar nicht.

Wenn Sita ihre Mama vermisst, liest sie in den Tagebüchern und schaut sich Fotos und Videos an. Dabei reibt sie die Kette und lädt sie mit ganz viel Liebe auf. Sie trägt die Kette jeden Tag und fasst sie an, wenn sie ein wenig von ihrer Mama braucht. Das wird mit den Jahren immer seltener, aber geht nie ganz verloren.