Seitenwind Bonuswoche 8: Weihnachtlicher Ausrutscher

Tierärztlicher Notdienst

„Was machen Sie in meinem Schlafzimmer?“ Ich springe aus meinem Bett. Ein Typ in schwarzen Stiefeln und roten Klamotten mit weißem Bart und Brille starrt mich an. Keine Ahnung, wie lange schon, aber er hält einen leeren Jutesack in der Hand. Der wollte mich eben bestimmt ersticken. Heilige Scheiße. Gott sei Dank bin ich wach geworden. Ich muss die Polizei rufen.

„Wonach sieht’s denn aus?“ Er kratzt sich am Bart, als wäre es das Normalste der Welt, vor meinem Bett zu stehen.

„Sofort raus hier. Sie haben wohl den Knall nicht gehört. Ich rufe die Polizei.“ Ich greife nach meiner Nachttischlampe, bereit ihm das Ding zwischen die Augen zu donnern.

„Silvio, beruhige dich.“ Seine Stimme klingt weich. Weich wie eine warme Wolldecke, die mich ummantelt. „Ich bin es doch. Kannst du dich nicht an mich erinnern?“

Nein, um ehrlich zu sein, kann ich das nicht. Der Weihnachtsmann wird er ja wohl kaum sein. Aber er kennt meinen Namen. Das wundert mich. An dem Schild an meiner Einfahrt steht lediglich Tierarztpraxis Callsen. Woher also weiß er…

„Damals, als du dir die Carrera-Bahn gewünscht und dann endlich zu deinem achten Weihnachtsfest bekommen hast, weißt du das gar nicht mehr?“ Er tippt sich auf den Nasensteg seiner Brille.

„Doch, klar… Das war richtig cool.“ Ich stutze. Woher… Nur meine Eltern wissen davon.

„Du, aber warum ich hier bin…“ Er greift nach meiner Hand. „Rudolfs Nase ist entzündet. Sie leuchtet nicht mehr und hat schwarze Flecken. Du bist doch Tierarzt. Du musst uns helfen.“ Er zeigt nach draußen in meinen Garten.

Schwarze Flecken… Das klingt nach… „Warte kurz, ich komme sofort.“ Ich steige in meine Schlappen, werfe mir eine Fleece-Jacke über und renne in den Flur. Der Weihnachtsmann folgt mir. Im Vorbeigehen greife ich eine Taschenlampe und meine Tierarzttasche. Rudolf steht mit hängenden Ohren in meinem Garten. Das Heu aus dem Heunetz rührt er nicht an. Er blickt immer wieder zu seinem Bauch.

„Ach herjee.“ Ich krame in meiner Tasche. Irgendwo habe ich doch… ach hier.

„Was hat er?“ Der Weihnachtsmann krault besorgt Rudolfs Ohr.

„Kann es sein, dass er zu viel Schokolade gefressen hat?“ Ich ziehe die Spritze auf. „Er wird Bauchschmerzen haben, ich gebe ihm etwas gegen die Schmerzen und einen Krampflöser.“

„Naja, nicht mehr als sonst. Die Zartbitter hat er letztens nicht angerührt, aber Haselnuss mag er halt einfach total gern.“ Der Weihnachtsmann streichelt mechanisch Rudolfs Hals.

„Santa, so läuft das nicht. In einen Rudolf gehört keine Schokolade.“

Betroffen sieht er zu Boden. „Nicht mal eine Tafel? Er mag sie doch so gern.“

Die schwarzen Flecken auf Rudolfs Nase verschwinden. Er mümmelt Heu.

„Nicht mal eine Tafel. Komm mal im Sommer wieder und mach bei mir ein Praktikum. Dann erkläre ich dir ein paar Basics.“

Der Weihnachtsmann nickt und steckt Rudolf einen Müsli-Riegel zu.
Alte Männer, ey… unmöglich.

Weihnachtszauber

Der alljährliche Wahnsinn hat begonnen.
Mutter backt seit Tagen allerlei Plätzchen, hat das Haus geputzt, überall blinken
Weihnachtliche Lichter. Auf dem Wohnzimmertisch steht ein Adventskranz und
es wurde bereits die vierte Kerze angezündet. Und jedesmal müssen wir das
Gedicht aufsagen. Wir, das ist meine kleine 5 jährige Schwester und ich.
Advent, Advent ein Lichtlein brennt.
Erst eins dann zwei dann drei dann vier dann steht das Christkind vor der Tür.
Ich verdrehe die Augen und in Gedanken füge ich hinzu: und wenn das fünfte Lichtlein brennt, dann haste Weihnachten verpennt. Pah Christkind…oder wie die Eltern sagen der Weihnachtsmann. Den gibt es doch überhaupt nicht.
Das weiß ich. Denn ich bin doch schon 10 Jahre. Da weiß man sowas. Die Geschenke bringt nicht der Weihnachtsmann. Die werden von Mama oder Papa unter den Baum gelegt, wenn wir Kinder schlafen.
Am Abend soll ich Kekse und Milch für den „Geschenkebringer“ hinstellen.
Da platzt es aus mir heraus. Den Weihnachtsmann gibt es nicht. Kekse und
Milch könnt ihr euch doch wohl selber holen.
Der strafende Blick meiner Mutter ließ mich zusammenzucken und sofort fing Ina an zu schreien das es den doch gibt. Ich verzieh mich auf mein Zimmer.
So ein Blödsinn.
Später, es war wohl so gegen Mitternacht wache ich auf. Leise schleich ich die Treppen herunter um zu schauen ob vielleicht schon die Geschenke unterm Baum liegen.
Aber nein. Dann höre ich Schritte aus der Küche. Schnell verstecke ich mich hinter dem Sofa. Diesmal würde ich Papa auf frischer Tat ertappen.
Als ich höre wie leise die Glöckchen am Baum bimmeln springe ich hervor und schreie: „Ertappt!“
Ich reibe mir ungläubig die Augen. Warum verkleidet Papa sich denn wie der Weihnachtsmann? So schnell gebe ich nicht auf. Ich laufe auf ihn zu und greife nach dem langen weißen Bart.
Aber er lässt sich nicht herunterziehen und eine tiefe Stimme sagt.“Aua, was soll das denn? Und was machst du so spät nachts hier? Du hast mich zu Tode erschreckt.“
Ich bin wie erstarrt nicht fähig irgendetwas von mir zu geben. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Es ist eine total unwirkliche und vor allem peinliche Szene. Ich verspüre den Druck meine Blase entleeren zu müssen und mein Hirn schreit laut lauf! Aber meine Beine gehorchen nicht. Kleine Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn.
Dann spricht der, …ja wer…der…Weihnachtsmann?, mich an.
„Jonas, was machst du so spät noch hier? Solltest Du nicht längst schlafen?“
„Woher kennen sie meinen Namen?“ Stottere ich leise.
„Ich kenne alle Kinder mit Namen und ich weiß das du den Glauben an mich verloren
hast. Auch habe ich vermerkt das du das vergangene Jahr nicht wirklich ein lieber Junge warst. Dein Fleiß in der Schule lässt auch zu wünschen übrig. Einen Brief zu mir an den Nordpol hast du auch nicht geschickt. Das ist freilich nicht schön.“ Bekümmert schüttelt der Weißhaarige im roten Anzug den Kopf.
„Husch, Jonas ab ins Bett. Ich werde mir überlegen ob ich dir etwas unter den Baum lege.“
Wie ferngesteuert setzte ich einen Fuß vor den anderen, die Treppe hinauf in mein Zimmer. Dann schlüpfe ich ins Bett und ziehe schnell die Decke über meinen Kopf. Das muss ein Albtraum sein. Ich kneife mich in die Hand. „Aua.“ Kein Traum.
Verzweiflung ergreift mich. Bin ich verrückt? Oder habe ich das grade eben wirklich erlebt. Ich war mir doch so sicher das es den Weihnachtsmann nicht gibt. Und nun das. Das werde ich keinem erzählen. Sonst lachen mich doch alle aus.
Bekomme ich jetzt keine Geschenke?
Schnell knipse ich meine Nachttischlampe an. Hole das Buch mit Weihnachtsgedichten aus dem Regal und schlage es auf. Ich werde das längste und schönste Gedicht auswendig lernen und morgen, am heiligen Abend aufsagen.

Wenn ich doch nur mehr Kleber im Haus hätte! Dieser verdammte Discounterbaum, ich hätte ihn nicht so nah an die Heizung stellen sollen… Zum gefühlt 100.000 mal hebe ich eine der fitzeligen vertrockneten Tannennadeln vom Boden auf, tippe sie in mein Kleisterfässchen und pappe sie zurück an eines der dürren Ästchen. Nur blöd, dass meine Klebekraft überwiegt und sie letztlich an mir hängen bleibt.

Vermaledeiter biodegenerativer Abfall… schimpfe ich vor mich hin. Ich habe doch schon immer gesagt, dass ein künstlicher Baum die bessere Wahl ist!
»Aber Schatz, denk doch nur an die Kinder und wie viel schöner so ein echter Baum ist! Dieser wunderbare Duft!« Ich schnaube laut auf, als ich mir die empörte Stimme meiner Frau in den Kopf rufe. Von wegen Duft, dieses Jahr wird man eher high, wenn man an unserem Baum schnüffelt. Weihnachtsstimmung stelle ich mir da irgendwie anders vor.

Ruuuuuuuuuuuuuuuuuummmmmms

Was zum Teufel war das jetzt schon wieder? Ich fahre blitzartig herum, verliere das Gleichgewicht und kippe im Fallen den halbvollen Kleistertopf über mich. Na super. Pumuckl lässt grüßen. Ich will mich gerade fluchend wieder aufrichten, als ein riesiger Schatten über mich fällt. Wenn das mal nicht der Meister Eder ist…

»Hätten Sie Ihren Kamin nicht endlich mal reinigen können? Jedes Jahr das Gleiche… was glauben Sie, wie viele von diesen roten Bademänteln ich mittlerweile wegen Menschen wie Ihnen wegschmeißen musste? Der hier ist sogar von Gabor! Eigentlich sollte ich direkt wieder gehen…«

Ich bin zu verblüfft, um überhaupt etwas erwidern zu können. Da steht doch tatsächlich der Weihnachtsmann vor mir! Ziemlich ramponiert, aber eindeutig mit Rauschebart. Ich hoffe, er hat seinen Cola Truck nicht in unserer Einfahrt geparkt, sonst würde Gießbert von Gegenüber mir morgen wieder die Hölle heiß machen…

»Hat es Ihnen die Sprache verschlagen? Naja gut, mich sieht man wohl nicht alle Tage. Apropos - was tun Sie überhaupt hier, Sie sollten längst im Bett sein! Da hat der Sandmann wohl mal wieder nicht richtig gestreut…«

Ich verstehe nur Bahnhof. Und frage mich sogleich, ob Rudolf wohl neben dem Weihnachtsmann im Cola Truck sitzen darf - stilecht mit cooler Sonnenbrille und roter Nase. Vielleicht bin ich einfach schon so high von dem ganzen Kleber, dass ich halluziniere? Das muss es sein!

Der Blick des Möchtegern-Weihnachtsmannes fällt auf unseren Baum. Er verzieht mitleiderregend das Gesicht.

»Ist der von Jetti?«

Ich nicke.

Er seufzt. »Glauben Sie mir, mit Ihrem Exemplar sind Sie noch gut weggekommen. Was ich heute schon alles sehen durfte…«

Ein weiterer Rums ertönt, als er seinen schweren Sack auf den Boden plumpsen lässt. Das Geräusch müsste eigentlich die halbe Nachbarschaft geweckt haben – vermutlich war der Sandmann bei Ihnen gründlicher. Ein irres Lachen bricht sich Bahn und der eingebildete Santa Claus wirft mir einen komischen Blick zu.

»Vielleicht hätte ich Ihnen doch lieber ein paar Beruhigungstabletten, anstatt der gestrickten Wollsocken mitbringen sollen«, sagt er besorgt, während er einen Stapel Pakete unter unseren kläglichen Baum legt.

»Ist das der neue Service von DHL?«, frage ich und krümme mich vor Lachen als ich an die „Ho-ho-ho, ihr Paket kommt heute“ Mails denke, die mein Postfach aktuell zum Überlaufen bringen.

»Vollkommen übergeschnappt der Arme«, murmelt der rotgewandete Rauschebart und tätschelt mir beschwichtigend die Wange, bevor er seinen Sack erneut schultert und mit schweren Schritten das Haus verlässt – diesmal durch die Eingangstür.

Hätte er doch wenigstens eine Dose Cola für mich dagelassen - oder besser gleich einen Whiskey. Den könnte ich jetzt wahrhaftig gebrauchen!

Baby Kugel

„Entschuldigung! Was fummeln Sie an unserem Weihnachtsbaum?“
Ich stehe im Rahmen der Wohnzimmertür und mein Blick ist auf den Kerl gerichtet, der an einer goldenen Kugel hantiert. Ich bin überrascht, dass ich gelassen bleibe. Es ist nach Mitternacht und ich kenne diesen Herren nicht, der da vor mir steht. Der rote Mantel an ihm wirkt vertraut.
Mit einem breiten lächeln sieht er mich an.
„Ah! Wen haben wir denn da! Wenn das man nicht die Anja ist!“
Seine Stimme ist brummig, aber eine natürliche Fröhlichkeit ist darin zu hören.
„Beinahe hätte ich mit dem Sack diese Christbaumkugel herunter gerissen."
Er deutet auf die Kugel. Baby´s erstes Weihnachten steht darauf.
„Das hätte Tränen gegeben, da es die Baby Kugel deiner ältesten Tochter ist.“
Er lächelt und ich nicke. Wer ist dieser Mann? Weißer Bart, dicker Bauch.
Er bückt sich und legt Päckchen unter den Baum, zu denen die ich hin gepackt habe. „Was sind das für Geschenke?“
„Das waren Wünsche der Kinder, die mich per Wunschzettel erreicht haben. Die dürfen doch nicht fehlen.“
Ich sehe ihn an, ich weiß nicht wer er ist.
„Geh wieder schlafen Anja. Die Kinder sind wieder früh wach, schließlich ist heilig Abend.“
Ich nicke und drehe mich zum Schlafzimmer um.
„Gute Nacht Herr -“, wie heißt er? Ich sehe ihn wieder an.
„Weihnachtsmann oder Santa Claus, je nachdem. Einige sagen Christkind zu mir.“
Ich reibe mir über die Augen. Weihnachtsmann?
„Gute Nacht Herr Weihnachtsmann.“
„Gute Nacht Anja, schön dich wieder gesehen zu haben. Ich wünsche dir und deiner Familie ein frohes Fest!“
„Danke, Ihnen auch.“ Ich gehe zum Bett und kuschle mich unter die Decke. Hoffentlich macht der Herr Weihnachtsmann das Licht wieder aus, wenn er geht.

„Mama! Wach auf! Der Weihnachtsmann war da!“ Ich öffne meine Augen. Zwei Augenpaare strahlen mich an.
„Wie schön! Dann sollte ich aufstehen.“
Im Wohnzimmer fällt mein Blick auf den Baum. Die Kinder reißen das Papier der Geschenke auf. Mein Blick streift die Baby Baumkugel. Ein Glück, dass sie nicht kaputt gegangen ist. Meine Augen weiten sich und ich starre den Baum an.
„Es war der Weihnachtsmann! Er war wirklich hier!“
Die Kinder nicken und lachen.

Frohe Weihnachten und andere Küchenkatastrophen

Ich schlich murmelnd durch die offene Hintertür, ein Hauch von Unbehagen in meinem sonst so frohgemuten Schritt: „Die verflixten Schornsteine in diesen neuen Häusern scheinen viel schmaler zu sein als früher. Haben die denn gar nicht an mich gedacht?“ Meine Stimme, ein tiefes Grollen, das mehr an das sanfte Rollen ferner Donner erinnerte, verlor sich im wirbelnden Schneetreiben.

Behutsam schüttelte ich den Schnee von meiner Mütze, deren roter Stoff einmal leuchtend wie ein Rubin gewesen war, nun aber von vielen Weihnachtsnächten erzählte. Die Geschenke in meinem Sack sangen eine zerbrechliche Melodie, als wären sie aus den Träumen schlafender Kinder gewoben.

Vorsichtig öffnete ich eine Schiebetür. Mehlstaub kam mir entgegen und tanzte durch die Luft wie winterlicher Nebel am Fluss, der langsam über Kieselsteine kriecht.

Mitten im Chaos stand sie, ein Wirbelwind in Menschengestalt. Mit Dinkelmehl in ihren braunen Locken, die aussahen, als hätten sie eine eigene Lebensgeschichte zu erzählen, sah sie aus wie eine gepuderter Orang-Utan. Ein Klecks Teig klebte an ihrer Wange, und sie wischte Kuchenkrümel von ihren Brillengläsern, die so dick waren, dass sie an die Fenster alter, geheimnisvoller Bibliotheken erinnerten. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften – eine Geste, die eine unerschütterliche Entschlossenheit verriet, auch wenn ihr Kuchen einem explodierten Vulkan glich.

„Äh… Frohe Weihnachten?“, machte ich mich vorsichtig bemerkbar, meine Stimme so weich wie der erste Schnee des Winters.

Sie wirbelte herum, und ihre Augen, lebhaft und voller Leben wie ein frühlingshafter Wald, weiteten sich. „Oh! Du… aber… ich dachte, du kommst durch den Kamin!“

Ich hob meine buschige Braue, die aussah wie ein gepflegter Tannenzweig, und deutete auf meinen mit Ruß bedeckten Mantel. "Hab’s versucht. Bin steckengeblieben.“ Mein Versuch, den Bauch einzuziehen, wirkte so unbeholfen wie ein Bär, der sich im Ballett versucht.

„Experimentelles Backen?“ bot sie an, das schiefe Lächeln auf ihren Lippen so ansteckend wie Kinderlachen.

Ich lachte ein warmes, tiefes Lachen, das durch den Raum hallte und die frostige Nachtluft für einen Moment zu vertreiben schien. „Sieht eher aus wie ein Experiment in Schwerkraft und Backphysik.“

Sie lachte mit und ihr Lachen klang wie das Plätschern eines fröhlichen Baches. „Willkommen in meiner bescheidenen Backkatastrophe. Kann ich dir etwas anbieten? Vielleicht einen heißen Kakao?“

Ich rieb mir das Kinn, das sich unter einem dichten, weißen Bart verbarg, der an frisch gefallenen Schnee erinnerte. „Nun, bei all dem Zucker und Gewürz … Hast du vielleicht etwas Stärkeres? Etwas, das einem alten Mann hilft, die Kälte zu vergessen und das Feuer im Ofen zu spüren?“

Ihre Augenbrauen, so expressiv wie die Flügel eines Schmetterlings, wanderten nach oben: „Etwas Stärkeres? Ich wusste nicht, dass der Weihnachtsmann einen Schluck benötigt, um durch die kalte Nacht zu kommen.“

Ich zwinkerte ihr verschmitzt zu, ein Zwinkern, das Geschichten von vielen Weihnachtsnächten und geheimen Freuden erzählte. „Oh, glaub mir, nachdem man Millionen von Keksen gegessen hat, braucht man etwas, um den Geschmack zu neutralisieren.“

Sie kramte in einem Schrank, der aussah, als hätte er mehr Geheimnisse als Geschirr und Vorräte. Von ganz hinten zog sie eine Flasche mit einem Etikett hervor, auf dem ‚Rentier-Benzin‘ in verspielter Schrift stand. „Wie wäre es damit? Ein Gebräu, stark genug, um selbst das müdeste Rentier zu beleben.“

Ich lachte, und mein Bauch wackelte wie eine Schüssel voll Gelee, ein Anblick, der unweigerlich an heimelige Weihnachtsabende erinnerte. „Das klingt perfekt. Ein, zwei Schlückchen von dem, und Rudolphs Nase wird nicht das Einzige sein, was heute Nacht leuchtet! Oder drei geht auch.“

Sie goss uns ein, und wir prosteten uns zu. „Auf experimentelles Backen und unerwartete Begegnungen!“

Nach dem dritten Schluck setzte ich eine Grimasse auf, die an das Gesicht eines schelmischen Kobolds erinnerte. „Hui, das bringt die Glöckchen zum Klingen! Jetzt, über diesen Kuchen…“

Sie blickte auf den Kuchen, der mehr einer Mondlandschaft glich, ein Kunstwerk der Zerstörung und Kreativität. „Ich fürchte, das einzige Geschenk, das dieser Kuchen bietet, ist eine Lektion in Demut.“

Ich grinste, ein Grinsen so breit wie der Horizont an einem klaren Wintertag. „Perfekt. Ich nehme ihn. Frohe Weihnachten! Oh, und bevor ich es vergesse…“

Ich griff in meinen Sack, der so tief und geheimnisvoll war wie die Weiten des Nordpols, und zog ein kleines Paket heraus. Es war ungeschickt verpackt, mit mehr Klebeband als Geschenkpapier, ein Zeugnis menschlicher Unvollkommenheit. „Das ist für dich. Ich hoffe, du magst Überraschungen.“

Erfreut nahm sie das Paket entgegen. Ihre Hände, die von Leben und Arbeit mehr erzählten als jedes Wort. „Was könnte es sein? Ein weiteres Backexperiment?“

Mit einem Schmunzeln, das das Geheimnis der Nacht in sich trug, riss sie das Papier auf und zum Vorschein kam ein Kochbuch mit dem Titel „Backen für Dummies: Der ultimative Leitfaden zum Vermeiden von Küchenkatastrophen“.

Ich lachte, ein Lachen, das die Wärme und Freude der Weihnacht in sich trug. „Ich dachte, das könnte nützlich sein. Fürs nächste Weihnachten, weißt du?“

Sie rollte mit den Augen, ein Ausdruck spielerischer Resignation, aber ihr Lachen füllte den Raum hell und herzlich. „Danke, ich werde es vielleicht in Betracht ziehen.“

Mit einem Zwinkern und einem Nicken verschwand ich, den unglücklichen Kuchen und das Restgefühl des ‚Rentier-Benzins‘ unter dem Arm, und murmelte: „Nächstes Jahr probiere ich es mit dem Fenster. Und vielleicht einem Kochkurs als Geschenk?“

Martas schlaf

»Da hol mich doch der Teufel«, hechel ich mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Der Nikolaus?«
Der Mann, der in meinem Wohnzimmer steht, wirkt ertappt, doch nach nur einer Sekunde fängt er sich. Er dreht seinen pelzbesetzten Kopf in meine Richtung.
»Nikola-us«, fährt er mich an. »Nikola-us. Nicht Niko-laus. So wie Brutus oder Antonius. Ich bin doch kein Phthiraptera.« Seine Augen verraten echtes Entsetzen. »Was machst du eigentlich hier?« Seiner Hand zeichnet einen Halbkreis in den dunklen Raum. »Du solltest längst schlafen.«
Was ich seit langen nicht mehr kann. Seit Martas Unfall, seitdem sie im Koma liegt. Ich reibe mir die geschwollenen Augen.
»Ich will das nicht«, behaupte ich und zeige in die Ecke, in der ich die Weihnachtsnordmanntanne aufgestellt hatte. »Ich will das alles nicht.«
»Wie«, entgegnete der Fremde, »was willst du nicht?«
»Ich will keine Geschenke, ich will nur allein sein. Ich will«, wiederhole ich und zeige mit meinem Zeigefinger auf seine Brust, »will verdammt noch mal alleine sein. Ich brauche das nicht. Wer zum Teufel hat dich hier reingeschickt? Meine Eltern? Klaus?«
Jetzt sah er gekränkt aus. »Ich verstehe.« Er kniete sich, sammelte ein paar Kartons vom Boden auf und steckte sie in seinen Beutel. Dann sah er mich wieder an. »Nur eines noch«, flüsterte er nun. Seine Hand näherte sich langsam meiner Brust, dann fühlte ich die Wärme seiner Finger, als er sie auf mein Herz legte. »Vergiss nie, was Liebe ist. Vergiss nie, was Hoffnung ist.«
Als ich blinzelte, war er verschwunden. Ein Post-it viel vor meine Füße, auf dem mit einem blauen Edding eine Telefonnummer geschrieben war.
Gerade im Moment, als ich anrufen wollte, klingelte mein Handy: »Schwester Nadia, Johanneshospital. Sie sollten nur wissen: Sie ist aufgewacht. Marta ist aufgewacht.«
Die Wärme, die seine Finger auf meiner Brust hinterlassen hatte, brannte wie flüssiges Gold auf meiner Haut. Ich ließ das Post-it fallen. »Danke«, flüsterte ich.
»Was?«, drang es aus dem Telefon.
»Nichts«, erwiderte ich. »Ich komme. Sagen sie ihr, dass ich komme. Und: Schöne Weihnachten.«

… wie Schnee so rot wie Blut so schwarz …

„Wer hat ihn gefunden?“

Becker blätterte in seinem Notizblock. „Eine Frau Peters, wohnt im Nachbarhaus. Vorläufig nicht vernehmungsfähig, redet nur wirres Zeug. Schwerer Schock, sagt der Notarzt. Sie ist gerade auf dem Weg in die Notfallpsychiatrie, aber ich konnte zwei andere Nachbarn befragen. Ziemlich klarer Fall, Chef!“

Traude rief die SMS auf, die Friedrich ihr vor drei Tagen geschickt hatte: „Sexter Dezember, sex Uhr am Gartenhaus! Und sei pünktlich, böses Mädchen!“

Ihr Blick glitt zur Zeitanzeige: Noch zwei Minuten. Sie sah auf. Drüben leuchtete es matt rot. Trotz der abendlichen Dunkelheit war die wohlvertraute Gestalt über die winterlich stille Fläche hinweg zu sehen.

Traude mochte Friedrichs Wortspiele. Gerade dass er als Mann von Bildung so herrlich … Sie sahen sich nicht allzu oft, vor allem, um ihren Mann nicht misstrauisch zu machen, dafür jedoch um so intensiver. Letzte Ostern hatte Friedrich ihr als nackter Rammler aufgelauert, in den Rheinauen. Was er dort mit zwei Körben roher Eier auf ihrem Körper zelebriert hatte … Prompt spürte Traude ihren Bauch flattern und atmete schwerer. Ob er diesmal vielleicht seine Rute … ?

Sie seufzte. So ein Oberstudienrat, Altphilologe zumal, schöpft eben aus reicher Bildung, ganz anders als Rudolf. Nach 20 Ehejahren reichte dessen Fantasie gerade aus, wie ein Eber zu grunzen, wenn er genug hatte. Zum Glück war er, wie jedes Jahr um diese Zeit, in den Spessart verschwunden – zusammen mit zwei Fass Bier und seinen Ballerbrüdern. „Auf Säue“, wie er es nannte.

Traude wischte den Gedanken ebenso schnell beiseite wie er gekommen war. Erwartungsvoll strich sie sich über die Hüften und ging mit wiegenden Schritten auf den stilvollen Rundbau aus Bambus zu.

„Huhu!“ Sie winkte, doch die Gestalt am Gartenhaus machte keinerlei Anstalten zu reagieren. Nur der stilecht über die dunkelrote Brust wallende Bart leuchtete ebenso weiß wie der schneestille Garten ringsum.

‚Ah,‘ dachte Traude erwartungsfroh, ‚ich soll …‘ Das konnte er haben. Sie erschauerte und wiegte ihre Hüften, kuschelig warm im grausilbernen Chincillapelz über die von jungfräulichem Schnee bedeckte Rasenfläche auf das Gartenhaus zu.

„Was Können sie mir schon sagen?“

Hauptkommisar Meinrich sah interessiert zu, wie der Forensiker mit einem Schraubenzieher und einer Zange sorgfältig Tackerklammer um Tackerklammer aus dem Opfer und den Wandpaneelen des Gartenhauses löste.

„Für den genauen Zeitpunkt brauche ich noch, das geht zuverlässiger im Labor. Aber sonst? Waidmännisch ausgeschwartet, ganz klar. Wenn Sie mich fragen, ich tippe auf jemanden mit reichlich Jagderfahrung und null Skrupeln.“

Meinrichs Gedanken bewegten sich zielsicher durch das mehr als durchsichtige Soziogramm dieses Falls und erlaubte sich die Hoffnung, heute vielleicht doch noch vor Mitternacht Feierabend machen zu können.

An der Grundstückseinfahrt hielt ein Taxi. Heftige Wortwechsel klangen herüber, dann hastete ein hochgewachsener Mann im eleganten Burberry-Mantel über die mittlerweile ziemlich zertrampelte Schneedecke auf sie zu. Dichtauf Becker, der vergeblich versuchte, den Neuankömmling zu bremsen.

„Was ist denn hier …?“

Dann sah der Mann im Burberry-Mantel die Bescherung an der Gartenhauswand, drehte sich weg und begann zu würgen.

„Das ist der Besitzer, Chef, Oberstudiendirektor Friedrich Hirsemann“. Becker war etwas außer Puste, aber mit einem Blick auf den immer noch würgenden Hausbesitzer fuhr er in dem knappen Telegrammstil fort, der ihn für seinen Chef so wertvoll machte: „Mit Motorschaden in der Pampa liegengeblieben, sagt er, und smartphone-Akku leer. Als erstes fragte er, ob wir seine Nachbarin gesehen hätten.“

„Hm …“ Meinrich dachte kurz nach. „Bringen Sie ihn zu ihr ins Krankenhaus,“ sagte er. „Dann kriegen Sie raus, wo dieses Jagdhaus liegt. Nehmen Sie Verstärkung mit.“ Er drehte sich wieder zum Forensiker, der den halbgeschälten Torso unbeirrt Klammer um Klammer vom Bambuspaneel enttackerte,

„… aber wer um alles in der Welt ist dann das hier?“

Das Schreibblockaden-Wunder

Eine aller letzte Chance. Die letzte. Ich musste mich bemühen. Ich musste diese Kurzgeschichte schreiben. Es würde mir die Welt bedeuten, eines dieser Autorenprogramme zu gewinnen. Doch ich war mitten in einer Schreibblockade. Nichts Sinnvolles wollte geschrieben werden. Ich begann mit verschiedenen Worten und wusste nicht, welches Wort folgen sollte. Ich hatte alles versucht. Schlaf, Musik, Kakao. Nichts wollte funktionieren. Ich konnte einfach nur auf meinen leeren Bildschirm sehen.
Mittlerweile war es dunkel. Dicke Schneeflocken rieselten zu Boden. Eingekuschelt in einer Decke und einer Tasse Tee in der Hand saß ich an meinem Schreibtisch. So hatte ich seit Stunden bereits verharrt. Es musste doch irgendetwas aus meinem Kopf kommen. Irgendeine geniale Idee. Irgendetwas, was der Leser besonders lustig oder kreativ finden würde. Es funktionierte nicht. Meine Kreativität war wohl bereits in die Weihnachtsferien übergegangen. Ich seufzte. In dem Moment rauschte es. Ich drehte mich um. Schwarzer Ruß staubte aus meinem Kamin, dann knallte es. Ich hustete gegen die dicke Wolke an. War mein Schornstein kaputt? Doch ich hustete nicht alleine. Geschockt hielt ich den Atem an. Ein Einbrecher? Schnell schaltete ich meinen Bildschirm aus und losch das Licht. Ich kauerte mich unter meinen Schreibtisch, bewaffnet mit meiner heißen Teetasse.
»So eine verfluchte Scheiße« hörte ich es murmeln: »So einen dreckigen Kamin habe ich in meinem ganzen, ewigen Leben noch nicht gesehen!«
Ich hörte, wie der Fremde in den Raum trat. Er machte ein paar Schritte, dann blieb er stehen. Mein Herz pochte. Es schlug wie wild und wollte sich nicht beruhigen.
»Was ist das denn?« wunderte sich der fremde Mann. Es raschelte, dann erhellte er den Raum mit seinem Feuerzeug: »Keine Milch, kein Keks? Da habe ich die Amerikaner doch lieber!«
Das Adrenalin pumpte in mir. Ich war panisch. Da stand ein Fremder in meinem Wohnzimmer, drei Meter von mir entfernt! Was sollte ich tun? Entschlossen schob ich den Stuhl zur Seite und sprang hervor. Der Mann schrie auf, ich schrie ebenfalls und überkippte ihn mit meinem Tee. Der Mann schrie noch lauter, das Feuerzeug erlosch. Ich schaltete das Licht an und nahm mir mein Handy.
»Bleiben Sie, wo Sie sind, sonst rufe ich die-« ich stockte. Und starrte den Mann an.
»Ich bin kein Dieb!« rechtfertigte sich der Mann und richtete seine rote Mütze. Irritiert ging ich auf ihn zu und zog an seinem weißen Bart. Der Mann schrie: »Hör auf!«
Er trat ein paar Schritte zurück: »So ein schlecht dekoriertes Haus habe ich abseits von Berlin nicht mehr gesehen!«
»Wer sind Sie?!« forderte ich zu wissen.
»Der Weihnachtsmann. Aber da du hier keinen Baum hast, werde ich wieder gehen« er drehte sich um und wandte sich dem Kamin zu: »Den solltest du bis nächstes Jahr dringend putzen!«
Mir ratterte der Kopf, dann sprang ich ihm eilig in den Weg: »Du bist der Weihnachtsmann?«
»Ja?«
»Dann könnte ich deine Hilfe gebrauchen …«

Der Weihnachtsmann und die Truhe

«Verdammt, ich hasse diese neumodischen Edelstahlkamine und Öfen mit einer Glastür davor. Äh, ich meine natürlich hoho!»

Der Weihnachtsmann richtete sich auf und sah sich in dem Wohnzimmer des noblen Einfamilienhauses um. Er bückte sich und zog den winzigen Sack aus dem Ofen. Der Sack wies keine Brandspuren auf und schwoll zu beeindruckender Größe an. Es hatte Vorteile, der Weihnachtsmann zu sein. Er beugte sich vor, um Geschenke aus den Tiefen zu fischen, als die Tür aufschwang und ihn im Rücken traf.

Ein mittelalter, schlanker Mann zog eine gewaltige Holztruhe ins Wohnzimmer.

«He! Wer zum Teufel sind Sie? Wie haben Sie die Alarmanlage überwunden?» Mit diesen Worten näherte er sich langsam dem Schreibtisch und zog eine große Automatikpistole aus der Schublade.

«Ich bin der Weihnachtsmann. Sie wissen schon, der mit den Rentieren, dem Hoho und den Geschenken.»

«Klar, tolle Tarnung für einen Einbrecher. Was haben Sie schon gestohlen?»

«Nichts, ich wollte gerade etwas dazulegen.»

«Ja, ja. Und gleich erzählen Sie mir, sie haben eine einhundertjährige Ausbildung am Nordpol hinter sich, oder wie man sonst zu dem Job kommt.» Der Hausbesitzer angelt mit der Linken nach einem Telefon.

«Nein, eigentlich wollte ich nur Weihnachtsabend zu meiner Liebsten und bin ziemlich schnell gefahren. Aber das gehört jetzt nicht hierher. Ich kann beweisen, dass ich der Echte bin.»

«Wie?»

«Nun, ich kann zum Beispiel durch die Verpackung der Pakete den Inhalt erkennen. Nützlich, um Geschenke nicht zu verwechseln. Also da in der großen Truhe liegen Frauenkleider, Schuhe, ein Handtuch und eine Statue. Und … äh … eine … Frau … und die Staue ist blutverschmiert, äh …»

«Du hast durch das Fenster geschaut, was? Eigentlich wollte die Polizei anrufen. Na ja, jetzt kommt es auch nicht mehr darauf an.»

Mit einem sauberen Schuss zwischen die Augen erledigte der Hausbesitzer den Weihnachtsmann.

Es war alles vorbereitet. Die Plane im Kofferraum des SUV, das Versteck der Leiche, das Alibi. Ein weiterer Körper würde mehr Aufwand bedeuten, aber bevor er die Firma bei einer Scheidung teilte, ging er lieber das Risiko ein. Doch auf den Schreck schenkte er sich erst einmal einen Drink ein.

«Und wenn die Kinder dann keinen Weihnachtsmann mehr haben, müssen sie eben mehr auf dem Handy spielen. Prost.»

Der tote Weihnachtsmann verschwamm vor seinen Augen. Es war keine gute Idee, unter Stress zu trinken. Hatte er ihn nicht mitten in der Stirn erwischt? Wieso war das Einschussloch nun an der Schläfe? Seltsam, er kratze sich seinen Bart. Die Pistole hatte er doch beim Einschenken auf den Schreibtisch gelegt, wieso hatte der Kerl sie in der Hand?

Er wischte die Blutstropfen von den blankpolierten Stiefeln, rückte die Mütze gerade und schnappte sich den Sack. Auf der Terrasse wartete Rudolf. Die Nase leuchtete in einem aggressiven Rot auf, als das Leittier des Schlittens spottete:

«Der Vorgänger war ein betrunkener Autofahrer und nun ein schießwütiger Mörder. Es geht wirklich abwärts. Aber los, Alter, wir haben eine lange Liste.»

Der Mann startete einen letzten, verzweifelten Versuch:

«Und wenn ich nicht will?»

«Knecht Ruprecht hat schon ganz andere Kaliber überzeugt. Er besitzt mehr Werkzeug als dieses lächerliche Reisigbündel. Es wird immer einen Weihnachtsmann geben. Und nun übe: Hoho!»

DAS KOMPLOTT

»Es reicht!«
Die sonst so zarte Stimme des Christkindes nimmt einen bedrohlich tiefen Unterton an. Kratzig und kehlig.
Zustimmendes Nicken.
Sinnierend zieht das Christkind an seiner fetten kubanischen Zigarre und bläst den Rauch in den Raum.
Vierundzwanzig Stühle, gleichmäßig um den kreisförmigen Konferenztisch angeordnet, alle besetzt. Nur der fünfzwanzigste, im Zentrum des Kreises, ist leer.
»Machen wir dem ein Ende!«, donnert das Christkind und hustet.
»Hört hört«, tönt es in dem dem schummrigen Raum.
»Mein Reden!«, bestätigt La Befana, die Weihnachtshexe aus Italien. »Wisst ihr, wie sich der Arsch anfühlt, wenn Du den ganzen Tag auf einem Besen sitzt? Da reite ich mir einen Wolf, und keinen interessiert es!«
»Red du nur«, wirft der heilige Nikolaus ein. »Ich entsinne mich einer Zeit, da hieß es noch: Neiiiin, liiieber Nikolaus, ich wiiill nicht in den Saaack! Und jetzt? Glotzen nur noch in ihre Smartphones, diese verwöhnten Gören, und warten auf die großen Geschenke von Santa Claus!«
Ein bedrohliches Grollen füllt den Raum, und wütend rasselt der Krampus mit seinen Ketten.
»Mich«, schreit der Zwarte Piet, »schimpft man einen Rassisten!« Er schnauft. »Verdomme!«
Hohles Gelächter ertönt. »Americanos!« Der kackende katalanische Baumstamm lässt die Äste krachen. »Bei sowas kriegst Du Verstopfung, mis amigos! Jedes Jahr presse ich mehr, um die ganzen Pakete aus mir rauszudrücken! A caballo regalado, ne le mires el diente!!«
Verdrossen pafft er an seiner Zigarre. Dann ruft er: »Salut«, hebt sein Glas und schüttet sich den scharfen Inhalt in seinen Stumpf. »Bueno, ein gutes Tröpfchen!«
»Single Malt«, kommentiert einer der dreizehn isländischen Weihnachtszwerge. »Highlands.«
»Zehn Jahre Eichenfass«, ergänzt ein anderer.
»Nur, weil so ein raffgieriger amerikanischer Brauseproduzent sich mit seinen gichtigen Griffel unsere Tradition krallt und sie zu seiner erklärt«, schimpft der finnische Joulupukki unter seiner dicken Mütze aus Rentierfell. »Kapitalistisches Schweinesystem!«
»Gut jetzt«, unterbricht das Christkind herrisch. »Der Worte sind genug gesprochen. Zeit zu handeln. Wer stimmt dafür?«
Vierundzwanzig Hände recken sich in die Höhe.
»Keine Gegenstimmen.« Mit Genugtuung nimmt das Christkind die Wahl zur Kenntnis. »Dann ist es entschieden. Der Dicke muss weg.«
»Weg mit dem Dicken!«, schallt es im Chor.
In diesem Augenblick rumpelt es im Gebälk über ihnen, und ein Pfeifen ertönt entlang es Kaminrohres. Dann purzelt etwas in die Überreste aus Holz und Asche, und als sich der Staub legt, steht er vor ihnen: Der Weihnachtsmann.
Ein Tumult bricht aus.
»Schnappt ihn!«
»Schnell, lasst ihn nicht entkommen!«
»Packt zu!«
Ehe es sich der Weihnachtsmann versieht, sitzt er geknebelt und gefesselt auf dem leer gebliebenen Stuhl inmitten der aufgebrachten Runde.
»Mann, ist der schwer!«, stöhnt Joulupukki.
»Was hast du denn erwartet?«, lästert einer der dreizehn Weihnachtszwerge.
»Mhhhh!«, erklingt es aus dem geknebelten Mund des Weihnachtsmannes. Und wieder: »Mhhh!«
Dann sind sie alle wieder auf ihren Plätzen, und schweigend starren sie auf den Gefangenen.
Das Christkind blickt in die Runde. »Vorschläge?«
»Lasst ihn uns blitzdingsen«, ruft der Zwarte Piet. »So wie in diesem Film mit diesen schwarzen Männern.«
»Das würde dir gefallen«, lacht einer der Weihnachtszwerge. »Aber die Sache hat einen Haken. Er vergisst zwar, was gerade war, aber wer er ist, das weiß er immer noch.«
»No«, sinniert der kackende katalanische Baumstamm. »Eso no es possibile.«
»Hier hab ich was«, wirft La Befana ein, und der faltige Mund unter ihrer langen Nase verzieht sich zu einem diabolischen Grinsen.
»Beeren des Vergissdichbaums.« Sie öffnet ein Säckchen und lässt den pulverigen Inhalt in ihre knochige Handmulde rieseln. »Getrocknet und gemahlen.«
»Damit ist er erledigt!«, jubelt der heilige Nikolaus, und auch das Christkind strahlt vor Begeisterung.
»Also«, fragt La Befana, »soll ich?«
»Si, si!«, ruft der kackende katalanische Baumstamm, und mit einem kräftigen Puster bläst La Befana dem Weihnachtsmann den Staub ins Gesicht.
Der kneift die Augen zu, hält den Atem an, bis sein Kopf puterrot leuchtet. Dann, plötzlich, gewinnt der Drang zu Atmen Oberhand, und mit einem Riesenschnaufer zieht er die staubverseuchte Luft in seine Nase.

Ein paar Jahre später

»Rentiere belagern das Arbeitsamt!« Genervt schleudert das Christkind die Zeitung mit dem großen Aufmacher auf den Konferenztisch. »Wo soll das noch enden?«
»Und die anderen Rentiere marodieren durch unsere Vorgärten und berauschen sich an vergorenem Fallobst«, berichtet Joulopukki. »Das ist echt ein Problem da, wo ich herkomme!«
»Wenigstens machen die was Sinnvolles«, kommentiert der kackende katalanische Baumstamm und kippt sich routiniert den Inhalt eines Glases in den Stumpf.
»Ich will nicht mehr«, jammert La Befana. »Mein Rücken ist krumm und schmerzt. Die Arbeit, sie ist einfach zu viel! Ich kann nicht mehr, ich mach das nicht mehr! Sucht euch doch einen anderen Lieferdienst!«
Der heilige Nikolaus räuspert sich, dann spricht er nachdenklich: »Vielleicht sollten wir ihn zurückholen?«
»Vergeet het maar«, antwortet der Zwarte Piet aufgebracht. »Der hat es sich auf Mallorca gemütlich gemacht. Die Haare und den Bart gestutzt und den Umhang gegen eine rote Badehose getauscht. Der will sicher nicht zurück.«
»Aber er muss!«, jammert La Befana.
»Und wie?«, ereifert sich einer der isländischen Weihnachtszwerge. »Der hat vollkommen vergessen, wer er ist. Stattdessen spielt er jetzt den König von Mallorca!«
Entmutigt schüttelt das Christkind den Kopf. »Ausgerechnet! Den König von Mallorca!«
Und der Krampus rasselt dazu mit seinen Ketten.

Der Weihnachtsmann verschwindet leicht verstört wieder im Kamin … und der Thread schließt sich für eure Beiträge. :santa:t2:

Eine Woche lang könnt ihr noch eure festlichste oder schockierendste vorweihnachtliche Geschichte mit Buch-Likes beschenken.
Der geschmückteste Beitrag gewinnt Papyrus Autor 11. Unter allen anderen Geschichten verlosen wir gleich drei weitere Versionen, zwei davon Geschenke von @Anachronica und @Momo71!

Am Freitag, den 22.12, küren wir die Gewinner der Bonuswoche. :christmas_tree:

Von Wünschen und Wundern

Liebes Kristkind,
heute hat Ria in der Schule gesagt das es dich garnicht gibt. Das hat mich ser traurig gemacht. Ich weis nicht warum sie das gesagt hat. Ich glaub ihr nicht. Ich seh ja immer im Wonzimmer das du da bist. Dann leuchtet das Licht durch die Scheibe von der Tür. Ich freu mich auf dich und ich schreib dir meinen Wunschzettel so wie jedes Jahr.

Mit einem melancholischen Lächeln lege ich das mit der Kinderhand beschriebene Blatt zur Seite.

Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Wie ungläubig ich meine Klassenkameradin angeschaut habe, damals. Wie ungeheuerlich ich das empfand, was sie da so lauthals verkündete. „Es gibt kein Christkind, das ist alles gelogen.“
Erstklässler waren wir, am Ende des ersten Schuljahres. Diejenigen, die ältere Geschwister hatten, stimmten Ria zu. Ihnen war die Magie schon genommen worden, jüngere Geschwister altern eben schneller.
Die Pausenklingel schrillte und wir gingen zurück ins Klassenzimmer. Die 3. Stunde, Lesen und Schreiben mit Lehrer Friedrich. Mein Lieblingslehrer und normalerweise war ich begeistert bei der Sache. Aber an diesem Tag war ich total abwesend. Ich dachte nach. Über das, was Ria gesagt hatte. Das konnte doch nicht sein, oder? Mutter, Vater, Omas und Opas waren einer Meinung: das Christkind ist echt, genauso wie der Osterhase. Bisher hatte ich nie einen Grund gehabt, daran zu zweifeln. „Anni?“ Ich schreckte aus meinen Gedanken. Lehrer Friedrich stand vor meinem Platz und sah mich mit schief gelegtem Kopf an. „Anni,“ wiederholte er meinen Namen. „du hast ja garnichts geschrieben. Fällt dir kein Wunsch an das Christkind ein?“
„Äh. Wie?“ Ich hatte nichtmal die Aufgabe mitbekommen. Zu tief war ich in meinen Gedanken. Er legte mir die Hand auf die Schulter. „Ist gut. Bleib bitte nach der Stunde noch einen Moment hier, ja?“ Ich nickte.
Die Stunde war um, alle lachten, riefen, rauften, rannten aus dem Raum. Ich blieb sitzen. Lehrer Friedrich kam zu meinem Platz, setzte sich auf den kleinen Stuhl neben mir. „Anni, was ist denn los? Bedrückt dich etwas?“ Ich hörte seine warme Stimme und plötzlich stiegen mir Tränen in die Augen. Ich erzählte ihm, was Ria behauptet hatte und wie sehr mich das beschäftigte. Ruhig hörte er zu und dann nickte er bedächtig.
„Weißt du,“ sagte er endlich, „das habe ich selbst auch erlebt. Mein großer Bruder hat das damals behauptet. Ich war ganz verwirrt und wusste einfach nicht mehr, was ich glauben sollte.“
Gebannt schaute ich ihn an. „Und, was hast du dann gemacht?“ Ich wollte unbedingt, dass er mir half, dieses Problem zu lösen. Er beugte sich etwas näher zu mir und flüsterte: „Ich habe meine Oma gefragt. Sie war der klügste Mensch, den du dir vorstellen kannst. Sie hatte sogar mal mit dem Nikolaus gesprochen. Und sie sagte mir: wenn du heute nach Hause gehst, sieh genau hin. Wenn du diese drei Dinge findest, ist das der Beweis, den du brauchst. Findest du sie, ist das Christkind Wirklichkeit. Findest du sie nicht, ist es ein Märchen.“ Mit offenem Mund hörte ich zu.
„Also, Annie. Wenn du nachher nach Hause gehst, dann achte genau darauf, was auf deinem Weg liegt. Als erstes muss es ein Tannenzapfen sein. Dann wird dir ein Schneckenhaus auffallen. Und als letztes, das ist das schwerste, wird dir eine blühende Blume am Wegesrand auffallen.“
Bei seinen letzten Worten fiel meine Hoffnung wieder zu nichts zusammen. Eine blühende Blume, mitten im Winter. Wo sollte man die denn finden. Enttäuscht sah ich ihn an. Er aber nickte mir zu und sagte: „So ist das mit Wundern. Es gibt sie, oder es gibt sie nicht.“ Und dabei lächelte er mir aufmunternd zu.

Die nächsten zwei Stunden konnte ich kaum abwarten. Ich dachte nur an das, was ich unbedingt finden wollte und überlegte, welchen Heimweg ich am besten nehmen sollte. Wo wäre die Chance am größten, diese drei Dinge zu finden? Mit dem Klingeln fiel die Entscheidung. Der obere Waldweg sollte es sein. Ich rannte so schnell ich konnte aus der Klasse, keine Grüße, kein Tschüss, ich rannte einfach nur los.
Der Tannenzapfen war schnell gefunden, direkt vor der Schule lagen jede Menge davon herum. Sehr gut. Auch das Schneckenhaus war kein Problem. Wie erwartet war in den Weinbergen ein Überangebot vorhanden. Aber die blühende Blume. Wo sollte ich die herbekommen.
Langsam ging ich über den oberen Steig am Waldrand entlang. Rechts den Wald, links die Weinberge, darunter das Dorf.
Ich blieb stehen, lauschte, sah mich um. Das Licht wurde flüssig, leise setzte Schneefall ein, und alles wirkte irgendwie unwirklich. Ich folgte dem letzten Sonnenstrahl mit den Augen und sah am Waldrand etwas Weißes leuchten. Ich ging darauf zu und starrte ungläubig auf die kleine weiße Blume, die da unbekümmert blühte. Langsam ging ich in die Hocke, streckte die Hand aus, um sie zu berühren. Konnte das sein? War die wirklich echt?
Ich pflückte die Blüte, schloss die Augen und dachte an die Großmutter meines Lehrers. Es war also wahr. Es gab das Christkind wirklich.
Mit frohem Herzen lief ich nach Hause. Zum ersten Mal an diesem Tag glücklich und mit meiner Welt zufrieden.
Ich öffnete stürmisch die Haustür, rief laut: „War das Christkind schon hier? Habt ihr es gesehen?“

Mein Vater kam mir entgegen. Warum war er schon zuhause? Er machte ein ungewohnt ernstes Gesicht und seine Augen glänzten seltsam. Er ging vor mir in die Knie, nahm mich in die Arme und sagte kaum hörbar in mein Haar: „Anni. Ja, das Christkind war hier. Es hat deine Mama gebeten, zu ihm in den Himmel zu kommen. Du musst dich jetzt von ihr verabschieden.“ Ich verstand nicht. Er schob mich in das Wohnzimmer, wo meine Mutter auf dem Sofa lag. Sie schlief offenbar.
Leicht fühlte ich Papas Hand in meinem Rücken, als er mich vorwärts schob. Ohne jegliches Verständnis blickte ich zwischen ihm und ihr hin und her. Was sollte das? Warum schlief Mama jetzt? Warum sollte ich mich von ihr verabschieden? Wo war das Christkind, wenn es sie mitnehmen wollte? Ich ging zum Sofa, legte meiner Mutter die Christrose in die Hand und lief.
Ich lief, lief, lief, immer weiter, immer schneller, bis ich völlig außer Atem vor dem Haus von Lehrer Friedrich stand. Ich klingelte. Er würde es mir sicher erklären können.

Auf Beutezug

Monatelang hatte ich mich auf diesen Tag vorbereitet. Diesen eisigen Dezembertag, um Mitternacht. Die alte Villa mit den feinen weißen Marmorsäulen war nur auf den ersten Blick ein freundliches Zuhause. Schaute man wie ich durch ein Nachtsichtgerät, sah man die harten Linien der Infrarotlaser, die systematisch den Vorgarten nach Eindringlingen absuchten.
Rasch huschte ich über die frischgrüne Wiese. Schwarz gekleidet, von Schatten zu Schatten einiger Ziersträucher. Schnell unter einer Kamera wegducken! Mein Atem hinterließ kleine weiße Wolken vor Anstrengung.
Der Tresor war nicht mehr weit.

Was war das? Im Augenwinkel sah ich eine Gestalt huschen. Unsichtbar wie ich, befand sie sich offenbar auf dem Dach des Gebäudes. Groß, rundlich und schon wieder hinter einem Schornstein verschwunden.
Das konnte doch nicht wahr sein!
War noch jemand auf die Idee gekommen, zu Weihnachten diese Diamanten zu stehlen? Wie war sie nur auf das Dach gelangt? Egal, ich musste weiter!
Kurz rief ich mir den Bauplan vor Augen, wie dieser in meinem Versteck mit Kaffeeflecken auf den großen Glastisch stand. Tagelang hatte ich mit meiner schwer kranken Freundin den Bauplan studiert, wie in der geheimen Hoffnung, weitere Türen und Gänge zu entdecken. Wir brauchten das Geld. Für ihre Therapie, für mich als Beruhigung.
Dieser Fremde suchte sich offenbar Zugang über ein Dachfenster. Es gab keinen anderen Weg. Das würde allerdings etwas dauern.
Meine Stoppuhr piepste. Alles war geplant. Ich musste weiter, wollte ich die Kamera-Schwenks richtig ausnutzen.
Ich könnte es noch schaffen, denn der Tresor stand im Erdgeschoss. Witzigerweise hinter einem Concorde Gemälde im Wohnzimmer.

Mit einem kratzenden Laut schnitt der Glasschneider einen Moment später das Kellerfenster ein. Aus meinem Rucksack nahm ich einen akkubetriebenen Moniereisenschneider. Ein monströses Gerät, dass mühelos die zwei Zentimeter dicken Gitterstangen durchzwickte. Es knackte mehrmals unangenehm laut, doch in der Villa blieb es still. Kein Licht ging an. Sehr gut!
Ich ließ das Gerät fallen - zu schwer - und ich brauchte den Platz im Rucksack für meine Beute.
Im Keller gab es Wein in alten Fässern. Natürlich. Und von der oberen Etage kam ein sachter Geruch nach Buttergebäck und Karamell. Ich drückte mich an die Wand und eilte die Stufen hinauf.

Ich folgte dem Geruch und befand mich schließlich in der Küche. Gedankenlos landete ein unglaublich leckeres Butterplätzchen in meinen Mund, während ich mit leisen Schritten zum Wohnzimmer schlich. Von oben erreichte mich das Knarzen einer Tür und schwere Schritte auf hölzerne Dielen waren zu hören.
Wer immer dieser Typ da oben war, er war gewiss keine grazile Elfe.
Im Wohnzimmer fand ich nicht nur historische Möbel im verschnörkelten Jugendstil, sondern auch den epischsten Weihnachtsbaum, den ich jemals erblickt hatte. Sicherlich drei Meter hoch. Ein großer Stern als Spitze, kupferfarbene Kugeln. Lametta in der Varianz des Regenbogens und grazile Glasengelchen an den Zweigen.
Ich erinnerte mich daran, dass die Bewohner der Villa vier Töchter hatten. Tat mir fast leid, für das, was ich nun vorhatte.

Aus meinem Rucksack nahm ich das zweite sperrige Gerät. Die Sauerstofflanze in Kleinformat. Ich hatte genug Gas für einige Minuten Betrieb dabei. Also los.
Achtlos warf ich das Gemälde von der Wand, und lächelte, als ich das feine Silberblau des Tresors erblickte. Dieser Bautyp hatte vier Verriegelungen, die ich durch die Wand durchtrennen konnte. Musste!
Keine Zeit verlieren.
„Hopala“, hörte ich von oberhalb der Treppe. Der störende Andere war nur noch wenige Momente entfernt. Dieser dicke Typ zog, dem Schleifen nach zu urteilen, einen Sack mit sich. Hatte er bereits Diebesgut eingesackt? Vielleicht verschwand er ja, ohne das ganze Haus aufzuwecken.
Grellweißes Licht durchbrach das Schummrige. Die Sauferstofflanze tat sich schwer. Dunkelrot – orange – gülden: Endlich schmolz die Tresorwand an der Stelle, wo ich die Bolzen durchtrennen wollte. Aber vermaledeit! Das Gas war schon jetzt nach drei Bolzen aufgebraucht. Ein einzelner, mistiger, oller, verfluchter Drecksbolzen fehlte zu meinem Sieg!

Rumpelnd – Stufe für Stufe – rummste etwas hinter mir die Stufen herab. Ich drehte mich auf der Stelle um.
Ein Typ, der aussah wie der Weihnachtsmann, blickte mir entgegen.
„Euer Ernst?!“, rief ich ihm zu. „Das Zimmer ist schon besetzt. Kollege!“
„Oha?“, rief mir der Weihnachtsmann brummbärtig zu. „Kollege?“
Dann begann er tatsächlich Geschenke aus seinem schweren Sack zu holen. Geschenke! Blau mit roten Band, Grün mit gelben Band, kariert, mit Herzchen, mit Engelchen, mit Weihnachtselfen.
„Sag mal, willst du mich hier veralbern?“, fragte ich ihm offen ins Gesicht.
„Hohoho!“, rief er mir zu. „Keine Bange.“
„Bange?“
„Dein Herz ist voller Sorge! Aber hoho! Ich habe auch etwas für dich…“
Wachsam verfolgte ich jeden seiner Bewegungen, bereit loszuschlagen. Doch dann gab mir dieser freundliche, rundliche Mann eine Gaskartusche – mit roter Schleife.
„Woher wusstest du…?“
„Aber Tim“, meinte er großväterlich. „Ich bin doch der Weihnachtsmann…“
Damit klopfte er mir auf die Schulter, und wies zum Tresor.
„Nun aber beeilen! Ich glaube, ich habe den stillen Alarm ausgelöst!“
Der Weihnachtsmann verschwand im Halbdunkeln der Küche und ließ mich verdattert zurück.

Zimt.

Das Feuer knistert im Kamin, während der Glühwein seine Wirkung entfaltet hat. Ich konnte endlich alle Hemmungen und gesellschaftlichen Zwänge ablegen. Er war hier bei mir an diesem wunderbaren Abend. Wir hatten gut gegessen, über verschiedenste Themen gesprochen und uns gemütlich auf meinem großen, schönen Ledersofa vor dem Kaminfeuer niedergelassen.

Irgendwann, zwischen Glühwein und peinlich langen Pausen in unseren Gesprächen, wagte er den ersten Schritt. Zunächst küsste er mich zaghaft, nahm mein Gesicht in seine warmen Hände und erkundete meine Seele durch meine Augen. Der erste Kuss war vorsichtig, als ob er seine Grenzen ausloten wollte. Grenzen wollte ich ohnehin nie setzen. Ich wusste, was ein Abend zu zweit mit gutem Essen, Kaminfeuer und Punsch mit sich brachte. Endlich wieder Sex, der mir guttun würde und den ich nach zwei Jahren dringend brauchte. Das Gefühl, einen Körper mit all seinen Empfindungen wieder zu spüren.

Nach dem anfänglich vorsichtigen Kuss hatten wir uns beide in eine andere Welt begeben, eine Welt, die alles andere ausblendete und uns unseren Alltag vergessen ließ. Ich zog ihm seinen Pullover über den Kopf und hielt einen Moment inne, um seinen Körper zu bewundern. Er war nicht durchtrainiert wie auf den sexy Kalendern, sondern schlank und geschmeidig. Seine Haut roch nach Frische und einem Parfüm, das eine Zimtnote verriet. Ich liebe Zimt, kein Strudel könnte ohne Zimt auskommen, und ein Chai Latte ohne Zimt ist auch kein richtiger Chai.

Nun lagen wir aufeinander, küssten uns und streichelten unsere Haut. Wir verloren uns ineinander. Die Ekstase steuerte auf den nächsten Schritt, genauer gesagt das nächste Entkleiden, zu. Plötzlich gab es einen Krach im Kamin. Wir hielten inne und wurden aus unserer ekstatischen Welt gerissen. Mit Entsetzen sahen wir, wie ein Mann in Weihnachtsmannkostüm im Feuer unseres Kamins landete. Ich sprang auf und suchte schnell etwas, um mich zu bedecken - ein kleines Zierpolster musste reichen. Der Eindringling kroch auf allen Vieren aus dem Kamin, stand auf und klopfte den Ruß von seiner Kleidung ab, noch ahnungslos, dass er nicht alleine im Raum war. Er zauberte einen riesigen Sack aus dem Kamin, schüttelte ihn und drehte sich in unsere Richtung. Sein Blick war starr auf uns gerichtet, sein Mund, der fast vom weißen Bart verdeckt wurde, stand halb offen. Diese Gestalt erstarrte und hielt inne. Wir tauschten Blicke aus, mein Zimtmann und ich. Alles war still im Raum, bis ein leises, verhaltenes „Ho Ho Ho“ aus dem Mund des alten Mannes die Stille durchbrach.

Der Gast am Heiligen Abend
Es war der Nachmittag des 24. Dezembers, und unser Haus glich einem fröhlichen, wenn auch leicht chaotischen, Weihnachtswunderland. Überall hingen glitzernde Dekorationen, die so aussahen, als hätten sie einen kleinen Krieg mit dem Lametta überlebt. Der Weihnachtsbaum stand majestätisch, wenn auch etwas schief im Wohnzimmer – ein stiller Tribut an unseren familiären Hang zur „Perfektion“. Nachdem wir den letzten Schmuck angebracht hatten – einen Engel, der aussah, als hätte er zu tief ins Glühweinfass geschaut –, zog ich mich für eine Pause zurück.

Mit einer Tasse Tee, die verdächtig nach etwas Stärkerem roch und einem Buch, das ich schon dreimal gelesen hatte, ließ ich mich in meinen Sessel fallen, der mit jedem Weihnachten mehr a Form verlor. Ich versuchte, mich in die Welt der Literatur zu flüchten, doch dann hörte ich ein Geräusch aus dem Wohnzimmer, das klang wie eine Mischung aus einem stolpernden Rentier und einem überraschten Elfen. Ich dachte zuerst, es sei unser Kater, Herr Chaos, der sein jährliches Baumschmück-Ritual (oder besser gesagt: Baumentblätterungsritual) vollzog. Aber das Geräusch klang zu groß und zu unbeholfen für ein vierbeiniges Fellknäuel.

Getrieben von Neugier und der bange Ahnung, dass unser Weihnachtsbaum seinen letzten glitzernden Atemzug getan hatte, schlich ich die Treppe hinunter. Jede Stufe quietschte auf ihre eigene, festliche Weise, fast so, als wolle sie „Stille Nacht“ in Quietsch-Dur spielen. Ich bewegte mich mit der Anmut eines Elefanten auf Zehenspitzen, bemüht, kein weiteres Aufsehen zu erregen.

Als ich das Wohnzimmer erreichte, stockte mir der Atem – und das lag definitiv nicht nur an der üppigen Weihnachtsdekoration. Nein, mitten im Raum stand der Weihnachtsmann, umgeben von einem Meer aus Lametta und funkelnden Lichtern. Er war durch die noch offene Terrassentür hereingeschlichen und hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, auf frischer Tat ertappt zu werden.

Unsere Blicke trafen sich, und für einen Moment waren wir beide wie in einer Komödie gefangen. Dann brach der Weihnachtsmann das Schweigen, ließ ein leises „Ho, ho, ho“ hören, das mehr nach einem überraschten Räuspern klang, und setzte ein breites Grinsen auf.

„Sie sind aber früh dran“, flüsterte ich, irgendwo zwischen Amüsement und Verwunderung schwankend.

„Ja, dieses Jahr bin ich etwas zu früh“, gab der Weihnachtsmann zu, während er sich peinlich berührt am Bart zupfte. „Ich wollte sicherstellen, dass alle Geschenke rechtzeitig da sind, bevor ihr mit der Bescherung beginnt. Außerdem wollte ich dem Verkehrschaos ausweichen. Sie wissen ja, Rudolph mit seiner roten Nase ist nicht gerade der beste Navigator.“

Sein Schmunzeln und die leichte Röte, die sich unter seinem weißen Bart abzeichnete, machten ihn auf einmal menschlich. Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen, während ich mir vorstellte, wie der Weihnachtsmann versuchte, einem Rentier-GPS zu folgen, das nur „Links abbiegen bei der nächsten Wolke“ sagte.

Was dann folgte, könnte man getrost als eine Episode aus einer Weihnachtskomödie beschreiben. Ich, ein zufälliger Komplize des Weihnachtsmanns, half ihm, die Geschenke strategisch unter dem Baum zu verteilen. Dabei mussten wir einige akrobatische Manöver vollführen, um nicht in den Lichterketten hängen zu bleiben oder von Weihnachtskugeln überrascht zu werden, die wie kleine, verräterische Minen auf uns herunterfielen.

Während wir so beschäftigt waren, erzählte mir der Weihnachtsmann die wildesten Geschichten. Von einem Haus in Italien, wo er fast von einer Nonne mit einem Nudelholz verwechselt wurde, bis hin zu einem Vorfall in Australien, wo ein Känguru versuchte, sich in seinen Schlitten zu schmuggeln. Ich lachte so sehr, dass ich kaum atmen konnte, besonders bei der Geschichte, wie er einmal versehentlich den falschen Schornstein hinuntergerutscht war und in einer Saunaparty landete.

Als alles fertig war, zwinkerte mir der Weihnachtsmann mit einem verschmitzten Lächeln zu, das verriet, dass er unsere gemeinsame Verschwörung genoss. Dann verschwand er so leise, wie er gekommen war, wahrscheinlich um seine nächste chaotische Bescherung fortzusetzen.

Ich kehrte in mein Zimmer zurück, mein Herz noch immer voller Lachen über unser kleines Abenteuer. Ich konnte kaum glauben, was soeben passiert war – es fühlte sich an wie ein Traum, aber die umgekippten Kekse auf dem Boden im Wohnzimmer bewiesen das Gegenteil.

Später am Abend, als meine Familie zusammenkam und wir die Geschenke auspackten, konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Jedes Mal, wenn jemand ausrief, „Oh, der Weihnachtsmann hat sich dieses Jahr selbst übertroffen!“, musste ich an unsere heimliche Aktion denken. „Der Weihnachtsmann hat dieses Jahr besonders gute Arbeit geleistet“, sagte ich mit einem Wissen, das nur ich teilte.

Erst nach der Bescherung erzählte ich meiner Familie von meinem weihnachtlichen Abenteuer. Niemand glaubte mir natürlich – alle lachten darüber, für die war es nur eine „lustige Weihnachtsgeschichte“. Aber ich musste noch oft an diesem Abend über diese kurze, aber urkomische Begegnung mit dem Weihnachtsmann schmunzeln. Sie wurde zu einer meiner liebsten Weihnachtserinnerungen.

So wurde die Geschichte von dem Weihnachtsmann, der in unser Haus einbrach, Teil unserer Familienlegende – eine Geschichte, die wir jedes Jahr an Heiligabend erzählen würden.

Tim | Rußige WeinNacht

Oh my crap!
Damals hatte ich den schlimmsten Kick seit 1989.
Der 25. Dezember 1993. So gegen 1 Uhr nachts. Ohne Drogen, aber mit Glühwein.

Ich war damals bereits seit Wochen extrem frustriert.
Als Spätjugendlicher. Alarmzeit pur.
Warum? Wegen ihr. Die Spacko-Perle. Gabriella.
Egal! Nicht das Thema.
Es ging um etwas völlig anderes.

Weihnachten. Familie. Festessen.
Mein ganz persönliches Defcon 5, im familiär überreizten Nervenkostüm – innerlich jederzeit kurz vor dem Terminator. Jugendliches Emo-Drama hoch zehn eben.

Klar, die Festtage. Etwas Besonderes. Bezaubernd und besinnlich.
Nicht jedoch mit einer deutsch-griechischen Großfamilie.
Das war immer wie Feuer und Benzin. Ständig knallte es irgendwo. Streit um das Essen; Zoff wegen der Deko; Rabatz, weil jemand die Katze in den Weihnachtsbaum hat klettern lassen; Diskussionen um die Andacht zum Heiligabend. War Pfarrer Savvidis schwul oder nicht? Dergleichen halt. Überhaupt: alle redeten immer. Vom Tag vor Heiligabend, bis zum Abschied und der Heimfahrt der Verwandtschaft, laberten sie in einer Tour – und man erwartete jederzeit, dass ich auch etwas dazu beitrug.
Zudem kamen ständig diese Fragen. Was soll beruflich aus mir werden? Warum will ich eigentlich studieren? Übernimm doch lieber die Stahlbaufirma deiner Mutter. Hast du eine Freundin? Mit Kondomen kannst du umgehen, ja? Warum kommst du nicht einmal wieder „heim“ nach Kavela, dann stellen wir dir die Tochter der Familie Manousakis vor.
Immer wieder dergleichen.
Außerdem tatschten alle immer an mir herum, vor allem die Großeltern. Ich war siebzehn und sie kniffen mir in die Wangen, als wäre ich fünf.
Wie gesagt: innerlich war ich kurz vor der juvenilen Explosion.
Tim Ausrastellidous – der entnervte Familiendödel. So nannte ich mich selbst, während der Festtage.

Kein Wunder also, dass ich damals meinen Stash Alk im Keller versteckt hielt – eine Flasche Glühwein in einer Aldi-Tüte, unter den Eierkohlen. Von meinen Eltern aus war das „Gläschen in Ehren“ für mich nämlich noch Tabu. Da es normalerweise ich war, der zum Kohlenschleppen genötigt wurde, schien es unwahrscheinlich, dass jemand dort fündig geworden wäre.

Ich hatte eine wirklich niedrige Toleranzschwelle, was Alkohol betraf. Es bedurfte nicht viel davon, um mich dicht zu machen. Deshalb war ich damals schon vorsichtig damit.
Diverse Bierdosen-Parties mit Freunden, gefolgt von sehr peinlichen Momenten, ließen mich ziemlich umsichtig werden, was den Genuss von Booze betraf.

Okay, zurück zum 25. Dezember
Nach einem unendlich langen Heiligabend, daddelte ich zufrieden ein Game auf meinem brandneuen Sega-CD. Meine Weihnachtsbeute beschäftigte mich bereits seit einer Weile. Geschenke, Briefumschläge mit Geld darin, Schlickerkram.
Man konnte sich über meine Familie ärgern, oder peinlich berührt sein, aber Großzügigkeit, Herzlichkeit und Toleranz standen immer im Mittelpunkt. Teuere Geschenke waren nicht ungewöhnlich.
So saß ich also am Schreibtisch und erfreute mich an den Früchten eines anstrengenden Tages, während es still in unserem großen Haus wurde.
Zudem hatte ich mein erstes Glas des heimlichen Glückes intus, was mich etwas sanftmütiger hat werden lassen.
Dennoch aufgekratzt war an Schlaf nicht zu denken.
Ich entschloss mich, mir ein zweites Glas Glühwein aus dem Keller zu holen und wankte benebelt aus meinem Zimmer. Unten auf der Treppe sah ich die Kellertür zum Garten offenstehen - nicht wirklich überraschend, mit Kindern im Haus.
Plötzlich war da dieses Geräusch.
Ein Kratzen, das sich wiederholte.
Es kam aus dem Raum mit den Kohlen. Dessen Tür stand ebenfalls offen.
Musste ich mir Sorgen um meinen Glühwein machen? Hat den jemand entdeckt? Junge, was hätte ich ich für Ärger deswegen bekommen.
Vorsichtig schlich ich mich heran, sah um die Ecke und konnte es kaum fassen.
Ein fremder, sehr beleibter Mann, im schmutzigen Weihnachtsmannkostüm, stand dort an der Reinigungsklappe des Schornsteines, kratze mit einem großen Holzlöffel Ruß heraus und befüllte einen Sack damit. Er nahm eine Prise davon, streute sich das Pulver auf seine linke Handoberseite und hielt sich diese an die Nase.
Angetrunken wie ich war, dachte ich nicht groß nach und rief:
»Ey, du Penner! Was soll das denn jetzt hier?«
Der Mann drehte sich erschrocken um. Ertappt sah er mich mit glasigen Augen an. Seine Nase, und der Bart darunter waren schwarz.
Hatte der sich jetzt tatsächlich Ruß wie Koks reingezogen?
Wie irre war das denn?
Mit einem Mal dann stürmte er mir entgegen, schob mich beiseite und rannte in den Garten. Ich taumelte hinterher, vermied es aber laut dabei zu werden.
Draußen erschrak ich und konnte es einmal mehr nicht fassen.
Dort stand ein großer Schlitten, mit Säcken darauf – doch das war noch nicht alles.
Rentiere, echt? So wurde ja immer behauptet. Nee, für’n Arsch.
Sechs eselgroße Ratten mit langen Beinen und dicken Nasen standen dort angespannt vor dem Gefährt und starrten mich rattig an.
Der Mann indes sprang agil in den Schlitten, schaltete Lichter an, schüttelte eine Leine und rief mit rollender Stimme: »Hoho! Auf, Ratzenpack!«
Das Gespann setzte sich in Bewegung, erhob sich in die Lüfte und flog eiligst davon.
Unfassbar!
Wie gelähmt stand ich da und sah hinterher.
Dann jedoch, ganz überraschend, flog der Schlitten zurück und stoppte genau über mir. Der seltsame Weihnachtsmann sah grinsend zu mir herunter, öffnete einen Sack und schüttelte eine Ladung Ruß über mir aus.
»Frohe Weihnachten, Pickelfresse!«, sagte er höhnisch und flog endgültig in die Nacht.
Wie betäubt stand ich da und sah auf meine Kleidung.
Toll. Ruß.
Danach ging ich still zurück ins Haus, hinein in den Kohlenkeller, nahm die Glühweinflasche mit in die Waschküche, zog mich aus und warf meine Kleidung in die Maschine – inklusive der Turnschuhe.
Waschpulver rein, 60 Grad, ratschratsch, an.
Anschließend schlurfte ich teilnahmslos zurück nach oben und unter die Dusche. Hinterher setzte ich mich, als ob nichts gewesen wäre, nackt an meinen Tisch, nahm einen Schluck Glühwein und spielte einfach weiter.

Als ich morgens aufwachte, war die Flasche leer und meine Wäsche wieder sauber.
Oh my crap! Ich nahm mir vor, im nächsten Jahr auf Alkohol zum Fest zu verzichten.

(BE)SINNLICHE WEIHNACHTEN

„Oh,jaaaaa Erwin! Gleich…gleich…jaaaaaa,ich kooommmeee!!!“.
Ich schwebe im 7.Himmel.
Endlich mal wieder!
Ostern ist verdammt lange her und von den blauen Pillen will mein geliebter Ehemann leider keine schlucken.
3 Mal im Jahr ist eindeutig zu wenig!
Mit 82 ist doch die Lust nicht einfach weg. Warum auch?
Aber bald ist ja Weihnachten…
Ich schleudere mir die roten engen Pumps von meinen geschwollenen Füßen.
Durst! Ab in die Küche.
Hoppla! Ich stoße mit einem großen Etwas zusammen.
Panisch schalte ich das Licht an. Einbrecher?
" Ach,du bist es nur.Hey,Weihnachtsmann schön dich zu sehen!"
Er erwidert nichts, starrt mich nur aus weit aufgerissenen Augen komisch an.
Schweiß glänzt auf seiner Stirn.
" Magst noch nen warmen Kakao und paar selbstgebackene Plätzchen bevor du weiterziehst?"
Er schüttelt den Kopf, nuschelt ein schnelles " Fröhliche Weihnachten " und eilt aus der Tür heraus.
Nanu,was hatte er denn bloß ?
Ich blicke an mir herunter.
Ja,vielleicht hätten die Strapse eine Nummer größer sein müssen.
Oder ist es die Farbe?
Aber eigentlich steht mir das Rot doch ganz ausgezeichnet.
Egal,ich habe keine Zeit mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
Es ist mittlerweile schließlich der 24. Dezember und unterm Tannenbaum wartet ein wackelndes und laut brummendes Geschenk darauf, von mir ausgepackt zu werden…ho,ho,ho

«Drauss vom Walde komm isch her und muss eusch klagen mein Schnaps is’ gleich leer.»
Der Rote fiel vornüber in den Geschenkeberg. Die Spritzwasser Kalaschnikow 2,5 Liter Ausspritzvolumen, Plastikschalldämpfer und Wechselmagazin, brach in der Mitte. Das Gesellschaftsspiel: Seelenverkäufer teuer verkauft, mit extrahohem Zombifrachtkran, der kleine Zombis in Container laden konnte, die dann auf ein bereits leckgeschlagenes Contaierschiff kommen, auch Bruch. Daneben das neue Android CSI 14 Excalibur, mit Ole Hyperdisplay, dessen 42 Terabyte Kamera bis zum Andromedanebel heranzoomen kann, zerbarst unter knackigem Knirschen des Rotbäuchigen.
«Dreck und Müll!», schimpfte der Weißrauschebart und kickte den Kram kopfschüttelnd in den offenen Kamin.
«Der Weihnachtsmann ist da! … Verdammt!», tönt er mit galliger Stimme. Die glucksende Flasche schlägt gegen seine Schneidezähne.
Glucks, Glucks, Glucks, Rülps.
Ich beobachtete das Spektakel in aller Ruhe, schraubte nebenbei den Schalldämpfer auf meine Waffe. Er hat ausgedient! Ich sehe es deutlich. Ich habe frei bis Ostern. Auf dem Ohrensessel mit Pfoten hochgelegt, wollte ich noch kurz über das Leben, den Tod und den Zusammenhang dazwischen nachdenken. Ein wenig meiner weihnachtlichen Melancholie nachhängen, mich in Seeliger Sensibilität suhlen und dazu, ahh Quatsch! Natürlich nicht!
Ich bin sein Buddy! Er ist am Ende!
Ich will nur eine gute Möhre knabbern mit süßem Herzen, denn ich bin lieber lustig! Lachen ist mein Vitamin D3 plus K.
Genauso hatte ich mir den alten Sack vorgestellt. Weihnachtsmannalarm tippte ich ins Handy. Und zweite Nachricht, meinereiner regelt das!
Kaum dass ich mich fragte, wo denn wohl die Rentiere parkten und warum ich den glockenklingenden Schlitten nicht gehört hatte, beantwortetet mir das heitere wankende Männchen die Fragen auch schon im süffisanten Selbstgespräch.
«Rentierflugverbot! Helfer? Von wegen, Lebkuchentariflohn. Nicht unter Christmas Tarif. Ahhh, alles Betrug. Goldtalerskandal, Schokoladenfälschungen. Komm stoß mit mir an du hässlicher Baum.»
«Brikett oder Rute?», rief ich,«hallihallo, ja, ich rede auch gern mit mir selbst wenn ich Expertenrat brauche.»
Er drehte sich und riss drei Glaskugeln und die gute Echtglasspitze vom Baum.
«Der Gute mit dem bösen Blick. Da geht noch was bei dir! Sowas sehe ich!»
Er beäugte mich und die Waffe, sah uns im Halbdunkel sitzen. Er hob die Hände.
«Wer bist du? Was willst du von mir?»
«Meinereiner? Hmmm, geht wohl eher darum wer du bist!», sag ich kauend mit leicht nuscheligem Überbiss.
«Eine aussterbende Art bin ich, was sonst. Mach schon, ich bin eh am Ende.»
Ich zielte auf seinen Kopf.
«Okay, wie beschleunigen dein Aussterben! Peng!»,rief ich und schoss einen heftigen Wasserstrahl mitten in seine abwesende Gesichtsmimik.
Ich knipse das Licht an und sage:«Burnout oder Alkohol, das ist meine Frage?»
«Nein verdammt! Woher denn, bei meinen Arbeitszeiten?»
«Was ist es denn?»
«Existenzkrise! Es gibt mich bald nicht mehr! Ich bin wegsolzialmedialisiert.»
«Meinereiner hat Insta, Twitter, TikTok und ich kenne Tweety persönlich! Komm in unsere Gruppe, wir bauen dich auf. Du musst in eine Gruppe, Weißbart.»
«Ich bin so allein. Nikolaus und Knecht Ruprecht habe ich neulich erst im Amt getroffen. Einwanderungsbehörde. Zack und Weg!»
«Ja die waren cool, die haben doch dieses good Cop bad Cop Ding bei den Kindern gefahren, die dann später psychologisch behandelt werden mussten. Ei fein!»
«Jahahaha! Das waren noch Zeiten! Rute und Brikett! Hat gezogen. Die hatten schon dreimal in die Hose voll, bevor ich mit unmenschlich lauter Glocke durch die Tür kam, dass jede zweite Hauskatze auf der Stelle tot umkippte.»
«Ich frag morgen den Doc, wir kriegen das hin, Ich hab den Roadrunner gecastet und ihn in zum Boxenstopp gebracht, dagegen bist du nicht mehr als ein neues Weihnachtskeksrezept. Wir müssen dein Konzept neu auflegen, Weih-nachts-mann? Das ist doch kein Name! Ein Heldenoutfit, ein freundliches Image braucht es heutzutage. Angst war gestern, mein roter Rutenfreund!»
Der alte Mann verknotete seine Finger in merkwürdigen Mudras, wenn er nicht pausenlos am Bart zuppelte.
«Ich seh schon, erstmal sechs Wochen Doc Morris, dann Looney Tunes, die alten Muster müssen raus. Blutwäsche über Disneykur! Trickfilmgrundkurs. Strolchi, Cup und Cupper, die ganze Chose! Vielleicht sogar ein funkelndes Marvel Comeback! Mr. Christmas! Yeah! Ich sehe dich vor mir! Mr. Christmas kann fliegen, Telepathie, Zeitreise, Teleportation, mit Rentieren reden, Pfefferkuchenmännchen zum Leben erwecken, Ohhh jaaa! Er ist sooo mächtig! Und, mein roter blasser Freund, er hat ein nicht zu unterschätzendes Gewaltpotential! Das ist wichtig, wenn du heute noch was werden willst. Bischen Yosemti Sam, etwas vom Kojoten und ’ne Priese unterschwelligen Duffy Duck rein, da geht was bei dir! Big Stuff alter Briketschädel!»
Ich biss von meiner Möhre ab, stieß ihn freundschaftlich an und tapste mit der Pfote die Schulter.
«Wird schon!»
Er beugt sich zu mir. Er ist wie alle anderen, nur eben offiziell verkleidet.
«Können wir ein Selfie machen?», raunt er halb hüstelnd und leicht verlegen.
«Klar, klar, klar, Meinereiner liebt Selfies! Jubel, Trubel, Heiterkeit. Smile!»
Ich biss beherzt und gestärkt von meiner Möhre ab rieb ein zweimal mit der Zahnseide nach und schnalzte die Zunge durch die Hasenzähne.
«Jubel, Trubel, Heiterkeit, wer nicht lacht, der kommt nicht weit. Freu dich auf unser Osterspecial du bist dabei. Und jetzt lass uns singen: Das Publikum war heute wieder wundervoll, und traurig klingt der Schlussakkord in Moll…»

Müde

Der Weihnachtsmarkt ist leergefegt, die Musik verklungen. Zu spät. Verdammt.
Wieso musste es schon wieder ein Notfall geben? In letzter Zeit wurde es dauernd spät, und das Gefühl von der Arbeit direkt ins Bett zu gehen und danach wieder zur Arbeit, war real.
Also nach Hause, schade, ein Glühwein und ein paar Mandeln hätten zwar Sodbrennen beschert, aber gleichsam die Erlebnisse der letzten Tage weggeätzt.

Wie friedlich die Straßen sind. Ich bleibe einen Augenblick stehen und lasse die Ruhe auf mich wirken.
Heiligabend, hatte ich fast vergessen.
Hier und da erhasche ich einen Blick in die beschlagenen Fenster der Erdgeschosswohnungen. Sie sitzen sicher alle um den fein geschmückten Christbaum herum, den einen leuchten die Augen vor Freude, den anderen vom Rotwein.

Endlich angekommen. Das Treppenhaus ist ruhig, die Nachbarn sind zur Verwandschaft gefahren. Gut für mich, keine nervigen Geräusche werden durch die viel zu dünnen Wände dringen. Die Pizza wartet schon in den Ofen geschoben zu werden. Ich hüpfe erstmal in mein Pyjama und gehe Richtung Küche. Warte mal. Das Licht ist an.
Ok, hab ich wohl vergessen.
Warte mal. Was ist das für ein zischendes Geräusch?
Es flucht.
Vorsichtig schaue in den kleinen Küchenraum und sehe. Was sehe ich da eigentlich? Ein Mensch in roten Klamotten steht am Herd und ist dabei seinen Ärmel zu verbrennen.
„Ähm.“ Der Rotbekleidete dreht sich langsam und starrt mich an, will näher kommen und reißt die Pfanne vom Herd, die scheppernd auf den Boden knallt. Pilze hüpfen munter durch die Küche.
„Sag mal. Wer bist du und was genau treibst du in meiner Küche?“ Ich merke, dass ich zwischen Wut und Lachen schwanke, halte mir die Hand vor den Mund und überlege, ob ich heute irgendwelche Drogen außer literweise Kaffee konsumiert habe.
„Äh, hm, ist das nicht offensichtlich?“
„Ich weiss zwar nicht wer du bist, aber ganz sicher nicht der Weihnachtsmann. Den gibt es erstens nicht und zweitens käme das Christkind zu mir. Und drittens, mach dich bitte vom Acker, ich hab jetzt Feierabend und will meine Ruhe.“
Der Weihnachtsmann schaut mich argwöhnisch an. „Das hier in mein Revier. Das Christkind ist weiter südlich unterwegs.“
„Meinetwegen. Ist mir egal. Sieh zu, dass du verschwindest, ich hab Hunger und will ins Bett.“
„Das weiss ich! Deswegen bin ich hier! Das ist dein Geschenk! Das hast du dir doch gewünscht. Einmal bekocht zu werden wenn du heimkommst!“

Jetzt starre ich. „Das Kochen scheint dir aber nicht gut von der Hand zu gehen,“ sage ich und zeige auf seinen angekokelten Ärmel.
„Wunsch ist Wunsch, du hast dir keine bestimmte Qualität gewünscht.“ Er grinst mich an und sammelt die Pilze vom Boden.
„Nimm die Pizza aus dem Tiefkühler. Du hast nicht zufällig einen Rotwein in deinem Sack?“

Die Botschaft von Weihnachten

Es war endlich still. Er horchte noch einmal, um sich zu versichern, dass wirklich alle zu Bett gegangen waren, bevor er leise einen Schritt vor die Tür setzte. Schließlich sollte ihn niemand erwischen. Ärger wollte er von nun an tunlichst vermeiden. Das Holz des alten Parkettbodens knarzte unter seinen kleinen Füßen. Langsam und so geräuscharm wie möglich machte er einen Schritt nach dem anderen und nährte sich der Treppe, die in das Untergeschoss führte. Auch die Stufen gaben unter dem Gewicht des Jungen nach und ächzten. Die Idee dazu war ihm heute Nachmittag gekommen, als er stundenlang die Wand angestarrt und sich überlegt hatte, was die Worte bedeuteten, die man ihm zuvor entgegengeschleudert hatte.

Er wartete seit einer Stunde am Gartentor darauf, dass sein Bruder aus dem Kindergarten kam und er mit ihm spielen und eine Schneeballschlacht machen konnte. Als seine Oma endlich mit diesem um die Ecke bog, sprang er von der Mauer und hüpfte vor Freude auf und ab. Oma ging direkt ins Haus. Sein Bruder jedoch, blieb bei ihm und sie begannen die Schneeballschlacht. Mitten im Spiel wurden sie so euphorisch, dass sein kleiner Bruder rückwärtslief, um den Schneebällen, die Theo auf ihn abfeuerte besser ausweichen zu können. Dabei stolperte er und fiel rücklings in den Schnee. Er begann zu weinen und Theo hörte sofort auf zu werfen. Er lief so schnell er konnte zu seinem Bruder, um ihm aufzuhelfen und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Dadurch übersah er jedoch die Schneemänner, die sie gestern gebaut hatten und lief mit voller Wucht in einen hinein. Beide gingen zu Boden und der Schneemann zerschellte. Da es der Schneemann seines Bruders gewesen war, begann dieser nun noch lauter zu schreien. Theo versuchte aufzustehen und genau in dem Moment, in dem ihm das gelang und er inmitten des Schneehaufens stand, kam seine Oma heraus, um nach dem Rechten zu sehen.
Als sie ihn auf den Überresten des Schneemanns stehen und seinen Bruder bitterlich weinen sah, verfinsterte sich ihre Miene und sie lief wutentbrannt auf Theo zu. Schon von weitem begann sie, mit ihm zu schimpfen und schrie dabei so laut, dass Theo gedacht hätte sein Bruder habe aufgehört zu schreien, wenn er nicht immer wieder in seine Richtung geblickt und die Tränen unaufhörlich kullern gesehen hätte. Wie gern wäre er jetzt zu ihm gegangen, hätte ihm aufgeholfen und ihn getröstet, doch in dem Moment wurde er schon von seiner Oma am Arm gepackt und ins Haus gezerrt. Dort zog sie ihm grob die Wintersachen aus, schickte ihn zum Händewaschen ins Bad und anschließend in die Ecke, wo er stehen bleiben sollte, bis sie ihm erlauben würde, wieder herauszukommen.
"Dass du nicht einmal vernünftig mit deinem Bruder spielen kannst, wie alle anderen Jungen in deinem Alter. Du bist wirklich ein ganz ungezogenes Kind! Dein Bruder hat sich solche Mühe gegeben, den Schneemann zu bauen und du springst einfach hinein und machst ihn kaputt. Solche Kinder mag der Weihnachtsmann gar nicht. Da ist er bestimmt ganz enttäuscht von dir und kommt dieses Jahr nicht.“
Mit diesen Worten und ohne dass Theo etwas erwidern konnte, ließ sie ihn im Gang zurück und ging zu seinem Bruder, der von alledem nichts mitbekommen hatte. Sie holte ihn rein und nahm ihn zum Aufwärmen mit in die Stube. Theo wartete brav in der Ecke, bis seine Mutter am Nachmittag nachhause kam und ihn auf sein Zimmer schickte.

Er nahm den Beutel, den er über der Schulter getragen hatte, hervor und begann den Inhalt auszupacken: ein gefalteter Stern für Oma, eine selbstgebastelte Perlenkette für Mama, sein Stoffhund Benno für seinen kleinen Bruder und ein gemaltes Bild für seinen Papa, auch wenn dieser zur Bescherung sicher nicht da sein würde. Er wusste ganz genau, wie sehr sich sein Bruder einen Hund gewünscht hatte und dass Mama die Kette im Schmuckladen um die Ecke letztens gern mitgenommen hätte und auch, dass Oma jede Nacht zu dem Stern im Himmel schaute, auf dem Opa nun auf sie wartete, da sie ihn schrecklich vermisste. So hatte er heute den Nachmittag und Abend damit verbracht, eine Möglichkeit zu finden, ihre Weihnachtswünsche dieses Jahr doch noch zu erfüllen. Denn dass alle anderen wegen seines Fehlverhaltens dieses Jahr keine Geschenke bekommen sollten, das wollte er keinesfalls. Es war sein Fehler gewesen und darunter sollten die anderen nicht leiden müssen.
Gerade als er alles unter dem kleinen Baum in der Wohnstube verteilt hatte und sich den Beutel greifen wollte, um wieder zurück in sein Bett zu gehen, hörte er ein Knistern und Schaben. Oh Schreck! Es war jemand wach geworden. Schnell versteckte er sich hinter Opas altem Sessel, in der Hoffnung, derjenige würde die Geschenke übersehen, wenn er nach dem Rechten sah und schnell wieder nach oben gehen.
Doch was er im nächsten Augenblick sah, konnte er nicht glauben. Aus dem Kamin im Wohnzimmer, stieg ein Mann. Dieser war ganz in Rot gekleidet, hatte einen weißen Bart und über der Schulter trug er einen sehr schwer aussehenden Sack. Vor seinen Augen war doch tatsächlich gerade der Weihnachtsmann aus dem Kamin gestiegen und machte sich nun daran, seine Geschenke ebenfalls unter den Baum zu legen. Dieser stockte kurz, sah sich im Zimmer um und fuhr dann in seiner Bewegung fort.
„Weihnachtsmann?“, fragte Theo nun zaghaft, während er ein Stück aus seinem Versteck hervorkroch. Der Angesprochene erschrak und sah mit aufgerissenen Augen in die Richtung, aus der er die Kinderstimme vernommen hatte. Diese sollten ihn doch keinesfalls sehen. Als er den Jungen jedoch zusammengekauert hinter dem großen Sessel entdeckte, wurde sein Blick ganz weich.
„Dann bist du wohl der, dessen Geschenke ich hier schon gefunden habe, kleiner Theo?“, sprach er nun ganz ruhig. Der Junge nickte nur stumm und schien sich immer noch unsicher, ob er seinen Augen trauen konnte oder ob er nicht doch träumte. Der Weihnachtsmann sprach weiter: „Das ist aber sehr lieb von dir.“
„Warum bist du hier?“, platzte es aus Theo heraus. Da begann der alte Mann herzhaft zu lachen. Als er sich wieder beruhigt hatte, antwortete er: „Es ist doch Weihnachten, mein Junge. Wo sollte ich sonst sein?“.
Theo wurde unsicher. „Aber ich habe mich doch nicht gut benommen. Deshalb kommst du doch dieses Jahr nicht. Ich war ein ganz furchtbares Kind. Solche Kinder bekommen keine Geschenke.“

Plötzlich schaute der Weihnachtsmann sehr ernst. Theo schluckte. Hatte er es etwa noch nicht gewusst und war nun den ganzen weiten Weg vom Nordpol umsonst hergekommen? Doch da sagte der Weihnachtsmann etwas, dass Theo auch zehn Jahre später nicht vergessen hatte: „Es gibt keine furchtbaren Kinder. Kinder machen Fehler. So lernen sie und die Aufgabe der Erwachsenen ist es, dabei auf sie zu achten. Und du, Theo, du bastelst einen ganzen Abend Geschenke für deine Familie. Würde ein furchtbares Kind so etwas tun? Du bist nicht perfekt. Das ist keiner. Aber du bist ein wundervolles Kind.“
Endlich traute sich Theo, zum Weihnachtsmann aufzusehen. In seine Augen war dieser kindliche Glanz, ein Hoffnungsschimmer zurückgekehrt und er versicherte sich: „Ja wirklich? Glaubst du das ehrlich, Weihnachtsmann?“. Dieser nickte vollkommen sicher und ließ keinen Zweifel bei Theo zurück, bevor er die letzten Geschenke aus seinem Sack auf den Boden legte und sich verabschiedete. „Es warten noch viele andere Kinder auf meinen Besuch. Kinder wie du, die es verdient haben, einmal im Jahr beschenkt zu werden. Es wird zwar nie dem Maße gleichkommen, in dem sie uns mit ihrer Anwesenheit beschenken und bereichern, aber es wird sie vielleicht für einen Moment glücklich machen und die Sorgen vergessen lassen, die sie in ihrem Alter noch gar nicht haben sollten.“ Mit diesen Worten verschwand der Weihnachtsmann und Theo ging zurück in sein Bett. Die Begegnung aber, vergaß Theo nie wieder. Ebenso wenig die Worte des Weihnachtsmannes und die Tatsache, dass sein Vater am Weihnachtsabend, doch zum Kafeetrinken kurz vor der Bescherung nachhause gekommen war und sich sehr über Theos Geschenk gefreut hatte.