Seitenwind 2024 beginnt! 1. Teil

Blaulicht. Und Sirenen.
Musik in ihren Ohren.
Franziska Glut öffnete die Beifahrertür, ehe der Streifenwagen zum Stillstand gekommen war, und ignorierte gekonnt den Vorwurf ihres Partners.
Sie sprang auf den Bürgersteig, hörte, wie Emil ebenfalls ausstieg, doch sie beachtete ihn nicht. Ihr Blick war auf die Szenerie im Vorgarten geheftet. So etwas hatte sie in ihrer – zugegebenermaßen erst einjährigen – Laufbahn als Polizistin noch nicht gesehen.
„Was zum Kuckuck“, murmelte Emil und im Stillen musste sie ihm beipflichten.
Auf dem Plattenweg, der zum Haus führte, lag jemand, leblos in einer Blutlache. Das immerhin hatten sie erwartet.
Auch an Schaulustige waren Franziska und Emil gewöhnt. Aber nicht so.
Neben dem Plattenweg hatte sich eine Gruppe versammelt. Alles Männer. Wie die klassischen Gaffer sahen sie nicht aus. Alle in Kunstlederjacken und Jeans gekleidet. Das Wort Uniform kam Franziska in den Sinn.
Wie die Bauern in einem Schachspiel hatten sie sich vor den Eichen, die den Rand des Vorgartens säumten, aufgebaut. Fixierten mit verschränkten Armen und leerem Blick ihre Gegenüber. Eine Frau in einem schicken, altmodischen Kleid und ein Mann auf einer Bank. Die Hände gefaltet, ein seliges Lächeln auf den Lippen.
Die Bergers, kombinierte Franziska, erstaunt, dass ihr Verstand überhaupt noch arbeitete.
Irritiert zwang Franziska sich, weiterzugehen und sich vorzustellen. „Was, bitte, ist hier vorgefallen?“
Der Mann erhob sich von der Parkbank und Franziska entdeckte, dass die Hände seiner Frau mit einem Seil zusammengebunden waren. „Reichen Sie Ihre Kündigung ein“, forderte er, „oder ich werde dieses Grundstück abfackeln.“
Hilfesuchend wanderte ihr Blick zu Emil, der ratlos die Schultern hob.
„Wie bitte?“
„Sie kündigen“, sagte Herr Berger mit Nachdruck, „oder ich zünde das Haus und den Garten an. Während wir alle“ – sein Arm beschrieb einen weiten Bogen – „noch hier sind.“
Ehe Franziska sich eine halbwegs passable Antwort überlegen konnte, bemerkte sie die Krawatte des Mannes. Rotbraun mit kleinen, goldenen Symbolen. Pistolen.

(c) Rebecca

Während seine Frau in Richtung Wintergarten im hinteren Teil des Hauses hetzte, wo ihr altertümliches Festnetztelefon, ein orangefarbenes Relikt der Deutschen Bundespost aus den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf einem verschmierten Glastischchen stand, hielt sich Richard schwer atmend an der Haustür fest. Irgendetwas hatte die völlig absurde Situation der letzten Minuten in ihm getriggert, hatte tief in seinem Inneren eine Erinnerung ausgelöst, die, warum auch immer, etwas mit einem Baumkuchen zu tun hatte.

Ein Baumkuchen, ja, das war es. Nicht irgendein, perfekt Schicht um Schicht gedrehter, altdeutscher Baumkuchen, sondern eine wilde, unregelmäßige, fast schon anarchische Version. Unwillkürlich lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Das war es. Ein Gâteau à la Broche, ein köstlicher Kuchen am Spieß aus den Pyrenäen.

Richards Gedanken rasten, sein Herzschlag beschleunigte sich und der Blutdruck raste in den lebensbedrohlichen Bereich. „Ruf endlich die Polizei!!“, rief er panisch nach seiner Frau, während ein Sprühnebel aus Speicheltropfen am glatten Holz der schweren Haustüre aufschlug und sich dann in einem zarten Rinnsal der Schwerkraft ergab.

Natürlich! Die Pyrenäen. Schicht für Schicht fiel von dem Baumkuchen ab, den Richard und seine Frau - verdammt wie wild und jung sie damals waren - mit rotglänzenden Gesichtern verschlungen hatten, nachdem sich ihre erhitzten Köper auf der dünnen Matratze in der winzigen Gîte de France am Flussufer ekstatisch geliebt hatten. Jeden Tag, jede Nacht, bevor das grauenhafte Unglück zwischen den bedrohlich engen Felswänden der Teufelsschlucht passierte, Ihr großes unausgesprochenes Geheimnis, das sie beide seit dreissig Jahren mit versiegelten Lippen mit sich herumtrugen. Auch damals waren es zwei Männer gewesen, die in billigen Kunstlederjacken eines Abends plötzlich an die Tür ihrer Hütte klopften.

„Die Polizei kommt gleich“. Die Stimme seiner Frau klang weit entfernt und irgendwie verzerrt, doch Richards Atem ging jetzt etwas ruhiger und seine Gesichtsfarbe normalisierte sich. Gleich würde sich dieser Albtraum auflösen und sie würden weiterleben, egal ob sie einen weiteren Klacks Siegelwachs auf ihre Lippen träufeln oder sie gleich mit einem Stahldraht für immer vernähen mussten.

Die Glocke schellte. Quälend langsam öffnete Richard die Tür, wobei die Sicherheitskette eine letzte Barriere zwischen ihm und dem Grauen da draußen bildete. Ein roter Punkt. Das Handy filmte noch immer. Dann schob sich langsam eine schwielige Hand mit schwarzgeränderten Fingernägeln durch den Türspalt. Der abgegriffene fleckige Briefumschlag schrie ihn förmlich an. Jetzt erkannte er auch endlich den so lange verdrängten südwestfranzösischen Akzent. „Das ist das Vermächtnis meines Vaters!“

Offene Enden Teil 2 – Berger rennt – von Falto
Dorothea drückte ihren Mann zur Seite. „Du rufst an“, zischte sie, als sie ihn passierte. Sie schob die Sicherungskette zurück, riss die Tür auf und schleuderte im Loslaufen ihr Gesangbuch dem flüchtenden Handymann hinterher. Im Flug spiegelte das Buch das Sonnenlicht. Trotz ihres langen Rocks und den Schuhen mit den hohen Absätzen holte sie den anderen Kerl überraschend schnell ein. Das nutzte sie und hob im Laufen das Buch auf. Dann verschwanden beide kurz nacheinander durch das Vorgartentor und bogen nach links ab, wo Berger sie wegen der dichten Thujahecke aus den Augen verlor. Er hörte Doro noch rufen. „Stehenbleiben, Hilfe, Polizei.“ Doch die Rufe wurden schnell leiser und erstarben schließlich vollständig.
Er lenkte seinen Blick vom Gartentor zurück vor die Stufen, die zur Haustür führten. Ein versiegender Fluß aus rotem Sirup strömte die Platten des Fußwegs bis zur Treppe, wo die Flüssigkeit im Abtreter versickerte, der über einem Rost lag, der wiederum den Schmutzfang abdeckte. Von dem „Willkommen“ im Abtreter war in diesem Augenblick lediglich noch ein „W…omm“ lesbar. Berger schluckte. Er konnte in dem Chaos aus Sirup und verschmiertem Haar, das der Kopf des bewegungslosen Körpers zur Schau stellte, ein weit aufgerissenes Auge erkennen, das ihn direkt und vorwurfsvoll zu fixieren schien.
Im Fangstrahl des fahlen Auges griff er hinter sich in die Diele zu dem Möbel, auf dem ein schnurloses Telefon in einer Ladeschale steckte. Als seine Rechte das Mobilteil umschloss, übte es auf ihn eine willkommene Ruhe und Sicherheit aus. Er dachte kurz nach, steckte das Mobiltelefon in seine Jackentasche und trat vorsichtig an den Körper auf dem Weg heran. Selbst jetzt, aus einer völlig anderen Perspektive, schien ihn das Auge des Fremden anzusehen. Berger ging in die Hocke, reckte die Arme, so dass die Ärmel der Jacke und des Hemds zurückrutschten, holte tief Luft und fühlte schließlich mit zwei Fingern und angehaltenem Atem nach, ob der Körper da unten auf Fußweg nicht doch noch einen Puls bot. Er blickte zu Boden, solange seine Finger am Hals des Fremden nach Lebenszeichen suchten, und stellte fest, dass sich von der Treppe weg in Richtung Gartentor graues, stinkendes Gewebe verteilt hatte. Er hatte erst gestern die Platten mit dem Hochdruckreiniger abgewaschen. War das Gewebe etwa …? Berger riss die sondierenden Finger zurück, drehte sich grade rechtzeitig zur Seite. Mit lautem Würgen übergab er sich in den frisch gemähten Rasen am Rand des Fußwegs.
Sobald das Gröbste raus war, zog er das Mobiltelefon aus der Jackentasche und wählte die Notrufnummer. Mit monotoner Stimme nannte er ohne Punkt und Komma seinen Namen, seine Adresse und erklärte, dass ein Toter im Zugang zu seinem Haus rumlag. Und ohne weitere Anweisungen abzuwarten, packte er das Telefon zurück in seine Jackentasche, wandte sich erneut dem bewegungslosen Körper zu und ließ diesmal seine Hand die Innentaschen der Jacke des Fremden untersuchen. Für Berger stand es ganz eindeutig fest, dass Gott ihm nicht einfach so den Sonntag ruinierte. Nichts geschieht einfach so. Und dass Doro ihr geliebtes und kostbares Gesangbuch nach Verbrechern warf, passte genauso wenig in sein Leben, wie roter Sirup und graues Gewebe auf seinem Gehweg. Egal wie er es auch drehte.
Dann stießen seine Finger in den Tiefen der unbekannten Jacke auf einen prall gefüllten, weniger als handbreiten Umschlag, hielten inne und warteten reglos auf weitere Anweisungen. Bargeld. In großen Scheinen schoss es ihm durch den Kopf. „Die Wege des Herrn sind unergründlich, halleluja“, murmelte er. Das flaue Gefühl in der Magengegend machte einer gespannten Neugier Platz. Verbarg die Jacke des Fremden weitere Geheimnisse? Die Finger setzten sich wieder in Bewegung, packten den Umschlag und gaben ihn erst wieder frei, als sie im Freien waren, die Finger der anderen Hand den Umschlag in Empfang nahmen und die Beute in einer Innentasche seiner eigenen Jacke verschwinden ließen. Schließlich setzte sich die Erkundungstour auf der anderen Seite der Jacke fort. Sie förderte einen blassgelben, ungebrauchten Wrigley’s Juicy Fruit, ein einfaches Klappmesser mit Korkenzieher, Kekskrümel und eine Parkplatzkarte zum Vorschein, die den Besitzer autorisierte, den Parkplatz beim Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte zu benutzen. Eine Frankfurter Fahrzeugnummer war mit einem dünnen Filzstift draufgeschrieben. Kaum lesbar. Wer war dieser Kerl, fragte sich Berger unwillkürlich und richtete sich auf. Vielleicht der Hausmeister des Instituts?
Außerdem, wo blieb die Polizei, wunderte er sich. Sollen die sich damit beschäftigen, beschloss er und wollte zurück ins Haus. Ohne darüber nachzudenken, schob er die Fundsachen in eine seiner leeren Jackentaschen. Beim zweiten Schritt an dem Toten vorbei stieß sein Fuß gegen einen schwereren Stein. Hier gibt es keine Steine, erinnerte er sich und suchte die Stelle ab, wo der Stein liegen musste. Es war die Pistole, mit der sich der Typ kurzentschlossen das Licht ausgeblasen hatte. Berger bückte sich und nahm die Waffe an sich. Es war das erste Mal, für ihn, eine Waffe in der Hand zu halten. Sie hatte Gewicht und roch irgendwie nach gebrauchten Chinakrachern. An einer Stelle zeigte sie zahllose Kratzer und Riefen. Wie im Tatort, stellte er fest. Die hatten die Seriennummer entfernt.
Sirenengeheul näherte sich. Sehr rasch. Berger blickte zur offenen Haustür und schüttelte den Kopf. Erst Doro! Dann dieser ganze Kram. Er biss sich auf die Lippen und rannte los. Er passierte das Vorgartentor und bog links ab. Wo er gut sichtbar mit der Pistole in der Hand an einem Polizeiwagen vorbeilief. Reifen quietschten. Berger rannte, was das Zeug hielt. Türen knallten. Noch fünfzehn Meter bis zur Straßenecke. „Polizei, stehen bleiben. Oder wir machen von der Schusswaffe Gebrauch!“ Weniger als zehn Meter bis zur Straßenecke. Berger schlug im Laufen einen Haken. Etwas pfiff ihm am Ohr vorbei. Unmittelbar gefolgt von einem Knall. Jemand rannte hinter ihm her. Berger bog links ab.
Die Straße vor ihm bot auf beiden Straßenseiten steril arrangierte Vorgärten. Jeder von ihnen übersichtlich wie auf einem Schießplatz. Keine Autos, die am Straßenrand parkten. Dafür jede Menge Carports und Garagen. Die Zweite auf seinem Weg stand offen. „Sofort stehenbleiben“, rief jemand hinter ihm. Berger sprintete auf das offene Garagentor zu. Ein Blick in die Garage zeigte ihm von einem Neunelfer halbverdeckt eine offene Seitentür, die ins Wohngebäude führte. Berger zögerte nicht einen Augenblick. Er rannte durch die Garage an dem Porsche vorbei ins Haus hinein. Direkt hinter dem Eingang zum Wohnbereich prallte er gegen einen Mann. Beide stürzten. Im Fallen gelang es Berger, die Zwischentür zuzustoßen. Der andere wollte wie Berger aufspringen, verharrte unerwartet und zeigte auf die Pistole, die dem Eindringlin aus der Hand gefallen war. „Berger? Sie? Woher haben Sie die? Sie haben denen doch hoffentlich die zehntausend Euro überlassen.“
Berger klappte vor Verblüffung die Kinnlade runter. Inzwischen erkannte er seinen Nachbarn wieder, Thalmann oder so. Ihre Gartengrundstücke grenzten aneinander. Mehr nicht.
„Haben Sie nicht“, stellte der andere nüchtern fest. Ein Lächeln nistete sich unter dem gezwirbelten Schnurrbart ein. Alles an ihm schien sich zu entspannen. „Sie sitzen in der Tinte. Aber so richtig.“
Keine Zeit für Fragen. War keine gute Idee, die Waffe vom Tatort zu entfernen, erkannte Berger. Er hob die Pistole auf und beruhigte seinen Atem. Für eine Millisekunde streifte sein Blick einen umgestürzten Eimer, aus dem die Ecke eines Buches mit Goldschnitt herausragte. Berger wollte sich zu dem Buch runterbeugen. Im gleichen Augenblick hämmerte es an der Verbindungstür von der Garage zum Wohnhaus. Er musste weiter. Ohne seinem Nachbarn eine Erklärung zu geben oder sonst wie zu würdigen, gelangte er über den Flur ins Wohnzimmer, von dort auf die Terrasse und verschwand in der dichten Thujahecke seines eigenen Grundstücks.

Offene Enden – zweiter Teil

Zehntausend Anzeigen

Von Markus Westbrock

Polizeihauptmeister Peter Müller war trotz seiner bald dreißig Dienstjahre überrascht. An die Wochenenddienste hatte er sich gewöhnt und sogar Freude daran gewonnen, sonntagsvormittags eine ruhige Kugel zu schieben. Das hatte ihn zwar seine Ehe gekostet, doch dafür nicht sein Nervenkostüm. Die Laufkundschaft war an den Vormittagen der Wochenenden in der Regel überschaubar – im Gegensatz zu den Abendschichten, in denen alkoholisierte Partygänger gerne mal ausrasteten.

Heute war alles anders.

Auf seinem Bildschirm im Chefbüro, das er am Wochenende nutzen durfte, weil die Vorgesetzten diese Dienste mieden, blinkte eine auffällige Meldung und wies darauf hin, dass die Telefonzentrale des Notrufs drastisch überlastet war. Bereitschaftskräfte der Landesreserve mussten mobilisiert werden. Darum kümmerte sich die Leitstelle selbst. Ihn interessierte viel mehr der Grund.

Er eilte hinunter in das Großraumbüro des Bezirksdienstes und staunte schon wieder. Nur einer der acht Schreibtische war besetzt, es sollten laut Wochenenddienstplan drei sein. Er näherte sich seinem Kollegen Heinz Schröder, der soeben den Telefonhörer auflegte. Müller fragte ihn:

»Sag mal, was ist denn los? Da oben bekomme ich gar nichts mit!«

»Setz Dich ruhig wieder an Deinen Platz hier unten, Frankfurt dreht durch! Es liegen inzwischen über hundert Selbsttötungsmeldungen vor. Alle in Tateinheit mit räuberischer Erpressung.«

Aus der Ruhe bringen ließ sich Müller davon nicht. »Ich bin mir sicher, dass der Spruch ‹Geld oder Leben› früher mal anders gemeint war. Vielleicht brauchen wir keine Hundertschaft der Landesbereitschaft, sondern von den Typen mit den weißen Turnschuhen?«

Schröder verzog das Gesicht, um auszudrücken, dass er momentan für Humor nicht empfänglich war. Bevor er etwas antworten konnte, klingelte wieder sein Telefon und er nahm ab.

Müllers Diensthandy vibrierte. Er entfernte sich ein paar Meter zu seinem eigentlichen Schreibtisch und meldete sich.

»Chef, ich brauche Dich sofort hier vorne!«, rief seine Kollegin Lena, die so jung war, dass sie am Empfang sitzen musste.

»Du sollst mich doch nicht so nennen«, sagte er vorwurfsvoll und machte sich auf den Weg. »Ich bin so gut wie da.« Er beendete das Telefonat und öffnete die Tür zur Wirklichkeit.

Der Empfangsraum bot einigen Beamten Platz und diese waren rund um die Uhr besetzt. Jetzt standen alle vier um einen fünften Mann herum, den Müller nicht kannte, der jedoch innerhalb des Schutzbereiches stand. Der Unbekannte hatte blonde Haare und blaue Augen, die aus schmalen Strichen herausblickten. Er trug eine dunkelblaue Brille und wandte sich sofort an Müller.

»Sind Sie hier der Chef?«

»Nur sonntags in der Früh und wer sind sie?«

»Konrad Teckel, Abteilung Cyberkriminalität.«

»Ah, geht es um den beschlagnahmten Computer in der Steuerhinterziehungsaffäre von letzter Woche? Es ist zeitlich gerade etwas ungünstig.«

»Nein. Ich bin hier, weil es bei ihnen gerade so ungünstig ist. Ich kenne den Grund und wir ermitteln ab hier gemeinsam.«

»Äh. Erklären Sie es mir oben im Büro.«

Die enttäuschten Gesichter seiner Kollegen ignorierend, führte er Teckel in die Räumlichkeiten seines Chefs. »Also, dann mal raus mit der Sprache, was geht da draußen vor sich?«

»Ich zeige es ihnen«, antwortete Teckel und schloss sein Notebook, das er aus seiner Aktentasche holte, an den großen Fernseher an. Nach wenigen Sekunden sah Müller das übliche Hintergrundbild der hessischen Polizei, bis sich ein Browser öffnete und eine Seite zeigte, die ihn verwirrte.

Unter der Überschrift »Geld oder Leben?« blinkten die Worte »Wettannahme geschlossen. Projekt läuft und wird ausgewertet!« In der nächsten Zeile waren Zähler zu sehen: »Geld: 84 # Leben: 2511« – Ein Fortschrittsbalken, wie Müller ihn von Downloads kannte, stand aktuell bei ca. einem Viertel, hatte demnach noch 75% vor sich.

Der Rest der Seite, die reichlich nach unten zu scrollen war, zeigte viele kleine Fenster, die entweder einen Videolivestream übertrugen oder nur Standbilder abgelaufener Videos waren, auf die man ein Eurozeichen oder ein christliches Kreuz gezeichnet hatte.

»Verstehe ich das richtig? Das Ganze ist ein Wettspiel, das gerade live stattfindet und ins Scheiß-Internet übertragen wird?«, brauste Müller auf, der nun doch am Ende seiner Geduld angekommen war.

»So sieht’s aus«, antwortete Teckel, »Der Betreiber der Seite ist nicht so schnell zu ermitteln, die Daten kommen aus der ganzen Welt und geroutet wird sie über Russland, Südkorea und China.«

»Und wie retten wir jetzt die 7000, die noch übrig sind?«

Als die Polizei eintraf, warfen Sie nur einen kurzen Blick auf den Toten und wandten sich dann an Richard Berger.
»Wir müssen Sie bitten, mitzukommen«, sagte einer der Polizisten bestimmt.
Richard konnte das einfach nicht glauben. Ihm wurde heiß und kalt zugleich und er erwiderte: »Ich kann doch gar nichts dafür!«
»Das sehen wir anders«, meinte der größere Polizist. »Wir fassen das als fahrlässige Tötung auf und jetzt nehmen Sie die Hände hinter den Rücken!«
Er legte Herr Berger in Handschellen und wandte sich daraufhin an seinen Kollegen: »Du kannst durchfunken, dass wir den Täter haben. Die Spurensicherung soll kommen.«
Das konnte nur ein sehr schlechter Scherz sein!
»Dorothea!«, rief Richard verzweifelt seiner Frau zu. »Tu etwas!«
Aber diese zuckte nur die Schultern und sagte: »Du hast es doch gehört. Du bist schuld daran und ich sehe das ebenso.«
Ohne dass er noch viel mehr dazu sagen konnte, führten die Polizisten Herrn Berger ab.
Unter den Blicken der neugierigen Nachbarn manövrierten sie ihn in das Polizeiauto und fuhren ihn zur Wache.
Auf der Fahrt dorthin hatte Richard Zeit, sich Gedanken zu machen.
›Was wird da gespielt?‹, grübelte er und ihm war zum Weinen zumute. Langsam gab er sich sogar selbst fast die Schuld an diesem Vorfall.
»Ich habe nichts getan!«, rief er zu den Polizisten, wie um es sich noch einmal zu verdeutlichen.
»Nichtstun ist ebenso verwerflich. Vor allem für Leute mit Geld«, lachte der Große nur.
›Warum lacht er in so einer ernsten Situation?‹, fragte sich Richard.
Irgendetwas war hier absolut seltsam!

Die Leiche – Teil 2

»Erzählen Sie uns doch bitte noch mal alles von vorne.«

In Richard stiegen Unverständnis und Wut auf. Sein Sonntag war versaut. Die neue Krawatte hing wie ein loser Galgenstrick um seinen Hals.

Zehn Minuten nach dem Anruf waren die ersten Streifenwagen vorgefahren, das Blaulicht an, versperrten die verschlafene Quartierstraße. In den Fenstern der Nachbarschaft wurden Vorhänge zur Seite geschoben.

Es vergingen weiter zehn, fünfzehn Minuten, den Bergers kamen sie vor wie eine Stunde, da klingelte es an der Tür und Richard ließ die beiden Ermittler der Mordkommission ein. Sie stellten sich als Justus Vilösen und Samuel Decker vor. Sofort legte er mit seinen Schilderungen des Tatvorgangs los. Doch Decker ging ins Wohnzimmer und setzte sich in einen Couchsessel. Dies sei der geeignete Ort, um über den Tathergang zu sprechen.

Und jetzt also die Geschichte zum Dritten. Bei jeder Version fügte Richard seiner Aussage neue Details dazu, die er zuvor noch nicht erwähnt hatte, schmückte sie mit weiteren Nuancen und Vermutungen. Decker hörte wortlos zu, machte Notizen, schüttelte ab und an den Kopf, was Richard irritierte.

Vilösen war mit Dorothea in die Küche gegangen, um sie zu befragen, gleichzeitig, getrennt von ihrem Mann.

»Ich konnte nicht verstehen, was Richard mit den Männern an der Tür gesprochen hatte. Er hatte seinen Kopf im Spalt der verriegelten Tür. Ich war dabei mich für den Kirchgang fertig zu machen, überlegte welche Handtasche besser passe, ob ich ein Foulard umlegen solle, als der Schuss fiel. Ich hab mich erst nicht ausgekannt, es war so laut, ich wusste nicht, woher es kam. Bis Richard sich an der Tür zu mir drehte, ganz weiß im Gesicht und stammelte, ich solle die Polizei rufen.«

»Nein, wir haben keine Feinde, niemand der uns Böses will.«

»Nein, ich weiß nicht, warum jemand wollte, dass Richard zehntausend Euro bezahle.«

»Vielleicht haben sich die Männer in der Adresse geirrt.«

»Ganz ehrlich, so rosig geht es uns zur Zeit auch nicht. Die Reiseveranstalter drücken die Margen, an den Flügen verdienen wir gar nichts mehr und die Konkurrenz durchs Internet wächst.«

»Ah, die neue Krawatte meines Mannes mit den goldenen Eurozeichen, die hat er von mir. Schrecklich die Farben, finden Sie nicht auch? Sie soll ihn daran erinnern, in Zukunft die Finger von Aktiengeschäften zu lassen.«

Die Haustür, niemand hatte sie nach dem Eintreffen der beiden Ermittler geschlossen, wurde aufgestoßen. Ein untersetzter Mann in einem ausgebeutelten dunklen Jackett trat ein und polterte. »Is ja klar. Immer wieder sonntags. Wo ist die Leiche?«

»Guten Tag, Gottfried. Es gibt keine Leiche«, sagte Decker.

Richard und der Forensikarzt riefen gleichzeitig: »Wie bitte?«

»Soll das ein Witz sein? Über Tote macht man keine Witze! Vor dem Haus, auf dem Plattenweg, unten an den Stufen, liegt die Leiche. Sie müssen beim Reinkommen über sie gestiegen sein.«

Decker legte Richard die Hand auf die Schultern und geleitete ihn zur Haustür und stieß sie auf. Außer den vier blinkenden Streifenwagen, störte nichts die sonntägliche Ruhe vor dem Haus. Die Vorhänge glitten zurück.

»Sehen Sie. Keine Leiche. Darum frag ich mich, was soll das? Wozu haben Sie die Polizei gerufen?«

»Da lag die Leiche, da war Blut, unten am Weg. Ich habs doch gesehen, wie der sich vor meinen Augen erschossen hatte.« Richard klang verzweifelt.

»Kein Blut. Keine Leiche, Herr Berger«, sagte Decker. »Aber wissen Sie, was eigenartig ist? Alle Nachbarn bezeugen, heute Morgen bei Ihrem Haus einen Schuss gehört zu haben.«

Andreas Augen brannten vor Müdigkeit. Erstens war es Sonntag kurz nach 11 Uhr morgens und zweitens hatte er die Nacht wieder auf der Couch schlafen dürfen, so wie er es wohl die nächsten Nächte erneut tun durfte, weil er das hier dem Geburtstag seiner Tochter vorzog. Andererseits hatte er auch einfach keine Wahl, selbst wenn seine Frau das anders sah.
Statt nun Kuchen zu essen und das neuste Lego Set zusammenzubauen, saß er also nun schon seit Ewigkeiten in dem Verhörzimmer mit seinem Kollegen.
Warum erwischte eigentlich er immer die Verrückten?
Begleitet von einem Seufzen lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, hatte sich innerlich immer noch nicht festgelegt als was er diesen Fall abstempeln sollte.
Gezwungener Suizid. Als hätte er nicht schon genug Probleme.
„Wollen Sie mir jetzt endlich sagen, warum sich ihr Freund erschossen hat?“, aus dem empathischen Unterton war längst ein genervter Seufzer geworden.
„Alter wie oft denn noch, hätte der Typ ihm einfach das Geld gegeben, hätte das alles nie passieren müssen, der ist schuld, warum sitzen Sie also hier bei mir und stellen mir seit Ewigkeiten, dieselben Fragen, wenn es doch eigentlich um den Typen geht?“
Andreas erwiderte nichts, fixierte den jungen Mann mit seinen Augen. Hager, die Haare zu lang gewachsen, das Gesicht unrasiert. Er wünschte, er könnte sagen, dass irgendwas auffällig war. Doch da war nichts. Und am Ende hatte er auch nur etwas gefunden, gerade weil er etwas finden wollte.
Etwas an der Situation war seltsam. Und damit meinte er nicht nur, dass der eigentliche Freund nicht auch nur den Ansatz von Trauer zeigte. Keine Tränen, Schluchzer, einfach nichts. Hatte sich komplett in die Defensive zurückgezogen, aus der nichts ihn wieder hervorbrachte, egal wie sehr sie es auch probierte. Nein, hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht, auch wenn er am liebsten diesen Fall als „Verrückter Typ hat sich umgebracht, um einmal in seinem Leben im Mittelpunkt zu stehen“ abstempeln wollte.
Andreas seufzte. Herr und Frau Berger waren im Raum nebenan, sprachen ebenfalls seit geraumer Zeit mit Polizisten und der Psychologin der Abteilung. Er würde gleich mal fragen, ob die Kollegen etwas aus ihnen herausbekommen hatten, auch einfach, weil er es nicht länger in diesem Raum aushielt. Er war schlichtweg zu müde für Idioten.
Andreas wusste, er durfte ihn nicht für immer hier festhalten. Doch es musste nur lang genug sein, bis er mehr aus diesem Verrückten herausbekam.

Er pustete den Rauch in die kalte Luft, kniff die Augen zusammen, hatte gehofft, die Kälte würde seine Müdigkeit vertreiben.
Inzwischen hatte das Verhör endlich aufgehört und vermutlich war er genauso schlau wie davor. Nichts hatte man aus dem Mann herausbekommen.
Andreas klemmte sich die Zigarette zwischen die Lippen, massierte sich die Schläfen.
Das Video hatte das Internet und die sozialen Medien geflutet, sie regelrecht überschwemmt, und die anfänglichen Bemühungen, es offline zu nehmen, waren allesamt kläglich gescheitert. Und selbst wenn die Möglichkeit bestehen würde es runterzubekommen, gesehen hatte es ohnehin jeder bisher.
Und kaum war das Video online, die ersten Notrufe bei der Leitstelle eingegangen, hatte sich die Presse auch schon wie Assgeier auf den Fall gestürzt, riefen ununterbrochen bei der Pressestelle an, um irgendwas aus der Polizei herauszubekommen, bloß die Ersten zu sein.
Doch was sollte man schon sagen, wenn man selbst nicht auch nur annähern so viele Infos hatte, wie man haben sollte?
Menschen drängten nach einer Stellungnahme der Polizei, nach Erklärungen, die den Beamten selber fehlten.
Andreas zog erneut an der Zigarette und fuhr sich durch den Bart, den man inzwischen nicht mehr als einen drei Tage Bart bezeichnen konnte.
Die einzigen Informationen waren, dass keinerlei Verbindung zwischen den vier Personen bestand, außer, dass sie Familie Berger für reich hielten und das Geld wohl brauchten, und die Identitäten der beiden Männer.
Es war also nichts. Und schon gar nichts mit dem man vor die Presse wagen konnte zu treten.
Andreas dachte an die Krawatte von Herrn Berger, an die goldfarbenen Eurozeichen. Fast schon zynischer Natur.

Er war nur fünf Minuten beim Rauchen gewesen, doch als er das Präsidium wieder betrat, verriet ihm das Ziehen in seinem Bauch schon, dass er etwas verpasst hatte. Dass er hinterherhinkte, auch wenn es nur um ein paar Augenblicke ging.
„Andi, hast dus schon gesehen?“, rief Patrick zu ihm, kämpfte sich vorbei an all den Kollegen.
„Gibt es ein neues Video?“, und noch bevor Patrick etwas erwiderte, zog er sein Handy aus der Tasche, klickte auf Instagram. Wo das Video auch schon auf ihn wartete.
Eine junge Frau sah in die Kamera. Die Augen verquollen, das Gesicht tränenverschmiert und rot.
„Tja, erst habt ihr gedacht, es wäre ein Scherz, doch nach diesem Video werdet ihr sehen, dass es das nicht ist…“, Schluchzer unterbrachen die junge Frau, wirre Haare fielen ihr ins Gesicht ehe sie erneut den Kopf hob, den Blick der Kamera zuwandte, „Ihr habt mit eurem Geiz einen Menschen getötet. Ihr hättet ihn retten können, doch da euch Menschenleben anderer nichts wert ist, ist der Mann nun tot. Werdet ihr auch bei mir so geizig sein? Ich bin ja so gespannt, wie ihr euch entscheiden werdet.“, ehe ihre Stimme auch schon einbrach und von Tränen und Schluchzern eingenommen wurde.
„Bitte helft mir.“

Autor: Hannah Bachmann

… sagte er dann mit bebender Stimme zu seiner Frau und sackte in sich zusammen. Im nächsten Moment saß er auf dem kalten Fliesenboden, mit dem Rücken an die geschlossene Haustür gelehnt.
Immer wieder tönte der Todesschuss in seinem Kopf. Und immer wieder sah er in das verzerrte Gesicht des Selbstmörders im Augenblick der Tat. Das viele Blut überall. Ihm wurde noch übler.
Die drängenden Fragen seiner Frau, die wissen wollte, was da draußen geschehen war, drangen kaum zu ihm durch. «Er hat einfach abgedrückt», stammelte er schließlich.
Erst die Autos, die sich mit hohem Tempo und Martinshörnern dem Haus näherten und dann stoppten, rissen ihn aus der Endlosschleife der Gewalttat, die sich in seinem Kopf wie ein Karussell drehte.
Inzwischen stand er wieder auf den Beinen und wartete auf das Läuten der Kripobeamten. Doch plötzlich ließ Richard seine Frau allein in der Diele zurück und bewegte sich seltsam roboterhaft in Richtung Arbeitszimmer. Dort öffnete er den Safe und nahm einen Umschlag heraus. Genau zehntausend Euro.

Es handelte sich um die Anzahlung für ein neues Auto. Morgen wollte er den Wagen abholen. Damit hätte er also ein Menschenleben retten können …
«Sie Schwein! Sie Ausbeuter! Sie Kapitalist!», dröhnte erneut die Stimme des jüngeren Mannes in seinen Ohren.
Hätte er …? Nein! Er hatte richtig gehandelt. Wer hätte einem Fremden bereitwillig so viel Geld ausgehändigt. Und wer um Himmels willen hätte denn damit gerechnet, dass dieser Typ sich tatsächlich vor seinen Augen eiskalt selbst auslöscht.

Inzwischen war die Polizei im Haus. Er legte den Umschlag zurück in den Safe und betrat das Wohnzimmer, wo sich ihm zwei Kriminalbeamtinnen vorstellten. Sie forderten ihn auf, die Tat detailliert zu schildern. Also beschrieb er die Situation so genau wie nur möglich.

«Wir haben aber weder auf der Treppe vor dem Haus, noch in der näheren Umgebung eine Leiche gefunden. Der Mann soll sich erschossen haben, sagen Sie. Weit und breit war kein Tröpfchen Blut zu entdecken. Das ist ungewöhnlich. Auch erste Befragungen in der Nachbarschaft sind ergebnislos geblieben. Niemand hat einen Schuss gehört. Wie erklären Sie sich das, Herr Berger?»

Zehntausend Euro.
«Dorothea, hörst nicht, was ich sage? Ruf bitte die Polizei!»
Doch Berger bekam keine Antwort. Eine merkwürdige Stille durchzog das Haus. Die Stille vor dem Unheil. Die Stille vor dem Meteoriteneinschlag ins Leben. Ein zweiter Knall, direkt vor der Haustür, schlug in sein Denken und brach eine Lawine von Szenarien los. Jetzt war Berger nicht mehr nur nervös und unsicher, jetzt stand er neben sich und versuchte, mit zitternden Fingern die verfluchte Eisenkette aus dem Schlitz zu heben. Zweimal fiel sie ihm aus der Hand. Zweimal stieß er Flüche aus und dachte dabei sofort an das Jesuskreuz um seinen Hals. Verzeih! Fuhr der ängstliche Gedanke durch sein Inneres. Doch bis in die Zehen führ der Hall des dritten Schusses und endlich, endlich riss Berger die Kette fort, schloss zweimal um und schwang die Tür auf. Kein Gedanke, mehr daran vorsichtig zu öffnen. Sein Bild im Kopf war klar und deutlich. Ein zweiter Schuss ein zweiter Toter. Ein dritter Schuss? Gott weiß was! Ein dritter Mann? Fest davon überzeugt, zu sehen, was ihm sein Kopf schon als Bild zurechtgelegt hatte, starrte er in weißbläulichen Dunst der Schusswolke. Die Luft roch stechend und er rümpfte die Nase. Bergers Blick begann zu plinkern, als würden seine Lider schwach und er verlöre gleich die Besinnung. «Nein!», rief er. «Nein , nein, nein!»
Seine Rechte wischte mit dem frisch gebügelten Stofftaschentuch über die schwitzende Stirn.
«Jetzt steh nicht da wie Pastor Renk persönlich. Hilf mir lieber», sagte seine Frau. Sie hielt die Pistole, in der einen und das Handy, auf dem der eben noch frisch gedrehte Filmclip der beiden Männer lief, in der anderen Hand. Sie schaute rundum.
«Kirche fällt aus, Richard. Wir haben zu tun.» Er sah ihr Lächeln, doch verstand kein Wort. Wie konnte sie über zwei Leichen gebeugt fröhlich grinsen?
«Dorothea.» Richard zischte es scharf und blickte sich fast ängstlich in der Gegend um. Die Nachbarschaft, sie müsste längst gehört haben, was hier geschah. Sie hörten alles, selbst wenn der Rasenmäher drei Häuser weiter ansprang, oder der Dackel von Frau Wellinghaus wieder jeden Passanten der ihre Hecke passierte, ankläffte.
«Richard, es gibt nichts zu diskutieren. Das sind die beiden! Ich würde sie unter tausend anderen heraussieben.» Sie hob die Pistole wie zum Startschuss eines Rennens, senkte sie ab und zielte auf sein Herz.
«Dorothea nicht!» Doch es war bereits zu spät. Sie feuerte drei Schuss auf seine Brust.
«Ah!» Der Schreck fuhr wie ein Stromschlag durch seine Glieder. Sein Schrei erschreckte ihn selbst mehr als der Hall der Schüsse. Schreck war ein Schmerz, den er nie in dieser Intensität erfahren hatte. Doch es spritzte kein Blut, er fiel nicht, es tat nicht weh, kein toter Richard.
Er schaute konsterniert an seinem Körper herab und dann zu den wimmernden Männern am Boden. Dorothea schoss die restlichen 4 Patronen auf die beiden zuckenden Männer am Boden und warf die Waffe ins Gebüsch.
«Kinderspielzeug.»
Dann lachte sie beinahe hysterisch und brüllte in die Nachbarschaft.
«Wir haben sie.» Stimmen des Jubels von überall. Die Schüsse hatten ohnehin alle alarmiert, doch Doros Schrei war das sichere Zeichen, das sie sich sputen sollten.

Ein Pulk aus Männern und Frauen rottete sich in frischer Morgengarderobe, von mörderisch eng krawattiert, bis achtundsechziger vintage Style oder Jogginghosen zusammen. Den Ton gab Dorothea an, denn sie hielt nun nicht mehr die falsche Waffe mit den Platzpatronen in der Hand, sondern den Jagdrevolver ihres Mannes aus dem Flurschrank. Richard erkannte ihn sofort. Fünf Schuss Vollmantel 9 mm. Austrittswunde nicht gleich Eintrittswunde. Solche Munition riss Trichter ins Fleisch. Die bläst dir den Kopf frei, hatte Richard immer so fröhlich gewitzelt, wenn er mit seinen Jagdkollegen im Rudel stand. Das war eine Macht in der Hand.
«Jetzt haben wir die Macht in der Hand. Und jetzt ist sie auch in der richtigen Hand», sagte Doro.
Richard schaute in die Runde. Eine Runde, die ihm immer noch fremd war. Er dachte nach. Wie lange wohnten sie hier? Fünf Monate? Ah, vielleicht sechs. Doro hatte sich gut eingelebt, war sofort in den Clubs versunken und kaum noch Daheim. Makramee, angeblich. Doch er wusste wirklich nicht, was man fünf bis sechsmal die Woche makrameen sollte. Was sie wirklich tat in den Clubs, darüber verlor sie nie ein Wort und jetzt musste er sich eingestehen, dass es ihn auch zu wenig interessiert hatte. Richard hatte versucht, hier ein paar Jagdkollegen zu mobilisieren, doch es gab niemanden, der Interesse daran gefunden hätte. Sie waren zu gläubig für die Jagd, auf niederes Getier hieß es. Die Menschen hier waren komisch. Selbst die Hunde hätten eine leichte Macke, witzelte er noch anfangs. Doch später konnte Doro über den gemeinsamen guten alten Humor nicht mehr lachen.
Eine Runde brummelnder Menschen, die nickten. Mag sein, dass sie sich auf den Kirchgang gefreut hatten, doch in keinem Gesicht stand es zu lesen. Im Gegenteil, sie grinsten schelmisch, wie Kinder die sich auf Weihnachtsgeschenke freuten und heimlich durchs Schlüsselloch lugten.
Die Halunken am Boden jammerten auf. Jeder der vorbeizog, trat mindestens einmal in ihren Körper. Kaum das ihre Muskeln sich vom Schock erholt hatten, setzte Dorothea den Taser erneut an und schickte ihnen, ein paartausend Volt in die Knochen. Richard schüttelte verwirrt den Kopf, so wirr und wild. Dazu schnatterte er wie eine Ente. «Prrrrt. Prrrt. Was um alles in der Welt tust du denn da?»
Henry Malchow von nebenan war zuerst zur Stelle und klapste Dorothea freudig und stolz auf die Schulter.
«Du hast sie tatsächlich erwischt, mein schwarzer Engel! Welch eine Freude! Ich bin so stolz auf dich.»
Jetzt stieg der Geräuschpegel und die Menge an Menschen rotierte um die verkrampft zuckenden Männer herum. Sie zuckten wie halbtote Krabben und versuchten, in die Büsche zu rollen. Fast automatisch, folgte die nächste Handlung. Innerhalb von Minuten lagen die Männer Bauchlinks auf den Platten. In allen Farben gefesselt wie bunte Lappenclowns wurden sie emporgezerrt und ins Wohnzimmer der Bergers gezerrt.
Auf zwei Stühlen saßen sie dem Pulk an murmelnden Menschen gegenüber.
«Die Verhandlung ist eröffnet»,sagte Dorothea und schlug mit einem Haushaltshammer auf ein Brotbrett, des noch angedeckten Sonntagmorgentischs.
«Moment. Eins noch vorweg», sagte Oma Kallsen, die noch ihren karierten Küchenkittel trug. Sie stand auf und klatschte dem Jüngeren mit der flachen Hand quer übers Gesicht. «Das ist für meinen Benno. Schade dass er das hier nicht mehr miterleben kann. Er hätte Geschmack daran gefunden.»
Immer wieder brachte Richard Ansätze hervor die Phrasen wie, was hat das alles zu bedeuten, enthielten, doch er erntete nur ein Kopfschütteln. Schließlich gesellte sich der große Henry Malchow neben ihn.
«Richard mein Bester. Lieber lieber Freund, nun sieh dir einfach mal die Show an. Genieße es. Wir sind am Ball. Die nächsten Elfmeter Tore gehen an uns. Und bald wirst auch du begreifen, dass wir hier, in unserer Gemeinde, mehr sind als bloße Menschen. Deine Frau weiß es längst. Sie hat sich gut entwickelt. Oh sie hat sich sehr, sehr gut entwickelt.» Malchow massierte auch ihm die Schulter. Das tat er automatisch bei jedem. Richard wandt sich unter seinen riesigen Händen heraus.
Oma Kallsen ging schon rund und schenkte einen frisch gebrühten Sonntagskaffee ein. «Was… frage ich euch … was sollen wir mit diesen üblen Typen, die uns allen auf die widerlichste Art und Weise geschadet haben wohl anderes tun, als das übliche?» Die Menge Applaudierte. Richard zuckte die Schultern. Hier wusste wohl jeder bereits die Antwort, außer ihm.
«Ihr könnt uns hier nicht ewig festhalten», sagte der ältere Mann. Er kam langsam wieder zu sich.
«Wir wollten euch gar nicht bei uns haben, aber ihr habt an unsere Türen geklopft. Dann wolltet ihr in unsere Köpfe eindringen. Ihr wolltet uns bestehlen, mit einer na ja, miesen Masche. Jetzt bekommt ihr euren Lohn. Bringt den Jungen in den Keller», sagte Dorothea. Die Schärfe ihrer Stimme verursachte Richard eine Gänsehaut. Wie konnte sie so sein? Wo war sein Doro?
«Das ist mein Neffe. Lasst ihn gehen. Es war meine Idee», sagte der Ältere.
«Wir sind hier sehr gläubige Menschen, guter Mann. Ist es ihnen nicht aufgefallen, als sie von zu Tür schlichen?», sagte Malchow.
«Wir stehen fest im Glauben. Heute feiern wir mit Ihnen. Sie sind unsere Gäste. Wir brechen das Brot mit ihnen, vergeben ihnen. Niemand, der in diese Gemeinde um Hilfe bittet, soll hungern und leer ausgehen», sagte Dorothea.
Richard schaute sie an, schüttelte leicht den Kopf wie ein beständiges Nein.
«Ich schäle die Zwiebeln», sagte Oma Kallsen. Ihr Wetzstahl fuhr schräg über die große Klinge des Tranchiermessers. Richard verfolgte sie mit völlig erschlaffter Miene. Kein Muskel wollte ihm mehr gehorchen. Die Mimik war dem Unvorstellbaren, dass allmählich Gestalt annahm, gewichen.
Was er dann sah, gab ihm Gewissheit.
Oma Kallsen betrat die Küche nicht, sie bog ab, hinunter in den Keller.

Doch anstatt die Polizei zu rufen, trat seine Frau Dorothea entschlossen neben ihn. In der Hand hielt sie das Pfefferspray, das sie immer in der Handtasche trug, wenn sie vor die Tür ging.

Richard trat zur Seite, unfähig irgendetwas zu tun oder zu sagen. Seine Frau öffnet die Tür. Der Mann mit dem Smartphone war noch draußen. Er hatte es nicht für nötig gehalten, den Tatort so schnell wie möglich zu verlassen. Im Gegenteil. Er machte Nahaufnahmen von dem Toten. Besonders das Loch im Kopf, aus dem das Hirn hinausgespritzt war, schien ihn zu faszinieren.

Mit zwei großen Schritten stand Dorothea vor ihm und sprühte ohne Vorwarnung das Spray in seine Augen. Der Mann schrie auf und hielt sich reflexartig die Hände schützend vors Gesicht. Dabei war es längst zu spät. Das Spray brannte wie Feuer in den Augen, die in Sekunden zu quollen.

Er konnte kaum mehr etwas sehen. Sein Handy fiel ihm aus der Hand und er taumelte orientierungslos auf dem Gehweg. Er versuchte jetzt so schnell wie möglich zu fliehen.

Dorothea griff nach dem Handy. Richard stand im Türrahmen. Er wusste nicht, was er tun sollte. Gebannt starte er auf den jungen Mann, der sich strauchelnd geradewegs auf die Straße zu bewegte.

Aus dem Augenwinkel sah Richard von links den Tesla geräuschlos herankommen. Wie immer viel zu schnell, dacht er. Obwohl hier ein Wohngebiet war, hielten sich die wenigsten Autofahrer an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Richard sah den Mann nicht mehr. Dafür hörte er jetzt einen dumpfen Aufprall, Bremsen quietschen, Glas splitterte und etwas klatschte wieder auf den Asphalt.

Der Tesla kam relativ schnell zum Stehen. Wahrscheinlich hatte das automatische Bremssystem tadellos funktioniert und den Wagen schon abgebremst, bevor der Fahrer dazu in der Lage war. Schoss es Richard in den Kopf.

Er hatte gar nicht gemerkt, dass Dorothea ins Haus gegangen war. Jetzt kam sie mit der großen Plane aus dem Garten und warf diese über den toten Mann vor ihrem Eingang.

„Schnell, hilf mir“ Dorothea deckte den Mann mit der Plane ab. „Los Richard, komm“. In dem Moment hörte er die Glocken der nahe gelegenen Kirche läuten. Es war kurz vor 9.

Dorothea lief schon wieder an ihm vorbei, dieses Mal mit einer Gießkanne voller Wasser in der Hand. Sie spülte das Blut, die Knochensplitter und die Hirnmasse vom Gehweg.

Jetzt endlich begriff Richard, dass sie alles ungeschehen machen konnten. Sie würden den Mann vorerst ins Haus tragen und dann zum Gottesdienst gehen. Vorher musste er nur noch die Feuerwehr anrufen. Es hatte einen Unfall vor ihrem Haus gegeben.

"Warum?“ fragte Dorothea und griff nach ihrer Jacke.
„Hast Du den Schuß nicht gehört?“ Wollte sie ihn für dumm verkaufen?
„Welchen Schuß?“ Die Jacke in der Hand sah sie ihn fragend an.
„Da draußen hat sich grad Einer vor meine Augen erschossen und sein Begleiter hat alles gefilmt! Der wollte einfach so zehntausend Euro von mir.“ versuchte er, das gerade Erlebte zusammenzufassen.
„Hast Du ihm das Geld gegeben?“ fragte sie seelenruhig weiter.
„Bitte was?!?“ Waren denn heute alle verrückt geworden?
„Ob Du ihm das Geld gegeben hast?“ Sie fragte, als wolle sie wissen, ob er beim Einkaufen an den Zucker gedacht hatte.
„Natürlich nicht! Warum sollte ich?!? Jetzt ruf endlich die Polizei!“ Sein Herz schlug mittlerweile wie ein Presslufthammer.
„Warum?“ wollte sie wieder wissen.
„Weil da draußen ein Toter liegt und man mir die Schuld in die Schuhe schieben will!“ Das war doch jetzt nicht ihr Ernst??
„Warum?“ Erneut diese nervtötende Frage. Konnte oder wollte sie ihn nicht verstehen? Er schnappte nach Luft und spürte, wie sein Herz immer mehr ins Stolpern geriet.
„Woher soll ich das wissen? Ich kenn die Beiden doch gar nicht!“
„Du hättest ihm das Geld geben sollen“ entgegnete sie ruhig.
„Warum?“ Diesmal war er derjenige, der fragte.
„Weil Du jetzt der Nächste bist.“ erklärte sie, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sie trat an ihm vorbei, entfernte die Sicherheitskette und öffnete die Tür. Der jungen Mann trat in den Türrahmen, hielt Richard Berger erneut das Handy vor das Gesicht und filmte weiter.

Fassungslos sah er von seiner Frau auf den jungen Mann. Er wollte etwa noch etwas erwidern, doch sein Herz verweigerte nun endgültig den Dienst und ihm wurde schwarz vor Augen. Er merkte noch, dass er fiel und hörte wie aus weiter Ferne den jungen Mann sagen „Für den ersten Versuch war nichts anderes zu erwarten.“

Langsam kam er wieder zu sich. War er tot? Warum lag er dann in seinem Bett?
Er blickte auf den Radiowecker neben sich. Es war Sonntag.
Wie war das möglich. War das alles nur ein Traum gewesen?
Verstört und doch erleichtert sackte er zurück in die Kissen. Es musste ein Traum gewesen sein. Sonst läge er nicht in seinem Bett. Daran glaubte er fest, bis sie sich zum Kirchgang fertig machten und das Gartentor draußen anfing zu quietschen.

Dorothea hatte während des schrecklichen Ereignis im Flur gestanden, ihren kurzen Mantel und ihre Stiefel angezogen. Sie hatte alles mit angehört und konnte es kaum glauben, was gerade passiert war. Beim ohrenbetäubenden Geräusch des Schusses war etwas Urin in ihren sündhaft teuren Seidenslip gelaufen. Ihre Bewegungen waren seither wie eingefroren. Mit weit aufgerissenen Augen brachte sie kein Wort heraus, als ihr Mann ihre Hilfe forderte. Berger erkannte den Zustand der völligen Resignation seiner Frau, packte sie an den Schultern und schob sie unsanft zur Seite. Er lief panisch an ihr vorbei, auf der Suche nach seinem Mobiltelefon. „Diese Wahnsinnigen sind geisteskrank! Wo ist mein Handy? Dorothea! Doro! Wir müssen jetzt sofort die Polizei anrufen!“, schrie Richard seiner Frau zu und stolperte im selben Moment über die aufgeplusterte Katze, die wie immer zum falschen Zeitpunkt einen Sprung aus ihrem Versteck gewagt hatte. Mit einem gequältem Schrei fiel Berger mit beiden Knien auf den harten Fliesenboden. Der Schmerz war sofort übermächtig. Berger stockte der Atem. Er versuchte zu atmen, aber es ging nicht. Erst als Doro wieder „lebendig“ wurde und zu ihrem Mann eilte, um ihm vom Boden hoch zu helfen, fing dieser an zu wimmern und tief nach Luft zu ringen. Mit seinen Händen wehrte er jegliche Hilfe seiner Frau ab. „Lass… mich!“ Mit Mühe nahm er weitere tiefe Atemzüge und verharrte auf allen Vieren. Doro Berger stellte sich gerade, stemmte die Hände in ihre Hüften. „So, jetzt reicht es mir“, rief sie laut. „Was zum Teufel geht hier eigentlich ab?“ Ihre Stimme klang schrill. Ohne groß darüber nachzudenken, drehte sie sich um, stiefelte durch den Flur und riss die Haustür auf. Zumindest versuchte sie es, doch knallte sie die Tür erneut zu, um die Sicherheitskette wieder zu entfernen. Ein lautes warnendes Grunzen entfuhr es Berger, aber Frau Berger war ganz absorbiert von ihren Gedanken. Erneut riss sie die Tür auf, diesmal mit vollem Erfolg, und stieß auf den Selbstmörder und seinen Wahnsinnigen, der immer noch neben dem leblosen Körper stand. Mittlerweile hatte er seine Beweisführung aufgegeben und sein Handy auf seinen Oberschenkel sinken lassen. Doch nun richtete der etwa Zwanzigjährige sein Kameralicht erneut auf die Haustür und filmte dabei aus nächster Nähe die tobende Frau, die nun plötzlich mit ein paar kräftigen Fußtritten und einigen Stoßattacken den leblosen Körper erfolgreich einen Meter vom Eingang weg und in eine kleine Regenpfütze neben dem Gehweg beförderte. Sie klatschte sich mit gerümpfter Nase den Schmutz von den Händen und begann den vermeintlichen Zeugen zu denunzieren: „Ich hab se durchschaut! Uns den Kirchengang so zu vermiesen, mit so nem Kabbes, und alles nur, weil ihr Atheisten, ihr Ökofreaks, oder was ihr all seid, nicht mehr alle Tassen im Schrank habt. Klebt Euch doch einfach wieder auf eine Straße oder so, aber so was… ! So was macht man nicht!“ Doro spukte verächtlich vor sich auf den Boden und drohte dem filmenden Mann: „Sieh zu, dass Du den hier wegschaffst! Aber dalli! Was sollen denn die Leute von uns denken! Euch Regenwald-Retter hab ich gefressen!“

»Schatz, was ist …?« Doch sie kam nicht weiter. Der Blick ihres Mannes sagte mehr als 1000 Worte. Stumm wählte sie die Nummer und hielt sich das Handy an das Ohr. Doch kein Tuten, kein Laut, drang aus dem Hörer.
»Du …«, sie senkte die Hand, ihre Hand begann zu zittern, »ich glaube, die Leitung ist tot.«
»Scheiße.« Hektisch warf er einen Blick zu der Tür, dann wieder zu deiner Frau. Nervös strich er sich über die Krawatte. »Ob die …« Weiter kam er nicht. Ein ohrenbetäubender Knall halte vom Gang und riss ihn mit seiner Frau zu Boden.

Dorothea hatte Angst. Er konnte es ihren Augen ansehen. Sie hielt den Hörer in der Hand wie einen heißen Stein. Ihre Finger zitterten, die kalte Plastikoberfläche fühlte sich an, als könne sie jeden Moment bersten. Die Stimme ihres Mannes klang wie aus weiter Ferne. „Doro! Hast du angerufen?“ Richards Worte drangen kaum zu ihr durch, alles schien wie in Watte gehüllt. Sie versuchte, nicht panisch zu werden.

„Noch nicht“, flüsterte sie kaum hörbar. Ihr Blick huschte zur Tür, hinter der sich noch vor wenigen Minuten das Leben eines Mannes in einer grauenhaften Explosion entladen hatte. Sie zwang sich, nicht an das Geräusch zu denken, das es gemacht hatte. Nicht an die Farbe des Blutes, das sie durch das Fenster auf den Gartenplatten gesehen hatte. Sie schob alles weit weg.

„Doro!“ schrie er sie erneut an, während er unruhig hin und her lief, fast wie ein Tier, das im Käfig einen Ausgang suchte. „Was zur Hölle ist hier los? Wer waren diese Männer? Was, wenn das alle gesehen haben? Ich habe Nein zu ihnen gesagt…“ Er brach ab, als hätte er Angst, den Satz zu vollenden.

Dorothea schloss für einen Moment die Augen und sog die Luft tief ein. Langsam, fast unmerklich, als wollte sie unsichtbar bleiben. Ihr Kopf fühlte sich leer an, doch in ihrer Brust wuchs ein enormer Druck. Es war wie ein Luftballon kurz vorm Platzen. „Niemand hat etwas gesehen“, sagte sie. Ihre Stimme klang tonlos und passte nicht zu ihrer sonstigen Haltung.

Richard blieb stehen und sah sie einen Moment lang an. Die Augen schmal, seine Stirn in Falten gelegt. „Woher willst du das wissen? Verstehst du überhaupt, was gerade passiert ist?“ Die Frage traf sie wie ein Schlag und riss sie aus ihrer Lethargie. Ihre Knie wurden weich, doch sie zwang sich zu einem Schulterzucken. „Es ist Sonntagmorgen. Die Leute hier haben drei Optionen. Sie schlafen, sind bei der Familie oder in der Kirche.“

Richard verstand nicht, wie sie so ruhig bleiben konnte. Es schien, als wolle sie gar keine Hilfe holen. Sie stand einfach da. „Sag mal, bist du noch ganz normal? Da draußen liegt…“ Seine wütende Rede wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Der Ton wirkte plötzlich fremd, schrill und beharrlich, ein Laut, der die Nerven blank legte. Er starrte das Gerät an, bevor er zögernd den Hörer abnahm. Es war, als würde er eine schlafende Schlange wecken.

„Berger.“ Dorothea beobachtete ihn aus der Küche, wo sie sich auf einen Stuhl gesetzt hatte. Die Hände klammerten sich um eine leere Tasse, die längst keine Wärme mehr spendete. Ihre Augen waren weit aufgerissen. Richards Gesicht war eine Leinwand aus Misstrauen und wachsender Unruhe, und sie kannte ihn lange genug, um ihn zu lesen.

„Ja… ja, ich bin dran. Was? Woher wissen Sie…? Aber das kann nicht…? Ja, ich verstehe Sie… Natürlich… wo sollten wir auch hingehen?“ Seine Augen weiteten sich. „Nein, nein, das glaube ich nicht… Sie irren sich… das kann nicht sein…“ Langsam legte er den Hörer auf, als wollte er Zeit gewinnen, um die Worte zu begreifen, die er eben gehört hatte.

„Wer war das?“ Dorothea zwang sich, die Frage beiläufig zu stellen, doch ihre Stimme klang hohl, fast wie ein Echo in einem leeren Raum.

Richard sah sie an und schwieg. Dann schüttelte er den Kopf. „Die Polizei.“

Ihre Finger gruben sich tiefer in das Porzellan der Tasse. „Die Polizei? Warum sollten die bei uns anrufen?“

„Ich bin mir nicht sicher, aber sie wussten von alldem hier. Sie sagten, dass sie gegen eine Organisation ermitteln!“ Seine Worte schienen schwerer und bedrohlicher zu werden, je näher er ihr kam. Sie wich zurück, ein ungutes Gefühl stieg in ihr auf.

„Dein Name… Sie sagten, dein Name steht auf ihrer Liste.“

Dorothea erstarrte. Das Blut in ihren Ohren pochte laut wie Trommelschläge. Sie rang nach Luft. „Was für eine Liste?“ Sie zwang sich zu einem Lächeln, doch es zerbrach mitten im Ansatz.

Er starrte sie unverwandt an. Sein Gesicht zeigte Schock. Nicht nur wegen des Toten vor der Tür, sondern auch wegen dieses Anrufs. Und sie erkannte noch etwas: Zweifel. Zweifel an ihr, seiner Frau.

„Richard, das ergibt keinen Sinn. Was habe ich damit zu tun?“ Sie ging einen Schritt auf ihn zu, doch er zog sich zurück.

„Sag mir, dass es ein Irrtum ist.“

Die Zeit schien stillzustehen, und das Schweigen zwischen ihnen war bleischwer. Dorothea atmete tief durch. Langsam und kontrolliert streckte sie die Hand nach seinem Arm aus.

„Natürlich ist das ein Irrtum“, sagte sie gefasst. „Richard, du kennst mich. Was denkst du denn? Dass ich nachts heimlich losziehe und an einer Hausfrauenverschwörung teilnehme?“

Sie schüttelte den Kopf, als sei die Vorstellung lächerlich. Richard blieb misstrauisch, doch er schien ihr für einen Moment zu trauen. Sich ihr anzunähern.

Dann klingelte es erneut. Nicht das Telefon. Die Tür.

Dorothea sah Richard an, und er erkannte es sofort. Etwas in ihrem Blick hatte sich verändert.

Dorothea betrat gerade den Flur, der zur Türe führte.
«Was hast du gemein …?»
Ihre Worte erstarben, als sie das bleiche Gesicht ihres Mannes sah, der mittlerweile mit dem Rücken an der Tür lehnte. Mit einem Hauch seiner Stimme sagte er wieder, dass seine Frau die Polizei holen sollte. Diese blinzelte und war nicht fähig, sich zu bewegen. Für ein paar Sekunden starrten sie sich an, ein Hämmern an der Türe holte Richard wieder in die Gegenwart. Immer noch das Bild des armen Mannes vor Augen. Gerade als er auf das Festnetz Telefon zusteuert, damit er die Polizei rufen konnte. Schwang die Türe krachend und splitternd auf. Instinktiv stellte sich Richard schützend vor seine Frau. Diese schrie in einem Ton auf, den er selten von ihr gehört hat. Der Mann mit dem Handy, der vorhin alles aufgezeichnet hatte, kam mit gezogener Waffe auf das Ehepaar zu und blickte sich schnell um. Deutete ihnen in das Wohnzimmer, dessen Türe gleich das Erste neben dem Eingang war. Berger fasste nach seiner Frau, um sie weiter mit dem Körper zu schützen. Und bewegte sich mit ihr im Rücken auf die Tür zu. Im Wohnzimmer wies der Mann sie an, sich auf das Sofa zu setzen. Welches mit Schonbezügen und gehäkelten Deckchen bestückt war. Als Dorothea sass, meinte der Mann kalt.
«Hol dein Opfer rein, damit deine Frau sieht, was du getan hast.»
Richard wechselte einen vielsagenden Blick mit seiner Frau, welche auch kreideweiss wurde und am ganzen Körper zu zittern schien. Richard wusste, dass er jetzt für ihr aller Leben stark sein musste, er musste die Ruhe bewahren, ganz egal wie. Der Mann sah die beiden an und die Waffe, die er immer noch auf sie zielte, wanderte zum Kopf seiner Frau. Dorothea starrte auf den Lauf der Waffe und schien nicht zu begreifen, was gerade passiert. «Wirts bald, du Geizhals, hol ihn rein und schliess die Tür!»
Bluffte der Mann, zögernd, machte sich Richard auf den Weg zur Eingangstüre. Mit einem Schauer sah er auf den leblosen Körper vor der Tür. Als er ihn an den Füssen packte, um ihn hineinzuziehen, musste er sich fast übergeben. Ja, er liebte Krimis, doch eine Leiche, eine richtig echte Leiche, die sogar noch warm war. Es war dann doch zu viel. Er war doch nur ein kleiner Besitzer eines Reisebüros. Das aufregendste, was ihm in seinem Leben und dem seiner Frau je vorgefallen war, dass sie einen Koffer auf einem Spanien-Trip verloren hatten. Als er die Leiche hereingezogen hatte, betrachtete er die blutige Spur und musste unwillkürlich darüber nachdenken, was es seiner Frau doch für Arbeit bereiten würde, das Blut wieder aus dem teuren Teppich zu waschen. Schnell schüttelte er den Kopf über sich selber. Der Mann ist gerade vor seinen Augen gestorben, hat sich mit einer Waffe das Leben genommen. Da ist ein Teppich doch Nebensache. Schaltete er sich, kopfschüttelnd. Um sich von dem schockierenden Bild abzulenken, wendete er sich der Eingangstüre zu. Mit zwei Schritten, bei denen er tunlichst versuchte, die Leiche weder zu berühren noch sie anzusehen, war er neben der Türe. Als er das Schloss und die Kette so betrachtete, dachte er wieder, dass es viel kosten wird, diese zu ersetzen. Ein erstickter, angsterfüllter Seufzer liess ihn wieder in das Hier und Jetzt treten. Auch die Leiche dieses armen Mannes wurde ihm wieder bewusst. Genau wie die rote Schleifspur, die in einer Pfütze aus rot-schimmernder Flüssigkeit endet. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte und sich doch noch übergab, schloss er die Tür, so gut es ging. Dann eilte er zurück in das Wohnzimmer. Krampfhaft überlegend, wie er sich und seine Frau aus dieser misslichen Lage befreien könne. Dorothea sass unüblich für sie auf dem Sofa, mit angezogenen Füssen. Sie kauerte förmlich in ihrem eigenen Haus, in dem sie sich sicher fühlen sollte. Der Mann mit der Waffe, der immer noch alles aufzunehmen schien. Deutete Richard, dass er sich zu seiner Frau setzen sollte, was er auch tat. Krampfhaft überlegte er, wie er den Mann überwältigen könne, doch da er schon lange nichts mehr für seine Fitness getan hat, bezweifelte er, dass ihm das gelingen würde, ohne dass jemand dabei sterben würde. Ja, seine Frau hat ihn immer wieder in den letzten Jahren angehalten, wieder etwas mehr auf seine Gesundheit zu achten und mehr Sport zu treiben. Doch er schob es immer wieder auf die lange Bank. Da riss ihn seine Frau aus seinen Gedanken.
«Hören sie mal, junger Mann, darf ich wenigstens für uns einen Kaffee machen? Wir hatten noch kein Frühstück und sie sehen aus, als könnten sie auch einen gebrauchen.»
Wie vom Blitz getroffen, starrte Richard seine Frau an. Diese hat sich anscheinend etwas gefangen und blinzelte ihren Mann an. Sie waren schon lange verheiratet, mehr als dreissig Jahre verheiratet und kannten sich schon so gut, dass Worte nicht zwingend nötig wahren. Richard wollte bei dem Blitzen, das er in den Augen seiner Frau sah, schon den Kopf schütteln. Doch der Kerl mit der Waffe blaffte.
«Gehen sie, und wehe, Sie machen eine falsche Bewegung, dann wird ihr Mann das büssen.»
Blinzelns sah er den Mann an und merkte erst jetzt, dass er anscheinend kalt hat. Auch wenn draussen die Herbstsonne gerade aufging, so war es durch die Nacht so kalt, dass die Wasserstellen und Pfützen so wie die Pflanzen Eis gebildet hatten. Richards Frau liebte ihre Krimis mehr als er. Am Anfang sah er sie, ihr zu liebe an. Bis er sich damit abfand und sie auch auf eine Art und Weise zu mögen begann. Seine Frau ist so begeistert von ihnen, dass sie selbst jedes Buch verschlingt, das um Krimis geht. Er befürchtete, dass sie ihr Wissen aus den Filmen und Büchern jetzt auch hier anwenden will. Doch das hier war kein Film oder Buch. Es war die schreckliche Realität. In ihrem Flur lag eine Leiche, auf ihrem Sessel sass ein Mörder, der sie mit einer Waffe bedrohte. Doch seine Frau stand auf und ging in die Küche. Welche schräg gegenüber dem Wohnzimmer liegt. Wie selbstverständlich stieg seine Frau über den Toten. Richard konnte sich nur vorstellen, wie es wirklich seiner Frau dabei ging. Sie war eigentlich eine eher zartbesaitete Frau, die nie auch nur etwas Böses dachte. Daher erstaunte ihn auch das Verhalten seiner Frau so sehr. Summend machte sie sich daran, den Kaffee zuzubereiten. Nach dem Klappern zu urteilen richtete sie auch noch ein gewohntes Frühstück her, das aus etwas Brot und – da Sonntag, etwas Zopf bestand. Dazu etwas Marmelade für sie und aufschnitt mit Käse für ihn. Jetzt hatte auch Richard wieder etwas Mut, den Mut der Verzweiflung und wendete sich an den Mann. «Mein Junge, warum machen sie das? Man kann alles auch anders lösen. Legen Sie die Waffe nieder und wir vergessen das alles.»
«Schnauze! Ich bin nicht ihr Junge und ich habe nichts getan. Sie sind an seinem Tod schuld. Sie kapitalistischer Arsch!»
Richard zuckte, um des Ausbruches zusammen. Doch das Summen seiner Frau gab ihm neuen Mut. Er wollte sie beschützen, denn er wusste, sie würde etwas Dummes versuchen. «Es tut mir leid, wenn ich ihren Unmut errege. Doch weder sind wir reich, noch beuten wir jemanden aus. Ich besitze ein kleines Unternehmen, das um sein Überleben kämpft.»
«Und doch hast du und deine Kleine einen Mercedes vor dem Haus, das auch dir gehört! Also, wenn es euch schlecht gehen soll, was sollen dann die sagen, die nichts haben?! Was ist mit denen, wo Tod mehr wert ist als lebend? Oder mit denen, die selbst fürs Sterben zu wenig haben?»
Schreite er ihn an. Richard musterte seinen Ausbruch, und das Gesicht des Mannes lief rot vor Wut an. Bei sich dachte er, dass dahinter noch mehr stecken musste, als nur Geld zu erpressen, doch wie sollte er dahinterkommen? Er hatte das Gefühl, dass dies der Weg zum Überleben und der Freiheit sei. Da betrat seine Frau das Wohnzimmer, in der Hand das grösste Tablett, das sie hatte. Welches voll gestellt war mit einem ehrlichen Frühstück. Dass sie auf dem Wohnzimmertisch, der aus den Sechzigern stammte und aus einem hellen Holz gemacht war, ausbreitete. Die Tassen füllte sie mit herrlich duftendem Kaffee und stellte jedem eine hin. Die Erste, ganz wie sie es sonst auch bei geschätzten Gästen machte, unserem ungebetenen Gast reichend. Als sie ihrem Mann die Tasse hinstellte, konnte er ein wissendes Funkeln in ihren Augen ausmachen. Es war keine Angst, solch ein Funkeln hatte er selten in ihren Augen gesehen und verstand langsam.

Sofort folgte Dorothea seiner Anweisung. Draußen stand immer noch der Mann mit dem Handy und brüllte herum.
„Schwein! Ausbeuter! Kapitalist! Mörder!“ Diese Worte sprühte er mit roter Farbe auch an die Hausfassade.
Richard fühlte sich, als würde ein Schraubstock um seinen Brustkorb immer weiter zugezogen werden.
„Wir brauchen auch einen Notarzt für meinen Mann!“, gab seine Frau zittrig am Telefon durch.
Bis die Rettungskräfte eintrafen, blieb Dorothea an der Seite ihres Mannes und hielt seine Hand. Sie traute sich nicht auch nur einen Blick nach draußen zu werfen. Allein das Gebrüll des Fremden machte ihr Angst. Richard hingegen schien überhaupt nicht anwesend zu sein. Sein Blick war leer und er rührte sich nicht.
Die Retter betraten das Haus, darauf bedacht, nicht auf den Toten vor der Tür zu treten, während zwei Kommissare sich die Leiche genauer ansehen.
Sie machen sich Notizen und wollten eigentlich mit Herrn Berger sprechen, doch der ist nicht in der Lage dazu auch nur irgendetwas zu sagen.
Der Fremde, der alles gefilmt hatte, hat vor Eintreffen der Polizei das Weite gesucht.

Im Krankenhaus kümmern sich ein paar Ärzte und Pfleger um den Schockpatienten. Am Abend hatte er sich wieder einigermaßen gefasst und war bereit, mit der Polizei über den Vorfall zu sprechen.
Als sie auf die Beamten warteten, sahen sie die Nachrichten. Es wurde über ein Video berichtet, das innerhalb von Minuten viral ging, bevor es von den Social Media Plattformen gebannt wurde. Es zeigte einen Mann, der sich erschossen hatte, weil ihm ein vermeintlich reicher Mann keine 10.000 Euro geben wollte.
Richard überkam das Gefühl, dass dies erst der Anfang war und seinen eigenen gesellschaftlichen Untergang einläuten könnte.

Der Mann mit dem Handy, welches er allerdings nun in seine Jackentasche gesteckt hatte, trommelte inzwischen mit seinen Händen an die Türe. Seltsamerweise dachte Berger nur an die Haustüre: Hoffentlich beschmiert er nicht alles mit Blut. Schließlich hat er eine Menge von dem Zeug abbekommen… und die Türe ist gerade mal ein Jahr alt.

Dorothea riss ihn aus seinen Gedanken.

»Was ist passiert?«, fragte sie so leise, dass er sie kaum verstand. »War das ein Schuss? Hat jemand auf dich geschossen? Was will der Typ an der Tür?«

»Ja und Nein. Ja, es war ein Schuss, und Nein, auf mich hat niemand geschossen.« Er seufzte. »Einer der beiden Männer da draußen hat sich erschossen. Er hat mir in die Augen geblickt, hat sich…«

Berger holte tief Luft und suchte mit beiden Daumen die Akupressurpunkte an den Schläfen, so, wie er es immer tat, wenn er kurz vor einer Panikattacke stand. Seine Therapeutin hatte ihm diese Selbsthilfemethode gezeigt.

»Er hat mir direkt in die Augen geblickt, sich die Pistole in den Mund gesteckt und sofort abgedrückt. Ich konnte nichts tun.«

»Falsch, Sie Schwein!«, schrie der andere Mann durch die Türe hindurch. Er musste gelauscht haben. »Es wäre so einfach gewesen! Sie brauchten ihm nur die zehntausend Euros zu geben und es wäre nichts passiert. Absolut nichts, gar nichts, niente, nothing, nichts. Verstehen Sie? Aber nein…«

Seltsam war, dass der Typ beim formellen »Sie« blieb und nicht zum »Du« wechselte, wie es der Großteil der Menschen in einer solchen Situation täte. Noch seltsamer war es für Berger, dass er selbst genau hierüber nachdachte.

Ganz zu schweigen von dem alptraumhaften Geschehen, welches er gerade vor der Türe erlebt hatte – wenn er das seinen Kumpels heute Abend im Golfclub erzählen würde … Was für eine Story!

»Ich verstehe nicht.« Dorotheas starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Was hast du gesagt? Es hat sich jemand erschossen? Was ist hier los?«

Berger war hin- und weg. Für einen Moment war er raus aus dieser seltsamen Situation, seine Gedanken verloren sich in Dorotheas Augen.

Oh mein Gott!! Immer wieder diese Augen. Diese Augen machen mich immer noch wahnsinnig! Eines Tages ist es soweit. Du bist so sexy! So sexy wie am ersten Tag!

Schon damals, bei ihrem ersten Date, war ihm die Besonderheit ihrer Augenfarben aufgefallen. Nicht ihre wohlgeformte Figur, nicht das winzige Tattoo in Form eines Schmetterlings am Brustansatz – nein, das war es nicht, was ihn sofort angemacht hatte. Das waren ihre Augen gewesen: das linke von strahlendem Blau, das Rechte von tiefgründigem, dunklem Braun. Bis zu diesem Tag hatte er gar nicht gewusst, dass es so etwas gibt. Hinzu kam, dass auch ihre Haarfarbe wie mit einem Strich gezogen in der Mitte geteilt war: die eine Seite hellblond, die andere braun.

Berger hatte sich sofort in Doro verliebt und war noch am selben Abend mit ihr im Bett gelandet. Das war sonst eigentlich nicht sein Fall, aber an diesem Abend und mit dieser Frau hatte er einfach nicht anders gekonnt. Seit diesem ersten Abend vor über zwanzig Jahren waren sie zusammen.

Der Typ draußen vor der Tür riss ihn aus seinen Gedanken, anscheinend hatte er sich ein Werkzeug besorgt, denn aus dem Trommeln waren dumpfe Schläge geworden.

»Er versucht die Türe aufzubrechen!« Dorotheas Stimme zitterte. »Tu was! Tu irgendetwas!«

Berger überlegte.

»Die Kommode!« Er wies auf die schwere Eichenholzkommode, die direkt an der Wand neben der Eingangstüre stand. Ein Geschenk seiner Schwiegermutter, er fand das Teil einfach schrecklich, aber Doro hatte darauf bestanden, dass sie das Ding hier aufstellen.

»Pack an! Wir schieben die Kommode vor die Türe, damit gewinnen wir jedenfalls Zeit.« Gemeinsam schoben sie das schwere Möbel vor die Türe.

Doro drückte auf den Knopf der kleinen Überwachungskamera, die sie letztes Jahr hatten installieren lassen. Mit einem kurzen Flackern schaltete sich der Bildschrim neben der Türe ein.

»Was macht der Typ da?« Ihre Stimme klang gleichzeitig ungläubig hysterisch. »Siehst du das? Siehst du, was der da macht? Das kann doch nicht sein!« Angeekelt wandte sie sich ab.

Berger schaute zum Bildschirm. Was er dort sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Der Typ vor der Tür hatte sich kein Werkzeug geholt, mit dem er versuchte, ins Haus zu kommen. Er bediente sich hierbei …

Frau Berger sah ihren Mann fassungslos an. „Was ist denn…“ Tu was ich dir sage ", erklärte er und klang grober, als er beabsichtigte.
Sie lief zum Telefon und wählte die 110. „Sie müssen sofort kommen „, stotterte sie. „Vor unserer Tür hat sich jemand erschossen.“
Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer, wo sich ihr Mann, trotz des frühen Morgens, einen Whisky einschenkte. Seine Hand zitterte. Immer wieder drehte er sich um, als stände zu befürchten, daß die Männer da draußen, das alles inszeniert hätten, um sich Einlass ins Haus zu verschaffen.
Was ist denn eigentlich passiert fragte Frau Berger. Ihr Mann antwortetete nicht. Fragte stattdessen:“ Kannst du mal nachsehen, ob der Mann da noch liegt?“ Seine Frau ging zum Fenster und sah eine Menschentraube auf der Straße stehen. Geschockte Gesichter starrten in Richtung ihrer Haustür. „Es scheint so“, sagte sie. „Was wollten die denn von dir?“ Herr Berger straffe seine Schultern und zog seine Krawatte straff, die sich noch gar nicht gelockert hatte. "Hatte er mich nach 10,- Euro gefragt, oder meinetwegen 50. Aber 10.000. Soweit kommt es noch, da kann ich ja gleich mein ganzes Vermögen verschenken.
„Würde der Mann dann noch Leben?“, fragte seine Frau

«War das ein Schuss? Bist Du verletzt Richard?» Dorothea Berger ließ die Tasche mit der Familienbibel fallen, stürzte auf ihren Mann zu. Der stemmte sich mit dem Rücken gegen die Haustür, hob abwehrend die Hände.
«Selbstmord vor unserem Haus, ruf die Polizei!» Berger erschrak vor der Gewalt in seiner Stimme. Dorothea auch. Sie hastete zum Sekretär in der Diele und griff nach dem Telefon.
«Nun los!»
«Ja, 110. 110, ich weiß.» Dorthea tippte die erste Ziffer. Richards Handy vibrierte, er zerrte es aus der Innentasche seines Sakkos. Die Finger seiner Frau zitterten über der Tastatur. Sie erwischte die richtige Taste. Tippte wieder. «Oh nein, das war die 118!»
«Doro, konzentriere dich!» Richard entsperrte sein Handy. Das Display zeigte eine Textnachricht an. «Keine Polizei». Ein Blick zu seiner Frau. Dorothea wischte sich Tränen von der Wange, dann schwebte ihr rechter Zeigefinger über den Ziffern. Sie tippte die erste. Richard öffnete die SMS. «Keine Polizei. Wenn doch, kracht es. Warten Sie auf weitere Anweisungen, Sie Schwein!» Richards Blick raste zu seiner Frau.
«Lieber Herr Jesus! Ich hab´s gleich», rief Dorthea. Sie taumelte, fixierte beschwörend den Zeigefinger.
«Wenn doch, kracht es!», durchfuhr es Richard. «Nein Doro, nicht!»
Dorthea Berger presste den Hörer ans Ohr, dennoch hörte Richard das Freizeichen in der Lautstärke einer Sirene. Im nächsten Moment blitze es neben dem Kopf seiner Frau, gefolgt von einem Donnerschlag. Eine Druckwelle hob Berger von den Füßen, sein Kopf schlug gegen die Haustür, Richard krachte auf den Marmorboden. Der Aufprall presste ihm den Atem aus den Lungen. Berger quälte sich schwefelige Luft in die Nase. Er blinzelte. Qualm biss in seinen Augen. Er riss die Lider auf. Was lag dort neben seinem Handy? «Doro!» Sein Schrei erfüllte der Haus. Und dann kündigte sich brummend eine neue SMS an.

»Was ist passiert? Was war das für ein Schuss?«, fragte Frau Berger.
Ihr Mann setzte sich an den Küchentisch und löste seinen Krawattenknoten. »Der hat sich umgebracht. Vor meinen Augen.«
»Um Gottes Willen!« Sie eilte in die Diele zur Ladestation, griff nach dem Telefon und wählte 110.
Herr Berger presste sein Gesicht in die Hände und wimmerte, während seine Frau mit der Polizei sprach. Kaum hatte er seine Augen geschlossen, sah er wieder das Gesicht des Mannes vor sich mit der Pistole im Mund und der Wolke, die ihn umgab wie ein Heiligenschein aus Blut und Hirnmasse. Das war mit Abstand das Entsetzlichste, was er je hatte sehen müssen.
»Richard, komm schnell, die räumen die Leiche weg!«, rief seine Frau.
Berger schreckte hoch. »Was, jetzt schon? Du hast doch eben erst angerufen.«
Ein Motorengeräusch setzte ein, wie von einem Gartengerät. Herr Berger stand auf und eilte zurück zur Tür. Frau Berger spickte gerade durch den Spion und machte dann Platz für ihren Mann, der immer noch am ganzen Leib zitterte wie ein Tattergreis. Zwei Leute in weißen Overalls trugen den Leichnam auf einer Bare zum Gartentor. Viel erkannte er nicht durch das Guckloch, also öffnete er die Tür einen schmalen Spalt. Er wagte sich nicht hinaus, ihm kam die ganze Szenerie mehr als suspekt vor. Am Tor stand ein Transporter vom Roten Kreuz mit geöffneter Seitentür. Gerade wurde die Bare mit dem Leichnam hineingeschoben. Zwei weitere Gestalten in Overalls waren damit beschäftigt, den Plattenweg mit einem Hochdruckreiniger abzuspritzen und zu schrubben. Der junge Mann mit der Kunstlederjacke sprach mit einem untersetzten Herrn im Anzug. Dieser nickte stetig. Sein Gesicht war abgewandt. Jetzt erkannte Berger, dass die beiden auf das Smartphone schauten, mit dem der Typ vorhin gefilmt hatte.
»Der da könnte von der Polizei sein. Er schaut sich gerade das Video an.«
»Was für ein Video? Und warum ist die Polizei schon hier?«
Berger zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wurden die von Frau Hohenstein gerufen. Von gegenüber hat sie den Schuss sicher auch gehört. Ich glaube, ich geh jetzt einfach raus und frage den Mann.«
In diesem Augenblick ertönte ein Pfiff. Innerhalb von Sekunden stürmten alle in den Transporter, einschließlich des Anzugträgers und des jungen Mannes mit der Lederjacke. Noch während die Schiebetür von innen zugezogen wurde, fuhr der Wagen davon.
Herr Berger trat einen Schritt ins Freie. »Die sind weg.«
»Wie weg?« Frau Berger drängte sich neben ihn. Aus der Ferne ertönte ein Martinshorn, das schnell lauter wurde und dann verstummte. Ein Krankenwagen parkte am Zaun und kurz darauf ein Streifenwagen. Vier Leute, zwei Sanitäter und zwei Polizeibeamte, stiegen aus und kamen im Eilschritt auf sie zu.
»Guten Morgen, ich bin Kommissarin Schreiber, das ist mein Kollege, Kommissar Franz. Sie hatten einen Notruf abgesetzt?«
»Ja wegen eines Selbstmords«, antwortete Herr Berger.
»Wo befindet sich die Person?«, fragte einer der Sanitäter.
Berger verzog irritiert sein Gesicht. »Die … die Forensiker waren schon da und haben ihn mitgenommen.«
»Welche Forensiker?«, fragte die Kommissarin.
Herr Berger öffnete seinen Mund, brachte aber keinen Ton heraus.
»Da war gerade ein halbes Dutzend Männer vom Roten Kreuz, die haben die Leiche abtransportiert und den Tatort gereinigt«, antwortete Frau Berger.
»Bitte was?« Die Kommissarin schaute Frau Berger an, als habe sie gerade klingonisch gesprochen.
»Waren das gar nicht Ihre Leute?«, fragte Herr Berger.
Die Kommissarin schüttelte den Kopf. »Wir sind doch gerade erst benachrichtigt worden. Der Fall wurde natürlich noch nicht an die Kripo übergeben. Wir sind vom Streifendienst.«
»Aber …« Wieder hatte es Berger die Sprache verschlagen.
»Wo genau wurde denn dieser Suizid begangen?«, fragte der Kommissar, der bisher geschwiegen hatte.
Berger deutete auf den Boden vor sich. »Na, hier, direkt vor meinen Füßen hat er sich eine Kugel in den Kopf gejagt.«
Die beiden Beamten traten einen Schritt zurück und musterten die Steinplatten mit skeptischem Blick. Dort war nichts als blanker Granit. Keine Spur von Blut.
»Und Sie sind sich sicher, dass er abgedrückt hat?«, fragte Kommissarin Schreiber.
»Natürlich bin ich mir sicher!« Ihr Blick sprach Bände. Die nimmt mich nicht für voll, dachte Berger.
»Wir verschwinden dann mal«, sagte einer der Sanitäter mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Dann nahm die Polizistin Bergers Aussage auf. Er hätte schwören können, dass sie dies aus reiner Pflicht tat, nicht etwa, weil sie ihm glaubte.
»Und das war es jetzt?«, fragte Frau Berger, als die beiden Beamten im Begriff waren, sich wieder auf den Weg zu machen.
»Wir werden diesen Fall an die Kripo übergeben«, sagte Kommissar Franz. »Die werden sich wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Selbstverständlich wird aufgrund Ihrer Aussage weiter ermittelt. Sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen, dann melden Sie sich beim örtlichen Polizeirevier. Natürlich auch, falls Sie nochmal von diesem jungen Mann kontaktiert werden sollten.«
Die Bergers nickten bedröppelt wie zwei Kinder, denen man gerade die Wahrheit über den Weihnachtsmann erzählt hatte.
Zwei Tage später, es war bereits dunkel, saßen die Bergers auf ihrer Wohnzimmercouch und schauten Bares für Rares, als das Smartphone von Herrn Berger vibrierte. Sie rechneten mit einer Nachricht ihrer Tochter Melanie, eine der wenigen Personen, die Ihnen WhatsApp-Nachrichten schrieb. Bisher hatten sie ihr noch nichts von dem rätselhaften Selbstmord erzählt. Melanie Berger steckte gerade mitten in ihrer Masterarbeit. Eine solche Nachricht würde sie nur vom Lernen abhalten.
»Das ist nicht von Melanie. Jemand hat mir ein Video geschickt.« Berger tippte mit seinen Wurstfingern auf das Play-Symbol. Wie üblich scheiterte er an der neuen Technik, wie er sie nach Jahren der Digitalisierung immer noch nannte.
»Gib mal her.« Seine Frau nahm ihm sein Handy ab und startete das Video. Beide schauten auf das Display und ihnen gefror das Blut in den Adern.
»Das … das ist ja dieser Selbstmörder. Das sind die Aufnahmen, die der Jüngere der beiden gemacht hat.« Berger stutzte. Etwas war anders. »Spul nochmal zurück und mach den Ton lauter.«
Seine Frau tat, worum er bat. Berger rieb sich nervös im Nacken. »So war das nicht, Dorothea, so war das nicht!«
Frau Berger streichelte seinen Rücken. »Ach Richard, ich wünschte auch, es wäre nie geschehen.«
»Hörst du mir nicht zu? Dieses Video zeigt nicht die Wahrheit! Es wurde manipuliert.«
»Wie meinst du das?«
»Ich habe dir doch alles erzählt und der Polizei auch. Die sagen in diesem Video lauter Sachen, die ich so nie gehört habe. Da bin ich mir ganz sicher.«
»Wenn du die ganze Zeit redest, verstehe ich gar nicht, was die sagen.« Frau Berger spulte noch einmal zurück und beide lauschten schweigend:
»Sie wünschen?«
»Guten Tag. Wir kennen uns nur flüchtig, wir sind gemeinsam auf die Berufsschule gegangen. Das hier ist mein Sohn. Wir kommen vorbei, weil ich in eine schlimme Notsituation geraten bin und Sie sind der einzige, den ich kenne, der vermögend ist. Bitte geben Sie mir zehntausend Euro, sonst muss ich mich umbringen.«
»Was?«
Berger tippte auf Pause, diesmal klappte es. »Hast du gehört? Das hat er alles nicht gesagt. Nur den letzten Satz. Die müssen das später hinzugefügt haben.«
»Ist sowas denn möglich?«, fragte Frau Berger.
»Heutzutage ist doch alles möglich.«
Frau Berger ließ das Video weiterlaufen. Jetzt sprach der Bärtige: »Ich verstehe Ihre Skepsis, Herr Berger, aber es ist wirklich ernst. Ich werde erpresst. Mir wurden zwei Möglichkeiten gegeben: entweder, ich bringe mich um oder ich treibe 10.000 Euro auf. Beides muss innerhalb von zwei Minuten geschehen. Die Zeit läuft bereits. Schaffe ich weder das eine noch das andere, wird mein Sohn erschossen. Also: Ich brauche zehntausend Euro. Wenn Sie mir die nicht geben, bringe ich mich um.«
Die Kamera schwenkte wieder zu Berger, ohne Schnitt.
»Filmen Sie das? Wozu? Was soll das alles?«
Wie neulich, sprach jetzt der Jüngere, jedoch ebenfalls mit verändertem Text:
»Die Aufnahme wird gerade live an den Erpresser übertragen. Unsere Zeit wird knapp, wir haben nur noch dreißig Sekunden. Geben Sie ihm zehntausend Euro. Sie haben das Geld, und er braucht es.«
Dann Bergers Kopfschütteln. »Sie sind ja verrückt. Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann doch nicht irgendjemandem einen Haufen Geld geben, nur weil er an meiner Türe klingelt. Und mir droht!«
»Ich brauche zehntausend Euro. Wenn Sie mir keine zehntausend Euro geben, bringe ich mich um.«
Schließlich Berger: »Machen Sie, was Sie wollen, aber machen Sie es bitte draußen auf der Straße, okay?«
Dann folgten der Schuss und das Geschrei: »Sie haben ihn umgebracht! Sie haben ihn umgebracht mit Ihrem Geiz! Sie Schwein! Sie Ausbeuter! Sie Kapitalist!«
Das Video endete mit Berger in Großaufnahme, wie er durch den Türspalt schaute mit grüner Krawatte voller Eurozeichen.
Frau Berger legte das Handy auf den Couchtisch. »Und du bist dir sicher, dass es sich so nicht zugetragen hat?«
»Todsicher. So macht das alles einen ganz falschen Eindruck. Als sei ich ein herzloser Geizhals, dem das Schicksal der Beiden egal ist. Hätte ich von diesem Erpresser gewusst —«
In diesem Moment surrte wieder das Smartphone. Diesmal war es ein Anruf ihrer Tochter Melanie: »Papa, was ist das für ein fürchterliches Video?«
»Haben die dir das auch geschickt?« Berger warf seiner Frau einen entsetzten Blick zu.
»Geschickt? Nein, es läuft auf allen Social-Media-Kanälen.«