…und hier nun mein Beitrag dazu, dass das hier kein Kuschelthread wird.
Ich halte, den Kuss der Muse für eine Ausrede. Erfunden, um Autoren, die das Interesse an der eigenen Geschichte verloren haben, einen einfachen Ausweg zu geben, sich nicht weiter damit beschäftigen zu müssen. (Edit: Woran überhaupt nichts Verwerfliches ist)
Das heißt nicht (!), dass ich irgendjemandem vorschreiben möchte, auf welchem Weg er (oder sie) die Seiten füllt. Aber das vehemente Infragestellen, derer, die eher analystisch an den Schreibprozess herangehen, scheint mir doch von einem sehr hohen Ross herabposaunt. Niemand zweifelt daran, dass die Ideen in ganz unterschiedlichen Situationen auftauchen. Beim Duschen, beim Sport, kurz vorm Einschlafen oder eben während man gerade am Rechner sitzt und an seiner Geschichte schreibt.
Aber auf der einen Seite zu argumentieren, dass das erste Buch immer Mist ist und man frühestens mit dem fünften, sechsten oder zwanzigsten Werk etwas Brauchbares auf die Kette bringt, um auf der anderen Seite dann voller Überzeugung zu behaupten, dass mehr Schreiben nicht mehr Qualität bringt, ist im besten Falle inkonsistent.
Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass Kunst von Können kommt. Und um etwas zu können, muss man es üben. Auch und vielleicht gerade, wenn man sich nicht inspiriert fühlt. Es gibt die (wissenschaftlich nicht belegte) Aussage, dass man in eine Tätigkeit 10.000 Stunden investieren muss, bis man zu den Besten gehört. Belegt oder nicht. Ich glaube, da ist etwas dran. Ob Musiker, Schauspieler, Autoren, Sportler, was auch immer. Die allermeisten von ihnen sind nicht über Nacht erfolgreich geworden („erfolgreich“ im Sinne von: „eine signifikante Menge von Menschen außer sie selbst haben zumindest einen Teil des erschaffenen Werkes als qualitativ hochwertig eingestuft“). Wenn dem aber so wäre, dann müssten die 10.000 Stunden ja irgendwo herkommen. Und ich mag nicht daran glauben, dass jemand, der seit Jahr und Tag Klavier spielen übt, sich bei jeder einzelnen Übungseinheit von der Muse geküsst fühlt. Da ist auch sehr viel „Krieg deinen Hintern hoch!“ dabei.
Wenn es nun einige Wenige gibt, die es getreu dem Motto eines vor Jahren mal erfolgreichen Komikers „ohne Proben nach oben“ schaffen, dann sei ihnen das vom Herzen gegönnt.
Bei mir funktionier das nicht. Es kann sein, dass ich zwei Stunden schreibe und in den letzten 15 Minuten kommt mir ein (nach eigener Einschätzung) genialer Gedanke. Den hatte ich aber aller Wahrscheinlichkeit nur, weil ich in den eineinhalb Stunden davor viele verschieden Szenarien durchgespielt, verschiedene Worte in verschiedenen Konstellationen ausprobiert und die ersten halbgaren Ideen wieder verworfen habe. Hätte ich mich nicht dazu gezwungen, mich auf diese Reise einzulassen, dann wäre das Blatt vermutlich leer geblieben.
Wie gesagt: So ist es bei mir. Und so muss es nicht bei anderen sein. Aber ich verweigere mich gegen die Ansicht, dass nur, weil ich konkrete Zeiten zum Schreiben einplane und mir bestimmte Tagesziele setze, das Ergebnis mithin dem Holzhacken gleich höchsten quantitativ aber keinesfalls qualitativ hochwertig sein kann. Wenn ich mich dieser Sichtweise anschließen würde, könnte ich mein Manuskript samt meiner Motivation im Biomüll versenken. Denn das würde bedeuten, dass ich das nächste Mal, wenn mich die Muse küsst, wahrscheinlich gerade kein Zeit habe. Weil ich mit den Kindern spiele, Essen koche, Sport mache, eine Serie schaue, ein Buch lese oder Löcher in die Luft starre. Die Muse, sollte es sie doch geben, wäre nämlich zumindest bei mir eine äußerst launische Persönlichkeit, die nach ihrem Kuss auch ganz schnell wieder weg ist, wenn ich ihr nicht sofort die nötige Aufmerksamkeit schenke. So mache ich lieber konkrete Termine, in der Hoffnung sie schaut vielleicht mal vorbei, anstatt zu hoffen, dass ich zufällig Zeit habe, falls sie von sich aus anklopft.