Es kann gut sein, dass ich es übersehen habe, aber ist es möglich, dass noch niemand die „Wayfarer“-Reihe von Becky Chambers genannt hat?
Im ersten Buch der Reihe, „Die lange Reise zu einem kleinen zornigen Planeten“, ist die Erde eine atomar verseuchte Wüste, die von ihren wenigen Bewohnern allmählich wieder aufgeforstet wird, die Menschheit ist versprengt und zerstritten. Aber das steht nicht im Fokus der Erzählung und ist nur eine kleine Geschichte in einem viel größeren Universum.
Die Protagonistin, der wir in dieses Universum folgen, heißt Rosemary und ist Buchhalterin. Sie heuert auf der Wayfarer an, einem Tunnelschiff. Von der Galaktischen Union, einer interplanetaren Vereinigung mit einem bestürzenden Verwaltungsapparat, in die die Menschen erst vor wenigen Jahren unter strengen Auflagen aufgenommen wurden, erhält die Mannschaft den Auftrag, einen Raumtunnel zu einem weit entfernten Planeten anzulegen, der von einer kriegerischen Spezies bewohnt wird. Das wird ein Jahr dauern, und hätte ich jetzt ein Stück Papier, eine Nadel und eine Schüssel Porridge, könnte ich trotzdem nicht erklären, wie genau das Schiff zwei Punkte im Raum so verbinden wird, dass eine Art kosmische Schnellstraße entsteht. Aber darum geht es auch nicht wirklich.
Es geht um den sozialen Mikrokosmos an Bord, um eine Handvoll Lebewesen, die nur eine vielfach geflickte metallene Hülle vom Nichts trennt. Die Autorin wechselt von Kapitel zu Kapitel die Perspektive, sodass wir jedes Crewmitglied wirklich kennenlernen. Seine Kultur, seine Vergangenheit, seine Art zu denken. Ashby, der Kapitän, ist Exodaner, und was das bedeutet, kann ich hier nicht ausbreiten, ohne zu spoilern. Sissix, die Pilotin, ist eine Eidechse mit diplomatischem Talent. Dr. Koch, Schiffsarzt und Smutje, gehört einer raupenhaften Spezies an, die (wie auf der Erde manche Fische und Schnecken) im Laufe ihres Lebens das Geschlecht wechselt. Es ist die Vielfalt der Sichtweisen auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest, der die Serie ausmacht.
Dieses Buch hat ALLES: Katastrophen! Lösungen! Technobabble erster Güte, exzellentes Worldbuilding und eine Buchhalterin, die den Tag rettet, indem sie ein Formular korrekt ausfüllt.
So ähnlich, stelle ich mir vor, hätte Star Trek werden können, wenn Roddenberry et. al. nicht an Fernsehnotwendigkeiten gebunden gewesen wären. (Das Schöne am Schreiben ist ja das unbegrenzte CGI-Budget.) Gleichzeitig ist Becky Chambers eine der wenigen, die die lange Reise von der Selfpublisherin zur internationalen Bestseller-Autorin geschafft haben.
Falls das bisher noch nicht klar war: unbedingte Empfehlung.