Offene Enden – dritter Teil
Von Michael Fritz
2.1 In der Redaktion
Es hatte lange gedauert. Eine kleine Ewigkeit, in der sich der Nebel in Christian Pfeiffers Kopf festgesetzt hatte, ihn gelähmt und betäubt hatte. Doch als die Dunkelheit endlich von ihm wich, war er ein anderer Mann. Ein Mann mit einem klaren Ziel. Mit einer unbändigen Wut, die wie ein Feuer in ihm loderte. Maria war tot. Und die Schuldigen müssen dafür bezahlen.
Er schluckte den Schmerz herunter, verdrängte die Leere in seiner Brust und ballte die Hände zu Fäusten. Kein Platz für Mitleid. Die Schuldigen würden nicht ungestraft davonkommen. Er würde diejenigen finden, die ihr das Leben genommen haben. Es spielte keine Rolle, wie hoch der Preis war, den er dafür zahlen musste.
Christian, der als Journalist sich durch unzählige Dossiers und Akten gewühlt hatte, wusste, wie er an Informationen kam. Er kannte die Methoden: Recherche, hartnäckige Fragen, das stetige Pochen auf die Wahrheit. Und vor allem: Keine Regeln, die ihn aufhielten. Keine Schranken, die ihn bremsen konnten. Ganz im Gegensatz zu der Polizei, die sich in Formalitäten verstrickte.
Er griff nach dem Smartphone, ließ den Zeigefinger für einen Moment zögern und wählte dann die Nummer der Polizei.
2.2 Bei den Bergers
Es roch nach Regen. Der feuchte, erdige Duft vermischte sich mit der kühlen Schwere des Nebels, der die Welt in einen grauen Schleier hüllte. Das Blaulicht der Streifenwagen tanzte flimmernd durch den Dunst und tauchte die Umgebung in ein flackerndes, geisterhaftes Licht. Bevor Inspektor Haber und seine Kollegin Inspektorin Sommer den Tatort betraten, waren die Kollegen von der Spurensicherung bereits in Aktion. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee drang aus dem Haus der Bergers.
Sommer warf einen kurzen Blick auf die Leiche, die reglos auf dem Pflaster lag, und schüttelte den Kopf. »Das hier stinkt zum Himmel«, murmelte sie, ihre Augen auf die blutigen Flecken auf den Steinplatten im Vorgarten gerichtet. »Der Schuss kam aus nächster Nähe.«
Haber kniff die Augen zusammen, als er den blutigen Pfad verfolgte, der bis zur Tür führte. »Es sieht nach einem klaren Fall aus«, sagte er, doch sein Blick blieb misstrauisch. »Ich habe nur zwei Fragen: Erstens warum das Ganze und zweitens wer hat die Leiche bewegt und wieso!«
»Inspektor«, meldete sich ein junger Polizist, der auf ihn zutrat. »Die Leiche wurde definitiv bewegt, dass warum, bin ich nicht in der Lage zu beantworten, denn unsere Leute waren es nicht. Wir waren zuerst hier. Und mein Kollege und ich, haben Frau und Herrn Berger getrennt voneinander verhört. Ich denke, Herr Berger könnte der Schlüssel sein. Ach ja, wir haben ein paar Nachbarn befragt – wenig hilfreich. Sie haben einen Streit gehört, aber niemand hat etwas gesehen.«
»Typisch«, seufzte Sommer, die sich immer wieder über das Fehlen von Augenzeugen ärgerte. »Alle hören mit, aber keiner sieht was.«
Der Polizist fuhr fort: »Die Beweise sind noch nicht eindeutig. Die Identität der Leiche und des Mannes mit dem Smartphone müssen wir noch klären.«
»Das wird unser nächster Schritt«, erklärte Haber bestimmt. »Kommen Sie, Sommer. Wir müssen mit Herrn Berger sprechen.«
Im Wohnzimmer saß Richard Berger auf der Couch. Regungslos. Sein Blick war leer, als würde er nicht einmal wahrnehmen, dass um ihn herum ein Sturm aus Polizei und Verwirrung tobte. Die Fernsehbilder flimmerten unscharf vor ihm, doch die Szenerie schien ihn nicht zu berühren. In der Küche brühte seine Frau Kaffee auf, ihre Bewegungen mechanisch, als suchte sie in der Routine Zuflucht. Für die Beamtin, die neben Ihr stand, war es ein Moment des Trostes gegen das ungemütliche Wetter draußen.
»Herr Berger«, begann Inspektorin Sommer mit ruhiger, fast sanfter Stimme. »Könnten Sie uns bitte erzählen, was passiert ist?«
Richard sah auf, als hätte er gerade erst bemerkt, dass er nicht allein war. In seinen Augen lag der Schock, als hätte das Grauen noch immer seine Spuren hinterlassen. Langsam öffnete er den Mund, seine Stimme zitterte. »Zwei Männer. Zehntausend Euro. Der Selbstmord… und der Mann, der das alles gefilmt hat.«
»Hat er sich erschossen?« Sommer fragte ruhig, aber der Ausdruck in ihrem Blick verriet, dass sie längst ahnte, was zu erwarten war.
»Ja«, flüsterte Richard, seine Stimme brach. »Er hat sich erschossen, und sein Freund hat es gefilmt. Ich kann es immer noch nicht fassen!« Seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Hat er noch etwas gesagt? Etwas, bevor… bevor es passiert ist?«, fragte Sommer weiter, während sie die Tränen bemerkte, die Richard hastig abwischte.
»Er hat geschrien«, flüsterte Richard und verzog das Gesicht, als würde der Schmerz zurückkehren. »Er sagte, wir seien Kapitalisten… dass wir ihn mit unserem Geiz umgebracht haben.«
»Das klingt nach tiefem Hass«, sagte Haber nachdenklich und machte sich Notizen. »Wir müssen herausfinden, wer diese Männer sind.«
Gerade in diesem Moment klingelte Habers Handy. Er blickte auf das Display, seine Stirn zog sich zusammen.
»Das Revier«, sagte er, als er abnahm. »Haber … ja, Ja, ich verstehe. Wir kommen sofort.« Er legte auf. »Sommer, wir müssen los. Ich erkläre es dir unterwegs.«
Das Blaulicht warf flimmernde Schatten auf die Straßen, als das Auto durch den dichten Verkehr kroch. Haber erzählte weiter: »Es gibt einen weiteren Mord, die Kollegen sind schon vor Ort bei der Leiche der jungen Frau. Ein gewisser Christian Pfeiffer, Redakteur beim Frankfurter Generalanzeiger, hat angerufen. Es war seine Freundin, die ermordet wurde. Er wurde erpresst, ein Video ins Netz zu stellen. Ein Video, das einen Selbstmord zeigt«
»Und was hat das mit unserem Fall zu tun?«, fragte Sommer, die versuchte, das Puzzle zusammenzusetzen.
»In dem Video hört man, wie der Mann hinter der Kamera wütend wird und sagt: ‚Gebt ihm zehntausend Euro.‘«
»Das ist mehr als Zufall«, murmelte Sommer.
»Ja, das denke ich auch«, sagte Haber. »Wir fahren jetzt zu ihm.«
Als sie die Redaktion erreichten, wartete Pfeiffer schon. Keine Spur von Nervosität war ihm ins Gesicht geschrieben, nein im Gegenteil, er wirkte ruhig und fokussiert keine Anzeichen von Panik oder Schock.
»Guten Tag«, begann Haber. »Wir sind von der Kriminalpolizei. Mein Name ist Haber, das ist meine Kollegin Sommer. Sie sind Herr Pfeiffer, der uns angerufen hat?«
»Ja, das bin ich«, antwortete Pfeiffer, trat zur Seite und deutete auf die Tür. »Kommen Sie rein.«
Im Büro war es kühl.
Während alle auf den Arbeitsplatz von Pfeiffer zusteuerten, sagte Haber »Also, erzählen Sie uns doch einmal mit Ihren Worten, was passiert stund was es mit dem Video Aufsicht hat.«
Pfeiffer setzte sich und begann, die Geschichte zu erzählen. »Ich wurde erpresst. Ein anonymer Anruf, eine E-Mail von einer Wegwerfadresse, mit einem Video im Anhang. Ich sollte es innerhalb von zwei Minuten auf unserer Plattform veröffentlichen. Ich tat es, war aber zu langsam. Und dann… erschoss er Maria.« Während er sprach, öffnete er das Video auf seinem Computer und spielte es ab.
Das Bild flackerte, und sie sahen Richard Berger im Gespräch mit einem bärtigen Mann.
„Es ist alles da“, sagte er, während er das Video abspielte. Die Bilder flimmerten. Sommer starrte auf den Bildschirm und spürte, wie sich Ihr der Magen zusammenzog.
»Das ist… das ist unglaublich!«, rief sie, als sie den Moment des Selbstmords sah. »Er filmt alles!«
»Warten Sie… hören Sie das?«, fragte Haber, als er sich nach vorne beugte. Die Stimme des Mannes war deutlich zu hören: »Ihr habt ihn umgebracht mit eurem Geiz!«
»Das erklärt einiges«, murmelte Haber, als er das Video analysierte. »Das war der Auslöser für den Selbstmord.«
Pfeiffer nickte hastig. »Aber es kommt noch mehr. Nachdem ich mit Ihren Kollegen telefoniert habe, bekam ich eine weitere E-Mail. Der Unbekannte will sich mit mir treffen.«
»Und warum sollten Sie ihm vertrauen?«, fragte Sommer, während sie Pfeiffer misstrauisch musterte.
»Es könnte unsere einzige Chance sein, mehr über den Mann hinter der Kamera zu erfahren«, sagte Haber entschieden. »Wir sollten dieses Treffen zulassen.«
Pfeiffer zögerte. »Er hat Informationen über das Motiv hinter dem Mord. Ich muss ihn treffen. Alleine.«
»Das kommt nicht in Frage.«, entfuhr er Haber »Wir kommen mit, bleiben aber im Hintergrund.«
»Wo soll das Treffen stattfinden?«, fragte Haber, der den Plan schon fast vor Augen hatte.
»Im Café im Europa-Park-Rust, um 4 Uhr«, antwortete Pfeiffer.
»Drei Stunden Fahrt«, sagte Sommer, während sie auf die Uhr schaute. »Wir sollten sofort los.«
Der Verkehr war zäh, und in der Stille des Autos wuchs die Spannung. Wer immer dieser Anrufer war, er konnte der Schlüssel zur Lösung des Falls sein.
Sie kamen 15 Min vor 4 Uhr an. Haber und seine Kollegin gingen ins Café und setzten sich an einen Tisch. 5 Minuten später betrat Pfeiffer das Café.
Er schaute sich um aber an jedem belegten Tisch waren zwei oder mehr Leute. Sein 4 Uhr Termin war nicht da.
Pfeiffer fluchte »Scheiße, Wo ist er?«
»ICH BIN HIER«