Toll! Witzig! Danke!
Vor 7 Monaten…
Doktor Berger drückt bei der Entlassung fest meine Hand und klopft mir kumpelhaft auf die Schulter, als würden wir uns ewig kennen: " So einen schweren Herzinfarkt überleben nur sehr wenige. Sie können sich bei ihrem Schutzengel bedanken und ändern sie unbedingt ihr Leben…das ist ihre letzte Chance!"
Heute…
Ich sitze auf Emma’s rosafarbener Kuscheldecke mitten in unserem Garten.
Meine Tochter kommt freudestrahlend mit einem kleinen Blumenstrauß auf mich zugerannt.
Sie plumpst auf meinen Schoß, ihre pummeligen Ärmchen drücken meinen Kopf an ihr kleines schnell pochendes Herz.
" Alles Gute zum Papitag!"
Unendliche Dankbarkeit und so verdammt viel Liebe durchströmt meinen Körper. " Dankeschön mein Engel."
Ich verstecke mein tränenüberströmtes Gesicht in ihren wilden Locken und inhaliere ihren Duft.
Nichts auf der Welt riecht so gut wie dieses Kind.Mein Kind.Mein kleines Mädchen.
Ich möchte noch so viele Jahre mit ihr erleben…in ihre gutmütigen Augen schauen,ihrer Stimme lauschen,mich von ihrem herrlichen Lachen anstecken lassen…für sie da sein…
Keine Ahnung, wieviel gemeinsame Zeit uns beiden noch bleibt. Ich hoffe soviel wie möglich. Ich genieße jeden Augenblick und freue mich auf all das was noch vor uns liegt. Leben,ich bin bereit!!!
Neulich bei Netto
Birgits Haare sind etwas zu rot, ihre Haut zu blass und ihre Arme zu dünn. Sie trägt ein Brillenmodell, das irgendwann in den 80er Jahren vielleicht mal modern war (oder auch nicht) mit großen braun getönten Gläsern und ihre Stimme schlägt grell in den Raum.
„Andreaaaaaa, hast Du mal die Nummer für diese Äpfel, die Cripps… Andreaaaaa.“
„Fünfzehndreizweineunachtdreeeeei.“
„Daaaaaanke.“
Ein Leben wie aus einem Hochglanzmagazin. Fast so wie bei der Heidi. Sagt sie sich Abends immer. Fast so wie bei der… nun ja, Du weißt schon, der Klum eben. Nur ohne Hollywood, den Reichtum, den Ruhm und die Schönheit. Eher so Bitterfeld-Wolfen und Netto. Sie kichert halblaut in sich rein.
„Ich hab mir so ein Pa-lli-etten T-Shirt gekauft. Genau wie die Klum.“
„Ein waaaas?“
„Ein Pallietten-T-Shirt“.
„Wie die Klum?“
"Ja genau so eins. Wie die Klum eben.“
„Puh, Du wirst uns ja noch son richtiger Schtar.“
Der Rest der Unterhaltung geht im Gegacker unter.
Danke schön! Versüßt den Tag (und den Kaffee)!
1968, München.
Die Nächte waren warm, voller Versprechen und jugendlichem Leichtsinn. Bei Mondschein zogen wir mit den Mädchen los, um splitternackt in dunklen Seen zu schwimmen, frei und unbeschwert, berauscht vom Leben.
Unsere klapprigen Mofas hatten wir längst gegen alte PS-starke Wagen eingetauscht, die wir auf Schrottplätzen fanden und mit viel Mühe wieder zum Leben erweckten. Der BMW V8 502 war unser ganzer Stolz, unser Statussymbol. Im Dreier-Convoy fuhren wir damit durch die Stadt, immer auf der Suche nach US-Soldaten, die sich mit ihren schweren Straßenkreuzern mit uns messen wollten.
Ein fester Anlaufpunkt war die Ingolstädter Straße, dort, wo die Will-Kaserne lag und sich die meisten Bars drängten. In vielen spielten Live-Bands, laute, moderne amerikanische Musik, die durch Mark und Bein ging. In manchen Bars waren wir die einzigen weißen Jungs unter lauter Schwarzen, die ihren Spaß daran hatten, uns mit Drinks abzufüllen, während wir versuchten, ihre Tanzschritte nachzuahmen.
Es war eine wilde, unbekümmerte Zeit, bis zu jener Nacht, in der alles ein jähes Ende fand. Der V8 vor mir brach ohne erkennbaren Grund nach rechts aus und wickelte sich mit voller Wucht um einen Alleebaum. Der Stamm traf die Fahrerseite genau dort, wo mein Freund am Steuer saß. Der Aufprall war so heftig, dass ihm das linke Auge herausgerissen wurde.
Die anderen kamen mit ein paar Schrammen davon. Er überlebte körperlich, innerlich schien er nie wieder ganz zu sich zu finden. Fünf Jahre später nahm er sich das Leben und erhängte sich.
Tayeb starrte unentwegt auf seine Füße. Er wusste, sobald er in ihre Augen sah, würde er vergessen, was er sagen wollte. Auf seiner langen Reise aus dem Jemen bis nach Deutschland hatte er viele Mädchen gesehen, aber keine war so schön gewesen wie sie. Ihr Name war Mona. Seine Brust tat weh, wenn sie ihm nahe war. Ein Glücksgefühl, grenzenlos.
Vor vier Wochen war sie in der Gemeinschaftsunterkunft eingezogen. Es war eine gute Unterkunft, nicht überlaufen und angenehm sauber. Aggressionen untereinander waren noch die Ausnahme. Jeder war dankbar, hier zu sein.
Sie stand am Eiswagen vor den Toren und fragte nach Pistazie. Er war vor ihr dagewesen, stand mit seiner Eiswaffel drei Meter entfernt und versuchte genügend Mut aufzubringen, um sie anzusprechen. Ein unmögliches Unterfangen. Pistazie gab es heute nicht. Ihre Augen wurden groß und eilig wandte er sich ab, bevor er ihrem Zauber erlag.
Sie entschied sich für Mokka, lächelte den Eisverkäufer zu und lief ihm entgegen, die Freundin im Windschatten.
Tayeb wusste, es brauchte nur einen Augenblick der Stärke, um sie anzusprechen. Die gesunde Hand wollte die Eiswaffel von sich schmeißen, so stark zitterte sie.
Als sie auf seiner Höhe war, trat Tayeb ihr in den Weg und versuchte es mit seinem besten Lächeln. Mona und ihre Freundin blieben stehen und sahen ihn argwöhnisch an. Bei Allah, sie musste es sehen. Das Leuchten in seinem Herzen, so stark, dass es ihm schwindelte.
„Du bist Mona, richtig? Ich habe gesehen, wie du vor vor einem Monat hier angekommen bist.“
Er schluckte mehrmals, weil ihm die Kehle ausdörren wollte.
„Ich wollte fragen, ob du Lust auf einen kleinen Ausflug mit mir und ein paar Freunden hast. Wir kennen einen schönen Badesee in der Nähe.“ Seine Eiswaffel knackte verdächtig, weil die Finger ungewollt zudrückten. „Wenn deine Freundinnen Lust haben, können wir uns dort einen schönen Nachmittag machen.“
Mona blickte auf einen jungen, Mann von 17 Jahren mit dunklen Locken und brandnarbigem Arm. Die linke Hand steckte dürr und nutzlos in seiner Hosentasche. Das eine Bein war verkürzt und krumm. Er balancierte auf dem gesunden Fuß und versuchte nicht allzu linkisch auszusehen. Sie hatte Mitleid. Doch es gab Tausende Versehrte wie ihn.
„Danke, aber nein.“
Sie sah zu ihrer Freundin, lächelte ihm kurz zu und lief weiter Richtung Unterkunft.
Tayeb starrte auf sein Eis. Die Waffel war gänzlich gebrochen, die Erdbeerkugel auf den Boden gefallen. Er versuchte Worte zu finden, die alles wieder gut machen würden, aber Mona war bereits zu weit entfernt. Er sah ihr hinterher. Etwas verschob sich in ihm, als er humpelnd davonlief.
Dorfbeerdigung
Schwere Tropfen fielen dumpf und hart auf die Bespannungen der Schirme.
Poch. Poch. Poch.
»Nun ist es Zeit, sich von Hark zu verabschieden«, sprach Nele, die Pastorin. Sie schaute in die kleine Gruppe der fünf Frauen, die zu der Beerdigung gekommen waren. Immer wieder schaufelte sie kleine Mengen Sand aus dem Eimer in die Grube auf den eichernen Sargdeckel.
Dapp. Dapp. Dapp. Dapp.
»Er war ein schwieriger Mann, wie eine jede von uns weiß«, sagte sie und fünf stille Gesichter nickten tränenlos. »Wir können nicht sagen, dass wir ihn vermissen werden.«
Kurze Zeit später drehten sie sich ab und verließen den kleinen Friedhof.
Das Klopfen dauerte noch fünfzehn Minuten, bis es schließlich verstummte.
Phobia
Er hasste Verabschiedungen.
»Ich werde dich vermissen«, sagte Jakob. Ein kleiner zarter Funken Melancholie glühte für einen Moment in ihm auf.
»Ja, bis Sonntag. Klär das mit dem Gärtner. Sonst räumst du den Baumschnitt weg.« Sie drehte sich von ihm fort, als er ihr einen Kuss auf die Wange hauchen wollte. »Und räum den Keller fertig auf. Das sollte nicht so lange dauern. Und kurz kannst du ja.«
Jakob lächelte, weil er immer lächelte. Er konnte es nicht mehr ertragen: ihren Zynismus, ihre Arroganz, ihre panische Angst vor Spinnen.
»Für unterwegs«, sagte er und reichte ihr die Plastikbox. »Käseschnittchen und Gurkenscheiben. Aber nicht am Steuer essen, das ist gefährlich.« Nur er achtete auf den daumengroßen Schatten, der zwischen den Gemüsescheiben krabbelte. »Und fahre diesmal bitte nicht so schnell!«
Was er am meisten an ihr hasste, war, dass sie immer das Gegenteil von dem tat, was er sagte.
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben …
Eigentlich war Mike ein friedliebender Mensch. Er grüßte jeden im Dorf, kam mit den meisten Menschen gut aus und eckte mit niemanden an. Seit er in Rente war, hätte er endlich Zeit gehabt zu schreiben und all die Bücher zu lesen, die er seit Jahren angesammelt hatte. Ging bloß nicht.
Denn da war der Neuzugang im Haus. Irgend so ein Honk und seine Tussi, die rund um die Uhr Lärm machten. Am Tag stritten sie sich lautstark und nachts mühte er sich ab, sie zu einem Orgasmus zu bringen, was er ohnehin nie schaffte. Sie kiekste ihm was vor bis drei Uhr früh und er hielt sich für den größten Stecher. Dass Mike, der Tür an Tür zu ihnen lebte, deswegen weder lesen noch schreiben und erst recht nicht schlafen konnte, interessierte das Duo infernal nicht die Bohne.
Aber Mike war nicht der einzige, der darunter litt. Tanja im Erdgeschoß ging es genauso. Traude und Franz sowie Frau Wewerka im zweiten Stock ebenfalls. Das lesbische Pärchen im ersten Stock verdrehte nur die Augen und selbst Konrads Hund mochte vom Gassigehen nicht mehr zurückkommen.
Also beriet man sich, kam aber zu keinem Entschluss, wie in der Sache zu verfahren sei.
„Am liebsten würde ich ihn lebend begraben“ sagte Sarah und Bea, ihre Frau meinte: „Vielleicht genügt schon ein kleiner Unfall auf der A1 !“
Gute Idee, dachte Mike und setzte sich an den Laptop. Wie gesagt, er war ein friedliebender Mensch.
Schön. Müsste es nicht lauten: „Er liebte in diesem Moment, was er am meisten an ihr hasste. Ihre Verbohrtheit, immer das Gegenteil von dem zu tun, was er ihr sagte.“?
A kurze G’schichtl
»Schatz, es ist mir egal, was in der Zeitung steht«, sagte Chris hüfthoh im See stehend. »Kommst jetzt endlich ins Wasser? Wir sind in Österreich. Hier gibt es keine Aligat…«
Vergessen
Am Türrahmen festhalten ist keine gute Idee. Es reißt mir die Fingerkuppen kaputt, wenn ich im Rollstuhl in mein Zimmer geschoben werde. Das muss ich mir merken. Ich wollte mir noch etwas anderes merken. Was war das nochmal? Den Namen der Schwester kann ich jedesmal an ihrem Namensschild ablesen. Wenn ich daran denke. Ständig ist es eine neue.
In letzter Zeit ist mein Kopf so schwer geworden. Manchmal fühlt er sich aber auch ganz leicht an. Fast hohl und ich spüre, wie etwas darin hin und her rollt.
Beim Schieben meines Rollstuhls über kleine Kanten, dann auch im Kreis. Das fühlt sich lustig an. Manchmal muss ich dann grinsen. Die Schwestern nennen das einfältig und wischen mir genervt den Speichel aus den Mundwinkeln.
Ich nenne es Kopfvögel. In meinem Kopf sind lauter kleine Vögel. Sie fliegen und flattern hin und her. Kreischen, bringen meine Gedanken durcheinander, welche lose umherschwirren, und teilen mit ihren Flügelspitzen Buchstaben vom Buchstaben und setzen die Wörter wieder neu zusammen. So entstehen neue Wörter und andere sind so doll zerteilt, dass sie für immer entschwinden.
Manchmal aber schlafen die Vögel, sind erschöpft vom vielen Fliegen. Dann herrscht Ruhe und ich kann mich an früher erinnern. Aber will ich das wirklich? Will ich mich erinnern oder lieber alles vergessen?
War ich gut oder böse? Ich habe es vergessen.
Ich sehe Licht und Farbe, viele fremde Menschen, Freude und Trauer.
Ich bin allein und es ist dunkel. Ich glaube, man hat mich vergessen.
Genau wie Mäusefell und der Träumer, eine kleine Geschichte aus meinem handgeschriebenen Notizbuch. Ich habe jeden mir wichtigen Menschen ( im Moment nur bereits gegangenen Menschen) eine kleine Geschichte gewidmet. Eine Art Reflexion. Das tat mir gut. Eine Art Tagebuch, nur anders.
Wow!
Kopfvögel. Starkes Bild!
Dann eben doch aus das… weil’s thematisch irgendwie passt - aber irgendwie die Negativvariante ist ;). Schon vor Ewigkeiten geschrieben wegen einer Bekannten.
Raum der Erinnerung
Von Dir kann ich nur Schmerzen erben. In diesem Raum steht die Zeit, zwischen den Büchern und Magazinen, wie viel zu schwere Luft in Tonnen von Staub.
Ob Du jemals geliebt hast? Ob Deine Seele je die eines anderen Menschen berührt hat?
Wann ist Dein Geist gegangen? Was ist geblieben, in dieser Hülle, die nun, ins Leere starrend vor mir im Krankenbett liegt?
Ein Vater warst Du mir nicht und doch soll ich nun entscheiden, ob und wie lange Essen in Dich gelangt, Dein Durst gestillt, Deine Schmerzen gelindert werden sollen. Soll über Dinge entscheiden, die Du für Dich nicht festgelegen konntest. Für die Mutter sich nicht in der Lage fühlt. Weil sie viel länger mit Dir in diesem Haus erstickt ist.
In diesem Raum, mit dieser viel zu schweren Luft, an diesem Platz der Erinnerung nimmt nun ein höhenverstellbares Pflegebett mehr Platz ein als wir es je für Dich getan haben.
Komme ich in die Hölle, wenn ich mich gegen Dich entscheide? Und wenn ich in die Hölle komme, bleibe ich dann für immer mit Dir in diesem Raum?
Ja, der letzte Satz schlägt härter zu als Foreman…
Inspiriert - mit Verlaub
Da war sie wieder. Mona! Die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Würde er sich heute trauen, sie anzusprechen? Wahrscheinlich nicht. Feigling. Mist.
Obwohl er schon zwei Kugeln Eis mit Waffel ergattert hatte, humpelte er frech in die Schlange - direkt hinter sie. Mitleidig ließen ihn die anderen gewähren.
„Pistazie bitte!“ Ihre Stimme klang warm wie die Blätter, die sich leicht im Wind wiegten, an diesem Sommertag. Zum Dahinschmelzen.
„Pistazie ist aus“, gab der Eisverkäufer zurück.
Tayeb stutzte. Dann fasste er sich ein Herz, Mona überlegte und bevor sie den Mund öffnete, tippte er ihr sachte auf die Schulter.
Überrascht drehte sie sich um.
„Da - die letzten beiden Kugeln - Pistazie …“ Ihre Augen - wow - gelbgrün, wie der vom Sonnenlicht beleuchtete Weiher.
Unsicher blickte sie ihn an.
Er streckte ihr die gesunde Hand mit dem Eis etwas weiter entgegen, sagte: „Davon hab ich aber schon geschleckt. Ähm, wenn das nichts macht .?.“
Ihr Blick wanderten von der Eiswaffel, zu seinem Gesicht, von dort aus runter zu dem kaputten Bein und wieder hoch.
Jetzt würde sie ihm gleich einen Korb geben. Sich wegdrehen. Ihn ignorieren. Ihn demütigen. Ihn traurig machen.
Doch Monas Mundwinkel zogen sich ein bisschen in die Breite - oh, zu einem echten Lächeln. Und dann sagte sie plötzlich: „Danke, das ist wirklich lieb von dir“, und griff zu.