Die Welt hinter den Träumen…
Kapitel 1
Wiesen und Wälder zogen vorbei, der Zug fuhr durch Städte, hielt ab und zu an Bahnhöfen und eilte meinem Reiseziel entgegen. Die Eintönigkeit ließ mich immer wieder zum Kurzschlummer einnicken. Die Versuche in meinem Buch weiterzulesen gab ich auf, konnte der Handlung nicht mehr folgen, las ganze Passagen zwei, oder dreimal und legte es schließlich weg. Als ich das nächste Mal einschlief, träumte ich von Jemanden, der auf dem vorher leeren Platz, mir gegenüber saß. Eine Frau, vielleicht so um die sechzig. Mit klarem Blick und einem Lächeln sprach sie mich an.
„Du kennst mich nicht, aber es gibt mich seit ewigen Zeiten.“
Was für ein Blödsinn. Das fehlte mir noch. Von einer Spinnerin angesprochen zu werden. Demonstrativ wollte ich mein Buch nehmen, ihr damit signalisieren, keine Lust auf ein Gespräch zu haben. Das Buch war weg. Ich war mir sicher es auf den Sitz neben mir gelegt zu haben.
Ich schreckte auf und schaute nach. Es lag auch noch genauso, wie ich es hingelegt hatte und die Frau war nicht mehr da. Erleichtert atmete ich aus, nahm das Buch und begann zu lesen. Dabei bemerkte ich gar nicht, wie ich wieder im Schlummer versank. Die Frau redete weiter.
„In den Äonen meines Daseins hat sich vieles wiederholt, Universen entstanden und vergingen. Nicht nur ein Einziges. Es gibt viele nebeneinander. Niemals war eines genauso wie das andere. Vielfalt. Woher weiß sie, dass sie jedes Mal etwas anders machen muss, um sich nicht selbst zu kopieren?“
Das war mehr als schräg, Die Wissenschaftler knobelten noch immer an der ersten Sekunde nach dem Urknall und diese Person behauptete alles darüber hinaus zu wissen.
Ich blinzelte. Keine Frau, die mir etwas erzählte. Das Buch war mir aus der Hand gefallen. Ich hob es auf und las weiter.
„Ihr Menschen glaubt, wenn man nur genug Zeit hat, kann man alle Rätsel lösen. Das ist fest in euch eingebaut. Stimmt aber nicht. Es gibt weder genug Zeit und es wird immer mehr Fragen als Antworten geben. Das kannst du mir glauben.“
Ich war mir bewusst wieder zu träumen. Aber diesmal klangen ihre Worte vernünftig. So etwas gab es aber, Verrückte mit lichten Momenten. Es wäre besser, wach zu werden. Womöglich war sie irgendwo ausgebüxt und gefährlich. Es gelang mir aber nicht, zu erwachen, und sie redete weiter.
„Wer ich bin? Der so etwas erzählt? Ich weiß es nicht, es gibt kein Wort, welches mich beschreiben könnte. Du träumst ja auch nur die Worte, die ich an dich richte. Gibst du deinen Gedanken Namen? Wohl kaum. Also lass die Fragen nach meinem Stand und was ich bin. Hör‘ mir einfach zu.“
In mir erwachte Neugier, wollte mich auf ihre Worte einlassen und sagte es ihr. Sie fuhr fort.
„Wenn du willst, kannst du dir vorstellen, ich säße neben dir und gleichzeitig umfasse ich dich und die ganze Welt in der du lebst. Die Beschränkungen deines Daseins kenne ich, für mich gelten sie aber nicht mehr. Ich kenne deine Eltern und kann mich sogar noch an das possierliche Tierchen erinnern, dass dein Urahn war. Manchmal meine ich noch das zarte Kitzeln zu spüren, als nach einem heftigen Zusammenprall der Mond entstand. Da war er noch nicht rund wie jetzt. Solche Erschütterungen in Zeit und Raum sind meine einzigen körperlichen Wahrnehmungen. Mögen sie noch so weit entfernt sein.“
Dumm klang das nicht. Aber worauf wollte sie hinaus? Wieso träumte ich so etwas? Ich erwachte, nur um zu erkennen, dass ich im Abteil allein war. Beruhigt schloss ich wieder die Augen.
„Der Planet auf dem du lebst, hat richtig Glück gehabt. Statistisch dürfte es ihn in dieser Art gar nicht geben. Ein weiterer Trugschluss von euch Menschen. So viele Exoplaneten, wie ihr sie nennt, mit ähnlichen Lebensbedingungen gibt es gar nicht. Gab es nie. In soweit glaube ich tatsächlich an einen Gott, der mich und alles Andere geschaffen hat. So gut, dass er sich danach zurücklehnen konnte, um zu sehen, ob und wann sein Plan aufgeht. Die Regeln mit denen er das gemacht hat, waren simpel aber unbegreifbar ineinander verschlungen.“
Stringtheorie? Die verschlungenen Regeln? Ich fragte sie nach ihrem Studium. Sie schaute mich traurig an und meinte, ich hätte ihr nicht richtig zugehört. Ob sie gehen sollte. Ich entschuldigte mich und versprach mehr Aufmerksamkeit.
„Es muss noch eine Kraft geben, die mich sortiert und portioniert. Nach jedem Urknall. Denn dann werden Teile von mir auch in das neuentstehende Universum verteilt. Welche Teile von was? Ich sehe fast die Frage in deinem Gesicht. N-Dimensionale Erinnerungen. Jeder Schnipsel von mir enthält alle. Aus allen Zeiten und Universen. Von allen Lebewesen, die es je gab.“
Uff. Das überstieg meinen guten Willen und meine Vorstellungskraft. Erinnerungen n-dimensional. Was sollte das denn sein?
„Du musst jetzt wachwerden, der Zug fährt gleich in deinen Zielbahnhof ein.“
Tatsächlich. ‚Kreuzkieselgranaten‘, jetzt wo es spannend wurde, war der Traum vorbei.