Auf den Tag genau, vor einem Jahr nahm ich den schweren Würfel auf.
Sechs Seiten, acht Ecken, zwölf Kanten.
Eine dieser sechs identischen Flächen sollte über mein Schicksal entscheiden?
Ich wog den Würfel in der Hand, drehte ihn mit dem Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger, ließ ihn in die Handfläche rollen.
Der Würfel war gezinkt. Die Fläche der 2 war eindeutig schwerer.
Ich schloss die Hand, würfelte mich mit einer ausholenden Handbewegung in mein unwiderrufliches Schicksal.
Eine Ewigkeit rollte der Würfel auf dem gläsernen Tisch, bis er endlich zum Stillstand kam.
“5”. Ich klatschte in die Hände und lachte. Fortuna zog lediglich eine Augenbraue nach oben.
“So wird Dein Schicksal in Erfüllung gehen”. Sie entnahm ein Bild von der Wand, ein Gemälde des Malers Jaroslaw Jasnikowski, Tor der Parallelwelten und überreichte es mir.
Zum Abschied hob sie die Hand mit abgespreiztem Mittel- und Ringfinger. “Lebe lang und in Frieden”.
Das Feuer prasselt im Kamin. Meine so wunderschöne und liebevolle Frau hat vor einigen Tagen unser erstes Kind zur Welt gebracht.
Wir waren in diesen Augenblicken so voller Freude und Glück.
Wir hätten es uns nie träumen lassen, dass wir jemals zueinander fänden. Mein Vater war ein habgieriger Landbesitzer, von Geiz und Neid zerfressen. Er hatte für seine Mitmenschen nur Verachtung übrig. Und so stand es für ihn außer Frage, dass ich mich mit einer Handwerkstochter einließ. Doch der Handwerker bewarb seine Tochter mit besonderen Fähigkeiten, so dass der Landbesitzer in seiner Gier aufmerksam wurde und einen Handel anbot.
Worum es dabei ging, das wusste ich damals nicht. Ich war zu sehr mit Fortuna beschäftigt.
Ihr Schluchzen und Weinen dringt durch das ganze Haus. Ich halte es nicht mehr aus, gehe nach oben, verharre für einen Augenblick vor ihrem Zimmer.
Ich höre eine fremde Stimme: “Drei Tage will ich Dir Zeit lassen und wenn Du bis dahin meinen Namen weißt, darfst Du das Kind behalten”. Ohne zu zögern öffne ich die Tür, stürze ins Zimmer, packe das kleine hässliche Männlein am Kragen, hebe es empor und werfe es in das Gemälde, das mir Fortuna damals überließ. Mit einem gellenden Schrei verschwindet die Kreatur für immer im Nirgendwo.
Wir fallen uns in die Arme, ich wische ihr die Tränen aus dem Gesicht und ich spüre, wie sie erleichtert aufatmet.
Mondgestein