Guuuuuuuuuuuuut, daß du mir dabei nicht zustimmst (auch wenn ich so einen Vergleich nicht gezogen habe … )
… und niemals wagen würde, lieber Narratöör!
Ich kann aber verstehen, daß dich meine einschlägige Bemerkung dazu verleitete, ihn mir zu unterstellen: Sie war viel zu plakativ! Der Jazzsaxophonist zieht also kurz die philosophische Partitur aus dem Ärmel und fängt zu spielen an …
…]
… so, und jetzt ist alles klar! Oder? – Aber wie kann ich fragen? – Selbstredend hast du’s gehört: Daß das eine absolut subjektive Auslegung der “offiziellen” Partitur war (was auch immer das genauers sein könnte :D), sozusagen eine Improvisation, bei welcher es um meine – ganz und gar private – ästhetische Erfahrung ging und nicht etwa darum, ein authentisches Kunstwerk (welcher Couleur auch immer) zusammen mit einem anderen (dito) auf je eine Seite der Großen Beurteilungswagge zu legen, um dann nachgucken zu wollen, auf welche Seite sie sich wohl neigen würde. – Kein Kunstwerk paßt auf eine Waage! Damit können nur Quantitäten verglichen werden. Für Qualität gibt’s keine solche außer jener im Bewußtsein … und deren Eichung ist “von außen” nicht machbar, weshalb es eben keine geben kann für Kunstwerke …
So, und jetzt schließen wir die philosophische Partitur wieder!
Stattdessen lassen wir zwei MEISTER um eine legendäre reale kreiseln. Der Anlaß für ihre Entstehung war denkbar profan: Einem der beiden wurde ein erklecklicher Haufen Kohle dafür angeboten, daß er eine paar Melodien in Noten setze, die einem von Asomnie enervierten Fürsten helfen sollten, in den ersehnten Schlaf zu finden. Gesagt, getan. Der MEISTER lieferte. – Ich hab keine Ahnung, ob der Fürst in seinem Verlangen befriedigt wurde … bekannt ist allerdings, daß dieses aus dreißig Variationen und einer am Anfang und am Ende gespielten Aria bestehende phänomenale Opus einen anderen MEISTER nicht in den Schlaf wiegte, sondern ihn um den Schlaf brachte – und zwar praktisch sein ganzes Leben lang. Ein anderes – literarisches – Genie, Thomas Berhardt, hat das damit verknüpfte menschliche Schicksal so bewegt und umgetrieben, ja, fasziniert, daß er darüber eine berühmte Geschichte geschrieben hat. Sie heißt Der Untergeher und ist auf alle Fälle für jeden musikaffinen Menschen eine Lektüre wert!
Zitat:
“Aber zwei Jahre, nachdem wir mit ihm bei Horrowitz studiert hatten, spielte Glenn bei den Salzburger Festspielen die Goldbergvariationen, die er zwei Jahre vorher mit uns am Mozarteum Tag und Nacht geübt und immer wieder einstudiert hatte. Die Zeitungen schrieben nach seinem Konzert, dass noch kein Pianist die Goldbergvariationen so kunstvoll gespielt habe, sie schrieben also nach seinem Salzburger Konzert das, was wir schon zwei Jahre vorher behauptet und gewusst haben. …] Nicht einen einzigen Ton hat Glenn jemals ohne seine Singstimme angeschlagen, dachte ich, kein anderer Klavierspieler hat diese Gewohnheit jemals gehabt. Von seiner Lungenkrankheit sprach er, als wäre sie seine zweite Kunst. …] Aber Glenn ist nicht an dieser Lungenkrankheit zugrunde gegangen, dachte ich. Die Ausweglosigkeit hat ihn umgebracht, in welche er sich in beinahe vierzig Jahren hineingespielt hat, dachte ich. Er hat das Klavierspiel nicht aufgegeben dachte ich, naturgemäß, während Wertheimer und ich das Klavierspiel aufgegeben haben, weil wir es nicht zu dieser Ungeheuerlichkeit gemacht haben wie Glenn, der aus dieser Ungeheuerlichkeit nicht mehr herausgekommen ist, der auch gar nicht den Willen dazu gehabt hat, aus dieser Ungeheuerlichkeit herauszukommen.”
Hier die ungeheuerlich Begegnung zwischen Glenn Goulds und Bachs Goldbergvariationen, dokumentiert während der zweiten mythischen Einspielung (nach jener in den Fünfzigern, die seinen Ruhm begründete) in den frühen Achzigern. Es ist ein außerordentliches Dokument, wie ich finde; und niemand sollte denken, daß daran irgendetwas inszeniert wäre: So war Glenn Gould … – Er ist praktisch selbst zu Musik geworden, während er Bach spielte (und am meisten vermutlich anbei der Goldbergvariationen); und das findet nicht sein Genügen daran, daß er beinahe jeden Ton mitsang (wie auf allen Einspielungen auch zu vernehmen, egal ob Originalplatten oder “remasterte”). Von daher sei auch nochmals Thomas Bernhardts Fügung angeführt: “Die Ausweglosigkeit hat ihn umgebracht, in welche er sich in beinahe vierzig Jahren hineingespielt hat.”
Weshalb dieser Sermon? Nun, weil es Leute gibt, die Glenn Goulds Interpretation der GBV “nicht ab” können. Was aber hätte es für einen (letzthinnigen) Sinn, darüber zu streiten, ob sie womöglich Brendel oder Gulda oder wer weiß ich vielleicht “doch besser” eingespielt haben? Den letzten Entscheid darüber trifft immer das einzelne, in der je konkreten ästhetischen Erfahrung stehende Subjekt. Jo, so in etwa.
Und ergo: Hier nun der geniale Irre (my opinion) am Steinbeck-Flügel, die GBV gleicherdings … ähm … summend und vollendet spielend:
https://www.youtube.com/watch?v=aEkXet4WX_c
Gruß von Palinurus