„Für das Herz ist das Leben einfach: Es schlägt, solange es kann. Dann stoppt es. Früher oder später, an dem einen oder anderen Tag, hört seine stampfende Bewegung ganz von alleine auf, und das Blut fließt zum niedrigsten Punkt des Körpers, wo es sich in einer kleinen Lache sammelt, von außen sichtbar als dunkle und feuchte Fläche unter der beständig weißer werdenden Haut, während die Temperatur sinkt, die Glieder erstarren und die Gedärme sich entleeren.“
Karl Ove Knausgård: Sterben - Band 1 seiner Autobiografie
Wenn eine Beurteilung, dass etwas schrecklich schön sein kann, dann ist es dieser Beginn für mich.
Ja, wobei Knausgard sich in diesem ersten Band mit seiner mehr als schwierigen Beziehung zu seinem Vater bis zu dessen Tod auseinandersetzt. Auf welche Veröffentlichung von Krolow beziehst Du Dich? Würde ich gerne mal lesen.
Es waren seine Gedichte, die er im Verlauf seiner Krankheit schrieb. Ich erinnere mich an eines, wo er den körperlichen Verfall schildert. Ich habe damals die Fachtermini (z. B. anus praeter) einem Freund von mir erklärt. War viel Fachsprache Medizin darin. Habe leider den Text nicht mehr, würde mich aber über das Gedicht freuen, falls es jemand findet…
Vor dem von Doppelsäulchen getragenen Rundbogen des Klostereinganges von Mariabronn, dicht am Wege, stand ein Kastanienbaum, ein vereinzelter Sohn des Südens, von einem Rompilger vor Zeiten mitgebracht, eine Edelkastanie mit starkem Stamm, zärtlich hing ihre runde Krone über den Weg, atmete breitbrüstig im Winde, ließ im Frühling, wenn alles ringsum schon grün war und selbst die Klosternußbäume schon ihr rötliches Junglaub trugen, noch lange auf ihre Blätter warten, trieb dann um die Zeit der kürzesten Nächte aus den Blattbüscheln die matten, weißgrünen Strahlen ihrer fremdartigen Blüten empor, die so mahnend und beklemmend herbkräftig rochen, und ließ im Oktober, wenn Obst und Wein schon geerntet war, aus der gilbenden Krone im Herbstwind die stacheligen Früchte fallen, die nicht in jedem Jahr reif wurden, um welche die Klosterbuben sich balgten und die der aus dem Welschland stammende Subprior Gregor in seiner Stube im Kaminfeuer briet. Fremd und zärtlich ließ der schöne Baum seine Krone überm Eingang zum Kloster wehen, ein zartgesinnter und leicht fröstelnder Gast aus einer anderen Zone, verwandt in geheimer Verwandtschaft mit den schlanken sandsteinernen Doppelsäulchen des Portals und dem steinernen Schmuckwerk der Fensterbogen, Gesimse und Pfeiler, geliebt von den Welschen und Lateinern, von den Einheimischen als Fremdling begafft.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es sich um einen(!) Satz handelt.
EDIT: Ich habe den zweiten Punkt inzwischen auch gefunden. Es sind zwei Sätze.
Im Lande Ingari, wo es Dinge wie Siebenmeilenstiefel und Tarnkappen wirklich gibt, gilt es als großes Pech, als ältestes von drei Geschwistern geboren zu werden. Denn wie jedermann weiß, versagt das älteste Kind als erstes und am schlimmsten, wenn die drei sich aufmachen, um ihr Glück zu suchen.
(Meine Güte, ich bin deprimiert. Ich habe gerade ein wenig Zeit und dachte: ‚Jetzt gehst du mal schauen, ob deine Lieblingsbücher auch tolle erste Sätze haben!‘ Und dann stehe ich vor dem Regal und mir wird wieder schmerzlich bewusst, dass irgendwie - und ich weiß wirklich nicht, wie - bei meinem letzten Umzug ausgerechnet der Karton mit meiner Lieblingsliteratur verschwunden ist. Fast alle meine liebsten Bücher sind weg. Vielleicht nehme ich diese Weihnachten das Geld in die Hand und kaufe sie neu.)
Geblieben ist ein genialer Romananfang, der aber meinen eigentlichen Geschmack nur begrenzt widerspiegelt, weil ich ihn schon sehr wuchtig finde:
„Was, wenn die Urenkel der Nihilisten längst ausgezogen wären aus dem staubigen Devotionalienladen, den wir unsere Weltanschauung nennen?“
Bist du dir sicher, dass hier ausschließlich Steampunk und Splatterzeugs gelesen wird, lieber @Ludovic? Aber egal, für diese Verwandlung wird dir jedenfalls im Schloss der Prozess gemacht! Schöne Weinachteln trotzdem.
Und genial geht es weiter mit: „Meine Sünde, meine Seele. Lo-li-ta: die Zungenspitze macht drei Sprünge den Gaumen hinab und tippt bei Drei gegen die Zähne. Lo. Li. Ta.“. Nabokov
Solche eigentlich unmögliche Spielereien mit Worten mag ich sehr. Gerade für einen Anfang genial, denn über sowas kann man nicht einfach so hinweglesen, es löst zumindest ein „hä, wie geht das denn?“ aus.