Euer Anspruch an euch selbst

@Suse Darf ich Dich zu dem Geburtstagsbuchdings was privates Fragen - wo hast Du das drucken lassen? Ich möchte für meinen Mann etwas schreiben (Wort+Bild) und will dass das (falls ich es packe) schön gedruckt ist aber ist halt dann nur „eine Ausgabe“?

Ach und - ich bin einfach erst mal froh, wenn eine Geschichte fertig wird :rofl:

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Ich denke mal, das @Ludovic hier auf das Schreiben als Möglichkeit, eigene seelische Traumata zu verarbeiten, verweist. Das kann ziemlich gut und sogar notwendig sein, sollte aber als tatsächliche Therapieform immer professionell begleitet werden.
Andererseits ist es auch stets eine Art von Selbsttherapie, wenn man grundsätzlich schreibt. Sogar, wenn du davon leben musst. Authentizität als Qualitätsmerkmal heißt , das Geschriebene selbst in irgendeiner Form erlebt zu haben. (Siehe Kafka, Hemingway, Grass, Twain, London , usw.)
Daher glaube ich auch nicht, dass es restlos vermeidbar ist. Aber wenn ich immer das gleiche Erlebnis nur in geringen Abweichungen von mir gebe, dann wird es auf die Dauer recht langweilig. Bei einigen (durchaus hochgelobten) Autoren kann ich mich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass ein kompetenter Psychoanalytiker angebrachter gewesen wäre, als ein Verleger.

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Danke für Deine ausführliche Erklärung. Da hast Du sicherlich recht. Die Persönlichkeit des Verfassers fließt immer irgendwie mit in den Text ein und man schreibt wahrscheinlich automatisch viel über die Dinge, die einen beschäftigen. Selbst, wenn es unbewusst oder nur indirekt passiert.

Rein fachlich: Gibt es das so als Therapieform?
Weißt Du das? (Du kamst aus dem Fachbereich Psychiatrie, richtig?)

Ein Subtext hängt mM immer von der Interpretation der Lesenden bzw. Sehenden ab und ist nicht etwas das quasi per definitionem festgehalten werden kann. Mir fiel das zum ersten mal vor gut dreißig Jahren auf, als ich die (feministische) Inszenierung von Mozarts Zauberflöte gesehen habe. Obwohl nicht ein Wort am Originaltext geändert wurde, saß ich plötzlich in einem völlig anderen Stück, in dem es um patriarchale Gewalt, Missbrauch und Menschenhandel ging und in dem der gute alte Sarastro ein bösartiger Grantscherben war, der die Königin der Nacht und ihre Töchter zutiefst verletzte. Kann man mögen oder nicht, ich kann die Zauberflöte mittlerweile nicht mehr sehen.

Bei dem Roman an dem ich derzeit arbeite, haben mich sehr wohl Klassiker beeinflusst. Schillers Räuber etwa, To kill a mockingbird von Harper Lee, Katz und Maus von Günter Grass, aber eben auch Geschichten, die (noch) nicht zu den Klassikern zählen, wie Foxfire von J. C. Oates oder Zündschnüre von F.J. Degenhardt. Mit Romeo und Julia hab ich hingegen gar nichts anfangen können, obwohl meine Protas genau in der Altersgruppe der beiden Hauptfiguren Shakespeares sind. Ganz im Gegenteil. Und deswegen hab ich das Stück dann auch in meinen Roman eingebaut, quasi als Gegenthese. „Das war alles andere als die Realität von zwei 14-jährigen, weder hier und heute, noch im Verona der Renaissance“, lasse ich irgendwann mal meine junge femme fatal jammern.

Ich glaube , dass es wichtig ist Klassiker zu lesen (auch wenn es manchmal schwierig scheint) aber dabei die guten Geschichten, die in der neueren Zeit entstanden sind, nicht außer acht zu lassen.

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Bei epubli.

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Danke!!!

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Mein Anspruch an mich selbst…
Welche Erwartung habe ich?

Jedenfalls keine, die sich an Zahlen orientiert oder „Erfolge“ misst.

Ich möchte etwas Eigenes, losgelöst von meinem Alltag, der vor allem durch Leistung/Optimierung geprägt ist.

Wenn ich schreibe, bin ich in meinem Universum, erschaffe Persönlichkeiten, Orte, Dinge. Dort bin ich frei von diktierten Normen und dem Leistungsgedanken. Das ist es wohl: frei, kreativ und glücklich sein. Einfach nur zu sein.

Durch Austausch und Recherche beschäftige ich mich mit Bereichen, die mich sonst nie erreicht hätten, wie zum Beispiel: mittelalterliche Seefahrt, Wetter, Methoden der Zeitmessung u.v.m.

Ich lerne und erweitere meinen Horizont, OHNE Notwendigkeit. (Was meinem teilweise widerborstigem Wesen besondere Freude bereitet.) Denn Lernen an sich macht Spaß, doch weniger wenn man etwas wissen „muss“.

Durch eure Geschichten/ Romanauszüge erfahre ich Input, schärfe meinen Blick, als setze ich eine Brille auf, die einen sonst verborgenen Teil meiner Welt sichtbar macht. Ich bin so oft fasziniert, dass viele Menschen das gleiche tun und doch jedes Mal was Anderes dabei herauskommt.

Zuletzt: Durch das Schreiben wurde mir etwas geschenkt, dass ich gar nicht erwartet hatte.
Jeder geht mit Schicksalsschlägen auf seine Weise um. Unsere Wege zurück ins Leben sind so verschieden, wie wir selbst.
Mein Weg war das Schreiben. Oft schreibe ich etwas und es entsteht seltsamerweise so etwas wie ein „innerer Dialog“. Worte, Gedanken, Gefühle, die mir nicht bewusst sind, finden auf diese Art ihren Weg aus dem Bauch in den Kopf.

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Zweimal ja. Scribotherapie ist keine eigene psychotherapeutische Richtung, wird aber gerade in der Verhaltenstherapie und in der Psychoanalyse angewandt. Ich habe gute Erfolge bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen damit gesehen, weil es vor allem schambesetzte Traumata aufbrechen kann. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber kann man (vielleicht) schreiben.“ Quasi eine Erweiterung, der in der Kinderpsychiatrie häufig angewandten analytischen Kunsttherapie.
(Und aus jetzt, Christian. Du bist in Rente!)

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Finde ich auch. Ergänzend meine ich, dass auch schlecht geschriebene Bücher gut sind, um daran zu lernen.

Hier gebe ich einen Überblick über klassische und moderne Bücher, die ich gelesen habe.
https://www.diehuelle.de/bücherwürmchen

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Das kommt auf einen selber an. Soweit ich mich erinnern kann war das Oberstufe. Shakespeares Romeo und Julia folgt der klassischen Fünf-Akt-Struktur elisabethanischer Dramen, unterteilt in Szenen, die Handlung, Konflikte und Tragik orchestrieren. Es gibt einen Prolog in dem wir erfahren, das es sich um zwei Familien gleichen Standes handelt (Rahmen/foreshadowing). Die Story könnte man in einem kurzen Satz umschreiben (Pitch):

Zwei junge Menschen lieben sich, doch die Eltern sind dagegen.

Struktur:
Akt 1 (Exposition)
Akt 2 (Steigende Handlung)
Akt 3 (Höhepunkt & Wende) Point of No Return, Tybalts Tod
Akt 4 (Verschärfung)
Akt 5 (Katastrophe) Überaschende, tragische Wende

Um es abzukürzen:
Bei Romeo und Julia lernst du mehr als aus zehn Büchern von Stephen King – aber mindestens ebenso viel wie aus Musils Törless, Manns Tod in Venedig oder seinem Zauberberg. - Bücher, die Steven gelesen hat, dessen Struktur aber in seinen Werken handwerklich gut versteckt sind.

Ja, das Schulsystem ist kacke!

„Bücher sind Schiffe, die durch die weite Zeitmeere fahren.“

Francis Bacon

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Zu Beginn zu kopieren ist vollkommen ok. Das ist ein völlig normaler Prozess. Es darf nur nicht zur Marotte werden und man muss zu seinem eigenen Stil finden. Ich hatte mal eine Grassphase. Eine Lektorin fragte mich, ob ich gerade den Butt lese.

Versuch mal Tadellöser & Wolff von Walter Kempowski. Zeitgenössisch und man lernt verdichtet zu schreiben. Sehr wichtig.

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Ich glaube, es ist wichtig, dass überhaupt noch gelesen wird. Es muss nicht gleich ein Klassiker sein, aber alles, was über eine Whatsapp-Nachricht hinausgeht, ist heutzutage schon ein Gewinn.
(„Hä? Harry Potter gibts auch als Buch?“)

Ganz provokant gefragt, was denn?

Ich wohne zwei U-Bahn Stationen von einem Schulzentrum mit zwei Gymnasien und einer Realschule entfernt, da bekommt man gelegentlich mit, was die Kids so zu ihrem Lehrstoff meinen:
„Einfach nur gequirlte Kacke.“ ~ 10-Klässler zu Fontanes Effi Briest. (Zugegeben, gerade dieses Buch habe ich auch gehasst).
„Null Ahnung, was da eigentlich abgeht, is mir auch völlig wurscht.“ auch ~ 10 Klässler zur Antigone von Sophokles.
„Lame ohne Ende.“ ähnliches Alter zu Die Leiden des jungen Werther.

Ich wage mal zu behaupten, dass der Gewinn, der da aus dieser Lektüre gezogen wird, stark gegen Null tendiert.
Wenn schon Klassiker, sollte dafür erstmal das Interesse geweckt und der Boden bereitet werden, denn in unserer Zeit ist diese Art von Lektüre mittlerweile so fremd wie ein Text in einer anderen Sprache.

Die meisten Kids würde heute dazu wahrscheinlich sagen, „Kackegal, was soll der Stress, ist doch wohl meine Sache, mit wem ich abhänge.“

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Ja genau. Viele Autoren beginnen aus einem inneren Konflikt heraus zu schreiben. Es ist ein Ventil. Sei es, weil sie total unglücklich mit ihrem Leben sind, eine neurotische Störung oder ein noch nicht verarbeitetes Traumata haben. Da gibt es nichts, was es nicht gibt. Manche schrieben sogar in der Nervenklinik - es sind gar nicht so wenige.

Friedrich Hölderlin
Antonin Artaud
Sylvia Plath
Ernst Herbeck
Ezra Pound
Unica Zürn
Thomas Bernhard(?)
Robert Walser

Die Liste ist unendlich. Was ich meinte, ist, man muss seine eigene Wirrnis erkennen und wenn man veröffentlichen will es in eine Form bringen, die von vielen verstanden wird - so ein Buch wie Finnegans Wake von James Joyce bitte erst, wenn man mit Ulysses Erfolg hatte (sherzo).

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Ich würde dir gern 3 Herzchen auf einmal geben.

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Nicht ? sondern !
Der war in der Klinik Patient, in der ich gelernt habe.
Sein Buch „Wittgensteins Neffe“ handelt davon. War Pflichtlektüre in unserer Ausbildung. „Zum Abhärten“, sagte unser Psychiatrieprofessor.

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Die werden ja später vermutlich auch nicht schreiben, sondern eher ihren Phallus auf Tiktok ventilieren.
(das tun die Jungs ja jetzt schon)

Es gibt Schulen und Schulen. Im Moment ist Tschick von Wolfgang Herrndorf das Ding und es gefällt. Gemeckert wird immer. Das haben wir früher auch. Unser Schulsystem ist darauf ausgelegt, nicht sinnlos auswendig zu lernen, sondern es soll befähigen, sich später in der Bandbreite zurechtzufinden. Was ja offenkundig gelungen ist.

Die Kids mit denen ich Romeo und Julia durchgehe sind sehr schnell begeistert. Man muss sie halt heranführen. Geht alles. Selbst Macbeth. Es überlebt ja kaum einer und auf der Bühne stirbts sich schön.

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Stimmt. Mit ein Grund, warum ich jede Woche einen Tag mit Hauptschülern lesend verbringe.
Leicht ist das nicht, aber es funktioniert. Und wenn Murat (14) dieses blöde Smartphone weglegt , weil der Leseopa kommt, oder William (11) mich korrigiert , weil ich das letzte Kapitel aus „Der Schule der magischen Tiere“ nicht korrekt nacherzählt habe, oder Mariusz (13) seiner Schwester Rebecca (7) „Wir pfeifen auf den Gurkenkönig“ von Christine Nöstlinger jetzt auch zuhause vorliest, dann weiß ich, dass ich vielleicht, unter Umständen, mit sehr viel Glück, grad was wichtigeres getan habe, als mich über die bildungsferne Jugend von heute zu echauffieren.

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Ja, das ist toll! Super Unterhaltung. Kann ich wärmstens empfehlen.

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Genau das meine ich ja, es geht durchaus, aber man muss es machen. Wenn das ausbleibt und man den Kids einfach so einen Klassiker vorsetzt, haben sie nicht das Geringste davon im Gegenteil, da stößt man erstmal auf völliges Unverständnis bis hin zu totaler Ablehnung.
Wenns blöd läuft, hält die dann ein Leben lang vor.

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Ja, das ist echt super, dass du das machst! Es zeigt, dass einmal die ‚Jugend von heute‘ durchaus motiviert werden kann, wenn mans richtig angeht, und zum anderen, dass unser Schulsystem, das das ja kaum bis gar nicht fertigbekommt, auf der ganzen Linie versagt.

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